Hans Gerling

Unternehmer (1915–1991)

Tanja Junggeburth (Bonn)

Hans Gerling. (Privatbesitz Tanja Junggeburth)

Hans Ger­ling war ei­ner der be­deu­tends­ten deut­schen Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­mer des 20. Jahr­hun­derts. 

Hans Ger­ling wur­de am 6.6.1915 als Sohn de­s Ro­bert Ger­ling und sei­ner Ehe­frau Au­gus­te ge­bo­re­ne Hoff­meis­ter (1879-1964) in Köln ge­bo­ren. Nach­ ­dem Ab­itur am dor­ti­gen Re­al­gym­na­si­um Kreuz­gas­se stu­dier­te er Wirt­schafts- und Rechts­wis­sen­schaf­ten. Als sein Va­ter Ro­bert Ger­ling (1878–1935) im Al­ter von 57 Jah­ren über­ra­schend starb und kein rechts­gül­ti­ges Tes­ta­ment hin­ter­ließ, wur­de zu­nächst Hans‘ äl­tes­ter Bru­der Ro­bert jr. zum Nach­fol­ger be­stimmt. Ro­bert Ger­ling jr. wan­der­te frei­lich 1939 in die USA aus und plan­te auch mit­tel­fris­tig nicht, nach Deutsch­land zu­rück­zu­keh­ren. Wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs muss­te er sei­ne bei­den jün­ge­ren Brü­der Hans und Wal­ter mit meh­re­ren Voll­mach­ten aus­stat­ten, um das vä­ter­li­che Un­ter­neh­men nicht zu ge­fähr­den und si­cher­zu­ge­hen, dass es nach dem Krieg nicht als Fein­des­be­sitz be­schlag­nahmt wür­de.

Nach Kriegs­en­de sorg­te Hans Ger­ling fe­der­füh­rend da­für, dass der Ger­ling Kon­zern sei­ne Ge­schäf­te rasch wie­der auf­neh­men konn­te. Er ver­füg­te über sehr gu­te Eng­lisch­kennt­nis­se und konn­te die Al­li­ier­ten be­reits im Ju­ni 1945 da­von über­zeu­gen, dass we­der er noch Ge­ne­ral­di­rek­tor Wal­ter Forstreu­ther , der be­reits für Ro­bert Ger­ling sen. ge­ar­bei­tet und wäh­rend des Kriegs die Ge­schäf­te ge­führt hat­te, Mit­glied ei­ner na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Or­ga­ni­sa­ti­on ge­we­sen wa­ren. Ger­ling war da­mit das ers­te deut­sche Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men, das nach dem Krieg wie­der tä­tig wer­den konn­te.

Die fol­gen­den Jah­re wur­den in ers­ter Li­nie von den lang­wie­ri­gen und spek­ta­ku­lä­ren Erb­strei­tig­kei­ten der drei Ger­ling-Brü­der be­stimmt. 1949 über­nahm Hans Ger­ling den Vor­stands­vor­sitz al­ler Ger­ling-Ge­sell­schaf­ten, da sein Bru­der Ro­bert jr. in den USA blieb. Erst nach über 60 Zi­vil­pro­zes­sen und auf mas­si­ven Druck von Ver­tre­tern aus Wirt­schaft und Po­li­tik, die um das An­se­hen der deut­schen Ver­si­che­rungs­wirt­schaft fürch­te­ten, kam es im Sep­tem­ber 1957 zu ei­nem Ver­gleich zwi­schen den Brü­dern: Ro­bert Ger­ling jr. über­nahm das Aus­lands­ge­schäft, sei­ne bei­den jün­ge­ren Brü­der das in­län­di­sche Ge­schäft zu glei­chen Tei­len. Wal­ter Ger­ling, des­sen In­ter­es­sen nicht in ers­ter Li­nie dem Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men gal­ten, ver­kauf­te bis 1967 al­le An­tei­le an sei­nen Bru­der Hans, der seit­dem als al­lei­ni­ger In­ha­ber des Ger­ling-Kon­zerns fun­gier­te.    

