Hermann Julius Grüneberg

Unternehmer (1827-1894)

Boris Gehlen (Bonn)

Hermann Julius Grüneberg, Porträt, Lithografie, um 1894.

Her­mann Ju­li­us Grü­ne­berg war ein Pio­nier in der Dün­ge­mit­tel­her­stel­lung und Weg­be­rei­ter der che­mi­schen In­dus­trie in Deutsch­land. 

Her­mann Grü­ne­berg, so sein Ruf­na­me, kam am 11.4.1827 als zwei­tes Kind von Au­gust Wil­helm (1787-1837) und Co­ra­li­ne Hen­ri­et­te Ro­sa­lie Grü­ne­berg, ge­bo­re­ne Bres­lich (1800-1883), in Stet­tin zur Welt; er hat­te zwei Brü­der und drei Schwes­tern. Sein Va­ter be­trieb ei­ne Or­gel­bau­un­ter­neh­mung, die nach des­sen Tod von Her­manns jün­ge­rem Bru­der Bar­nim (1828-1907) über­nom­men und aus­ge­baut wur­de. 

Be­reits zu Schul­zei­ten ent­wi­ckel­te Grü­ne­berg ein aus­ge­präg­tes na­tur­wis­sen­schaft­li­ches In­ter­es­se, sein fol­gen­der Aus­bil­dungs­weg ver­lief je­doch nicht ganz strin­gent: Er ver­ließ die Schu­le oh­ne Ab­itur und be­gann 1842 ei­ne vier­jäh­ri­ge Apo­the­ker­leh­re, bei der er be­son­ders sei­ne che­mi­schen Kennt­nis­se ver­tief­te. Ab April 1847 ar­bei­te­te er in der Che­mi­schen Fa­brik von Dr. Gus­tav Gar­be (1816-1860) in Bre­dow, ver­ließ sie im März 1848 wie­der und wech­sel­te zu ei­ner Ham­bur­ger Apo­the­ke. Es schloss sich 1849 der Mi­li­tär­dienst als Ein­jäh­rig Frei­wil­li­ger an. 

1850 be­gann er sei­ne un­ter­neh­me­ri­sche Lauf­bahn – mit ei­nem Miss­er­folg: Aus­ge­hend von sei­nen che­mi­schen Kennt­nis­sen be­gann er mit der Fa­bri­ka­ti­on von Blei­weiß – ei­nem Grund­pro­dukt zum Bei­spiel für die Farb-, Sal­ben- und Kit­t­her­stel­lung. Er schei­ter­te aus nicht ganz ge­klär­ten Grün­den, kei­nes­falls aber an man­geln­der Sach­kennt­nis oder un­zu­rei­chen­den Pro­duk­ti­ons­ver­fah­ren. Auch die „Stet­ti­ner Pa­tent Blei­weiß­fa­brik", die er kurz dar­auf mit Per­so­nen aus sei­nem nä­he­ren Um­feld grün­de­te und die mit sei­nen pa­ten­tier­ten Ver­fah­ren ar­bei­te­te, muss­te nach an­dert­halb Jah­ren ih­ren Be­trieb ein­stel­len. Sei­ne Me­tho­den und Kennt­nis­se brach­te er da­nach in wei­te­re Un­ter­neh­mun­gen ein, an de­nen er aber nicht selbst be­tei­ligt war, un­ter an­de­rem in Gö­te­borg. 

