Iwan-David Herstatt

Bankier (1913-1995)

Annette Wilczek (Bonn)

Iwan-David Herstatt, Gemälde von Tony May (1914-2004), Öl auf Leinwand; um 1960, Original im Kölnischen Stadtmuseum. (Rheinisches Bildarchiv Köln)

Iwan-Da­vid Her­statt war ein Kölner Ban­kier. Als In­ha­ber und Lei­ter der I. D. Her­statt KGaA zeich­ne­te er in den 1970er Jah­ren für ei­ne der grö­ß­ten Ban­ken­plei­ten der deut­schen Nach­kriegs­ge­schich­te ver­ant­wort­lich.

Iwan-Da­vid Her­statt wur­de am 16.12.1913 in Köln ge­bo­ren. Er war das äl­tes­te Kind von Cla­ra (1893-1980) und Jo­hann Da­vid Her­statt (1887-1955) und hat­te noch drei Schwes­tern. Cla­ras Va­ter Vik­tor Schnitz­ler (1862-1934) war Jus­tiz­rat in Köln. Als Vor­sit­zen­der der Kon­zert­ge­sell­schaft en­ga­gier­te er sich für das Or­ches­ter im Gür­ze­nich.

Jo­hann Da­vid Her­statt stamm­te aus ei­ner Ban­kiers­fa­mi­lie, die seit dem 18. Jahr­hun­dert in Köln an­säs­sig war. Des­sen Va­ter Fried­rich Jo­hann Da­vid Her­statt (1831-1888) führ­te das 1782 ge­grün­de­te Bank­haus Her­statt in der drit­ten Ge­ne­ra­ti­on. Die Fa­mi­lie Her­statt be­schloss nach des­sen plötz­li­chem Tod 1888, die Bank­ge­schäf­te auf das Bank­haus J. H. Stein zu über­tra­gen, zu dem mehr­fa­che ver­wandt­schaft­li­che Ver­bin­dun­gen be­stan­den.

Es soll­te nicht ab­ge­war­tet wer­den, ob der ge­ra­de ge­bo­re­ne Jo­hann Da­vid Her­statt die Nach­fol­ge an­tre­ten wür­de. Die­ser en­ga­gier­te sich nach dem Ju­ra­stu­di­um im Ver­si­che­rungs­ge­schäft und war für die Al­li­anz­ver­si­che­rung in Köln tä­tig.

Iwan-Da­vid Her­statt be­such­te das Köl­ner Re­al­gym­na­si­um in der Kreuz­gas­se. Nach dem Ab­itur trat er 1931 in die Deut­sche Bank ein und ab­sol­vier­te zu­nächst ei­ne Leh­re. Zwi­schen 1940 und 1944 lei­te­te er in Metz die Kre­dit­ab­tei­lung ei­nes Bank­hau­ses, das von der Deut­schen Bank über­nom­men wor­den war. In den Jah­ren 1947 bis 1949 ließ er sich be­ur­lau­ben und sam­mel­te als Re­fe­rent Er­fah­run­gen bei der Hes­si­schen Ban­ken­auf­sicht in Wies­ba­den. 1950 kehr­te er mit sei­ner Fa­mi­lie - 1948 hat­te er Il­se Gers­ten­berg (ge­bo­ren 1921) aus Wies­ba­den ge­hei­ra­tet, das Paar hat­te ins­ge­samt vier Kin­der - nach Köln zu­rück. Zu­nächst lei­te­te er die neu ge­grün­de­te Köl­ner Nie­der­las­sung der Bank für Ge­mein­wirt­schaft.

Nach dem Tod des In­ha­bers stand 1955 die Köl­ner Pri­vat­bank Ho­cker & Co. zum Ver­kauf. Iwan-Da­vid Her­statt konn­te un­ter an­de­rem sei­nen Ju­gend­freund Hans Ger­ling, der den gleich­na­mi­gen Ver­si­che­rungs­kon­zern lei­te­te, über­zeu­gen, sich am Kauf der Bank zu be­tei­li­gen. Bei­de kann­ten sich seit ih­rer ge­mein­sa­men Schul­zeit am Re­al­gym­na­si­um. Ne­ben Hans Ger­ling, dem ers­ten Ver­wal­tungs­rats­vor­sit­zen­den der Bank und spä­te­ren Haupt­ak­tio­när, be­tei­lig­te sich un­ter an­de­ren noch Emil Bühr­le (1890-1956), der In­ha­ber des schwei­ze­ri­schen Ma­schi­nen­bau­un­ter­neh­mens Oer­li­kon. Die Bank er­hielt den Na­men I. D. Her­statt KGaA (Kom­man­dit­ge­sell­schaft auf Ak­ti­en). Iwan-Da­vid Her­statt lei­te­te die Bank und agier­te als ei­ner von zwei per­sön­lich haf­ten­den Ge­sell­schaf­tern.

