Johannes Hoffmann, Das Ziel war Europa. Der Weg der Saar 1945-1955, hrsg. v. Markus Gestier (Malstätter Beiträge), Neuauflage der Erstausgabe von 1963, St. Ingbert 2013

477 S., ISBN 978-3-9502-003-2, 19,90 Euro

Keywan Klaus Münster (Bonn)

Jo­han­nes Hoff­mann zählt oh­ne Zwei­fel zu den be­deu­tends­ten und im glei­chen Ma­ße po­la­ri­sie­rends­ten Per­sön­lich­kei­ten der jün­ge­ren saar­län­di­schen Ge­schich­te. Dies ist we­ni­ger sei­nem En­ga­ge­ment wäh­rend des ers­ten saar­län­di­schen Ab­stim­mungs­kamp­fes 1935 zu­zu­schrei­ben. Es war sei­ne Po­li­tik als Mi­nis­ter­prä­si­dent nach dem Zwei­ten Welt­krieg und sein Stre­ben nach ei­nem au­to­no­men „Saar­staa­t“, die „den Di­cken“ zum Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt tie­fer Ab­nei­gung und Be­wun­de­rung mach­te. Sei­nen Na­men, meist in der Kurz­form „Jo­Ho“, ver­bin­det man mit der Ab­stim­mung über das eu­ro­päi­sche Saar­sta­tut am 23. Ok­to­ber 1955. An die­sem Ta­ge lehn­te die Saar­be­völ­ke­rung die Bil­dung ei­nes au­to­no­men, eu­ro­päi­schen Staats­ge­bil­des mehr­heit­lich ab. Der ent­schei­den­de Schritt zum Bei­tritt in die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land war ge­macht.

Hoff­mann hat­te in dem lei­den­schaft­lich ge­führ­ten Ab­stim­mungs­kampf für ei­ne „Eu­ro­päi­sie­run­g“ der Saar ge­wor­ben; denn ein vom na­tio­na­lis­ti­schen Ei­fer ge­rei­nig­tes Saar­land – noch im­mer Zank­ap­fel zwi­schen Deutsch­land und Frank­reich – wer­de nach Hoff­mann die Keim­zel­le ei­nes ge­ein­ten Eu­ro­pas bil­den. Die Frank­reich­po­li­tik des Mi­nis­ter­prä­si­den­ten schwank­te zwi­schen der Un­ter­maue­rung der ge­mein­sa­men Wirt­schafts- und Wäh­rungs­uni­on und der kul­tu­rel­len Ab­gren­zung vom lai­zis­ti­schen Nach­barn. Erst mit dem zu­neh­men­den Er­folg der neu­en Bun­des­re­pu­blik ge­riet das Hoff­man­sche Kon­zept ins Wan­ken. Den­noch er­reich­te das Saar­land mit der Saar­kon­ven­ti­on vom 3. März 1950 ei­nen weit­ge­hend au­to­no­men Sta­tus – als „Staat von Frank­reichs Gna­den“ (Wolf­gang Tisch­ner) er­hielt man ein ei­ge­nes Lan­des­wap­pen, ei­ne ei­ge­ne Flag­ge, Wäh­rung und Bot­schaft in Pa­ris. So­gar ei­ne ei­ge­ne Fuß­ball-Na­tio­nal­mann­schaft soll­te bei der WM-Qua­li­fi­ka­ti­on 1954 an­tre­ten. Hoff­manns Stre­ben nach Au­to­no­mie war ge­kop­pelt an die Vi­si­on ei­nes neu­en Mit­ein­an­ders, ei­nes fö­de­ra­tiv ge­ord­ne­ten „eu­ro­päi­schen Va­ter­lan­des“ – kei­nem „Eu­ro­pa der Va­ter­län­der“: „Ein neu­es Ord­nungs­prin­zip stand al­so Pa­te an der Wie­ge der au­to­no­men Saar“ (S. 453). Ein zu gro­ßer Ein­fluss ei­ner Na­ti­on an der Saar hät­te die­se nicht zur Keim­zel­le, son­dern zu ei­ner neu­en Hy­po­thek die­ser Idee ge­macht.  

