Der südrheinische Klerus zwischen 1848 und der Beendigung des Kulturkampfes

Helmut Rönz (Bonn)

Ansicht des Domfreihofs in Trier mit Dom und Liebfrauen, Öl auf Leinwand v. Ludwig Neureuter (1796-1871), 1840-1860. (Stadtmuseum Simeonstift Trier)

1. Einleitung

Ge­schich­te, be­son­ders ih­re Ein­tei­lung in Ären, Epo­chen und Epi­so­den er­scheint häu­fig als ein heu­ris­ti­sches Kon­strukt von Aka­de­mi­kern, das nach­träg­lich zu­wei­len auf un­zu­läs­si­ge Wei­se Raum und Zeit ver­dich­tet und auf sol­che Art zu­sam­men­bringt, was von den Zeit­ge­nos­sen selbst nur sel­ten im Zu­sam­men­hang ge­se­hen wur­de. Wenn wir das 19. Jahr­hun­dert und ins­be­son­de­re die Geis­tes- und Re­li­gi­ons­ge­schich­te in Mit­tel­eu­ro­pa be­trach­ten, so über­kommt ei­nen zu­wei­len der Ge­dan­ke, dass ge­nau die­ses ge­sche­hen ist, um Phä­no­me­ne zu er­klä­ren, die erst zu Phä­no­me­nen wer­den, wenn sie von der schrei­ben­den Zunft als sol­ches pos­tu­liert und tra­diert wer­den. So ist der üb­li­cher­wei­se pos­tu­lier­te kon­flikt­be­la­de­ne Ge­gen­satz ka­tho­li­sches Rhein­land – pro­tes­tan­ti­sches Preu­ßen ein sol­ches tra­dier­tes Phä­no­men, eben­so die mi­lieu­ge­nähr­ten Er­klä­rungs­ver­su­che zu die­sem von der War­te des Ge­lehr­ten­turms aus­ge­mach­ten Ge­gen­satz. Eben­so ver­hält es sich mit den ein­her­ge­hen­den Ge­gen­sät­zen Ma­te­ria­lis­mus – Ka­tho­li­zis­mus oder Li­be­ra­lis­mus – Ka­tho­li­zis­mus. Da­bei sah es zu­nächst vor dem Hin­ter­grund der 1848er Re­vo­lu­ti­on we­der im Rhein­land noch in Ba­den oder an­ders­wo nach ei­nem grund­sätz­li­chen Ge­gen­satz von Ka­tho­li­zis­mus und Li­be­ra­lis­mus aus – im Ge­gen­teil. Viel­mehr schien es noch bis 1848 und so­gar dar­über hin­aus, als ob Kir­che und li­be­ra­les Bür­ger­tum im Rhein­land in zen­tra­len Fra­gen ih­rer po­li­ti­schen Ziel­set­zung über­ein­stimm­ten oder gar zu­sam­men­zu­ar­bei­ten ver­moch­ten. Da­bei ist 1848 für die Kir­che ein am­bi­va­len­tes Da­tum, da sie zum ei­nen durch die Ver­fas­sun­gen von 1848 und von 1850 weit­ge­hen­de Rech­te zu­ge­stan­den be­kam und zum an­de­ren ein wich­ti­ger Fak­tor der po­li­ti­schen Mei­nungs­bil­dung im Rhein­land war.[1] Das En­de des Kul­tur­kamp­fes, nen­nen wir der Ein­fach­heit hal­ber das Jahr 1885 als Stich­da­tum, war si­cher­lich nicht das En­de des Mo­der­ni­sie­rungs­kon­flik­tes, al­ler­dings war es oh­ne Zwei­fel in­ner­kirch­lich das vor­läu­fi­ge En­de ei­nes tief­grei­fen­den Rich­tungs­streits, der al­ler­dings noch Nach­we­hen zeig­te.

 

2. Milieu und Wandel

Wenn al­so von Mi­lieu­bil­dung die Re­de ist, dann fand sie als un­ab­hän­gi­ger Vor­gang si­cher­lich ver­dich­tet vor al­lem in die­sem Zeit­raum statt. Nun ist es so, dass je­de Mi­lieu­for­schung, die auch ei­ne So­zi­al­for­schung dar­stellt, – zu­min­dest in wei­ten Tei­len – als Pries­ter­for­schung ver­stan­den wer­den muss. Da­bei ist die Pries­ter­for­schung nicht nur für sich ein wich­ti­ger Bei­trag zur Er­for­schung des 19. Jahr­hun­derts im All­ge­mei­nen und des Ka­tho­li­zis­mus im Spe­zi­el­len, denn „Le­ben im ka­tho­li­schen Mi­lieu war im­mer ein Le­ben mit, ne­ben und manch­mal im Wi­der­spruch zu den Pries­tern“, schreibt der His­to­ri­ker Jo­sef Moo­ser in sei­nem Auf­satz über das ka­tho­li­sche Mi­lieu in der bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft. Er fol­gert des Wei­te­ren, „dass, so­lan­ge die Ka­tho­li­zis­mus­for­schung, wie bis­her üb­lich, meist we­nig über die Geist­li­chen zu sa­gen hat, auch das ka­tho­li­sche Mi­lieu nur un­zu­rei­chend be­grif­fen wird.“[2] D­a­bei ent­wi­ckel­te sich je­ne streng­kirch­li­che Rich­tung, die eben nicht, wie der Trie­rer Bi­schof Jo­sef von Hom­mer (1760-1836) mein­te, aus Alt­kon­ser­va­ti­ven be­stand, die von al­ten Fo­li­an­ten nicht las­sen woll­ten[3], zu ei­ner neu­en, be­stim­men­den Kraft, die in der kirch­li­chen So­zi­al­ar­beit wur­zel­te und weit dar­über hin­aus Ein­fluss auf gro­ße Tei­le des ka­tho­li­schen Bür­ger­tums ge­wann. In der Tat tra­ten die „Frömm­ler“ und „Glau­bens­knech­te“, wie Au­gust Rei­chen­sper­ger sie nen­nen soll­te[4], den vor al­lem auf die grö­ße­ren Städ­te kon­zen­trier­ten auf­ge­klär­ten Geist­li­chen zu­wei­len mit pu­bli­zis­ti­scher Wucht und Ver­ve ent­ge­gen.

August Reichensperger, Porträt von Johannes Niessen (1821-1910), 1867, Original im Kölnischen Stadtmuseum. (Rheinisches Bildarchiv Köln)

 

Aber auch füh­ren­de Kle­ri­ker be­stimm­ten den kul­tu­rel­len, po­li­ti­schen und geist­li­chen Weg der Kir­che und des Kir­chen­volks durch das Jahr­hun­dert. Die po­li­ti­sche Di­men­si­on des geist­li­chen Han­delns war mit dem Ab­le­ben des Kur­staats nicht un­ter­ge­gan­gen. Sie ge­wann viel­mehr über die li­be­ra­len Ver­än­de­run­gen des 19. und 20. Jahr­hun­derts neue Mög­lich­kei­ten der ge­stal­te­ri­schen Mit­ar­beit. So fan­den sich ei­ni­ge Kle­ri­ker auch aus dem Trie­rer Raum in der preu­ßi­schen Lan­des­po­li­tik und in der Reichs­po­li­tik nach 1871 wie­der.[5] Doch nicht nur ei­ne tie­fe po­li­ti­sche Neu­aus­rich­tung griff nach­hal­tig, son­dern auch ei­ne grund­le­gen­de Neu­aus­rich­tung der Theo­lo­gie, be­son­ders der Ek­kle­sio­lo­gie, in For­schung und Leh­re, der Pas­to­ral­theo­lo­gie und auch an­sons­ten der Aus– und Fort­bil­dung an­ge­hen­der Seel­sor­ger. Dar­über hin­aus kam es zu ei­nem so­zia­len Wan­del der Struk­tur des Pries­ter­kol­le­gi­ums im Bis­tum Trier, al­ler­dings mit der er­war­tungs­ge­mä­ßen zeit­li­chen Ver­set­zung. Doch wen­den wir uns zu­nächst kurz dem Trie­rer Kle­ri­ker als Po­li­ti­ker in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts zu.

3. Der Klerus im Vormärz und in der Revolution

Über den süd­rhei­ni­schen Kle­rus im po­li­ti­schen Spiel des Vor­märz und in den Par­la­men­ten der 1848er Re­vo­lu­ti­on ist be­reits ei­ni­ges ge­schrie­ben wor­den. Des­halb ge­nü­gen an die­ser Stel­le ei­ni­ge we­ni­ge Hin­wei­se, wie er sich hier po­si­tio­niert hat­te. Denn auch in der deut­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung wa­ren trie­ri­sche Kle­ri­ker ver­tre­ten. Ei­ni­ge schlos­sen sich 1848 der äu­ßers­ten Lin­ken an, wa­ren al­ler­dings auch im Pries­ter­kol­le­gi­um der Mo­sel­diö­ze­se nicht un­be­dingt der Mit­te zu­zu­ord­nen. Sie ge­hör­ten eher ei­nem äl­te­ren Re­form­flü­gel an, den Chris­toph We­ber die „Auf­ge­klär­ten“ nennt. Er sieht die Ul­tra­mon­ta­nen, die Her­me­sia­ner so­wie die „Auf­ge­klär­ten“ als ei­ge­ne Grup­pen des Kle­rus in der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts.[6] Her­me­sia­ner und „Auf­ge­klär­te“, die zu­nächst un­ter­schied­li­che ek­kle­sio­lo­gi­sche Vor­stel­lun­gen hat­ten, ver­schmol­zen an­ge­sichts des Drucks der streng­kirch­li­chen Rich­tung mit­ein­an­der, als die An­hän­ger Jan­sens und des Fe­bro­ni­us nach und nach ver­star­ben und die jün­ge­ren An­hän­ger den Wunsch nach ei­ner kirch­li­chen Re­form mit den Her­me­sia­nern ge­mein hat­ten.

Probeausgabe des vom "Presskaplan" und späteren Reichstagsabgeordneten Georg F. Dasbach begründeten St, Pauliinus-Blatt, 14.12.1874. (Universitätsbibliothek Trier)

 

Aber die li­be­ra­len Ka­tho­li­ken des Vor­märz wa­ren ge­spal­ten in ei­ne staats- und kö­nigs­treue her­me­sia­ni­sche Grup­pe, die der De­mo­kra­tie ab­leh­nend ge­gen­über­stand, und ei­ne auf­klä­re­ri­sche Grup­pe um Jo­hann An­ton Jo­seph Han­sen (1801-1875) und an­de­ren Ver­tre­tern des Re­form­pries­ter­tums, die schon 1831 ei­ne syn­oda­le Ver­fas­sung für die Kir­che und 1848 ei­ne de­mo­kra­ti­sche Ver­fas­sung für den Staat for­der­ten. Der pro­mi­nen­tes­te Ver­tre­ter des Her­me­sia­nis­mus nach 1836, Carl Jo­sef Hol­zer (1800-1885), war je­doch ein Kämp­fer ge­gen die ka­tho­lisch-de­mo­kra­ti­sche Be­we­gung im Vor­märz und wäh­rend 1848 – die Ge­men­ge­la­ge war al­so hoch­kom­pli­ziert. Da­zwi­schen stan­den die Ul­tra­mon­ta­nen, die zum ei­nen stark ge­prägt von ei­ner kon­ser­va­tiv-ro­man­ti­schen Vor­stel­lung von Kir­che und Ge­sell­schafts­ord­nung wa­ren, zu­gleich je­doch er­kann­ten, dass in ei­nem ver­fass­ten Staats­we­sen die Frei­heit der Kir­che bes­ser ge­schützt wer­den könn­te, als in ei­nem ab­so­lu­tis­ti­schen Kö­nig­tum, de­ren pro­mi­nen­te Ver­tre­ter bis hin zum Herr­scher­haus pro­tes­tan­tisch wa­ren. So war der Kle­rus von 1848 he­te­ro­gen so­wohl hin­sicht­lich po­li­ti­scher als auch theo­lo­gi­scher Ent­wür­fe. Stär­ker ak­tiv in der po­li­ti­schen Agi­ta­ti­on und Ar­beit vor und wäh­rend 1848 wa­ren al­ler­dings die li­be­ra­len Kräf­te, wo­mit auch klar ist, dass es zu die­ser Zeit kei­nen ein­heit­li­chen po­li­ti­schen Ka­tho­li­zis­mus in Volk und Kle­rus gab, son­dern die­ser viel­mehr erst nach den ideo­lo­gi­schen und po­li­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen nach 1850 ent­stand.[7] 

Lithographie v. G. Pönicke Die Zeitungs-Politiker”. “Der Radikale / Republikaner”. “Der Liberale / Constitutioneller”. “Der Conservative / Absolut. Monarchist”, 1849.

