Peter Lorson

Jesuit und Schriftsteller (1897-1954)

Peter Burg (Münster)

Peter Lorson, Porträtfoto. (o.A.)

Pe­ter ali­as Pier­re Lor­son war ein im saar­län­di­schen Dif­fer­ten, heu­te Orts­teil der Ge­mein­de Wad­gas­sen, ge­bo­re­ner Je­su­it, der als Schrift­stel­ler, Über­set­zer, Mit­glied der Pax Chris­ti und Straß­bur­ger Dom­pre­di­ger nach dem En­de des Zwei­ten Welt­krie­ges über sei­ne Wahl­hei­mat Frank­reich hin­aus Be­ach­tung fand. Die Her­kunft aus der ehe­ma­li­gen preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz war zum ei­nen durch die kul­tu­rel­le Prä­gung in der Kind­heit, zum an­de­ren durch den feind­li­chen Na­tio­na­lis­mus, der die Be­zie­hun­gen zwi­schen al­ter und neu­er Hei­mat zu­tiefst be­las­te­te, von Be­deu­tung. Am Bei­spiel sei­ner Per­son wird die in­di­vi­du­el­le Aus­wir­kung des über­stei­ger­ten na­tio­na­len Ant­ago­nis­mus sicht­bar. 

Pe­ter Lor­son wur­de am 19.10.1897 als ein­zi­ger Sohn ei­nes Berg­manns ne­ben sie­ben Schwes­tern ge­bo­ren. Die Mut­ter för­der­te ma­ß­geb­lich sei­ne re­li­giö­se Ent­wick­lung. Acht Jah­re ver­brach­te er in der Volks­schu­le sei­nes Hei­mat­or­tes, in der er her­aus­ra­gen­de Fä­hig­kei­ten zeig­te. Die dürf­ti­gen fi­nan­zi­el­len Ver­hält­nis­se der Fa­mi­lie ver­hin­der­ten je­doch den be­gehr­ten Be­such ei­nes Gym­na­si­ums. Pe­ter Lor­sons Wunsch, den geist­li­chen Be­ruf zu er­grei­fen, ließ sich mit Hil­fe des Dorf­pfar­rers ver­wirk­li­chen. Auf Fäl­le wie den sei­nen wa­ren die vom fran­zö­si­schen Je­sui­ten­or­den un­ter­hal­te­nen Apos­to­li­schen Schu­len zu­ge­schnit­ten. Ab 1910 be­such­te er ei­ne sol­che Schu­le im bel­gi­schen Thieu, ei­ner Exi­l­ein­rich­tung des da­mals in Frank­reich ver­bo­te­nen Or­dens, in der er in die re­li­giö­se Welt und in die fran­zö­si­sche Kul­tur hin­ein­zu­wach­sen be­gann. Auf Emp­feh­lung ei­nes Leh­rers – durch den Aus­bruch des Ers­ten Welt­krie­ges war der Schul­be­such ab­rupt be­en­det wor­den – trat er 1915 als No­vi­ze in die Pro­vinz der Cham­pa­gne des Je­sui­ten­or­dens ein.

In der ab­ge­schlos­se­nen Welt des No­vi­zi­ats im bel­gi­schen An­to­ing hol­te ihn die Wirk­lich­keit un­sanft ein. Da­bei er­wies sich sei­ne deut­sche Her­kunft als ei­ne Hy­po­thek, zu­nächst im Kreis sei­ner fran­zö­si­schen Mit­schü­ler. Nach dem Kriegs­aus­bruch ver­stärk­te sich ei­ne an­ti­deut­sche Stim­mung. Pe­ter Lor­son ver­leug­ne­te auch auf Rat sei­ner Leh­rer sei­ne na­tio­na­le Her­kunft und gab sich als El­sass-Loth­rin­ger aus. Das war der Be­ginn ei­nes le­bens­lan­gen und mit Ge­wis­sens­qua­len ver­bun­de­nen Ver­steck­spiels. Er er­reich­te zwar ein ent­spann­tes Ver­hält­nis zu sei­nen Mit­schü­lern, wur­de aber nicht vor ei­nem Zu­griff der deut­schen Be­hör­den und ei­ner Ein­be­ru­fung zum Mi­li­tär­dienst vor dem Ab­schluss des No­vi­zi­ats be­wahrt.

