Friedrich Gottlieb Welcker

Archäologe, Universitätsprofessor, Gründer des Akademischen Kunstmuseums Bonn (1784-1868)

Markus Kirschbaum (Koblenz)

Friedrich Gottlieb Welcker, Stich von Adolf Hohneck (1812-1879), Original in der Sammlung Voit der SUB Göttingen, 1840.

Dem uni­ver­sell ge­bil­de­ten Fried­rich Gott­lieb Wel­cker ist die Grün­dung des Aka­de­mi­schen Kunst­mu­se­ums Bonn zu ver­dan­ken, wo­mit er ei­ner der frü­hes­ten und in man­cher Hin­sicht zum ers­ten Ge­stal­ter der heu­te viel­fäl­ti­gen Mu­se­ums­land­schaft Deutsch­lands war.

Fried­rich Gott­lieb Wel­cker wur­de am 4.11.1784 im hes­si­schen Grün­berg als Sohn von Hein­rich Fried­rich Phil­ipp Chris­toph Wel­cker (1756-1829) und sei­ner Ehe­frau Jo­ha­net­te Do­ro­thea Mag­da­le­na, ge­bo­re­ne Strack (1757-1829) ge­bo­ren. Der aus Uden­hau­sen (heu­te Stadt Gre­benau) stam­men­de Va­ter war wie sei­ne Vor­fah­ren und die sei­ner Ehe­frau evan­ge­li­scher Geist­li­cher. Phil­ipp Wel­cker wur­de 1786 als Ad­junkt sei­nes Schwie­ger­va­ters nach Ober-Of­lei­den (heu­te Stadt Hom­berg/Ohm) ver­setzt.

Nach der Un­ter­rich­tung durch ei­nen Haus­leh­rer soll­te der Sohn 1801 das Päd­ago­gi­um in Gie­ßen be­su­chen, be­gann je­doch we­gen sei­ner gro­ßen Be­ga­bung so­gleich ein Stu­di­um. Er ver­brach­te sei­ne bei­den aka­de­mi­schen Jah­re an der Uni­ver­si­tät Gie­ßen oh­ne ei­nen be­stimm­ten Plan, hör­te Kir­chen­ge­schich­te, Lo­gik, Phi­lo­so­phie und Ju­ra, be­trieb Ma­the­ma­tik, Phy­sik, Che­mie und Ara­bisch. Zu sei­nem Be­dau­ern gab es noch kei­ne ge­ne­rel­le Plu­ra­li­tät der Al­ter­tums­wis­sen­schaf­ten in klar von­ein­an­der ge­schie­de­nen Dis­zi­pli­nen. 1803 wur­de er Leh­rer der Quin­ta des Gie­ße­ner Päd­ago­gi­ums. Da­ne­ben ar­bei­te­te wis­sen­schaft­lich und leg­te am 23.12.1803 sei­ne Dis­ser­ta­ti­on Ex­er­ci­ta­tio phi­lo­lo­gi­ca ima­gi­nem Ulys­sis quae in Ilia­de ex­s­tat ad­um­brans vor. Fort­an trug er in Theo­lo­gie vor und wid­me­te sich pri­vat der Or­phi­schen Ar­go­nau­ti­ca, die er in der Li­te­ra­tur­zeit­schrift „Neu­er Teut­scher Mer­kur“ 1804 ver­öf­fent­lich­te. 

1805 mach­te er wäh­rend ei­ner Rei­se nach Je­na und Hal­le die Be­kannt­schaft von Jo­hann Hein­rich Voß (1751-1826), des­sen bis heu­te gül­ti­ge Über­set­zung der Odys­see 1781 er­schie­nen war. Aber wie Voß´ Auf­fas­sung, grie­chi­sche Ly­ri­ker nach dem Be­dürf­nis der Zeit neu zu über­set­zen, reiz­te Wel­cker auch des­sen Ab­nei­gung ge­gen den Ab­so­lu­tis­mus. Be­reits 1806 ver­öf­fent­lich­te er, von Voß in­spi­riert, im Schul­pro­gramm des Päd­ago­gi­ums Gie­ßen ei­ne Un­ter­su­chung über Pin­dars I. Olym­pi­sche Ode. Der Be­grün­der der wis­sen­schaft­li­chen Me­trik, Au­gust Boeckh (1785-1867), nahm die­ses Früh­werk Wel­ckers in sei­ne epo­che­ma­chen­den Kom­men­ta­re zu Pin­dar auf und äu­ßer­te sich lo­bend über Wel­ckers Ver­gleich mit ei­ner Text­stel­le bei Ta­ci­tus[1].