Dem au­ßen­po­li­ti­schen Vi­sio­när stand in der ers­ten Hälf­te der 1950er Jah­re der in­nen­po­li­ti­sche Staats­mann au­to­ri­tä­rer Prä­gung ge­gen­über, der po­li­ti­sche Geg­ner po­li­zei­lich drang­sa­lier­te, ver­bot und aus­wies. Trotz al­ler Ver­diens­te um das Saar­land, wel­ches sei­nen heu­ti­gen Sta­tus als Bun­des­land wohl auch der Po­li­tik Hoff­manns ver­dankt, wer­fen die­se Zü­ge ei­nen nicht zu über­se­hen­den Schat­ten über sei­ne Amts­zeit. In die­ser Dis­kre­panz ist der Grund für die am­bi­va­len­te Mei­nungs­bil­dung über sein Le­ben und Wir­ken zu su­chen. Die Ab­stim­mung um die po­li­ti­sche Zu­kunft der Saar war lei­den­schaft­lich ge­führt wor­den und hat­te die Be­völ­ke­rung an der Saar in „Se­pa­ra­tis­ten“ und „Na­tio­na­lis­ten“ ge­spal­ten. Zum zwei­ten Mal hat­ten die Saar­län­der über ih­re na­tio­na­le Zu­ge­hö­rig­keit zu ent­schei­den. In die­ser un­ver­söhn­li­chen, von Ent­glei­sun­gen und ge­sell­schaft­li­cher Re­pres­si­on ge­präg­ten, Si­tua­ti­on kam es auch zu ge­walt­tä­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen. Hu­bert Ney, Hoff­manns spä­te­rer Nach­fol­ger und Vor­sit­zen­der der ver­bo­te­nen CDU Saar, rief nach dem En­de der Ab­stim­mung aus: „Die Se­pa­ra­tis­ten lie­gen in der Gos­se, und wir las­sen sie dar­in lie­gen!“. Die Ab­leh­nung sei­ner Au­to­no­mie­be­stre­bun­gen mar­kier­te das En­de sei­nes po­li­ti­schen Le­bens; kurz nach der Ver­kün­dung des Er­geb­nis­ses trat Hoff­mann als Mi­nis­ter­prä­si­dent zu­rück. 

Im Ein­druck der fol­gen­den Ent­wick­lun­gen, der An­nä­he­rung der ehe­ma­li­gen „Erb­fein­de“ und der In­te­gra­ti­on der Saar in die Bun­des­re­pu­blik, ver­fass­te Hoff­mann sei­ne Er­in­ne­run­gen. Sie sind frei­lich mehr als Re­chen­schafts­be­richt zu ver­ste­hen. Sei­ne Be­fürch­tun­gen über den ver­derb­li­chen Ein­fluss ei­ner nicht au­to­no­men Saar hat­ten sich nicht be­stä­tigt; die deutsch-fran­zö­si­sche Freund­schaft wur­de im Ely­see-Ver­trag 1963 be­sie­gelt. Im glei­chen Jahr leg­te Hoff­mann „Das Ziel war Eu­ro­pa“ vor. Ver­söhn­li­cher als man es acht Jah­re nach dem fu­rio­sen Fi­na­le 1955 ver­mu­ten woll­te, trat Hoff­mann erst­mals wie­der an die Öf­fent­lich­keit. Sei­ne Schrift bil­det kei­ne Ab­rech­nung mit sei­nen po­li­ti­schen Geg­nern; viel­mehr be­müh­te sich Hoff­mann um Ver­ständ­nis für sei­ne Po­li­tik und sei­ne eu­ro­päi­sche Vi­si­on. Aus­ge­hend von der ei­ge­nen Bio­gra­phie be­schreibt er die Ge­ne­se sei­ner Po­li­tik, ord­net die­se aber zu­gleich dem „Ziel Eu­ro­pa“ un­ter. Wohl auch aus die­sem Grund ver­mag er in sei­nem Schluss­wort zu­zu­ge­ben, dass er die au­ßen­po­li­ti­sche Ge­men­ge­la­ge falsch ein­ge­schätzt hat­te: „Im Rück­blick kann fest­ge­stellt wer­den, daß die auf Ver­stän­di­gung mit Frank­reich hin­zie­len­de Nach­kriegs­po­li­tik er­reicht hat, daß trotz al­ler da­mals be­rech­tig­ten Be­fürch­tun­gen die na­tio­na­le Ei­gen­ent­schei­dung der Saar­län­der sich nicht stö­rend son­dern ent­stö­rend auf das deutsch-fran­zö­si­sche Ver­hält­nis aus­ge­wirkt hat.“ (S. 466)