 

An die­ser Stel­le ist ei­ne Dar­stel­lung der Ge­schich­te des Vor­märz und von 1848 nicht not­wen­dig, da die­se hin­rei­chend be­kannt ist und be­son­ders zum Ju­bi­lä­ums­jahr aus­rei­chend er­forscht wur­de.[8] Des­halb nur ei­ni­ge Ge­dan­ken zum Ver­hält­nis des Kle­rus zur Re­vo­lu­ti­on von 1848. Wie We­ber fest­stellt, sind ge­nui­ne Un­ter­schie­de in Zu­sam­men­set­zung und Ra­di­ka­li­tät zwi­schen dem Trie­rer und dem Ko­blen­zer Raum zu kon­sta­tie­ren. Denn im Ko­blen­zer Raum stand den kon­ser­va­ti­ven Ka­tho­li­ken um Her­mann Jo­sef Dietz (1782–1862) in den ei­ge­nen Rei­hen mit Jo­sef Hol­zer ein wich­ti­ger Ge­gen­spie­ler und staats­from­mer Pries­ter ge­gen­über, wäh­rend in Trier li­be­ra­le Kräf­te kaum vor­han­den wa­ren und die streng­kirch­lich ge­sinn­ten Kle­ri­ker auch und be­son­ders aus ei­nem so­zi­al mo­ti­vier­ten an­ti­preu­ßi­schen Re­flex der ka­tho­li­schen De­mo­kra­tie und dem Kon­sti­tu­tio­na­lis­mus das Wort re­de­ten. Wil­helm Ar­nol­di (1798-1864) selbst konn­te sich nicht so de­zi­diert fest­le­gen, wie es man­che Mit­brü­der, aber auch die Be­hör­den mög­li­cher­wei­se wünsch­ten, we­der in die ei­ne noch in die an­de­re Rich­tung. Er muss­te aus op­por­tu­nen Grün­den zu­nächst den stark aus­ge­präg­ten Wil­len der ka­tho­li­schen Be­völ­ke­rung zur Ver­än­de­rung of­fi­zi­ell zü­geln und zu­gleich steu­ern. So mach­te er, der selbst wohl ein ge­mä­ßig­ter Kon­sti­tu­tio­na­list war, in ei­nem Auf­ruf vom 31.3.1848 das Volk dar­auf auf­merk­sam, dass die Stö­rung der öf­fent­li­chen Ru­he und Ge­walt­tä­tig­kei­ten ge­gen Per­so­nen und Ei­gen­tum nicht im Sin­ne der Kir­che wä­ren. Aus­lö­ser die­ses Auf­rufs wa­ren un­ter an­de­rem an­ti­se­mi­ti­sche Aus­schrei­tun­gen, die in der so­zi­al an­ge­spann­ten Si­tua­ti­on an der Mo­sel und in Trier selbst be­grün­det la­gen.

Die Po­si­ti­on der kle­ri­kal-de­mo­kra­ti­schen Frak­ti­on auf den Punkt brach­te der Trie­rer Theo­lo­gie­pro­fes­sor und spä­te­re Bi­schof Mat­thi­as Eber­hard (1815-1876) in sei­ner Pre­digt an­läss­lich der Trau­er­fei­er für die Op­fer der Mär­zer­eig­nis­se, der ein Vers aus dem 124. Psalm zu­grun­de lag, der Is­ra­els Dank für die Be­frei­ung Aus­druck ver­lieh und auf Da­vid zu­rück­geht: „Un­se­re See­le ist ent­ron­nen wie ein Vo­gel dem Strick des Jä­gers; der Strick ist zer­ris­sen und wir sind frei.“[9] Was die­ser „fak­ti­schen An­er­ken­nung der Re­vo­lu­ti­on durch die Trie­rer Kir­che“[10] folg­te, wa­ren je­ne spe­zi­fisch re­vo­lu­tio­nä­ren Ak­tio­nen, die im Rhein­land und be­son­ders in Trier mit ei­nem zu­sätz­li­chen an­ti­preu­ßi­schen Re­flex be­haf­tet wa­ren. Auch auf dem Dom wur­de die schwarz-rot-gol­de­ne Fah­ne ge­hisst. Hier war die ul­tra­mon­ta­ne Be­we­gung in be­son­de­rer Wei­se und noch stär­ker als in Ko­blenz de­mo­kra­tisch ge­son­nen, so dass es zu ei­nem von der Ob­rig­keit ge­fürch­te­ten Zweck­bünd­nis zwi­schen Re­pu­bli­ka­nern und „Ul­tra­ka­tho­li­ken“ kam.[11] 

Ins­ge­samt nahm die Kir­che je­doch ei­ne zu­rück­hal­ten­de Po­si­ti­on ein, be­son­ders wäh­rend des Wahl­kampfs, als zwei gro­ße Grup­pen, die bei­de po­li­ti­sche Ver­än­de­run­gen ver­folg­ten und sich le­dig­lich in Ra­di­ka­li­tät und Aus­for­mung un­ter­schie­den, mit­ein­an­der um die Stim­men des Vol­kes ran­gen, näm­lich die Kon­sti­tu­tio­nel­len und die Ra­di­ka­len. Die Kon­sti­tu­tio­nel­len tra­ten ein für ei­ne Mon­ar­chie un­ter li­be­ra­len Vor­zei­chen mit ein­ge­schränk­ten und ver­fass­ten Be­fug­nis­sen des Kö­nigs und vor al­lem für die Frei­heit der Kir­che. Sie hiel­ten je­doch nichts von ei­ner Auf­lö­sung der Län­der und von den bis­her teils ge­walt­tä­tig ver­lau­fe­nen Pro­test­kund­ge­bun­gen. Die Ra­di­ka­len hin­ge­gen setz­ten sich für die Auf­lö­sung der Län­der, De­mo­kra­tie in re­pu­bli­ka­ni­scher Aus­for­mung und – wie die an­de­re Sei­te auch – für die Frei­heit der Kir­che ein.[12] Zu den Kon­sti­tu­tio­nel­len ge­hör­ten, ab­ge­se­hen von Ar­nol­di, der je­doch als sol­cher nicht in Er­schei­nung trat, von den Pries­tern der Pfar­rer von St. Gan­golf in Trier, Adolf Jo­hann Schue (1800-1879), der Kir­chen­his­to­ri­ker Ja­kob Marx d. Ä. (1803-1876), Mat­thi­as Eber­hard, der Pfar­rer von St. An­to­ni­us in Trier, Ge­org Rem­lin­ger (1807-1861), und in Ko­blenz der Pfar­rer von St. Kas­tor und spä­te­re Erz­bi­schof von Köln, Phil­ipp Kre­mentz.[13] Auf Sei­ten der Ra­di­ka­len wa­ren un­ter den Kle­ri­kern die Pfar­rer Pe­ter Alff (1806-1857) aus Bit­burg und Jo­hann An­ton Jo­seph Han­sen (1801-1875) aus Ott­wei­ler zu fin­den.[14]

Wilhelm Arnoldi, Bischof von Trier, nach 1864. (Sankt-Markuskirche in Wittlich)

 

So schien die ka­tho­li­sche Sa­che in je­der Frak­ti­on gut auf­ge­ho­ben zu sein, wa­ren auch Ar­nol­di und die ho­hen Geist­li­chen eher für ei­ne kon­ser­va­ti­ve­re Va­ri­an­te der Ver­än­de­rung. Auf­grund der Zu­sam­men­set­zung der bei­den Grup­pie­run­gen war das Bild nach den Wah­len vom April 1848 für das süd­li­che Rhein­land un­ein­heit­lich. So­wohl lin­ke als auch li­be­ra­le Kräf­te konn­ten Wahl­krei­se für sich ent­schei­den. Aus dem Kle­rus wech­sel­ten Pe­ter Franz Knoodt (1811-1889) für Neu­wied nach Frank­furt und Pe­ter Alff und Jo­hann An­ton Jo­sef Han­sen nach Ber­lin in die Ver­ein­ba­rungs­ver­samm­lung. In­wie­fern die so­zia­len Her­kunfts­un­ter­schie­de die­ser drei ge­wähl­ten Pries­ter be­reits 1848 ei­ne Rol­le für die­se Rich­tungs­ent­schei­dun­gen spiel­ten, muss of­fen­blei­ben. Fest­zu­hal­ten ist al­ler­dings der Um­stand, dass die ka­tho­li­sche Be­völ­ke­rung und mit ihm auch der Kle­rus noch nicht je­nes ho­mo­ge­ne, von so­zia­len Bar­rie­ren nur be­dingt zer­glie­der­te, po­li­tisch ein­heit­li­che Mi­lieu dar­stell­te wie wäh­rend und nach dem Kul­tur­kampf.

Der Be­ginn die­ser Mi­lieu­bil­dung ist al­ler­dings in der Tat in die­se Zeit und be­son­ders in die nun fol­gen­den Jah­re der Pe­ti­ti­ons­be­we­gung und Ver­eins­bil­dung zu da­tie­ren. Al­ler­dings wa­ren die Pries­ter hier­bei, wie schon die Zahl der Trie­rer Kle­ri­ker in po­li­ti­schen Äm­tern er­ken­nen lässt, vor­nehm­lich geist­li­che Be­glei­tung denn po­li­ti­sche Füh­rer­schaft. Be­son­ders durch Lai­en, aber auch durch en­ga­gier­te Geist­li­che wie Eber­hard und Marx wur­den nun die Wei­chen ge­stellt nicht nur für den wei­te­ren Ver­lauf der po­li­ti­schen Ge­schich­te des Ka­tho­li­zis­mus, son­dern auch für den Sieg der streng­kirch­li­chen Rich­tung in Trier. Die Fra­ge, in­wie­fern je­ne Pries­ter, die 1848 in be­son­de­rer Wei­se auf­fie­len, auch im Kul­tur­kampf an vor­ders­ter Front stan­den, ist nur un­zu­rei­chend zu be­ant­wor­ten. Zum ei­nen ist fest­zu­hal­ten, dass vie­le Ak­ti­vis­ten von 1848 im Jahr 1872 nicht mehr leb­ten oder zu­min­dest nicht mehr ak­tiv wa­ren, zum an­de­ren war in den 1870er Jah­ren vor­nehm­lich ein jun­ger, nach streng­kirch­li­chen Idea­len aus­ge­bil­de­ter Kle­rus be­trof­fen, der eben or­di­niert die ers­ten Äm­ter an­nahm, und dem vor die­sem Hin­ter­grund be­hörd­li­cher­seits Stei­ne in den Weg ge­legt wur­de. Den­noch muss die Fra­ge vor­sich­tig be­jaht wer­den, denn es wa­ren nicht nur die 1848 be­son­ders ak­ti­ven Mit­strei­ter, die das theo­lo­gi­sche Feld für den Kul­tur­kampf be­stell­ten, son­dern vie­le, die et­wa durch Pre­dig­ten po­li­ti­siert für Neue­run­gen und kirch­li­che Frei­heit ein­tra­ten. Frei­heit, spe­zi­ell die kirch­li­che, war so­wohl 1848 als auch 1872 das Schlag­wort kirch­li­cher In­ter­es­sen. Der be­kann­tes­te Kle­ri­ker, der so­wohl 1848 als auch nach 1871 in das Vi­sier der Be­hör­den ge­riet, war ver­mut­lich der Kul­tur­kampf­bi­schof Mat­thi­as Eber­hard.[15] 

