Epochen
Am 8. November 2010 wurde bekannt, dass die Mönche ihren Konvent auf dem Siegburger Michaelsberg auflösen würden. Die 1064 von Anno II. begründete Tradition einer Benediktinerabtei an diesem Ort kam zu einem Abschluss – wenn auch manche Beobachter unter Hinweis auf frühere Unterbrechungen der Klostergeschichte auf einer Wiederbesiedlung in der Zukunft hoffen mögen.
Der Siegburger Journalist Günter Willscheid hat den „Abschied von der Abtei“ mit zahlreichen Zeitungsartikeln, die in der Rhein-Sieg-Rundschau erschienen, begleitet. Aus diesen Artikeln der ersten anderthalb Jahre nach dem Auflösungsbeschluss ist das vorliegende Buch entstanden, wobei die Beiträge vor allem um aussagekräftiges Bildmaterial erweitert wurden. Freilich kann der akribisch arbeitende Historiker bemängeln, dass die Daten der Erstveröffentlichungen nicht ersichtlich sind. Auch kann man angesichts deutlicher Parteinahmen hin und wieder unterschiedlicher Meinung sein, beispielsweise wenn der 1968 zurückgetretene reformoffene und mit dem Theologen Hubertus Halbfas sympathisierende Abt Alkuin Heising kritisch betrachtet wird. Heisings Reflexionen von 1993 finden keine Berücksichtigung.
Doch es besteht kein Zweifel: Der nicht streng chronologisch geordnete Band ist ein Schatz für alle, die sich mit der Abtei befassen wollen: Gründung, Baumaßnahmen im Laufe der Jahrhunderte, die Zeiten als Irrenanstalt, Gefängnis und Lazarett werden ebenso thematisiert wie die Vermietung an die Bundesfinanzakademie und Erinnerungen von Zeitzeugen. Vor allem Letztere stellen einen Fundus für Historiker dar: Ehemalige Pennäler des Abtei-Internats Sankt Maurus erzählen ebenso wie Mitglieder der den Mönchen nahestehenden Studentenverbindung Hercynia. Hildegard Heidgen hat als Pfarrsekretärin in der Zeit gearbeitet, als der Abt der Siegburger Kirchengemeinde Sankt Servatius vorstand: Hier erfährt man Anekdotisches über den Zigarrenfreund Abt Placidus Mittler und Pater Hieronymus Horn, der als für den Stadtteil Zange zuständiger Geistlicher gut ein Auto brauchen konnte und erfolgreich eine Fahrschule besuchte.
Ernster ist der Bericht über Karl-Heinz Neifer, während der NS-Zeit Messdiener in der Abteikirche. Von einem Jungvolkführer wurde Neifer, der auch bei einem auf dem Michaelsberg festgehaltenen französischen Priester ministriert hatte, während einer NS-Versammlung mit 500 Teilnehmern auf dem Markt namentlich angegriffen: „Seht her, dieses Schwein, er hat bei einem französischen Pfaffen die Messe gedient. Ich habe mit meinem Blut gegen den Erzfeind des deutschen Volkes gekämpft, und dann sehe ich so etwas.“
Von zeithistorischem Interesse ist das Gespräch mit dem 2000 nach 30 Jahren zurückgetretenen vorletzten Abt von St. Michael, Placidus Mittler. Er macht deutlich, dass er „nicht aus Müdigkeit“ zurückgetreten sei und lässt den Historiker die Stirn runzeln, wenn er davon spricht, er habe die Akten mit seinen Predigten „entsorgt“.
Das Buch schließt mit einem Bericht über die Liquidation des „Vereins der Benediktiner vom Michaelsberg“ am 30. September 2012 und dem unschön verlaufenen Verramschen des Inventars in der Verantwortung des bis zuletzt in den Abteigemäuern verbliebenen Benediktiners Frater Linus Appell.
Günter Willscheid hat gut daran getan, seine Zeitungsartikel zur Abteigeschichte in Buchform vorzulegen. Sie werden für alle, die sich mit dem einstweiligen Ende der Benediktinertradition auf dem Michaelsberg befassen, unverzichtbar sein. Der Band wird in mancher Bibliothek als traurige Ergänzung neben Andrea Korte-Bögers Bildmonographie „Oben auf dem Berg“ von 2008 zu stehen kommen.
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Forsbach, Ralf, Willscheid, Günter, Oben auf dem Berg. Abschied von der Abtei, Niederhofen 2012, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/willscheid-guenter-oben-auf-dem-berg.-abschied-von-der-abtei-niederhofen-2012/DE-2086/lido/57d16463bb3c11.96745870 (abgerufen am 19.04.2024)