Wilhelm Ludwig Deichmann

Bankier (1798-1876)

Helmut Vogt (Bonn)

Wilhelm Ludwig Deichmann, Porträtfoto, um 1860.

Wäh­rend sei­ner lang­jäh­ri­gen Tä­tig­keit an der Spit­ze füh­ren­der Köl­ner Bank­häu­ser mach­te sich Deich­mann um die Be­ra­tung und Fi­nan­zie­rung der auf­stre­ben­den west­deut­schen In­dus­trie ver­dient. Das von ihm in Lan­nes­dorf (heu­te Stadt Bonn) er­wor­be­ne Land­haus wur­de schnell zu ei­nem ge­sell­schaft­li­chen Mit­tel­punkt am Rhein und er­hielt 1949 als Bon­ner Haupt­quar­tier des US-Hoch­kom­mis­sars John McCloy (1895-1989) neue Be­deu­tung.

 

Wil­helm Lud­wig Deich­mann wur­de am 3.8.1798 als drit­ter Sohn des Bür­ger­meis­ters und Amts­rich­ters Kon­rad Deich­mann (1769-1838) in Ro­den­berg am De­is­ter ge­bo­ren. Im Al­ter von 15 Jah­ren nahm er als Frei­wil­li­ger an den Frei­heits­krie­gen teil. Nach kauf­män­ni­scher Leh­re in Bre­men trat er 1818 in das 1790 ge­grün­de­te Köl­ner Han­dels- und Bank­haus A. Schaaff­hau­sen ein, fiel schnell we­gen sei­ner Tüch­tig­keit auf und wur­de des Öf­te­ren mit der stell­ver­tre­ten­den Ge­schäfts­lei­tung be­auf­tragt. Der Tod des Grün­ders Abra­ham Schaaff­hau­sen (1756-1824) ließ das von des­sen Schwie­ger­sohn Louis Mer­tens (1782-1842) ge­führ­te Un­ter­neh­men in ge­fähr­li­cher Sta­gna­ti­on ver­har­ren. Die ehe­li­che Ver­bin­dung (26.5.1830) zwi­schen Deich­mann und Eli­sa­beth Ja­co­bi­ne Eleo­no­re (“Lil­la”) Schaaff­hau­sen (1811-1888) lös­te das Pro­blem der Va­kanz an der Spit­ze der Fir­ma: Da Abra­ham Schaaff­hau­sen kei­ne Söh­ne hat­te und Mer­tens 1830 aus­schied, über­nahm Deich­mann mit der Ge­samt­lei­tung de fac­to das Er­be des Fir­men­grün­ders. Die Ein­bin­dung des viel­ver­spre­chen­den Nach­wuchs­un­ter­neh­mers über die Kon­fes­si­ons­gren­ze hin­weg - Deich­mann war Lu­the­ra­ner, sei­ne Frau Ka­tho­li­kin - gilt als ty­pisch für ge­ziel­te Hei­ra­ten in die wirt­schaft­li­che Füh­rungs­schicht Kölns hin­ein. Acht der Kin­der des Ehe­paars folg­ten die­sem Mus­ter und ehe­lich­ten Mit­glie­der füh­ren­der Un­ter­neh­mer­dy­nas­ti­en un­ter­schied­li­cher Bran­chen.

Als Teil­ha­ber und Lei­ter des Han­dels- und Bank­hau­ses A. Schaaff­hau­sen führ­te Deich­mann des­sen Wa­ren- und Spe­di­ti­ons­ge­schäf­te zu Guns­ten rei­ner Bank­tä­tig­kei­ten zu­rück und en­ga­gier­te sich stark in der Fi­nan­zie­rung von Ei­sen­bahn­bau und Mon­tan­in­dus­trie. 1847 er­reich­te der Um­satz 50 Mil­lio­nen Ta­ler. Dass auch der tra­di­tio­nel­le Kern des Hau­ses, das Im­mo­bi­li­en­ge­schäft, da­bei nicht ver­nach­läs­sigt wur­de, ist dem Un­ter­neh­men in der Kri­se vom März 1848 bei­na­he zum Ver­häng­nis ge­wor­den. In­ner­halb von zwei Jah­ren wur­de es von über 40 Kon­kur­sen be­trof­fen. Ho­he Im­mo­bi­li­en­be­stän­de, ein be­droh­ter Gro­ßkre­dit an ei­nen Bau­spe­ku­lan­ten und gro­ßzü­gi­ge Aus­lei­hun­gen an die In­dus­trie stra­pa­zier­ten die li­qui­den Mit­tel. Als in Fol­ge der eu­ro­päi­schen Re­vo­lu­tio­nen Gut­ha­ben ab­ge­zo­gen wur­den und der Zu­fluss von Ein­la­gen ver­sieg­te, muss­te das Bank­haus am 29.3.1848 sei­ne Zah­lun­gen ein­stel­len.

