Alfred Herrhausen

Bankier (1930-1989)

Andreas Platthaus (Frankfurt a. M.)

Alfred Herrhausen, Porträtfoto, Foto: Josef Heinrich Darchinger. (© Deutsche Bank)

Die Ge­burts­stadt von Al­fred Herr­hau­sen ist Es­sen, und die­se Her­kunft hat das Le­ben des Ban­kiers ge­prägt. Er fühl­te sich sei­ner rhein­län­di­schen Hei­mat ver­bun­den, und es gab nur drei län­ge­re Pha­sen, in der Herr­hau­sen sie ver­las­sen hat – be­mer­kens­wert für ei­nen Mann, der auf dem Hö­he­punkt sei­ner Kar­rie­re als ei­ner der mäch­tigs­ten Fi­nanz­ex­per­ten der Welt galt.

Erst­mals ver­ließ der am 30.1.1930 als Sohn des bei der Ruhr­gas AG tä­ti­gen Ver­mes­sungs­in­ge­nieurs Karl Herr­hau­sen und des­sen Ehe­frau Wil­hel­mi­ne „Hel­la" Fun­ke ge­bo­re­ne Al­fred Herr­hau­sen sei­ne Hei­mat­stadt Es­sen als 12-jäh­ri­ger: Der Ober­re­al­schü­ler wech­sel­te im Herbst 1942 auf die Reichs­schu­le der NS­DAP im baye­ri­schen Felda­fing – ei­ne Eli­te­ein­rich­tung am Starn­ber­ger See, für die aus dem ge­sam­ten Deut­schen Reich Be­wer­ber vor­ge­schla­gen wer­den konn­ten. Aber nicht mehr als drei Schü­ler pro Gau wur­den auf­ge­nom­men, und da Herr­hau­sens El­tern kei­ne Par­tei­mit­glie­der wa­ren, gal­ten sei­ne Chan­cen als schlecht, ehe der Va­ter doch noch pro for­ma der NS­DAP bei­trat und da­mit sei­nem Sohn ei­ne Schul­bil­dung er­mög­lich­te, die ihn im „Drit­ten Reich" für ei­ne stei­le Kar­rie­re prä­des­ti­niert hät­te.

 

Doch mit dem Zu­sam­men­bruch Deutsch­lands in April und Mai 1945 wur­de auch die Reichs­schu­le auf­ge­löst, und der 15-jäh­ri­ge Herr­hau­sen muss­te sich aus Ti­rol, wo­hin die Be­leg­schaft der Schu­le eva­ku­iert wor­den war, al­lein durch das zer­stör­te Land nach Es­sen durch­schla­gen. Dort wur­de er im No­vem­ber 1945 in ei­nem neu­sprach­li­chen Gym­na­si­um ein­ge­schult, al­ler­dings ei­ne Klas­se tie­fer als zu­vor in Felda­fing. Die­sen Zeit­ver­lust mach­te er 1948 wie­der gut, als er die Un­ter­pri­ma über­sprang; im Jahr dar­auf be­stand er die Ab­itur­prü­fun­gen und schrieb sich als Stu­dent der Be­triebs­wirt­schafts­leh­re ein, nach­dem ihm ein Lehr­amts­stu­di­um ver­wei­gert wor­den war. Im Ruhr­ge­biet gab es 1949 noch kei­ne Uni­ver­si­tä­ten, aber dem Rhein­land blieb Herr­hau­sen treu. Er ging an die Uni­ver­si­tät Köln.

Als Al­fred Herr­hau­sen das Rhein­land zum zwei­ten Mal ver­ließ, war das kein wei­ter Weg, aber dies­mal für ei­ne län­ge­re Zeit: 1955 trat er ei­ne Stel­le als kauf­män­ni­scher Lei­ter bei den Ver­ei­nig­ten Elek­tri­zi­täts­wer­ken West­fa­len (VEW) in Dort­mund an. Zu­vor war er drei Jah­re lang als Di­rek­ti­ons­as­sis­tent bei der Ruhr­gas be­schäf­tigt ge­we­sen, nach­dem er 1952 sein Stu­di­um nach nur sechs Se­mes­tern ab­ge­schlos­sen hat­te und 1954 mit ei­ner Dok­tor­ar­beit zum Grenz­nut­zen­prin­zip pro­mo­viert wor­den war. Bei den VEW war Paul Satt­ler (1894-1965) Ge­ne­ral­di­rek­tor, des­sen Toch­ter Ul­la 1953 Herr­hau­sens ers­te Ehe­frau wur­de. 1959 wur­de bei­der Toch­ter Bet­ti­na ge­bo­ren, und ein Jahr da­nach er­hielt Herr­hau­sen ei­nen Di­rek­to­ren­pos­ten bei den VEW, ehe er 1967 Fi­nanz­vor­stand des Un­ter­neh­mens wur­de.

