Zu den Kapiteln
Heinrich Grüber wandte sich als Pfarrer in Berlin gegen den Rassenwahn des NS-Regimes und riskierte mit seiner tätigen Hilfe für verfolgte Juden sein eigenes Leben. Nach dem Krieg verstand er sich als Brückenbauer zwischen Ost und West.
Heinrich Karl Ernst Grüber wurde am 24.6.1891 als ältester Sohn des Lehrers Dr. Ernst Grüber und dessen Frau Alwine Cleven in Stolberg geboren. Seine Mutter stammte aus Limburg und vermittelte dem Sohn bereits früh die Kenntnis der holländischen Sprache und Kultur. Ebenso lernte das Kind unter dem Einfluss des in Frankreich aufgewachsenen Vaters Französisch. Nimmt man hinzu, dass er seine Jugend im Dreiländereck der Region um Aachen verbrachte und zumeist der einzige evangelische Schüler in der Klasse war, so wird die Aufgeschlossenheit des späteren Theologen Grüber für Belange der Ökumene nachvollziehbar.
Nach dem 1910 am Gymnasium zu Eschweiler abgelegten Abitur wollte er zunächst in die beruflichen Fußstapfen des Vaters treten und studierte Philosophie, Geschichte und evangelische Theologie in Bonn, Berlin und Utrecht. Er entschloss sich dann zum Pfarrdienst und legte Ostern 1914 am rheinischen Konsistorium in Koblenz das Erste theologische Examen ab. Es folgte eine kurze Zeit als Vikar in Wuppertal im Dienst der rheinischen Pastoralhilfsgesellschaft. Im Januar 1915 erfolgte die Einberufung zum Militär. Nach einem kurzen Intermezzo 1918/ 1919 als Hilfsprediger in Stolberg absolvierte er das Berliner Domkandidatenstift, ehe er 1920 seine erste Pfarrstelle in Dortmund-Brackel erhielt. Noch einmal zog es ihn in die rheinische Heimat, als er 1925 die Stelle als Erziehungsleiter in der Anstalt Düsselthal antrat. Mit seinen modernen Konzepten vermochte er sich nicht gegen den leitenden Anstaltspfarrer durchzusetzen und so wechselte er bereits 1926 nach Brandenburg, nunmehr als Direktor des Erziehungsheims Waldhof in Templin.
Politisch noch deutschnational orientiert und Mitglied im Stahlhelm, war er Anfang 1933 kurz im Gespräch als Staatsekretär im Reichsarbeitsministerium von Franz Seldte (1882-1947). Diese vermeintlich glänzende Aufstiegsperspektive zerschlug sich rasch. Stattdessen wurde er von den Nationalsozialisten in Templin entlassen und konnte erst im Februar 1934 wieder als Gemeindepfarrer in Berlin-Kaulsdorf beruflich Fuß fassen. Nunmehr in der Bekennenden Kirche engagiert, stand Grüber fortan in ständigem Konflikt mit seinem Gemeindekirchenrat, der mehrheitlich von Deutschen Christen besetzt war und seinen Pfarrer häufig denunzierte. Seine nebenamtliche Betreuung der Niederländischen Gemeinde in Berlin prädestinierte Grüber für eine neue und schwierige Aufgabe: Im Mai 1938 beauftragte ihn die Bekennende Kirche mit der Einrichtung einer „Hilfsstelle für nichtarische Christen", also für Familien, die zum Teil schon seit Generationen konvertiert waren, aber doch den NS-Rassegesetzen unterlagen.
Die Arbeitsgebiete des „Büro Pfarrer Grüber" in der Oranienburger Straße umfassten die Auswandererberatung einschließlich Vorbereitung und Durchführung (hier auch speziell die Kinderauswanderung), die Stellenvermittlung ins Ausland, Wohlfahrtsarbeit und Rechtsberatung. Über ökumenische Kontakte erwarb das Büro die dringend notwendigen Ausreisevisa, ebenso notwendig war ein gewisses Zusammenspiel mit den NS-Behörden, die zunächst noch Interesse an einer forcierten jüdischen Auswanderung hatten. Hier kam es auch zu einem Besuch Grübers in dem Referat von Adolf Eichmann. Insgesamt konnte bis zur Auflösung des Büros im Dezember 1940 die Emigration von zwischen 1.700 und 2.000 Juden organisiert werden.
Im Berliner Büro hatte Grüber bis zu 35 Mitarbeiter, meist selbst Rasseverfolgte. Zu seinem reichsweiten Netz an nebenamtlichen Vertrauensleuten zählten im Rheinland unter anderem die Pfarrer Paul Biermann (1881-1968) in Mülheim-Styrum, Hans Encke (1896-1976) in Köln-Nippes und Gottfried Hötzel (1880-1940) in Düsseldorf-Oberkassel. Sie waren ebenfalls durch ihre Arbeit gefährdet, Hötzel beispielsweise musste Anfang 1940 eine zweimonatige Inhaftierung verbüßen. Als im Herbst 1940 fast 7.000 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saargebiet in das südfranzösische Lager Gurs deportiert wurden, beschränkte Grüber sich nicht mehr auf Proteste, sondern beschritt den riskanten Weg der Konspiration. Über Kontakte zur Abwehr organisierte sich Grüber einen Reisepass, doch noch vor seiner geplanten Abreise wurde er am 19.12.1940 von der Gestapo verhaftet und in das KZ Sachsenhausen verbracht. Von dort erfolgte 1941 die Verlegung nach Dachau in den so genannten „Pfaffenblock".