Bleibt nach­zu­tra­gen, dass am 3.6.1848 der Ver­fas­sungs­aus­schuss der Deut­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung den Grund­satz der Un­ab­hän­gig­keit der Kir­che vom Staat mit nur knap­per Mehr­heit ab­lehn­te[16], mit der Fol­ge von zahl­rei­chen Pe­ti­tio­nen und sons­ti­gen Pro­tes­ten aus Trier und Ko­blenz. In die­ser Zeit und im Licht die­ser un­güns­ti­gen Ent­schei­dung be­en­de­ten auch die „Ul­tra­mon­ta­nen“ das Bünd­nis mit den Li­be­ra­len, de­nen sie miss­trau­ten. Da­für ent­stan­den nun­mehr an zahl­rei­chen Or­ten wie Ko­blenz, Trier, An­der­nach und Bern­kas­tel Pi­us­ver­ei­ne, be­nannt nach Pi­us IX. (Pon­ti­fi­kat 1846-1878), der sein Pon­ti­fi­kat als li­be­ra­ler Papst an­ge­tre­ten hat­te. Füh­ren­de Ver­tre­ter des Kle­rus in die­sen Ver­ei­nen wa­ren der so­zi­al en­ga­gier­te Bar­tho­lo­mä­us Gom­mels­hau­sen (1815-1901) und der un­er­müd­li­che Ja­kob Marx, der in ein­deu­ti­gen Re­den die Frei­heit der Kir­che for­der­te.[17] Hier, auf dem Hö­he­punkt der Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Ka­tho­li­zis­mus und Li­be­ra­lis­mus, ist zu­gleich ihr En­de und der An­fang der tief­grei­fen­den ideo­lo­gi­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen der Fol­ge­de­ka­den mar­kiert. Die­ser Kampf soll­te schlie­ß­lich in ei­nem Er­eig­nis kul­mi­nie­ren, das wie kaum ein an­de­res der jün­ge­ren deut­schen und eu­ro­päi­schen Ge­schich­te auf ei­ne gro­ße Be­völ­ke­rungs­grup­pe ei­ne der­art Ge­ne­ra­tio­nen über­grei­fen­de Wir­kung zei­tig­te – der Kul­tur­kampf. Er führ­te zu ei­ner dop­pel­ten Trau­ma­ti­sie­rung des so­ge­nann­ten ka­tho­li­schen Mi­lieus, aber auch zu ei­ner Schwä­chung des bür­ger­li­chen, ins­be­son­de­re des li­be­ra­len La­gers in den zu­künf­ti­gen, mit­un­ter ideo­lo­gi­schen Kämp­fen des 20. Jahr­hun­derts. Der Ka­tho­li­zis­mus trug in die­ser Aus­ein­an­der­set­zung oh­ne Zwei­fel ei­nen Pyr­rhus­sieg da­von, in­dem er ei­ner­seits den staat­li­chen Re­pres­sa­li­en stand­hielt und zum an­de­ren je­nes ja­nus­köp­fi­ge kul­tu­rel­le Boll­werk bil­de­te, das erst vor dem Hin­ter­grund der Ka­ta­stro­phe von 1945 über­wun­den wer­den soll­te.

4. Der Klerus auf dem Weg in den Kulturkampf

Ob­wohl je­ne Kon­flik­te zwi­schen Kir­che und Staat, die Nip­per­dey Mo­der­ni­sie­rungs­kon­flik­te nann­te, und die ex­em­pla­risch das zwei­te Jahr­hun­dert der Kon­fes­sio­na­li­sie­rung be­glei­te­ten, nicht auf das jun­ge Reich und Preu­ßen be­schränkt wa­ren, wur­den sie dort mit be­son­de­rer Schär­fe ge­führt. Born­kamm nann­te sie so­gar ei­nen „in­nen­po­li­ti­schen Prä­ven­tiv­krie­g“.[18] Die­ser „Prä­ven­tiv­krie­g“ er­schüt­ter­te, zu­min­dest zeit­wei­se, das Fun­da­ment des jun­gen Reichs und dräng­te die Ka­tho­li­ken an den Rand der Ge­sell­schaft, in­dem er sie zu „Reichs­fein­den“ er­klär­te, de­nen man un­ter­stell­te, dass sie ganz im Sin­ne des eng­li­schen Phi­lo­so­phen Tho­mas Hob­bes (1588-1679) ei­ner lan­des­frem­den Macht – dem Papst – dien­ten. Be­red­tes Bei­spiel preu­ßisch-ku­ria­ler Miss­hel­lig­kei­ten war die Be­ru­fung des Prin­zen Gus­tav zu Ho­hen­lo­he-Schil­lings­fürst (1823-1896) durch Wil­helm I. (Re­gent­schaft 1861-1888, ab 1871 Deut­scher Kai­ser) als ers­ten Bot­schaf­ter an den Hei­li­gen Stuhl. Die der preu­ßi­schen Ad­mi­nis­tra­ti­on be­wuss­te Bri­sanz die­ser Be­ru­fung, die als Fait ac­com­pli, als be­reits voll­zo­ge­ne Er­nen­nung mit­ge­teilt wur­de, war, dass Ho­hen­lo­he-Schil­lings­fürst Kar­di­nal war, al­ler­dings von staats­kirch­li­cher und zu­gleich an­ti­je­sui­ti­scher Ge­sin­nung.[19] Dem­zu­fol­ge muss­te Papst Pi­us IX. als Vor­ge­setz­ter des Kir­chen­man­nes des­sen Be­ru­fung ab­leh­nen, was er auch am 2.5.1872 tat. Als Re­ak­ti­on auf die Ab­leh­nung hielt Bis­marck (1815-1898) sei­ne Ca­nos­sa-Re­de, in der er mit dem­ago­gi­schem Ge­schick nicht nur das Ge­sche­hen als ei­nen un­freund­li­chen Akt zu be­schrei­ben ver­stand, son­dern au­ßer­dem zu­künf­ti­ge po­li­ti­sche Ak­tio­nen an­kün­dig­te. An die Adres­se Pi­us IX. rief er die ge­flü­gel­ten Wor­te: “Nach Ca­nos­sa ge­hen wir nicht – we­der kör­per­lich noch geis­tig!“.[20] 

Erzbischof Philipp Krementz, Köln, Dom, Kapitelsaal. (Dombauarchiv Köln)

 

Den au­ßen­po­li­ti­schen Un­stim­mig­kei­ten, die ei­ner ge­nu­in in­nen­po­li­ti­schen In­spi­ra­ti­on folg­ten, la­gen kir­chen­po­li­ti­sche, auch theo­lo­gi­sche Sym­pto­me zu­grun­de, die zu­rück­reich­ten bis in das Jahr­zehnt vor der Reichs­grün­dung, streng­ge­nom­men so­gar dar­über hin­aus bis in die Zeit der „Köl­ner Wir­ren“, die nur vor­der­grün­dig be­en­det wa­ren und durch weit­rei­chen­des Ent­ge­gen­kom­men des Staa­tes not­dürf­tig über­tüncht wor­den wa­ren. Ei­nen ers­ten Ge­schmack von der ideo­lo­gi­schen Aus­ein­an­der­set­zung er­hielt die Kir­che wäh­rend der Hei­lig-Rock-Wall­fahrt 1844, als es zu schar­fen Dis­pu­ten kam und die Ron­ge-Be­we­gung ei­ni­gen, wenn auch nur tem­po­rär be­grenz­ten, Zu­lauf er­hielt. Of­fen­sicht­lich war die Kir­che in ei­nen kul­tu­rel­len und ideo­lo­gi­schen Ge­gen­satz zum li­be­ra­len Zeit­geist ge­ra­ten. Die li­be­ra­le Vor­stel­lung von der Su­pre­ma­tie des Na­tio­nal­staats ge­gen­über Kir­che und welt­an­schau­li­cher Ver­ei­ni­gung, ver­bun­den mit ei­nem Über­le­gen­heits­ge­fühl ge­gen­über Ul­tra­mon­ta­nis­mus, aber auch ka­tho­li­scher Theo­lo­gie, be­för­der­te den sich ver­brei­tern­den Ge­gen­satz. Der 1864 er­las­se­ne „Syl­la­bus er­ro­rum“ Pi­us IX. be­schleu­nig­te die Aus­ein­an­der­set­zung. Die­se Schrift führ­te vor­wie­gend bei den li­be­ra­len und na­tio­na­len Kräf­ten Preu­ßens zu ei­nem er­war­tungs­ge­mäß em­pör­ten Auf­schrei, wäh­rend sie in der Seel­sor­ge­pra­xis der mehr­heit­lich länd­li­chen Pfar­ren des Bis­tums Trier we­nig be­wirk­te, ab­ge­se­hen von Be­schwer­den über miss­lun­ge­ne Pre­dig­ten. Je­doch ka­men sol­che Be­schwer­den schon vor dem Syl­la­bus häu­fi­ger vor. Der nächs­te Schritt der Kir­che war auch für den in­ner­kirch­li­chen Frie­den nicht oh­ne Wir­kung und er­folg­te auf dem Ers­ten Va­ti­ka­ni­schen Kon­zil 1869/1870, als das Un­fehl­bar­keits­dog­ma er­las­sen wur­de.[21] 

Die not­wen­di­ge theo­lo­gi­sche Aus­ein­an­der­set­zung fand in al­ler Schär­fe statt. So rich­te­te sich der Mün­che­ner Kir­chen­his­to­ri­ker Ignaz von Döl­lin­ger (1799-1890), der aka­de­mi­sche Leh­rer Lord Ac­tons (1834-1902), in ei­ner lan­gen Ar­ti­kel­rei­he in der „Augs­bur­ger All­ge­mei­nen Zei­tun­g“ ge­gen das Dog­ma.[22] Ihm folg­ten wei­te­re theo­lo­gi­schen Ver­laut­ba­run­gen und Pu­bli­ka­tio­nen, vor al­lem von der Bon­ner Theo­lo­gi­schen Fa­kul­tät und von der Fa­kul­tät in Mün­chen, die schon 1841 Adolf Kol­ping auf­grund der dort ge­lehr­ten Theo­lo­gie aus Bonn fort­zie­hen lies.[23] Auch im Bis­tum Trier er­reg­te das Kon­zil die Ge­mü­ter von Lai­en und Kle­ri­ker. Wie beim Zwei­ten Va­ti­ka­num wur­den auch beim Ers­ten im Vor­feld vie­le theo­lo­gi­sche so­wie theo­lo­gi­sie­rend kir­chen­po­li­ti­sche Fra­gen und Pro­ble­me nicht nur in den Ge­lehr­ten­zir­keln dis­ku­tiert. Be­rühm­tes Zeug­nis der Aus­ein­an­der­set­zung ist die Ko­blenz-Bon­ner Lai­en­adres­se und die Ant­wor­ten dar­auf von geist­li­cher Sei­te. In der Ko­blen­zer Lai­en­adres­se for­der­ten Ho­no­ra­tio­ren aus der Rhein-Mo­sel-Stadt, dar­un­ter Ober­leh­rer, Re­gie­rungs­rä­te, Kauf­leu­te und sons­ti­ge im ge­sell­schaft­li­chen und noch mehr im wirt­schaft­li­chen Le­ben der Stadt Ver­ant­wor­tung tra­gen­de ka­tho­li­sche Män­ner die deutsch­spra­chi­gen Bi­schö­fe auf, den ul­tra­mon­ta­nen, von den Je­sui­ten aus Rom ge­steu­er­ten Um­trie­ben Ein­halt zu ge­bie­ten. Tat­säch­lich er­kann­ten zahl­rei­che „li­be­ra­le“ Ka­tho­li­ken (ein At­tri­but, ge­gen das sie sich wort­reich und ent­schie­den ver­wahr­ten) die rö­mi­sche Je­sui­ten­zei­tung „Ci­vil­tà cat­to­li­ca“ und das je­sui­ti­sche Um­feld des Pon­ti­fex als Ur­he­ber des we­nig hilf­rei­chen Syl­la­bus und der Un­fehl­bar­keit. Der Ko­blen­zer Lai­en­adres­se folg­ten wei­te­re, im Bis­tum Trier et­wa die Kreuz­nach­er vom 28.1.1870. Dar­über hin­aus wur­den im ge­sam­ten Diö­ze­san­ge­biet Un­ter­schrif­ten ge­gen stra­te­gi­sche Neue­run­gen oder gar Ver­än­de­rung der ka­tho­li­schen Glau­bens­leh­re ge­sam­melt. Die Un­ter­schrif­ten­samm­lun­gen soll­ten in der Fol­ge noch pas­to­ra­le Ir­ri­ta­tio­nen her­vor­ru­fen. Die streng­kirch­li­che Rich­tung war in der Tat die­je­ni­ge, die gro­ße Tei­le des ka­tho­li­schen Dog­men­ge­bäu­des durch das öku­me­ni­sche Kon­zil weit­rei­chend und nicht oh­ne ta­ges­po­li­ti­sche Hin­ter­ge­dan­ken ver­än­dert wis­sen woll­te.[24]