Am 3.8.1806 brach Wel­cker nach Ita­li­en auf. Sei­ne Wan­de­rung führ­te ihn nach Yver­don, wo er dem be­deu­ten­den Päd­ago­gen Jo­hann Hein­rich Pes­ta­loz­zi (1746-1828) sei­ne Auf­war­tung mach­te. Über Mai­land, Ber­ga­mo, Ve­ro­na, Pa­dua, Ve­ne­dig und Bo­lo­gna er­reich­te Wel­cker am 1.11.1806 das von Na­po­le­ons Trup­pen be­setz­te Rom. Wie auch spä­ter ließ sich Wel­cker je­doch nicht von ak­tu­el­len po­li­ti­schen Ver­hält­nis­sen be­ein­dru­cken. In der Stadt am Ti­ber be­geg­ne­te Wel­cker be­deu­ten­den Per­sön­lich­kei­ten. Wil­helm von Hum­boldt (1767-1835) war dort seit 1801 (bis 1808) preu­ßi­scher Mi­nis­ter­prä­si­dent. Im Fe­bru­ar 1807 wur­de Wel­cker Tu­tor der Hum­boldt­schen Kin­der. Jo­hann Ge­org Zoë­ga (1755-1809), der seit 20 Jah­ren in Rom le­ben­de be­deu­tends­te zeit­ge­nös­si­sche Ar­chäo­lo­ge, brach­te dem jun­gen Wel­cker die Stadt der Cae­sa­ren nä­her. Ob Wel­cker und Zoë­ga in ei­nem ro­man­ti­schen Ver­hält­nis se­xu­el­ler Na­tur stan­den, ist nicht ver­bürgt. Im Grei­sen­al­ter woll­te sich Wel­cker je­den­falls nicht mehr dar­an er­in­nern, ob­wohl er so­gar der Bio­graph sei­nes Lehr­meis­ters wur­de. Zoë­ga lehr­te Wel­cker, die Wer­ke der an­ti­ken Dich­ter und bil­den­den Künst­ler als Ein­heit zu be­grei­fen. Ver­stärkt wur­de die­se me­tho­di­sche An­la­ge, für die Wel­cker spä­ter tra­di­ti­ons­stif­tend wirk­te, durch sei­ne Be­kannt­schaft mit Ber­tel Thor­wald­sen (1770-1844), ne­ben An­to­nio Ca­no­va (1757-1822) der be­gna­dets­te klas­si­zis­ti­sche Bild­hau­er. Die­se Be­kannt­schaf­ten präg­ten Wel­cker ein Le­ben lang. Der Phi­lo­lo­ge wur­de in Rom zum Ar­chäo­lo­gen.

1808 kehr­te Wel­cker nach Gie­ßen zu­rück, wo ihm auf Emp­feh­lung Hum­boldts ei­ne or­dent­li­che Pro­fes­sur an­ge­bo­ten wur­de, die er un­ter Bei­be­hal­tung sei­ner Lehr­stel­le am Päd­ago­gi­um an­nahm. Das war gleich­zei­tig ein Wen­de­punkt in der Wis­sen­schafts­ge­schich­te, denn erst­mals gab es an ei­ner deut­schen Uni­ver­si­tät ei­nen or­dent­li­chen Lehr­stuhl für Ar­chäo­lo­gie. 1812 wur­de auf Be­trei­ben Wel­ckers das phi­lo­lo­gi­sche Se­mi­nar ein­ge­rich­tet, dem er selbst vor­stand. Die­se frucht­ba­re Zeit aka­de­mi­scher Leh­re wur­de je­doch durch das Wie­der­auf­flam­men des Krie­ges ge­gen Na­po­le­on un­ter­bro­chen. Als Of­fi­zier des Gro­ßher­zog­lich Hes­si­schen Frei­wil­li­gen-Jä­ger­korps führ­te es Wel­cker bis nach Ly­on, wo er am 14.4.1814 das Kriegs­en­de er­leb­te. Die Zeit bis zum Rück­marsch nutz­te er, um die Be­kannt­schaft des Di­rek­tors François Ar­taud (1767-1838) zu ma­chen, der dem 1801 ge­grün­de­ten Mu­se­um (Mu­sée des Beaux Arts Ly­on) vor­stand. Ar­taud ließ ihn in sei­nem Haus stö­bern, wo­bei Wel­cker ei­nen ers­ten Ein­druck von der Mu­se­ums­ar­beit be­kam. Am 7.7.1814 kehr­te er nach Ober-Of­lei­den zu­rück, um so­gleich wie­der ab­zu­rei­sen. Ein vol­les Jahr ver­brach­te er in Ko­pen­ha­gen, wo er in der Kö­nig­li­chen Bi­blio­thek den Nach­lass Zoëgas be­ar­bei­te­te. Die lan­ge Ab­we­sen­heit von sei­nem Lehr­stuhl brach­te Wel­cker Är­ger mit der Gie­ße­ner Päd­ago­gen­kom­mis­si­on ein, so­dass er um Ent­las­sung bat und im Ok­to­ber 1816 ei­ne Pro­fes­sur in Göt­tin­gen an­trat.