Pe­ter Lor­son be­gann sei­ne un­ge­lieb­te Sol­da­ten­zeit 1916 als Re­krut des Rhei­ni­schen In­fan­te­rie-Re­gi­ments in Eus­kir­chen, kam zu­nächst an der West­front, dann wäh­rend des stren­gen Win­ters 1916/1917 an der Ost­front und an­schlie­ßend wie­der bis zum Kriegs­en­de an der West­front – zu­letzt we­gen sei­ner fran­zö­si­schen Sprach­kennt­nis­se im Ab­hör­dienst – zum Ein­satz. Als fran­zö­si­scher Kriegs­ge­fan­ge­ner gab er sich 1918 wie­der­um als El­sass-Loth­rin­ger aus und wech­sel­te auf die­se Wei­se die Sei­ten. Un­ter der fal­schen Iden­ti­tät wur­de er in der Schluss­pha­se des Kriegs fran­zö­si­scher Ma­ri­ne­sol­dat, oh­ne je­doch noch in Kampf­hand­lun­gen ver­wi­ckelt zu wer­den. Da­mit war ein wei­te­rer wich­ti­ger Schritt auf sei­ne künf­ti­ge Wahl­hei­mat hin ge­tan. Den letz­ten, die An­nah­me der fran­zö­si­schen Staats­bür­ger­schaft, voll­zog er 1927 in sei­ner Aus­bil­dungs­zeit zum Je­sui­ten.

Wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges (Pfingst­sonn­tag 1917) konn­te Pe­ter Lor­son das No­vi­zi­at be­en­den und die ob­li­ga­to­ri­schen Ge­lüb­de der Ar­mut, der Keusch­heit und des Ge­hor­sams vor ei­nem deut­schen Mi­li­tär­geist­li­chen ab­le­gen. Un­mit­tel­bar nach Kriegs­en­de setz­te er in Bel­gi­en, Eng­land und Frank­reich die 15 Jah­re wäh­ren­de Aus­bil­dung fort (Ju­ve­nat, Phi­lo­so­phie­stu­di­um, In­ter­stiz, Theo­lo­gie, drit­tes No­vi­zi­ats­jahr), im Jah­re 1929 fei­er­te er in sei­nem Hei­mat­ort Dif­fer­ten die Pri­miz. 1932 er­folg­te mit dem Pro­fess, der Ge­hor­sam­s­er­klä­rung ge­gen­über dem Papst, die Leis­tung des letz­ten Ge­lüb­des. Nach ei­ner kurz­fris­ti­gen Leh­rer­tä­tig­keit in Lil­le (1931-1933) war fort­an die Straß­bur­ger Je­sui­ten­re­si­denz der Stand­ort für sei­ne Tä­tig­kei­ten als Schrift­stel­ler und Seel­sor­ger. Der Stand­ort emp­fahl sich aus Pe­ter Lor­sons Sprach­kennt­nis­sen und sei­nem Ein­füh­lungs­ver­mö­gen in die deutsch-fran­zö­si­sche Misch­kul­tur der Grenz­re­gi­on. Als ‚Neu­el­säs­ser‘ fand er nach der saar­län­disch-deut­schen ei­ne zwei­te Iden­ti­tät.

