Friedrich Christoph Dahlmann

Rechtsgelehrter und Verfassungspolitiker (1785-1860)

Wilhelm Bleek (Toronto)

Friedrich Christoph Dahlmann, Porträt, Steindruck von Paul Rohrbach (1817-1862). (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann, ein His­to­ri­ker, Po­li­tik­leh­rer und Ver­fas­sungs­po­li­ti­ker der deut­schen Vor­märz­zeit und der Re­vo­lu­ti­on von 1848/ 1849, hat in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten sei­nes wech­sel­haf­ten Le­bens an der Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät in Bonn ge­wirkt.

Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann wur­de am 13.5.1785 als Sohn von Jo­hann Eh­ren­fried Ja­cob Dah­l­mann (1739-1805) und des­sen Frau Lu­cie Au­gus­te Fri­de­ri­ca Jen­sen (1756-1788) in der Han­se­stadt Wis­mar an der Ost­see ge­bo­ren, in der sein Va­ter das Amt des Bür­ger­meis­ters aus­üb­te und die bis 1803 un­ter schwe­di­scher Herr­schaft stand

Dah­l­manns Vor­fah­ren wa­ren Rats­her­ren und Bür­ger­meis­ter im schwe­di­schen Vor­pom­mern. Er selbst stu­dier­te ab 1802 Al­ter­tums­wis­sen­schaf­ten in Ko­pen­ha­gen so­wie Hal­le und wur­de 1810 in Wit­ten­berg pro­mo­viert. 1811 über­nahm Dah­l­mann ei­ne Do­zen­tur für klas­si­sche Phi­lo­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Ko­pen­ha­gen und wur­de im Jahr dar­auf auf Ver­mitt­lung sei­nes On­kels Fried­rich Chris­toph Jen­sen (1754-1827), der in der dä­ni­schen Haupt­stadt der Kanz­lei für die mit dem Kö­nig­reich Dä­ne­mark in Per­so­nal­uni­on ver­bun­de­nen Her­zog­tü­mer Schles­wig und Hol­stein vor­stand, an de­ren Hoch­schu­le in Kiel als au­ßer­or­dent­li­cher Pro­fes­sor für Ge­schich­te be­ru­fen.

1817 hei­ra­te­te Dah­l­mann in Kiel die Pro­fes­so­ren­toch­ter Ju­lie He­ge­wisch (1795-1826). Von den ge­mein­sa­men vier Kin­dern er­reich­ten nur der spä­te­re Land­ge­richts­di­rek­tor Her­mann Fried­rich (1821-1894) und die ein­zi­ge Toch­ter Do­ro­thea (1822-1847) das Er­wach­se­nen­al­ter. In zwei­ter Ehe war Dah­l­mann ab 1829 mit Lui­se von Horn (1800-1856), Toch­ter ei­nes dä­ni­schen Oberst­leut­nants, ver­hei­ra­tet.

Ne­ben sei­ner brei­ten his­to­ri­schen Lehr- und For­schungs­tä­tig­keit setz­te sich Dah­l­mann in den Jah­ren nach 1815 als Se­kre­tär der schles­wig-hol­stei­ni­schen Prä­la­ten und Rit­ter­schaft nicht nur für die Be­wah­rung der tra­di­tio­nel­len stän­di­schen Rech­te in den bei­den Her­zog­tü­mern, son­dern vor al­lem für de­ren Un­teil­bar­keit ent­spre­chend dem Prin­zip im Ri­pe­n­er Ver­trag von 1460 (dat se bli­wen ewich to­sa­men­de un­ge­delt) und für de­ren ge­mein­sa­me Ein­be­zie­hung in den deut­schen Na­tio­nal­ver­band ein. Im Herbst 1829, nach­dem Dah­l­mann sich bei der dä­ni­schen Staats­bü­ro­kra­tie durch sei­ne Ak­ti­vi­tä­ten für die An­lie­gen der schles­wig-hol­stei­ni­schen Ein­heits­be­we­gung so un­be­liebt ge­macht hat­te, dass die ver­spro­che­ne Be­för­de­rung zum Or­di­na­ri­us aus­blieb, nahm er ei­nen Ruf an die Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen an.