Auf Be­trei­ben des preu­ßi­schen Kul­tus­mi­nis­ters Karl Frei­herr vom Stein zum Al­ten­stein (1770-1840) und nach ei­nem aus­schlag­ge­ben­den Gut­ach­ten des sei­ner­zei­ti­gen Ober­prä­si­den­ten der Rhein­pro­vin­zen Jo­hann Au­gust Sack (1764-1831) aus dem Jah­re 1815 wur­de am 18.10.1818 die Uni­ver­si­tät Bonn ge­grün­det. Das Aka­de­mi­sche Kunst­mu­se­um fand fes­te Ver­an­ke­rung im Uni­ver­si­täts­plan. Der Ku­ra­tor der Uni­ver­si­tät, der Ober­prä­si­dent der Pro­vinz Jü­lich-Kle­ve-Berg, Fried­rich Lud­wig Chris­ti­an Graf zu Solms-Lau­bach, er­ließ am 29.4.1819 die end­gül­ti­ge Ver­fü­gung über die Ein­rich­tung der Mu­se­ums­räu­me.

Solms-Lau­bach war es auch, der be­reits 1816 um die Be­ru­fung Wel­ckers ge­be­ten hat­te, da man ihn, wie Wil­helm von Hum­boldt in ei­nem Brief an Ge­org Lud­wig Hein­rich Ni­co­lo­vi­us (1767-1839), Sek­ti­ons­lei­ter für Kul­tus und öf­fent­li­chen Un­ter­richt im preu­ßi­schen In­nen­mi­nis­te­ri­um, schrieb, schon vor der Er­rich­tung der Uni­ver­si­tät, bei der Bi­blio­thek, wür­de brau­chen kön­nen[2]. Wel­cker war hoch er­freut und be­kann­te an­läss­lich der Aus­sicht, ins Rhein­land ge­hen zu kön­nen: Ich […] glau­be auch, dass im Gan­zen ge­nom­men, […] die Na­tur der Men­schen dort mir mehr zu­sa­gen wird als hier.[3] Aber erst am 7.2.1819 wur­de sei­ne Er­nen­nung zum Pro­fes­sor und Ober­bi­blio­the­kar an der Uni­ver­si­tät Bonn aus­ge­spro­chen. Gleich­zei­tig wur­de sein jün­ge­rer Bru­der Karl Theo­dor Wel­cker als Rechts­pro­fes­sor nach Bonn be­ru­fen. Über­dies traf er dort auf nam­haf­te Kol­le­gen wie Ernst Mo­ritz Arndt so­wie Au­gust Wil­helm von Schle­gel. Aber der Ge­sin­nungs­t­er­ror der Karls­ba­der Be­schlüs­se vom Au­gust 1819 warf sei­ne Schat­ten vor­aus. Die Brü­der Wel­cker wur­den zwar ver­haf­tet, und ge­gen Karl Theo­dor 1822 ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren er­öff­net, aber der Ver­dacht des Lan­des­ver­ra­tes konn­te nicht be­stä­tigt wer­den. Karl Theo­dor folg­te dem Ruf der Uni­ver­si­tät Frei­burg und Fried­rich Gott­lieb wur­de bis 1825 von al­len Vor­wür­fen ent­las­tet. Arndt muss­te dar­auf bis 1840 war­ten. Die Wel­ckers blie­ben un­be­hel­ligt, Arndt je­doch wur­de sus­pen­diert und erst 1840 re­ha­bi­li­tiert, Fried­rich Gott­lieb Wel­cker er­hielt schon 1825 sei­ne Eh­re zu­rück.

