Franz Raveaux

Karnevalist (1810-1851)

Björn Thomann (Suderburg)

Franz Raveaux, Porträt von Valentin Schwertle, Original im Kölnischen Stadtmuseum. (Rheinisches Bildarchiv)

Franz Ra­veaux zähl­te zwi­schen 1844 und 1848 zu den po­pu­lärs­ten Per­sön­lich­kei­ten der de­mo­kra­ti­schen Be­we­gung im Rhein­land. Als Ge­schäfts­mann nur mä­ßig er­folg­reich, stieg er zu ei­nem ge­fei­er­ten po­li­ti­schen Red­ner auf und wur­de 1848 als ers­ter Par­la­men­ta­rier Kölns in die Frank­fur­ter Na­tio­nal­ver­samm­lung ge­wählt.

Franz Ra­veaux wur­de am 29.4.1810 als Sohn des Be­rufs­sol­da­ten und Ma­gaz­in­ver­wal­ters Pier­re Ra­veaux und des­sen Ehe­frau An­na Ma­ria Maaß in Köln ge­bo­ren. Der 1894 aus Frank­reich ein­ge­wan­der­te Va­ter war ein über­zeug­ter An­hän­ger der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on. Die re­pu­bli­ka­ni­sche Geis­tes­hal­tung des El­tern­hau­ses soll­te sich auch auf die spä­te­re po­li­ti­sche Po­si­tio­nie­rung der Söh­ne Franz und Lud­wig prä­gend aus­wir­ken.

Nach dem Wil­len des Va­ters soll­te Franz Ra­veaux den Be­ruf des Kauf­manns er­ler­nen und be­such­te ab 1820 das Köl­ner Kar­me­li­ter­gym­na­si­um. 1824 wur­de er we­gen der Ver­wick­lung in ei­ne Schlä­ge­rei mit ei­ner Grup­pe Köl­ner Hand­werks­ge­sel­len von der Schu­le ver­wie­sen und schei­ter­te auch bei dem an­schlie­ßen­den Ver­such, die Düs­sel­dor­fer Ma­ler­schu­le zu ab­sol­vie­ren. 1827 trat Ra­veaux in den Dienst der preu­ßi­schen Ar­mee. Aber auch die ver­hei­ßungs­vol­le mi­li­tä­ri­sche Kar­rie­re als Dra­go­ner­of­fi­zier nahm schon 1830 nach ei­nem Du­ell mit ei­nem Land­wehr­ma­jor ein ab­rup­tes En­de. Nach sie­ben­mo­na­ti­ger Un­ter­su­chungs­haft in der Deut­zer Mi­li­tär­fes­tung glück­te Ra­veaux im Som­mer 1830 die Flucht nach Brüs­sel, wo er sich dem Un­ab­hän­gig­keits­kampf Bel­gi­ens ge­gen das Kö­nig­reich Hol­land an­schloss. 1834 trat er der neu ge­grün­de­ten fran­zö­si­schen Frem­den­le­gi­on bei und nahm am Ers­ten Car­lis­ten­krieg teil, in des­sen Ver­lauf er zwar mehr­fach aus­ge­zeich­net wur­de, 1835 aber in Ge­fan­gen­schaft ge­riet.

Nach sei­ner Frei­las­sung kehr­te Ra­veaux 1836 in sei­ne Hei­mat­stadt Köln zu­rück, wo er 1837 die Por­zel­lan­händ­ler­s­toch­ter Bri­git­te Neun­kir­chen hei­ra­te­te. In den fol­gen­den Jah­ren ver­such­te er zu­nächst ver­geb­lich, sich ei­ne bür­ger­li­che Exis­tenz als Kauf­mann auf­zu­bau­en. Erst 1843 ge­lang es ihm, sich als Ta­bak­händ­ler und Grund­stücks­spe­ku­lant in der Köl­ner Ge­sell­schaft zu eta­blie­ren und auch fi­nan­zi­el­le Er­fol­ge zu ver­bu­chen.

Gro­ße Po­pu­la­ri­tät er­lang­te Ra­veaux zur glei­chen Zeit im Köl­ner Kar­ne­val als ge­sell­schafts­kri­ti­scher Büt­ten­red­ner und als Prä­si­dent der von ihm ge­grün­de­ten „All­ge­mei­nen Car­ne­vals­ge­sell­schaft", die sich un­ter dem Mot­to „Frei­heit und Gleich­heit im Nar­ren­thum" zu ei­ner Keim­zel­le des de­mo­kra­ti­schen Ver­eins­we­sens im Rhein­land ent­wi­ckel­te. Mit sei­nen pu­bli­kums­wirk­sa­men For­de­run­gen nach Pres­se­frei­heit, Volks­be­waff­nung und Bür­ger­rech­ten avan­cier­te Ra­veaux zum ent­schie­de­nen Geg­ner des von der „Gro­ßen Car­ne­vals­ge­sell­schaft" ge­pfleg­ten ro­man­ti­schen aber un­po­li­ti­schen Fast­nachts­trei­bens.