Vom An­fang sei­ner wis­sen­schaft­lich-schrift­stel­le­ri­schen Tä­tig­keit an war, auch wenn sei­ne In­ter­es­sen uni­ver­sal aus­ge­rich­tet wa­ren, die deut­sche Her­kunft Pe­ter Lor­sons von Be­deu­tung. Als Phi­lo­so­phie­stu­dent über­setz­te er ein Werk Jo­hann Gott­lieb Fich­tes (1762-1814) für die Edi­ti­on ei­nes Or­dens­mit­glie­des. Spä­ter über­setz­te er Wer­ke von Pe­ter Lip­pert (1879-1936), Fran­zis­kus Ma­ria Strat­mann (1883-1971) und vor al­lem von Ro­ma­no Guar­di­ni (1885-1968), dar­un­ter „Der Her­r“, mit dem er in Frank­reich ei­nen gro­ßen Bu­ch­erfolg er­ziel­te. Deut­sche Kul­tur ver­mit­tel­te er des Wei­te­ren durch Re­zen­sio­nen und Ar­ti­kel über geist­li­che und welt­li­che Li­te­ra­tur. So ver­fass­te er bei­spiels­wei­se ei­ne von Tho­mas Mann (1875-1955) ge­schätz­te Be­spre­chung des „Dok­tor Faus­tus“. Er schrieb über den Ka­tho­li­zis­mus in ver­schie­de­nen eu­ro­päi­schen Län­dern und en­ga­gier­te sich für den Er­neue­rungs­pro­zess der Kir­che. Im Ka­tho­li­zis­mus glaub­te er auch ein Boll­werk ge­gen den deut­schen Na­tio­nal­so­zia­lis­mus zu se­hen. Er pre­dig­te, lehr­te und schrieb ge­gen die dro­hen­den Ge­fah­ren ras­sis­ti­scher Leh­ren für Leib und See­le.

Als der Zwei­te Welt­krieg aus­brach, hol­te Pe­ter Lor­son sei­ne deut­sche Ver­gan­gen­heit wie­der­um ein. Er wur­de von den Fran­zo­sen ein­ge­zo­gen und an der Ma­gi­not­li­nie zu­nächst als Sa­ni­tä­ter, dann als Mi­li­tär­geist­li­cher ein­ge­setzt. Sei­ner Seel­sor­ger­tä­tig­keit an der Front kam er mit gro­ßer Be­geis­te­rung nach. Ins­be­son­de­re stan­den ihm die el­sä­si­schen Sol­da­ten sehr na­he. Per­sön­lich muss­te er wie­der­um sei­ne wah­re Iden­ti­tät ver­ber­gen, woll­te er nicht als Spi­on oder Ver­rä­ter an­ge­klagt wer­den. Nach dem ra­schen Kriegs­en­de floh er nach Süd­frank­reich, um dem si­che­ren Tod in deut­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft zu ent­ge­hen. In den Kriegs­jah­ren war er im Bis­tum Fréjus-Tou­lon wei­ter­hin un­er­müd­lich als Über­set­zer, Pre­di­ger, Leh­rer und Schrift­stel­ler tä­tig. Po­li­tisch be­kann­te er sich zum Wi­der­stand. In au­to­bio­gra­phi­schen Auf­zeich­nun­gen die­ser Zeit de­fi­nier­te er sich, im Be­wusst­sein sei­ner zwit­ter­haf­ten Iden­ti­tät, als „Saar-Fran­zo­se“ („Fran­co-Sar­rois“).

Nach dem Krieg ex­po­nier­te sich Pe­ter Lor­son in Wort und Schrift als be­ken­nen­der Pa­zi­fist. Er war Re­prä­sen­tant der Pax Chris­ti für die Diö­ze­se Straß­burg. Als sich 1948 der Eu­ro­pa­rat in der el­säs­si­schen Haupt­stadt eta­blier­te, setz­te er sich ve­he­ment für des­sen Zie­le und Ent­wick­lung ein. Mit dem fran­zö­si­schen Staats­mann Ro­bert Schu­man (1886-1963) ver­band ihn re­li­gi­ös und po­li­tisch ei­ne Ge­sin­nungs­ge­mein­schaft. Dem El­sass, mehr aber noch dem Saar­land (Grenz­re­gio­nen mit ei­ner Misch­kul­tur) sprach er ei­ne Schar­nier­funk­ti­on für die deutsch-fran­zö­si­sche Aus­söh­nung und für die eu­ro­päi­sche Ein­heit zu. Im Ent­wurf ei­ner Eu­ro­päi­schen Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des über­höh­te er die Be­stim­mung sei­nes Hei­mat­lan­des, das auch ei­ne ei­ge­ne Diö­ze­se er­hal­ten soll­te. Im Saar­land als ei­nem ei­ge­nen Staat soll­te die ‚eu­ro­päi­sche See­le‘ ei­ne Heim­stät­te fin­den. Pe­ter Lor­sons frü­her Tod in­ ­Saar­brü­cken am 6.5.1954 er­spar­te ihm, das Schei­tern sei­ner Er­war­tun­gen er­le­ben zu müs­sen. Die Volks­ab­stim­mung am 23.10.1955 lei­te­te die Wie­der­ver­ei­ni­gung des Saar­lan­des mit Deutsch­land ein.

