Neugebaur & Lohmann – Ein Emmericher Familienunternehmen mit süßer Tradition

Natalie Janine Jürgens (Düsseldorf)

Verpackung einer Lohmann Vollmichschokolade, undatiert. (www.schokosammlung.de)

1. Einleitung

Im Jah­re 1852 be­gann für Em­me­rich ei­ne knapp 120 Jah­re wäh­ren­de „sü­ße“ Er­folgs­ge­schich­te, als die Schwä­ger Ge­org Neu­ge­baur und Hu­go Loh­mann hier ei­ne Scho­ko­la­den­fa­brik grün­de­ten. Will man der Ge­schich­te der fün­fäl­tes­ten Scho­ko­la­den­fa­brik in Deutsch­land nach­ge­hen, stellt man je­doch schnell fest, dass da­für die Quel­len­la­ge denk­bar schlecht ist, denn von der vor bald 50 Jah­ren ge­schlos­se­nen Fir­ma exis­tiert kein Ar­chiv mehr. In­for­ma­tio­nen über die Fir­men­ge­schich­te bie­tet vor al­lem die Chro­nik, die die Fir­ma 1952 an­läss­lich ih­res 100-jäh­ri­gen Be­ste­hens bei Sepp Hutt in Auf­trag ge­ge­ben hat. Schon da­mals war die Quel­len­la­ge schwie­rig, da im Bom­ben­krieg fast al­le Un­ter­la­gen aus der Zeit vor 1944 ver­nich­tet wor­den sind, wie der Chro­nik zu ent­neh­men ist: „Mit der Zer­stö­rung un­se­res Wer­kes im Jah­re 1944 ging auch un­ser Ar­chiv fast voll­stän­dig ver­lo­ren. Es ist das Ver­dienst Frau Hu­go Loh­manns, daß die­se Schrift in der vor­lie­gen­den Form er­schei­nen konn­te, da sie aus den Trüm­mern Do­ku­men­te und Bil­der ge­bor­gen und in müh­se­li­ger Klein­ar­beit ge­sich­tet und ge­ord­net hat.“[1] Ne­ben der Chro­nik von 1952 bie­ten vor al­lem Zei­tungs­ar­ti­kel wich­ti­ge In­for­ma­tio­nen für die Fir­men­ge­schich­te.

2. Der Standort Emmerich am Rhein

Em­me­rich wird 828 erst­mals ur­kund­lich er­wähnt[2]. 1233 er­hob Graf Ot­to II. von Gel­dern (Re­gie­rungs­zeit 1229-1271) den Ort zur Stadt. Be­reits 1142 ist für Em­me­rich die Exis­tenz von Kauf­leu­ten nach­zu­wei­sen. Tuch­ge­wer­be, Braue­rei, Acker­bau und Vieh­wirt­schaft, vor al­lem aber die La­ge am Rhein und der Han­del präg­ten jahr­hun­der­te­lang das Wirt­schafts­le­ben Em­me­richs. Ur­sprüng­lich mehr am Nah- und Zwi­schen­han­del be­tei­ligt, war die Stadt seit En­de des 14. Jahr­hun­derts Mit­glied der Han­se und er­leb­te bis ins 16. Jahr­hun­dert hin­ein ei­ne wirt­schaft­li­che Glanz­zeit. Wäh­rend die Stadt im 17. Jahr­hun­dert un­ter Krie­gen, Na­tur­ka­ta­stro­phen und Seu­chen zu lei­den hat­te, er­leb­te sie im 19. Jahr­hun­dert im Zu­ge der In­dus­tria­li­sie­rung ei­nen er­neu­ten Auf­schwung. Die Nä­he zu den Nie­der­lan­den be­ein­flusst bis heu­te ma­ß­geb­lich die Ent­wick­lung der Stadt. Zahl­rei­che nie­der­län­di­sche Fir­men grün­de­ten hier im 19. Jahr­hun­dert Zweig­nie­der­las­sun­gen. Mit der Er­öff­nung der Ei­sen­bahn­li­nie Ober­hau­sen-Ams­ter­dam und dem Bahn­hof Em­me­rich als Grenz­sta­ti­on 1856 ge­wann die Stadt an ver­kehrs­geo­gra­phi­scher Be­deu­tung über die Rhein­schiff­fahrt hin­aus.

Auch die Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann pro­fi­tier­te von die­sen Vor­zü­gen. Für den ge­bür­ti­gen Rot­ter­da­mer Ge­org Neu­ge­baur bot sich ein Stand­ort na­he der hol­län­di­schen Gren­ze und mit di­rek­tem Zu­gang zum Schiffs­ver­kehr für ei­ne Fir­men­grün­dung an. Als nörd­lichs­te Stadt des Nie­der­rheins war Em­me­rich be­son­ders fracht­güns­tig zu den gro­ßen See­hä­fen Rot­ter­dam, Ams­ter­dam und Ant­wer­pen ge­le­gen, wo­her die Roh­stof­fe für die Scho­ko­la­den­pro­duk­ti­on be­zo­gen wur­den. Die vier Jah­re nach Fir­men­grün­dung in Be­trieb ge­nom­me­ne Bahn­ver­bin­dung bot ei­nen wei­te­ren wich­ti­gen Stand­ort­fak­tor, da da­mit der Ver­sand der Pro­duk­te er­leich­tert wur­de.

Als Ge­org Neu­ge­baur und Hu­go Loh­mann ih­re Scho­ko­la­den­fir­ma grün­de­ten, bau­ten sie kei­ne neue Fa­brik­an­la­ge, son­dern über­nah­men die ei­ner Lack­mus­fa­brik, die im sel­ben Jahr ih­re Pro­duk­ti­on hat­te auf­ge­ben müs­sen. Zu der Fa­brik ge­hör­te ei­ne Ba­lan­cier-Dampf­ma­schi­ne - die ers­te in Em­me­rich -, die 50 Jah­re lang im Ein­satz war, bis sie 1902 durch ei­ne mo­der­ne­re Hoch- und Nie­der­druck-Dampf­ma­schi­ne er­setzt wur­de. 1922 be­zog die Fir­ma ei­ne neue Fa­brik­an­la­ge und er­hielt seit­dem Strom vom RWE, wo­mit die Dampf­ma­schi­ne über­flüs­sig wur­de.

Die Fa­brik lag ge­gen­über dem Non­nen­platz, di­rekt in der Em­me­ri­cher In­nen­stadt. Mit ih­rem ho­hen Schorn­stein und ih­rem wuch­ti­gen Bau präg­te sie das Stadt­bild mit. Heu­te er­in­nern nur noch der Stra­ßen­na­me „Loh­mann­hof“ und der 1955 er­rich­te­te Quer­rie­gel, in dem seit 2003 das PAN kunst­fo­rum nie­der­rhein un­ter­ge­bracht ist, an die ehe­ma­li­ge Fa­brik­an­la­ge Neu­ge­baur & Loh­manns. 