Mit der Neu­auf­la­ge der von Hoff­mann 1963 ver­öf­fent­lich­ten Er­in­ne­run­gen macht die Saar­brü­cker Uni­on Stif­tung nun ei­ne zen­tra­le zeit­ge­schicht­li­che Quel­le zu­gäng­lich, die in ih­rer Be­deu­tung nicht al­lei­ne das Saar­land be­rührt. Auch ein wich­ti­ger As­pekt eu­ro­päi­scher In­te­gra­ti­ons­ge­schich­te wird über die Neu­auf­la­ge greif­bar, der heu­te frei­lich ak­tu­el­ler denn je er­schei­nen mag. Das im Con­te-Ver­lag er­schie­ne­ne Werk ist Be­stand­teil ei­nes vor­bild­li­chen Vor­ha­bens, Le­ben und Werk des Mi­nis­ter­prä­si­den­ten in ei­ner Viel­zahl von Ver­öf­fent­li­chun­gen ei­ner ak­tu­el­len – und vor al­lem un­auf­ge­reg­ten! - his­to­risch-kri­ti­schen Be­trach­tung zu un­ter­zie­hen. Da­bei sol­len auch Leis­tun­gen der ver­meint­li­chen per­so­na non gra­ta ge­wür­digt wer­den. An­de­re Ka­pi­tel der Amts­zeit Hoff­manns gilt es auf­zu­ar­bei­ten. Das be­reits in der Erst­aus­ga­be von 1963 ent­hal­te­ne Ge­leit­wort von Hoff­manns Weg­ge­fähr­ten Ro­bert Schu­mann wird in der Neu­auf­la­ge von ei­nem ab­ge­druck­ten In­ter­view von Da­ni­el Kirch und Stu­di­en­lei­ter Mar­kus Ge­s­tier er­gänzt. „Statt ei­nes wei­te­ren Vor­wor­tes“ wird so sinn­voll in den Kon­text ein­ge­führt, Brü­che und Er­run­gen­schaf­ten Hoff­manns Bio­gra­phie her­aus­ge­stellt und des­sen Po­li­tik ein­ge­ord­net. Ab­ge­run­det wird die mehr als ge­lun­ge­ne Neu­auf­la­ge von ei­ner um­fang­rei­chen Zeit­ta­fel, dem Ab­druck des Eu­ro­päi­schen Saar­sta­tut (23.10.1954) so­wie ei­ner Auf­lis­tung der an der Saar agie­ren­den Par­tei­en. 

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Münster, Keywan Klaus, Johannes Hoffmann, Das Ziel war Europa. Der Weg der Saar 1945-1955, hrsg. v. Markus Gestier (Malstätter Beiträge), Neuauflage der Erstausgabe von 1963, St. Ingbert 2013, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/johannes-hoffmann-das-ziel-war-europa.-der-weg-der-saar-1945-1955-hrsg.-v.-markus-gestier-malstaetter-beitraege-neuauflage-der-erstausgabe-von-1963-st.-ingbert-2013/DE-2086/lido/5d1b1f0fd33375.40416008 (abgerufen am 28.03.2024)