Die Mehr­zahl der Geist­li­chen stand dem Dog­ma un­ent­schie­den oder gar in­dif­fe­rent ge­gen­über, zu­min­dest er­folg­ten kaum Pro­tes­te aus dem Pfarrk­le­rus. In­wie­fern die zahl­rei­chen Ab­fas­sun­gen von Lai­en­adres­sen im Vor­feld des Kon­zils von Geist­li­chen be­glei­tet wur­den, ist auf­grund der Quel­len­la­ge nicht zu eru­ie­ren. Al­lein die sechs von Bi­schof Eber­hard ge­wünsch­ten Er­ge­ben­heits­adres­sen der Trie­rer Hoch­schul­leh­rer, die 1870 im Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at ein­gin­gen, sind An­halts­punkt da­für, dass sich die Kir­chen­lei­tung der un­ein­ge­schränk­ten Zu­stim­mung sei­tens Kle­rus und wis­sen­schaft­li­cher Theo­lo­gie nicht si­cher war. Vier der sechs Adres­sen wur­den von den ak­tu­el­len Hoch­schul­leh­rern ver­fasst; die­se stan­den dem Dog­ma oh­ne­hin meist skep­tisch ge­gen­über. Al­ler­dings er­folg­te auch die Ab­fas­sung ei­ner Adres­se durch den jun­gen Ka­plan von Lieb­frau­en zu Trier, Pe­ter Alex­an­der Reuss (1844-1912), der den Lehr­stuhl für Kir­chen­ge­schich­te er­hal­ten soll­te. Bi­schof Eber­hard lehn­te im Vor­feld des Kon­zils die de­zi­dier­tes­te For­mu­lie­rung der Un­fehl­bar­keit ab und ver­fass­te an­ge­lehnt an ei­ne Kom­pro­miss­schrift der ame­ri­ka­ni­schen Bi­schö­fe ei­ne ab­ge­mil­der­te Dog­ma­tik. Er hat­te da­mit al­ler­dings we­nig Er­folg. Nach­dem er ein­ge­se­hen hat­te, dass sei­ne Po­si­ti­on nicht mehr­heits­fä­hig war, er­bat er sich vor der Ab­stim­mung beim Hei­li­gen Va­ter die Er­laub­nis, vor­zei­tig aus Rom ab­rei­sen zu dür­fen, was ihm ge­währt wur­de.[25] 

Die Kraft der streng­kirch­li­chen Be­we­gung hat­te ei­nen gro­ßen Teil be­son­ders der jün­ge­ren Pries­ter er­reicht, aber auch vie­le deut­sche Ver­tre­ter die­ser Rich­tung tra­ten dem theo­lo­gi­schen Kon­strukt des Dog­mas skep­tisch ge­gen­über. Dies führ­te zu ei­ner Rei­he von Miss­ver­ständ­nis­sen und Fehl­deu­tun­gen, bis hin zu den ty­pi­schen For­men der De­nun­zia­ti­on, die re­vo­lu­tio­nä­re Ver­än­de­run­gen – und das Dog­ma war auf theo­lo­gi­schem Feld ei­ne re­vo­lu­tio­nä­re Ver­än­de­rung – her­vor­ru­fen. Be­son­ders Pfar­rer und Ka­p­lä­ne aus dem Ko­blen­zer Gro­ß­raum ta­ten sich her­vor, so et­wa der Ben­dor­fer Pfar­rer Fried­rich C. Fries (1816-1901) so­wie der Bop­par­der De­chant Jo­hann Bap­tist Ber­ger (1806-1888). Fries be­rich­te­te in­ner­halb Jah­res­frist von zwei Kle­ri­kern, die dem neu­en Dog­ma kri­tisch ge­gen­über­ste­hen soll­ten. Er nann­te den ge­bür­ti­gen Bo­chol­ter Al­fons von Raes­feld (1835-1916), seit 1870 Pfar­rer in Pfaf­fen­dorf, und den Say­ner Jo­hann Weis­brodt (1830-1893), der seit 1868 an St. Kas­tor in Ko­blenz Seel­sor­ger war.[26] Raes­feld wur­de un­ter Bi­schof Mi­cha­el Fe­lix Ko­rum (1840-1921) zum Dom­ka­pi­tu­lar er­nannt, Weis­brodt be­reits vor dem Kul­tur­kampf zum Eh­ren­dom­herrn. Dar­über hin­aus war Weis­brodt ei­ner je­ner Geist­li­chen, die mit Mut die In­ter­es­sen der Kir­chen ge­gen­über dem kul­tur­kämp­fe­ri­schen Staat ver­tra­ten.

De­chant Ber­ger sorg­te sich eher um die pas­to­ra­len Pro­ble­me der Kon­zils­ent­schei­dun­gen. Er stell­te An­fra­gen bei der Bi­schöf­li­chen Be­hör­de, mit­un­ter im mo­nat­li­chen Tur­nus. So frag­te er bei­spiels­wei­se nach, ob er Lai­en, die ei­ne Un­ter­schrift ge­leis­tet hat­ten, kirch­lich be­er­di­gen oder ob er noch le­ben­den Op­po­si­tio­nel­len die Kom­mu­ni­on aus­tei­len dür­fe. Dar­über hin­aus mach­ten sich bei Ber­ger mit­un­ter in­qui­si­to­ri­sche Zü­ge ge­gen den ei­ge­nen Be­rufstand be­merk­bar. Al­ler­dings rich­te­ten sich die­se nicht, wie bei Fries, ge­gen gleich­ge­stell­te oder un­ter­ge­be­ne Kol­le­gen, son­dern ge­gen hö­he­re Char­gen der kirch­li­chen Hier­ar­chie, wenn auch au­ßer­halb des ei­ge­nen Bis­tums. So frag­te er so­wohl beim kroa­ti­schen Bi­schof Jo­sip Ju­raj Stross­may­er (1815-1905) als auch beim Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at in Trier vol­ler Em­pö­rung nach, ob ei­ne ver­öf­fent­lich­te kri­ti­sche Re­de ge­gen das Dog­ma, die den Na­men des Bi­schofs trug, auch von die­sem stamm­te. Sie war al­ler­dings ei­ne Fäl­schung, die noch Fu­ro­re ma­chen soll­te.[27] Am 21.4.1871 kam es end­lich zu ei­ner Re­ak­ti­on sei­tens des Ge­ne­ral­vi­ka­ri­ats: Die Be­hör­de rich­te­te an Ber­ger die Fra­ge, wer un­ter den Pfarr­geist­li­chen sei­nes Wis­sens An­hän­ger des Dis­si­den­ten Ignaz von Döl­lin­ger sei. Be­reits we­ni­ge Ta­ge spä­ter er­folg­te die Ant­wort aus Bop­pard: „In er­ge­bens­ter Er­wi­de­rung Ih­rer Zu­schrift vom 21. be­eh­re ich mich, Ih­nen die Er­klä­rung ab­zu­ge­ben, dass man mir Na­men von Geist­li­chen […] nicht nam­haft ge­macht, son­dern nur auf das Vor­han­den­sein sol­cher be­ru­fen hat. Bop­pard, 25. April 1871. Mit tiefs­ter Hoch­ach­tung, Ber­ger, De­chan­t“.[28] Es wür­de al­ler­dings nicht der his­to­ri­schen Wahr­heit ent­spre­chen, ver­mu­tet man in Ber­ger nur ei­nen Que­ru­lan­ten. Er ge­noss in Trier ho­hes An­se­hen und hat­te un­ter den Aus­ein­an­der­set­zun­gen der Zeit be­son­ders zu lei­den: Auf­grund der Be­schlüs­se des Kon­zils kon­sti­tu­ier­te sich die Alt­ka­tho­li­sche Kir­che, die nach­fol­gend in der Diö­ze­se über Pfar­ren in Ko­blenz, Saar­brü­cken, [Idar]-Ober­stein und eben auch Bop­pard ver­füg­te.[29] 

Die­se Ge­men­ge­la­ge mit dem kei­nes­wegs mo­no­li­thisch da­ste­hen­den Ka­tho­li­zis­mus, dem li­be­ra­len, al­len zeit­lo­sen Ver­bind­lich­kei­ten fern ste­hen­den Zeit­geist, dem neu ge­grün­de­ten, klein­deut­schen und pro­tes­tan­ti­schen Bis­marck­reich mit la­ten­tem Miss­trau­en ge­gen die un­si­che­ren Kan­to­nis­ten und Röm­lin­ge an Rhein, Mo­sel, Oder und Weich­sel so­wie Miss­ver­ständ­nis­se und stra­te­gi­sche Feh­ler bei­der Sei­ten wa­ren die Axio­me der Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Kir­che und Staat, die Nip­per­dey als ei­nen ty­pi­schen Mo­der­ni­sie­rungs­kon­flikt die­ser Um­bruchs­zeit be­zeich­net, in dem es um kul­tu­rel­le Vor­herr­schaft ging.[30] Doch in wel­cher Ver­fas­sung ging der Kle­rus der Diö­ze­se Trier in die­sen Kampf mit der Staats­macht? Wie hat­ten sich die Zu­sam­men­set­zung, das Al­ter und die So­zi­al­struk­tur des Kle­rus seit 1848, be­zie­hungs­wei­se seit 1821 ge­än­dert. Oder an­ders for­mu­liert: In­wie­fern wirk­te die theo­lo­gi­sche, ek­kle­sio­lo­gi­sche Neu­aus­rich­tung der Kir­che rück auf ih­re Funk­ti­ons­eli­te? Gab es mög­li­cher­wei­se In­ter­de­pen­den­zen, Wech­sel­be­zie­hun­gen, oder alt­kon­ser­va­ti­ve Be­har­rung?