3. Historischer Abriss der Firmengeschichte

3.1 Die Anfänge

Die Schwä­ger Ge­org Neu­ge­baur und Hu­go Loh­mann be­tra­ten mit ih­rer Fir­men­grün­dung un­ter­neh­me­ri­sches Neu­land. Zu der Zeit gab es in Deutsch­land nur we­ni­ge Un­ter­neh­men, die Roh­ka­kao ver­ar­bei­te­ten, wäh­rend sich in den Nie­der­lan­den be­reits ei­ne Ka­kao­in­dus­trie ent­wi­ckelt hat­te, die ins­be­son­de­re in der Her­stel­lung von Ka­kao­pul­ver der deut­schen vor­aus war. Der 1822 in Rot­ter­dam ge­bo­re­ne Ge­org Neu­ge­baur kann­te sich mit der hol­län­di­schen Ka­kao­in­dus­trie aus und sein Schwa­ger Hu­go Loh­mann, 1826 im west­fä­li­schen Schwelm ge­bo­ren, wird in der Fir­men­chro­nik als „ge­bo­re­ner Kauf­man­n“ be­schrie­ben. Die­se Kom­bi­na­ti­on führ­te das ge­mein­sa­me Un­ter­neh­men zum Er­folg. Die Un­ter­neh­mens­grün­dung fiel au­ßer­dem in die „Durch­bruchs­pha­se der In­dus­tria­li­sie­run­g“, ei­ne Zeit, in der sich Wie­land Sach­se zu­fol­ge das Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men in sei­ner ide­al­ty­pi­schen Form eta­blier­te[3]. Ih­ren Roh­ka­kao be­zo­gen die Un­ter­neh­mer in der An­fangs­zeit aus Hol­land und Eng­land, erst 1859 ka­men mit den Ham­bur­ger Fir­men Al­brecht & Dill[4] und Rim­pau deut­sche Lie­fe­ran­ten hin­zu. Die Ka­kao­boh­nen selbst stamm­ten aus „äqua­to­ria­len“ Ge­bie­ten, oh­ne wei­te­re geo­gra­phi­sche An­ga­be. Hier­aus stell­ten Neu­ge­baur & Loh­mann an­fangs haupt­säch­lich Ka­kao­mas­se her, die sie an Kon­di­to­ren zur Wei­ter­ver­ar­bei­tung ver­kauf­ten. Au­ßer­dem un­ter­hielt das Un­ter­neh­men gu­te Be­zie­hun­gen zur Fir­ma Bloo­ker in Ams­ter­dam[5]. In en­ger Ver­bin­dung mit den Bloo­kers be­gan­nen Neu­ge­baur & Loh­mann mit der Her­stel­lung von Ka­kao­pul­ver. Das zeigt, wie in­ter­na­tio­nal aus­ge­rich­tet die Fir­ma be­reits Mit­te des 19. Jahr­hun­derts war. Wie Mar­grit Ste­fa­nie Schul­te Be­er­bühl fest­stellt, sind be­rühm­te Scho­ko­la­den­fir­men be­reits zu Be­ginn der in­dus­tri­el­len Scho­ko­la­den­pro­duk­ti­on nicht mit na­tio­na­len Ka­te­go­ri­en zu er­fas­sen, son­dern wur­den auch im­mer ge­samt­eu­ro­pä­isch be­ein­flusst[6]. Hier macht die Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann kei­ne Aus­nah­me.

Seit den 1860er Jah­ren kam zur Ka­kao­mas­se und dem Ka­kao­pul­ver als drit­tes Pro­dukt die Ku­ver­tü­re hin­zu. Bis in die 1880er Jah­re hin­ein be­schränk­ten sich Neu­ge­baur & Loh­mann auf die Her­stel­lung die­ser drei Pro­duk­te und schaff­ten sich da­mit ei­nen gro­ßen und treu­en Kun­den­kreis im ge­sam­ten Deut­schen Reich. Sie ver­trie­ben ih­re Pro­duk­te un­ter an­de­rem nach Düs­sel­dorf, Köln, Mün­chen, Ber­lin, Mag­de­burg, aber auch ins fer­ne Ost­preu­ßen, nach Ins­ter­burg und Kö­nigs­berg.

3.2 Die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg

Als Ge­org Neu­ge­baur 1889 - zwölf Jah­re nach Hu­go Loh­mann - starb, fand sich in sei­ner Fa­mi­lie kein Nach­fol­ger und die Neu­ge­baurs schie­den aus der Fir­ma aus. Auf Loh­mann­scher Sei­te über­nah­men die Wit­we Hu­go Loh­manns, Chris­ti­ne Loh­mann (ge­stor­ben 1910), ge­bo­re­ne van Eyck, und ihr Sohn Ge­org Loh­mann die Fir­men­lei­tung. Ge­org Loh­mann, ge­bo­ren 1859 in Em­me­rich, mo­der­ni­sier­te die Fir­ma und er­wei­ter­te er­folg­reich die Pro­dukt­pa­let­te. So wur­de ab den 1880er Jah­ren die Pro­dukt­aus­wahl ver­grö­ßert und fort­an auch Ta­fel­scho­ko­la­de her­ge­stellt. 1888 wur­de Neu­ge­baur & Loh­mann zum Hof­lie­fe­ran­ten des Gro­ßher­zogs von Sach­sen-Wei­mar er­nannt. Au­ßer die­ser Eh­re er­hielt die Fir­ma mehr­fach gol­de­ne und sil­ber­ne Me­dail­len für ih­re Pro­duk­te auf in- und aus­län­di­schen Aus­stel­lun­gen in Ber­lin, Köln, Würz­burg, Ant­wer­pen, Brüs­sel, Niz­za und Pa­ris. Im Jahr 1902 wur­de ihr so­gar auf der Düs­sel­dor­fer In­dus­trie- und Ge­wer­be­aus­stel­lung die preu­ßi­sche Staats­me­dail­le ver­lie­hen.

1908 zog sich Chris­ti­ne Loh­mann aus der Fir­ma zu­rück und über­gab sie ih­rem Sohn Ge­org. Die­ser en­ga­gier­te sich ne­ben sei­ner Tä­tig­keit als Un­ter­neh­mer auch im öf­fent­li­chen Le­ben und war Mit­glied der Han­dels­kam­mer zu We­sel, Stadt­ver­ord­ne­ter und Han­dels­rich­ter. In der Fa­brik führ­te er er­neut ei­ne Pro­duk­ter­wei­te­rung ein. So be­gann die Fir­ma im Jahr 1909 mit der Her­stel­lung hoch­wer­ti­ger Pra­li­nen, die sie be­reits 1912 über ei­ne ei­ge­ne Ver­tre­tung nach Eng­land ex­por­tier­te. 1914 ver­starb Ge­org Loh­mann noch vor Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs im Al­ter von 54 Jah­ren. Neue Fir­men­in­ha­ber wur­den sei­ne Frau Emi­lie Loh­mann, ge­bo­re­ne Rich­ter, und sein Sohn Hu­go (ge­bo­ren 1889). Die­ser führ­te die Fir­ma er­folg­reich durch bei­de Welt­krie­ge und den Wie­der­auf­bau nach 1945. In den Jah­ren 1914-1919 muss­te ihn je­doch sein Pro­ku­rist Ste­phan Heu­vel­mann ver­tre­ten, da Hu­go Loh­mann als Sol­dat ein­ge­zo­gen war und schlie­ß­lich in Kriegs­ge­fan­gen­schaft ge­riet. Auch für die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung des Un­ter­neh­mens stell­te der Ers­te Welt­krieg ei­nen Ein­schnitt dar. Die Werks­an­la­gen soll­ten im Jahr 1913 er­wei­tert wer­den, doch we­gen des Krie­ges wur­de das Vor­ha­ben ver­tagt, und die Fir­ma konn­te erst 1922 ih­re neue Fa­brik be­zie­hen. 

In den Jah­ren 1921-1936 wur­de Neu­ge­baur & Loh­mann als Fa­mi­li­en AG ge­führt, de­ren Ge­sell­schaf­ter Emi­lie Loh­mann und ih­re Kin­der wa­ren. Ab 1936 war Hu­go Loh­mann wie­der Al­lein­in­ha­ber. Nach der In­fla­ti­on konn­te die Fir­ma für ei­ni­ge Jah­re frei wirt­schaf­ten und so bei­spiels­wei­se 1928 mit der Her­stel­lung von Sai­son­ar­ti­keln, al­so Weih­nachts- und Os­ter­pro­duk­ten, be­gin­nen. Der Zwei­te Welt­krieg schränk­te die Pro­duk­ti­on dann wie­der er­heb­lich ein[7]. In der Un­ter­neh­mens­chro­nik hei­ßt es: „We­gen an­geb­li­cher Feind­nä­he wur­de un­ser Be­trieb über­ra­schend früh still­ge­legt. Die vor­han­de­nen Roh­stof­fe mu­ß­ten an an­de­re Fa­bri­ken im Rhei­nisch-West­fä­li­schen In­dus­trie­ge­biet ab­ge­ge­ben wer­den. Wir er­hiel­ten ei­nen grö­ße­ren Wehr­machts­auf­trag in Kom­pri­ma­ten, der je­doch plötz­lich ab­ge­bro­chen wur­de.“ Wann ge­nau der Be­trieb we­gen „an­geb­li­cher Feind­nä­he“ still­ge­legt wur­de, geht aus der Chro­nik nicht her­vor. Das Wort „an­geb­li­ch“ spricht je­doch ei­ner­seits da­für, dass das Un­ter­neh­men sich zu Un­recht be­schul­digt fühl­te und in der NS-Zeit kei­ne Kon­tak­te zu „Fein­den“ hat­te, sich al­so ge­mäß den Vor­ga­ben des NS-Staa­tes ver­hielt. An­de­rer­seits könn­te die ver­meint­li­che „Feind­nä­he“ auch als Ab­gren­zung der Fir­ma vom Na­tio­nal­so­zia­lis­mus in der Chro­nik an­ge­führt wor­den sein. Zur Rol­le der Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ist so gut wie nichts be­kannt. Im Bun­des­ar­chiv in Ber­lin be­fin­det sich al­ler­dings ein Do­ku­ment der Reichs­ar­beits­kam­mer, in dem die Fir­ma ge­nannt wird. Da­bei han­delt es sich um die Ab­schrift ei­ner An­spra­che, die auf der „Ta­gung der Reichs­ar­beits­kam­mer am 01. Mai 1940 zur Aus­zeich­nung „Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Mus­ter­be­trie­be“ in Es­sen[8] ge­hal­ten wur­de. Dar­in hei­ßt es, dass das Un­ter­neh­men Neu­ge­baur & Loh­mann im Ar­beits­jahr 1940/1941 zum ers­ten Mal die Aus­zeich­nung „Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Mus­ter­be­trie­b“ er­hielt und da­mit zu den 297 Be­trie­ben ge­hör­te, die die­se „höchs­te Aus­zeich­nun­g“ tru­gen. 1940 zähl­te die Fa­mi­lie Loh­mann al­so wie es scheint noch zur Eli­te des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Un­ter­neh­mer­tums. Ob und war­um sich dies än­der­te, ist nicht zu er­mit­teln. Nach der Still­le­gung des ei­ge­nen Be­trie­bes konn­te Hu­go Loh­mann 300 sei­ner Ar­beits­kräf­te zur Lohn­ar­beit an die che­mi­sche In­dus­trie wei­ter­ver­mit­teln.

