Dietmar, Carl/Leifeld, Marcus, Alaaf und Heil Hitler. Karneval im Dritten Reich, München 2010

222 S., ISBN 978-3776626308, 24,95 Euro

Alois Döring (Bonn)

Um es vor­weg zu sa­gen: Die dunk­le Ver­gan­gen­heit des Kar­ne­vals im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus zwi­schen An­pas­sung und Wi­der­stand ma­chen die bei­den Köl­ner His­to­ri­ker Carl Diet­mar und Mar­cus Lei­feld ei­ner brei­ten Le­ser­schaft de­tail­reich zu­gäng­lich. Schon da­für ge­bührt ih­nen An­er­ken­nung. Doch lei­der hält ih­re Pu­bli­ka­ti­on wis­sen­schaft­li­chen Maß­stä­ben der Volks­kun­de/Kul­tur­an­thro­po­lo­gie wie auch der Ge­schichts­wis­sen­schaft nicht im­mer stand.

Die Au­to­ren ge­hen von rhei­ni­schen, nä­her hin von Köl­ner Ver­hält­nis­sen aus. So wird dem Le­ser auf den ers­ten 50 Sei­ten die Ent­wick­lung des Köl­ner Kar­ne­vals von den ers­ten Spu­ren im Mit­tel­al­ter über die so ge­nann­te ro­man­ti­sche Kar­ne­vals­re­form im 19. Jahr­hun­dert bis zum Jahr 1933 dar­ge­bo­ten, wo­bei die po­li­ti­sche Ent­wick­lung der Rhein­lan­de ins­be­son­de­re wäh­rend der Wei­ma­rer Re­pu­blik als Hin­ter­grund­fo­lie dient. Die Fo­kus­sie­rung auf das Rhein­land führt da­zu, dass der Le­ser we­nig er­fährt über die ge­schicht­li­che Ent­wick­lung des Kar­ne­vals in Mainz oder gar Mün­chen, die schwä­bisch-ale­man­ni­sche Fas­net, die Fast­nacht in Frank­furt, den Fa­sching in Wien. Des­halb blei­ben Aus­sa­gen wie „Es wird im gan­zen Reich ei­ne Men­ge sol­cher und ähn­li­cher Ak­tio­nen ge­ge­ben ha­ben“ (S. 196) im Va­gen.

Da­bei scheint es an Kennt­nis der volks­kund­li­chen For­schung zum The­ma Fast­nacht/Fa­sching/Kar­ne­val zu man­geln, wie das Feh­len von Grund­la­gen- und rhei­ni­scher For­schungs­li­te­ra­tur zum Kar­ne­val im Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis deut­lich macht. So nimmt es nicht wun­der, wenn das ers­te Ka­pi­tel ein­setzt: „In­wie­weit er [der Kar­ne­val] auf heid­ni­schen oder rö­mi­schen Tra­di­tio­nen be­ruht, lässt sich nur schwer nach­wei­sen - si­cher ist nur, dass der Kar­ne­val einst an­ders ge­fei­ert wur­de als heu­te“, um we­ni­ge Zei­len spä­ter fort zu fah­ren: „Doch vor der 40-tä­gi­gen Fas­ten­zeit durf­ten die Köl­ner noch ein­mal rich­tig gut es­sen und trin­ken - und lus­tig und laut sein, um die Win­ter­dä­mo­nen zu ver­trei­ben“. Und wei­ter: die chris­tia­ni­sier­te Fast­nacht hat­te „vie­le Ele­men­te heid­ni­scher Früh­lings­kul­te um­ge­deu­tet und wei­ter­ent­wi­ckel­t“. (S. 15-16). Die Be­zeich­nung „Ro­sen­mon­ta­g“ wird von „’ra­sen’ für to­ben, toll sein“ ab­ge­lei­tet (S. 213), was lan­ge wi­der­legt ist. Über­haupt fehlt in dem Buch ei­ne ety­mo­lo­gisch-his­to­ri­sche Be­griffs­klä­rung von „Fast­nach­t“, „Fa­schin­g“, „Kar­ne­val“ - die Be­zeich­nung für das Schwel­len­fest zur Fas­ten­zeit ist nicht strin­gent. Ge­ra­de­zu un­er­träg­lich ist die hun­dert­fa­che Ver­wen­dung des Be­griffs „Brauch­tum“, zu­mal in frag­wür­di­gen Zu­sam­men­set­zun­gen wie „Brauch­tums­ex­per­te“, „Brauch­tums­ver­an­stal­tun­g“ oder gar „Brauch­tums­ri­tual“.

