Die Saarländische Wirtschaftsvereinigung (1933-1935)

Peter Burg (Münster)

Erste Ausgabe der 'Frei Saar', dem Organg der Saarländischen Wirtschaftsvereinigung, 15.06.1934.

1. Einleitung

Die am 21.10.1933 in Saar­louis ge­grün­de­te Saar­län­di­sche Wirt­schafts­ver­ei­ni­gung (SWV) war ei­ne der mit­glie­der­stärks­ten fran­ko­phi­len Or­ga­ni­sa­tio­nen in der Völ­ker­bund­zeit des Saar­ge­bie­tes. Hin­sicht­lich der im Jah­re 1935 vor­ge­se­he­nen Volks­ab­stim­mung pro­pa­gier­te sie die Bei­be­hal­tung des Sta­tus quo. Ei­nen An­schluss an das Drit­te Reich lehn­te sie ent­schie­den ab. Die für die Ver­eins­ge­schich­te zen­tra­le Fi­gur war der in Pach­ten als prak­ti­scher Arzt tä­ti­ge Ja­kob Hec­tor (1872-1954). Zu Be­ginn der Völ­ker­bund­zeit (1919/1920) war er Bür­ger­meis­ter von Saar­louis und von 1920 bis 1923 als Ver­tre­ter der saar­län­di­schen Be­völ­ke­rung Mit­glied der Re­gie­rungs­kom­mis­si­on, der der Völ­ker­bund die exe­ku­ti­ve Ge­walt im Saar­ge­biet über­tra­gen hat­te.

Die Grün­dung der Saar­län­di­schen Wirt­schafts­ver­ei­ni­gung fiel in ei­ne Zeit, in der sich aus fran­zö­si­scher Sicht die Chan­ce ei­ner Bei­be­hal­tung des Sta­tus quo bot. Die Er­war­tung ei­nes An­schlus­ses der Saar an Frank­reich, die in den Jah­ren 1919 bis 1926 vi­ru­lent war, fand mit der fran­zö­si­schen Vor­herr­schaft in der Re­gie­rung des Völ­ker­bund­ge­bie­tes ein En­de. In den Jah­ren 1926 bis 1933 wur­den die Sym­pa­thi­en der Be­völ­ke­rung für das Deut­sche Reich im­mer of­fen­sicht­li­cher und ein für Frank­reich güns­ti­ger Aus­gang der Volks­ab­stim­mung ganz un­wahr­schein­lich. Im Jah­re 1933, dem Jahr der Macht­über­nah­me Adolf Hit­lers (1889-1945) im Deut­schen Reich, for­mier­ten sich die La­ger im Ab­stim­mungs­kampf. Frank­reich und die fran­ko­phi­len oder se­pa­ra­tis­ti­schen Saar­län­der ga­ben an­ge­sichts der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Un­rechts­herr­schaft dem Sta­tus quo zu­min­dest zeit­wei­se ei­ne Chan­ce.

Jacob Hector (1872-1954).

 

In die­sem Kon­text er­griff Ja­kob Hec­tor die In­itia­ti­ve zur Grün­dung der Saar­län­di­schen Wirt­schafts­ver­ei­ni­gung. Er woll­te für sein po­li­ti­sches Pro­gramm ei­ne Kli­en­tel ge­win­nen, die die gleich­falls  den­Sta­tus quo be­für­wor­ten­de Saar­län­di­sche So­zia­lis­ti­sche Par­tei (SSP), die am 24.5.1933 ge­grün­det wor­den war, nicht er­reich­te. Im Ok­to­ber 1934 ver­füg­te die SSP über rund 1.700 Mit­glie­der, ei­ne  ho­he Zif­fer, deut­lich über­trof­fen al­ler­dings von der Saar­län­di­schen Wirt­schafts­ver­ei­ni­gung mit rund 2.900 Mit­glie­dern. Wäh­rend die SSP die Ar­bei­ter an der Saar an­sprach, bil­de­ten die bür­ger­li­chen mit­tel­stän­di­schen Schich­ten den Mit­glie­der­kern der SWV. Bei der Grün­dung such­te sich Hec­tor mit ei­ner De­le­ga­ti­on der Un­ter­stüt­zung der fran­zö­si­schen Re­gie­rung zu ver­ge­wis­sern und traf zu die­sem Zweck mit dem Au­ßen­mi­nis­ter Jo­seph Paul-Bon­cour (1873-1972) zu­sam­men. Als An­ti­po­de der fran­ko­phi­len Ver­ei­ni­gun­gen for­mier­te sich am 15.7.1933 die über­par­tei­li­che „Deut­sche Fron­t“, in der sich Mit­glie­der von Zen­trum, DS­VP, DNVP, Wirt­schafts­par­tei und der NS­DAP-Saar zu­sam­men­schlos­sen, um in ei­ner na­tio­na­len Mas­sen­be­we­gung den An­schluss an das Reich zu pro­pa­gie­ren.

2. Programm

Die Saar­län­di­sche Wirt­schafts­ver­ei­ni­gung stell­te der Be­völ­ke­rung ih­re Zie­le in ei­nem un­da­tier­ten Pro­gramm un­ter dem Ti­tel „Was wir wol­len“ vor.[1] Im Zen­trum stand der Be­griff des Sta­tus quo, der bei­be­hal­ten wer­den soll­te. Kei­nes­wegs soll­te je­doch „Bei­be­hal­tung des Sta­tus quo“ be­deu­ten, Herr­schaft und Ver­wal­tung des Völ­ker­bun­des in der ak­tu­el­len Form fort­zu­füh­ren. Viel­mehr wur­de der Be­griff dy­na­misch und ent­wick­lungs­fä­hig aus­ge­legt. Die De­fi­ni­ti­on er­folg­te oh­ne Ab­spra­che mit der ge­gen­wär­ti­gen Re­gie­rung und oh­ne Be­rück­sich­ti­gung der Ho­heit des Völ­ker­bun­des, stand al­so auf un­ge­si­cher­tem Bo­den. Das hin­der­te die Ver­ei­ni­gung aber nicht, in ih­rem Pro­gramm wei­ter ins De­tail zu ge­hen. Auf „kon­sti­tu­tio­nel­lem Ge­bie­te“, so hei­ßt es dar­in, ging es um die „Ein­füh­rung ei­ner Ver­fas­sun­g“, die „al­le Rech­te in die Hand des Vol­kes leg­t“ und „Frei­heit und Un­ab­hän­gig­keit“ ge­währt. Das Saar­ge­biet soll­te zu ei­nem de­mo­kra­ti­schen Staats­we­sen un­ter der Ober­auf­sicht des Völ­ker­bun­des fort­ent­wi­ckelt wer­den.

Auf „kul­tu­rel­lem Ge­bie­te“ for­der­te das Pro­gramm die „Bei­be­hal­tung des Kon­kor­da­tes und der kon­fes­sio­nel­len Schu­len“ bei grund­sätz­li­cher Wah­rung der Re­li­gi­ons­frei­heit. Die SWV ver­stand sich nicht als ei­ne „kon­fes­sio­nel­le Ver­ei­ni­gun­g“, be­kann­te aber gleich­wohl, von ei­nem „stark ka­tho­li­schen Ein­schla­g“ ge­prägt zu sein. Da­mit warb sie in be­son­de­rer Wei­se um Ka­tho­li­ken. Die fran­ko­phi­le Kom­po­nen­te brach­ten die An­for­de­run­gen an den künf­ti­gen Schul­un­ter­richt zum Aus­druck, wo­nach ne­ben Deutsch Fran­zö­sisch er­lernt wer­den soll­te. Als Be­grün­dung dien­te ein öko­no­mi­sches Mo­tiv: die bes­se­re Be­haup­tung im be­ruf­li­chen Exis­tenz­kampf. In ei­nem Grenz­land, so hieß es mit ei­nem ge­wis­sen Recht, wer­de die­ser Kampf durch die Be­herr­schung zwei­er Spra­chen er­leich­tert. Al­ler­dings war da­mals im deutsch-loth­rin­gi­schen Raum die deut­sche Spra­che noch all­ge­mein im Um­lauf.