3.3 Zerstörung und Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Stadt Em­me­rich war be­reits 1940 erst­mals bom­bar­diert wor­den. Bis Kriegs­en­de gab es wei­te­re Bom­ben­an­grif­fe. Den letz­ten und schwers­ten An­griff auf Em­me­rich flo­gen am 7.10.1944 bri­ti­sche Lan­cas­ter-Bom­ber[9]: Die Stadt brann­te ta­ge­lang, am En­de war sie zu 97 Pro­zent zer­stört. Die Über­le­ben­den des An­griffs wur­den zu Was­ser und zu Lan­de, mit Mi­li­tär­last­wa­gen und Pfer­de­fuhr­wer­ken eva­ku­iert.

Auch die Fa­brik- und Bü­ro­ge­bäu­de der Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann brann­ten bis auf die Grund­mau­ern nie­der. Am Tag des An­grif­fes wur­de noch ge­ar­bei­tet, doch ka­men kei­ne Men­schen in der Fa­brik ums Le­ben, da die Ar­beit ei­ne Stun­de vor der Bom­bar­die­rung ein­ge­stellt wor­den war. Meh­re­re Mit­ar­bei­ter star­ben je­doch an­ders­wo in der Stadt bei den An­grif­fen. 

Nach der Bom­bar­die­rung la­gen al­le Be­trie­be in Em­me­rich still. Hu­go Loh­mann sorg­te da­für, dass die Be­triebs­an­ge­hö­ri­gen, die noch nicht eva­ku­iert wor­den wa­ren, ge­mein­sam mit ih­ren Fa­mi­li­en ins sau­er­län­di­sche Meg­gen (heu­te Stadt Len­nestadt) ge­bracht wur­den und dort vor­über­ge­hend Zu­flucht fan­den. Hier ver­such­ten sie in ei­ner Gast­wirt­schaft ei­nen klei­nen Aus­weich­be­trieb wei­ter­zu­füh­ren, doch so­lan­ge der Krieg an­dau­er­te, war dies nicht wirk­lich mög­lich. Nach Kriegs­en­de wur­de in ei­nem an­de­ren Aus­weich­be­trieb in Duis­burg-Mei­de­rich wei­ter­pro­du­ziert. Die Zwie­back-Fa­brik Tho­mas stell­te Neu­ge­baur & Loh­mann hier ei­nen Raum zur Ver­fü­gung, in dem mit den ein­fachs­ten Mit­teln wie­der et­was her­ge­stellt wer­den konn­te. Gleich­zei­tig fan­den sich in Em­me­rich ei­ni­ge Mit­ar­bei­ter ein, um die Trüm­mer und den Schutt der al­ten Fa­brik weg­zu­räu­men und aus Al­lem, was noch halb­wegs brauch­bar war, neu­es Bau­ma­te­ri­al zu schaf­fen. So konn­ten noch vor der Wäh­rungs­re­form 1948 der Kel­ler und zwei Ge­schos­se der Fa­brik wie­der­her­ge­stellt wer­den. Be­reits im dar­auf­fol­gen­den Jahr ver­ließ die ers­te Ta­fel Scho­ko­la­de wie­der die Em­me­ri­cher Fa­brik. Im Jahr 1950 wur­den auch die obe­ren Stock­wer­ke der Fa­brik fer­tig ge­stellt und die Scho­ko­la­den­pro­duk­ti­on fand wie­der kom­plett in Em­me­rich statt.

Beim Wie­der­auf­bau der Fa­brik soll Hu­go Loh­mann be­son­de­ren Wert auf den In­nen­aus­bau ge­legt und die Ge­stal­tung der äu­ße­ren Fas­sa­de zu­rück­ge­stellt ha­ben. Die neue Fa­brik soll­te in Be­zug auf Tech­nik, Hy­gie­ne und Be­triebs­wirt­schaft den neu­es­ten Stan­dards ent­spre­chen. Die neu­en so­zia­len und hy­gie­ni­schen Ein­rich­tun­gen soll­ten die Ar­beits­freu­de und -leis­tung stei­gern und äu­ßers­te Sau­ber­keit ge­währ­leis­ten. Da­zu wur­den Auf­ent­halts­räu­me, ei­ne Gar­ten­an­la­ge und für die weib­li­chen Mit­ar­bei­te­rin­nen Bä­der so­wie Dusch­mög­lich­kei­ten für die männ­li­chen Mit­ar­bei­ter ein­ge­rich­tet.

3.4 Die florierende Nachkriegszeit

Ob­wohl die Fir­ma in der Nach­kriegs­zeit zu­nächst Mü­he hat­te, an Roh­stof­fe für die Pro­duk­ti­on zu ge­lan­gen, konn­te sie ab dem Jahr 1950 wie­der al­le Pro­duk­te an­bie­ten, die sie vor dem Krieg her­ge­stellt hat­te und für die sie be­kannt war. Im glei­chen Jahr wur­de ne­ben der Ein­zel­fir­ma die Neu­ge­baur & Loh­mann GmbH ge­grün­det, zu de­ren Ge­sell­schaf­tern ne­ben Hu­go Loh­mann sei­ne Söh­ne Joa­chim (ge­bo­ren 1923) und Ge­org (ge­bo­ren 1927) zähl­ten. Die­se ar­bei­te­ten seit den 1950er Jah­ren mit in der Ge­schäfts­lei­tung, Hu­go Loh­mann zog sich je­doch bis zu­letzt nicht voll­stän­dig aus dem Ge­schäft zu­rück[10]. Die Söh­ne schei­nen bis zur Fir­men­schlie­ßung nur Ju­ni­or­chefs ge­we­sen zu sein.

Wie sein Va­ter Ge­org en­ga­gier­te sich auch Hu­go Loh­mann im öf­fent­li­chen Le­ben. Er war Mit­glied der Voll­ver­samm­lung der Nie­der­rhei­ni­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer Duis­burg-We­sel, Vor­stands­mit­glied des Ver­ban­des Deut­scher Scho­ko­la­den­fa­bri­kan­ten e.V. in Bonn und Mit­glied des Ku­ra­to­ri­ums der Süß­wa­ren­wis­sen­schaft­li­chen Zen­tral­stel­le in Köln[11].

Im Jahr 1952 be­ging die Fa­mi­lie Loh­mann ihr 100-jäh­ri­ges Fir­men­ju­bi­lä­um. Aus die­sem An­lass ver­an­stal­te­te sie ei­ne gro­ße Fei­er, zu der vie­le hoch­ran­gi­ge Eh­ren­gäs­te aus Po­li­tik und Süß­wa­ren­wirt­schaft ein­ge­la­den wa­ren. Zu den Gast­red­nern zähl­ten der Vor­sit­zen­de des Ver­ban­des Deut­scher Scho­ko­la­den­fa­bri­kan­ten e.V., Kom­mer­zi­en­rat Dr. H. Sta­eh­le, der stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de des Fach­ver­ban­des der Süß­wa­ren-In­dus­trie Au­gust Be­cker und der Prä­si­dent der Nie­der­rhei­ni­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer zu Duis­burg-We­sel E. Schult­ze. So­gar der Mi­nis­ter­prä­si­dent Nord­rhein-West­fa­lens, Karl Ar­nold, hielt ei­ne Re­de zu Eh­ren des Un­ter­neh­mens[12].