An der han­no­ver­schen Lan­des­uni­ver­si­tät über­nahm Dah­l­mann ei­nen tra­di­ti­ons­rei­chen Lehr­stuhl mit der Ver­pflich­tung, nicht nur über deut­sche Ge­schich­te, son­dern auch über „Po­li­tik, Ka­me­ral-, Fi­nanz- und Po­li­zei­wis­sen­schaft und Na­tio­nal­öko­no­mie" zu le­sen. 1835 ver­öf­fent­lich­te er sein po­li­tik­wis­sen­schaft­li­ches Haupt­werk: „Die Po­li­tik, auf den Grund und das Maaß der ge­ge­be­nen Zu­stän­de zu­rück­ge­führt". Im Mit­tel­punkt die­ser his­to­risch wie ver­glei­chend an­ge­leg­ten Ver­fas­sungs­leh­re stan­den da­bei im An­schluss an Aris­to­te­les (384-322 vor Chris­tus) Fra­gen ei­ner gu­ten Ord­nung der po­li­ti­schen Ge­mein­schaft und ei­ner ge­rech­ten Herr­schaft.

Als über­zeug­ter An­hän­ger der kon­sti­tu­tio­nel­len Mon­ar­chie wirk­te Dah­l­mann an der Aus­ar­bei­tung des han­no­ver­schen Staats­grunds­ge­set­zes von 1833 mit. Als 1837 der neue Kö­nig von Han­no­ver Ernst Au­gust I. (Re­gie­rungs­zeit 1837-1851) die­se Ver­fas­sung auf­hob, leg­ten sie­ben pro­mi­nen­te Göt­tin­ger Pro­fes­so­ren un­ter der Wort­füh­rer­schaft Dah­l­manns ge­gen die­sen ein­sei­ti­gen Will­kür­akt ei­ne Pro­testa­ti­on ein. Sie wur­den um­ge­hend ih­rer Pro­fes­su­ren ent­ho­ben und drei von ih­nen, mit Dah­l­mann an der Spit­ze, auch des Lan­des ver­wie­sen. Als Wort­füh­rer die­ser „Göt­tin­ger Sie­ben" wur­de Dah­l­mann zur Sym­bol­fi­gur der bür­ger­lich-li­be­ra­len Ver­fas­sungs­be­we­gung Deutsch­lands im 19. Jahr­hun­dert. Erst nach fünf­jäh­ri­ger aka­de­mi­scher Stel­lungs­lo­sig­keit wur­de Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann im Herbst 1842 auf Ver­mitt­lung der Schrift­stel­le­rin und Kö­nigs­freun­din Bet­ti­na von Ar­nim (1785-1859) von dem neu­en preu­ßi­schen Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. (Re­gie­rungs­zeit 1840-1858) an die Uni­ver­si­tät in Bonn auf ei­nen Lehr­stuhl für Staats­wis­sen­schaf­ten und deut­sche Ge­schich­te be­ru­fen. An der rhei­ni­schen Hoch­schu­le un­ter­rich­te­te Dah­l­mann mit gro­ßem Zu­spruch nicht nur zahl­rei­che Söh­ne des deut­schen Bür­ger­tums, dar­un­ter vie­le künf­ti­ge Staats­die­ner und Ge­lehr­te, son­dern auch Prin­zen und selbst spä­te­re Mon­ar­chen. Da­zu ge­hör­te auch der preu­ßi­sche Thron­fol­ger Fried­rich Wil­helm (1831-1888), der 1888 für 99 Ta­ge deut­scher Kai­ser wur­de und des­sen - zu­mal im Ver­gleich zu sei­nem Sohn Kai­ser Wil­helm II. (Re­gie­rungs­zeit 1888-1918) - li­be­ra­le Grund­auf­fas­sun­gen auf Dah­l­mann als sei­nen aka­de­mi­schen Leh­rer zu­rück­gin­gen.