Ei­ne fran­ko­phi­le Aus­rich­tung be­saß auch das wirt­schafts­po­li­ti­sche Pro­gramm der SWV, das, wie schon der Na­me der Or­ga­ni­sa­ti­on deut­lich macht, von zen­tra­ler Be­deu­tung war. Der An­spruch, dass die jetzt von Frank­reich be­trie­be­nen Koh­len­gru­ben in das Ei­gen­tum des künf­tig un­ab­hän­gi­gen Saar­staa­tes über­gin­gen, wur­de wie selbst­ver­ständ­lich er­ho­ben. Im Üb­ri­gen aber soll­te die wirt­schaft­li­che Ver­ei­ni­gung mit Frank­reich er­hal­ten blei­ben, da ein Aus­schei­den mit gro­ßen Ver­lus­ten ver­bun­den wä­re: die Gru­ben wür­den ihr Ab­satz­ge­biet ver­lie­ren, die gro­ßen Hüt­ten eben­so und dar­über hin­aus von den loth­rin­gi­schen Erz­fel­dern ab­ge­schnit­ten wer­den. Im Kreis Saar­louis müss­te der grö­ß­te Teil der mitt­le­ren und klei­nen Be­trie­be, et­wa die Email­le-, Stuhl-, Herd-, Mö­bel-, Kar­ton- und Strick­wa­ren­fa­bri­ken sei­ne To­re schlie­ßen. Die Bi­lanz der SWV war ein­deu­tig: Konn­te die saar­län­di­sche Wirt­schaft durch den An­schluss an Frank­reich nur ge­win­nen, so droh­ten bei ei­ner Ein­glie­de­rung in das Reich für Gru­ben, Hüt­ten, Ge­wer­be und Land­wirt­schaft nur Ver­lus­te. So sehr das  wirt­schaft­li­che Ar­gu­ment auch be­grün­det ge­we­sen sein mag, es spiel­te im Ab­stim­mungs­ver­hal­ten der Saar­län­der am 13.1.1935 nur ei­ne mi­ni­ma­le Rol­le.

Ei­ne re­la­tiv ho­he pro­gram­ma­ti­sche Be­deu­tung be­saß das von der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­gie­rung am 29.9.1933 ver­ab­schie­de­te Erb­hof­ge­setz, das ei­ne Be­sitz­zer­split­te­rung der Hö­fe ver­hin­dern soll­te. In dem Ge­setz sah die SWV ei­ne Be­dro­hung der frei­en Ver­fü­gungs­ge­walt über land­wirt­schaft­li­ches Ei­gen­tum und gab zum The­ma im Au­gust 1934 ei­ne Bro­schü­re mit dem Ti­tel, „Die Rück­glie­de­rung und die Land­wirt­schaft des Saar­ge­bie­tes“ her­aus. Durch das im Reich gül­ti­ge Ge­setz wür­den die Kin­der in Her­ren (Er­ben) und Knech­te (Nich­ter­ben) auf­ge­teilt, was den Keim zu Fa­mi­li­en­zwis­tig­kei­ten le­gen wür­de. Be­reits in den Mo­na­ten März und April fand auf dem Gau im Kreis Saar­louis ei­ne Flug­blät­ter­kam­pa­gne statt, die mit sol­chen Ar­gu­men­ten den Bau­ern Angst vor ei­ner Rück­glie­de­rung ein­jag­te. Zahl­rei­che Land­wir­te teil­ten dar­auf­hin ih­ren Be­sitz un­ter den Kin­dern auf. Die Kreis­bau­ern­schaft Saar­louis schloss sich aus die­sem Grund zu ei­ner Ver­ei­ni­gung zu­sam­men, die gleich­falls den Sta­tus quo ver­focht.

In der Zeit des Ab­stim­mungs­kamp­fes blieb das The­ma der De­fi­ni­ti­on des Sta­tus quo auf der Ta­ges­ord­nung der SWV. Zum ei­nen muss­te für Mit­glie­der und An­hän­ger ei­ne Über­zeu­gungs­ar­beit ge­leis­tet wer­den, dass dies die bes­te Lö­sung für die saar­län­di­sche Be­völ­ke­rung sei. Zum zwei­ten war ei­ne of­fi­zi­el­le De­fi­ni­ti­on der Re­gie­rungs­kom­mis­si­on als Rü­cken­stär­kung an­zu­stre­ben. Zum drit­ten war es für die füh­ren­den Ver­eins­mit­glie­der mit ih­rer star­ken fran­ko­phi­len Nei­gung ei­ne Ge­wis­sens­fra­ge, ob der Sta­tus quo wirk­lich ih­ren Vor­stel­lun­gen am nächs­ten kam oder nicht doch der di­rek­te An­schluss an Frank­reich. Und schlie­ß­lich stell­te sich vier­tens die Fra­ge nach ei­ner Mi­ni­mal­lö­sung in Form der Ab­tren­nung ei­nes Ge­biets­strei­fens mit alt­fran­zö­si­schen Or­ten (wie Saar­louis) an Frank­reich als letz­te Al­ter­na­ti­ve.

Die SWV be­müh­te sich noch im No­vem­ber 1934, sei­tens des Völ­ker­bun­des ei­ne of­fi­zi­el­le De­fi­ni­ti­on des Sta­tus quo er­hal­ten, sah sie doch in Zu­sa­gen, die die Be­völ­ke­rung zu­frie­den stell­ten, ei­ne Vor­aus­set­zung da­für, bei den Wäh­lern zu punk­ten. Das vom Rat des Völ­ker­bun­des ein­ge­setz­te Drei­er­ko­mi­tee zur Vor­be­rei­tung der Ab­stim­mung schwieg je­doch nach wie vor zu die­ser Fra­ge. Das Feh­len jed­we­der de­fi­ni­ti­ver Zu­sa­gen, was auf die saar­län­di­sche Be­völ­ke­rung im Fal­le ei­ner Ent­schei­dung für den Sta­tus quo zu­kom­men wür­de, brach­te Or­ga­ni­sa­tio­nen wie der SWV oder der SSP schwe­re Nach­tei­le und schmä­ler­te nach­hal­tig de­ren Chan­cen im be­vor­ste­hen­den Re­fe­ren­dum.

Zwar warb die SWV nach au­ßen kon­se­quent bis zum Schluss für die Sta­tus-quo-Lö­sung, die Fra­ge ist aber be­rech­tigt, ob nicht ei­ni­ge der füh­ren­den Mit­glie­der, al­len vor­an Ja­kob Hec­tor und Carl Mins­ter (1873-1942), ins­ge­heim nicht doch, wie vie­le (An­hän­ger und Geg­ner) mut­ma­ß­ten, ei­nen di­rek­ten An­schluss an Frank­reich fa­vo­ri­sier­ten. Für ein Um­schwen­ken auf die­se Li­nie kurz vor der Ab­stim­mung ge­wann der Vor­sit­zen­de aber kei­ne Mehr­heit. Auch der Dach­ver­band der fran­ko­phi­len Or­ga­ni­sa­tio­nen, die Ar­beits­ge­mein­schaft zur Wahr­neh­mung saar­län­di­scher In­ter­es­sen (AG), blieb strikt bei der Be­für­wor­tung der Sta­tus-quo-Lö­sung, ob­wohl ih­re Lei­tung in fran­zö­si­schen Hän­den lag.

Ja­kob Hec­tor und Carl Mins­ter the­ma­ti­sier­ten ei­nen wei­te­ren Pro­gramm­punkt, der für ei­ne Ab­stim­mung im Re­fe­ren­dum über­haupt nicht vor­ge­se­hen war: die Ab­tre­tung der Stadt Saar­louis, des Warndt­wal­des und ei­nes Ge­biets­strei­fens ent­lang der fran­zö­si­schen Gren­ze. Es han­delt sich da­bei um ein Ter­rain, das im An­ci­en Ré­gime zu Frank­reich ge­hört hat­te und das nach dem Ers­ten Pa­ri­ser Frie­dens­schluss von 1814 auch Frank­reich ver­blei­ben soll­te. Den Ho­no­ra­tio­ren der Stadt Saar­louis und Um­ge­bung, al­len vor­an der be­stän­dig im Be­sitz der fran­zö­si­schen Staats­bür­ger­schaft ver­blie­be­nen Un­ter­neh­mer­fa­mi­lie Vil­le­roy aus Wal­l­er­fan­gen, war die­ser his­to­ri­sche Sach­ver­halt wohl­ver­traut. Carl Mins­ter, bei dem die­ses Wis­sen auf­grund sei­ner deutsch-ame­ri­ka­ni­schen Bio­gra­phie wohl we­ni­ger prä­sent ge­we­sen sein dürf­te, schloss sich gleich­wohl der Ge­biets­for­de­rung an. Er sprach An­fang Mai 1934 sei­ne Über­zeu­gung aus, der Kreis Saar­louis wer­de nie zu Deutsch­land zu­rück­keh­ren, selbst dann nicht, wenn 95 Pro­zent für den An­schluss an Deutsch­land stim­men soll­ten. Mit die­ser Ein­schät­zung lag er völ­lig falsch. Viel­mehr hat­te die fran­zö­si­sche Re­gie­rung vor der Ab­stim­mung be­reits jeg­li­che An­sprü­che auf das Saar­ge­biet auf­ge­ge­ben. Nicht ein­mal die Sta­tus-quo-Lö­sung er­hielt in der Schluss­pha­se des Ab­stim­mungs­kamp­fes ih­re Un­ter­stüt­zung. Sie dis­tan­zier­te sich of­fi­zi­ell ein­deu­tig von jeg­li­cher Be­ein­flus­sung des Wäh­ler­wil­lens.