Auch in der Fach­pres­se er­fuhr das Loh­mann­sche Fir­men­ju­bi­lä­um ein gro­ßes Echo. Nach dem of­fi­zi­el­len Fest­akt, der in zwei üp­pig ge­schmück­ten Sä­len statt­fand, gin­gen die Fei­er­lich­kei­ten mit ei­nem Mit­tag­es­sen auf dem Rhein­damp­fer „West­mar­k“ wei­ter[13].

Mit­te der 1950er Jah­re lie­fen die Ge­schäf­te der Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann her­vor­ra­gend. In ei­nem Fo­to­al­bum, in dem die ein­zel­nen Ar­beits­schrit­te in der Fa­brik fest­ge­hal­ten wur­den, fin­det sich ein hand­schrift­li­cher Ver­merk, der die be­lie­fer­ten Ex­port­län­der die­ser Zeit auf­zählt: Die USA, Ka­na­da, Aus­tra­li­en, Eng­land, Hol­land, Bel­gi­en, Frank­reich und Dä­ne­mark[14]. Zu Spit­zen­zei­ten im Jahr 1955 wa­ren über 1.000 Men­schen bei Neu­ge­baur & Loh­mann be­schäf­tigt, was die Fa­brik zum grö­ß­ten Ar­beit­ge­ber Em­me­richs mach­te. Trotz­dem fehl­te es sei­ner­zeit an Sai­son­ar­beits­kräf­ten für das Weih­nachts- und Os­ter­ge­schäft, da in Em­me­rich und dem nä­he­ren Um­land kei­ne Ar­bei­te­rin­nen mehr zu fin­den wa­ren[15]. Zur glei­chen Zeit wur­de das Be­triebs­ge­län­de um zwei Neu­bau­ten er­wei­tert. So ka­men an der Agne­ten­stra­ße ein neu­er Quer­rie­gel, der di­rekt an das Haupt­ge­bäu­de an­schloss, so­wie ein Kel­ler hin­zu. Der Quer­rie­gel dien­te zur Ver­län­ge­rung des Mas­sen­saa­les, in dem die Scho­ko­la­den-Grund­mas­se ge­mischt und ge­walzt wur­de. Der Kel­ler dien­te als Pack- und La­ger­raum. Auf Grund der di­rek­ten In­nen­stadt­la­ge wa­ren die räum­li­chen Aus­deh­nungs­mög­lich­kei­ten be­grenzt. Die Rhei­ni­sche Post schreibt je­doch, dass die Stadt Em­me­rich dar­um be­müht war, die Fir­ma bei der Be­schaf­fung des be­nö­tig­ten Ge­län­des zu un­ter­stüt­zen[16]. In die­sem Zu­sam­men­hang kam es zu ei­nem Rechts­streit zwi­schen ei­nem ehe­ma­li­gen Grund­stücks­be­sit­zer und der Stadt Em­me­rich. Der ehe­ma­li­ge Grund­stücks­be­sit­zer be­schwer­te sich 1961 beim Ober­kreis­di­rek­tor in We­sel, dem Sitz des Krei­ses Rees, dar­über, dass er 1955 von der Stadt Em­me­rich da­zu ge­nö­tigt wor­den sei, sein Grund­stück am Non­nen­platz 2 zu Stra­ßen­bau­zwe­cken zu ver­kau­fen. An­schlie­ßend ha­be die Stadt es je­doch di­rekt an die Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann zur Er­wei­te­rung ih­res Be­triebs­ge­län­des wei­ter­ver­kauft, wes­we­gen die ur­sprüng­lich ge­plan­te Stra­ße nie ge­baut wor­den sei. Noch bis 1973 ver­such­te der ehe­ma­li­ge Grund­stücks­ei­gen­tü­mer er­folg­los. den Kauf­ver­trag zu wi­der­ru­fen[17].

Eben­falls 1955 be­auf­trag­te die Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann den Ma­ler Wil­helm Holz­hau­sen (1907-1988)[18] da­mit, die Emp­fangs­hal­le des Em­me­ri­cher Bahn­hofs mit ei­nem gro­ßen Wand­ge­mäl­de im Werk­kunst­stil zu ge­stal­ten. Das Wand­bild zeig­te den Weg der Scho­ko­la­de von sei­ner An­bau­re­gi­on in Afri­ka über den Oze­an bis hin zum Fa­brik­ge­bäu­de Neu­ge­baur & Loh­manns in Em­me­rich. In der Lo­kal­pres­se wur­de das Wand­bild als an­er­ken­nens­wer­te Leis­tung der Fir­ma zu Guns­ten Em­me­richs At­trak­ti­vi­tät als Grenz­stadt ge­lobt[19]. Das be­weist, welch gro­ßen Ein­fluss die Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann auf die ge­sam­te Stadt ge­habt ha­ben muss. Sie war nicht nur ein äu­ßerst wich­ti­ger Ar­beit­ge­ber, sie präg­te auch das kul­tu­rel­le Le­ben der Stadt. Su­san­ne Hil­ger zu­fol­ge ist die kul­tu­rel­le und so­zia­le Prä­gung des lo­ka­len Um­felds ein ty­pi­sches Merk­mal für Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men. So grün­de­ten die­se häu­fig öf­fent­li­che Ein­rich­tun­gen, wie Schu­len oder Kran­ken­häu­ser, bau­ten ih­re Fa­bri­ken und Wohn­häu­ser in re­prä­sen­ta­ti­ver Ar­chi­tek­tur oder en­ga­gier­ten sich als Mä­ze­ne in Kunst und Kul­tur[20].

Auch zu Be­ginn der 1960er Jah­re lie­fen die Ge­schäf­te der Scho­ko­la­den­fir­ma noch gut. Auf Grund des zu­neh­men­den Ar­beits­kräf­te­man­gels am Stand­ort des Stamm­werks er­rich­te­te das Un­ter­neh­men 1960 ein Zweig­werk in Möl­len im da­ma­li­gen Kreis Dins­la­ken. Das Zweit­werk bot Ar­beits­plät­ze für 100-200 Ar­bei­te­rin­nen, die meist Berg­ar­bei­ter­frau­en wa­ren und im Schicht­be­trieb Sai­son­ar­ti­kel ver­pack­ten[21]. Im dar­auf­fol­gen­den Jahr wur­de die so­ge­nann­te „Un­ter­stüt­zungs­kas­se der Neu­ge­baur & Loh­mann GmbH. e.V.“ ge­grün­det. Sie soll­te da­zu die­nen, al­len An­ge­stell­ten der Fir­ma in Not­fäl­len so­wie nach 15-jäh­ri­ger Be­triebs­zu­ge­hö­rig­keit im Al­ter ei­ne fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung zu er­mög­li­chen. Die Kas­se soll­te sich nicht aus Bei­trä­gen der Be­leg­schaft, son­dern aus­schlie­ß­lich durch die Ge­win­ne der Fir­ma selbst fi­nan­zie­ren[22].