Zum 1.1.1970 kehr­te er dann ins Rhein­land zu­rück, als ihm die Deut­sche Bank den Pos­ten ei­nes Vor­stands­mit­glieds an­bot. Das Kre­dit­in­sti­tut teil­te sei­ne Füh­rungs­spit­ze da­mals noch zwi­schen Frank­furt am Main und Düs­sel­dorf auf, und Herr­hau­sen wur­de für die nord­rhein-west­fä­li­sche Lan­des­haupt­stadt an­ge­wor­ben. Nach der Tren­nung von sei­ner Frau, die sich wei­ger­te, ih­re west­fä­li­sche Hei­mat zu ver­las­sen, be­zog Herr­hau­sen ein Do­mi­zil in So­lin­gen  und hei­ra­te­te 1977 die ös­ter­rei­chi­sche Ärz­tin Traudl Baum­gart­ner. Herr­hau­sen ver­ließ das Rhein­land zum drit­ten Mal und dies­mal end­gül­tig, als klar wur­de, dass er 1985 ei­ner von zwei Vor­stands­spre­chern der Deut­schen Bank wer­den wür­de. Mitt­ler­wei­le war die Füh­rungs­spit­ze des Un­ter­neh­mens in Frank­furt kon­zen­triert, und so zog Herr­hau­sen 1982 nach Bad Hom­burg um, wo er sie­ben Jah­re spä­ter, als er zum ers­ten al­lei­ni­gen Spre­cher der Deut­schen Bank seit Her­mann Jo­sef Abs ge­wor­den war, er­mor­det wur­de.

Die Bin­dung Herr­hau­sens zu sei­ner rhei­ni­schen Hei­mat riss nie ab. Ei­nen Tag vor dem At­ten­tat hat­te er noch an ei­ner Sit­zung des Ku­ra­to­ri­ums der Krupp-Stif­tung in Es­sen teil­ge­nom­men, dem er als ei­ne Art Trost an­ge­hör­te, seit die Deut­sche Bank ih­rem Spre­cher ver­wei­gert hat­te, den Auf­sichts­rat­vor­sitz bei Krupp zu über­neh­men. Es wä­re die Krö­nung für ei­nen ge­bür­ti­gen Es­se­ner ge­we­sen, die höchs­te Po­si­ti­on in dem für die Stadt so wich­ti­gen Kon­zern zu über­neh­men. Doch auch bei an­de­ren Ge­le­gen­hei­ten en­ga­gier­te sich Herr­hau­sen stark fürs Ruhr­ge­biet: als „Stahl­mo­de­ra­tor", der 1982 auf Bit­ten des neu­en Bun­des­kanz­lers Hel­mut Kohl (Amts­zeit 1982-1998) ein Kon­zept für die als not­wen­dig er­ach­te­te Kon­zen­tra­ti­on der deut­schen Mon­tan­kon­zer­ne er­ar­bei­te­te; als För­de­rer der 1983 ge­grün­de­ten Pri­vat­uni­ver­si­tät von Wit­ten-Her­de­cke; und vor al­lem als ent­schei­dend Mit­wir­ken­der bei der Grün­dung des In­itia­tiv­krei­ses Ruhr­ge­biet, der 1989 un­ter Be­tei­li­gung von 28 Gro­ß­un­ter­neh­men, dar­un­ter die Deut­sche Bank, ge­schaf­fen wur­de, um die Re­gi­on öko­no­misch wie kul­tu­rell zu un­ter­stüt­zen. Herr­hau­sen wur­de ne­ben Ruhr­bi­schof Franz Kar­di­nal Hengs­bach und dem Ve­ba-Chef Ru­dolf von Ben­nigsen-Fo­er­der (1926-1989) ei­ner von drei Mo­dera­to­ren des In­itia­tiv­krei­ses, al­so Re­prä­sen­tant der neu­en In­sti­tu­ti­on.

Doch all die­se Eh­ren­äm­ter ver­blas­sen ge­gen­über der Leis­tung des Ban­kiers Herr­hau­sen. Als Spre­cher der Deut­schen Bank stand er nicht nur seit 1985 dem wich­tigs­ten Kre­dit­in­sti­tut der Bun­des­re­pu­blik vor, er be­trieb auch kon­se­quent die Glo­ba­li­sie­rung sei­nes Un­ter­neh­mens und war der ent­schei­den­de Ak­teur in der De­bat­te um ei­nen Schul­den­er­lass für die Ent­wick­lungs­län­der, die in den 1980er Jah­ren die in­ter­na­tio­na­le Ban­ken­welt spal­te­te.