5. Die Alters- und Institutionsstruktur des Klerus

Ei­ne Fra­ge, die der schnel­len Be­ant­wor­tung be­darf und di­rekt mit den geis­tig-theo­lo­gi­schen Ein­flüs­sen des aus­ge­hen­den 18. und frü­hen 19. Jahr­hun­derts zu tun hat, ist die nach der al­ters­mä­ßi­gen und in­sti­tu­tio­nel­len Zu­sam­men­set­zung des Kle­rus. Die al­ters­mä­ßi­ge Zu­sam­men­set­zung soll im An­schluss zu­sam­men mit den Neu­wei­hen und den Se­mi­na­ris­ten­zah­len be­ant­wor­tet wer­den. An die­ser Stel­le ist zu­nächst noch­mal auf den Kle­rus, den ehe­ma­li­gen Or­denskle­rus so­wie die Zu­sam­men­set­zung der Bis­tums­füh­rung vor und nach 1848 ein­zu­ge­hen: Ehe­ma­li­ge Or­dens­geist­li­che ström­ten in gro­ßer Zahl nach 1802/1803 in die welt­li­che Seel­sor­ge. Nur we­ni­ge lie­ßen sich end­gül­tig pen­sio­nie­ren, nur ei­ne Hand­voll ehe­ma­li­ge Or­denskle­ri­ker hei­ra­te­te und ließ sich lai­sie­ren, oder bes­ser ge­sagt, lai­sier­te sich selbst. Viel­mehr ver­such­ten sie nach 1803, mehr noch nach 1821, star­ken Ein­fluss auf Seel­sor­ge, Bis­tums­lei­tung und gel­ten­der Theo­lo­gie im süd­li­chen Rhein­land aus­zu­üben. 23 Or­dens­geist­li­che hat­ten nach 1800 ho­he Äm­ter in der Diö­ze­se Trier in­ne, da­von al­lein zwölf zwi­schen 1802 und 1827 und acht zwi­schen 1825 und 1848/1850. So­mit war ihr An­teil nicht nur si­gni­fi­kant, son­dern auch stark über­durch­schnitt­lich, al­ler­dings nicht hö­her als der der ehe­ma­li­gen Ka­no­ni­ker. Be­kann­te ehe­ma­li­ge Or­dens­leu­te im Dom­ka­pi­tel wa­ren die Dom­ka­pi­tu­la­re und Eh­ren­dom­her­ren Ja­kob Au­gust Stan­ger (1770-1845), Karl Al­brecht (1746-1833), Mat­thi­as Jo­sef Meu­rers (1760-1825), Ed­mund Bausch (1773-1847), Hu­bert von Pidoll (1734-1827), Jo­hann Wil­helm Rei­chel­stein (1773-1835) und Jo­hann Schlem­mer (1773-1851). Sie al­le wur­den noch in der Zeit Jo­sef von Hom­mers er­nannt. Im­mer­hin wa­ren da­mit fast drei Vier­tel al­ler Mit­glie­der des Ka­pi­tels ehe­ma­li­ge Or­dens­leu­te oder Ka­no­ni­ker. Hin­zu kam noch Weih­bi­schof Wil­helm Ar­nold Gün­ther (1763-1843), der vor­mals Mit­glied des Rom­mers­dor­fer Prä­mons­tra­tenser­kon­vents war, so­wie der Lim­bur­ger Fran­zis­ka­ner Jo­hann Adam Nuß­baum (1778-1852) als De­le­gat des Bi­schofs be­zie­hungs­wei­se als apos­to­li­scher Vi­kar in Eh­ren­breit­stein. Sechs der ge­nann­ten Kle­ri­ker wa­ren vor­mals Mit­glied ei­nes be­ne­dik­ti­ni­schen Kon­vents, vier wa­ren Zis­ter­zi­en­ser, zwei Be­ne­dik­ti­ner, je ei­ner war Prä­mons­tra­ten­ser, Fran­zis­ka­ner und Au­gus­ti­ner­chor­herr. Be­trach­tet man die Ge­samt­zah­len der Or­dens­leu­te, die nach 1803 in die Seel­sor­ge dräng­ten, so muss kon­sta­tiert wer­den, dass die wohl­ha­ben­den Or­den be­ne­dik­ti­ni­scher Pro­ve­ni­enz so­wie die Re­gu­lar­ka­no­ni­ker weit­aus grö­ße­ren Ein­fluss auf die Ge­schi­cke des Bis­tums hat­ten als die Bet­tel­or­den. Die­ser Ein­fluss war geis­tig-theo­lo­gisch meist auf­klä­re­risch-epis­ko­pa­lis­tisch ein­zu­ord­nen. So ist es we­nig ver­wun­der­lich, dass der be­reits er­wähn­te Bi­schof Ar­nol­di mit der Per­so­nal­po­li­tik sei­nes Vor­gän­gers brach. Nach 1848, ge­nau­er mit der er­wähn­ten Per­so­nal­po­li­tik Ar­nol­dis, aber auch dem Ab­le­ben der Or­dens­leu­te ging ih­re An­zahl in der Bis­tums­leis­tung stark zu­rück. Un­ter Ar­nol­di wa­ren nur noch Stan­ger, Schlem­mer und Nuß­baum an der Bis­tums­lei­tung be­tei­ligt, Stan­ger bis 1845, Schlem­mer bis 1851 und Nuß­baum bis 1852. Da­nach wur­den kei­ne Or­dens­leu­te mehr be­ru­fen. Im Pfarrk­le­rus wa­ren 1821 174 Or­dens­leu­te ak­tiv, 1848 nur noch 15 und 1875 wie­der zehn, die al­ler­dings al­le­samt den um­ge­kehr­ten Weg ge­gan­gen wa­ren und zu­erst Welt- und dann Or­dens­pries­ter wur­den, be­zie­hungs­wei­se für das Bis­tum als Or­dens­leu­te pas­to­ra­le Auf­ga­ben wahr­nah­men.[31] 

Ei­ne ähn­li­che Ent­wick­lung ist auch bei den Se­mi­nar­pro­fes­so­ren zu kon­sta­tie­ren. Auch hier hat­te der Ein­fluss der Or­dens­geist­li­chen si­gni­fi­kant nach 1820, be­zie­hungs­wei­se spä­tes­tens nach 1845 ab­ge­nom­men. Al­ler­dings war er hier nie so hoch wie in der Bis­tums­lei­tung, da Hom­mer bei der per­so­nel­len Neu­aus­stat­tung sei­nes Se­mi­nars jun­ge, un­ver­brauch­te Her­me­sia­ner aus Müns­ter und Bonn be­rief. Le­dig­lich der Zis­ter­zi­en­ser Rei­chel­stein wirk­te un­ter Hom­mer zwi­schen 1827 und 1831 als Re­gens bis er in das Dom­ka­pi­tel be­ru­fen wur­de. 1848 und da­nach war nie­mand mehr im Trie­rer Pro­fes­so­ren­kol­le­gi­um von ei­nem Or­den ab­ge­stellt wor­den.[32] 

Bei der bi­schöf­li­chen Funk­ti­ons­eli­te, ge­meint sind Ka­pi­tel, Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at und Lit­ur­gi­scher Dienst am Dom, gab es ei­nen ver­gleichs­wei­se flie­ßen­den Über­gang von der Ära Hom­mers als Bi­schof von Trier zur Ära Ar­nol­di. Ar­nol­di, der als Leh­rer am Se­mi­nar 1826/1827 selbst ein Op­fer Hom­mers war, muss­te auf zahl­rei­che Ge­treue sei­nes Vor­gän­gers zu­rück­grei­fen und konn­te nur lang­sam die wich­tigs­ten Po­si­tio­nen mit ei­ge­nen Leu­ten be­set­zen. Nur durch die lan­ge Zeit sei­nes Epis­ko­pats ver­moch­te er tief­grei­fen­de Ver­än­de­run­gen her­bei­zu­füh­ren – al­ler­dings stets im Ein­klang mit dem Staat, da die­sem die teil­wei­se Be­set­zung ein­zel­ner Dom­ka­pi­tel­pos­ten in Trier zu­stand. Zu die­sen Pos­ten ge­hör­te et­wa der des Dom­props­tes. Die­ser wur­de vom preu­ßi­schen Kö­nig aus­ge­wählt. Ent­spre­chend fiel die Wahl 1849 auf den um­strit­te­nen wie stren­gen Her­me­sia­ner und Freund Franz Xa­ver Kraus’ (1840-1901), Carl Jo­sef Hol­zer, der be­reits wäh­rend der 1848er Re­vo­lu­ti­on klar für den Ob­rig­keits­staat Stel­lung be­zo­gen hat­te und dies auch wäh­rend des Kul­tur­kampfs wie­der tun soll­te. Wei­te­re Ver­tre­ter des preu­ßi­schen Kö­nigs wa­ren Jo­hann Jo­sef Ro­sen­baum (1798-1867), der 1862 Dom­ka­pi­tu­lar wur­de, so­wie Jo­hann Ni­ko­laus von Wil­mow­sky (1801-1880), der be­reits 1842 Mit­glied des Trie­rer Dom­ka­pi­tels wur­de. Wil­mow­sky und Hol­zer soll­ten auch zu je­nen we­ni­gen Pries­tern zäh­len, die sich im Kul­tur­kampf auf ein Staats­ge­halt ein­lie­ßen. Nur zwölf Trie­rer Bis­tums­geist­li­che lie­ßen sich da­zu hin­rei­ßen, zwei da­von fan­den sich im Dom­ka­pi­tel. Die ge­nann­ten Kle­ri­ker Will­mow­sky, Ro­sen­baum und Hol­zer ver­band je­doch nicht nur die ideo­lo­gi­sche Ge­mein­sam­keit, son­dern auch ihr För­de­rer Bi­schof Hom­mer. Zu­dem stamm­ten al­le drei Pries­ter aus den von Hom­mer be­treu­ten Pfar­ren bei Ko­blenz, als die­ser dort wirk­te.[33] 

46 Kle­ri­ker wur­den von Bi­schof Ar­nol­di zwi­schen 1845 und 1864 in ge­ho­be­ne Po­si­tio­nen des Bis­tums be­ru­fen. 61 wa­ren ins­ge­samt wäh­rend der Ära Ar­nol­di ak­tiv. In den ers­ten Jah­ren des Epis­ko­pats ver­moch­te Ar­nol­di sel­te­ner wich­ti­ge Po­si­tio­nen mit ei­ge­nen Leu­ten zu be­set­zen, vor al­lem, weil Hom­mer zu­vor in den 1820er und 1830er Jah­ren mit zahl­rei­chen Be­ru­fun­gen jun­ger, un­ver­brauch­ter Kräf­te für lan­ge Zeit die Chan­ce ei­ner per­so­nel­len Ver­än­de­rung blo­ckiert hat­te. Hom­mer hat­te da­mit Pflö­cke ein­ge­schla­gen, die bis weit in die 1870er Jah­re hin­ein Wir­kung zeig­ten. Er selbst war ra­di­ka­ler ge­we­sen als Ar­nol­di, was die Be­ru­fungs­pra­xis an­ging. Von den Be­ru­fun­gen Charles Man­nays (1745-1824) wur­den fast al­le nicht in die neue Struk­tur des Bis­tums Trier über­nom­men, viel­mehr ver­trau­te er auf je­ne Leu­te aus sei­nem Ko­blen­zer Um­feld, die ent­we­der durch ihn er­zo­gen wur­den, oder die mit ihm Ka­no­ni­ker wa­ren be­zie­hungs­wei­se zu ei­ner spä­te­ren Zeit in den ein­schlä­gi­gen In­sti­tu­ten des fran­zö­si­schen Bis­tum Aa­chen ak­tiv wa­ren. So er­hiel­ten in den 20 Jah­ren des Epis­ko­pats Ar­nol­dis nur zwölf Geist­li­che ein Ka­no­ni­kat im Dom­ka­pi­tel, elf Ka­pi­tu­la­re muss­te Ar­nol­di über­neh­men. In die üb­ri­gen Spit­zen­po­si­tio­nen des Bis­tums wur­den durch Ar­nol­di zu­dem acht Geist­li­che be­ru­fen. Zwölf Pries­ter er­hiel­ten un­ter dem Trie­rer Bi­schof mit Hang zur streng­kirch­li­chen Ob­ser­vanz we­ni­ger be­deu­ten­de Funk­tio­nen im Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at, et­wa als Dom­mu­si­ker, Bis­tums­se­kre­tär oder als Dom­vi­kar. Wie stark der Ein­fluss Hom­mers auf die Bis­tums­spit­ze im 19. Jahr­hun­dert war, ver­deut­li­chen fol­gen­de Zah­len: 1837 wa­ren im Dom­ka­pi­tel zu 100 Pro­zent Be­ru­fun­gen der Ära Hom­mer ver­tre­ten, 1842 wa­ren es im­mer­hin noch 87,5 Pro­zent, 1860 70 Pro­zent und 1873, zu Be­ginn des Kul­tur­kamp­fes 40 Pro­zent. Erst 1890 kann von ei­nem Dom­ka­pi­tel die Re­de sein, wel­ches sich völ­lig aus Kräf­ten der streng­kirch­li­chen Rich­tung zu­sam­men­setz­te.[34]

War die Be­ru­fungs­pra­xis Hom­mers vor al­lem durch lang­jäh­ri­ge per­sön­li­che Kennt­nis oder so­gar re­gio­na­le Her­kunft des Be­ru­fe­nen ge­prägt, so setz­te mit Ar­nol­di ein neu­er Stil ein. Bei Hom­mer stamm­ten 50 Pro­zent der Be­ru­fe­nen aus den Rhein­de­ka­na­ten Ko­blenz, En­gers und Re­ma­gen. Au­ßer­dem ka­men 30 Pro­zent aus frem­den Bis­tü­mern, wa­ren aber bis 1821 in und um Ko­blenz ak­tiv ge­we­sen. Von den nach 1824 Be­ru­fe­nen stamm­ten mehr als 70 Pro­zent aus Ko­blenz und En­gers. Un­ter Ar­nol­di ver­teil­te sich die Her­kunft auf zahl­rei­che Re­gio­nen und nicht nur auf die Ei­fel. Auch die Struk­tur der Her­kunfts­or­te war bei Ar­nol­di ei­ne an­de­re als bei Hom­mer. Hom­mer be­vor­zug­te vor al­lem den städ­ti­schen Kle­rus, al­lein zwölf Be­ru­fun­gen ka­men aus den drei Groß- be­zie­hungs­wei­se Mit­tel­städ­ten der Diö­ze­se. Un­ter Ar­nol­di ver­länd­lich­te die Funk­ti­ons­eli­te, auch wenn der Kle­rus städ­ti­scher Her­kunft im­mer noch ei­nen ho­hen An­teil hat­te. So ka­men noch 23 Pro­zent aus ei­ner der gro­ßen Städ­te, hin­ge­gen stamm­ten mehr als 26 Pro­zent aus Klein­städ­ten und die üb­ri­gen über­wie­gend aus Land­ge­mein­den. Die Ver­länd­li­chung der Funk­ti­ons­eli­te wur­de von den Nach­fol­gern Ar­nol­dis bis 1901 fort­ge­führt. Un­ter dem Kul­tur­kampf­bi­schof Mat­thi­as Eber­hard stamm­ten 37 Pro­zent al­ler Neu­be­ru­fe­nen aus der Ei­fel, knapp 20 Pro­zent von der Mo­sel. Neu war al­ler­dings, dass auch die sich als In­dus­trie­re­vier for­mie­ren­de Saar­re­gi­on Ein­fluss in Ka­pi­tel und Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at ge­wann. Un­ter Ko­rum wur­den die ers­ten Saar­pries­ter be­ru­fen – vor­erst je­doch nicht aus Ar­bei­ter­fa­mi­li­en stam­mend.[35] 