3.5 Das Aus für Lohmann

En­de der 1960er Jah­re ver­schlech­ter­te sich die wirt­schaft­li­che La­ge der Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann. Kos­ten­stei­ge­run­gen und teil­wei­se er­heb­li­che Ver­teue­run­gen der Roh­stof­fe auf dem Welt­markt führ­ten in der gan­zen Scho­ko­la­den-Bran­che zum Ka­pa­zi­täts­ab­bau. Im Loh­mann­schen Be­trieb wur­de die Mit­ar­bei­ter­zahl auf 360 Per­so­nen[23] re­du­ziert, und es kam im­mer wie­der zu Li­qui­di­täts­eng­päs­sen[24]. Mit dem Jahr 1970 be­gann dann der An­fang vom En­de: Am 23.1.1970 in­for­mier­te die Fir­ma ih­re Kun­den dar­über, dass die Neu­ge­baur & Loh­mann Ka­kao- und Scho­ko­la­den­fa­brik GmbH ih­re Zah­lun­gen ein­ge­stellt und beim Amts­ge­richt in Kle­ve die Er­öff­nung ei­nes Ver­gleichs­ver­fah­rens be­an­tragt ha­be. Als Grund nann­te die Ge­schäfts­füh­rung die er­heb­li­chen Kos­ten­stei­ge­run­gen, die durch die Ent­wick­lung der Roh­stoff­prei­se auf dem Welt­markt zu­stan­de ge­kom­men sei­en[25]. Für die An­ge­stell­ten der Fir­ma und die Öf­fent­lich­keit muss die­se Nach­richt recht plötz­lich ge­kom­men sein. So schreibt die Rhei­ni­sche Post, dass zwar seit En­de 1969 Ge­rüch­te über ein mög­li­ches Aus kur­sier­ten, die Be­kannt­ga­be über die Zah­lungs­ein­stel­lung und die Ein­lei­tung ei­nes Ver­gleichs­ver­fah­rens aber trotz­dem wie ei­ne Bom­be ein­schlug[26]. In ei­nem kurz dar­auf er­schie­ne­nen Ar­ti­kel in der Rhei­ni­schen Post wird be­tont, dass die Fir­ma al­len Mit­ar­bei­tern trotz der un­ge­wis­sen La­ge ihr vol­les Ge­halt zu­ge­si­chert ha­be und nie­mand ge­kün­digt wür­de. Die Ge­schäfts­lei­tung be­müh­te sich statt­des­sen um Ver­hand­lun­gen mit an­de­ren Un­ter­neh­men, die die Fa­brik in­klu­si­ve der Ge­samt­be­leg­schaft über­neh­men soll­ten. Als mög­li­che Über­nah­me­fir­men wur­den Sie­mens und ein Scho­ko­la­den­un­ter­neh­men, bei dem es sich dem Re­por­ter zu­fol­ge wahr­schein­lich um die Fir­ma Bens­dorp han­del­te, ge­nannt[27]. In ei­nem Schrei­ben der Ge­schäfts­lei­tung an die An­ge­stell­ten und ge­werb­li­chen Mit­ar­bei­ter der Fir­ma wur­de Mit­te Fe­bru­ar 1970 da­zu auf­ge­ru­fen, nicht zu kün­di­gen, da um­fang­rei­che Ver­hand­lun­gen ge­führt wür­den, wo­nach selbst un­ter Mit­hil­fe von Kon­kur­renz­fir­men ei­ne Fort­füh­rung des Be­trie­bes ge­währ­leis­tet wer­den soll­te[28]. Im März 1970 wur­de das Ver­gleichs­ver­fah­ren über das Ver­mö­gen der Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann Ka­kao- und Scho­ko­la­den­fa­brik GmbH er­öff­net, ei­nen Mo­nat spä­ter ei­ne Ei­ni­gung mit den Gläu­bi­gern er­zielt und mit der Li­qui­da­ti­on der Fir­ma be­gon­nen[29].

Zur Über­nah­me der Fir­ma durch ein an­de­res Un­ter­neh­men kam es trotz der um­fang­rei­chen Ver­hand­lun­gen letzt­lich nicht. Im Zu­ge der Li­qui­da­ti­on wur­den je­doch der Na­me „Loh­man­n“ und die Re­zep­te der Fir­ma ver­kauft[30]. Käu­fer war das Un­ter­neh­men Wis­soll aus Mül­heim an der Ruhr, das die Pro­duk­ti­on der be­rühm­ten Man­del-Milch-Nuss Scho­ko­la­de un­ter dem Na­men Loh­mann für mehr als 30 Jah­re wei­ter­führ­te[31].

4. Die Bedeutung der Firma für die Stadt Emmerich

4.1 Familienunternehmen in der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung

Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men präg­ten und prä­gen noch heu­te ma­ß­geb­lich die deut­sche wie die glo­ba­le Wirt­schaft. Ei­ne ex­ak­te Zahl, wie vie­le Un­ter­neh­men tat­säch­lich als Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men ge­zählt wer­den kön­nen, ist kaum zu er­mit­teln, da es kei­ne all­ge­mein­gül­ti­ge De­fi­ni­ti­on für die­se Un­ter­neh­mens­form gibt. Sa­bi­ne Klein geht da­von aus, dass es sich bei cir­ca 84 Pro­zent der bun­des­deut­schen Un­ter­neh­men um Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men han­delt[32]. Da­vid S. Lan­des schreibt 2006, dass in ganz Eu­ro­pa et­wa 60-90 Pro­zent al­ler Un­ter­neh­men Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men sei­en, in den USA Mit­te der 1990er Jah­re so­gar über 90 Pro­zent[33]. Das be­legt, welch gro­ßen Ein­fluss das Mo­dell des Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens auch heu­te noch auf die Wirt­schaft aus­übt und wi­der­legt die The­se, dass Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men über­hol­te Re­lik­te aus vor­in­dus­tri­el­ler Zeit sei­en. Ma­ß­geb­lich für die­se Ein­schät­zung, die lan­ge den wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs do­mi­nier­te, wa­ren die Ar­bei­ten des US-ame­ri­ka­ni­schen Wirt­schafts­his­to­ri­kers A.D. Chand­ler. Die­ser be­ton­te in den 1960er Jah­ren, dass die ame­ri­ka­ni­sche Wirt­schaft von ei­nem Über­gang­s­cha­rak­ter ge­prägt sei und sich aus­ge­hend vom Mo­dell des Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens hin zum ma­na­ger­ge­führ­ten Un­ter­neh­men ent­wi­ckeln wür­de. Chand­ler ging da­von aus, dass Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men im Zu­ge ih­res Wachs­tums un­wei­ger­lich auf ex­ter­nes Ka­pi­tal so­wie auf ex­ter­ne Fach­kräf­te zu­rück­grei­fen und so­mit ihr Un­ter­neh­men Stück für Stück aus der Hand ge­ben müss­ten[34].

Mit der Über­füh­rung ei­nes Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens in ei­ne Ak­ti­en­ge­sell­schaft oder in ein ma­na­ger­ge­führ­tes Un­ter­neh­men geht je­doch nicht zwangs­läu­fig ei­ne kom­plet­te Auf­ga­be der fa­mi­liä­ren Vor­macht­stel­lung ein­her. So ver­weist Lan­des auf ei­nen Ar­ti­kel der Zeit­schrift Busi­ness Week, in dem es hei­ßt, ein Fa­mi­li­en­stamm­baum sei für ein Un­ter­neh­men ei­ner der grö­ß­ten stra­te­gi­schen Vor­tei­le, denn „Fir­men, in de­nen die Grün­der oder ih­re Fa­mi­li­en sich ei­ne star­ke Po­si­ti­on be­wahrt ha­ben – im Ma­nage­ment, im Vor­stand, im Auf­sichts­rat und/ oder als Gro­ßak­tio­nä­re –, be­haup­ten sich am Markt ent­schie­den bes­ser als ih­re ma­na­ger­ge­führ­ten Kon­kur­ren­ten.“[35] 

Al­ler­dings liegt in den viel­fäl­ti­gen Mög­lich­kei­ten des mo­der­nen Un­ter­neh­mens­auf­baus auch gleich­zei­tig das Pro­blem der ein­deu­ti­gen De­fi­ni­ti­on ei­nes Un­ter­neh­mens als Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men. Ver­schie­de­ne Au­to­ren ver­su­chen sich an ei­ge­nen De­fi­ni­tio­nen. So be­schreibt bei­spiel­wei­se Klein zu­nächst die Fa­mi­lie als „[…] ei­ne Grup­pe von Men­schen […], die in ei­nem di­rek­ten ver­wandt­schaft­li­chen Ver­hält­nis zu­ein­an­der ste­hen und die von ei­ner [Her­vor­he­bung sic] de­fi­nier­ten Ur­sprungs­ehe ab­stam­men, so­wie de­ren Ehe­part­ner.“[36] Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men ver­steht Klein als ei­ne Teil­men­ge al­ler Un­ter­neh­men, die, wie je­des Un­ter­neh­men, in kon­ti­nu­ier­li­chem Aus­tausch mit ih­rer Um­welt ste­hen. Der Un­ter­schied lie­ge je­doch dar­in, dass die Fa­mi­lie in ei­nem grö­ße­ren Ma­ße Ein­fluss auf die­sen Aus­tausch­pro­zess neh­men kön­ne als je­de an­de­re In­ter­es­sen­grup­pe. Als ma­ß­geb­lich sei die­ser Ein­fluss dann zu be­zeich­nen „[…], wenn die Fa­mi­lie ei­nen der Ein­fluß­fak­to­ren Ei­gen­ka­pi­tal, Kon­trol­le oder Ma­nage­ment voll­stän­dig do­mi­niert oder der Min­der­ein­fluß durch ent­spre­chen­den Ein­fluß bei ei­nem an­de­ren Fak­tor aus­ge­gli­chen wird. Als not­wen­di­ge Be­din­gung wird ei­ne Be­tei­li­gung der Fa­mi­lie am Ei­gen­ka­pi­tal vor­aus­ge­setzt.“