Historische Ansicht des Deichmannhauses in Köln, Postkarte, um 1905.

 

Wie die zum 6.5.1848 er­stell­te Bi­lanz aus­weist, war das In­sti­tut zwar il­li­qui­de, aber nicht über­schul­det. Die vor­han­de­nen Ak­ti­va über­stie­gen den Wert der Ver­bind­lich­kei­ten deut­lich. Die Schlie­ßung hät­te al­so durch ei­ne mo­dera­te staat­li­che oder pri­va­te Geld­sprit­ze ver­mie­den wer­den kön­nen. Dass dies nicht ge­schah, nährt die Ver­mu­tung, li­be­ra­le Mi­nis­ter und in­ter­es­sier­te rhei­ni­sche Wirt­schafts­krei­se hät­ten die Kri­se ge­zielt be­nutzt, um das im Kern ge­sun­de, vor al­lem für die re­gio­na­le Wirt­schaft un­ver­zicht­ba­re Un­ter­neh­men um­zu­struk­tu­rie­ren und da­bei gleich­zei­tig die ers­te Ak­ti­en­kre­dit­bank in Preu­ßen (oh­ne das Recht zur No­ten­aus­ga­be) zu schaf­fen. Am 1.11.1848 nahm der A. Schaaff­hau­sen’sche Bank­ver­ein, aus­ge­stat­tet mit ei­ner Ga­ran­tie des Preu­ßi­schen Staa­tes, die Ar­beit auf. Un­ter der Lei­tung Wil­helm Lud­wig Deich­manns, sei­nes Schwie­ger­sohns Vic­tor Wen­del­stadt (1819-1884) und des vom Staat be­stell­ten au­ßer­or­dent­li­chen Di­rek­tors Gus­tav Me­vis­sen ent­wi­ckel­te sich die Ge­sell­schaft zur füh­ren­den Bank der Rhein­lan­de. Die Staats­ga­ran­ti­en konn­ten vor­fris­tig ab­ge­löst wer­den.