3. Vorstand, Presseorgane, Mitglieder

Der Vor­stand der Saar­län­di­schen Wirt­schafts­ver­ei­ni­gung nann­te sich Co­mité. Des­sen Mit­glie­der­zahl schwank­te. Sie be­lief sich im Fe­bru­ar 1934 auf elf, muss­te aber im März aus fi­nan­zi­el­len Grün­den auf sechs Per­so­nen re­du­ziert wer­den. Ab­ge­se­hen von ei­ner drei­wö­chi­gen Un­ter­bre­chung im März 1934 war Ja­kob Hec­tor durch­ge­hend der Vor­sit­zen­de und die tra­gen­de Fi­gur der Ver­ei­ni­gung. Wie er stamm­te die Mehr­heit der Co­mité­mit­glie­der aus dem Kreis Saar­louis, von de­nen ei­ni­ge fest zu ihm und hin­ter sei­ner Ge­schäfts­füh­rung stan­den. Das zeig­te sich in der kri­sen­haf­ten Si­tua­ti­on, in die die Ver­ei­ni­gung durch die Ein­mi­schung Éti­en­ne Vayssets ge­riet, des Ver­tre­ters des fran­zö­si­schen Au­ßen­mi­nis­te­ri­ums im Saar­ge­biet, der die Ar­beits­ge­mein­schaft zur Wahr­neh­mung saar­län­di­scher In­ter­es­sen lei­te­te und durch die Ver­fü­gung über die fran­zö­si­schen Pro­pa­gan­da­gel­der ei­ne star­ke Macht­po­si­ti­on in den fran­ko­phi­len Or­ga­ni­sa­tio­nen be­saß.

Vaysset war An­fang März an die SWV mit For­de­run­gen her­an­ge­tre­ten, die auf ei­ne Ent­mach­tung der Par­tei­spit­ze hin­aus­ge­lau­fen wä­ren. Von An­fang an stand er in Ri­va­li­tät zu Ja­kob Hec­tor, der den ei­gen­stän­di­gen Hand­lungs­spiel­raum sei­ner Ver­ei­ni­gung nicht schmä­lern las­sen woll­te. Wäh­rend Vaysset das Co­mité schwä­chen woll­te, soll­ten Kreis- und Be­zirks­lei­tung ge­stärkt und fi­nan­zi­ell bes­ser ge­stellt wer­den, Be­zirks­lei­ter mo­nat­lich 500 Francs, Orts­grup­pen­lei­ter 100 bis 300 Francs er­hal­ten. In fi­nan­zi­el­len An­ge­le­gen­hei­ten soll­ten sich die Be­zirks­lei­ter di­rekt an Vaysset wen­den und auch ih­re Tä­tig­keits­be­rich­te auf ge­ra­dem Weg an die AG lei­ten. Re­gel­mä­ßi­ge Co­mité­sit­zun­gen hielt er für un­nö­tig.

Die For­de­run­gen Vayssets stell­ten ei­ne Kampf­an­sa­ge an den Vor­sit­zen­den Hec­tor dar, der dar­auf­hin den Par­tei­vor­sitz nie­der­leg­te. In ei­ner Sit­zung des Co­mités un­ter An­we­sen­heit von 25 Orts­grup­pen­lei­tern am 9.3.1934 wur­den die For­de­run­gen dis­ku­tiert. Sie stie­ßen ins­be­son­de­re un­ter dem Ein­druck des Rück­tritts des Vor­sit­zen­den auf ein­hel­li­ge Ab­leh­nung. Wei­te­re füh­ren­de Mit­glie­der woll­ten die SWV ver­las­sen. Es be­stand die Ge­fahr ei­ner Auf­lö­sung der Or­ga­ni­sa­ti­on. Vaysset lenk­te dar­auf­hin ein und be­gnüg­te sich mit Teil­er­fol­gen. Das Co­mité wur­de auf sechs Per­so­nen be­schränkt, konn­te aber wie­der re­gel­mä­ßig zu­sam­men­tref­fen. Hec­tor kehr­te dar­auf­hin an die Par­tei­spit­ze zu­rück.

Joseph Paul-Boncour (1873-1972), 1923. (Gallica Digital Library)

 

Nach au­ßen prä­sen­tier­te sich die SWV in Pe­ri­odi­ka und auf Ver­an­stal­tun­gen. Zur wei­te­ren Auf­klä­rung der An­hän­ger er­öff­ne­te die SWV am 17.3.1934 in Völk­lin­gen-Wehr­den ei­ne an­ti­fa­schis­ti­sche Buch­hand­lung. Die wich­tigs­ten pu­bli­zis­ti­schen Or­ga­ne wa­ren das „Saar­loui­ser Jour­nal“ und der „Ge­ne­ral-An­zei­ger“, ob­wohl sie nicht der Kon­trol­le der Par­tei un­ter­stan­den. Zur Ver­stär­kung der Pro­pa­gan­datä­tig­keit ent­schloss sich die SWV zur Her­aus­ga­be ei­nes ei­ge­nen Pres­se­or­gans mit dem Ti­tel „Frei Saar“, von dem nur we­ni­ge Num­mern, dar­un­ter die ers­te vom 15.6.1934, er­hal­ten ge­blie­ben sind. Es soll­te zwei­mal im Mo­nat er­schei­nen. Ge­druckt wur­de es von der Saar­loui­ser Dru­cke­rei- und Ver­lags­ge­sell­schaft, de­ren Lei­tung in fran­zö­si­schen Hän­den lag. Die SWV war bis­lang mit der Be­richt­er­stat­tung im Saar­loui­ser Jour­nal zu­frie­den, jetzt woll­te man die Mit­glie­der aber di­rekt an­spre­chen. Ver­ant­wort­li­cher Her­aus­ge­ber war das zeit­wei­li­ge Co­mité­mit­glied Ru­dolf Malk­mus, doch Vie­les spricht für ei­nen ma­ß­geb­li­chen re­dak­tio­nel­len Ein­fluss von Carl Mins­ter.

In den Ver­samm­lun­gen konn­te die SWV ei­ne Hö­rer­schaft von 300 bis 400 Per­so­nen er­rei­chen, ei­ne be­acht­li­che Zahl. Im Vor­der­grund stan­den da­bei wirt­schaft­li­che Ar­gu­men­te ge­gen ei­ne Rück­glie­de­rung an das Reich. Na­ment­lich die Land­be­völ­ke­rung des Krei­ses Saar­louis zeig­te ein wach­sen­des In­ter­es­se. Ei­ne Hür­de stell­te die An­mie­tung ge­eig­ne­ter Räu­me dar. Hec­tor be­müh­te sich ver­geb­lich um den An­kauf des Saar­loui­ser Ho­fes, der ein pas­sen­des Ver­samm­lungs­lo­kal ge­bo­ten hät­te. Auf dem Gau, an der saar­län­disch-loth­rin­gi­schen Gren­ze, be­wirk­ten die Ein­schüch­te­run­gen und Dro­hun­gen der Na­zis, dass kein Wirt be­reit war, der SWV ei­nen Saal zu über­las­sen. Öf­ter muss­ten Ver­an­stal­tun­gen auf fran­zö­si­schem Bo­den statt­fin­den. Dar­über klag­te das Co­mité im Fe­bru­ar 1934 beim Völ­ker­bund und for­der­te ei­nen Schutz der Frei­heit des Den­kens und des Ge­wis­sens ein. Die Re­gie­rungs­kom­mis­si­on soll­te ei­ne Not­ver­ord­nung er­las­sen, um den An­hän­gern des Sta­tus quo die glei­che Mög­lich­keit ei­ner Pro­pa­gan­datä­tig­keit zu ge­wäh­ren, wie sie die Na­zis mit Mit­teln des Ter­rors be­haup­te­te.

Erste Ausgabe der 'Frei Saar', dem Organg der Saarländischen Wirtschaftsvereinigung, 15.06.1934.