 

Un­ge­ach­tet des­sen stürz­te sich Wel­cker auf sei­ne Auf­ga­ben. Von Ok­to­ber 1819 bis März 1821 ver­mehr­te er den Be­stand der Bi­blio­thek um 14.000 Bän­de, am En­de sei­ner Dienst­zeit 1854 ver­füg­te die­se über 115.000. Gleich­zei­tig wur­de um das Aka­de­mi­sche Kunst­mu­se­um ge­run­gen. Ob­wohl das Mu­se­um im Uni­ver­si­täts­plan vor­ge­se­hen war, gab es zu­nächst ein Pro­blem, denn am 4.1.1820 war durch Er­lass des Staats­kanz­lers Karl Au­gust von Har­den­berg (1750-1822) das „Mu­se­um rhei­nisch-west­fä­li­scher Al­ter­tü­mer“ ins Le­ben ge­ru­fen wor­den. Ihm stand Wil­helm Do­row (1790-1846) vor, der sei­ne Samm­lung, er­gänzt durch die in der Pro­vinz zer­streu­ten Denk­mä­ler, in Köln auf­stel­len woll­te, wäh­rend das Ber­li­ner Mi­nis­te­ri­um sie der Uni­ver­si­tät Bonn un­ter­ord­nen woll­te. Letzt­lich setz­te sich die Uni­ver­si­tät durch. Nur wi­der­wil­lig räum­te Do­row im Fe­bru­ar 1822 den dem Aka­de­mi­schen Mu­se­um zu­ge­dach­ten Raum, den ehe­ma­li­gen Oran­ge­rie­saal un­ter der Bi­blio­thek. Am 29.7.1822 wur­de Do­row sei­ner Stel­lung ent­ho­ben, 1824 folg­te Schle­gel ihm als Di­rek­tor nach. In die­sem un­über­sicht­li­chen Ge­men­ge zeig­te sich deut­lich, dass das Aka­de­mi­sche Kunst­mu­se­um zwar nicht dem ers­ten Ge­dan­ken nach, aber in der Art der Aus­füh­rung die ei­gent­li­che Schöp­fung von Fried­rich Gott­lieb Wel­cker war. 

Hin­ter­grund war die Si­cher­stel­lung von Kunst­wer­ken durch fran­zö­si­sche Kom­mis­sio­nen in den be­setz­ten Tei­len Eu­ro­pas. Um von die­sen Gips­ab­güs­se her­zu­stel­len, wur­de im Lou­vre die grö­ß­te For­me­rei der Zeit ge­grün­det. Da vie­le Ori­gi­na­le ver­schol­len wa­ren, stell­te die­se nun­mehr für die Samm­lung des Rhein­lan­des Ab­güs­se zur aka­de­mi­schen Leh­re her. Da­hin­ter stan­den die Ak­zep­tanz der An­ti­ke als geis­ti­ge Norm und die Auf­fas­sung, dass das Stu­di­um der Kunst ei­nen we­sent­li­chen Bei­trag zur Bil­dung des Men­schen dar­stell­te.

Wel­cker bat noch wäh­rend sei­ner Göt­tin­ger Zeit 1818 den Di­rek­tor des Fri­de­ri­cian­ums in Kas­sel, Fried­rich Völ­kel (1762-1829), ei­nen Es­say über das Schick­sal der an­ti­ken Skulp­tu­ren des Mu­se­ums zu ver­fas­sen. Völ­kel nann­te zwar den fran­zö­si­schen Kom­mis­sar Do­mi­ni­que-Vi­vant De­non (1747-1825) den Akra­tus uns­rer Zeit, be­stä­tig­te aber gleich­zei­tig, dass die fran­zö­si­schen Re­stau­ra­to­ren man­che An­ti­ken in ei­nen weit bes­se­ren Zu­stand ver­setzt hat­ten, als er je­mals in der ur­sprüng­li­chen Samm­lung ge­we­sen war[4]. Im Gan­zen zeig­te er sich zu­frie­den mit dem neu­en, ge­stei­ger­ten Stel­len­wert, den die Kunst­wer­ke nach ih­rer Auf­stel­lung in Pa­ris er­fuh­ren. Es sei so­gar ein gro­ßer wis­sen­schaft­li­cher Fort­schritt bei der Deu­tung und Zu­ord­nung ei­ni­ger Stü­cke er­zielt wor­den, der vor­her oh­ne Ver­gleichs­mo­nu­men­te nicht mög­lich ge­we­sen sei.