Für Sach­se ist die Un­ter­neh­mens­struk­tur ei­nes Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens eben­falls kein aus­schlag­ge­ben­des Merk­mal, son­dern der ge­ne­ra­tio­nen­über­grei­fen­de An­spruch der Ei­gen­tü­mer-Fa­mi­lie auf das Un­ter­neh­men.[37] Für ihn ist ein Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men „[…]ei­ne his­to­risch-so­zio­lo­gi­sche Ka­te­go­rie, die die auf Dau­er aus­ge­leg­te Ver­bin­dung von Un­ter­neh­men und Fa­mi­lie un­ter be­triebs­wirt­schaft­li­chen, volks­wirt­schaft­li­chen und so­zio­lo­gi­schen Ge­sichts­punk­ten kenn­zeich­net, wo­bei Bin­nen­struk­tur und Grö­ße der Fa­mi­lie nicht ein­deu­tig fest­ge­legt sind.“ Auch Hil­ger plä­diert für ei­ne weit ge­fass­te De­fi­ni­ti­on, da­mit „[…] al­le recht­li­chen Er­schei­nungs­for­men ei­nes Un­ter­neh­mens von der Per­so­nen­ge­sell­schaft über die GmbH (1892) und die Kom­man­dit­ge­sell­schaft bis hin zur Ak­ti­en­ge­sell­schaft über di­a­chro­ne Ver­läu­fe hin­weg als Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men zu fas­sen […]“[38] sind. Das zen­tra­le Kon­struk­ti­ons­ele­ment ei­nes Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens stellt für Hil­ger eben­falls des­sen Mehr­ge­ne­ra­tio­na­li­tät dar. Gleich­zei­tig weist sie je­doch dar­auf hin, dass die­se auch der wun­de Punkt ei­nes je­den Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mens sei. Sach­se stellt hier­zu fest, dass Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men meist in der ers­ten Ge­ne­ra­ti­on klein be­gin­nen, in der zwei­ten dann ei­nen Auf­schwung er­le­ben und in der drit­ten Ge­ne­ra­ti­on, wenn sie so­lan­ge be­ste­hen kön­nen, ei­ne struk­tu­rel­le Kri­se er­fah­ren, da sich das Un­ter­neh­men und die mitt­ler­wei­le grö­ßer ge­wor­de­ne Fa­mi­lie von ein­an­der ent­frem­den. Wenn das Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men die­se Kri­se je­doch über­steht, sieht Sach­se gu­te Chan­cen für ei­ne Fort­exis­tenz in den dar­auf­fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen[39]. Auch Lan­des be­trach­tet die drit­te als die Schlüs­sel-Ge­ne­ra­ti­on für die De­fi­nie­rung ei­nes Un­ter­neh­mens als Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men. Er spricht ab der drit­ten Ge­ne­ra­ti­on von ei­ner Dy­nas­tie[40].

Die Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann wur­de von zwei Schwä­gern ge­grün­det und bis in die vier­te Ge­ne­ra­ti­on von den Söh­nen der Fa­mi­lie Loh­mann ge­lei­tet. Im Sin­ne Kleins stan­den al­so al­le Chefs in ei­ner di­rek­ten ver­wandt­schaft­li­chen Li­nie zu­ein­an­der und ent­stamm­ten der Ur­sprungs­ehe von Hu­go und Chris­ti­ne Loh­mann. Die Ein­fluss­fak­to­ren Ei­gen­ka­pi­tal, Kon­trol­le und Ma­nage­ment sind durch die we­ni­gen er­hal­te­nen Quel­len nur schwer zu be­ur­tei­len, es ist je­doch da­von aus­zu­ge­hen, dass die Fir­ma zu­min­dest bis zu ih­rer Pha­se als Fa­mi­li­en AG von 1921-1936 auf dem Ka­pi­tal der Fa­mi­lie Loh­mann be­zie­hungs­wei­se an­fangs dem bei­der Fa­mi­li­en fu­ß­te. In Be­zug auf die As­pek­te Kon­trol­le und Ma­nage­ment scheint mit Aus­nah­me des Pro­ku­ris­ten Ste­phan Heu­vel­mann, der Hu­go Loh­mann wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs vor­rü­ber­ge­hend ver­trat, kei­ne wei­te­re Füh­rungs­per­son in der Fir­ma tä­tig ge­we­sen zu sein, die nicht di­rekt der Fa­mi­lie ent­stamm­te. Aus die­sem Grund ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Fa­mi­lie Loh­mann bis zur Fir­men­schlie­ßung die ma­ß­geb­li­che Kon­trol­le über ih­re Fir­ma be­hielt. Da das Un­ter­neh­men vier Ge­ne­ra­tio­nen lang exis­tier­te, er­füllt es de­fi­ni­tiv das Kri­te­ri­um der Mehr­ge­ne­ra­tio­na­li­tät und lässt sich nach Lan­des so­gar als Dy­nas­tie be­zeich­nen. 

4.2 Hugo Lohmann genoss größtes Ansehen

Be­son­ders Hu­go Loh­mann, Fir­men­chef in der drit­ten Ge­ne­ra­ti­on, präg­te das Bild der Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann in der Öf­fent­lich­keit. Er führ­te das Un­ter­neh­men durch bei­de Welt­krie­ge und meis­ter­te nach 1944 den Wie­der­auf­bau der völ­lig zer­stör­ten Fa­brik in Em­me­rich. So­wohl in der Fach­pres­se als auch in den Lo­kal­zei­tun­gen wird er da­her in den höchs­ten Tö­nen ge­lobt. So schrieb der Gor­di­an bei­spiels­wei­se im De­zem­ber 1953 an­läss­lich Hu­go Loh­manns 40-jäh­ri­gen Ar­beits­ju­bi­lä­ums: „Je­de Zei­le [der Un­ter­neh­mens­chro­nik] lä­ßt er­ken­nen, daß es im Le­ben Hu­go Loh­manns das Wort „un­mög­li­ch“ nicht gab. […] Aus­ge­prägt ist sei­ne für­sorg­li­che Ein­stel­lung sei­nen Mit­ar­bei­tern ge­gen­über und be­zeich­nend sei­ne ste­te Be­reit­wil­lig­keit, der All­ge­mein­heit mit sei­nen gro­ßen Er­fah­run­gen un­ei­gen­nüt­zig zu die­nen.“[41] 

In der Lo­kal­pres­se wird be­son­ders be­tont, wie wich­tig die Rück­kehr Hu­go Loh­manns zum al­ten Stand­ort sei­ner Fa­brik nach dem Zwei­ten Welt­krieg für die Stadt Em­me­rich war. Die Neue Ruhr-Zei­tung schrieb 1954 zu sei­nem 65. Ge­burts­tag: „Sei­ner Tat­kraft ist es zu ver­dan­ken, daß das Werk sei­ne heu­ti­ge Be­deu­tung wie­der­er­lang­te, der schwer um ih­ren Auf­bau rin­gen­den Stadt ein wert­vol­ler In­dus­trie­zweig er­hal­ten blieb und die Be­völ­ke­rung wie­der Ar­beits­plät­ze fand.“[42] In der Rhei­ni­schen Post hieß es zum glei­chen An­lass: „Sei­ne An­häng­lich­keit an die Stadt sei­ner Vor­fah­ren be­währ­te sich ganz be­son­ders, als Em­me­rich in Trüm­mern lag […]. Für den da­ma­li­gen Bür­ger­mei­ter [sic] Hu­bert Fink, den spä­te­ren Stadt­di­rek­tor, war […] die­se Zu­sa­ge [(Hu­go Loh­manns die Fa­brik in Em­me­rich wie­der auf­zu­bau­en)] ein Si­gnal zum Mut für den Ein­satz al­ler Kräf­te zum Wie­der­auf­bau.“[43] Auch zehn Jah­re spä­ter, an­läss­lich Hu­go Loh­manns 75. Ge­burts­tags, wid­me­te die Rhei­ni­sche Post ihm ei­nen Ar­ti­kel, in dem sie sich wie­der für sei­ne Treue zum Stand­ort Em­me­rich be­dank­te und be­ton­te, dass die Scho­ko­la­den­fa­brik zu den wich­tigs­ten und äl­tes­ten Be­trie­ben der Em­me­ri­cher Wirt­schaft ge­hö­re[44]. Auch zum 80. Ge­burts­tag be­kräf­tig­te die Rhei­ni­sche Post im Jahr 1969 - ein paar Mo­na­te vor der Schlie­ßung der Fa­brik - wie wich­tig es ge­we­sen sei, dass Hu­go Loh­mann sei­ne Fa­brik in Em­me­rich wie­der auf­ge­baut ha­be und nicht an ei­nen an­de­ren Stand­ort ge­wech­selt sei, denn „[d]ie­ser In­itia­ti­ve ver­dankt die Grenz­stadt meh­re­re hun­dert Ar­beits­plät­ze – haupt­säch­lich für Frau­en – so­wie Auf­trä­ge für Hand­wer­ker, Spe­di­teu­re usw.“[45] 