 

An­fang De­zem­ber 1933, fünf Wo­chen nach der Grün­dung, hat­te die SWV 1.000 Mit­glie­der, An­fang Fe­bru­ar 1934 be­lief sich ih­re Zahl auf 2.300. Das Par­tei­or­gan „Frei Saar“ mel­de­te am 15.6.1934, im Kreis Saar­louis be­sit­ze je­der Ort ei­ne Orts­grup­pe oder we­nigs­tens Ver­trau­ens­leu­te. Die Mit­glie­der­ba­sis aus dem Mit­tel­stand er­wies sich als zu dünn. Des­halb be­müh­te sich die SWV um den Ge­winn von Ar­bei­tern und warb be­son­ders um Be­schäf­ti­gungs­lo­se. Durch das Ver­spre­chen, im Fal­le ei­ner Ver­eins­mit­glied­schaft ei­nen Ar­beits­platz zu ver­mit­teln so­wie Koh­len kos­ten­los zu­zu­tei­len, er­höh­te sich die Mit­glie­der­zahl deut­lich. Et­li­che Ar­bei­ter konn­te die SWV der SSP ab­spens­tig ma­chen. Wei­te­re Mit­glie­der re­kru­tier­ten sich aus der Bau­ern­schaft, dar­un­ter der fran­ko­phi­len „Kreis­bau­ern­schaft Saar­louis“. Zur Ge­win­nung von Ka­tho­li­ken trat die SWV an den päpst­li­chen Vi­si­ta­tor, Prä­lat Gus­ta­vo Tes­ta (1886-1969), her­an, und gab sich als Kämp­fe­rin für die Glau­bens­frei­heit der ka­tho­li­schen Saar­be­völ­ke­rung aus. Mit­te des Jah­res 1934 er­teil­te Vaysset je­doch die Wei­sung, das Wer­ben um die Ka­tho­li­ken ein­zu­stel­len, da die­se in ih­ren ei­ge­nen Rei­hen be­ru­fe­ne­re Füh­rer hät­ten.

Ins­ge­samt führ­te Ja­kob Hec­tor die SWV ziem­lich un­um­strit­ten, nur im Fal­le des aus Lis­dorf stam­men­den Hans Hoff­mann, von Fe­bru­ar bis Ju­ni 1934 Pro­pa­gan­dalei­ter der Ver­ei­ni­gung, hat­te er ei­nen er­bit­ter­ten Feind, der sich so­gar als Ver­bin­dungs­mann für die Ge­sta­po an­wer­ben ließ. Hec­tor woll­te Im Ju­ni Hoff­mann aus der Par­tei aus­schlie­ßen, muss­te ihn je­doch auf An­wei­sung der AG wie­der auf­neh­men. An­geb­lich be­ruh­te der Kon­flikt dar­auf, dass Hec­tor dem Pro­pa­gan­dalei­ter ei­ne An­nah­me der fran­zö­si­schen Staats­bür­ger­schaft emp­fahl, Hoff­mann je­doch das Be­kennt­nis zu Deutsch­land nicht auf­ge­ben woll­te. Die hell­hö­ri­ge Ge­sta­po nahm Kon­takt zu Hoff­mann auf, um ihn in der SWV als Maul­wurf wir­ken zu las­sen. Hoff­mann stimm­te so­gleich zu. Im Auf­trag der Ge­sta­po soll­te er ei­ne Op­po­si­ti­on in­ner­halb der SWV ge­gen die Par­tei­spit­ze be­trei­ben, und zwar durch ei­ne Kri­tik an der Ver­wen­dung der Gel­der. Hoff­mann soll­te die Bü­cher ein­se­hen und der Ge­sta­po In­for­ma­tio­nen über die Geld­ge­ber lie­fern, in­ter­ne Be­zie­hun­gen und Hin­ter­män­ner aus­spä­hen, Stär­ke und Mit­glie­der­zahl der SWV er­mit­teln und wei­te­re Kol­la­bo­ra­teu­re ge­win­nen.

Hoff­mann er­ziel­te ei­nen Teil­er­folg. Mit Ge­sin­nungs­ge­nos­sen warb er am 29. Ju­ni für die Grün­dung der „Frei­en Saar­fron­t“ und ei­nen Aus­tritt aus der SWV. Dar­auf­hin er­folg­te am 5.7.1934 der Aus­schluss aus der SWV. Die Ab­trün­ni­gen grün­de­ten den „Saar­län­di­schen Bür­ger­blo­ck“ (SBB). Das war die zwei­te Ab­spal­tung aus der SWV, denn schon im Mai war ei­ne klei­ne Grup­pe um Ni­ko­laus Kie­fer, Leh­rer an der un­ter fran­zö­si­scher Ver­wal­tung ste­hen­den Do­ma­ni­al­schu­le in Dil­lin­gen, aus­ge­tre­ten, um die Fran­co-Saar­län­di­sche Front (FSF) ins Le­ben zu ru­fen, die sich of­fen für ei­nen An­schluss an Frank­reich er­klär­te. In der Sa­che hat­te Hec­tor ge­gen die­se Ziel­rich­tung nichts aus­zu­set­zen, Be­den­ken hat­te er we­gen der Zer­split­te­rung der fran­ko­phi­len Grup­pie­run­gen. Ganz an­ders ver­hielt es sich mit der Ori­en­tie­rung von Hans Hoff­mann, der im Herbst 1934 den Auf­trag der Ge­sta­po er­hielt, die SWV zu zer­schla­gen.

Hoff­mann woll­te Vaysset da­zu brin­gen, die Geld­zah­lun­gen an die SWV ein­zu­stel­len. Er ar­gu­men­tier­te, die La­ge der Ver­ei­ni­gung sei trost­los, die Orts­grup­pen stün­den in Op­po­si­ti­on zur Zen­tra­le. Für den Nie­der­gang sei der Vor­sit­zen­de Hec­tor ver­ant­wort­lich. Die­ser müs­se un­be­dingt ge­stürzt, die Lei­tung aus­ge­wech­selt und un­ter der Pa­ro­le Sta­tus quo „saar-deut­sch“ wer­den. Hoff­mann edier­te ein Rund­schrei­ben an Mit­glie­der der Par­tei, in der die Füh­rer der SWV, al­len vor­an Hec­tor, als Ver­rä­ter, Ka­pi­ta­lis­ten, Fran­zo­sen, Na­tu­ra­li­sier­te, Ar­bei­ter­ver­rä­ter de­nun­ziert wur­den. Der Ver­bin­dungs­mann der Ge­sta­po schritt bis zur per­sön­li­chen Dis­kri­mi­nie­rung, in­dem er Hec­tor ei­ne Un­ter­schla­gung von meh­re­ren 10.000 Fran­ken un­ter­stell­te. Hoff­mann über­schätz­te je­doch sei­nen Ein­fluss, ei­ne Zer­schla­gung der SWV ge­lang ihm nicht, und der von ihm und sei­nen An­hän­gern ge­grün­de­te Saar­län­di­sche Bür­ger­block be­saß Mit­te No­vem­ber nur 200 Mit­glie­der. Da­mit lag er in der Zahl und Be­deu­tung weit un­ter der SWV mit ih­ren 2.000 Mit­glie­dern.

4. Organisation

Die Saar­län­di­sche Wirt­schafts­ver­ei­ni­gung ge­wann und or­ga­ni­sier­te ih­re Mit­glie­der nach fol­gen­dem Sche­ma: Zu­nächst be­gab sie sich auf die Su­che von An­hän­gern des Sta­tus quo vor Ort. Dann be­auf­trag­te sie ei­nen Ver­trau­ens­mann mit der Ein­be­ru­fung ei­ner Ver­samm­lung von An­hän­gern, auf der die Wahl ei­nes Orts­grup­pen­lei­ters er­folg­te. Zu­meist traf die Wahl den Ein­be­ru­fen­den selbst. Die Orts­grup­pen wur­den in Be­zir­ken zu­sam­men­ge­fasst. So bil­de­ten die Orts­grup­pen Bous, Wad­gas­sen, Schaff­hau­sen und Hos­ten­bach zum Bei­spiel ei­nen Be­zirk. Über den Orts­grup­pen und Be­zir­ken stand ein Kreis­lei­ter. In ei­nem vom April 1934 stam­men­den Or­ga­ni­sa­ti­ons­plan der SWV wur­den vier Krei­se ge­nannt. Zur Ver­ein­fa­chung der Mei­nungs­bil­dung wur­de En­de Mai 1934 be­schlos­sen, bei an­ste­hen­den Be­ra­tun­gen nicht mehr al­le Orts­grup­pen­lei­ter nach Saar­louis an­rei­sen zu las­sen, son­dern nur ei­nen pro Be­zirk.