Al­fred Herr­hau­sen wur­de in ei­ner Zeit Spre­cher der Deut­schen Bank, als die Öf­fent­lich­keit längst mehr von ei­nem Ex­po­nen­ten der Wirt­schaft er­fah­ren woll­te, als nur die Bi­lanz­zah­len sei­nes Un­ter­neh­mens. Er be­müh­te sich, ge­gen die­se Neu­gier das Pri­va­te zu be­wah­ren, denn er be­saß im Fa­mi­li­en­le­ben und im Freun­des­kreis ein not­wen­di­ges Rück­zugs­ge­biet, das er nicht ver­lie­ren woll­te. Hier konn­te er auch das um­fas­sen­de Kon­troll­be­dürf­nis und Image­be­wusst­sein ab­le­gen, de­nen Herr­hau­sen sei­ne öf­fent­li­chen Auf­trit­te un­ter­warf. Doch ge­ra­de sei­ne Me­di­en­wirk­sam­keit und Po­pu­la­ri­tät, die sich ent­schei­dend aus sei­nem En­ga­ge­ment für die Drit­te Welt speis­ten, mach­ten ihn vie­len Kol­le­gen im tra­di­tio­nell zu­rück­hal­ten­den Bank­ge­wer­be su­spekt.

Herr­hau­sen war ein Ma­na­ger, der nicht um­sonst in der In­dus­trie groß ge­wor­den war und al­so kei­ne fal­schen Rück­sich­ten auf die in­sti­tu­tio­nel­len Usan­cen des Kre­dit­we­sens nahm. Da­durch ge­lang es ihm, ein neu­es Selbst­be­wusst­sein bei den Mit­ar­bei­tern des Deut­sche-Bank-Kon­zerns zu schaf­fen und dem Un­ter­neh­men selbst den Weg zum welt­um­span­nen­den Fi­nanz­dienst­leis­ter zu eb­nen.

Er steht aber noch für mehr: Herr­hau­sen ist der her­aus­ra­gen­de Ex­po­nent ei­ner Ge­ne­ra­ti­on, die in der Kind­heit die ge­ord­ne­te Welt des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus er­leb­te und nach der Zer­stö­rung ih­rer nai­ven Il­lu­sio­nen für kur­ze Zeit ei­ne na­tür­li­che Skep­sis ge­gen­über dem neu­en, von au­ßen be­stimm­ten Ge­sell­schafts­sys­tem in Deutsch­land ent­wi­ckel­te – die durch das in­di­vi­du­el­le Er­leb­nis von Frei­zü­gig­keit und Frei­heit dann über­wun­den und ins Ge­gen­teil ver­wan­delt wur­de. Herr­hau­sen wur­de zum glü­hen­den Ver­fech­ter der De­mo­kra­tie, aber nicht al­lein aus Be­geis­te­rung für de­ren ega­li­tä­re Wer­te, son­dern auch, weil aus dem Wett­streit der Mei­nun­gen ei­ne Eli­te er­wuchs, die kein an­de­res po­li­ti­sches Sys­tem zu schaf­fen wuss­te. Der Vor­stands­spre­cher der Deut­schen Bank darf selbst als Ver­kör­pe­rung die­ser Eli­te gel­ten. Sei­ne Kar­rie­re, die ihn als Bran­chen­frem­den bis in den il­lus­tren Kreis des Vor­stands des grö­ß­ten deut­schen Kre­dit­in­sti­tuts führ­te, ist ei­ne Er­folgs­ge­schich­te, die bei­spiel­haft für die Ent­wick­lung der Bun­des­re­pu­blik bis zum Ein­schnitt des Mau­er­falls steht. Dass Herr­hau­sen nur drei Wo­chen da­nach er­mor­det wur­de, macht ihn nur noch mehr zum Aus­hän­ge­schild ei­ner Epo­che und ei­nes Staa­tes, der seit­dem mit an­de­ren Maß­stä­ben ge­mes­sen wer­den muss, weil er mit dem west­li­chen Deutsch­land al­lein nicht mehr gleich­zu­set­zen ist.