Die er­folg­rei­che Kon­so­li­die­rung gab dem Sech­zig­jäh­ri­gen die Chan­ce ei­nes un­ter­neh­me­ri­schen Neu­an­fangs. 1857 trat er bei Schaaff­hau­sen aus und er­öff­ne­te An­fang 1858 zu­sam­men mit Adolph vom Rath (1832-1907), dem Sohn ei­nes Schwa­gers, das Bank­haus Deich­mann & Co in der Köl­ner Trank­gas­se. Ei­nen Teil der Han­dels- und In­dus­trie­kun­den des Bank­ver­eins nahm er mit. Das stark aus­ge­wei­te­te Kon­to­kor­rent­ge­schäft för­der­te die ex­pan­die­ren­den Ak­ti­en­ge­sell­schaf­ten der west­deut­schen Schwer­in­dus­trie und des Berg­baus. Aus die­sen Ak­ti­vi­tä­ten er­gab sich als zwei­tes Stand­bein das in­dus­tri­el­le Grün­dungs- und Emis­si­ons­ge­schäft, in den 1860er Jah­ren vor­nehm­lich im Rah­men der Ab­lö­sung un­er­wünscht ho­her kurz­fris­ti­ger Kre­di­te durch An­lei­hen, spä­ter ge­folgt von der Be­glei­tung neu­er Un­ter­neh­men bei Bör­sen­gän­gen. Im Grün­dungs­fie­ber der frü­hen 1870er Jah­re ist die Bank da­bei vor­über­ge­hend auf Ak­ti­en­pa­ke­ten sit­zen­ge­blie­ben, die aus sol­chen Neu­emis­sio­nen stamm­ten. Über Adolph vom Rath, dem jün­ge­ren So­zi­us, war Deich­mann & Co. 1870 an der Grün­dung der Deut­schen Bank be­tei­ligt. Deich­mann ver­stand sich als Ban­kier, nicht als Pfand­lei­her. An die Stel­le hy­po­the­ka­ri­scher Si­cher­hei­ten setz­te er per­sön­li­ches Ver­trau­en in die Füh­rung der von ihm mit Kre­di­ten ver­sorg­ten Un­ter­neh­men. Au­ßer­ge­wöhn­lich wa­ren sei­ne Freund­schaft zu Al­fred Krupp und die Hö­he des fi­nan­zi­el­len En­ga­ge­ments bei der Fi­nan­zie­rung des stark wach­sen­den Es­se­ner Un­ter­neh­mens. Für Krupp hat­te die Be­wah­rung der Ei­gen­stän­dig­keit Prio­ri­tät; Fi­nan­zie­rungs­fra­gen stan­den für ihn nicht im Zen­trum un­ter­neh­me­ri­scher Tä­tig­keit.

Der be­wuss­te Ver­zicht auf die brei­te­re Ka­pi­tal­ba­sis ei­ner Ak­ti­en­ge­sell­schaft er­for­der­te manch ge­wag­te Kre­dit­auf­nah­me. Zeit­wei­se be­trug Deich­manns An­teil am kurz­fris­ti­gen Bank­kre­dit Krupps 35 Pro­zent. Ein Schei­tern des Ex­pan­si­ons­kur­ses hät­te das Köl­ner Bank­haus in die Tie­fe ge­ris­sen, doch zahl­te sich der Glau­be des Ban­kiers an die un­ter­neh­me­ri­sche Weit­sicht des Freun­des aus. Nach Aus­bruch des Deutsch-Fran­zö­si­schen Krie­ges (1870) half der In­dus­tri­el­le so­gar mit­tels ho­her Ein­la­gen dem Bank­haus aus ei­ner Li­qui­di­täts­klem­me.

Im pri­va­ten Be­reich ma­ni­fes­tier­te sich der Auf­stieg des Be­am­ten­soh­nes ins rhei­ni­sche Wirt­schafts­bür­ger­tum durch den Er­werb ei­nes re­prä­sen­ta­ti­ven Land­guts im Jah­re 1836. In herr­li­cher Aus­sichts­la­ge dem Sie­ben­ge­bir­ge ge­gen­über wur­de die (auf Lan­nes­dor­fer Ge­biet ge­le­ge­ne) “Meh­le­mer Aue” zum Mit­tel­punkt der wach­sen­den Fa­mi­lie. Der Haus­herr fuhr mit der vier­spän­ni­gen Kut­sche nach Köln; nach dem Bau der links­rhei­ni­schen Stre­cke soll er sei­nen Ein­fluss auf die Rhei­ni­sche Ei­sen­bahn­ge­sell­schaft ge­nutzt ha­ben, um ei­nen Hal­te­punkt in der Nä­he sei­nes Wohn­sit­zes ein­rich­ten zu las­sen. Die schlech­ten Ver­kehrs­ver­hält­nis­se hiel­ten die zahl­rei­chen pro­mi­nen­ten Be­su­cher nicht ab: Per Kut­sche, Boot oder Schiff ka­men Kom­po­nis­ten (zum Bei­spiel Jo­han­nes Brahms), Ma­ler, Dich­ter, Di­plo­ma­ten und Pro­fes­so­ren der Bon­ner Uni­ver­si­tät. Häu­fig wa­ren Prinz Wil­helm von Preu­ßen, der spä­te­re Kai­ser Wil­helm I. und Prin­zes­sin Au­gus­ta, mit der Lil­la Deich­mann im Wei­ma­rer Mäd­chen-Pen­sio­nat Freund­schaft ge­schlos­sen hat­te, zu Gast. Wie vie­le Zeit­ge­nos­sen aus dem li­be­ra­len rhei­ni­schen Wirt­schafts­bür­ger­tum setz­te auch ihr Ehe­mann früh auf den preu­ßi­schen Staat und sei­ne Herr­scher­dy­nas­tie als Mo­tor der deut­schen Ein­heit. Dies do­ku­men­tiert auch sei­ne Be­tei­li­gung an der Grün­dung der “R­hei­ni­schen Zei­tung für Han­del, Po­li­tik und Ge­wer­be” (15.12.1841).

