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Jacob Venedey zählte über mehrere Jahrzehnte zu den wichtigsten Persönlichkeiten der demokratisch-liberalen Bewegung in Deutschland. In Köln geboren und aufgewachsen, setzte er sich als Schriftsteller seit den 1820er Jahren für die Schaffung eines geeinten, parlamentarisch regierten deutschen Nationalstaates ein, dessen Legitimation auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhen sollte. Wenige Wochen nach der Proklamation des Deutschen Reichs starb er im Februar 1871 in seinem letzten Wohnort in Oberweiler (Baden).
Jacob Venedey wurde am 24.3.1805 in Köln als Sohn des Anwalts und Landwirts Michael Venedey (1770-1846) und dessen Frau Barbara Leisten, Tochter eines Aachener Bierbrauers, geboren. Der Name der im 18. Jahrhundert aus Erkelenz nach Köln eingewanderten Familie des Vaters lautete ursprünglich „Finnendegen". Die Schreibweise „Venedey" entsprach der kölnischen Aussprache des Namens und setzte sich seit 1790 auch im Schriftbild durch.
Der von den Ideen der Französischen Revolution begeisterte Vater hatte sich in den 1790er Jahren den Jacobinern in Bonn und Köln angeschlossen und war an der Seite von Joseph Görres zu einem führenden Aktivisten der cisrhenanischen Bewegung aufgestiegen. Die Hoffnungen auf eine Autonomie des Rheinlands sollten sich jedoch nicht erfüllen. Enttäuscht von der antirepublikanischen Politik Napoléon Bonapartes (1769-1821) zog sich Michael Venedey im Jahr 1806 von sämtlichen politischen Ämtern zurück und war bis zu seinem Tod 1846 als Anwalt in Köln tätig.
Die republikanische Prägung des Elternhauses blieb auf Jacob Venedey nicht ohne Wirkung. Bereits während er in Köln das Gymnasium besuchte, war er ein Anhänger der sich ab 1815 ausbreitenden Bewegung der studentischen Burschenschaften geworden. Ihrem Vorbild folgend, begann auch der Gymnasiast Venedey sein Haar als Zeichen seiner demokratischen Gesinnung schulterlang zu tragen. Da er sich weigerte, einen von der Schulordnung vorgeschriebenen kurzen Haarschnitt anzulegen, musste er das Gymnasium vorzeitig verlassen. Er erhielt daraufhin Privatunterricht bei dem später wegen seiner engen Verbindungen zu Karl Marx bekannt gewordenen Schriftsteller und Sozialtheoretiker Ludwig Gall und bestand schließlich in Bonn das Abiturientenexamen.
Von 1824 bis 1827 studierte Venedey Rechtswissenschaften in Bonn und Heidelberg. Eine finanzielle Krise des Vaters nötigte Venedey im Herbst 1827 zum vorzeitigen Abbruch des Studiums und zur Rückkehr nach Köln. Hier trat er als Gehilfe in die väterliche Kanzlei ein, wobei sich zeigte, dass seine Stärken weniger auf dem Gebiet des gesprochenen, sondern auf dem des geschriebenen Wortes lagen. Für den Beruf des Anwalts erwies er sich daher als ungeeignet. Noch vor der französischen Julirevolution von 1830 machte er jedoch als Verfasser erster preußenkritischer Schriften auf sich aufmerksam, in denen er sich unter anderem für die Beibehaltung französischer Rechtstraditionen im Rheinland eingesetzt hatte.
Die offene Kritik am preußischen Staat, die Mitgliedschaft in einem 1830 gegründeten studentischen Kölner Leseverein sowie die Kontakte zu liberalen Kreisen in Süddeutschland blieben nicht ohne Konsequenzen. Vor allem in der nachträglichen Einberufung zum Militärdienst sah Venedey einen Akt staatlicher Willkür, da er noch 1828 wegen einer im Duell erlittenen Armverletzung für untauglich erklärt worden war. Im Mai 1832 entzog sich Venedey dem drohenden Zugriff der Militärbehörden durch Flucht in die Pfalz.