Herr­hau­sen gilt aber nicht nur als Ma­na­ger der Bun­des­re­pu­blik, son­dern auch als Vi­sio­när der Welt­wirt­schaft. Sein Welt­bild be­ruh­te auf Über­le­gun­gen, die bis in die frü­hen 50er Jah­re zu­rück­gin­gen, in die Zeit sei­ner be­triebs­wirt­schaft­li­chen Dis­ser­ta­ti­on, wo er be­reits sei­ne be­rühm­te, auf man­che Ge­sprächs­part­ner ar­ro­gant wir­ken­de Über­zeu­gung vom „rich­ti­gen Den­ken" aus­for­mu­lier­te, nach der er spä­ter kon­se­quent han­deln soll­te. Als er dann Vor­stands­spre­cher der Deut­schen Bank wur­de und da­mit die Spit­ze der deut­schen Wirt­schafts­hier­ar­chie er­reicht hat­te, ent­wi­ckel­te er sich zum Vi­sio­när, der un­ge­kann­te Ge­stal­tungs­frei­heit für sein Tun ein­for­der­te, wäh­rend er als ein­fa­ches Vor­stands­mit­glied zu­vor ganz auf die Er­fül­lung sei­ner be­ruf­li­chen Auf­ga­ben kon­zen­triert schien.

„Macht", so hat­te Herr­hau­sen aber be­reits 1976 in ei­nem Vor­trag vor Mit­ar­bei­tern aus­ge­führt, „be­ginnt nicht bei der Ein­fluß­nah­me selbst, son­dern schon bei der Mög­lich­keit da­zu." Die­se Mög­lich­keit er­öff­ne­te sich für ihn erst, als er tat­säch­lich den Gip­fel er­reich­te: Ver­än­de­run­gen in der Deut­schen Bank wer­den von oben an­ge­sto­ßen.

Am 30.11.1989 fiel Al­fred Herr­hau­sen ei­nem Bom­ben­an­schlag zum Op­fer. Sei­ne bis heu­te un­ge­klär­te Er­mor­dung, die der RAF zu­ge­schrie­ben wird, be­en­de­te ei­ne Le­bens­leis­tung, die ihm noch fünf Jah­re lang die Po­si­ti­on des Vor­stands­spre­chers und da­nach die des Auf­sichts­rats­chefs der Deut­schen Bank be­schert hät­te. So­fort nach dem Tod Al­fred Herr­hau­sens aber wur­de von sei­nem Nach­fol­ger Hil­mar Kop­per et­li­ches kor­ri­giert, was zu­vor müh­sam in Gang ge­setzt wor­den war, vor al­lem die Um­struk­tu­rie­rung der Hier­ar­chi­en im deut­schen Mut­ter­un­ter­neh­men. Der in­ter­na­tio­na­le Ex­pan­si­ons­kurs aber wur­de bei­be­hal­ten, und auch die ge­ziel­te­re Aus­rich­tung aufs Fi­nanz­markt­ge­schäft statt der tra­di­tio­nel­len Kre­dit­ver­ga­be blieb be­ste­hen. So ent­wi­ckel­te sich die Deut­sche Bank zu ei­nem der grö­ß­ten Fi­nanz­kon­zer­ne der Welt und ist in Deutsch­land bis heu­te ganz oh­ne ernst­haf­ten Kon­kur­ren­ten ge­blie­ben. Vie­les da­von ver­dankt sie dem Kon­zept von Al­fred Herr­hau­sen.

Sei­ne Le­bens­leis­tung spie­gelt sich nicht zu­letzt in der nach ihm be­nann­ten Al­fred-Herr­hau­sen-Ge­sell­schaft der Deut­schen Bank wi­der. Ein Mahn­mal an der Stel­le der Bom­ben­ex­plo­si­on er­in­nert an sei­nen tra­gi­schen Tod.

Literatur

Balk­hau­sen, Die­ter, Al­fred Herr­hau­sen. Macht, Po­li­tik und Mo­ral, Mün­chen 1990.
Balk­hau­sen, Die­ter, Al­fred Herr­hau­sen (1930-1989), in: Pohl, Hans (Hg.), Deut­sche Ban­kiers des 20. Jahr­hun­derts, Stutt­gart 2008, S. 211-225.
Platt­haus, An­dre­as, Al­fred Herr­hau­sen – ei­ne deut­sche Kar­rie­re, Ber­lin 2006.
Vei­el, And­res, Black Box BRD: Al­fred Herr­hau­sen, die Deut­sche Bank, die RAF und Wolf­gang Grams, Stutt­gart, Mün­chen 2001.

Online

Al­fred Herr­hau­sen (Vi­ta und Li­te­ra­tur­hin­wei­se auf der Home­page der Al­fred-Herr­hau­sen-Ge­sell­schaft).
Herr­hau­sen, Al­fre­d (Bio­gra­phi­sche In­for­ma­ti­on auf der Home­page der His­to­ri­schen Ge­sell­schaft der Deut­schen Bank e.V.).

Alfred Herrhausen, Porträtfoto, Foto: Josef Heinrich Darchinger. (© Deutsche Bank)

 
Zitationshinweis

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Platthaus, Andreas, Alfred Herrhausen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/alfred-herrhausen/DE-2086/lido/57c82df7df8882.71130105 (abgerufen am 19.03.2024)