Im Un­ter­schied zu vie­len an­de­ren Un­ter­neh­menser­ben ruh­te sich Hans Ger­ling nicht auf dem Le­bens­werk des Va­ters auf. Un­ter sei­ner Lei­tung blüh­te das Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men in den fol­gen­den Jah­ren auf: Ger­ling hat­te ein Ge­spür für zu­kunfts­wei­sen­de Märk­te, neue Ver­si­che­rungs­pro­duk­te und ei­ne me­di­en­wirk­sa­me In­sze­nie­rung sei­nes Kon­zerns – frei­lich nicht sei­ner Per­son. Er galt, für ei­nen Fa­mi­li­en­un­ter­neh­mer nicht un­ty­pisch, zeit­le­bens als öf­fent­lich­keits­scheu und pu­bli­zi­täts­ab­ge­neigt. Be­reits Mit­te der 1950er Jah­re ex­pan­dier­te Ger­ling ins Aus­land und der Kon­zern avan­cier­te zu ei­nem der in­ter­na­tio­nal an­ge­se­hens­ten In­dus­trie­ver­si­che­rer so­wie bis 1961 zum zweit­grö­ß­ten deut­schen Ver­si­che­rer. Zwi­schen 1953 und 1973 stie­gen die ver­ein­nahm­ten Prä­mi­en von 180 Mil­lio­nen auf zwei Mil­li­ar­den Mark. Sei­ne pri­va­ten Ge­win­ne be­ließ Ger­ling na­he­zu voll­stän­dig im Un­ter­neh­men. 

In den 1970er Jah­ren folg­te mit der Ver­wick­lung in den Her­statt-Skan­dal die Er­nüch­te­rung. Hans Ger­ling hielt mit 80 Pro­zent die Mehr­heit an Her­statt, so dass im Zu­ge der De­vi­sen­spe­ku­la­tio­nen der Bank auch der Ver­si­che­rungs­kon­zern in fi­nan­zi­el­le Schief­la­ge ge­riet. Um ei­nen Ver­gleich für die Gläu­bi­ger des in­sol­ven­ten Bank­hau­ses zu er­mög­li­chen und ver­lo­re­nes Ver­trau­en in den Ver­si­che­rungs­kon­zern zu­rück­zu­ge­win­nen, ver­äu­ßer­te er 1974 51 Pro­zent sei­ner An­tei­le am Ger­ling-Kon­zern. Er schied als Vor­stands­vor­sit­zen­der aus al­len Ger­ling-Ge­sell­schaf­ten aus und über­nahm statt­des­sen ein Auf­sichts­rats­man­dat in der 1976 als Hol­ding­ge­sell­schaft ge­grün­de­ten Ger­ling-Kon­zern-Ver­si­che­rungs-Be­tei­li­gungs-AG. Dies war kein frei­wil­li­ger Ent­schluss, son­dern Er­geb­nis ei­nes Rechts­streits um Ger­lings Haf­tung als Haupt­ei­gen­tü­mer. Zu­dem üb­ten die Deut­sche Bank, die West­deut­sche Lan­des­bank so­wie das Wirt­schafts- und Fi­nanz­mi­nis­te­ri­ums Druck auf Ger­ling aus, um ei­nen wei­te­ren Image­scha­den vom Fi­nanz­platz Deutsch­land ab­zu­wen­den. 25,1 Pro­zent am Kon­zern über­nahm die Zü­rich Ver­si­che­rungs-Ge­sell­schaft, 25,9 Pro­zent ei­ne aus 59 in­dus­tri­el­len Kun­den be­ste­hen­de Ver­si­che­rungs­hol­ding der deut­schen In­dus­trie (VH­DI). 1978 ver­kauf­te die Zü­rich Ver­si­che­rungs-Ge­sell­schaft ih­re An­tei­le an die VH­DI, de­ren Mehr­heit wie­der­um die Flick-Grup­pe er­warb. Im glei­chen Jahr über­trug Fried­rich Karl Flick (1927–2006) nach ei­nem of­fe­nen Kon­flikt mit Hans Ger­ling um die Be­set­zung von Auf­sichts­rats­pos­ten den Vor­stands­vor­sitz der Hol­ding wie­der an Hans Ger­ling, der da­mit in sei­ne frü­he­re Funk­ti­on zu­rück­kehr­te. 1986 ge­lang es Ger­ling schlie­ß­lich, sämt­li­che An­tei­le sei­nes Kon­zerns zu­rück­zu­er­wer­ben.

In­mit­ten der fi­nan­zi­ell schwie­ri­gen Si­tua­ti­on des Jah­res 1991 – der Kon­zern ver­buch­te ho­he Ver­si­che­rungs­ver­lus­te und ge­riet in Schief­la­ge – starb Hans Ger­ling am 14. Au­gust; er war seit En­de der 1980er Jah­re ge­sund­heit­lich schwer an­ge­schla­gen. Ger­ling starb da­mit ein Jahr nach sei­ner Frau Ire­ne (1913–1990); aus der Ehe wa­ren drei Töch­ter und ein Sohn her­vor ge­gan­gen. 

