Johannes Giesberts

Reichspostminister (1865–1938)

Joachim Lilla (Krefeld)

Johannes Giesberts, Porträt.

Jo­han­nes Gies­berts wur­de im Ok­to­ber 1918 als ei­ner der ers­ten Par­la­men­ta­ri­er zum Un­ter­staats­se­kre­tär er­nannt und so­mit in ei­ne po­li­tisch ver­ant­wort­li­che Stel­lung be­ru­fen. Die­se Per­so­na­lie ist auch vor dem Hin­ter­grund sei­ner Re­pu­ta­ti­on als christ­li­cher Ar­bei­ter­funk­tio­när zu se­hen, die er sich vor al­lem wäh­rend des Welt­krie­ges er­wor­ben hat­te. Dass er so­mit als mi­nis­tra­bel galt, zeig­te sich ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter, als ihm in der Re­gie­rung Schei­de­mann das Amt des Reichs­post­mi­nis­ters über­tra­gen wur­de. 

Fa­mi­lie Jo­han­nes Gies­berts wur­de am 3.2.1865 als Sohn des Bä­ckers Ja­cob Gies­berts (1837–1889) und sei­ner Frau Hu­ber­ti­ne (1836–1874) in Strae­len am Nie­der­rhein ge­bo­ren. Nach dem Be­such der Volks­schu­le (1871–1879) ab­sol­vier­te er von 1880 bis 1882 ei­ne Bä­cker­leh­re in Wach­ten­donk, die er aber ab­brach, weil er zum Un­ter­halt der Fa­mi­lie bei­tra­gen muss­te. 

Er ar­bei­te­te dann in ver­schie­de­nen Be­trie­ben (Land­wirt­schaft, Zie­ge­lei, Öl­müh­le), leis­te­te von 1885-1888 sei­nen Mi­li­tär­dienst und war als Braue­rei­ar­bei­ter, 1891-1899 als Kes­sel­hei­zer in der Ei­sen­bahn­werk­stät­te in Köln-Nip­pes und als Ma­schi­nist bei der Fir­ma Ba­chem in Köln tä­tig. Seit 1893 war er in der Christ­li­chen Ge­werk­schafts­be­we­gung ak­tiv, ab­sol­vier­te 1895 den 1. so­zi­al­po­li­ti­schen Kur­sus des Volks­ver­eins für das ka­tho­li­sche Deutsch­land, be­tä­tig­te sich als Ar­bei­ter­se­kre­tär so­wie als Mit­grün­der und Vor­stands­mit­glied im Christ­li­chen Me­tall­ar­bei­ter­ver­band, war 1897 De­le­gier­ter bei der 1. Ar­bei­ter­schutz­kon­fe­renz in Zü­rich und 1900 Mit­grün­der der In­ter­na­tio­na­len Ver­ei­ni­gung für ge­setz­li­chen Ar­beits­schutz.

Ab 1899 war er haupt­be­ruf­lich in der Ar­beit­neh­mer­be­we­gung tä­tig, so bis 1914 als Diö­ze­san­se­kre­tär der ka­tho­li­schen Ar­bei­ter­ver­ei­ne der Erz­diö­ze­se Köln, bis 1905 auch als Re­dak­teur der „West­deut­schen Ar­bei­ter­zei­tun­g“, des Ver­bands­or­gans für ka­tho­li­sche Ar­bei­ter­ver­ei­ne; spä­ter ­über­nahm er an­de­re Re­dak­ti­ons­tä­tig­kei­ten im Rah­men der christ­li­chen Ge­werk­schafts­be­we­gung. Wei­te­re Ar­beits­be­rei­che ka­men im Lau­fe der Zeit hin­zu: 1903 wur­de er (als Ver­bin­dungs­mann zur Christ­li­chen Ar­bei­ter­be­we­gung) Mit­glied der Zen­tral­stel­le des Volks­ver­eins für das ka­tho­li­sche Deutsch­land, nach dem Ers­ten Welt­krieg auch Mit­glied des Ge­samt­vor­stands und 1929 des En­ge­ren Vor­stands des Zen­tral­ver­eins. 