In­fol­ge der Po­la­ri­sie­rung der po­li­ti­schen La­ger, die im­mer wie­der in Ge­walt­tä­tig­kei­ten aus­ar­te­te, griff die SWV wie ih­re Geg­ner die Idee ei­ner Bil­dung von Schutz­staf­feln auf. Da­zu reg­te auch der Dach­ver­band der AG an. Es ging um Auf­ga­ben wie den Schutz der Ge­schäfts­stel­len vor Über­fäl­len oder ei­nen Saal­schutz bei Par­tei­ver­an­stal­tun­gen. Die Schutz­leu­te be­sa­ßen ei­ne ei­ge­ne Uni­form in den Saar­far­ben: schwar­ze Stie­fel, schwar­ze Ho­se, wei­ßes Hemd, blaue Ja­cke und blaue Müt­ze. Das Vor­bild in der Sa­che bo­ten die Schutz­staf­feln der Na­zis.

Zur Or­ga­ni­sa­ti­on der Selbst­hil­fe soll­te nach ei­ner Re­so­lu­ti­on der Par­tei­ba­sis vom 3.6.1934 die Schutz­staf­fel aus­rei­chend mit Waf­fen, Pis­to­len, Hand­gra­na­ten usw. aus­ge­rüs­tet wer­den, um mit dem Ar­se­nal der Na­zis mit­hal­ten zu kön­nen. Das Co­mité woll­te die­sen weit ge­hen­den Ar­mie­rungs­for­de­run­gen nicht statt­ge­ben, der Aus­bau der Staf­fel wur­de al­ler­dings ziel­stre­big fort­ge­setzt. Die Saar­loui­ser Schutz­staf­fel be­stand En­de Sep­tem­ber 1934 im­mer­hin aus 68 Per­so­nen, von de­nen ei­ni­ge im Hin­ter­ge­bäu­de des „Saar­loui­ser Jour­nal­s“ zum Schutz der Dru­cke­rei  und der Vor­stands­sit­zun­gen der SWV pos­tiert wa­ren. In ei­ner Ver­an­stal­tung der SWV vom 17.8.1934 wur­de den Be­su­chern mit­ge­teilt, dass die Par­tei bei der Re­gie­rungs­kom­mis­si­on um die of­fi­zi­el­le Er­laub­nis zur Auf­stel­lung der Schutz­staf­fel nach­ge­sucht ha­be, der An­trag sei je­doch ab­ge­lehnt wor­den. Das  hin­der­te die Par­tei aber nicht, mit der Um­set­zung ih­res Plans un­ter ei­nem Deck­man­tel fort­zu­fah­ren. Mit der Grün­dung ei­nes Sport­ver­eins, der sich wie die Zei­tung der SWV „Frei Saar“ nann­te, wur­de ein Weg ge­fun­den, zu ei­nem Schutz­ver­band zu kom­men. Der Sport­ver­ein in Saar­louis un­ter­hielt ne­ben der Staf­fel Ab­tei­lun­gen für Fuß­ball, Leicht­ath­le­tik und Ten­nis. Im Hos­ten­ba­cher Be­zirk wur­de der Fuß­ball­ver­ein „Blau-Weiß-Schwar­z“ ge­grün­det, der aus Mit­glie­dern der SWV be­stand und Schutz­auf­ga­ben über­nahm. An­fang Ok­to­ber 1934 tra­fen sich die als Sport­ver­ei­ne ge­tarn­ten Schutz­staf­feln in Saar­louis zu ei­ner Aus­spra­che.

Ei­ne wei­te­re Un­ter­grup­pie­rung stell­te ein im Au­gust 1934 ge­grün­de­ter Ge­sang­ver­ein dar, der auf Ver­an­stal­tun­gen der SWV Kampf­lie­der vor­trug, zum Bei­spiel ei­ne Saar­hym­ne mit den Zei­len: „Es soll uns nicht knech­ten der Na­zi­bar­bar. Wir blei­ben dem Rech­te ge­wo­gen.“ Als Zie­le stell­te sie Frei­heit, Frie­den, Recht und Wahr­heit her­aus. Das Be­kennt­nis zum Sta­tus quo durf­te nicht feh­len: „Wir wol­len er­stre­ben den Völ­ker­bun­d“.[2] 

5. Die Arbeitsgemeinschaft zur Wahrnehmung saarländischer Interessen (AG)

Die „Ar­beits­ge­mein­schaft zur Wah­rung saar­län­di­scher In­ter­es­sen“ (AG), of­fi­zi­ell ge­grün­det am 6.12.1933, kann als Arm der fran­zö­si­schen Po­li­tik be­trach­tet wer­den. Für die SWV war sie Geld­ge­ber und Kon­kur­rent, zu­gleich war sie ein Dach­ver­band der fran­ko­phi­len Grup­pie­run­gen. Ih­re Vor­ge­schich­te reicht fast ein Jahr­zehnt zu­rück. Nach dem ent­täu­schen­den Ab­schnei­den der „Saar­län­di­schen Ar­beits­ge­mein­schaf­t“ bei der Wahl zum Lan­des­rat En­de Ja­nu­ar 1924 ver­schwand sie ei­ni­ge Jah­re von der Bild­flä­che, um im Som­mer 1931 wie­der auf­zu­tau­chen. Ihr Na­me lau­te­te seit Herbst 1931 „Ar­beits­ge­mein­schaft (Ver­ei­ni­gung) zur Wahr­neh­mung saar­län­di­scher In­ter­es­sen“, sie ver­stand sich als „Kar­tell­or­ga­ni­sa­ti­on ver­schie­de­ner vor­nehm­lich wirt­schaft­li­cher Ver­bän­de“[3], so­zi­al und ideo­lo­gisch woll­te sie al­le Schich­ten der Be­völ­ke­rung er­rei­chen. En­de März 1933 ge­hör­ten der AG erst sie­ben Ver­bän­de an.  Zu ei­ner Zu­sam­men­fas­sung al­ler fran­ko­phi­len Ver­ei­ni­gun­gen be­durf­te es ei­ner wei­te­ren Wei­sung von oben.

En­de No­vem­ber 1933 er­teil­te Éti­en­ne Vaysset dem In­ge­nieur Prin­ci­pal der Gru­be Cal­me­lette in Kla­ren­thal, Ar­thur Ros­sen­beck, den Auf­trag, al­le fran­ko­phi­len Ein­zel­or­ga­ni­sa­tio­nen ei­nem zen­tra­len Vor­stand zu un­ter­stel­len. Ros­sen­beck war ei­ner der we­ni­gen hö­he­ren preu­ßi­schen Gru­ben­be­am­ten, die sich der fran­zö­si­schen Ver­wal­tung in der Völ­ker­bund­zeit zur Ver­fü­gung stell­ten. Mit dem Ein­tritt in die Diens­te der Mi­nes Do­ma­nia­les, wie sich die Saar­gru­ben da­mals nann­ten, war der Er­werb der fran­zö­si­schen Staats­bür­ger­schaft ver­bun­den.

Auf der Ta­ges­ord­nung der Grün­dungs­ver­samm­lung vom 6.12.1933 stand ei­ne Be­schrei­bung der Auf­ga­ben, de­nen sich die in der AG zu­sam­men­ge­schlos­se­nen Or­ga­ni­sa­tio­nen wid­men soll­ten. Es wur­de ih­nen auf­ge­tra­gen, zu „be­ob­ach­ten, wie und von wel­chen Be­hör­den die von der Re­gie­rungs­kom­mis­si­on neu­er­dings er­las­se­nen Ge­set­ze und Vor­schrif­ten um­gan­gen wer­den.“[4] Die Ver­brei­tung der Chro­nik und des Ge­ne­ral­an­zei­gers durch die AG dien­te Pro­pa­gan­da­zwe­cken. Doch auch ma­te­ri­el­le Leis­tun­gen wur­den ver­spro­chen, ins­be­son­de­re die Ver­tei­lung von so ge­nann­ten Un­ter­stüt­zungs­koh­len. Ros­sen­beck er­läu­ter­te in der Ver­samm­lung, dass er er­mäch­tigt sei zu sa­gen, dass die fran­zö­si­sche Re­gie­rung ent­schlos­sen sei, dem Ver­band  ih­re mo­ra­li­sche und ma­te­ri­el­le Un­ter­stüt­zung zu ge­wäh­ren, in Be­trie­ben, in der Rechts­pfle­ge, in der Po­li­zei- und der Lan­des­ver­wal­tung.