Die Po­pu­la­ri­tät sei­ner „Po­li­tik", aber auch die prak­ti­sche Über­zeu­gungs­treue, mit der Dah­l­mann die in die­sem Buch ver­tre­te­ne Auf­fas­sung ei­ner kon­sti­tu­tio­nel­len Mon­ar­chie ver­tre­ten hat­te, führ­te ihn schlie­ß­lich im Mai 1848 in die Deut­sche kon­sti­tu­ie­ren­de Na­tio­nal­ver­samm­lung in der Frank­fur­ter Pauls­kir­che. Im ka­tho­lisch do­mi­nier­ten Bonn al­ler­dings er­litt der von sei­nem Freund und Kol­le­gen Ernst Mo­ritz Arndt un­ter­stütz­te Pro­tes­tant Dah­l­mann zu­nächst ei­ne Wahl­nie­der­la­ge, wor­auf­hin ihn sie­ben Wahl­krei­se in Han­no­ver und Hol­stein kür­ten. Er nahm die fast ein­stim­mi­ge Wahl im hol­stei­ni­schen Wahl­kreis Se­ge­berg an. Schon zu­vor war der Bon­ner Pro­fes­sor im März 1848 durch Preu­ßen in den Aus­schuss der 17 Ver­trau­ens­män­ner ent­sandt wor­den und ar­bei­te­te dort den ers­ten Ent­wurf ei­nes Reichs­grund­ge­set­zes aus. Als füh­ren­des Mit­glied der erb­kai­ser­li­chen und spä­ter klein­deut­schen Ca­si­no-Par­tei, wel­che die rech­te Mit­te der Na­tio­nal­ver­samm­lung ver­kör­per­te, do­mi­nier­te Dah­l­mann vor al­lem die Ar­beit im Ver­fas­sungs­aus­schuss und nahm in sei­nen gro­ßen Ple­nar­re­den zu grund­le­gen­den Or­ga­ni­sa­ti­ons­fra­gen Stel­lung.

Zum Hö­he-, aber auch Wen­de­punkt im öf­fent­li­chen An­se­hen wur­de für den in­zwi­schen fast 65-jäh­ri­gen Bon­ner Po­li­tik­leh­rer und His­to­ri­ker die er­neu­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der schles­wig-hol­stei­ni­schen Fra­ge. An­fang Sep­tem­ber 1848 er­reich­te er den Voll­zugs­auf­schub des von Preu­ßen mit Dä­ne­mark ab­ge­schlos­se­nen Mal­mö­er Waf­fen­still­stan­des, weil er dar­in ei­nen Ver­rat an der Sa­che der Schles­wig-Hol­stei­ner und ei­ne Un­ter­wer­fung un­ter das Ve­to­recht der eu­ro­päi­schen Gro­ß­mäch­te ge­gen die deut­sche Ei­ni­gung sah. Nach dem an­schlie­ßen­den Rück­tritt der Reichs­re­gie­rung sah es für kur­ze Zeit so aus, als ob der Bon­ner Pro­fes­sor selbst an de­ren Spit­ze tre­ten wür­de.

Doch ge­lang es Dah­l­mann nicht, die ne­ga­ti­ve Mehr­heit ge­gen den Waf­fen­still­stand aus lin­ken, rech­ten und schles­wig-hol­stei­ni­schen Ab­ge­ord­ne­ten in ei­ne po­si­ti­ve Mehr­heit für ei­ne par­la­men­ta­ri­sche Re­gie­rung um­zu­set­zen. Dah­l­mann und die Geg­ner des Mal­mö­er Waf­fen­still­stan­des muss­ten sich schlie­ß­lich den re­al­po­li­ti­schen Ver­hält­nis­sen beu­gen, der Be­schluss ge­gen den Waf­fen­still­stand war au­ßen- wie in­nen­po­li­tisch nicht zu hal­ten.