Die Gren­zen zwi­schen Kar­ne­val und Po­li­tik wa­ren nicht zu­letzt un­ter sei­nem Ein­fluss flie­ßend ge­wor­den. Als es im Au­gust 1846 wäh­rend der tra­di­tio­nel­len Mar­tins­kir­mes zu Über­grif­fen preu­ßi­scher Sol­da­ten auf Köl­ner Bür­ger kam, nutz­te Ra­veaux sei­ne Po­pu­la­ri­tät, um die an­ti­preu­ßi­sche Stim­mung zu schü­ren und im Herbst 1846 als ei­ner von drei De­mo­kra­ten in den Köl­ner Stadt­rat ge­wählt zu wer­den. Der Aus­bruch der Re­vo­lu­ti­on im März 1848 bot ihm schlie­ß­lich die Mög­lich­keit, sich auch auf na­tio­nal­po­li­ti­scher Ebe­ne zu en­ga­gie­ren. Nach­dem er be­reits dem Vor­par­la­ment an­ge­hört hat­te, wur­de Ra­veaux als Ab­ge­ord­ne­ter der Stadt Köln in die Na­tio­nal­ver­samm­lung ge­wählt, die am 18.5.1848 in der Frank­fur­ter Pauls­kir­che erst­mals zu­sam­men­trat. Er schloss sich der Frak­ti­on der „lin­ken Mit­te" an, be­für­wor­te­te das Prin­zip der Volks­sou­ve­rä­ni­tät, for­der­te die Be­sei­ti­gung der Mon­ar­chi­en und die Grün­dung ei­ner auf de­mo­kra­ti­schen Prin­zi­pi­en ba­sie­ren­den Re­pu­blik. Den­noch er­wies er sich auch als Re­al­po­li­ti­ker mit tak­ti­schem Kal­kül, such­te den Dia­log mit den po­li­ti­schen Geg­nern und zog den Kom­pro­miss der Kon­fron­ta­ti­on vor. Der Trie­rer Ab­ge­ord­ne­te Lud­wig Si­mon (1819-1872) ur­teil­te: „Ra­veaux’ Stär­ke be­stand nicht in lo­gi­scher Denk­kraft, son­dern in ei­ner sel­te­nen Nai­vi­tät. Doch er war schlau, und es muss­te ei­ner früh auf­ge­stan­den sein, der ihn hin­ters Licht füh­ren woll­te. Da­zu kam das Ge­müt­li­che des Köl­ner Dia­lekts, wel­cher selbst durch sein Hoch­deutsch hin­durch­klang und sei­ne schö­ne, lei­den­de Ge­stalt mit dem gro­ßen, brau­nen, me­lan­cho­li­schen Au­ge."

In den ers­ten Mo­na­ten sei­ner par­la­men­ta­ri­schen Tä­tig­keit wuss­te Ra­veaux nicht nur durch sei­ne her­aus­ra­gen­den rhe­to­ri­schen Fä­hig­kei­ten, son­dern auch in der Rol­le des po­li­ti­schen Ver­mitt­lers zu über­zeu­gen. Nicht zu­letzt dank sei­ner en­er­gi­schen In­ter­ven­ti­on fand der um­strit­te­ne An­trag des Li­be­ra­len Hein­rich von Ga­gern (1799-1880), den Erz­her­zog Jo­hann von Ös­ter­reich (1782-1859) zum Reichs­ver­we­ser zu wäh­len, bei der Ab­stim­mung am 27.6.1848 die er­for­der­li­che Mehr­heit des Par­la­ments. Bei sei­ner Rück­kehr ins Rhein­land wur­de Ra­veaux, der nun im Ze­nit sei­ner Po­pu­la­ri­tät stand, am 3.8.1848 ein tri­um­pha­ler Emp­fang be­rei­tet.

Die An­er­ken­nung des Waf­fen­still­stands von Mal­mö durch die Frank­fur­ter Na­tio­nal­ver­samm­lung lei­te­te im Sep­tem­ber 1848 sei­nen un­auf­halt­sa­men po­li­ti­schen Ab­stieg ein. In ei­ner Pe­ti­ti­on mit 20.000 Un­ter­schrif­ten sah sich Ra­veaux plötz­lich dem Vor­wurf aus­ge­setzt, ein „Ver­rä­ter des deut­schen Vol­kes, der deut­schen Frei­heit und Eh­re" zu sein, ob­wohl er selbst ge­gen den An­trag ge­stimmt hat­te. Im Fe­bru­ar 1849 kan­di­dier­te er in Köln ver­geb­lich als Ab­ge­ord­ne­ter für die preu­ßi­sche Na­tio­nal­ver­samm­lung. Die Nie­der­la­ge in sei­ner Hei­mat­stadt, in der er Mo­na­te zu­vor noch fre­ne­tisch ge­fei­ert wor­den war, mar­kier­te ei­nen Tief­punkt in sei­ner po­li­ti­schen Kar­rie­re.