Gipsabguss der Marmorbüste Friedrich Gottlieb Welckers, anlässlich seines 50-jährigen Professorenjubiläums von Bernhard Afinger (1813-1882) geschaffen, 1859. (Christoph Alexander Martsch / CC BY-SA 3.0)

 

Mit ei­nem Schrei­ben des neu­en Ku­ra­tors der Uni­ver­si­tät Bonn, Phil­ipp Jo­seph von Reh­fu­es (1779-1843), an Wel­cker vom 8.2.1822 be­gann der ei­gent­li­che Auf­bau des Aka­de­mi­schen Kunst­mu­se­ums. Beim Um­bau der Mu­se­ums­räu­me konn­te Wel­cker sei­ne in Rom er­wor­be­ne Vor­stel­lung ei­ner Ein­heit von Schrift und Bild um­set­zen. Be­reits am 9.9.1819 hat­te Solms-Lau­bach Schle­gel und Wel­cker auf­ge­for­dert, ge­mein­sam Vor­schlä­ge für den Auf­bau der Gips­samm­lung zu ma­chen. Die Aus­wahl soll­te ei­nem dop­pel­ten Zweck ent­spre­chen: zum ei­nen die Bil­dung ei­ner für die Kunst­ge­schich­te be­leh­ren­den Rei­he, zum an­de­ren die voll­stän­di­ge Dar­stel­lung des Krei­ses der My­tho­lo­gie. Die ers­ten Ab­güs­se aus Pa­ris tra­fen im Ju­li 1820 in Bonn ein, wäh­rend vor al­lem die zwei­te Lie­fe­rung vom März 1821 den gro­ßen Wert von Gips­ab­güs­sen zeig­te. Es ka­men Ab­güs­se von 22 Re­li­efs des Par­thenon-Frie­ses, zwei Me­to­pen vom Par­thenon so­wie elf Me­to­pen des He­phais­tos-Tem­pels in die Bon­ner Samm­lung. Die­se Ab­güs­se wa­ren schon am En­de des 18. Jahr­hun­derts in Athen ge­macht wor­den. Sie sind von un­schätz­ba­rem Wert, da die am Bau ver­blie­be­nen Ori­gi­na­le in­zwi­schen zur Un­kennt­lich­keit ver­wit­tert oder ganz zer­stört sind. Da­ne­ben leg­te Wel­cker auch den Grund­stock für die Samm­lung von Ori­gi­na­len, zu der un­ter an­derm ei­ne Hy­dria (Was­ser­krug) des be­rühm­ten Meis­ters Eu­thy­mi­des ge­hör­te. 1827 war die Samm­lung so an­ge­wach­sen, dass Wel­cker auf An­re­gung des Mi­nis­te­ri­ums ei­nen Füh­rer ver­öf­fent­li­chen konn­te.

In der Zeit, in der Wel­cker das ers­te Mu­se­um ei­ner neu­en Art schuf, wor­in er die Denk­mal­kun­de mit der Phi­lo­lo­gie ver­knüpf­te, hat­te er seit 1831 die Re­dak­ti­on der Zeit­schrift „Rhei­ni­sches Mu­se­um für Phi­lo­lo­gie“ in­ne. Auch ar­bei­te­te er an sei­ner Göt­ter­leh­re, in die sei­ne Über­le­gun­gen zur grie­chi­schen My­tho­lo­gie ein­flie­ßen soll­ten. Au­ßer­halb der Uni­ver­si­tät ver­kehr­te er, wohn­haft am Müns­ter­platz Nr. 106, oft und ger­ne mit Arndt, der noch sus­pen­diert war. Ne­ben der Er­schüt­te­rung durch den Tod sei­ner El­tern 1829 plag­te ihn ein Au­gen­lei­den fast bis zur Er­blin­dung. 

Karl Marx im­ma­tri­ku­lier­te sich am 17.10.1835 in Bonn. Zehn Ta­ge spä­ter schrieb er sich für das Win­ter­se­mes­ter als drit­ter Hö­rer bei Wel­ckers Pri­vat­vor­le­sung über die grie­chi­sche und rö­mi­sche Göt­ter­leh­re ein. Dort traf er auf Ema­nu­el Gei­bel (1815-1884), den spä­te­ren Ly­ri­ker. Karl Marx wur­de von Wel­ckers Göt­ter­leh­re zu sei­nen An­sich­ten über das Ver­hält­nis der grie­chi­schen Kunst zur Ge­gen­wart in­spi­riert.