Sein Sohn Rolf (ge­bo­ren 1954) folg­te ihm als Mehr­heits­eig­ner nach, en­ga­gier­te sich aber nicht im ope­ra­ti­ven Ge­schäft, son­dern be­schränk­te sich auf den Vor­sitz des Auf­sichts­rats. Be­reits un­mit­tel­bar nach dem Tod des Va­ters war er ge­zwun­gen, 30 Pro­zent des Ak­ti­en­ka­pi­tals an die Deut­sche Bank zu ver­kau­fen, um die Ka­pi­tal­ba­sis des Un­ter­neh­mens zu er­wei­tern, Kre­di­te ab­zu­lö­sen und die Erb­schafts­steu­er ent­rich­ten zu kön­nen. Nach für den Kon­zern wirt­schaft­lich schwie­ri­gen Jah­ren und ei­ner not­dürf­ti­gen Kon­so­li­die­rung ver­kauf­te Rolf Ger­ling sei­ne Un­ter­neh­mens­an­tei­le 2005 an die HDI. 

Hans Ger­ling galt als ei­ner der pro­fi­lier­tes­ten, aber auch um­strit­tens­ten Un­ter­neh­mer der Nach­kriegs­zeit. Hil­mar Kop­per (1935-2021) wür­dig­te Hans Ger­ling pos­tum als „vi­sio­nä­ren Rea­lis­ten“, „krea­ti­ven Ge­stal­ter“ und ge­schick­ten Netz­wer­ker, dem zeit­le­bens vor al­lem sei­ne „geis­ti­ge Un­ab­hän­gig­keit“ wich­tig ge­we­sen sei. In­ner­be­trieb­lich wirk­te Ger­ling als „so­zia­ler Pa­tri­ar­ch“, kon­ser­va­tiv in sei­nen An­schau­un­gen, re­prä­sen­ta­tiv und macht­be­wusst im Auf­tre­ten, scharf und mit­un­ter barsch in sei­ner Rhe­to­rik – al­le Fä­den des Kon­zerns lie­fen bei ihm zu­sam­men. Im Köl­ner Frie­sen­vier­tel ließ Hans Ger­ling ei­nen im­po­san­ten Ge­schäfts­sitz und am Ge­re­ons­hof das Ger­ling-Hoch­haus er­rich­ten, das das Bild der Stadt präg­te. 1973 ließ sich der Schrift­stel­ler Gün­ther Wall­raff (ge­bo­ren 1942) un­ter Vor­la­ge ge­fälsch­ter Per­so­nal­un­ter­la­gen als Bo­te bei Ger­ling an­stel­len und ver­öf­fent­lich­te in dem Buch „Ihr da oben – wir da un­ten“ ei­ne Re­por­ta­ge über die hier­ar­chi­schen Struk­tu­ren bei Ger­ling. 

Literatur

Barth, Bo­ris, Der Ger­ling-Kon­zern als Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men, in: Hil­ger, Su­san­ne/ Soé­ni­us, Ul­rich S. (Hg.), Netz­wer­ke – Nach­fol­ge – So­zia­les Ka­pi­tal. Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men im Rhein­land im 19. und 20. Jahr­hun­dert, Köln 2009, S. 103–118.
Frei, Nor­bert/Ah­rens, Ralf/Os­ter­loh, Jörg/Scha­netz­ky, Tim, Flick: der Kon­zern, die Fa­mi­lie die Macht, Mün­chen 2011.
Koch, Pe­ter, Ge­schich­te der Ver­si­che­rungs­wirt­schaft in Deutsch­land, Karls­ru­he 2012.
Streeck, Wolf­gang/Höp­ner, Mar­tin (Hg.), Al­le Macht dem Markt? Fall­stu­di­en zur Ab­wick­lung der Deutsch­land-AG, Frank­furt a. M./New York 2003.

Online

Ger­ling Ver­si­che­rungs-Be­tei­li­gungs-AG (Hg.), 100 Jah­re Ger­ling – Ei­ne Chro­ni­k [zu­letzt ab­ge­ru­fen am 30.11.2013]. [On­line]
Keun, Chris­ti­an, Die reichs­ten Deut­schen: Rolf Ger­ling – Mil­li­ar­den­schwer mit Si­cher­heit, in: Spie­gel on­line 23.6.2001  [zu­letzt ab­ge­ru­fen am 30.11.2013]. [On­line]
Kop­per, Hil­mar, Hall of fa­me 1999 – Lau­da­tio. Hil­mar Kop­per über Hans Ger­ling, in: ma­na­ger ma­ga­zin on­line 2.7.1999 [zu­letzt ab­ge­ru­fen am 30.11.2013]. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Junggeburth, Tanja, Hans Gerling, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-gerling/DE-2086/lido/57c6c75e10d8d6.84592694 (abgerufen am 28.03.2024)