Her­statt führ­te die Bank auf Ex­pan­si­ons­kurs; das Bank­haus ent­wi­ckel­te sich un­ter sei­ner Lei­tung zu ei­nem über­re­gio­nal tä­ti­gen Un­ter­neh­men. Die Mit­ar­bei­ter­zahl wuchs von ur­sprüng­lich 15 Be­schäf­tig­ten auf 850 Mit­ar­bei­ter in den 1970er Jah­ren. Her­statt selbst leg­te gro­ßen Wert auf Re­prä­sen­ta­ti­vi­tät. 1956 be­zog die Bank ein neu er­rich­te­tes Ge­bäu­de in Köln an der Stra­ße Un­ter Sach­sen­hau­sen 6. Es en­stan­den 30 Zweig­stel­len in Köln und Bonn. Her­statts Ge­schäfts­mo­dell be­stand dar­in, als Pri­vat­bank das An­ge­bot ei­ner Uni­ver­sal­bank zu bie­ten.

Mit der Ein­füh­rung fle­xi­bler Wech­sel­kur­se zu Be­ginn der 1970er Jah­re ge­wann der De­vi­sen­han­del im Ban­ken­ge­schäft an Be­deu­tung, so auch bei der Her­statt-Bank. Iwan-Da­vid Her­statt wies 1972 in ei­nem Rund­schrei­ben al­le Mit­ar­bei­ter dar­auf hin, Ge­schäf­te am De­vi­sen­markt tä­ti­gen zu kön­nen. Das Vo­lu­men des Ein­zel­ab­schlus­ses be­grenz­te er will­kür­lich auf 10 Mil­lio­nen Deut­sche Mark. Es herrsch­te ei­ne Art Gold­grä­ber­stim­mung; Her­statt selbst nutz­te die Mög­lich­kei­ten, das ei­ge­ne Ver­mö­gen zu ver­grö­ßern. Die Kon­troll­me­cha­nis­men über die Tä­tig­keit der De­vi­sen­ab­tei­lung wa­ren je­doch we­nig aus­ge­prägt. In­tern mach­te zwar ein Re­vi­sor mehr­fach auf die Ri­si­ken die­ses Ge­schäfts­fel­des auf­merk­sam, je­doch blie­ben al­le Hin­wei­se un­be­rück­sich­tigt.

Nach der Öl­kri­se 1973 spe­ku­lier­ten die Mit­ar­bei­ter der De­vi­sen­ab­tei­lung auf ei­nen stei­gen­den US-Dol­lar. Doch ab An­fang 1974 sank der Dol­lar­kurs ste­tig; die bank­ei­ge­nen De­vi­sen­händ­ler ver­such­ten, die da­durch ent­ste­hen­den Ver­lus­te durch ri­si­ko­rei­che­re Trans­ak­tio­nen auf­zu­fan­gen. Be­reits am 16.6.1974 be­trug das De­fi­zit zwi­schen 450 und 520 Mil­lio­nen Deut­sche Mark. Die Groß­ban­ken Deut­sche Bank, Dresd­ner Bank und Com­merz­bank lehn­ten es am 26.6.1974 ab, die Her­statt-Bank mit der Über­nah­me von Bürg­schaf­ten zu ret­ten. Das Bun­des­auf­sichts­amt für das Kre­dit­we­sen ord­ne­te noch am sel­ben Tag die Schlie­ßung der Schal­ter in Köln und Bonn an; am dar­auf fol­gen­den Tag be­an­trag­te die Bank we­gen Über­schul­dung die Er­öff­nung ei­nes Ver­gleichs­ver­fah­rens. Am Haupt­sitz in Köln kam es dar­auf­hin zu re­gel­rech­ten Tu­mul­ten. Der Zu­sam­men­bruch war die bis da­hin grö­ß­te Ban­ken­plei­te der deut­schen Nach­kriegs­ge­schich­te. Die Klä­rung zog sich noch über Jahr­zehn­te hin. Ins­ge­samt konn­ten Ban­ken und Kom­mu­nen 73,5 Pro­zent so­wie pri­va­ten und sons­ti­gen Gläu­bi­gern 83,5 Pro­zent ih­rer For­de­run­gen er­füllt wer­den. Als Fol­ge des Zu­sam­men­bruchs grün­de­ten die deut­schen Ban­ken ei­nen Ein­la­gen­si­che­rungs­fonds, um Spa­rer vor den Fol­gen ei­ner Ban­ken-In­sol­venz zu schüt­zen.