Den tat­säch­li­chen Sach­ver­halt ver­kürzt die Be­mer­kung zur schwä­bisch-ale­man­ni­schen Fas­net: „En­de des 19. Jahr­hun­derts do­mi­nier­te auch dort [der Köl­ner] ‚Held Car­ne­val’“ (S. 24). Um die Jahr­hun­dert­wen­de wur­de viel­mehr in ei­ner Art „fast­nächt­li­cher Kon­ter­re­vo­lu­ti­on“ der rhei­nisch-ro­man­ti­sche Kar­ne­val mit sei­nem „Hel­den“ ab­ge­schafft, die al­te Fas­net des Nar­ren­lau­fens fei­er­te fröh­li­che Ur­ständ. Zu kurz grei­fen auch Deu­tun­gen der ideo­lo­gi­schen In­dienst­nah­me des Kar­ne­vals durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, wie sie sich als ro­ter Fa­den durch das Buch zie­hen: „Der Kar­ne­val, der Fa­sching, die Fas­net - ein dank­ba­res Feld für die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten: be­din­gungs­lo­ser Op­ti­mis­mus, Aus­ge­las­sen­heit und Fröh­lich­keit, Ge­mein­schafts­sinn, Hei­mat­ver­bun­den­heit“ (S. 207). Der Kar­ne­val „scheint ge­ra­de­zu prä­des­ti­niert ge­we­sen zu sein, die Schaf­fung ei­ner na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Volks­ge­mein­schaft zu un­ter­stüt­zen, stan­den doch bei die­sem Fest das kol­lek­ti­ve Er­le­ben, das ge­mein­sa­me Schun­keln und Sin­gen als ein­heits­stif­ten­de Ri­tua­le tra­di­tio­nell im Vor­der­grun­d“ (S. 54 und öf­ter). Zu­ge­ge­ben: Die Au­to­ren spre­chen auch von den Ver­su­chen, „den Kar­ne­val als Volks­fest für ih­re po­li­ti­schen Zie­le und ih­re Welt­an­schau­ung zu re­kla­mie­ren“ (S. 101).

Um das In­ter­es­se der NS-Macht­ha­ber am Kar­ne­val zu ver­ste­hen, so das Er­geb­nis von Wer­ner Mez­ger auf­grund sei­ner For­schun­gen zur schwä­bisch-ale­man­ni­schen Fas­net, war es die äl­te­re volks­kund­li­che Li­te­ra­tur mit ih­rer ger­ma­ni­schen Kon­ti­nui­täts­prä­mis­se, die den ideo­lo­gisch frucht­ba­ren Bo­den für die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche In­dienst­nah­me be­rei­te­te; der Kar­ne­val konn­te so vom NS-Re­gime kon­se­quent in­stru­men­ta­li­siert wer­den: „Ganz of­fen­sicht­lich ver­folg­ten die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten al­so ei­ne Stra­te­gie in zwei Schrit­ten: Zu­nächst soll­te die Fast­nacht aus ih­rem christ­li­chen Sinn­zu­sam­men­hang her­aus ge­bro­chen und statt­des­sen als ger­ma­ni­scher Win­ter­aus­trei­bungs­kult er­klärt wer­den, dann woll­te man sie dem­entspre­chend pro­pa­gan­dis­tisch aus­schlach­ten und schlie­ß­lich un­ver­hoh­len für po­li­ti­sche Zwe­cke in­stru­men­ta­li­sie­ren.“ Fast­nacht wur­de zum Prä­ze­denz­fall „ei­ner„kirch­li­chen Über­tün­chung ver­meint­lich ger­ma­ni­scher ‚Grund­schich­ten’ sti­li­siert.“ (Das gro­ße Buch der schwä­bisch-ale­man­ni­schen Fas­net. Ur­sprün­ge, Ent­wick­lun­gen und Er­schei­nungs­for­men or­ga­ni­sier­ter Nar­re­tei in Süd­deutsch­land, Stutt­gart 1999, Zi­tat S. 30-31).

We­nig nach­voll­zieh­bar ist auch die The­se der Au­to­ren, dass die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten „zu­neh­mend ei­ne Ent­po­li­ti­sie­rung des Kar­ne­vals“ vor­nah­men; als In­diz da­für se­hen sie die Pro­pa­gan­da­schrift „Deut­sche Fas­nach­t“ des Am­tes Fei­er­abend (S. 103). Ent­po­li­ti­sie­rung? Le­sen wir in die­sem Leit­fa­den zur Hand­ha­bung der Fast­nachts­fei­er nach: „So wie es uns be­reits ge­lang, dem Mai­fest, der Som­mer­sonn­wen­de und dem Ern­te­fest ein Ge­sicht zu ge­ben, so soll die­ses Fest eben­falls ein we­sent­li­cher Le­bens­aus­druck un­se­res Vol­kes sein. - Es steht vom po­li­ti­schen Jah­res­lauf aus ge­se­hen, zwi­schen der Zeit, in der das neue Reich auf­stand [30.1.], und dem Tag, an dem wir des Füh­rers Ge­burts­tag fei­ern [20.4.].“ (Zi­tiert nach Mez­ger, S. 30).

