Trude Herr

Volksschauspielerin (1927-1991)

Björn Thomann (Suderburg)

Trude Herr (Bildausschnitt des Singlecovers "Ich will keine Schokolade", Eigene Herstellung).

Tru­de Herr war ei­ne Ko­mö­di­an­tin, Thea­ter­di­rek­to­rin und Au­to­rin aus Köln. Sie be­gann ih­re Kar­rie­re als Schau­spie­le­rin und Büt­ten­red­ne­rin und sorg­te in den spä­ten 1950er Jah­ren als Dar­stel­le­rin im Film so­wie als Schla­ger­sän­ge­rin für Fu­ro­re. Spä­ter grün­de­te sie in Köln das „Thea­ter im Vrings­vee­de­l“, das we­gen sei­ner mo­der­nen In­sze­nie­run­gen zu den am stärks­ten fre­quen­tier­ten Pri­vat­büh­nen der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zähl­te.

Ger­trud Herr wur­de am 4.5.1927 als drit­tes Kind des Lo­ko­mo­tiv­füh­rers Ro­bert Herr (1891-1961) und des­sen Ehe­frau Aga­the (1893-1973) in Köln-Kalk ge­bo­ren. Ei­nen gro­ßen Teil ih­rer Kind­heit und Ju­gend ver­leb­te sie in ei­nem Ar­bei­ter­vier­tel in Köln-Mül­heim, wo sie ab 1933 die Volks­schu­le be­such­te. Ihr Va­ter wur­de im glei­chen Jahr we­gen sei­ner Mit­glied­schaft in der KPD von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ver­haf­tet und ge­fol­tert. Er ver­brach­te na­he­zu die ge­sam­te Dau­er des NS-Re­gimes im Zucht­haus, sei­ne Fa­mi­lie leb­te in ärm­li­chen Ver­hält­nis­sen. Die Ent­beh­run­gen und De­mü­ti­gun­gen die­ser Jah­re präg­ten Tru­de Herr ent­schei­dend.

Nach Be­en­di­gung ih­rer Schul­zeit ar­bei­te­te sie zu­nächst in ei­ner Bä­cke­rei und be­gann da­nach ei­ne Leh­re bei der in Köln an­säs­si­gen „Theo­dor Ben­der Han­dels­ver­tre­tun­g“. Nach­dem die Woh­nung ih­rer Fa­mi­lie im Som­mer 1943 wäh­rend ei­nes Bom­ben­an­griffs zer­stört wor­den war, wur­de Tru­de Herr mit ih­rer Mut­ter und den bei­den Ge­schwis­tern in das hes­si­sche Dorf Ewers­bach eva­ku­iert. In der Ver­wal­tung der na­he­ge­le­ge­nen Kreis­stadt Dil­len­burg er­hielt sie die Ge­le­gen­heit, ih­re Aus­bil­dung fort­zu­set­zen. Sie fun­gier­te zu­nächst als Schreib­kraft im städ­ti­schen Kran­ken­haus und wech­sel­te im April 1944 in das ört­li­che Ein­woh­ner­mel­de­amt. Als die Fa­mi­lie nach Kriegs­en­de in ih­re Hei­mat­stadt zu­rück­keh­ren konn­te, fand Tru­de Herr ei­ne An­stel­lung in der An­zei­gen­ab­tei­lung der von der KPD her­aus­ge­ge­be­nen Zei­tung „Die Volks­stim­me“.

 

Ge­gen den Wil­len ih­res Va­ters schloss sie sich je­doch be­reits 1946 ei­ner Wan­der­büh­ne aus Aa­chen an, um Schau­spie­le­rin zu wer­den. Nur ein Jahr spä­ter sprach sie bei Wil­ly Mil­lo­witsch vor, der sich von ih­rem ko­mö­di­an­ti­schen Ta­lent be­geis­tert zeig­te und sie in das En­sem­ble sei­nes Thea­ters auf­nahm. 1949 grün­de­te sie an der Sei­te ih­res Kol­le­gen und lang­jäh­ri­gen För­de­rers Gus­tav Schell­hardt (1908-1967) mit der „Köl­ner Lust­spiel­büh­ne“ ihr ers­tes ei­ge­nes Thea­ter. Nach­dem das Un­ter­neh­men in Kon­kurs ge­gan­gen war, hielt sich Tru­de Herr über ei­nen Zeit­raum von zwei Jah­ren als Bar­da­me in der Ho­mo­se­xu­el­lenknei­pe „Bar­be­ri­na“ über Was­ser.