Nach der Rück­kehr aus Schwe­den bau­te Grü­ne­berg ge­mein­sam mit sei­nem Vet­ter Ernst Klee, mit dem er zu­vor schon zu­sam­men­ge­ar­bei­tet hat­te, ei­ne Fa­brik in Alt­damm auf, der bald zwei wei­te­re Fa­bri­ken in Bre­dow und Alt­damm folg­ten. Der Krim­krieg (1853-1856) hat­te zu ei­ner star­ken Nach­fra­ge nach Sal­pe­ter für die Spreng­stoff­her­stel­lung ge­führt, die Klee und Grü­ne­berg be­dien­ten. Wäh­rend Klee die un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dun­gen traf, ent­wi­ckel­te Grü­ne­berg Ver­fah­ren zur künst­li­chen Her­stel­lung von Sal­pe­ter – und wur­de in der Fol­ge von sei­nem Vet­ter über­vor­teilt, der ihn an den Ge­win­nen der Fa­bri­ken ent­ge­gen frü­he­rer Ab­spra­chen nur ge­ring be­tei­lig­te. Grü­ne­berg trat dar­auf 1857 aus dem Un­ter­neh­men aus und be­gann ein Stu­di­um der Che­mie, das er durch Aus­lands­auf­ent­hal­te und Fa­brik­be­sich­ti­gun­gen er­gänz­te. Im Ju­li 1860 wur­de er mit ei­ner Ar­beit zur Blei­wei­ß­pro­duk­ti­on an der Phi­lo­so­phi­schen Fa­kul­tät in Leip­zig pro­mo­viert. 

Zu­vor hat­te er be­reits mit dem Köl­ner Kauf­mann Ju­li­us Vors­ter (1809-1876) in Kon­takt ge­stan­den, der un­ter an­de­rem na­tür­li­chen Sal­pe­ter an die Berg­wer­ke an Rhein und Ruhr ver­kauf­te. Grü­ne­bergs Kennt­nis­se in der künst­li­chen Sal­pe­ter­her­stel­lung bil­de­ten da­her fast fol­ge­rich­tig die Ba­sis der künf­ti­gen Ko­ope­ra­ti­on – und für Grü­ne­bergs Um­zug ins Rhein­land. 

Am 1.11.1858 wur­de das Un­ter­neh­men „Vors­ter & Grü­ne­berg" im da­mals noch selbst­stän­di­gen Kalk bei Köln ge­grün­det; es stell­te seit Fe­bru­ar 1859 ­Sal­pe­ter nach dem Grü­ne­berg­schen Ver­fah­ren her. Vors­ter über­nahm die kauf­män­ni­sche Lei­tung und stell­te auch 75 Pro­zent des Ka­pi­tals von 20.000 Ta­lern, wäh­rend Grü­ne­berg für die tech­ni­sche Um­set­zung zu­stän­dig war und 25 Pro­zent hielt. Auch bei die­ser wich­tigs­ten Grün­dung sei­ner in­dus­tri­el­len Lauf­bahn brach­te Grü­ne­berg folg­lich in ers­ter Li­nie Know-how in die Un­ter­neh­mung ein, wäh­rend er sel­ten kauf­män­nisch agier­te. Grü­ne­berg war stets eher Weg­be­rei­ter für Un­ter­neh­mun­gen als im en­ge­ren Sin­ne Un­ter­neh­mer. Zwar hat­te er durch­aus Am­bi­tio­nen, wis­sen­schaft­li­che Er­kennt­nis­se zu ver­sil­bern, doch im Grun­de war wis­sen­schaft­li­ches Er­kennt­nis­in­ter­es­se und nicht die Ein­fluss­nah­me auf un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dun­gen die trei­ben­de Kraft sei­nes Han­delns. Grü­ne­berg er­kann­te bei­spiels­wei­se zu Be­ginn der 1860er Jah­re die Be­deu­tung und das Ent­wick­lungs­po­ten­ti­al der Ver­ar­bei­tung von Ka­li­sal­zen, wor­auf­hin „Vors­ter & Grü­ne­berg" in Staß­furt ei­ne ent­spre­chen­de Fa­brik er­rich­te­ten. Grü­ne­berg hat­te als ers­ter Che­mi­ker ein Ver­fah­ren – das Hei­ß­lö­se­ver­fah­ren – ent­wi­ckelt, um aus Ka­li­sal­zen Ka­li­um­chlo­rid zu ge­win­nen. In wei­te­ren Ver­su­chen ent­deck­te Grü­ne­berg die Ver­wen­dungs­mög­lich­keit als Dün­ge­mit­tel und wur­de mit die­sen For­schun­gen zum wich­ti­gen Weg­be­rei­ter der mi­ne­ra­li­schen Dün­gung in Deutsch­land.