Ei­ne Ver­länd­li­chung der Funk­ti­ons­eli­te lässt sich aus der So­zi­al­struk­tur nicht un­be­dingt ab­le­sen. Un­ter Hom­mer stamm­ten 30 Pro­zent aus der Land­wirt­schaft oder dem Wein­bau, bei Ar­nol­di be­trug ihr An­teil nur noch 27 Pro­zent. Auch der An­teil an Hand­wer­ker­kin­dern war in et­wa gleich­ge­blie­ben. Da­für war der An­teil an Dienst­leis­ter­kin­dern an­ge­stie­gen, der An­teil von Pries­tern, die aus ho­hen Be­am­ten­fa­mi­li­en stamm­ten, war hin­ge­gen ge­sun­ken. Fa­bri­kan­ten-, Kauf­manns- und Arzt­söh­ne wa­ren, an­ders als bei Hom­mer, gar nicht mehr ver­tre­ten. Da­für er­schien erst­mals ein Ar­bei­ter­kind in der Rie­ge der Trie­rer Funk­ti­ons­eli­te, eben­so ein Leh­rer­sohn. Der Rück­halt des Kle­rus in den ge­ho­be­nen Be­am­ten-, Kauf­manns- und Fa­bri­kan­ten­schich­ten des al­ten Rei­ches war Ver­gan­gen­heit, die neue Eli­te ent­stamm­te vor­nehm­lich je­ner Schicht, die das Rück­grat des ka­tho­li­schen Mi­lieus bil­den soll­te, der bäu­er­lich-hand­werk­li­chen Schicht. Die Ar­bei­ter­schaft, die sich erst an Saar und Sieg her­aus­bil­de­te, spiel­te für die Eli­te noch kei­ne gro­ße Rol­le.[36] Dies war auch nach Ar­nol­di, un­ter Bi­schof Leo­pold Pell­dram (1811-1867), un­ter Mat­thi­as Eber­hard und un­ter Mi­cha­el Fe­lix Ko­rum der Fall ge­we­sen. Bei al­len drei Bi­schö­fen sank der An­teil der Geist­li­chen bäu­er­li­cher Her­kunft im Dom­ka­pi­tel und im Ge­ne­ral­vi­ka­ri­at zu­neh­mend auf nur noch knapp 20 Pro­zent, der An­teil der Hand­wer­ker­kin­der stieg hin­ge­gen auf mehr als 35 Pro­zent. Eben­falls im­mer stär­ker wa­ren Leh­rer­kin­der in der Funk­ti­ons­eli­te ver­tre­ten. Die wie­der zahl­rei­cher wer­den­den Kin­der aus Be­am­ten­fa­mi­li­en stamm­ten nicht mehr aus vor­neh­men Sip­pen am kur­fürst­li­chen Ho­fe. Ih­re Vä­ter wa­ren vor al­lem Bür­ger­meis­ter und Land­ver­mes­ser, je­doch kei­ne Land­rä­te oder ho­he Mi­li­tärs.[37] 

6. Die Priesterausbildung und theologische Richtungsänderungen

Bei den Hoch­schul­leh­rern ist die Ent­wick­lung an­ders ver­lau­fen. Hier wur­de Ar­nol­di schnell in die La­ge ver­setzt, wie schon Hom­mer zwei Jahr­zehn­te zu­vor, sei­ne ei­ge­ne kirch­li­che Rich­tung durch­zu­set­zen. 19 Lehr­stuhl­in­ha­ber und Do­zen­ten stell­te Ar­nol­di neu ein, zwölf wur­den durch Pell­dram und Eber­hard be­ru­fen. Ko­rum kam erst nach 1882 in den Ge­nuss, ei­nen völ­lig neu­en Lehr­kör­per er­rich­ten zu kön­nen. Er be­rief 17 Lehr­stuhl­in­ha­ber nach Trier, von de­nen je­doch sie­ben be­reits un­ter Eber­hard, al­so vor Schlie­ßung des Se­mi­nars lehr­ten. Grund­sätz­lich kann nur von zwei grö­ße­ren Brü­chen in der Se­mi­n­ar­be­set­zung ge­spro­chen wer­den: 1827 und 1842. 1827 hat­te Hom­mer zu­nächst Her­me­sia­ner auf die zen­tra­len Lehr­stüh­le ge­setzt, Franz Xa­ver Boner (ge­bo­ren 1801), Franz Xa­ver Bi­un­de (1806-1860), Franz Xa­ver Scholl (1801-1860) und Jo­han­nes Jo­sef Re­gen­brecht (1797-1854). Al­le vier stamm­ten nicht aus Trier, son­dern aus Müns­ter, dem Erm­land und aus Köln. Hin­zu ka­men jun­ge Trie­rer Nach­wuchs­kräf­te aus der Schu­le Hom­mers, et­wa Jo­hann Jo­sef Ro­sen­baum (1798-1867) und der spä­te­re Bi­schof von Müns­ter, Jo­hann Ge­org Mül­ler (1798-1870) – bei­de aus Ko­blenz. In ei­nem grö­ße­ren Schlag ge­gen die­se Rich­tung ver­setz­te Ar­nol­di al­le Her­me­sia­ner in den Pfarr­dienst und be­setz­te das Se­mi­nar völ­lig neu. Nur ein Kle­ri­ker war über die­sen Wech­sel in der theo­lo­gi­schen Aus­rich­tung hin­aus im Se­mi­nar ver­blie­ben: der Kir­chen­his­to­ri­ker Ja­kob Marx. Fort­an be­herrsch­te die streng­kirch­li­che, rö­mi­sche Aus­rich­tung das Bild, wenn auch Do­zen­ten nach­ge­ord­ne­ter Be­rei­che, et­wa Ste­phan Lück (1806-1883) aus der Kir­chen­mu­sik oder Pe­ter Schülz­chen (1780-1854) als Öko­nom wei­ter­hin ih­ren Dienst im Pries­ter­se­mi­nar ta­ten. Die­se Tra­di­ti­on setz­ten auch Eber­hard und Ko­rum fort. Trier stand seit dem gro­ßen Schlag ge­gen das Hom­mer-Se­mi­nar in der Tra­di­ti­on des In­te­gra­lis­mus. Die So­zi­al­struk­tur des Se­mi­nark­le­rus war nicht be­son­ders auf­fäl­lig. Ei­ne Hoch­schul­leh­rer­kar­rie­re stand je­dem of­fen, der in­tel­li­gent und ziel­stre­big war und die Grund­la­gen der Glau­bens­leh­re be­her­zig­te. So stamm­ten von den von Ar­nol­di be­ru­fe­nen Kle­ri­kern je­weils knapp 30 Pro­zent aus Bau­ern- und Hand­wer­ker-, 18 Pro­zent aus Dienst­leis­ter­fa­mi­li­en. Ähn­lich war auch das Bild zwi­schen 1864 und 1873, al­ler­dings hat­te sich in die­ser Zeit der An­teil der Pro­fes­so­ren aus Be­am­ten­fa­mi­li­en er­höht. Ih­re Vä­ter wa­ren Pfört­ner, Po­li­zist oder Se­kre­tär. Auch die re­gio­na­le Her­kunft un­ter­schied sich nicht von der des Ge­samt­kle­rus. Die meis­ten Se­min­ar­mit­ar­bei­ter stamm­ten aus Klein­städ­ten und Land­ge­mein­den, und zwar durch­gän­gig im ge­sam­ten Un­ter­su­chungs­zeit­raum. Der An­teil der Do­zen­ten aus grö­ße­ren Städ­ten hat­te so­gar nach 1842 im Ver­gleich zur Ära Hom­mer stark zu­ge­nom­men. Da­ge­gen hat­ten die Be­ru­fun­gen aus frem­den Diö­ze­sen ab­ge­nom­men.[38] 

Be­trach­ten wir ein­ge­hen­der die Aus- und Fort­bil­dung des an­ge­hen­den Trie­rer Kle­rus zwi­schen 1848 und 1885. Im 19. Jahr­hun­dert wirk­ten ins­ge­samt vier Rich­tun­gen auf den Trie­rer Se­mi­n­ar­nach­wuchs. Ei­ne wei­te­re, die vor al­lem un­ter Cle­mens Wen­zes­laus stark an den Se­mi­na­ren ver­tre­ten war, hat­te zu­dem noch star­ken Ein­fluss auf den ak­ti­ven Kle­rus, vor al­lem auch auf die Pries­ter in ho­hen kirch­li­chen Äm­tern. Die­se frü­hes­te und in der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts wirk­mäch­tigs­te Rich­tung war im wei­tes­ten Sin­ne der Auf­klä­rung des 18. Jahr­hun­derts, im en­ge­ren Sin­ne dem Epis­ko­pa­lis­mus, zu­wei­len auch dem Fe­bro­nia­nis­mus oder gar dem Jan­se­nis­mus ver­pflich­tet. Na­ment­lich sei an die­ser Stel­le als Leh­rer auf­klä­re­ri­scher Pro­ve­ni­enz Jo­hann Wil­helm Jo­sef Ca­s­tel­lo (1756-1830) ge­nannt.[39] Die­ser Rich­tung folg­te zeit­lich die scho­las­ti­sche Tra­di­ti­on un­ter Man­nay, die frü­he ul­tra­mon­ta­ne Tra­di­ti­on des Vor­märz, al­so die Krei­se um Jo­seph Gör­res, und schlie­ß­lich die ul­tra­mon­ta­ne Tra­di­ti­on nach 1848. Die­se Tra­di­ti­on war die­je­ni­ge Ar­nol­dis, Eber­hards und Ko­rums und sie be­stimm­te die Aus­bil­dung im Se­mi­nar nach 1842. Al­ler­dings be­ein­fluss­te die neue Li­nie nach 1842 kaum den ak­tu­el­len Kle­rus, der in die 1848er Re­vo­lu­ti­on ging. Erst nach und nach wuchs der An­teil je­ner Ver­tre­ter in der Pries­ter­schaft, die von her­me­sia­ni­schen Leh­ren nicht mehr be­rührt wor­den wa­ren. 1848 et­wa wa­ren von den 746 ak­tu­ell tä­ti­gen Kle­ri­kern 223 in den al­ten Se­mi­na­ren des Erz­bis­tums so­wie der fran­zö­si­schen Bis­tü­mer Aa­chen und Trier aus­ge­bil­det wor­den und 523 in der Zeit zwi­schen 1821 und 1848. Von die­sen wa­ren nur 90 im Se­mi­nar Ar­nol­dis, al­so we­ni­ger als 20 Pro­zent. Von den 918 im Jahr 1875 tä­ti­gen Kle­ri­kern wa­ren 669 nach 1848 aus­ge­bil­det wor­den. Zehn Jah­re spä­ter wa­ren mehr als 90 Pro­zent durch die seit 1842 grund­ge­leg­te Schu­le ge­gan­gen, bis 1900 lag ihr An­teil bei fast 100 Pro­zent. Die Durch­wir­kung des Kle­rus mit den Ide­en des Ul­tra­mon­ta­nis­mus hat­te je­doch erst mit dem Kul­tur­kampf und stär­ker noch da­nach zu Ko­rums Zeit Er­folg ge­zeigt. Be­trach­tet man das ge­sam­te 19. Jahr­hun­dert, so war der wohl geis­tig wirk­mäch­tigs­te Bi­schof der ers­te des neu­en Bis­tums ge­we­sen, der Ko­blen­zer Jo­sef von Hom­mer. Al­ler­dings ist es auch wahr, dass man mit rei­nen Zah­len­ver­glei­chen der Wirk­lich­keit nur na­he­kommt, sie je­doch nicht voll­stän­dig trifft, denn schon in den 1830er Jah­ren gab es Se­mi­na­run­ru­hen in Hom­mers Her­mes­se­mi­nar ge­gen eben­je­ne In­hal­te, die dort als mo­dern und zeit­ge­mäß pro­pa­giert wur­den.[40]

