Rudolf Schwarz

Architekt und Stadtplaner (1897-1961)

Wolfgang Pehnt (Köln)

Rudolf Schwarz, Porträtfoto. (Privatbesitz)

Ru­dolf Schwarz war ein be­deu­ten­der Ar­chi­tekt von Sa­kral- und Prof­an­bau­ten, mit Ar­chi­tek­tur­bü­ros in Frank­furt am Main un­d Köln. Als Leh­rer wirk­te er in­ Of­fen­bach (Tech­ni­sche Lehr­an­stal­ten, 1925-1927), Aa­chen (Kunst­ge­wer­be­schu­le, 1927-1934) un­d Düs­sel­dorf (Staat­li­che Aka­de­mie, 1953-1961). Zwi­schen 1946 und 1952 lei­te­te er als Ge­ne­ral­pla­ner den Wie­der­auf­bau der Stadt Köln. Sei­ne Bü­cher sind fast sämt­lich wie­der auf­ge­legt wor­den; sie zäh­len zu den wich­ti­gen theo­re­ti­schen Schrif­ten über Kir­chen­bau und ar­chi­tek­to­ni­sche Mo­der­ne

Es sei „das Kom­pro­miss­lo­ses­te, was es zur Zeit gibt", war das Ur­teil, das der da­mals 33-jäh­ri­ge Ru­dolf Schwarz über den strengs­ten, as­ke­tischs­ten Kir­chen­bau sei­nes Oeu­vres fäll­te: die Kir­che St. Fron­leich­nam in Aa­chen (1929/ 1930). Der in end­lo­sen Va­ri­an­ten er­ar­bei­te­te Ent­wurf zeigt ei­nen lang ge­streck­ten, wei­ßen Kas­ten­raum, den ein ein­zi­ges Sei­ten­schiff be­glei­tet. Ta­ges­licht fällt durch hoch ge­leg­te qua­dra­ti­sche Fens­ter des Haupt­schif­fes ein, wo­bei die Fens­ter an der nörd­li­chen Sei­te über dem Al­t­ar­berg paar­wei­se her­un­ter­stei­gen. Die Wand hin­ter dem Al­tar blieb ge­schlos­se­ne Flä­che, „ge­spann­te Mem­bran", wie Schwarz sie nann­te. Den frei ste­hen­den Glo­cken­turm ver­bin­det ei­ne zar­te Stahl­brü­cke mit dem Dach­raum über dem Hoch­schiff. Au­ßer ei­ner klei­nen Feld­stein­ka­pel­le im Vor­ei­fel­dorf Le­vers­bach ist die Fron­leich­nams­kir­che der ein­zi­ge Sa­kral­bau, den der jun­ge Di­rek­tor der Aa­che­ner Kunst­ge­wer­be­schu­le ge­gen En­de der Wei­ma­rer Re­pu­blik rea­li­sie­ren konn­te, ein Bau, der „in der Rein­heit sei­ner ma­the­ma­ti­schen Form" den Gott eh­ren soll, „der Geo­me­trie treibt". 

Ru­dolf Schwarz, am 15.5.1897 als Sohn des Gym­na­si­al­di­rek­tors Hil­mar Schwarz in Straß­burg ge­bo­ren, aber aus ei­ner rhei­ni­schen Fa­mi­lie stam­mend, wur­de an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Ber­lin-Char­lot­ten­burg aus­ge­bil­det und pro­mo­viert und war 1923/ 1924 Meis­ter­schü­ler bei Hans Poel­zig (1869-1936). Mit dem äl­te­ren Kir­chen­bau­meis­ter Do­mi­ni­kus Böhm ar­bei­te­te er von 1925 bis 1927 in Of­fen­bach zu­sam­men. Die drit­te prä­gen­de Be­geg­nung sei­nes Le­bens war die mit dem Theo­lo­gen und Lit­ur­gie­re­for­mer Ro­ma­no Guar­di­ni (1885-1968). 1924 wur­de Schwarz zum Burg­ar­chi­tek­ten der Burg Ro­then­fels am Main be­ru­fen, dem Stamm­sitz der ka­tho­li­schen Ju­gend­be­we­gung Quick­born, den Guar­di­ni ab 1927 lei­te­te. In ei­nem Akt schöp­fe­ri­scher Denk­mal­pfle­ge ge­stal­te­te Schwarz das bau­fäl­li­ge Ge­mäu­er um, in des­sen Fest­räu­men er Ele­men­te der Tech­nik kom­pro­miss­los ein­be­zog. 

