Emil Steffann

Kirchenbauer (1899-1968)

Wolfgang Pehnt (Köln)

St. Laurentius in München-Gern, Apsis. (Sankt Michaelsbund)

Emil Stef­fann ge­hör­te zu den Stil­len im Lan­de, mit de­nen sich nach dem En­de des Zwei­ten Welt­kriegs die Hoff­nung auf ei­nen Wie­der­auf­bau in Be­schei­den­heit, Ein­fach­heit und Sinn­haf­tig­keit ver­band. Bau­kunst war für ihn „ein Wis­sen des Her­zen­s“. Sein Na­me ist vor al­lem mit dem Kir­chen­bau ver­knüpft.

 

Ge­bo­ren am 31.1.1899 in Be­thel bei Bie­le­feld als Sohn ei­nes Arz­tes, la­gen sei­ne be­ruf­li­chen An­fän­ge in Lü­beck. Dort war er auch un­mit­tel­bar nach dem Zwei­ten Welt­krieg zum lei­ten­den Bau­di­rek­tor ge­wählt wor­den. Der mit ihm be­freun­de­te Ar­chi­tekt und Köl­ner Ge­ne­ral­pla­ner Ru­dolf Schwarz hol­te ihn nach Köln, wo er zu­nächst das Sied­lungs­werk des Erz­bis­tums Köln lei­te­te und dann, mit dem Sitz in Meh­lem bei Bonn, ab 1950 als frei­er Ar­chi­tekt ar­bei­te­te. In sei­nem klei­nen Ate­lier ent­stan­den über 40 ka­tho­li­sche Pfarr­kir­chen und Or­dens­bau­ten. Vie­le von ih­nen wa­ren von ei­nem neu­en Ver­ständ­nis der Lit­ur­gie be­stimmt, noch be­vor es sich auf dem Zwei­ten Va­ti­ka­ni­schen Kon­zil (1962-1965) ver­brei­te­te.

Emil Stef­fann war als hal­ber Au­to­di­dakt zur Ar­chi­tek­tur ge­kom­men. Der Bild­haue­rei, aber auch dem Bau von Se­gel­flug­zeu­gen ging er schon wäh­rend sei­ner Schul­zeit nach. Es folg­ten Stu­di­en an der Kunst­ge­wer­be­schu­le Ber­lin-Char­lot­ten­burg, Ar­bei­ten in pri­va­ten Ate­liers und Werk­stät­ten, ein Lehr­gang an der Lü­be­cker Bau­ge­werk­schu­le so­wie Aus­lands­auf­ent­hal­te. Vor al­lem das Jahr, das er im um­bri­schen As­si­si ver­brach­te, dem Ge­burts­ort des Hei­li­gen Fran­zis­kus (1181/1182-1226), präg­te sein re­li­giö­ses wie sein ar­chi­tek­to­ni­sches Den­ken. Fran­zis­ka­ni­sche As­ke­se lässt sich auch von sei­nen Kirch­bau­ten sa­gen. 1926 kon­ver­tier­te er, der in ei­ner pro­tes­tan­ti­schen Arzt- und Theo­lo­gen­fa­mi­lie auf­ge­wach­sen war, zum ka­tho­li­schen Glau­ben. Den Be­griff "Glau­bens­wech­sel" fand er aber nicht an­ge­mes­sen: Er ha­be die Kir­che in den Kir­chen ent­deckt.

St. Bonifatius in Essen-Huttrop, 2008.

 

Zu ei­ner wich­ti­gen Be­zugs­per­son wur­de Ru­dolf Schwarz, des­sen as­ke­ti­sche Fron­leich­nams­kir­che Stef­fann 1931 in Aa­chen auf­ge­sucht hat­te. Mit Schwarz plan­te Stef­fann in den 1930er Jah­ren mehr­fach ge­mein­sam. Ihm ver­dank­te er die Ein­füh­rung in den Kreis um die ka­tho­li­sche Quick­born-Be­we­gung, de­ren Zen­trum die main­frän­ki­sche Burg Ro­then­fels bil­de­te, und die Be­kannt­schaft mit dem Theo­lo­gen der Lit­ur­gie­be­we­gung Ro­ma­no Guar­di­ni (1885-1968). Für des­sen von Schwarz ent­wor­fe­nes Ber­li­ner Wohn­haus über­nahm er 1936 die Bau­lei­tung. Auch die Be­auf­tra­gung mit Wie­der­auf­bau­pla­nun­gen in Ost­loth­rin­gen, das wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs von deut­schen Trup­pen be­setzt war und mit der Pfalz und dem Saar­land zu ei­nem „Gau West­mark “ ver­ei­nigt wer­den soll­te, ging auf Kon­tak­te von Schwarz zu­rück.