Noch im gleichen Monat nahm er am Hambacher Fest teil und machte die Bekanntschaft der liberalen Schriftsteller Johann Georg Wirth (1798-1848) und Philipp Jacob Siebenpfeiffer (1789-1845). Venedey fand Aufnahme in den von ihnen geleiteten „Deutschen Preß- und Vaterlandsverein", in dessen Auftrag er als Emissär nach Norddeutschland entsandt wurde, um die „Hambacher Ideen" zu verbreiten und Erkundigungen über die Revolutionsbereitschaft der Bevölkerung einzuholen.nach obenWenig später wurde er wegen mutmaßlicher „revolutionärer Umtriebe" in Mannheim verhaftet und nach einem gescheiterten Fluchtversuch an die preußischen Behörden ausgeliefert. Man überführte ihn in das Frankenthaler Gefängnis, aus dem er am 22.9.1832 aber erfolgreich fliehen und sich unter abenteuerlichen Umständen über die französische Grenze absetzen konnte. Venedey gelangte nach Straßburg, wo er den „Verein revolutionärer Flüchtlinge" gründete, aber bereits 1833 wegen seiner politischen Tätigkeit ausgewiesen wurde. In den folgenden Jahren hielt er sich in verschiedenen französischen Städten, unter anderem in Le Havre, Boulogne-sur-Seine und Pontoise, zumeist jedoch in Paris auf. Anfangs unter ärmlichen Verhältnissen lebend, gelang es ihm ab 1834, sich über verschiedene Anstellungen als Redakteur und Schriftsteller einen gesicherten Lebensstand zu erwerben. In den Jahren seiner Emigration unterhielt Venedey Verbindungen zu Karl Marx, Friedrich Engels, Moses Heß, Georg Herwegh (1817-1875) und Ludwig Börne (1786-1837). Mit letzterem verband ihn eine besonders enge Freundschaft, zumal sich beide zur Freimaurerei bekannten: Bereits 1833 hatte Venedey in Nancy Aufnahme in die Freimaurerloge St. Jean de Jerusalem gefunden, trat in den 1850er Jahren auch der Loge „Zur edlen Aussicht" in Freiburg im Breisgau bei und wurde schließlich Ehrenmitglied der Baseler Loge „Zur Beständigkeit".
In Paris machte er auch die Bekanntschaft Heinrich Heines, der ihn jedoch verachtete und als „Kobes I. von Köln" zur fortwährenden Zielscheibe seines Spottes werden ließ. Eine anlässlich der Beerdigung Ludwig Börnes gehaltene Grabrede politischen Inhalts veranlasste die Behörden dazu, Venedey 1837 aus Frankreich zu verweisen. Er verbrachte die folgenden zwei Jahre in London, ehe ihm 1839 die Rückkehr auf französisches Territorium zugestanden wurde. In den folgenden Jahren veröffentlichte er einige seiner wichtigsten politischen Schriften, unter anderem zur Rheinfrage und zum Kölner Dombau.
Erst der Ausbruch der Märzrevolution des Jahres 1848 ermöglichte Venedey die Rückkehr nach Preußen. Als Abgeordneter des Frankfurter Vorparlaments zeichnete er unter anderem für den Entwurf über die „Grundrechte des deutschen Volkes" verantwortlich und wurde für den Wahlkreis Hessen-Homburg im Mai 1848 in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, wo er sich in den Fraktionen Deutscher Hof und Westendhall als eine der Führungsgestalten der gemäßigten Linken zu etablieren verstand. In der Frage um die künftige politische und geographische Gestaltung Deutschlands stand er auf Seiten der großdeutsch-antipreußischen Republikaner. 1849 stimmte er gegen die Wahl Friedrich Wilhelms IV. (Regentschaft 1840-1858) zum Kaiser, wandte sich aber auch gegen den bewaffneten Aufstand demokratischer Freischärler unter der Führung Friedrich Heckers (1811-1881) in Baden. Gewalt als ein Mittel zur Durchsetzung politischer Forderungen lehnte er zeitlebens ab.
Jacob Venedey blieb seinen Grundsätzen auch über die Niederschlagung der demokratischen Bewegung im Jahr 1849 hinaus treu. Wiederholt wurde er in den folgenden Jahren Opfer behördlicher Schikanen und sah sich erneut zu einem mehrfachen Wechsel seines Lebensmittelpunkts gezwungen:1850 wurde er zunächst aus Kiel und kurz darauf aus Berlin verwiesen. Von hier wandte er sich nach Breslau, wo ihm 1853 ebenfalls die Aufenthaltsgenehmigung entzogen wurde. Für kurze Zeit hielt sich Venedey danach in Bonn und in Freiburg im Breisgau auf, ehe er in die Schweiz übersiedelte und sich in Zürich als Privatdozent für Geschichte habilitierte. Von 1855 bis 1858 lebte er in Heidelberg und fand erst im badischen Oberweiler ab 1858 einen dauerhaften Wohnsitz. In der Mitte der 1850er Jahre zog er sich kurzzeitig von der Politik zurück und verlegte sich auf das Verfassen unpolitischer Schriften.