Der künst­le­ri­sche Durch­bruch ge­lang ihr in der Mit­te der 1950er Jah­re als Büt­ten­red­ne­rin im Köl­ner Kar­ne­val. Be­reits zu die­sem Zeit­punkt man­gel­te es ih­ren um­ju­bel­ten Par­odi­en als „Ma­da­me Wirt­schafts­wun­der“ oder „Be­sat­zungs­kin­d“ nicht an ge­sell­schafts­kri­ti­schen Zwi­schen­tö­nen. An der Sei­te von Gre­te Fluss avan­cier­te sie ab 1955 auch zum Star der po­pu­lä­ren Kar­ne­vals­re­vu­en im Va­rie­té­thea­ter Kai­ser­hof. Trotz ih­res gro­ßen Er­fol­ges be­trach­te­te sie die Auf­trit­te wäh­rend der „fünf­ten Jah­res­zeit“ nur als Etap­pe auf dem Weg ih­rer künst­le­ri­schen Ent­wick­lung. Zu­dem brach­ten sie ih­re kom­pro­miss­lo­sen und un­kon­ven­tio­nel­len An­sich­ten wie­der­holt in Kon­flikt mit den kon­ser­va­ti­ven Kar­ne­vals­ge­sell­schaf­ten. Nach­dem ihr 1959 die Auf­füh­rung der par­odis­ti­schen Num­mer „Die Kar­ne­vals­prä­si­den­ten­gat­tin“ un­ter­sagt wor­den war, ver­zich­te­te sie auf wei­te­re Auf­trit­te als Büt­ten­red­ne­rin. Den­noch ge­hör­te sie auch in der Fol­ge­zeit zu den ge­fei­er­ten Stars des Köl­ner Kar­ne­vals. Nach dem Rück­tritt von Gre­te Fluss war sie das Zug­pferd der Re­vu­en und bril­lier­te un­ter an­de­rem bei der Pre­mie­re der „La­chen­den Sport­hal­le“ im Jahr 1964 als „Cleo­pa­tra von Niehl“.

Mit der auf hoch­deutsch vor­ge­tra­ge­nen Par­odie „Die Fern­seh­an­sa­ge­rin“ hat­te sie be­reits 1957 die Auf­merk­sam­keit des Ka­ba­ret­tis­ten Wil­li Scha­ef­fers (1884-1962) auf sich ge­lenkt. Er en­ga­gier­te sie im dar­auf­fol­gen­den Jahr für sein Thea­ter „Tin­gel-Tan­gel“ in Ber­lin und eb­ne­te ihr da­mit zu­gleich den Weg zu ei­ner kom­mer­zi­ell er­folg­rei­chen Kar­rie­re im west­deut­schen Un­ter­hal­tungs­film. Zwi­schen 1959 und 1964 wirk­te sie in ins­ge­samt 31 Ko­mö­di­en mit, wo­bei sie stets die Rol­le der eben­so tem­pe­ra­ment­vol­len wie re­so­lu­ten rhei­ni­schen „Ulk­nu­del“ ver­kör­per­te. Auch als Schla­ger­sän­ge­rin wuss­te sie die­ses Image ge­schickt zu nut­zen. Mit dem 1958 ver­öf­fent­lich­ten Ti­tel „Ich will kei­ne Scho­ko­la­de, ich will lie­ber ei­nen Man­n“ fei­er­te sie ih­ren grö­ß­ten Pu­bli­kums­er­folg.

Gedenktafel für Trude Herr vor ihrem ehemaligen Theater in der Kölner Severinstraße, 2012.