Die Au­to­ren er­wei­sen sich auch in der Ge­schich­te des „Drit­ten Reichs“ als nicht ganz sat­tel­fest. Fach­li­te­ra­tur zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus wur­de an­schei­nend kaum her­an­ge­zo­gen, je­den­falls ver­misst der Re­zen­sent ent­spre­chen­de Ti­tel im Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis. Man­ches bleibt un­scharf oder nicht halt­bar, va­ge oder spe­ku­la­tiv, um nur ein paar Bei­spie­le her­aus­zu­grei­fen: „Die Funk­ti­on der Volks­ge­mein­schafts­ideo­lo­gie be­stand ja nicht in der Auf­he­bung der Klas­sen­ge­gen­sät­ze“; Hit­ler wird den Fa­sching „in Mün­chen selbst er­lebt ha­ben“ .(S. 131), „prü­de wa­ren die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten je­den­falls nich­t“ (S. 159), „über­all in Deutsch­land spür­ten die Men­schen in­tui­tiv: Die Er­nen­nung Adolf Hit­lers zum Reichs­kanz­ler … war mit ei­nem der vie­len Re­gie­rungs­wech­seln der Wei­ma­rer Re­pu­blik nicht zu ver­glei­chen“. (S. 51). Ei­ni­ges ist schlicht falsch: So war Gö­ring 1938 nicht der höchs­te SA-Füh­rer; das an­geb­lich aus der so ge­nann­ten Heim­tü­cke­ver­ord­nung vom 21.3.1933 stam­men­de Zi­tat auf S. 101-102 fin­det sich we­der im Text der Ver­ord­nung noch in dem ihr fol­gen­den, er­wei­ter­ten und straf­recht­lich ver­schärf­ten Heim­tü­cke­ge­setz vom 20.12.1934.

Der Le­ser er­hält je­doch auch kon­kre­te Bei­spie­le na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Gleich­schal­tung und Kon­trol­le durch NS-Or­ga­ne (zum Bei­spiel der NS-Ge­mein­schaft „Kraft durch Freu­de“) und NS-Funk­tio­nä­re (un­ter an­de­rem Wil­helm Ebel, Jo­sef Grohé in Köln). Er lernt mu­ti­ge Kar­ne­va­lis­ten (Karl Küp­per aus Köln, Leo Statz aus Düs­sel­dorf, und an­de­re mehr) ken­nen und er­fährt von kri­ti­schen Künst­lern wie Max Beck­mann (1884-1950) und Karl Ho­fer (1878-1955), von ge­sell­schafts­kri­ti­schen Kar­ne­vals­bild­nis­sen oder den Lum­pen- und Mas­ken­bäl­len in Künst­ler­krei­sen. Auch zei­gen die Au­to­ren auf, wie die KPD-Mit­glie­der Karl Schwe­sig (1898-1955) und Ot­to Nie­ber­gall (1904-1977) sich den Kar­ne­val als Ve­hi­kel für po­li­ti­schen Wi­der­stand zu Nut­ze mach­ten, in­dem sie 1938 ei­ne Kar­ne­vals­zei­tung in der Ge­stal­tung der of­fi­zi­el­len Köl­ner Ro­sen­mon­tags­zei­tung her­aus­ga­ben. Mit bei­ßen­dem Spott und Witz woll­ten sie über das na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Re­gime auf­klä­ren (Jo­seph Go­eb­bels’ Mot­to als Prinz „Jüpp­che I.“: „Im­mer löje wi je­druk­k“, S. 190) oder mit re­gime­kri­ti­schen Wa­gen­ent­wür­fen, be­ti­telt wie: „Daß wir hier in Flam­men auf­ge­hen, ver­dan­ken wir dem Füh­rer!“ (S. 192).

Der Epi­log des Bu­ches ist dem (bis­lang) kol­lek­tiv ver­drän­gen­den Um­gang der Köl­ner Kar­ne­va­lis­ten mit der NS-Zeit ge­wid­met.

Fa­zit: Trotz al­ler Män­gel ge­bührt dem Buch das Ver­dienst, dass es sich mit dem trau­ri­gen Ka­pi­tel der po­li­tisch-ideo­lo­gi­schen In­dienst­nah­me des Kar­ne­vals in der NS-Zeit aus­ein­an­der setzt. In­des hät­te es dem Buch gut ge­tan, wenn die Au­to­ren 1. die volks­kund­li­che Kar­ne­vals­for­schung hin­rei­chend re­zi­piert und 2. Köln und den rhei­ni­schen Kar­ne­val pa­ra­dig­ma­tisch dar­ge­stellt hät­ten.

Zitationshinweis

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Döring, Alois, Dietmar, Carl/Leifeld, Marcus, Alaaf und Heil Hitler. Karneval im Dritten Reich, München 2010, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Verzeichnisse/Literaturschau/dietmar-carlleifeld-marcus-alaaf-und-heil-hitler.-karneval-im-dritten-reich-muenchen-2010/DE-2086/lido/57d267d213b1d5.34882880 (abgerufen am 28.03.2024)