7. Die Entwicklung der Weihezahlen

Mit dem Wech­sel im Bi­schofs­amt kurz vor der 1848er Re­vo­lu­ti­on ist auch ei­ne geis­ti­ge, theo­lo­gi­sche Rich­tungs­än­de­rung des Bis­tums er­folgt. Sie zeich­ne­te sich auch durch an­de­re Maß­nah­men ab, wie et­wa der Er­rich­tung ei­nes Kon­vikts in Trier und der For­cie­rung von Pas­to­ral­kon­fe­ren­zen und sons­ti­gen Fort- und Wei­ter­bil­dun­gen. Auch in der Pas­to­ral kam es zu ei­ni­gen tief­grei­fen­den Än­de­run­gen, auf die noch zu­rück­zu­kom­men ist. Al­ler­dings dien­ten die­se Ak­tio­nen nicht nur der all­ge­mei­nen Neu­ori­en­tie­rung, son­dern auch ei­ner an­de­ren zen­tra­len Ziel­set­zung, näm­lich der Be­kämp­fung des zu­neh­men­den Pries­ter­man­gels. Die Trie­rer Kir­che hat­te nach ei­nem kur­zen Auf­schwung in den 1820er Jah­re stän­dig an Neu­pries­tern ver­lo­ren, die Wei­he­zah­len wa­ren durch­gän­gig rück­läu­fig. Dem woll­te man un­ter an­de­rem durch die Kon­viktsgrün­dung ent­ge­gen­tre­ten. Denn, so die Ana­ly­se Bi­schof Ar­nol­dis aus dem Jahr 1843, es be­stand vor al­lem Man­gel an Pries­tern aus dem länd­li­chen Raum. In der Tat war ihr An­teil, glaubt man den Ver­mu­tun­gen Ja­kob Marx‘ zu der för­der­li­chen Wir­kung von Stock­gü­tern in der Ei­fel, im An­ci­en Ré­gime seit 1800 an­geb­lich stark rück­läu­fig ge­we­sen. An­geb­lich des­halb, weil auch 1802 der An­teil der Kle­ri­ker aus bäu­er­li­chen Ver­hält­nis­sen nie die 50-Pro­zent-Mar­ke über­schrit­ten hat­te. Doch zu­nächst zu den Wei­he­zah­len: Seit et­wa 1826 wur­den wie­der vor­nehm­lich Wei­hen in Trier vor­ge­nom­men. Die al­ten Weiheor­te für Trie­rer Kan­di­da­ten, Köln, Mainz und Metz wur­den nach der Kon­so­li­die­rung des neu­en Bis­tums nicht mehr fre­quen­tiert. Trotz­dem wur­den je­des Jahr ei­ni­ge we­ni­ge Wei­hen au­ßer­halb der Diö­ze­se vor­ge­nom­men, vor­nehm­lich in Rom. Al­ler­dings spiel­ten die­se Wei­hen in der Mas­se kei­ne Rol­le. Nach 1830 kam es zu ei­ner tief­grei­fen­den Kri­se des Pries­ter­be­rufs. Die Zah­len gin­gen stark zu­rück und fie­len um 1848 auf ein Re­kord­tief. Dies hat­te ver­schie­de­ne Grün­de. Zum ei­nen hat­ten die Re­gio­nen Ei­fel, Huns­rück und Mo­sel mit zahl­rei­chen wirt­schaft­li­chen Pro­ble­men zu kämp­fen, die auch durch ein in­for­mel­les be­zie­hungs­wei­se kirch­li­ches Sti­pen­dien­sys­tem nicht auf­ge­fan­gen wer­den konn­ten. Zum an­de­ren er­stark­ten nach 1821 nach­hal­tig die neu­en Or­dens- und Klos­ter­grün­dun­gen und tra­ten di­rekt oder in­di­rekt in Kon­kur­renz zu den Bis­tü­mern. In den 1820er Jah­ren gab es nur sehr we­ni­ge klös­ter­li­che Nie­der­las­sun­gen im Trie­rer Raum, bis 1850 hat­te sich ih­re An­zahl mehr als ver­drei­facht. Be­son­ders der Redemp­to­ris­ten­or­den zeig­te ei­ne gro­ße Wir­kung auf jun­ge Män­ner; al­lein von den als Bis­tumspries­ter ge­weih­ten Kle­ri­kern tra­ten nach der Wei­he zwi­schen 1830 und 1870 acht Män­ner die­sem Or­den bei, aber auch Be­ne­dik­ti­ner, Ka­pu­zi­ner, Je­sui­ten und Mi­no­ri­ten wa­ren at­trak­tiv für zahl­rei­che Ver­tre­ter des Welt­kle­rus. Der drit­te Grund für den Rück­gang war die ver­blas­sen­de Aus­strah­lung der Kir­che in ei­ner Zeit, die ge­prägt war von li­be­ra­lem Bür­ger­tum, ma­te­ria­lis­ti­schen Strö­mun­gen und sons­ti­gen am­bi­va­len­ten mas­sen­ge­sell­schaft­li­chen Phä­no­me­nen. Die Öff­nung der Kir­che dem Zeit­geist ge­gen­über war vor­erst ge­schei­tert. Al­te auf­klä­re­ri­sche Mo­del­le aus der Zeit des An­ci­en Ré­gime, aber auch die Vor­schlä­ge Gün­thers und Her­mes tru­gen nicht die er­war­te­ten Früch­te. Im Ge­gen­teil, mit ih­rer Eta­blie­rung un­ter Hom­mer ging der Rück­gang der Wei­he­zah­len ein­her – und er hielt über das Jahr 1842 hin­aus bis weit in die 1850er Jah­re an. Erst mit ei­ner er­neu­ten theo­lo­gi­schen Selbst­ver­ge­wis­se­rung und der ein­deu­ti­gen Pro­fi­lie­rung ei­ner sa­kra­men­ta­len Kir­che nach Jah­ren des Wall­fahrts- und An­be­tungs­ver­bo­tes Hom­mers und in Op­po­si­ti­on zum vor­herr­schen­den Zeit­geist gin­gen die Wei­he­zah­len auf­wärts und er­klom­men neue Hö­hen, die nur vor 1794 er­reicht wor­den wa­ren.[41] 

Solch ei­ne Ent­wick­lung ist für ei­nen an­de­ren Zeit­raum mit ähn­li­chen geis­ti­gen Vor­zei­chen schon ein­mal zu kon­sta­tie­ren. Auch in der Fran­zo­sen­zeit, als im Man­nay-Se­mi­nar vor al­lem die Scho­las­tik ge­lehrt wur­de, fan­den jähr­lich - wie­der mit der not­wen­di­gen zeit­li­chen Ver­schie­bung - zahl­rei­che Wei­hen statt, trotz der of­fe­nen und kri­sen­haf­ten po­li­ti­schen Ver­hält­nis­se wäh­rend und nach den Be­frei­ungs­krie­gen. Der Nie­der­gang setz­te in ei­ner Pha­se der Kon­so­li­die­rung 1830/1832 ein und dau­er­te bis 1860 an. Von da an stie­gen bis zur Schlie­ßung des Se­mi­nars in Trier die Wei­he­zah­len ste­tig an. Die höchs­te Wei­he­zahl wur­de 1866 mit 44 Neu­wei­hen er­reicht, ein Wert, der erst 1899 wie­der er­reicht und 1900 über­trof­fen wer­den soll­te. Auch in den Jah­ren da­nach wur­den durch­schnitt­lich mehr als 35 Wei­hen jähr­lich vor­ge­nom­men. Selbst in den ers­ten Kul­tur­kampf­jah­ren 1872-1874 fan­den mehr Wei­hen statt als in den 1830er, 1840er und 1850er Jah­ren. Nach­hal­tig san­ken die Wei­he­zah­len erst Jah­re nach der Se­mi­narschlie­ßung, als die letz­ten star­ken Jahr­gän­ge be­reits or­di­niert wor­den wa­ren und kein Nach­wuchs re­kru­tiert wer­den konn­te. Trotz­dem war in die­ser wid­ri­gen Pha­se der Se­dis­va­kanz und der brach­lie­gen­den Theo­lo­gie in Trier ei­ne gro­ße Zahl jun­ger Män­ner be­reit, den auch po­li­tisch be­schwer­li­chen Weg zum Pries­ter­tum auf sich zu neh­men. 1880 wur­den elf Kan­di­da­ten ge­weiht, in den drei Fol­ge­jah­ren so­gar je­weils 14 – mehr als in den re­la­tiv frei­en Jah­ren 1831, 1835, 1837 und 1855. Und schon kurz nach dem En­de der Se­dis­va­kanz und nach Öff­nung von Kon­vikt und Se­mi­nar stie­gen in nach­voll­zieh­ba­rer zeit­li­cher Ver­set­zung die Zah­len ste­tig an, bis in der ers­ten De­ka­de des 20. Jahr­hun­derts Re­kord­zah­len er­reicht wur­den. In kei­nem Jahr nach 1899 er­folg­ten we­ni­ger als 40 Neu­wei­hen, 1906 wa­ren es so­gar 52, eben­so 1912 und noch im Kriegs­jahr 1914 be­ka­men 46 Kan­di­da­ten das Sa­kra­ment ge­spen­det. Auch im Ver­gleich zur Be­völ­ke­rungs­ent­wick­lung be­deu­tet dies, im Ge­gen­satz zur bis­he­ri­gen For­schungs­mei­nung, die auf ei­nen Re­chen­feh­ler im Sche­ma­tis­mus von 1912 be­ruht, ei­nen ste­ti­gen An­stieg der Wei­he­zah­len im Bis­tum Trier. Der Al­ters­schnitt war nach 1860 ste­tig ge­sun­ken, von 47,6 Jah­ren auf 45,7 Jah­ren 1875. Der kul­tur­kampf­be­ding­te An­stieg des Durch­schnitts­al­ters des Kle­rus auf 48,9 Jah­ren 1890 wur­de bis 1900 wie­der um­ge­kehrt, als der Schnitt bei 45,9 Jah­ren lag. In­so­fern ist die Sach­la­ge ähn­lich der in der Diö­ze­se Müns­ter.[42] 