Zeit­gleich mit sei­ner Tä­tig­keit in der Ar­beit­neh­mer­be­we­gung be­tä­tig­te sich Gies­berts zu­neh­mend par­tei­po­li­tisch und par­la­men­ta­risch: 1892 war er be­reits in Mön­chen­glad­bach als Stadt­ver­ord­ne­ter ge­wählt wor­den (bis 1918, dann wie­der 1920-1933), ab 1898 war er als Wahl­kampf­red­ner im Reich un­ter­wegs, 1903 wur­de er Mit­glied des Pro­vin­zi­al­aus­schus­ses der Rhei­ni­schen Zen­trums­par­tei, am 28.9.1905 wur­de er in ei­ner Nach­wahl im Reichs­tags­wahl­kreis Düs­sel­dorf 5 (Es­sen) in den Reichs­tag ge­wählt, dem er bis No­vem­ber 1918 und dann er­neut von Ja­nu­ar 1919 bis März 1933 (1919 Wahl­kreis 22 Re­gie­rungs­be­zir­k Düs­sel­dorf, 1920 bis 1933 Wahl­kreis 25 be­zie­hungs­wei­se 22 Düs­sel­dorf-Ost) an­ge­hört. In Es­sen (Wahl­kreis Düs­sel­dorf 14: Es­sen) wur­de Gies­berts 1908 auch in das Preu­ßi­sche Ab­ge­ord­ne­ten­haus ge­wählt, dem er bis 1918 an­ge­hör­te.

Wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges be­klei­de­te er ei­ne Stel­le als Ver­wal­tungs­in­spek­tor, un­ter an­de­rem beim Kriegs­pres­se­amt und beim 1916 er­rich­te­ten Kriegs­er­näh­rungs­amt, als Sach­ver­stän­di­ger für So­zi­al­fra­gen beim Ge­ne­ral­gou­ver­neur in Bel­gi­en und als Vor­trags­red­ner an der Front. 

Der aus­ge­wie­se­ne So­zi­al­po­li­ti­ker wur­de An­fang 1918 in das Reichs­wirt­schafts­amt be­ru­fen, das im Ok­to­ber 1917 als ei­ne be­son­de­re, dem Reichs­kanz­ler un­ter­stell­te Zen­tral­be­hör­de, al­so ei­ne Obers­te Reichs­be­hör­de, für die bis­her zum Reich­s­amt des In­nern res­sor­tie­ren­den wirt­schafts- und so­zi­al­po­li­ti­schen An­ge­le­gen­hei­ten er­rich­tet wur­de. Ei­ne po­li­tisch ex­po­nier­te Stel­lung er­hielt Gies­berts dann im Zu­ge der Par­la­men­ta­ri­sie­rung der Reichs­re­gie­rung, als er zum par­la­men­ta­ri­schen Un­ter­staats­se­kre­tär im am 4.10.1918 als be­son­de­re, dem Reichs­kanz­ler un­ter­stell­te Zen­tral­be­hör­de er­rich­te­ten Reichs­ar­beits­amt er­nannt wur­de. Das Reichs­ar­beits­amt war für die zu­vor zum Reichs­wirt­schafts­amt res­sor­tie­ren­den so­zi­al­po­li­ti­schen An­ge­le­gen­heit zu­stän­dig. Die par­la­men­ta­ri­schen Un­ter­staats­se­kre­tä­re wur­den in der Fol­ge der Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen nach der Bil­dung der Re­gie­rung des Prin­zen Max von Ba­den (Reichs­kanz­ler 3. Ok­to­ber - 9. No­vem­ber 1918) be­ru­fen. Ih­re Funk­ti­on war die ei­nes „tech­ni­schen“ oder - nach eng­li­schem Vor­bild - par­la­men­ta­ri­schen Un­ter­staats­se­kre­tärs. Aus recht­li­chen Grün­den, um ihr Reichs­tags­man­dat be­hal­ten zu kön­nen, fir­mier­ten die Un­ter­staats­se­kre­tä­re bis zur Auf­he­bung von Art. 21 Abs. 2 der Reichs­ver­fas­sung am 28.10.1918 als „mit der Wahr­neh­mung der Ge­schäf­te be­auf­trag­t“.

Die­se par­la­men­ta­ri­schen Staats­se­kre­tä­re und die dann durch die Volks­be­auf­trag­ten als Bei­ge­ord­ne­te in den Reichs­äm­tern Be­ru­fe­nen gal­ten als rang­gleich. Gies­berts blieb in der Stel­lung ei­nes par­la­men­ta­ri­schen Un­ter­staats­se­kre­tärs im Reichs­ar­beits­amt bis zum 13.2.1919. Im Zu­ge der ers­ten Re­gie­rungs­bil­dung durch Phlipp Schei­de­mann (SPD) am 13.2.1919 wur­de ihm das Amt des Reichs­post­mi­nis­ters über­tra­gen, das er auch in der Fol­ge­zeit in den Ka­bi­net­ten Gus­tav Bau­er, Her­mann Mül­ler, Kon­stan­tin Feh­ren­bach und Jo­seph Wirth in­ne­hat­te. Beim Sturz der Re­gie­rung Wirth am 22.11.1922 schied er aus der Reichs­re­gie­rung aus.