Die Söh­ne Hu­go Loh­manns, die Fir­men­in­ha­ber in vier­ter Ge­ne­ra­ti­on, Joa­chim und Ge­org Loh­mann, tau­chen in den ar­chi­vier­ten Zei­tungs­ar­ti­keln nur als Ver­weis auf die neue, vier­te Ge­ne­ra­ti­on der „Loh­män­ner“ auf[46]. Über sie per­sön­lich wird nichts be­rich­tet. Da sich Hu­go Loh­mann auch als Se­ni­or­chef bis ins ho­he Al­ter nicht gänz­lich aus der Fir­ma zu­rück­zog, scheint bis zur Schlie­ßung der Fa­brik das ge­sam­te öf­fent­li­che In­ter­es­se auf ihn ge­rich­tet ge­we­sen zu sein.

4.3 Erinnerungen an den Firmenalltag in der Nachkriegszeit

In den Zei­tungs­ar­ti­keln, die nach der Werks­schlie­ßung im Jahr 1970 ver­öf­fent­licht wur­den, kom­men im­mer wie­der ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter von Neu­ge­baur & Loh­mann zu Wort, um ih­re Er­in­ne­run­gen an den Ar­beits­all­tag in der Fa­brik mit­zu­tei­len. Dies be­legt ein­drucks­voll, wie tief sie sich auch im ho­hen Al­ter noch mit der Fir­ma ver­bun­den fühl­ten. Hil­ger er­klärt die­se Ver­bun­den­heit durch den gro­ßen Teil, den man­che Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men zur kul­tu­rel­len und so­zia­len Iden­ti­tät ih­rer Re­gi­on bei­tru­gen. Vie­le Un­ter­neh­mer­fa­mi­li­en über­nah­men so­zia­le Ver­ant­wor­tung für ih­re An­ge­stell­ten und de­ren Fa­mi­li­en, wes­we­gen sich die­se mit dem Un­ter­neh­men iden­ti­fi­zier­ten und sich bei­spiels­wei­se als „Sie­men­sia­ner“ oder „Krup­pia­ner“ be­zeich­ne­ten[47].

Heinz Jens­ter, der ehe­ma­li­ge Per­so­nal­chef der Fir­ma, be­rich­te­te 2002, dass er bei der Hun­dert­jahr­fei­er 1952 als Lehr­ling die Gäs­te am Bahn­hof ab­ge­holt ha­be und wich­ti­ge Gäs­te so­gar mit Blau­licht zum Rhein­damp­fer West­mark ge­fah­ren wor­den sei­en. An­ne­lie­se Hee­ring, ehe­ma­li­ge Ju­gend­spre­che­rin im Be­triebs­rat des Un­ter­neh­mens, er­in­ner­te sich an den Be­ginn der Ak­kord­ar­beit bei Neu­ge­baur & Loh­mann[48]. Sie fing An­fang der 1950er Jah­ren in der Fa­brik an und wuss­te noch, dass die Pra­li­nen an­fangs per Hand ver­packt wur­den. Erst 1953 kam ei­ne Sta­ni­o­lier-Ma­schi­ne hin­zu und spä­ter ein Fließ­band. Im Ar­ti­kel wird sie mit den Wor­ten: „Die ers­te Wo­che sind wir noch mit dem Band ge­lau­fen, bis wir uns dran ge­wöhnt hat­ten“ zi­tiert. Auch an die stren­gen Kon­trol­len zu Schich­ten­de er­in­ner­te sich Hee­ring. Da das Na­schen wäh­rend der Ar­beit streng ver­bo­ten war, ge­nau­so, wie et­was ein­zu­ste­cken, gab es nach je­der Schicht Lei­bes­vi­si­ta­tio­nen, die von der so­ge­nann­ten „Vi­si­teu­se“ durch­ge­führt wor­den. Auch an ih­ren da­ma­li­gen Stun­den­lohn konn­te sich Hee­ring er­in­nern: „Ich ha­be für 75 Pfen­nig die Stun­de ge­ar­bei­tet […] Wir wa­ren nach dem Krieg al­le froh, dass wir wie­der Ar­beit hat­ten!“ Fritz Kos­ins­ky gab an, dass er da­mals 1,17 Mark Stun­den­lohn be­kom­men ha­be[49]. Von ih­rem Ge­halt konn­ten sich die Mit­ar­bei­ter der Loh­mann­schen Fa­brik die hoch­wer­ti­gen Pra­li­nen, die sie her­stell­ten, al­ler­dings nicht leis­ten. Sie be­ka­men statt­des­sen so­ge­nann­te „Zu­tei­lun­gen“. Fritz Kos­ins­ky, der ehe­ma­li­ge Schicht­füh­rer in der Loh­mann­schen Fa­brik, er­in­ner­te sich im In­ter­view mit der Rhei­ni­schen Post dar­an, dass es ein- bis zwei­mal im Mo­nat ei­nen werks­in­ter­nen Scho­ko­la­den­ver­kauf gab, bei dem die An­ge­stell­ten Scho­ko­la­de zum Son­der­preis ein­kau­fen konn­ten[50].

5. Lohmanns Erbe

5.1. Die Ma-Mi-Nu überdauert Lohmann

Zu ei­nem ab­so­lu­ten Ver­kaufs­schla­ger der Fir­ma Neu­ge­baur & Loh­mann hat­te sich nach dem Zwei­ten Welt­krieg die „Man­del-Milch-Nuss Scho­ko­la­de“ ent­wi­ckelt. Die Idee zu die­ser be­son­de­ren Scho­ko­la­de stamm­te vom Fir­men­chef Hu­go Loh­mann[51]. Die Ma-Mi-Nu, wie sie noch heu­te lie­be­voll ge­nannt wird, blieb auch nach dem En­de der Loh­mann­schen Fa­brik für die Fir­ma Wis­soll ein gro­ßer Ver­kaufs­hit. Noch 1997 be­zeich­ne­te die Neue Rhein-Zei­tung die Scho­ko­la­de als „un­sterb­li­che Le­gen­de“, die laut El­ke Re­ß­mann, Pres­se­spre­che­rin der Fir­ma Wis­soll, ei­ne Pro­duk­ti­ons­men­ge von drei Mil­lio­nen Ta­feln pro Jahr um­fass­te. Da­bei wur­de am De­sign der Ver­pa­ckung nichts ver­än­dert, denn die Ma-Mi-Nu ver­kauf­te sich nach Re­ß­mann auch En­de der 1990er Jah­re nur in ih­rem Loh­mann-ty­pi­schen Braun mit gol­de­ner Schrift[52].

Noch heu­te gibt es die Ma-Mi-Nu am Nie­der­rhein zu kau­fen. Mitt­ler­wei­le wird sie von der Fir­ma Hal­lo­ren in der De­litz­scher Scho­ko­la­den­fa­brik her­ge­stellt[53]; es gab auch ei­ne klei­ne Mo­der­ni­sie­rung im äu­ße­ren De­sign. Trotz­dem bleibt die Ma-Mi-Nu in ih­rem brau­nen Pa­pier mit der Gold­prä­gung noch im­mer un­ver­kenn­bar[54].