8. Die Sozialstruktur des Klerus

Auch in der Diö­ze­se Trier kam es nach 1830 zu ei­ner zu­neh­men­den Ver­städ­te­rung, be­dingt durch die Aus­wei­tung der In­dus­tria­li­sie­rung an Rhein, Saar und Sieg, durch das all­ge­mei­ne Be­völ­ke­rungs­wachs­tum so­wie durch die im­mer stär­ke­re Be­deu­tung des Han­dels. Bei­spiel­haft ist da­für nicht nur die Ent­wick­lung von Saar­brü­cken, Neun­kir­chen und Saar­louis, son­dern auch der durch Stein­ab­bau ge­präg­ten Pel­lenz und im Neu­wie­der Be­cken. Dies hat­te auch Aus­wir­kung auf die Re­kru­tie­rung. Seit dem En­de des An­ci­en Ré­gime er­folg­te ei­ne ste­ti­ge Um­schich­tung des Kle­rus so­wohl in so­zia­ler als auch re­gio­na­ler Hin­sicht. Bis 1802 wa­ren es vor­nehm­lich der länd­li­che Raum und das kur­trie­ri­sche Kern­land, die das Haupt­re­kru­tie­rungs­feld der Kir­che bil­de­ten. Be­son­ders das Mo­sel­tal, die Ei­fel und die Rhein­schie­ne stell­ten den Haupt­an­teil der Trie­rer Pries­ter. Hin­ge­gen stamm­ten von der Saar und aus dem Huns­rück kaum Kle­ri­ker und auch der Wes­ter­wald hat­te nur ei­nen ge­rin­gen An­teil an der Pries­ter­schaft. Seit 1821 ver­rin­ger­te sich der An­teil der Ei­fel­pries­ter nach­hal­tig. Noch stär­ker war der Rück­gang bei den Mo­sel­pries­tern. Die ur­ba­ni­sier­te­re Rhein­schie­ne konn­te je­doch über das ge­sam­te Jahr­hun­dert ih­ren An­teil hal­ten. Zu­wachs­re­gio­nen wa­ren seit 1821 und stär­ker noch seit 1848 die In­dus­trie­re­gio­nen an Saar und Sieg. Der Huns­rück, der vor­wie­gend pro­tes­tan­tisch ge­prägt war, spiel­te auch nach 1848 kaum ei­ne Rol­le. Auch die Ein­tei­lung der Her­kunfts­or­te nach Grö­ße spricht für sich. Der An­teil der Fle­cken und Ein­zel­hö­fe als Re­kru­tie­rungs­feld war seit 1800 deut­lich zu­rück­ge­gan­gen, von fast 10 Pro­zent auf we­ni­ger als 2 Pro­zent. Hin­ge­gen er­folg­te seit et­wa 1840 ei­ne zu­neh­men­de Ur­ba­ni­sie­rung des Kle­rus, die ih­ren Hö­he­punkt zu Be­ginn des Kul­tur­kampfs er­reich­te. 1875 stamm­ten fast 60 Pro­zent der Kle­ri­ker aus städ­ti­schen, wenn auch oft klein- be­zie­hungs­wei­se land­städ­ti­schen Struk­tu­ren. In­ner­halb der städ­ti­schen Grup­pe war in der Tat der An­teil je­ner, die aus den Groß­städ­ten Ko­blenz, Trier und Saar­brü­cken ka­men, sta­gniert und die, die aus Klein­städ­ten stamm­ten, stark an­ge­wach­sen. Da­bei wa­ren be­son­ders die in­dus­tria­li­sier­ten Städ­te und In­dus­trie­dör­fer, aber auch die äl­te­ren Mit­tel­zen­tren im­mer wich­ti­ger ge­wor­den. Als Bei­spie­le sei­en An­der­nach, May­en, Neu­en­kir­chen, Kreuz­nach und Neu­wied ge­nannt. Der An­teil der Pries­ter, die aus ei­ner Klein­stadt ka­men, be­trug 1848 16,2 Pro­zent und stieg bis 1875 auf 21,5 Pro­zent. Er wuchs noch­mals bis 1901 auf 25 Pro­zent. Der An­teil der Land­stadt be­trug 1848 12,3 Pro­zent, stieg bis 1875 leicht auf 15 Pro­zent, um 1901 auf un­ter 15 Pro­zent zu sin­ken. Ein ehe­ma­li­ges Rück­grat der Pries­ter­re­kru­tie­rung, die klas­si­schen Re­si­denz­städ­te des al­ten Erz­bis­tums, kam auf im­mer ge­rin­ge­re An­tei­le, zu­letzt 1901 auf 15,1 Pro­zent. Al­ler­dings war die­ser An­teil re­gel­mä­ßig hö­her als der An­teil an der Ge­samt­be­völ­ke­rung. Eben­so ver­hielt es sich bei den Klein­städ­ten, je­doch nicht bei den Land­ge­mein­den. Die­se stell­ten re­gel­mä­ßig we­ni­ger Kle­ri­ker, als auf­grund ih­res An­teils an der Ge­samt­be­völ­ke­rung zu ver­mu­ten ge­we­sen wä­re. Bei den Gro­ß­ge­mein­den ver­hielt es sich ähn­lich.[43]

Die so­zia­le Struk­tur des Kle­rus in der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts hat­te sich den Zeit­läu­fen und den so­zia­len Um­schich­tun­gen durch In­dus­tria­li­sie­rung und Re­a­lerb­tei­lung nur teil­wei­se an­ge­nä­hert, ob­wohl bei Be­trach­tung der re­gio­na­len Her­kunft ein an­de­res Bild zu er­war­ten ge­we­sen wä­re. Ins­ge­samt hat­te sich der An­teil an Acke­rer- und Win­zer­kin­dern im Pfarr­dienst über das ge­sam­te Jahr­hun­dert sta­bil ge­hal­ten, er war so­gar nach 1870 ste­tig an­ge­stie­gen. Kon­ti­nu­ier­lich zu­ge­nom­men hat­te der An­teil der Hand­wer­ker­söh­ne, und das seit 1802. Zu­sam­men stell­ten die­se bei­den Grup­pen stets fast zwei Drit­tel des Trie­rer Diö­ze­san­k­le­rus. In­ter­es­san­ter sind je­doch die Ver­schie­bun­gen in­ner­halb der an­de­ren Be­rufs­stän­de. So war der An­teil je­ner Pries­ter, die aus ho­hen Be­am­ten­haus­hal­ten stamm­ten, seit dem En­de des Kur­staa­tes ste­tig ge­sun­ken. Die neu­en Dienst­her­ren an Rhein und Mo­sel wa­ren pro­tes­tan­tisch ge­prägt, die al­te Ober­schicht hat­te sich ent­we­der ein­ge­ord­net oder auf den ei­ge­nen Be­sitz zu­rück­ge­zo­gen. Zu­min­dest war die Ziel­set­zung für ih­re Ju­gend nun nicht mehr die Ge­win­nung ei­nes lu­kra­ti­ven Ka­no­ni­kats, son­dern das Ju­ra- und Ka­me­ra­lis­tik­stu­di­um in Bonn mit an­schlie­ßen­der Ver­wal­tungs­lauf­bahn. Ihr An­teil be­trug so­mit 1848 5,1 Pro­zent, 1875 4,5 Pro­zent und 1901 3,2 Pro­zent am Kle­rus, nach­dem er 1802 noch 14,8 Pro­zent be­tra­gen hat­te – und das bei ei­ner ex­or­bi­tant ho­hen Pries­ter­zahl. 1802 ka­men so vie­le Kle­ri­ker aus sol­chen Be­am­ten­fa­mi­li­en, wie 1875 von der ge­sam­ten Rhein­schie­ne oder 1848 aus dem Hand­wer­ker­stand. Ge­sun­ken war auch der An­teil der Ärz­te­söh­ne, eben­so wie der der Fa­bri­kan­ten­kin­der. Bei­de la­gen al­ler­dings be­reits vor 1848 auf ei­nem nied­ri­gen Ni­veau. Der An­teil von Han­del und Kauf­mann­schaft eben­so wie von Dienst­leis­tung war in et­wa gleich­ge­blie­ben, wo­bei in­ner­halb die­ser Grup­pen die Bran­chen wech­sel­ten. Zu­ge­nom­men hat­te je­doch der An­teil der Ar­bei­ter­kin­der, vor al­lem nach 1848. Eben­so ver­hielt es sich mit dem An­teil der Leh­rer­kin­der. Seit 1815 pro­fi­tier­ten die Volks­schul­leh­rer von ei­ner So­zi­al­po­li­tik, die ih­nen ein bes­se­res Aus­kom­men und ei­ne so­zia­le Pro­fi­lie­rung ga­ran­tier­ten. In man­chen länd­li­chen De­ka­na­ten wa­ren Leh­rer­kin­der zeit­wei­se die ein­zi­gen, die sich für den Pries­ter­be­ruf be­war­ben, so et­wa zwi­schen 1875 und 1901 in Hil­le­s­heim, als 33 Pro­zent der Pries­ter von dort aus Leh­rer­haus­hal­ten stamm­ten, eben­so in Daun, wo Leh­rer­kin­der 1875 ei­nen An­teil von 66 Pro­zent und 1901 von 60 Pro­zent stell­ten. Die Ar­bei­ter­kin­der stamm­ten vor al­lem aus den In­dus­trie­zo­nen an Saar, Rhein und Sieg, aber auch aus dem Ton-Stei­ne-Er­den Land­kreis May­en. Ihr An­teil stieg seit 1848 von 2,9 Pro­zent auf 6,3 Pro­zent 1901. 1875 be­trug ihr An­teil 4,4 Pro­zent. Be­trach­tet man nur die Neu­wei­hen, so ist so­gar seit et­wa 1880 ei­ne Pro­le­ta­ri­sie­rung des Kle­rus zu kon­sta­tie­ren. 136 von 544 zwi­schen 1901 und 1914 neu­ge­weih­ten Kle­ri­ker ka­men aus dem Saar­re­vier. So­weit die So­zi­al­struk­tur zu eru­ie­ren ist, stamm­te die gro­ße Mehr­heit aus Berg­manns­fa­mi­li­en. Dies kor­re­spon­dier­te mit ei­nem neu­en pas­to­ra­len Kon­zept, wel­ches auf die Si­tua­ti­on der sich for­mie­ren­den Mas­sen­ge­sell­schaft ab­ge­stimmt war, wenn auch et­was ver­spä­tet. Man kam ab von der rei­nen Pfarr­seel­sor­ge und wid­me­te im­mer mehr Plan­stel­len ei­ner spe­zi­el­len Grup­pen­seel­sor­ge, die theo­lo­gisch und päd­ago­gisch vom Bis­tum so­wie von der Hoch­schu­le be­glei­tet wur­de. 1848 gab es sie­ben sol­cher Stel­len, 1875 14 und 1901 so­gar 21. So­mit lag ihr An­teil an den Seel­sor­ge­stel­len im­mer­hin bei 2,2 Pro­zent. Das Gros mach­te nach wie vor die Pfarr- und Ka­plan­stel­len aus (43).[44] 

9. Fazit

Die Zeit zwi­schen 1848 und dem En­de des Kul­tur­kamp­fes war für das Bis­tum Trier und für die dor­ti­ge Her­aus­bil­dung ei­ner streng­kirch­li­chen Aus­rich­tung von zen­tra­ler Be­deu­tung. Der Er­neue­rung der Theo­lo­gie im Sin­ne ei­ner sa­kra­men­ta­len, spi­ri­tu­el­len und ri­tu­el­len Selbst­ver­ge­wis­se­rung folg­te ein un­ge­ahn­ter Auf­schwung in al­len Be­rei­chen. Der Pries­ter­man­gel, der vor al­lem Mit­te des 19. Jahr­hun­derts die Ar­beit in al­len preu­ßi­schen Diö­ze­sen be­schwer­te, wur­de vor­erst über­wun­den. Neue in­no­va­ti­ve pas­to­ra­le An­sät­ze wie die Grup­pen­seel­sor­ge, be­glei­tet vom auf­kom­men­den Ver­bands­ka­tho­li­zis­mus, aber auch die Kon­vikt­grün­dun­gen so­wie die stän­di­ge Fort­bil­dung des Kle­rus brach­ten der Kir­che neue Mög­lich­kei­ten des Dia­logs und der Ver­mitt­lung. Mit ihr ein­her ging die Ver­klein­bür­ger­li­chung und spä­ter Pro­le­ta­ri­sie­rung des Kle­rus, nach­dem schon zu Be­ginn des Jahr­hun­derts ei­ne Ver­bür­ger­li­chung oder En­ta­ris­to­kra­ti­sie­rung statt­ge­fun­den hat­te. Für das Groß­bür­ger­tum wa­ren ho­he kirch­li­che Äm­ter in preu­ßi­scher Zeit nicht mehr er­stre­bens­wert, für das klein­bür­ger­li­che Mi­lieu, aber auch für die Ar­bei­ter­schaft ver­sprach die Kir­che die Mög­lich­keit des so­zia­len Auf­stiegs. Die Spit­zen der Diö­ze­se blie­ben nach Ab­le­ben der al­ten kur­staat­li­chen und zö­li­batär ge­bun­de­nen Ober­schicht in Hän­den ei­ner klein­bür­ger­li­chen Mit­tel­schicht, der Zu­gang zu ei­ner Bil­dungs­kar­rie­re stand al­ler­dings je­dem of­fen. Bis­marck traf am Vor­abend des so­ge­nann­ten Kul­tur­kamp­fes auf ei­ne geis­tig wie per­so­nell er­stark­te, dy­na­mi­sche und im pas­to­ra­len Be­reich durch­aus in­no­va­ti­ve Kir­che von Trier. Sie soll­te dies auch nach 1885 blei­ben, noch en­ger zu­sam­men­ge­rückt und ver­bun­den mit der Kir­che in Rom. 

Quellen

Bis­tums­ar­chiv Trier (BAT), Abt. B III 3: Das Bis­tum Trier und an­de­re kirch­li­che Be­hör­den (1756-1971)
Lan­des­haupt­ar­chiv Ko­blenz (LHA­KO), Best. 403: Ober­prä­si­di­um der Rhein­pro­vinz

Literatur

Bis­marck, Ot­to von, Ge­dan­ken und Er­in­ne­run­gen. Re­den und Brie­fe. Mit ei­ner Ein­füh­rung von Theo­dor Heuss, Ber­lin [1951].
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Das Erste Vatikanische Konzil, Abbildung von ca. 1880.

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Rönz, Helmut, Der südrheinische Klerus zwischen 1848 und der Beendigung des Kulturkampfes, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-suedrheinische-klerus-zwischen-1848-und-der-beendigung-des-kulturkampfes/DE-2086/lido/5da7156adee117.12767653 (abgerufen am 19.04.2024)