So sehr er als un­ter­neh­me­risch den­ken­der Che­mi­ker auch über­zeug­te, so we­nig aus­ge­prägt war sein un­ter­neh­mens­or­ga­ni­sa­to­ri­scher Spür­sinn. Grü­ne­berg dach­te we­nig in ver­trag­li­chen Fein­hei­ten und konn­te so häu­fig nicht in dem Ma­ße an sei­nen Un­ter­neh­mun­gen par­ti­zi­pie­ren, wie es ihm auf­grund sei­ner Leis­tun­gen zu­ge­stan­den hät­te. Zwar er­reich­te er ei­nen an­sehn­li­chen Wohl­stand, wur­de aber mehr­fach von sei­nen Ge­schäfts­part­nern über­vor­teilt – so auch nach dem Tod von Ju­li­us Vors­ter 1876. Ver­trags­ge­mäß folg­ten des­sen Söh­ne Ju­li­us jr. (1845-1932), ein Kauf­mann, und Fritz (1850-1912), ein Che­mi­ker, ih­rem Va­ter nach, die das Un­ter­neh­men in ei­ne Kom­man­dit­ge­sell­schaft um­wan­del­ten und fort­an ge­mein­sam mit Grü­ne­berg als Kom­ple­men­tä­re fun­gier­ten, wäh­rend ih­re Mut­ter, Wil­hel­mi­ne Vors­ter, als Kom­man­di­tis­tin eben­falls be­tei­ligt war. Hier­durch ver­scho­ben sich die Ein­fluss­mög­lich­kei­ten ein­deu­tig zu­guns­ten der Fa­mi­lie Vors­ter, zu­mal Fritz Vors­ter auch Di­rek­tor von „Vors­ter & Grü­ne­berg" wur­de. 

1892 wur­de das Un­ter­neh­men in ei­ne GmbH um­ge­wan­delt und in „Che­mi­sche Fa­brik Kalk" um­be­nannt; Grü­ne­berg blieb Ge­sell­schaf­ter, be­tei­lig­te sich aber fort­an nicht mehr an der Ge­schäfts­füh­rung, die ne­ben Ju­li­us jr. und Fritz Vors­ter nun auch sei­nem Sohn Ri­chard Grü­ne­berg (1862-1926) ob­lag, der in­des in den Fol­ge­jah­ren fak­tisch an den Rand des un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­ses ge­drängt wur­de. 

Grü­ne­berg war nicht nur als Che­mi­ker und Un­ter­neh­mer, son­dern auch als In­ter­es­sen­ver­tre­ter ein Pio­nier. So be­tei­lig­te er sich ma­ß­geb­lich an der Grün­dung des Köl­ner Be­zirks­ver­eins des „Ver­eins Deut­scher In­ge­nieu­re" 1861 und stand der Köl­ner Un­ter­glie­de­rung von 1861 bis 1875 so­wie 1877 und 1880 vor. In die Grün­dung des „West­deut­schen Ver­eins für Er­fin­dungs­schutz" 1874 war er eben­falls in­vol­viert. Der Ver­ein ging auf Vor­stel­lun­gen des Un­ter­neh­mer­s Eu­gen Lan­gen zu­rück, reichs­wei­te Re­ge­lun­gen zum Pa­tent­schutz durch­zu­set­zen, was durch das Pa­tent­ge­setz 1877 auch ­ge­schah. Bei bei­den Ver­bands­grün­dun­gen spie­gelt sich folg­lich auch Grü­ne­bergs ei­ge­ner Be­rufs­weg, der auf die un­ter­neh­me­ri­sche Ver­wer­tung wis­sen­schaft­li­cher Er­kennt­nis­se ziel­te. Dies trifft eben­so auf sein En­ga­ge­ment für den bran­chen­ei­ge­nen Lob­by­ver­band - den „Ver­ein zur Wah­rung der In­ter­es­sen der che­mi­schen In­dus­trie Deutsch­lands" - zu, des­sen Grün­dungs­auf­ruf er un­ter­zeich­net hat­te und des­sen Vor­stand er an­ge­hör­te. 