Ge­gen En­de der 1830er Jah­re wand­te sich Wel­cker, mü­de und ge­al­tert, im­mer mehr von der Welt ab. Hein­rich von Brunn (1822-1894), sein Schü­ler und spä­ter ge­fei­er­ter Or­di­na­ri­us in Mün­chen, traf Wel­cker 1839 zum ers­ten Mal. Er sah mit sei­nem ju­gend­li­chen Blick ne­ben der wür­de­vol­len Ge­mes­sen­heit des be­rühm­ten Ge­lehr­ten auch das ar­che­ty­pi­sche Bild des deut­schen Pro­fes­sors: Auch das Un­prak­ti­sche im ge­wöhn­li­chen Le­ben ge­hör­te da­zu; und na­tür­lich fehl­te auch nicht ein Stück des al­ten Jung­ge­sel­len nach der Rich­tung des wür­de­vol­len On­kels.[5] Dass Wel­cker den­noch zu al­ter En­er­gie zu­rück­fand, lag auch an der Be­ru­fung des jun­gen Ge­lehr­ten Fried­rich Rit­schl (1806-1876) an die Uni­ver­si­tät. Für Rit­schl war Wel­ckers Göt­ter­leh­re wie der Blick ei­nes Se­hers in die Zu­kunft. Auch konn­te er des­sen ei­gen­ar­ti­ge, schöp­fe­ri­sche Ge­nia­li­tät in­tui­tiv er­fas­sen.

1841 mach­te sich Fried­rich Gott­lieb Wel­cker auf, end­lich sein Sehn­suchts­land Hel­las zu be­su­chen. Über Ko­blenz un­d Trier führ­te ihn sein Weg nach Metz und von dort aus wei­ter nach Pa­ris. Über Ly­on, Mar­seil­le und Ge­nua kam er am 19.11.1841 in Rom an. Dort traf er noch ein­mal den al­ten Thor­wald­sen. In Be­glei­tung ei­nes sei­ner Schü­ler aus Bonn, des Bre­mers Wil­helm Hen­zen (1816-1887) und des Phi­lo­lo­gen Au­gus­te Tur­ret­ti­ni (1818-1881) aus Genf, mach­te sich Wel­cker am 17.1.1842 von An­co­na aus auf die Fahrt nach Pi­rä­us, wo das Schiff am 26. Ja­nu­ar an­leg­te. Zwei Jah­re lang be­reis­te Wel­cker mit sei­nen Ge­fähr­ten die grie­chi­sche Welt. Auch die io­ni­sche Küs­te und Kon­stan­ti­no­pel stan­den auf der Rei­se­rou­te.

Am 6.5.1843 nach Bonn zu­rück­ge­kehrt, wur­de ihm be­wusst, dass nun mit knapp 60 Jah­ren end­gül­tig der Ein­tritt ins Al­ter be­gann. Sei­ne Kräf­te schwan­den, und so war der Win­ter 1845/1846 in Rom we­ni­ger ein Rei­se­win­ter, als die Ver­la­ge­rung des Stu­dier­zim­mers in ein wär­me­res Kli­ma. Nach ei­ner wei­te­ren klei­nen Er­ho­lungs­rei­se nach Rom in den Herbst­fe­ri­en 1847 stieg in Deutsch­land die po­li­ti­sche Er­re­gung. Wel­cker, ob­schon ei­ner Schwär­me­rei für ein frei­es Po­len nicht ab­hold, mahn­te mit der Au­to­ri­tät sei­nes Na­mens zu Ru­he und Ord­nung. Die wis­sen­schaft­li­che Ar­beit soll­te Vor­rang ha­ben.

Universität und Anatomie, das spätere Gebäude des Akademischen Kunstmuseums, Lithographie von Laurenz Lersch, 1837. (Archiv der Universität Bonn)

 