St. Elisabeth in Essen-Frohnhausen, 2008.

 

Nach dem Krie­ge ist die Ge­mein­schafts­scheu­ne, die Stef­fann 1943 im loth­rin­gi­schen Dorf Boust bei Thion­vil­le er­rich­tet hat­te, zu ei­ner In­ku­na­bel des ein­fa­chen Bau­ens ge­macht wor­den. Dar­an war ihr Ruf als Do­ku­ment des ge­bau­ten Wi­der­stands nicht un­be­tei­ligt. Stef­fann hat­te sich da­mals ei­nen spä­te­ren Ge­brauch der Scheu­ne als Kir­che vor­ge­stellt. In ih­ren Gie­bel ne­ben ­dem gro­ßen Rund­bo­gen­por­tal mau­er­te er ei­nen Ge­wöl­be­schluss­stein mit dem Lamm Chris­ti ein, der aus ei­ner zer­stör­ten Dorf­ka­pel­le stamm­te und den er mit Lehm über­strei­chen ließ. An­de­rer­seits ent­hält das Ma­te­ri­al sei­ner noch im „Drit­ten Reich“ ge­plan­ten Ver­öf­fent­li­chung, der „Bau­fi­bel für Loth­rin­gen“, ei­ne Zeich­nung, die un­über­seh­bar mit „Scheu­nen­kir­che“ be­ti­telt ist. War es al­so doch kein le­bens­ge­fähr­li­cher Akt des Wi­der­stands, für ei­ne Scheu­ne ei­ne spä­te­re kirch­li­che Nut­zung vor­zu­se­hen?

St. Marien in Köln-Altstadt-Süd, 2009, Foto: Elke Wetzig.

 

Stef­fann nahm den Ein­druck der ver­schlos­se­nen loth­rin­gi­schen Dör­fer in sein spä­te­res Be­rufs­le­ben mit. Wie die mau­er­schwe­ren Bau­ten von As­si­si oder die früh­christ­li­che Kir­che S. Ste­fa­no Ro­ton­do in Rom, de­ren Neu­ord­nung er plan­te, gin­gen die ge­duck­ten Bau­ern­häu­ser in sei­nen in­ne­ren Bil­der­vor­rat ein. Die lan­gen Schlepp­dä­cher, die ge­wal­ti­gen Stre­be­pfei­ler, die Haus­mau­ern, die sich in Gar­ten­mau­ern fort­set­zen, fin­den sich bei den Kir­chen wie­der, die Stef­fann nach dem Krie­ge bau­te. Gä­be es nicht den mo­nu­men­ta­len Ent­wurf ei­ner Pfarr­kir­che in Lü­beck-Schlu­t­up schon aus dem Jah­re 1938, so könn­te man mei­nen, von den loth­rin­gi­schen Bau­ern­häu­sern ha­be Stef­fann die „zeit­lo­se Ur­form des Bau­ens in Stein“ ge­lernt.

St. Maria in den Benden in Düsseldorf-Wersten, 2009, Foto: Wiegels.

 

Die Kir­chen, die den wich­tigs­ten Teil von Stef­fanns Werk aus­ma­chen, sind erns­te Bau­wer­ke, ernst wie der Mann selbst. In ih­rem ge­schlos­se­nen Mau­er­werk aus Zie­gel- oder Bruch­stein zei­gen sie ein­fa­che, ele­men­ta­re Ge­stal­ten und ver­mit­teln das Ge­fühl ber­gen­der Nä­he. Fens­ter und To­re sind oft rund­bo­gig, die Öff­nun­gen mit tie­fem, ge­schräg­tem Ge­wän­de, das die Schwe­re der Mau­er ver­deut­licht. Die Rö­mer wa­ren für ihn die Meis­ter des ge­mau­er­ten Bo­gens. Der Wie­der­auf­bau der kriegs­zer­stör­ten neu­go­ti­schen Köl­ner Fran­zis­ka­ner­kir­che St. Ma­ri­en (1947-1951) wirkt in der Ver­wen­dung al­ter Trüm­mer­stei­ne - „das Hei­len und Ver­wan­deln des Ver­ach­te­ten zu neu­em Le­ben“ - und den groß ge­se­he­nen For­men wie ei­ne Hin­ter­las­sen­schaft des an­ti­ken Rom. Tra­di­ti­on stand bei Stef­fann je­doch nicht im Ge­gen­satz zu zeit­ge­nös­si­scher Tech­nik. Als er in Loth­rin­gen zer­stör­te Bau­ern­ge­höf­te neu er­rich­te­te, setz­te er ei­sen­un­ter­spann­te Rund­höl­zer ein. Er mel­de­te sie eben­so wie ein selbst­tra­gen­des Be­ton­zie­gel­dach zum Pa­tent an.