End­gül­tig be­gra­ben muss­te die li­be­ral-bür­ger­li­che Mehr­heit der deut­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung ih­re Hoff­nun­gen, als im Mai 1849 Kö­nig Fried­rich Wil­helm IV. von Preu­ßen die ihm von ei­ner De­pu­ta­ti­on der Na­tio­nal­ver­samm­lung un­ter Teil­nah­me Dah­l­manns an­ge­tra­ge­ne deut­sche Kai­ser­kro­ne ab­lehn­te. Dah­l­mann ver­such­te in den an­dert­halb Jah­ren nach dem Aus­tritt aus der Pauls­kir­che als Teil­neh­mer an der Go­tha­er Ver­samm­lung und als Mit­glied des Er­fur­ter Reichs­ta­ges so­wie der preu­ßi­schen ers­ten Kam­mer zu ret­ten, was an der bür­ger­lich-li­be­ra­len Ein­heits­be­we­gung noch zu ret­ten war, doch schei­ter­ten auch die­se Be­mü­hun­gen.

Im Herbst 1850 kehr­te Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann end­gül­tig nach Bonn zu­rück. Er über­nahm kei­ne po­li­ti­sche Auf­ga­be und pu­bli­zis­ti­sche Tä­tig­keit mehr. Sein letz­tes Le­bens­jahr­zehnt ver­brach­te er an der Bon­ner Uni­ver­si­tät in po­li­ti­scher Re­si­gna­ti­on und aka­de­mi­schem Rück­zug auf sei­ne Ge­schichts­vor­le­sun­gen, de­ren The­men sich im­mer mehr in die frü­he Neu­zeit ver­la­ger­ten. Als Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann am 5.12.1860 starb, war sein Seh­nen nach ei­nem deut­schen Na­tio­nal- und Ver­fas­sungs­staat un­er­füllt ge­blie­ben. Sein Grab auf dem Al­ten Fried­hof in Bonn schmückt ein Erz­re­lief, das den mar­kan­ten „Rö­mer­kopf" (Bar­t­hold Ge­org Nie­buhr) des über­zeu­gungs­treu­en Ge­lehr­ten und Ver­fas­sungs­po­li­ti­kers zeigt.

Werke

Die Po­li­tik auf den Grund und das Maß der ge­ge­be­nen Zu­stän­de zu­rück­ge­führt, hg. von Wil­helm Bleek, Frank­furt (Main) 1997 [Erst­ver­öf­fent­li­chung Göt­tin­gen 1835].

Literatur

Bleek, Wil­helm, Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann (1785-1860), in: Bleek, Wil­helm / Lietz­mann, Hans J. (Hg.), Klas­si­ker der Po­li­tik­wis­sen­schaft, Mün­chen 2005, S. 81-94.
Bleek, Wil­helm, Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann. Ei­ne Bio­gra­phie, Mün­chen 2010.
Bra­cher, Karl Diet­rich, Über das Ver­hält­nis von Po­li­tik und Ge­schich­te. Ge­denk­re­de Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann, Bonn 1961.
Han­sen, Rei­mer, Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann, in: Weh­ler, Hans-Ul­rich (Hg.), Deut­sche His­to­ri­ker, Band 5, Göt­tin­gen 1972, S. 27-53.
Sprin­ger, An­ton, Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann, 2 Bän­de, Leip­zig 1870 und 1872.

Online

Gro­ße For­scher von der För­de: Fried­rich Chris­toph Dah­l­mann (Bio­gra­phie auf der Home­page der Chris­ti­an-Al­brechts-Uni­ver­si­tät Kiel). [On­line]
An­ger­mann, Erich, Ar­ti­kel "Dah­l­mann, Fried­rich Chris­toph", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 3 (1957), S. 478-480. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Bleek, Wilhelm, Friedrich Christoph Dahlmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-christoph-dahlmann/DE-2086/lido/57c68ffe4ca390.17568727 (abgerufen am 28.03.2024)