 

In den 1960er Jah­ren un­ter­nahm Tru­de Herr aus­ge­dehn­te Rei­sen nach Afri­ka. Hier lern­te sie den Tua­reg Ah­med M`Barek ken­nen, den sie 1969 hei­ra­te­te. Die Ehe nahm je­doch ei­nen un­glück­li­chen Ver­lauf und wur­de 1976 ge­schie­den. In die­ser Zeit ver­such­te sie sich be­harr­lich vom Image der „ko­mi­schen Di­cken“ zu lö­sen und al­ter­na­ti­ve künst­le­ri­sche We­ge zu be­schrei­ten. In den Mit­tel­punkt ih­rer Über­le­gun­gen rück­te da­bei die Idee ei­nes „re­for­mier­ten Volks­thea­ter­s“. Die tra­di­tio­nel­len bür­ger­li­chen Schwän­ke hielt sie so­wohl in­halt­lich wie auch dra­ma­tur­gisch für nicht mehr zeit­ge­mäß. Nach ih­rer Vor­stel­lung soll­te das Volks­thea­ter mo­der­ner Prä­gung die Le­bens­wirk­lich­keit des 20. Jahr­hun­derts un­ge­schminkt wi­der­spie­geln und da­bei auch so­zi­al­kri­ti­sche The­men nicht aus­spa­ren. Als sie 1972 da­mit be­gann, ih­re ei­ge­nen Büh­nen­stü­cke zu schrei­ben, ließ sie sich von den Cha­rak­te­ren und Stim­mun­gen des Köl­ner Mi­lieus in­spi­rie­ren, dem sie sich zeit­le­bens zu­ge­hö­rig fühl­te. Dem eben­so der­ben wie sen­ti­men­ta­len köl­schen Lo­kal­ko­lo­rit ver­dan­ken die Wer­ke Tru­de Herrs, die selbst in der Gro­ßen Brink­gas­se un­weit des städ­ti­schen Rot­licht­vier­tels wohn­te, ih­re be­son­de­re Au­then­ti­zi­tät.

Zwi­schen 1970 und 1976 spiel­te sie mit ih­rem ei­ge­nen En­sem­ble im Mil­lo­witsch-Thea­ter. Hier in­sze­nier­te sie im Jahr 1970 mit gro­ßem Er­folg das Lust­spiel „Die Per­le An­na“ des fran­zö­si­schen Au­tors Marc Ca­mo­let­ti (1923-2003). Auch ih­re ers­ten ei­ge­nen Büh­nen­stü­cke „Fa­mi­lie Püt­z“ (1972), „Schei­dung auf köl­sch“ (1973) und „Pflau­men­schwem­me“ (1975) er­wie­sen sich als Pu­bli­kums­ma­gne­ten. Kon­flik­te mit Wil­ly Mil­lo­witsch auf der ei­nen und die bür­ger­li­che At­mo­sphä­re sei­nes Thea­ters auf der an­de­ren Sei­te ver­an­lass­ten Tru­de Herr schlie­ß­lich da­zu, den Schritt zur Grün­dung ei­ner ei­ge­nen Büh­ne zu wa­gen.

Im Ju­li 1977 pach­te­te sie ein leer­ste­hen­des Ki­no in der Köl­ner Se­ve­rin­stra­ße und ge­stal­te­te es in­ner­halb we­ni­ger Wo­chen nach ih­ren Vor­stel­lun­gen um. Die Er­öff­nung des „Thea­ters im Vrings­vee­de­l“ er­folg­te am 9.9.1977 mit der Ur­auf­füh­rung des Stücks „Die köl­sche Gei­s­ha“. Un­ter ih­rer Lei­tung ent­wi­ckel­te sich die 500 Zu­schau­er fas­sen­de Büh­ne in kur­zer Zeit zu ei­ner der be­deu­tends­ten kul­tu­rel­len In­sti­tu­tio­nen in Nord­rhein West­fa­len. Den­noch sah sich Tru­de Herr auch hier zu un­ge­lieb­ten Kom­pro­mis­sen ge­zwun­gen, noch im­mer wur­de sie auf die Rol­le der „Ulk­nu­del“ re­du­ziert. Ihr 1980 ur­auf­ge­führ­ter Ein­ak­ter „Et ver­sof­fe Len­che“ ließ das Di­lem­ma of­fen­sicht­lich wer­den. Die me­lo­dra­ma­ti­sche Ge­schich­te ei­ner sich zu To­de tan­zen­den Al­ko­ho­li­ke­rin wur­de zwar von den Kri­ti­kern ge­fei­ert, ver­fehl­te je­doch ih­re Wir­kung auf das Pu­bli­kum und er­wies sich als ein kom­mer­zi­el­ler Miss­er­folg.