Durch die Ver­fü­gung über Pro­pa­gan­da­gel­der üb­te die AG Macht und Ein­fluss aus. Zur Grün­dungs­ver­samm­lung hat­te die SWV noch Ver­tre­ter ent­sandt, dann ging sie auf Dis­tanz. Hec­tor war der ein­zi­ge Vor­sit­zen­de der fran­ko­phi­len Grup­pie­run­gen, der sich dem Ein­fluss der AG so gut es ging ent­zog, auch wenn er sich mit sei­ner ei­gen­stän­di­gen Po­li­tik bei Vaysset und Ros­sen­beck un­be­liebt mach­te. SWV und AG ver­ein­bar­ten ei­ne Auf­tei­lung der Zu­stän­dig­keit in geo­gra­phi­scher Hin­sicht, wo­bei die Ein­schrän­kung nur für die SWV galt. Das west­li­che Saar­land wur­de der SWV zu­ge­wie­sen, vom Kreis Mer­zig bis zum Rand­ge­biet des Krei­ses Saar­brü­cken, ein­ge­schlos­sen das Warndt­ge­biet und die Städ­te Völk­lin­gen und Pütt­lin­gen.

Zeitgenössisches Foto Gustavo Testas auf dem Titelblatt der Zeitschrift. (Verlag B. Kühlen, Mönchengladbach)

 

Die AG be­saß mit Ros­sen­beck ei­nen har­ten, ar­ro­gan­ten und un­nah­ba­ren Ge­ne­ral­di­rek­tor, der aber sei­ner­seits vor dem Ver­wal­tungs­rat (Vaysset und Jean Mo­ri­ze, zu­erst Ge­ne­ral­se­kre­tär, dann Mit­glied der Re­gie­rungs­kom­mis­si­on) bu­ckel­te. Vaysset woll­te mit Hil­fe von Ros­sen­beck das Heft in der Hand be­hal­ten. Zu re­gel­mä­ßi­gen Vor­stands­sit­zun­gen kam es nicht. Die Lei­ter der Ver­bän­de schick­ten Ros­sen­beck ih­re Re­chen­schafts­be­rich­te ein. Er ver­teil­te die Pro­pa­gan­da­gel­der, im April 1934 wa­ren dies im­mer­hin 150.000 Francs. Schät­zungs­wei­se 4. bis 5.000 Saar­län­der wa­ren in der AG or­ga­ni­siert. Die Ge­sta­po ging im Ok­to­ber 1934 so­gar von 7.000 Mit­glie­dern aus. Der Dach­ver­band war in 127 Ort­schaf­ten ver­tre­ten. Der von der AG her­aus­ge­ge­be­ne Ge­ne­ral-An­zei­ger wur­de im März von 4.005 Le­sern abon­niert. Da­mit reich­te der Mit­glie­der­be­stand der fran­ko­phi­len Grup­pie­run­gen an den der saar­län­di­schen SPD (4 bis 6.000) und der KPD (rund 8.000) her­an.

Nur sel­ten trat die AG mit ei­ge­nen Ver­an­stal­tun­gen an die Öf­fent­lich­keit. Am 26.8.1934 soll­te ein gro­ßer saar­län­di­scher Frei­heits­tag or­ga­ni­siert wer­den. Am sel­ben Tag war in Eh­ren­breit­stein (heu­te Stadt Ko­blenz) ei­ne Gro­ßkund­ge­bung für die Rück­kehr des Saar­ge­bie­tes zum Rei­che vor­ge­se­hen. Der Plan der AG schei­ter­te an der ab­leh­nen­den Hal­tung der fran­zö­si­schen Re­gie­rung, die sich nicht der Ge­fahr des Vor­wurfs ei­ner di­rek­ten Be­ein­flus­sung aus­set­zen woll­te. Das po­li­ti­sche Ziel des Sta­tus quo soll­te nicht ei­nen of­fi­zi­el­len fran­zö­si­schen Stem­pel er­hal­ten. Ros­sen­beck sah nach der Er­mor­dung des Au­ßen­mi­nis­ters Louis Bar­thou (1862-1934) im Ok­to­ber 1934 und dem Amts­an­tritt des Nach­fol­gers Pier­re La­val (1883-1945) den Halt an der fran­zö­si­schen Re­gie­rung über­haupt ver­lo­ren. Die neue Re­gie­rung stopp­te die Geld­zu­wen­dun­gen und such­te in der Saar­fra­ge ei­ne güt­li­che Ei­ni­gung mit Deutsch­land zu er­rei­chen.

Die be­deu­tends­ten Ver­ei­ni­gun­gen der fran­ko­phi­len Saar­be­we­gung: na­ment­lich SWV, SSP, Berg­ar­bei­ter­ver­band, schlos­sen sich am 29.8.1934 zur Grün­dung ei­ner ka­ri­ta­ti­ven Ge­mein­schaft, der Saar­län­di­schen Ar­bei­ter­hil­fe (SAH), zu­sam­men. Der Ro­ten Hil­fe, der Ar­bei­ter­wohl­fahrt und dem von der Deut­schen Front ein­ge­rich­te­ten Win­ter­hilfs­werk stell­ten sie  ei­ne ei­ge­ne Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on ent­ge­gen, die sich als „ka­ri­ta­ti­ve un­po­li­ti­sche über­par­tei­li­che Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on der frei­en Saar­be­we­gun­g“ ver­stand.[5] Pa­ter Hu­go­li­nus Dörr (1895-1940), ge­bo­ren im saar­län­di­schen Sel­ler­bach, Mit­glied des Stey­ler Mis­si­ons­or­dens und Mit­be­grün­der der SWV, war de­ren Vor­sit­zen­der. Ei­nen Hö­he­punkt in des­sen pro­pa­gan­dis­ti­schem Wir­ken für den Sta­tus quo stell­te die am 26.8.1934 ge­hal­te­ne An­spra­che vor 60.000 Zu­hö­rern der lin­ken Ein­heits­front in Sulz­bach dar. Beim Ein­marsch deut­scher Trup­pen kam Hu­go­li­nus Dörr 1940 bei Di­jon in ei­nem In­ter­nie­rungs­la­ger ums Le­ben.

Die Regierungskommission für das Saargebiet im März 1928. Von links nach rechts: sitzend Lambert, Sir Ernest Wilton, Koßmann; stehend Jean Morize, und Vezensky. (Landesarchiv Saarbrücken)

 

Nicht un­er­wähnt soll blei­ben, dass sich die SWV auf hu­ma­ni­tär-so­zia­lem Feld für die Un­ter­stüt­zung von Emi­gran­ten aus Na­zi-Deutsch­land en­ga­gier­te. Die­se er­hiel­ten Es­sen, Klei­dung, et­was Bar­geld. Im Fe­bru­ar 1934 ging die SWV zur Zah­lung von Un­ter­stüt­zungs­gel­dern über, die die Emi­gran­ten bei der Ge­schäfts­stel­le in Saar­louis in Emp­fang neh­men konn­ten.

6. Leistungen der SWV an Mitglieder

Ka­ri­ta­ti­ve Leis­tun­gen der SWV gab es schon vor der Grün­dung der Saar­län­di­schen Ar­bei­ter­hil­fe. Zu Be­ginn des Win­ters 1933/1934 stell­te der Ver­tre­ter des fran­zö­si­schen Au­ßen­mi­nis­te­ri­ums im Saar­ge­biet, Éti­en­ne Vaysset, die Lie­fe­rung von Koh­len für Be­dürf­ti­ge in Aus­sicht. Die­ses Ver­spre­chen ging auch in das Pro­gramm der AG ein. Auf­grund die­ser Zu­sa­ge or­ga­ni­sier­te Ja­kob Hec­tor am 4.11.1933 ei­ne Lie­fe­rung für Mit­glie­der der SWV. 120 Per­so­nen lie­ßen sich in­ner­halb von zwei Ta­gen in die Mit­glie­der­lis­te ein­schrei­ben, und die fran­zö­si­sche Gru­ben­ver­wal­tung stell­te der SWV im No­vem­ber 150 Ton­nen Koh­le für die­se zur Ver­fü­gung. Die Men­ge er­wies sich als zu ge­ring, wes­halb An­fang 1934 ei­ne zwei­te Lie­fe­rung er­folg­te.