Po­li­tisch stand er den Na­tio­nal­li­be­ra­len na­he und kan­di­dier­te 1878 und 1884 für den Reichs­tag und 1879 für das Preu­ßi­sche Ab­ge­ord­ne­ten­haus, konn­te sich je­doch je­weils nicht ge­gen die Kan­di­da­ten des Zen­trums durch­set­zen. Am 5.5.1891 er­hielt er den pres­ti­ge­träch­ti­gen Ti­tels des Kom­mer­zi­en­rats. 

In Köln wirk­te Grü­ne­berg auch im so­zia­len Be­reich, et­wa im Köl­ner Ver­ein für Volks­wohl und der evan­ge­li­schen Kir­chen­ge­mein­de so­wie durch wohl­tä­ti­ge Spen­den. Mit an­de­ren Köl­ner Ho­no­ra­tio­ren fi­nan­zier­te er 1894 den Bau ei­ner wei­te­ren evan­ge­li­schen Kir­che in der Dom­stadt, nach­dem er sich schon in den 1870er Jah­ren für den Auf­bau ei­ner evan­ge­li­schen Ge­mein­de in Kalk er­folg­reich en­ga­giert hat­te. Zwar wa­ren Köln und sein Um­land ka­tho­lisch, sei­ne Eli­ten je­doch häu­fig pro­tes­tan­tisch, so dass Grü­ne­bergs Wir­ken für die evan­ge­li­sche Ge­mein­de nur auf den ers­ten Blick über­ra­schen mag. 

Sein Le­bens­stil ent­sprach im Gro­ßen und Gan­zen den zeit­ty­pi­schen Nor­men. Grü­ne­berg hei­ra­te­te am 7.9.1860 Emi­lie Schmidtborn (1869-1908), mit der er sechs Kin­der hat­te: Her­mann (1861-1907), Ri­chard, He­le­ne (1864-1941), Ly­dia (1865-1865), Fried­rich (1868-1925) und Ot­to (1869-1874). Zu­nächst war Grü­ne­berg seit Grün­dung von Vors­ter & Grü­ne­berg ver­trag­lich ver­pflich­tet ge­we­sen, in der Nä­he der Fa­brik zu woh­nen, was er bis zum Tod sei­nes Ge­schäfts­part­ners Vors­ter 1876 auch tat. Erst da­nach er­warb er drei Häu­ser am Holz­markt 23-27 in der Köl­ner Alt­stadt, ei­nem be­vor­zug­ten und da­her stan­des­ge­mä­ßen Wohn­quar­tier der Köl­ner Wirt­schafts­eli­te. Im Rah­men der Stadt­er­wei­te­rung Kölns in den 1880er Jah­ren ließ sich Grü­ne­berg schlie­ß­lich ei­ne Vil­la am Sach­sen­ring er­rich­ten, in der er die letz­ten Le­bens­jah­re ver­brach­te. 

Her­mann Grü­ne­berg starb am 7.6.1894 in Köln. 

Literatur

Brü­gel­mann, Walt­her, Chro­nik der Fa­mi­li­en Grü­ne­berg und Schmidtborn, Köln 1997.
Dorn­heim, An­dre­as, For­scher­geist und Un­ter­neh­mer­mut. Der Köl­ner Che­mi­ker und In­dus­tri­el­le Her­mann Ju­li­us Grü­ne­berg (1827-1894), Köln / Wei­mar / Wien 2006.

Online

Brü­gel­mann, Walt­her, Dr. Her­mann Ju­li­us Grü­ne­berg 1827-1894 (Home­page ­des Pri­vat­ar­chivs Walt­her Brü­gel­mann). [On­line]
Grei­ling, Wer­ner, "Grü­ne­berg, Her­mann Ju­li­us", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 7 (1966), S. 160. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Gehlen, Boris, Hermann Julius Grüneberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hermann-julius-grueneberg/DE-2086/lido/57c6d8d8aff734.75517620 (abgerufen am 29.03.2024)