In den 1980er Jah­ren be­gann Tru­de Herr in zu­neh­men­dem Ma­ße un­ter den Fol­gen ih­res jahr­zehn­te­lan­gen Ni­ko­tin­kon­sums zu lei­den. Auch der kräf­te­zeh­ren­de Kampf um den Fort­be­stand ih­res Thea­ters, in dem sie in Per­so­nal­uni­on  als In­ten­dan­tin, Re­gis­seu­rin und Haupt­dar­stel­le­rin fun­gier­te, wirk­te sich ne­ga­tiv auf ih­re Ge­sund­heit aus. Nach meh­re­ren Ope­ra­tio­nen gab sie im Fe­bru­ar 1986 die Schlie­ßung des Thea­ters be­kannt und über­sie­del­te im dar­auf­fol­gen­den Jahr auf die Fid­schi-In­seln, um sich voll­stän­dig der Schrift­stel­le­rei zu wid­men. Der Ab­schied aus ih­rer Hei­mat­stadt ging mit der Ver­öf­fent­li­chung des Al­bums „Ich sa­ge was ich mei­ne“ ein­her. Mit der Sin­gle­aus­kopp­lung „Nie­mals geht man so gan­z“ er­reich­te sie ei­nen re­spek­ta­blen 20. Platz in den bun­des­deut­schen Charts. 1988 wur­de ihr das Bun­des­ver­dienst­kreuz ver­lie­hen.

Zu Be­ginn des Jah­res 1991 kehr­te Tru­de Herr nach Eu­ro­pa zu­rück. Nach ei­nem kur­zen Auf­ent­halt in ih­rer Hei­mat­stadt zog sie sich in ein Fe­ri­en­haus im süd­fran­zö­si­schen Lau­ris zu­rück, wo sie in der Nacht vom 15. auf den 16.3.1991 an Herz­ver­sa­gen starb. Ihr Leich­nam wur­de nach Köln über­führt und im Grab ih­rer Fa­mi­lie auf dem Nord­fried­hof bei­ge­setzt. Die Köl­ner Band L.S.E. setz­te Tru­de Herr auf ih­rer 1992 er­schie­ne­nen De­büt-CD "Für et Hätz un jä­jen d’r Kopp" mit dem Stück "Tru­di" ein mu­si­ka­li­sches Denk­mal. In der Se­ve­rin­stra­ße er­in­nert seit 2012 ei­ne Bron­ze­ta­fel an das „Thea­ter im Vrings­vee­de­l“ und sei­ne Grün­de­rin. Be­reits im Jahr 2002 wur­de in der Köl­ner Süd­stadt ein Denk­mal für Tru­de Herr er­rich­tet, das sich je­doch über meh­re­re Jah­re in ei­nem un­fer­ti­gen Zu­stand be­fand und erst im Mai 2013 voll­endet wur­de.

Werke

„Und plötz­lich kippt es um.“ Zwei Er­zäh­lun­gen, Han­no­ver 1987.

Literatur

Beu­tel, Hei­ke/Ha­gin, An­na Bar­ba­ra (Hg.): Tru­de Herr. Ein Le­ben. Zeit­zeu­gen und Bil­der er­zäh­len, Köln 1997.
Schmidt, Gé­r­ard: Tru­de Herr. Ihr Le­ben, Köln 1991.

Online

Köl­sches Ori­gi­nal wi­der Wil­len (Kurz­bio­gra­phie auf WDR.de)
Win­gen­der, Dirk: Ger­trud Herr, Ver­wal­tungs­lehr­lin­g (Ar­ti­kel über die Lehr­zeit Tru­de Herrs in Dil­len­burg auf mit­tel­hes­sen.de)  

Denkmal für Trude Herr in der Kölner Südstadt. (Trude Herr-Fanclub)

 
Zitationshinweis

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Thomann, Björn, Trude Herr, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/trude-herr/DE-2086/lido/57c82d8f42ab75.72668780 (abgerufen am 19.03.2024)