St. Augustinus in Düsseldorf-Eller, 2009, Foto: Wiegels.

 

Stef­fanns Kir­chen - im Rhein­land un­ter an­de­rem in Dor­ma­gen, Düs­sel­dorf-Wers­ten, Duis­burg, Eus­kir­chen, Lan­gen­horst bei Vel­bert, Merk­stein bei Aa­chen, Oede­ko­ven bei Bonn, Op­la­den (heu­te Stadt Le­ver­ku­sen), Stein­feld (Ge­mein­de Kall), je­weils meh­re­re Bau­ten in Bonn und Köln - und erst recht die Sied­lungs- und Wohn­häu­ser hal­ten sich fern von al­lem, was er „emo­tio­nel­le Auf­wen­dig­kei­ten“ und „pri­va­te Ex­pres­sio­nen“ nann­te: „Ein be­to­nier­ter Schrei, zeit­be­dingt, der nicht wie­der auf­hört, gleicht ei­ner Alarm­si­re­ne, die nicht ab­zu­stel­len ist.“ Es fie­le nicht schwer, im zeit­ge­nös­si­schen deut­schen Kirch­bau Bei­spie­le aus­zu­ma­chen, an die Stef­fann ge­dacht ha­ben mag. Sie be­geg­ne­ten ihm auch bei dem gro­ßen Kol­le­gen, an dem sich in den 1950er Jah­ren die Geis­ter schie­den, bei Le Cor­bu­si­er (1887-1965).

Die We­ge bei­der kreuz­ten sich ver­mut­lich beim Kar­täu­ser­klos­ter Ma­ri­enau im ober­schwä­bi­schen All­gäu, das Stef­fann und Gis­bert Hüls­mann (ge­bo­ren 1935) 1962-1964 bau­ten. Le Cor­bu­si­er soll In­ter­es­se an die­sem Auf­trag ge­zeigt ha­ben. Si­cher hät­te er es an­ders und bes­ser ge­baut, mein­te Stef­fann. Aber hät­te ein Oeu­vre des Star­ar­chi­tek­ten auch der be­son­de­ren Spi­ri­tua­li­tät die­ses Or­dens von Hand­wer­kern und Ein­sied­lern ent­spro­chen? Stef­fann bau­te sei­ne Klös­ter un­ei­tel, schweig­sam wie sei­ne Bau­her­ren, hand­werks­ge­recht. Der Or­dens­bru­der, der am Strick das Glöck­chen zieht, wür­de es wohl kaum ver­ste­hen, wenn man ihm vor­schlü­ge, sei­ne Tä­tig­keit ei­ner Ma­schi­ne zu über­las­sen, schrieb Stef­fann. Und wenn er es ver­stün­de, wür­de er ant­wor­ten, man dür­fe doch auch ein Ge­bet nicht ei­ner Ma­schi­ne über­tra­gen.

So erd­nah und un­er­schüt­ter­lich Stef­fanns Kir­chen auf dem Bo­den ste­hen, der Ver­gäng­lich­keit sei­nes Tuns war ihr Ar­chi­tekt sich be­wusst. Gern zi­tier­te er den Spruch, den er an ei­nem al­ten Haus ent­deckt hat­te: „Wir bau­en nicht so fes­te/ wir sind ja hier nur Gäs­te". Zeit­le­bens be­glei­te­te ihn der Zwei­fel, ob sei­ne Zeit - Dia­spo­ra-Zeit - noch Kir­chen bau­en kön­ne. Er, der die fes­ten Mau­ern und gro­ßen Rund­bö­gen lieb­te, pfleg­te auch sei­ne Sa­kral­bau­ten für Be­helfs­werk zu hal­ten, „weil wir heu­te in ei­ner Be­helfs­si­tua­ti­on le­ben“. Die To­re, die an­de­ren Zei­ten of­fen stan­den, sei­en heu­te ver­schlos­sen. Viel­leicht bau­te er des­halb gern fas­sa­den­ho­he To­re als Ein­gän­ge oder Chor­fens­ter.