Mehr und mehr ließ ihn sei­ne Ge­sund­heit im Stich, vor al­lem sei­ne Au­gen be­rei­te­ten ihm Sor­gen. Das Rät­sel der Sphinx, nach­dem der Mensch am En­de sei­nes Le­bens auf drei Bei­nen ge­he, wur­de ihm nur zu ver­ständ­lich, wenn er mit­tags am Stock ins Gast­haus „Zum Stern“ am Bon­ner Markt­platz schlich. 1854 gab er die Lei­tung der Bi­blio­thek und die Di­rek­ti­on des Kunst­mu­se­ums ab, Rit­schl folg­te ihm in bei­den Äm­tern nach. Ein Jahr spä­ter zog sich Wel­cker von den Se­nats- und Fa­kul­täts­ge­schäf­ten zu­rück. Dass sei­ne Lehr­tä­tig­keit zu­neh­mend un­ter dem Nach­las­sen sei­nes Ge­dächt­nis­ses litt, woll­te er sich je­doch nicht ein­ge­ste­hen. 1855 stell­te ihm Rit­schl da­her mit Ot­to Jahn (1813-1869) ei­nen wei­te­ren Pro­fes­sor für Li­te­ra­tur und Ar­chäo­lo­gie an die Sei­te, den der 70-jäh­ri­ge Wel­cker sehr schätz­te, ob­wohl er über Rit­schls Vor­ge­hens­wei­se tief ge­kränkt war. 1862 zog sich Wel­cker we­gen sei­ner ein­set­zen­den Er­blin­dung ganz aus dem Lehr­be­trieb zu­rück. Noch ein­mal sam­mel­te er sei­ne nach­las­sen­den Kräf­te zur Voll­endung sei­ner Göt­ter­leh­re. Fried­rich Gott­lieb Wel­cker starb am 17.12.1868 in Bonn und wur­de auf dem Al­ten Fried­hof bei­ge­setzt.

Die Sehn­sucht nach ei­nem uni­ver­sel­len Ge­lehr­ten wie Fried­rich Gott­lieb Wel­cker drück­te Rein­hard Ke­ku­lé von Stra­do­nitz (1839-1911) in ei­nem Satz aus: Es gibt zwei Sor­ten von Ar­chäo­lo­gen. Die ei­nen ver­ste­hen nichts von an­ti­ker Kunst, die schrei­ben aber viel. Die aber, die von Kunst et­was ver­ste­hen, schrei­ben lei­der nur we­nig.[6] Wel­ckers Bon­ner Kol­le­ge Ot­to Jahn brach­te es in sei­ner Lau­da­tio an­läss­lich des 50-jäh­ri­gen Pro­fes­so­ren­ju­bi­lä­ums Wel­ckers 1859 auf den Punkt: […] nie­mand hat vor Wel­cker und wie Wel­cker die Lit­te­ra­tur und Kunst des Al­ter­tums als ein Gan­zes an­ge­schaut und dar­ge­stellt.[7] 

Werke

Ex­er­ci­ta­tio phi­lo­lo­gi­ca ima­gi­nem Ulys­sis quae in Ilia­de ex­s­tat ad­um­brans, Dis­ser­ta­ti­on, 1803.
Die Or­phi­schen Ar­go­nau­ti­ka Vers 230-302, in: Wie­land, Chris­toph Mar­tin (Hg.), Neu­er Teut­scher Mer­kur, Band 3, Stück 9, S. 7-16 [S. 7-13 Über­set­zung, S. 14-16 An­mer­kun­gen], Wei­mar 1804.
Ob­ser­va­tio­nes in Pin­da­ri car­men olym­pi­cum pri­mum. Pro­lu­sio scho­las­ti­ca qua ad Pa­e­dago­gii Aca­de­mi­ci So­lem­nia Ver­na D. 28. et 29. Mar­tii Ce­le­bran­da Fau­to­res et Ami­cos Li­terar­um in­vi­tat Theo­phil. Fri­de­ric. Wel­cker, Phi­lo­soph. D. Pa­e­dago­gii Col­le­ga, Gis­sae 1806, S. 1-22.
Sap­pho von ei­nem herr­schen­den Vor­urt­heil be­freyt, Göt­tin­gen 1816.
Zo­egas Le­ben, Stutt­gart 1819. 
Die Äschy­lei­sche Tri­lo­gie, Darm­stadt 1824.
Theo­gn­i­dis Re­li­quiae, Frank­furt 1826.
Das Aka­de­mi­sche Kunst­mu­se­um zu Bonn, Bonn 1827.
Der epi­sche Zy­klus oder die Ho­me­ri­schen Dich­ter, 2 Bän­de, Bonn 1835-1849.
Die grie­chi­schen Tra­gö­di­en mit Rück­sicht auf den epi­schen Zy­klus ge­ord­net, 3 Bän­de, Bonn 1839.
Das Aka­de­mi­sche Kunst­mu­se­um zu Bonn, 2. Auf­la­ge, Bonn 1841.
Neu­es­ter Zu­wachs des Aka­de­mi­schen Kunst­mu­se­ums in Bonn, Bonn 1845.
Grie­chi­sche Göt­ter­leh­re, 3 Bän­de, Göt­tin­gen 1857–1862. 