St. Fron­leich­nam, zwei Prof­an­bau­ten in Aa­chen (So­zia­le Frau­en­schu­le, Haus der Ju­gend) und in den 30er Jah­ren meh­re­re pri­va­te Wohn­häu­ser zäh­len zu den kon­se­quen­ten Äu­ße­run­gen der Ar­chi­tek­tur­mo­der­ne. Gleich­wohl sah sich Schwarz in ei­nem Ge­gen­satz zu Funk­tio­na­lis­mus, Prag­ma­tis­mus und Ra­tio­na­lis­mus, der nach dem Krieg, 1953, zu ei­ner schar­fen Po­le­mik ge­gen das Bau­haus und des­sen Grün­der Wal­ter Gro­pi­us (1883-1969) es­ka­lier­te. Schwarz ging es um ei­ne Welt, „die hoch über dem Brauch­ba­ren thront", um „Ar­chi­tek­tur als freie Kunst", um „Ur­ge­stal­ten", wie er sie für den Sa­kral­bau in sei­ner Schrift „Vom Bau der Kir­che" (1938) be­schwor. 

Die­ses Buch be­deu­te­te ei­ne Phä­no­me­no­lo­gie des Kir­chen­baus, ei­ne „We­sens­schau", in der Schwarz sie­ben so ge­nann­te „Plä­ne" ent­wi­ckel­te. Sie wa­ren nicht als Mus­ter­vor­la­gen ge­dacht, son­dern als Ur­bil­der, als „Sa­men von Din­gen": der Hei­li­ge Ring (ge­schlos­se­ner Kreis), der Hei­li­ge Auf­bruch (ge­öff­ne­ter Kreis), der Hei­li­ge Auf­bruch (der nach oben ge­öff­ne­te Kelch), die Hei­li­ge Fahrt (der Raum als Weg wie in St. Fron­leich­nam), der Hei­li­ge Wurf (die Pa­ra­bel), das Hei­li­ge All und den Dom al­ler Zei­ten, die er als Voll­endung und Syn­the­se al­ler vor­her­ge­hen­den Zu­stän­de ver­stand. Die Aa­che­ner Kunst­ge­wer­be­schu­le wur­de schon zu Be­ginn des „Drit­ten Rei­ches", 1934, ge­schlos­sen, der Di­rek­tor ent­las­sen. Dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus stand Schwarz ab­leh­nend ge­gen­über. Nach Jah­ren der Un­ter­be­schäf­ti­gung wur­de er je­doch in den Kriegs­jah­ren zu weit rei­chen­den pla­ne­ri­schen Auf­ga­ben im Gau West­mark ver­pflich­tet. Für Schwarz war es die ers­te prak­ti­sche Be­schäf­ti­gung mit Stadt- un­d ­Lan­des­pla­nung, in der sich sein bild­haf­tes und mor­pho­lo­gi­sches Den­ken mit dem in den 1920er und 1930er Jah­ren ver­brei­te­ten Ge­dan­ken der Stadt­land­schaft ver­band. Für ihn war es ei­ne Vor­be­rei­tung auf die Wie­der­auf­bau­pla­nung, die ihn nach dem Krieg im schwer zer­stör­ten Köln er­war­te­te.

Von 1946 bis 1952 war Schwarz als Ge­ne­ral­pla­ner für den Städ­te­bau Kölns ver­ant­wort­lich. Er, der sich dem or­ga­ni­schen Bau­en zu­rech­ne­te, such­te die Ge­stalt her­aus­zu­ar­bei­ten, dem die na­tür­li­chen Wachs­tums­kräf­te zu­zu­steu­ern schie­nen. Die neue Groß­stadt soll­te „le­ben­dig durch­bau­te Land­schaft" sein und sich um zwei Po­le grup­pie­ren: die al­te ehr­wür­di­ge „Hoch­stadt" mit ih­ren zen­tra­len Auf­ga­ben in Ver­wal­tung, Bil­dung, „Ho­heit" und „An­be­tung" so­wie ei­ne neue, werk­tä­ti­ge Stadt der Ar­beit im Nor­den. Die­se Dop­pel­stadt bil­de­te für Schwarz Teil ei­nes „Städ­te­bun­des", ei­nes „Stern­hau­fens". Auch ih­re Be­woh­ner wa­ren in sei­nen Au­gen Dop­pel­we­sen, die sich ei­ner­seits mo­der­ner Tech­nik be­dien­ten, an­de­rer­seits als „me­ta­tech­ni­sche" We­sen auf Maß, Mu­ße und Stil­le an­ge­legt wa­ren. Ent­spre­chend soll­te die Stadt zwar gro­ßräu­mig an­ge­legt sein und dem Ver­kehr Raum ge­ben, zu­gleich aber die al­ten Gren­zen der Kirch­spie­le mit ih­ren Pfarr- und Stifts­kir­chen, Plät­zen und Ein­kaufs­stra­ßen re­spek­tie­ren. Da­her ver­fügt Kölns In­nen­stadt noch heu­te über ei­nen ho­hen An­teil an Wohn­be­völ­ke­rung. 