1940 hat­te Stef­fann Jut­ta Lüt­zow ge­hei­ra­tet, mit der er drei Töch­ter hat­te. In sei­nen letz­ten Le­bens­jah­ren wur­den ihm ho­he Aus­zeich­nun­gen zu­teil: 1964 ver­lieh ihm die Tech­ni­sche Hoch­schu­le Darm­stadt die Eh­ren­dok­tor­wür­de, eben­falls 1964 ehr­te das Land Nord­rhein-West­fa­len sein Le­bens­werk mit dem Staats­preis für Ar­chi­tek­tur, 1965 er­hielt er das Gro­ße Bun­des­ver­dienst­kreuz.

Am 23.7.1968 er­lag Emil Stef­fann in Bonn den Fol­gen ei­nes Au­to­un­falls.

Bauten (Auswahl)

1926-1936 – Ein­fa­mi­li­en­häu­ser in Lü­beck.
1942-1945 - Bau­ten für das Dorf Boust/Loth­rin­gen.
1947-1949 - Sied­lungs­pla­nun­gen für Woh­nungs­bau­ge­sell­schaf­ten in Köln.
1947-1951-  Wie­der­auf­bau Fran­zis­ka­ner­kir­che St. Ma­ri­en, Köln.
1962-1964 - Kar­täu­ser­klos­ter Ma­ri­enau/All­gäu.
1953-1958 - St. Eli­sa­beth, Op­la­den (heu­te Stadt Le­ver­ku­sen).
1953-1958 - St. Bo­ni­fa­ti­us, Dort­mund.
1955-1956 - St.Lau­ren­ti­us, Mün­chen-Gern.
1956-1959 - Ma­ria in den Ben­den, Düs­sel­dorf-Wers­ten.
1959 - St.Hed­wig, Bay­reuth.
1961 - St.He­le­na, Bonn.
1962 - St.Lau­ren­ti­us, Köln-Lin­den­thal.
1965 - Fran­zis­ka­ner­klos­ter St.Mat­thi­as ,Eus­kir­chen.
1966 -1969 - St.Wal­bur­ga ,Haus­ber­ge/Por­ta
1965 -1968 - St.Hed­wig, Köln-Hö­hen­haus.

Werke (Auswahl)

Bau­fi­bel für Loth­rin­gen, Ma­nu­skript im Deut­schen Ar­chi­tek­tur­mu­se­um, Frank­furt am Main, Teil­ab­druck in: Arch + , 72 (1983), S. 7-26.
Kön­nen wir noch Kir­chen bau­en?, [u.a]. in: Bau­meis­ter 49 (1952), Heft 1, S.48ff.

Literatur (Auswahl)

Aka­de­mie der Ar­chi­tek­ten­kam­mer Nord­rhein-West­fa­len, Deut­sche Unesco-Kom­mis­si­on (Hg.), Emil Stef­fann, mit Tex­ten von Gis­berth Hüls­mann, Man­fred Sun­der­mann, Gün­ter Rom­bold, Ni­ko­laus Ro­si­ny, 2. Auf­la­ge, Düs­sel­dorf 1981.
Grexa, Su­san­ne, Der Ar­chi­tekt Emil Stef­fann 1899-1968. Der Ver­zicht auf Ori­gi­na­li­tät als Pro­gramm, Diss. Mar­burg 1997, Mar­burg 1999 [Mi­kro­fi­che].
Gri­si, Ti­no, Hand­lung ist al­les. Form ist nichts. Die Wand­lung des Rau­mes: Ro­ma­no Guar­di­ni und Emil Stef­fann zum 40. To­des­jahr.  L'azio­ne è tut­to. La for­ma è nul­la. Tri­bu­to a Ro­ma­no Guar­di­ni ed Emil Stef­fann a 40 an­ni dal­la mor­te, Des­sau 2009.
Kap­pel, Kai, Me­men­to 1945? Kir­chen­bau aus Kriegs­rui­nen und Trüm­mer­stei­nen, Mün­chen, Ber­lin 2008.
Li­en­hardt, Con­rad [u.a.] (Hg.), Emil Stef­fann (1899-1968). Werk Theo­rie Wir­kung, Re­gens­burg 1999.
Pant­le, Ul­rich, Leit­bild Re­duk­ti­on, Bei­trä­ge zum Kir­chen­bau in Deutsch­land von 1945-1950, Re­gens­burg 2005.
Pehnt, Wolf­gang, Ru­dolf Schwarz und sei­ne Zeit­ge­nos­sen, Köln 2011.

St. Helena in Bonn-Nordstadt, 2011, Foto: Hagman.

 
Zitationshinweis

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Pehnt, Wolfgang, Emil Steffann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/emil-steffann/DE-2086/lido/57c9551684fbe2.21568005 (abgerufen am 29.03.2024)