Seit 1854 war Venedey mit der Frauenrechtlerin und Pensionswirtin Henriette Obermüller (1817-1893) verheiratet, die 1848/1849 dem radikalen demokratischen Lager angehört hatte, in erster Ehe mit dem Revolutionär Gustav Obermüller (1812-1853) verheiratet gewesen und nach der Niederschlagung des badischen Aufstandes verhaftet, wegen Hochverrats angeklagt und erst 1850 gegen Kaution entlassen worden war. Aus der Ehe gingen die Söhne Michael (1856-1893) und Martin (1860-1934) hervor. Während der Erstgenannte Medizin studierte und früh verstarb, setzte Martin Venedey als Anwalt nicht nur die juristische Tradition seiner Familie fort, sondern trat als badischer Landtagsabgeordneter und überzeugter Demokrat auch in politischer Hinsicht in die Fußstapfen seines Vaters und seines Großvaters.
Mit den beginnenden 1860er Jahren kehrte Jacob Venedey als eine Gallionsfigur der liberalen Bewegung auf die politische Bühne zurück und forderte von Neuem den nationalen Zusammenschluss der deutschen Einzelstaaten auf demokratischer Basis. In dieser Zeit engagierte er sich unter anderem in der Schleswig-Holstein-Bewegung und gehörte der Demokratischen Volkspartei als Mitglied an.
Die Gründung des Deutschen Reichs am 18.1.1871 sollte Venedey zwar noch erleben, seinen Vorstellungen von einem geeinten Deutschland entsprach das von Otto von Bismarck (1815-1898) geschaffene „kleindeutsche" und absolutistischen Traditionen verhaftete Staatsgebilde jedoch nur zu einem Teil: Stets hatte er sich sowohl gegen die Monarchie als auch gegen eine hegemoniale Rolle Preußens ausgesprochen.
Den ehrgeizigen Ambitionen auf ein Mandat im Deutschen Reichstag wurde wenig später ein jähes Ende gesetzt: Jacob Venedey starb am 8.2.1871 in Oberweiler an den Folgen einer Lungenentzündung.
Schriften (Auswahl)
Die Deutschen und die Franzosen nach dem Geiste ihrer Sprachen und Spruchwörter, Heidelberg 1842.
Der Dom zu Köln, Konstanz 1842.
Das Geschworenengericht in den preußischen Rheinprovinzen, Köln 1830.
Der Rhein, Konstanz 1841.
Römerthum, Christenthum und Germanenthum und deren wechselseitiger Einfluß bei der Umgestaltung der Sclaverei des Alterthums in die Leibeigenschaft des Mittelalters, Frankfurt am Main 1840.
Schleswig-Holstein im Jahre 1850: ein Tagebuch, 2 Bände, Leipzig 1851.
Literatur
Bublies-Godau, Birgit, Gegen den Strom - Das Leben und Werk des rheinischen Politikers, Publizisten und Historikers Jakob Venedey (1805-1871). Grundzüge einer Biographie eines demokratischen Intellektuellen in der bürgerlichen Gesellschaft, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung (JzLF) 7 (1995), S. 149-163.
Bublies-Godau, Birgit, Jakob Venedey - Henriette Obermüller-Venedey: Der Held des Parlaments und die Heckerin, in: Freitag, Sabine (Hg.), Die Achtundvierziger. Lebensbilder aus der deutschen Revolution 1848/49, München 1998, S. 237-248.
Dvorak, Helge, Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Band 1: Politiker, Teilband 6, Heidelberg 2005, S. 123-127.
Venedey, Hermann, Jacob Venedey, Darstellung seines Lebens und seiner politischen Entwicklung, Dissertationsschrift, Köln 1930.
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Thomann, Björn, Jacob Venedey, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/jacob-venedey/DE-2086/lido/57c93808abaa94.88455363 (abgerufen am 19.04.2024)