Die letz­ten 15 Jah­re sei­nes Le­bens stand Schwarz in der Voll­kraft sei­nes Schaf­fens. Ne­ben und nach sei­ner stadt­pla­ne­ri­schen Ar­beit und der Lehr­tä­tig­keit an der Düs­sel­dor­fer Aka­de­mie bau­te er mit an­de­ren Ar­chi­tek­ten von 1946 bis 1948 die aus­ge­brann­te Pauls­kir­che in Frank­furt am Main zu ei­nem re­prä­sen­ta­ti­ven Ort der De­mo­kra­tie um und er­rich­te­te Maß­stä­be set­zen­de Kul­tur­bau­ten in Köln: das Ver­an­stal­tungs­haus Gür­ze­nich zwi­schen 1949 und 1955 ge­mein­sam mit Karl Band (1900-1995) so­wie das Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­um von 1950 bis 1958 mit Jo­sef Ber­nard (1902-1959), als ers­ten Neu­bau ei­nes Mu­se­ums in der Bun­des­re­pu­blik. 

Vor al­lem aber schuf er zahl­rei­che Kir­chen, über­wie­gend an Rhein und Ruhr und im Frank­fur­ter Raum. Die Grund­ris­se ent­wi­ckel­te er in gro­ßer Viel­falt zwi­schen Recht­eck, T-Form, Pa­ra­bel oder El­lip­se. Die Bau­ten sind jetzt we­ni­ger as­ke­tisch als in der Aa­che­ner Zeit. Wän­de wir­ken nicht nur als Be­gren­zun­gen von Räu­men, son­dern als kör­per­haf­te Raum­fas­sun­gen. Im­mer sind es gro­ße, Frei­heit las­sen­de Raum­fi­gu­ren. For­de­run­gen der Lit­ur­gie­be­we­gung, der Schwarz na­he stand, in­ter­pre­tier­te er nicht als zwin­gen­des Pro­gramm, son­dern als freie Vor­ga­ben; er woll­te kei­ne „Lit­ur­gie-Ma­schi­nen". Ein Mehr an Raum, ein Über­schuss an Lee­re, der „hei­li­ge Über­fluss" wa­ren ihm im­mer wich­tig. St. An­na in Dü­ren (1951-1956), St. Mi­cha­el in Frank­furt (1952-1956), Hei­lig Kreuz in Bot­trop (1953-1957), St. An­to­ni­us in Es­sen-Frohn­hau­sen (1956-1959), St. T­he­re­si­en in Linz (1956-1963) und St. Bo­ni­fa­ti­us in Aa­chen-Forst (1959-1964) sind be­deu­ten­de Bei­spie­le die­ser Schaf­fens­pha­se. Bild­haf­te Vor­stel­lun­gen - der Man­tel, die mys­ti­sche Ro­se, die Schlucht, der Stu­fen­berg, das Bau­werk als klei­ne Stadt - be­stim­men auch die­se Bau­ten. Aber die­se Bil­der sind ganz zu­rück­ge­nom­men, ab­stra­hiert, trans­for­miert; sie ge­hen voll­kom­men in der ge­bau­ten Ar­chi­tek­tur auf. 

Als Ru­dolf Schwarz am 3.4.1961 in Köln ei­nem Herz­lei­den er­lag, hin­ter­ließ er Plä­ne und Skiz­zen für nicht we­ni­ger als neun Kir­chen­bau­auf­trä­ge, die sei­ne Frau, die Ar­chi­tek­tin Ma­ria Schwarz, zu­sam­men mit Freun­den und Mit­ar­bei­tern rea­li­sier­te. Sie ist es auch, die das ar­chi­tek­to­ni­sche Er­be hü­tet und die Bau­ten vor ei­nem Schick­sal wie dem Ab­riss der Schwarz-Kir­che St. Ra­pha­el in Ber­lin-Gatow (2005) zu be­wah­ren sucht. 

Schriften (Auswahl)

Kir­chen­bau. Welt vor der Schwel­le, Hei­del­berg 1960, Neu­auf­la­ge Re­gens­burg 2007.
Das Neue Köln, ein Vor­ent­wurf, Köln 1950.
Vom Bau der Kir­che, Würz­burg 1938, Neu­auf­la­ge Salz­burg 1998.
Von der Be­bau­ung der Er­de, Hei­del­berg 1949, Neu­auf­la­ge Salz­burg/Mün­chen 2006.
Weg­wei­sung der Tech­nik, Pots­dam 1928, Neu­auf­la­ge Köln 2007.

Literatur

Has­ler, Tho­mas, Ar­chi­tek­tur als Aus­druck - Ru­dolf Schwarz, Zü­rich/Ber­lin 2000.
Mant­zi­aras, Pa­nos, Ru­dolf Schwarz et la Dis­so­lu­ti­on des Vil­les. La Vil­le-Pay­sa­ge, Genf 2008.
Pehnt, Wolf­gang, Ru­dolf Schwarz. Ar­chi­tekt ei­ner an­de­ren Mo­der­ne [mit Werk­ver­zeich­nis von Hil­de Strohl], Ost­fil­dern 1997.
Zah­ner, Wal­ter, Ru­dolf Schwarz. Bau­meis­ter der Neu­en Ge­mein­de, Al­ten­ber­ge 1992.

 
Zitationshinweis

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Pehnt, Wolfgang, Rudolf Schwarz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/rudolf-schwarz/DE-2086/lido/57c94d23094702.06412014 (abgerufen am 23.04.2024)