Im Zen­trum der Ak­ti­vi­tä­ten der SWV stand das Be­mü­hen um Be­schäf­ti­gungs­mög­lich­kei­ten für ar­beits­lo­se Mit­glie­der. Am 11.1.1934 wur­de ei­ne Re­so­lu­ti­on an das fran­zö­si­sche Au­ßen­mi­nis­te­ri­um ver­ab­schie­det, die in der Be­grün­dung, war­um Frank­reich die Saar­län­der un­ter­stüt­zen soll­te, weit aus­hol­te, um dann kon­kre­te so­zi­al­po­li­ti­sche For­de­run­gen zu stel­len. Die, wie Hek­tor im Na­men der SWV un­ter­stell­te, Be­reit­schaft der Saar­län­der zum Kampf für die Er­hal­tung der Frei­heit und für die Bei­be­hal­tung der wirt­schaft­li­chen Bin­dung an Frank­reich be­ruh­te auf eth­no­lo­gi­schen und his­to­ri­schen Ge­ge­ben­hei­ten. Die Ar­gu­men­ta­ti­on griff auf die An­fang der 1920er Jah­re weit ver­brei­te­te fran­zö­si­sche The­se ei­ner völ­ki­schen und his­to­ri­schen Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit von Saar­län­dern und Loth­rin­gern zu­rück. Jetzt soll­ten nach Hec­tor kon­kre­te Ta­ten fol­gen. Ei­nen ers­ten Schritt zur Ar­beits­ver­mitt­lung in Frank­reich stell­te die An­la­ge von Lis­ten in den Orts­grup­pen mit Ar­beits­wil­li­gen dar. Die Lis­ten muss­ten bis 16. März bei der Zen­tral­stel­le in Saar­louis ein­ge­reicht wer­den, da­mit die Be­wer­bun­gen an die fran­zö­si­schen Be­trie­be wei­ter­ge­lei­tet wer­den konn­ten. 

Die SWV, so wur­de pro­gnos­ti­ziert, um po­li­ti­schen Druck auf Frank­reich aus­zu­üben, wer­de die Ar­bei­ter­schaft der Saar nur ge­win­nen, wenn die er­werbs­lo­sen Mit­glie­der Be­schäf­ti­gung fän­den. Mo­nat­lich soll­ten die Staats­gru­ben 200 An­hän­ger der SWV auf­neh­men. Bei der Gru­ben­ver­wal­tung wur­den Na­mens­lis­ten von ar­beits­wil­li­gen Par­tei­mit­glie­dern ein­ge­reicht. Das Er­geb­nis war sehr be­schei­den: Bis Mit­te Mai 1934 wur­den nur 35 Mit­glie­der der SWV als Berg­leu­te  ein­ge­stellt.

Bei den Ver­wal­tun­gen und Di­rek­tio­nen der Fa­bri­ken, die mehr­heit­lich fran­zö­si­schen  Ka­pi­tal­eig­nern ge­hör­ten, wur­de gleich­falls ei­ne Be­schäf­ti­gung von Ar­beits­lo­sen an­ge­mahnt. Ar­bei­ter soll­ten auch au­ßer­halb des Lan­des ein­ge­stellt wer­den und nach Ar­beit su­chen kön­nen. Die SWV brach­te Zah­len­vor­ga­ben ins Spiel. In der Pri­vat­in­dus­trie soll­te nach ei­ner Be­schäf­ti­gung für durch­schnitt­lich 20 Mit­glie­der im Mo­nat ge­sucht wer­den, und zwar über die Ar­beits­be­hör­den von Metz und Straß­burg. Bei der Di­rek­ti­on der loth­rin­gi­schen Gru­ben und dem Hüt­ten­un­ter­neh­mer de Wen­del soll­te er­reicht wer­den, dass sie mo­nat­lich 50 links der Saar wohn­haf­ten Mit­glie­dern Be­schäf­ti­gung ga­ben. Hec­tor er­litt mit sei­nen Be­mü­hun­gen auf brei­ter Front Schiff­bruch. Teils er­hielt er kei­ne Zu­sa­gen, teils wur­den Ver­spre­chen nicht ein­ge­hal­ten, so das der Dil­lin­ger Hüt­te, sämt­li­che ar­beits­lo­se Mit­glie­der der SWV ein­zu­stel­len.

Trotz al­ler Be­mü­hun­gen zur Da­seins­si­che­rung brach der Auf­wärts­trend der SWV im Fe­bru­ar 1934 ab. In Zu­sam­men­künf­ten kam wach­sen­der Un­mut we­gen der nicht ein­ge­hal­te­nen Ver­spre­chen auf. Hec­tor kri­ti­sier­te die fran­zö­si­sche Re­gie­rung, dass sie so­gar die Ar­beits­er­laub­nis der in Frank­reich be­schäf­tig­ten SWV-An­hän­ger nicht ver­län­ger­te. Das war nicht der ein­zi­ge Rück­schlag für die fran­ko­phi­le Be­we­gung. Loth­rin­gi­sche Gläu­bi­ger hat­ten SWV-Mit­glie­dern Hy­po­the­ken­dar­le­hen ge­währt. An­ge­sichts der un­ge­wis­sen po­li­ti­schen Zu­kunft des Saar­ge­bie­tes und in­fol­ge der pes­si­mis­ti­schen Ein­schät­zung der Chan­cen für die Sta­tus-quo-An­hän­ger kün­dig­ten die Gläu­bi­ger die Dar­le­hen. Die SWV-Mit­glie­der muss­ten sich zwecks Um­schul­dung an saar­län­di­sche Spar­kas­sen wen­den, die sich fest in den Hän­den von An­hän­gern der „Deut­schen Fron­t“ be­fan­den. Der fran­zö­si­sche Staat soll­te der SWV drei Mil­lio­nen Francs zur De­ckung der Hy­po­the­ken zur Ver­fü­gung stel­len, Frank­eich dür­fe sei­ne An­hän­ger nicht im Stich las­sen, so fleh­te Hec­tor ver­geb­lich.

7. Politische Forderungen

Die SWV such­te zum Är­ger der AG häu­fig un­ter Um­ge­hung der fran­zö­si­schen Re­prä­sen­tan­ten an der Saar den di­rek­ten Kon­takt zur Re­gie­rung in Pa­ris und zum Völ­ker­bund in Genf. In ei­ner Pe­ti­ti­on vom 5.1.1934 klag­te die SWV al­ler­dings zu­sam­men mit der AG über den Ter­ror der NS­DAP im Saar­ge­biet ge­gen­über ih­ren Geg­nern. Sie be­zeich­ne­ten den seit der Macht­über­nah­me im Reich aus­ge­üb­ten Druck als un­er­träg­lich und for­der­ten ei­nen Schutz ge­gen Dro­hun­gen und Drang­sa­lie­run­gen. Der ge­sam­te öf­fent­li­che Dienst schien ih­nen durch­setzt und in­fil­triert von na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ele­men­ten. Dar­aus wur­de ei­ne sehr weit ge­hen­de Fol­ge­rung ge­zo­gen: Die Re­gie­rungs­kom­mis­si­on soll­te die Voll­macht er­hal­ten, die Un­ab­setz­bar­keit der Rich­ter zu sus­pen­die­ren, ört­li­che Ver­wal­tun­gen und Po­li­zei zu säu­bern und das Schul­per­so­nal zu über­wa­chen, um die Neu­tra­li­tät des Un­ter­richts zu si­chern. Die SWV for­der­te ei­ne neue Po­li­zei­trup­pe, die sich mehr­heit­lich aus An­hän­gern des Sta­tus quo re­kru­tie­ren soll­te.

Hec­tor kri­ti­sier­te En­de Mai 1934 rück­bli­ckend die fran­zö­si­sche Po­li­tik. Frank­reich ha­be An­fang der 1920er Jah­re ver­säumt, ei­nen fä­hi­gen Nach­fol­ger für Ge­ne­ral Jo­seph And­lau­er (1869-1956), den Ober­be­fehls­ha­ber der fran­zö­si­schen Mi­li­tär­ver­wal­tung bei der Be­set­zung des Saar­ge­bie­tes im Jah­re 1919, zu ent­sen­den.  Da­mals hät­te Frank­reich min­des­tens 80 Pro­zent der Be­woh­ner des Krei­ses Saar­louis für ei­nen An­schluss ge­win­nen kön­nen. Die Chan­ce sei ver­stri­chen, zu­mal die fran­zö­si­sche Un­ter­stüt­zung mitt­ler­wei­le viel zu schwach ge­wor­den sei. Die An­hän­ger der SWV sei­en des­halb von den Mi­nes Do­ma­nia­les und an­de­ren fran­zö­si­schen In­dus­tri­el­len an der Saar tief ent­täuscht, weil sie ih­nen kei­ne Ar­beit gä­ben. Zahl­rei­che einst fran­ko­phi­le Bür­ger und An­hän­ger des Sta­tus quo wür­den sich aus op­por­tu­nis­ti­schen Grün­den dem Ter­ror beu­gen und der Deut­schen Front an­schlie­ßen.