Wil­helm Lud­wig Deich­mann starb am 23.11.1876 auf sei­nem Land­sitz und wur­de auf dem Köl­ner Me­la­ten-Fried­hof be­er­digt. Sein En­kel Wil­helm Theo­dor (1864-1929) wur­de 1908 in den erb­li­chen Adels­stand er­ho­ben. Er ließ kurz dar­auf das spät­ba­ro­cke Wohn­haus zu ei­nem schloss­ar­ti­gen Neu­bau um­ge­stal­ten. Im Zwei­ten Welt­krieg von der Wehr­macht er­wor­ben wur­de die Vil­la im Herbst 1949 has­tig und mit viel kri­ti­sier­tem Auf­wand zum Dienst­sitz für John J. McCloy (1895-1989), dem ers­ten ame­ri­ka­ni­schen Hoch­kom­mis­sar, her­ge­rich­tet. In un­mit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft ent­stand 1951 ein gro­ßer Bü­ro­kom­plex zur Auf­nah­me der per­so­nal­star­ken Be­sat­zungs­ver­wal­tung, ab 1955 der Bot­schaft der Ver­ei­nig­ten Staa­ten in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. In das Schlöss­chen und sei­ne Ne­ben­ge­bäu­de zog 1954 das Woh­nungs­bau­mi­nis­te­ri­um.

Literatur

Eyll, Kla­ra van, Wirt­schafts­ge­schich­te Kölns vom Be­ginn der preu­ßi­schen Zeit bis zur Reichs­grün­dung, in: Kel­len­be­nz, Her­mann (Hg.), Zwei Jahr­tau­sen­de Köl­ner Wirt­schaft, Band 2, Köln 1975, S. 163-266.
Hen­ning, Fried­rich Wil­helm (Hg.), Köl­ner Un­ter­neh­mer und die Früh­in­dus­tria­li­sie­rung im Rhein­land und in West­fa­len (1835-1871), Köln 1984.
Klein­pass, Hans, Die Stra­ßen­na­men der Ge­mar­kung Lan­nes­dorf, in: Go­des­ber­ger Hei­mat­blät­ter 13 (1975), S. 102-136; 15 (1977), S. 5-39.
Krü­ger, Al­fred, Das Köl­ner Ban­kier­ge­wer­be vom En­de des 18. Jahr­hun­derts bis 1875, Es­sen 1925.
Lin­den­laub, Jür­gen, Die Fi­nan­zie­rung des Auf­stiegs von Krupp. Die Per­so­nen­ge­sell­schaft Krupp im Ver­gleich mit den Ka­pi­tal­ge­sell­schaf­ten Bo­chu­mer Ver­ein, Ho­er­der Ver­ein und Pho­enix 1850 bis 1880, Es­sen 2006.
Pohl, Man­fred, Die Ent­wick­lung des deut­schen Bank­we­sens zwi­schen 1848 und 1870, in: Pohl, Hans (Hg), Deut­sche Bank­ge­schich­te, Band 2, Frank­furt 1982, S. 141-220.
Tro­tha, Thi­lo von, Chro­nik des Schlos­ses Deich­manns Aue, Bonn 1996.

Schloss Deichmannsaue in Bonn-Rüngsdorf.

 
Zitationshinweis

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Vogt, Helmut, Wilhelm Ludwig Deichmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wilhelm-ludwig-deichmann-/DE-2086/lido/57c690ea821266.21153236 (abgerufen am 16.04.2024)