5.2 Die Umnutzung des Fabrikgebäudes

Nach­dem die Loh­mann­sche Fa­brik 1970 end­gül­tig ih­re To­re schlie­ßen muss­te, stand das Fa­brik­ge­bäu­de lan­ge Zeit leer. Erst 1990 gab es kon­kre­te Plä­ne für de­ren Ver­wen­dung: ein Kul­tur­zen­trum soll­te ein­zie­hen und so die At­trak­ti­vi­tät der Stadt er­hö­hen[55]. Al­ler­dings gab es bis zum En­de der 1990er Jah­re im­mer wie­der Streit um die ge­naue Nut­zung des Ge­bäu­des, bis es schlie­ß­lich 1999 ab­ge­ris­sen wur­de. Zu­rück blieb nur der 1955 an­ge­bau­te Quer­rie­gel an der Agne­ten­stra­ße[56]. Dar­in be­fin­det sich seit 2003 das PAN kunst­fo­rum nie­der­rhein (Pla­kat­mu­se­um am Nie­der­rhein)[57]. 2014 zeig­te das Mu­se­um an­läss­lich sei­nes zehn­jäh­ri­gen Be­ste­hens die Aus­stel­lung „Bit­ter­süß – Scho­ko­la­den-Ge­schich­te(n) aus Em­me­rich und al­ler Welt“, um an die ur­sprüng­li­che Nut­zung des Mu­se­ums­ge­bäu­des zu er­in­nern[58].

Quellen

Bun­des­ar­chiv Ber­lin (BArch):   NS 22/778, Ab­schrift An­spra­che Reichs­ar­beits­kam­mer, 1.5.1940.
Kreis­ar­chiv Kle­ve (KA Kle):   KA Kle S 27,1c, Rech­nung Kon­di­to­rei Haas, 1941; KA Kle R, 8,  No­vem­ber 1961-No­vem­ber 1973.
Stadt­ar­chiv Em­me­rich (StaE):   Loh­mann Samm­lung, Kar­ton B, Fo­to­al­bum mit Fa­bri­k­an­sich­ten und Ar­beits­schrit­ten ab 1956; Kar­ton B, Klar­sicht­hül­le, Mit­tei­lung zur Un­ter­stüt­zungs­kas­se, 20.6.1961; Klemm­map­pe, Schrei­ben an die An­ge­stell­ten, 12.2.1970; Klemm­map­pe, Schrei­ben an die Kun­den, 23.1.1970. - Kar­ton C, Fo­to­al­bum zur 100-Jahr­fei­er; Son­der­ab­druck aus Deut­sche Süß­wa­ren-Zei­tung: „100 Jah­re „Neu­ge­baur & Loh­man­n“, Mit­te Sep­tem­ber 1952; Zei­tungs­ar­ti­kel aus Gor­di­an: „Per­sön­li­che Nach­rich­ten und Ge­denk­ta­ge“, De­zem­ber 1953; Sam­mel­band der Fest­re­den zur 100-Jahr­fei­er. -, Ord­ner 15.10 I (Kul­tur­zen­trum Loh­mann -1996), Zei­tungs­ar­ti­kel aus (un­be­kannt): „Gläu­bi­ger stimm­ten der Li­qui­da­ti­on zu“, 9.4.1970; Zei­tungs­ar­ti­kel aus (un­be­kannt): „Ide­en sol­len Scho­ko­la­den­fa­brik Stück für Stück neu be­le­ben“, 17.3.1990. - Zei­tungs­aus­schnitt­samm­lung, In­ven­tar-Nr. 23.7.15, Ord­ner 23.6 (K-L Ver­schie­de­ne, Ab­schnitt: Loh­mann), Be­schluss über Ver­gleichs­ver­fah­ren, 14.3.1970.

Zeitungsartikel

Neue Rhein Zei­tung: „Die Le­gen­de leb­t“, 19.3.2002; „Die Le­gen­de lebt: Ech­te Ma-Mi-Nu“, 14.2.1997; „Loh­mann er­rich­tet Zweig­werk in Möl­len“, 1.7.1960.
Neue Ruhr-Zei­tung: „Ar­beits­rei­ches Le­ben“, 15.9.1954; „Auch bei Ho­fe schmeck­te die Scho­ko­la­de“, 15.10.1999; „Ein Le­ben für Em­me­richs Wirt­schaf­t“, 13.9.1969; 
Nie­der­rhein­kam­mer: „Ge­org Loh­mann. Gro­ßher­zog­lich-säch­si­scher Hof­lie­fe­rant für Scho­ko­la­de“, No­vem­ber 1987.
Rhei­ni­sche Post: „Dem Er­be ver­pflich­te­t“, 15.9.1954; „Die sü­ße „Ma-Mi-Nu“ hat über­leb­t“,15.10.1999; „Ele­fant und Ne­ger im neu­en Bahn­hof“, 16.8.1955; „Hu­go Loh­mann hielt das Werk in Em­me­rich“, 15.9.1964; „Hu­go Loh­mann wird 80 Jah­re“, 13.9.1969; „Im­mer noch in al­ler Mun­de“, 13.8.2003; „In­di­sches Grab­mal im sü­ßen Be­trie­b“, 12.11.1955; „Sie­mens oder Ka­kao­fa­brik wird Loh­mann über­neh­men“, 29.1.1970; „Sor­ge um 360 Ar­beits­plät­ze“, 27.1.1970.
Der Wes­ten:„Neu ver­pack­te Loh­män­ner“, 18.2.2008. 

Literatur

Hil­ger, Su­san­ne, „Un­der Re­con­struc­tion“ – Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men als Ge­gen­stand der jün­ge­ren wirt­schafts­his­to­ri­schen For­schung, in: Hil­ger, Su­san­ne/Soé­ni­us, Ul­rich S. (Hg.), Netz­wer­ke – Nach­fol­ge – So­zia­les Ka­pi­tal. Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men im Rhein­land im 19. und 20. Jahr­hun­dert, Köln 2009, S. 9-22.
Hutt, Sepp, Loh­mann 1852-1952, Neu­ge­baur & Loh­mann, Ka­kao- und Scho­ko­la­den­fa­brik, Em­me­rich, Em­me­rich 1952.
Klein, Sa­bi­ne, Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men. Theo­re­ti­sche und em­pi­ri­sche Grund­la­gen, Wies­ba­den 2000.Lan­des, Da­vid S., Die Macht der Fa­mi­lie. Wirt­schafts­dy­nas­ti­en in der Welt­ge­schich­te, Mün­chen 2006.
Sach­se, Wie­land, Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men in Wirt­schaft und Ge­sell­schaft bis zur Mit­te des 20. Jahr­hun­derts. Ein his­to­ri­scher Über­blick, in: Zeit­schrift für Un­ter­neh­mens­ge­schich­te/Jour­nal of Busi­ness His­to­ry 36/1 (1991), S. 9-25.
Schul­te Be­er­bühl, Mar­grit, Fas­zi­na­ti­on Scho­ko­la­de. Die Ge­schich­te des Ka­kaos zwi­schen Lu­xus, Mas­sen­pro­duk­ti­on und Me­di­zin, in: Vier­tel­jahrschrift für So­zi­al- und Wirt­schafts­ge­schich­te (VSWG) 95/4 (2008), S. 410-429.
Speng­ler-Reff­ken, Ul­ri­ke, Ar­ti­kel Em­me­rich, in: Hand­buch der His­to­ri­schen Stät­ten Nord­rhein-West­fa­len, hg. v. Man­fred Gro­ten [u.a.], Stutt­gart 2006, S. 305-308.
Tho­mé-Per­rin, An­ni (Red.), Em­me­rich. Eva­ku­ie­rung, Kriegs­en­de, Heim­kehr. Er­leb­nis-Be­rich­te, Em­me­rich 1997. 

Online

Der Wes­ten, Auf­ruf 30.5.2017. [on­line]
Der Wes­ten, Auf­ruf 30.5.2017. [on­line]
Hal­lo­ren Scho­ko­la­den­fa­brik AG, Auf­ruf 30.5.2017. [on­line]
Stadt Em­me­rich am Rhein, Auf­ruf 30.5.2017. [on­line]

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Jürgens, Natalie Janine, Neugebaur & Lohmann – Ein Emmericher Familienunternehmen mit süßer Tradition, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/neugebaur--lohmann-%25E2%2580%2593-ein-emmericher-familienunternehmen-mit-suesser-tradition/DE-2086/lido/5d1b2a00aa53e2.17081116 (abgerufen am 29.03.2024)