Die Si­che­rung ei­ner frei­en Stimm­ab­ga­be beim Re­fe­ren­dum vom 13.1.1935 rück­te 1934 im­mer mehr als Pro­blem in den Vor­der­grund. Über die Ge­währ­leis­tung ei­ner frei­en po­li­ti­schen Mei­nungs­äu­ße­rung soll­te, so die For­de­rung ge­gen­über dem Völ­ker­bund, ein Ab­stim­mungs­ge­richt wa­chen. Wenn der Ter­ror der Deut­schen Front je­doch fort­ge­setzt wer­de, kön­ne das Ple­bis­zit am 13.1.1935 kei­nes­falls durch­ge­führt wer­den. In pro­gram­ma­ti­scher Hin­sicht soll­te der Völ­ker­bund den Wäh­lern die Ent­schei­dung für den Sta­tus quo als er­stre­bens­wer­te Al­ter­na­ti­ve ver­mit­teln und die Wer­be­mög­lich­kei­ten zum Bei­spiel durch die Er­rich­tung ei­ner saar­län­di­schen Ra­dio­sta­ti­on ent­schei­dend ver­bes­sern, hin­ge­gen die ‚Hetz­kam­pa­gnen‘ und ‚Lü­gen­mär­chen‘ der Geg­ner un­ter­drü­cken.

Die SWV rüg­te beim Völ­ker­bund, dass die Ge­mein­de­aus­schüs­se, die zur Durch­füh­rung der Wah­len ein­ge­rich­tet wur­den, trotz Ein­sprü­chen der SWV, der AG und der SSP fast aus­nahms­wei­se von Mit­glie­dern der Deut­schen Front be­setzt wur­den. Ros­sen­beck und Hec­tor pro­tes­tier­ten per­sön­lich in Genf ge­gen die Or­ga­ni­sa­ti­on der Ab­stim­mung. Bei 84 Aus­schüs­sen gab es nur in acht Fäl­len je ei­nen Ver­tre­ter der An­hän­ger der Sta­tus-quo-Par­tei­en. Der Wunsch nach ei­ner pa­ri­tä­ti­schen Zu­sam­men­set­zung der Aus­schüs­se, die die Ab­stim­mungs­lis­ten er­stell­ten, wur­de mehr­mals er­folg­los vor­ge­tra­gen.

8. Die Abstimmungsniederlage

Das Er­geb­nis des Re­fe­ren­dums vom 13.1.1935 fiel für die Sta­tus-quo An­hän­ger mehr als be­schei­den aus. Sie er­hiel­ten 46.613 be­zie­hungs­wei­se 8,8 Pro­zent der Stim­men. Das be­deu­tet, dass die fran­ko­phi­len und se­pa­ra­tis­ti­schen Ver­ei­ni­gun­gen ne­ben den Mit­glie­dern von SPD und KPD, die für den Sta­tus quo stimm­ten, nur we­ni­ge Wäh­ler ge­win­nen konn­ten (ma­xi­mal dürf­ten es 2 Pro­zent ge­we­sen sein). Mar­gi­nal war schlie­ß­lich die Zu­stim­mung zu ei­nem An­schluss an Frank­reich mit 0,4 Pro­zent und 2.124 Stim­men.[6] Die Wahl­be­tei­li­gung am Re­fe­ren­dum war mit 528.105 oder 97,9 Pro­zent au­ßer­or­dent­lich hoch, ein In­diz für die star­ke Po­li­ti­sie­rung der saar­län­di­schen Be­völ­ke­rung.

Cha­rak­te­ris­ti­sche Un­ter­schie­de des Ab­stim­mungs­ver­hal­tens zeigt ei­ne ver­glei­chen­de geo­gra­phi­sche Wahl­ana­ly­se. Das west­li­che Saar­ge­biet stimm­te re­la­tiv stark für den Sta­tus quo. Saar­louis mit den be­nach­bar­ten Ge­mein­den und dem Warndt, Schwer­punk­te der Ver­brei­tung der SWV, ge­hör­ten zu den Or­ten mit der nied­rigs­ten Zu­stim­mung zum Reich be­zie­hungs­wei­se der höchs­ten zum Sta­tus quo. Man kann dar­aus schlie­ßen, dass sich in dem Ab­stim­mungs­er­geb­nis ei­ne ge­wis­se Re­so­nanz der SWV, die in die­ser Sub­re­gi­on den Kern ih­rer An­hän­ger­schaft be­saß, spie­gel­te. Für ein Er­folgs­er­leb­nis dürf­te dies aber bei wei­tem nicht ge­reicht ha­ben, die aus heu­ti­ger Sicht nach­voll­zieh­ba­re Ent­täu­schung der Mit­glie­der und An­hän­ger konn­te kaum grö­ßer sein. Aber die Ent­täu­schung war noch nicht das Schlimms­te. Die An­hän­ger des Sta­tus quo wa­ren nach dem Re­fe­ren­dum ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung und Ver­fol­gung sei­tens der Na­zis aus­ge­setzt. Füh­ren­de Mit­glie­der der fran­ko­phi­len und se­pa­ra­tis­ti­schen Or­ga­ni­sa­tio­nen flo­hen ins Aus­land, Ja­cob Hek­tor mit sei­ner Fa­mi­lie nach Metz. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg kehr­te er nach Saar­louis zu­rück. Sein Sohn Ed­gar (1911-1989) wur­de In­nen­mi­nis­ter un­ter dem saar­län­di­schen Mi­nis­ter­prä­si­den­ten Jo­han­nes Hoff­mann (1890-1967). Aber auch dies­mal fand die Fa­mi­lie Hec­tor hier kein blei­ben­des Zu­hau­se. Die Ge­schich­te schien sich an der Saar zu wie­der­ho­len, doch das war nur teil­wei­se der Fall. Wie­so? – das ist ei­ne an­de­re Ge­schich­te.

Literatur

Be­cker, Frank G., "Deutsch die Saar, im­mer­dar!". Die Saar­pro­pa­gan­da des Bun­des der Saar­ver­ei­ne 1919–1935, Saar­brü­cken 2007.
Cle­mens, Ga­brie­le B., Man­dats­ge­biet des Völ­ker­bun­des, in: Herr­mann, Hans-Chris­ti­an/Schmitt, Jo­han­nes, Das Saar­land. Ge­schich­te ei­ner Re­gi­on, St. Ing­bert 2012, S. 217-261.
Ja­co­by, Fritz, Die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Herr­schafts­über­nah­me an der Saar. Die in­nen­po­li­ti­schen Pro­ble­me der Rück­glie­de­rung des Saar­ge­bie­tes bis 1935, Saar­brü­cken 1973.
Kos­zyk, Kurt, Das aben­teu­er­li­che Le­ben des so­zi­al­re­vo­lu­tio­nä­ren Agi­ta­tors Carl Mins­ter (1873–1942), in: Ar­chiv für So­zi­al­ge­schich­te 5 (1965), S. 193-226.
Lem­pert, Pe­ter, „Das Saar­land den Saar­län­dern!“ Die fran­ko­phi­len Be­stre­bun­gen im Saar­ge­biet 1918-1935, Diss. Köln 1985.
Paul, Ger­hard, „Deut­sche Mut­ter – heim zu Dir!“ War­um es mi­ßlang, Hit­ler an der Saar zu schla­gen. Der Saar­kampf 1933-1935. Mit ei­nem Vor­wort von Ei­ke Hen­nig, Köln 1984.
Zen­ner, Ma­ria, Par­tei­en und Po­li­tik im Saar­ge­biet un­ter dem Völ­ker­bunds­re­gime 1920-1935, Saar­brü­cken 1966. 

Online

Aus­stel­lung-Bro­schü­re: "Nie zu Hit­ler!" - Die an­ti­fa­schis­ti­sche Ein­heits­front-Kund­ge­bung 26. Au­gust 1934, Sulz­bach/Saar, Ei­ne Aus­stel­lung der Stif­tung De­mo­kra­tie Saar­land von Joa­chim Heinz, Stand 20.09.2015. [on­line

Pater Hugolinus Dörr (1895-1940).

 
Zitationshinweis

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Burg, Peter, Die Saarländische Wirtschaftsvereinigung (1933-1935), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-saarlaendische-wirtschaftsvereinigung-1933-1935/DE-2086/lido/5bc45739c81fb1.56303795 (abgerufen am 19.03.2024)