Schwer­punk­te sei­ner Tä­tig­keit als Mit­glied der Reichs­re­gie­rung war die Teil­nah­me an den Frie­dens­ver­hand­lun­gen im Ver­sailles und die Über­füh­rung der bis­he­ri­gen Post- und Te­le­gra­phen­ver­wal­tung Bay­erns auf das Reich ge­mäß Art. 170 der Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung, wo­durch die Post­an­ge­le­gen­hei­ten de­fi­ni­tiv in die Zu­stän­dig­keit des Reichs über­ging und ein ein­heit­li­ches Reichs­post­ge­biet ge­schaf­fen wur­de.

In der Fol­ge­zeit blieb Gies­berts par­la­men­ta­risch tä­tig, so als Vor­stands­mit­glied der Zen­trums­frak­ti­on im Reichs­tag, als Vor­sit­zen­der des (15.) Ver­kehrs­aus­schus­ses des Reichs­tags, fer­ner als Mit­glied des Was­ser­stra­ßen­bei­rats des Reichs­ver­kehs­mi­nis­te­ri­ums. Er war wei­ter­hin Vor­stands­mit­glied des Ge­samt­ver­bands der christ­li­chen Ge­werk­schaf­ten, des christ­li­chen Me­tall­ar­bei­ter­ver­ban­des und der Ge­sell­schaft für so­zia­le Re­form. Fer­ner ge­hör­te er dem Auf­sichts­rat der Ger­ma­nia AG für Ver­lag und Dru­cke­rei, die das gleich­na­mi­ge Pres­se­or­gan des Zen­trums ver­trieb, an.

Bei der Reichs­tags­wahl im März 1933 nicht mehr ge­wählt, leb­te Gies­berts als Ru­he­ge­halts­emp­fän­ger („Ar­bei­ter­se­kre­tär, Reichs­post­mi­nis­ter a.D.“) in Ber­lin-Gru­ne­wald. Nach 1933 wur­de er we­gen Ver­sto­ßes ge­gen das Ge­nos­sen­schafts­ge­setz zu ei­ner ge­ring­fü­gi­gen Haft­stra­ße ver­ur­teilt. Am 10.9.1935 über­sie­del­te er von Ber­lin nach Mön­chen­glad­bach. Nach ei­nem Be­richt der Ge­sta­po vom 12.1.1937 üb­te „er kei­ne Tä­tig­keit mehr aus. Po­li­tisch ist er nicht mehr in Er­schei­nung ge­tre­ten“.

Gies­berts ist am 7.8.1938 in Mön­chen­glad­bach ge­stor­ben. 

Literatur

Haun­fel­der, Bernd, Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­te der Deut­schen Zen­trums­par­tei. Bio­gra­phi­sches Hand­buch und his­to­ri­sche Bio­gra­phi­en, Düs­sel­dorf 1999.
Mat­thi­as, Erich / Mor­sey, Ru­dolf, Die Re­gie­rung des Prin­zen Max von Ba­den, Düs­sel­dorf 1962.
Die Re­gie­rung der Volks­be­auf­trag­ten 1918/19, ein­ge­lei­tet von Erich Mat­thi­as, be­arb. von Su­san­ne Mil­ler un­ter Mit­wir­kung von Hein­rich Pott­hoff, 2 Halb­bän­de, Düs­sel­dorf 1969.
Reichs­hand­buch der deut­schen Ge­sell­schaft, Band 1, Ber­lin 1930, S. 543-544.
Schrei­ber, Ni­co­las Pe­ter, Vom Ar­bei­ter zum Reichs­mi­nis­ter: Jo­han­nes Gies­berts (1865–1938). 40 Jah­re Po­li­tik in der christ­lich-so­zia­len Ar­bei­ter­be­we­gung (Ver­öf­fent­li­chun­gen des His­to­ri­schen Ver­eins für Gel­dern und Um­ge­bung 108), Gel­dern 2011.
Schu­ma­cher, Mar­tin, M.d.R. Die Reichs­tags­ab­ge­ord­ne­ten der Wei­ma­rer Re­pu­blik in der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Po­li­ti­sche Ver­fol­gung, Emi­gra­ti­on und Aus­bür­ge­rung 1933–1945. Ei­ne bio­gra­phi­sche Do­ku­men­ta­ti­on, 3. er­wei­ter­te Auf­la­ge, Düs­sel­dorf 1994.

 
Zitationshinweis

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Lilla, Joachim, Johannes Giesberts, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johannes-giesberts/DE-2086/lido/57c6c8625e7da9.61645575 (abgerufen am 28.03.2024)