1976 kam Iwan-Da­vid Her­statt we­gen des Ver­dachts auf Un­treue, Be­trug und Bi­lanz­fäl­schung ge­mein­sam mit wei­te­ren Ma­na­gern der Bank vor­über­ge­hend in Un­ter­su­chungs­haft. 1984 wur­de er zu ei­ner Frei­heits­stra­fe von vier­ein­halb Jah­ren ver­ur­teilt. We­gen des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens trat er die Stra­fe je­doch nicht an, und im Ok­to­ber 1985 hob der Bun­des­ge­richts­hof das Ur­teil auf. Bei ei­nem er­neu­ten Ge­richts­er­fah­ren, das 1987 be­gann, ver­kürz­te das Ge­richt die Stra­fe auf zwei Jah­re Haft auf Be­wäh­rung und er­klär­te Her­statt im Jahr 1991 für ver­hand­lungs­un­fä­hig. Als per­sön­lich haf­ten­der Ge­sell­schaf­ter trug er im Ver­gleichs­ver­fah­ren zwölf Mil­lio­nen Deut­sche Mark zur Ent­schä­di­gung bei.

Im Ver­lauf der Ver­fah­ren konn­te deut­lich ge­macht wer­den, dass be­reits 1972 im in­ter­na­tio­na­len Bank­ge­wer­be In­for­ma­tio­nen über un­ge­wöhn­li­che De­vi­sen­ter­min­ge­schäf­te der Her­statt-Bank aus­ge­tauscht wur­den. Her­statt muss­te bei dies­be­züg­li­chen Ge­sprä­chen mit Ver­tre­tern des Bun­des­amts für Kre­dit­wirt­schaft Kennt­nis von der Schief­la­ge der Bank ge­habt ha­ben. Die Bi­lanz des Jah­res 1973 war durch Tarn­ge­schäf­te ma­ni­pu­liert wor­den. Iwan-Da­vid Her­statt selbst sah sich als Op­fer ei­nes ver­schwö­re­ri­schen Be­tru­ges. Sei­ner An­sicht nach ha­be der da­ma­li­ge Lei­ter der Ab­tei­lung De­vi­sen­han­del Da­ni­el (Da­ny) Dat­tel (ge­bo­ren 1939) die Schief­la­ge ver­schlei­ert und ver­harm­lost.

Der Köl­ner Her­statt en­ga­gier­te sich in­ten­siv im ge­sell­schaft­li­chen Le­ben sei­ner Hei­mat­stadt. Über 20 Jah­re or­ga­ni­sier­te er die Fi­nan­zie­rung des Ro­sen­mon­tags­zugs als Schatz­meis­ter. Es ge­lang ihm, nicht nur be­kann­te Köl­ner, wie den Erz­bi­schof Jo­seph Höff­ner oder den Ver­le­ger Al­fred Ne­ven-Du­Mont (ge­bo­ren 1927), als Kun­den zu ge­win­nen. Auch an­de­re Ban­ken und so­gar der Köl­ner Stadt­käm­me­rer rich­te­ten Kon­ten bei der Her­statt-Bank ein. Sei­ne Ak­ti­vi­tä­ten im Köl­ner Ver­eins­le­ben kön­nen als in­ten­si­ve und er­folg­rei­che Mar­ke­ting­tä­tig­keit für sei­ne Bank in­ter­pre­tiert wer­den. Nach der In­sol­venz im Jahr 1974 zog sich Iwan-Da­vid Her­statt aus dem ge­sell­schaft­li­chen Le­ben zu­rück. Er starb am 9.6.1995 in Köln und wur­de im Fa­mi­li­en­grab auf dem Me­la­ten­fried­hof bei­ge­setzt.

Werk

Die Ver­nich­tung: Glanz und En­de des Köl­ner Bank­hau­ses I.-D. Her­statt oder wie ich um mein Le­bens­werk be­tro­gen wur­de, Ber­lin 1992

Literatur

Blei, Rein­hard, Früh­er­ken­nung von Ban­ken­kri­sen dar­ge­stellt am Bei­spiel der Her­statt-Bank, Mün­chen 1984.
Ka­se­rer, Chris­toph, Der Fall der Her­statt-Bank 25 Jah­re da­nach – Über­le­gung zur Ra­tio­na­li­tät re­gu­lie­rungs­po­li­ti­scher Re­ak­tio­nen un­ter be­son­de­rer Be­rück­sich­ti­gung der Ein­la­gen­si­che­rung, in: Vier­tel­jahrschrift für So­zi­al- und Wirt­schafts­ge­schich­te 87 (2000), S. 166-193.
Ni­cke, Ja­cob, Die Fa­mi­lie Her­statt – Ins­be­son­de­re das Haus Jo­hann Da­vid Her­statt in Köln, 2. Auf­la­ge über­ar­bei­tet von Ro­bert Stei­mel, Köln 1957.
Scheuch, Er­win / Scheuch, Ute, Her­statt, Die Bank als Spiel­ca­si­no, in: Er­win Scheuch / Ute Scheuch, Ma­na­ger im Grö­ßen­wahn, Ham­burg 2003, S. 112-128.
Stei­mel, Ro­bert, I. D. Her­statt – Das al­te und das neue Bank­haus, Köln, 1963.

 
Zitationshinweis

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Wilczek, Annette, Iwan-David Herstatt, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/iwan-david-herstatt/DE-2086/lido/57c82e26688727.27820017 (abgerufen am 19.03.2024)