Literatur

Bau­er, Jo­han­nes, Gips­ab­guss­samm­lun­gen an deutsch­spra­chi­gen Uni­ver­si­tä­ten. Ei­ne Skiz­ze ih­rer Ge­schich­te und Be­deu­tung, in: vom Bruch, Rü­di­ger (Hg.), Uni­ver­si­tät und Kunst  (= Jahr­buch für Uni­ver­si­täts­ge­schich­te, Band 5), Stutt­gart 2002, S. 117-132.
Betz, Karl, Fried­rich Gott­lieb Wel­cker. Ein Le­ben für Wis­sen­schaft und Va­ter­land, Grün­berg 1984.
Betz, Karl, Ge­lehr­ter und Pa­tri­ot, For­scher und Frei­heits­kämp­fer. Fried­rich Gott­lieb Wel­cker, in: Preu­ßi­sche All­ge­mei­ne Zei­tung Nr. 44 vom 31.10.2009.
Betz, Karl, Zwi­schen Auf­klä­rung und Ro­man­tik. Zum 225. Ge­burts­tag von Fried­rich Gott­lieb Wel­cker, in: Hes­si­sche Hei­mat. Aus Na­tur und Ge­schich­te, Nr. 23 vom 23.7.2009.
Brom­mer, Frank (Hg.), An­ek­do­ten und Aus­sprü­che von deut­schen Ar­chäo­lo­gen, Tü­bin­gen 1979.
Cal­der III., Wil­liam M. (Hg.), Fried­rich Gott­lieb Wel­cker. Werk und Wir­kung. Vor­trä­ge, ge­hal­ten auf der Wel­cker-Ta­gung in der Wer­ner-Rei­mers-Stif­tung in Bad Hom­burg vom 5.-7.-11.1984, Stutt­gart 1986.
Cal­der III., Wil­liam/Can­cik, Hu­bert/Kytz­ler, Bern­hard (Hg.), Ot­to Jahn (1813-1868). Ein Geis­tes­wis­sen­schaft­ler zwi­schen Klas­si­zis­mus und His­to­ris­mus, Stutt­gart 1991.
Ehr­hardt, Wolf­gang, Das Aka­de­mi­sche Kunst­mu­se­um der Uni­ver­si­tät Bonn un­ter der Di­rek­ti­on von Fried­rich Gott­lieb Wel­cker und Ot­to Jahn, Op­la­den 1982.
Göh­ler, Chris­ti­ne, Ema­nu­el Gei­bel. Ein Le­bens­bild in Selbst­zeug­nis­sen und Be­rich­ten sei­ner Freun­de, Schell­horn 1992.
Haym, Ru­dolf (Hg.), Wil­helm von Hum­boldts Brie­fe an Wel­cker, Ber­lin 1859.
Ke­ku­lé von Stra­do­nitz, Rein­hard, Das Le­ben Fried­rich Gott­lieb Wel­cker´s nach sei­nen ei­ge­nen Auf­zeich­nun­gen und Brie­fen, Leip­zig 1880.
Pflug, Gün­ther, Fried­rich Gott­lieb Wel­cker und die Ent­wick­lung der klas­si­schen Phi­lo­lo­gie im 19. Jahr­hun­dert, in: Her­mes 49 (1986), S. 268-276.
Sa­voy, Bé­né­dic­te, Kunst­raub. Na­po­le­ons Kon­fis­zie­run­gen in Deutsch­land und die eu­ro­päi­schen Fol­gen. Mit ei­nem Ka­ta­log aus deut­schen Samm­lun­gen im Mu­sée Na­po­le­on, Wien/Köln/Wei­mar 2011.
Schöncke, Man­fred, „Ein fröh­li­ches Jahr in Bon­n“? Was wir über Karl Marx´ ers­tes Stu­di­en­jahr wis­sen, in: Quel­len und Gren­zen von Marx’ Wis­sen­schafts­ver­ständ­nis, Ham­burg 1994, S. 239-255. 

Grabmedaillon Friedrich Gottlieb Welckers auf dem Alten Friedhof in Bonn, von Robert Cauer (1831-1893) geschaffen. (Jotquadrat via wikimedia / CC BY-SA 3.0)

 
Zitationshinweis

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Kirschbaum, Markus, Friedrich Gottlieb Welcker, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-gottlieb-welcker/DE-2086/lido/5d15dfe63d9501.31159900 (abgerufen am 16.04.2024)