Über seine schrecklichen Erlebnisse in der Haft berichtet Grüber eindrücklich in seiner Autobiographie. Er wurde von Wärtern zusammengeschlagen und musste im August 1942 unmittelbar erleben, wie Werner Sylten (1893-1942), sein früherer Stellvertreter im Büro, in einem „Invalidentransport" zur Vernichtungsstätte Schloss Hartheim bei Linz verbracht wurde. Beeindruckt zeigte er sich von der Lagerdisziplin vor allem der gefangenen Kommunisten. Im Sommer 1943 erfolgte auf Fürsprache seiner Familie die Entlassung unter strengen Auflagen. Die Mehrzahl der jüdischen Mitarbeiter seines Ende 1940 aufgelösten Büros war zu diesem Zeitpunkt bereits in den Ghettos und Vernichtungslagern im Osten ermordet worden.
Der Einmarsch der Roten Armee bedeutete für Grüber die Befreiung aus erzwungener Untätigkeit. Er stürzte sich geradezu in die Arbeit und engagierte sich kirchlich wie politisch in zahlreichen Berliner Gremien und in der Flüchtlingsarbeit. 1945 wurde er Propst von St. Marien und St. Nikolai in Berlin. Zu seinem zuständigen Bischof Otto Dibelius (1880-1967) stand der bruderrätlich orientierte Grüber in kirchenpolitischem Gegensatz, so dass es immer wieder zu Reibereien kam. Er zählte zu den Mitbegründern der CDU in Berlin, trat ihr nach eigenem Bekunden aber nie bei. 1949 erfolgte die Ernennung zum Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Regierung der DDR.
In diesem Amt blieb der geschmeidige Kirchendiplomat in Ost wie West nicht unumstritten. Hinter den Kulissen bestand Grübers vordringliches Anliegen darin, die periodisch einsetzenden Repressionen und Presseattacken der SED-Organe gegen die evangelische Kirche in der DDR aufzufangen oder zumindest abzumildern. Hart betroffen war etwa bis 1953 die so genannte Junge Gemeinde. Im Westen kritisierte man umgekehrt Grübers Bereitschaft, tatsächliche oder vermeintliche kommunistische Positionen wiederzugeben. Hier zeigte sich wiederum wie 1938/ 1939 die für viele irritierende Tendenz Grübers, sich aus taktischen Motiven heraus der sprachlichen Diktion der jeweiligen Machthaber anzupassen. Die Bekanntschaft mit einigen kommunistischen Politikern aus der gemeinsamen KZ-Haft erwies sich freilich als zunehmend brüchige Vertrauensbasis und spätestens 1957 mit dem Tod von Otto Nuschke (1893-1957), dem Chef der Ost-CDU, wurde er für das Regime zunehmend zur persona non grata.
Im Mai 1958 entzog ihm die DDR-Regierung endgültig die Akkreditierung: „Sie hatten erkannt, dass es mir letzten Endes nicht darum gegangen war, den sozialistischen Staat zu stärken, sondern die Evangelische Kirche freizuhalten für den Samariterdienst an den Menschen in Ost und West." Die weltweite Aufmerksamkeit der Medien richtete sich noch einmal auf ihn, als er 1961 als einziger deutscher Zeuge im Prozess gegen Adolf Eichmann aussagte. In den folgenden Jahren setzte er sich stark für die deutsch-israelische Aussöhnung ein. Hohe Auszeichnungen wurden ihm zuteil, so nahm ihn die israelische Regierung 1967 in die Reihe der „Gerechten unter den Völkern" auf und 1970 wurde ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin verliehen.
Heinrich Grüber verstarb am 29.11.1975 in Berlin-Zehlendorf.
Werke
Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten, Köln 1968.
Nicht nebeneinander – Miteinander!, Berlin 1955.
Literatur
Barwich, Beate (Hg.), Veni Creator Spiritus; Heinrich Grüber - Gerechter unter den Völkern. Leipzig 2014.
Bautz, Friedrich Wilhelm, Artikel "Grüber, Heinrich", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 2 (1990), Sp. 363-364.
Besier, Gerhard, Heinrich Grüber - Pastor, Ökumeniker, Kirchenpolitiker, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 89 (1991), S. 363-384.
Ludwig, Hartmut, An der Seite der Entrechteten und Schwachen. Zur Geschichte des „Büros Pfarrer Grüber" (1938-1940) und der Ev. Hilfsstelle für ehemals Rasseverfolgte nach 1945, Berlin 2009.
Rink, Sigurd, Der Bevollmächtigte. Propst Grüber und die Regierung der DDR, Stuttgart 1996.
Winkler, Dieter, Heinrich Grüber - Protestierender Christ. Berlin-Kaulsdorf 1934-1945, Berlin 1993.
Online
Heinrich Grüber (Biographische Kurzinformation auf der Website der Gedenkstätte Deutscher Widerstand).
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Flesch, Stefan, Heinrich Grüber, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-grueber/DE-2086/lido/57c6d864af29a8.84622794 (abgerufen am 19.04.2024)