Pe­ter Lor­son wur­de im Gra­be der El­tern in Dif­fer­ten be­er­digt. Wenn auch sei­ne Her­kunft als schwe­re Hy­po­thek auf ihm per­sön­lich ge­las­tet hat­te, der nicht zu­letzt dar­aus her­vor­ge­gan­ge­ne Bei­trag zur deutsch-fran­zö­si­schen Ver­söh­nung war ver­dienst­voll und zu­kunfts­wei­send.

Werke (Auswahl)

Voya­ges en chré­ti­en­té. Pre­miè­re sé­rie : An­gle­terre, Po­lo­gne, Su­is­se, Al­le­ma­gne, Col­mar / Pa­ris 1936, [mehr nicht er­schie­nen].
[un­ter dem Pseud­onym Lu­ci­en Val­dor], Le Chré­ti­en de­vant le ra­cis­me, Col­mar / Pa­ris 1939.
La Ré­vo­lu­ti­on des cœurs, re­nou­veau avec Not­re-Da­me, Col­mar / Pa­ris, 1942; nou­vel­le édi­ti­on, ad­ap­tée aux cir­con­stan­ces 1946.
La Sym­pho­nie pa­ci­fi­que : la paix in­di­vi­du­el­le, na­tio­na­le, in­ter­na­tio­na­le, Stras­bourg / Pa­ris 1948.
Un chré­ti­en peut-il êt­re ob­jec­teur de con­sci­ence, Pa­ris 1950. [In deut­scher Spra­che: Wehr­pflicht und christ­li­ches Ge­wis­sen, Über­tr.: Kas­par Mayr, Frank­furt/M. 1952.]
[Un­ter dem Pseud­onym Re­né Bal­tus], De la vi­eil­le à la nou­vel­le Eu­ro­pe. Pré­face du Pré­si­dent Ro­bert Schu­man, Pa­ris 1953.

Übersetzungen aus dem Deutschen

Guar­di­ni, Ro­ma­no, Le Sei­gneur, mé­di­ta­ti­ons sur la per­son­ne et la vie de Jé­sus-Christ, tra­du­it par le R. Pier­re Lor­son, 2 Bän­de, Col­mar / Pa­ris1946, 3. Auf­la­ge 2009. [deutsch: Der Herr, 1937].
Lip­pert, Pe­ter, Bon­té, la ver­tu d'au­jourd'hui et de de­main, tra­du­it et pré­sen­té par le R. P. Pier­re Lor­son, Pa­ris 1946 [deutsch: Vom gu­ten Men­schen, 1931].
Strat­mann, Fran­zis­kus-Ma­ria, Jé­sus-Christ et l'État, tra­du­it de l'al­le­mand par Pier­re Lor­son, Tour­nai, Pa­ris 1952 [deutsch: Die Hei­li­gen und der Staat, 1949].

Literatur

Bal­tus, Re­né, Pa­ter Lor­son. Grenz­län­der, Dom­pre­di­ger, Eu­ro­pä­er 1897-1954, Blies­kas­tel 2004.
Burg, Pe­ter, Saar-Fran­zo­se. Pe­ter/Pier­re Lor­son SJ, Trier 2011.

Online

www.pe­ter-burg.de (mit Schrif­ten­ver­zeich­nis von Pa­ter Lor­son, Tex­te von und Auf­sät­ze über Pa­ter Lor­son). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Burg, Peter, Peter Lorson, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/peter-lorson/DE-2086/lido/57c943760a0081.11525999 (abgerufen am 19.03.2024)