Ab der zwei­ten Hälf­te des Jah­res 1848 wur­de es im­mer of­fen­sicht­li­cher, dass es Ra­veaux nicht nur an per­sön­li­cher Au­to­ri­tät und Durch­set­zungs­ver­mö­gen, son­dern auch an kon­kre­ten staats­theo­re­ti­schen Kon­zep­ten man­gel­te. Zu­dem hat­te sich sein zu­nächst be­wun­der­ter Re­de­stil nach we­ni­gen Mo­na­ten ab­ge­nutzt. Der Ab­ge­ord­ne­te Karl Bie­der­mann (1812-1901) be­merk­te: „Die che­val­es­ke Ro­man­tik ei­ner Po­li­tik, wel­che ih­re Haupt­stär­ke in schwung­vol­len Ef­fek­ten fand, hat­te sich über­lebt und hielt nicht Stand vor dem kal­ten Ernst der Tat­sa­chen, die der Ver­samm­lung täg­lich här­ter auf den Leib rück­ten, vor der schrof­fen Schei­dung der Par­tei­en, die nicht mehr durch ei­ne klang­vol­le Phra­se zu ver­söh­nen wa­ren."

Erst die Ab­leh­nung der Kai­ser­wür­de durch Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. (1795-1861) am 3.4.1849 bot Ra­veaux die Ge­le­gen­heit, ver­lo­re­nen Ein­fluss zu­rück­zu­ge­win­nen. Er pro­kla­mier­te den be­waff­ne­ten Wi­der­stand ge­gen die preu­ßi­sche Re­gie­rung, wur­de im Mai 1849 zum Reichs­kom­mis­sar der Pfalz und stell­ver­tre­ten­den Kriegs­mi­nis­ter er­nannt und mit der mi­li­tä­ri­schen Or­ga­ni­sa­ti­on des ba­di­schen Auf­stands be­auf­tragt. Da­bei fa­vo­ri­sier­te er ei­ne of­fen­si­ve Stra­te­gie ge­gen die her­an­rü­cken­den preu­ßi­schen Trup­pen, konn­te sich mit sei­nen Vor­schlä­gen aber nicht durch­set­zen. Die Auf­lö­sung des Rumpf­par­la­ments in Stutt­gart und der Zu­sam­men­bruch des ba­di­schen Auf­stan­des zwan­gen Ra­veaux im Ju­li 1849 zur Flucht in die Schweiz. Von den dor­ti­gen Be­hör­den aus­ge­wie­sen, emi­grier­te er im Ok­to­ber 1849 zu­nächst nach Frank­reich und im Ja­nu­ar 1851 nach Bel­gi­en.

Ra­veaux, der im Som­mer 1851 in Köln als Hoch­ver­rä­ter an­ge­klagt und in Ab­we­sen­heit zum Tod ver­ur­teilt wor­den war, starb am 13.9.1851 in sei­nem Haus in Lae­ken bei Brüs­sel an den Fol­gen ei­nes Lun­gen­lei­dens. Im Ge­gen­satz zu po­li­ti­schen Weg­ge­fähr­ten wie Ro­bert Blum o­der Gott­fried Kin­kel ge­rie­ten sei­ne Leis­tun­gen und Ver­diens­te als Weg­be­rei­ter der de­mo­kra­ti­schen Be­we­gung bald in Ver­ges­sen­heit. Ra­veaux, den sein bis zur Selbst­auf­ga­be rei­chen­des po­li­ti­sches Wir­ken schlie­ß­lich Ge­sund­heit und Le­ben kos­te­te, kann so­mit zu den tra­gi­schen Fi­gu­ren der Re­vo­lu­ti­on 1848/1849 ge­rech­net wer­den. Sein Grab be­fin­det sich auf dem Fried­hof in Lae­ken.

Literatur

Frohn, Chris­ti­na, Der or­ga­ni­sier­te Narr. Kar­ne­val in Aa­chen, Düs­sel­dorf und Köln von 1823 bis 1914, Mar­burg 2000.
Kop­petsch, Axel, Franz Ra­veaux (1810-1851), in: Da­scher, Ott­fried (Hg.), Pe­ti­tio­nen und Bar­ri­ka­den. Rhei­ni­sche Re­vo­lu­tio­nen 1848/49, Müns­ter i.W. 1998, S. 314-317.
Mül­ler, Mi­cha­el, Kar­ne­val als Po­li­ti­kum, in: Düwell, Kurt/Köll­mann, Wolf­gang (Hg.), Rhein­land – West­fa­len im In­dus­trie­zeit­al­ter, Band 1, Wup­per­tal 1983, S. 207-233.
Schmidt, Klaus, Franz Ra­veaux – Kar­ne­va­list und Pio­nier des de­mo­kra­ti­schen Auf­bruchs in Deutsch­land, Köln 2001.
Seyp­pel, Mar­cel, Franz Ra­veaux (1810-1851), in: Rhei­ni­sche Le­bens­bil­der 11 (1988), S. 125-148.

 
Zitationshinweis

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Thomann, Björn, Franz Raveaux, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/franz-raveaux/DE-2086/lido/57cd1c7fe3fad9.55382410 (abgerufen am 19.04.2024)