Karl Müller

NS-Widerstandskämpfer (1893-1949)

Jennifer Striewski (Bonn)

Karl Müller (rechts unten) zusammen mit den Düsseldorfer Widerstandskämpfern Aloys Odenthal (1912-2001), Ernst Klein (1900-1964), Josef Lauxtermann (1898-1972) und Karl August Wiedenhofen (1888-1958), nach 1945. (Stadtarchiv Düsseldorf)

De­m Düs­sel­dor­fer Rechts­an­walt Karl Mül­ler ge­lang es 1945 zu­sam­men mit Aloys Oden­thal (1912-2003) und Karl Au­gust Wie­den­ho­fen (1888-1958), ei­ne er­neu­te Bom­bar­die­rung Düs­sel­dorfs durch die Al­li­ier­ten ab­zu­wen­den und ent­ge­gen den Be­feh­len des NS-Re­gimes die Stadt kampf­los an die her­an­rü­cken­den ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen zu über­ge­ben.

Karl Mül­ler wur­de am 7.4.1893 in Ger­res­heim (heu­te Stadt Düs­sel­dorf) als Sohn des Ge­richts­voll­zie­hers Theo­dor Mül­ler (1854-1930) und sei­ner Frau An­na Win­ke­li­us (1859-1937) ge­bo­ren. Zu­sam­men mit sei­ner Schwes­ter El­se (1890-1986) wuchs er in ei­nem streng ka­tho­li­schen El­tern­haus auf. Nach Be­such der Volks­schu­le in Düs­sel­dorf, des Pro­gym­na­si­ums in Eu­pen so­wie des Gym­na­si­ums in Dors­ten leg­te Mül­ler 1914 in Bo­cholt die Rei­fe­prü­fung ab.

Ab Au­gust 1914 nahm er am Ers­ten Welt­krieg teil. Ab Som­mer 1916 stu­dier­te er an der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Bonn Ju­ra, zum Som­mer­se­mes­ter 1917 wech­sel­te er an die West­fä­li­schen Wil­helms-Uni­ver­si­tät Müns­ter. Seit Ja­nu­ar 1920 be­such­te Mül­ler die Ernst-Mo­ritz-Arndt-Uni­ver­si­tät Greifs­wald, wo er am 2.3.1921 mit sei­ner Dis­ser­ta­ti­on „Na­tio­na­le und in­ter­na­tio­na­le Amts­pra­che" pro­mo­viert wur­de.

Zwi­schen 1921 und 1928 leb­te Karl Mül­ler in KölnSaar­brü­cken und Düs­sel­dorf, be­vor er 1932 mit sei­ner Frau Char­lot­te Ber­ger nach Frank­reich aus­wan­der­te. Die Ehe wur­de je­doch 1935 ge­schie­den und Mül­ler kehr­te nach Düs­sel­dorf zu­rück, wo er sich als Rechts­an­walt nie­der ließ und ei­ne tie­fe Ab­nei­gung ge­gen die to­ta­li­tä­re Welt­an­schau­ung der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ent­wi­ckel­te. Des­halb traf er sich seit En­de der 1930er Jah­re re­gel­mä­ßig in Ger­res­heim mit dem Ar­chi­tek­ten Aloys Oden­thal und dem ehe­ma­li­gen Amts­ge­hil­fen des Düs­sel­dor­fer Po­li­zei­prä­si­di­ums, Theo­dor Win­kens (1897-1967), um über die po­li­ti­sche La­ge zu dis­ku­tie­ren. Da er un­ge­ach­tet der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Pro­pa­gan­da die Kon­tak­te zu sei­nen fran­zö­si­schen Freun­den auf­recht hielt, ge­riet er schon früh ins Vi­sier der Ge­sta­po. In Oden­thal, der auf­grund sei­ner christ­li­chen Über­zeu­gung öf­fent­lich ge­gen das NS-Re­gime auf­trat und be­reits mehr­fach ver­hört wor­den war und Win­kens, der we­gen sei­ner Wei­ge­rung, sich von sei­ner jü­di­schen Frau schei­den zu las­sen, vom Dienst sus­pen­diert wor­den war, fand Karl Mül­ler zwei Gleich­ge­sinn­te. Sie plan­ten kei­ne ak­ti­ven Wi­der­stands­ak­tio­nen, son­dern tra­fen sich le­dig­lich zu Ge­sprä­chen und Dis­kus­si­ons­run­den.

1943 ent­stand über Karl Mül­ler der Kon­takt zu dem Rechts­an­walt Karl Au­gust Wie­den­ho­fen, der in der Düs­sel­dor­fer In­nen­stadt ei­nen klei­nen Wi­der­stands­kreis um sich ge­schart hat­te. Die bei­den Grup­pen tra­fen sich von nun an ein- bis zwei­mal mo­nat­lich, um über ei­ne Neu­ge­stal­tung Deutsch­lands und die Be­frei­ung vom na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­gime zu dis­ku­tie­ren, oh­ne je­doch kon­kre­te Ak­tio­nen zu pla­nen oder durch­zu­füh­ren. Im Som­mer 1944 wur­de der Kreis um den stell­ver­tre­ten­den Po­li­zei­prä­si­den­ten Ot­to Go­e­tsch (1900-1962) er­wei­tert. Ob­wohl ein ho­her Be­am­ter und Mit­glied der NS­DAP, stand Go­e­tsch dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ab­leh­nend ge­gen­über und ver­sorg­te Mül­ler und sei­ne Mit­strei­ter mit In­for­ma­tio­nen. Im Fe­bru­ar 1945 er­reich­ten al­li­ier­te Trup­pen die Stadt Düs­sel­dorf, die zu ei­ner hart um­kämpf­ten Front­stadt wur­de. Wäh­rend Gau­lei­ter Fried­rich Karl Flo­ri­an nach dem Be­ginn der Be­la­ge­rung am 3.3.1945 noch mit den Wor­ten „Am Rhein pflan­zen wir die Fah­ne des Wi­der­stands auf" zur Ver­tei­di­gung der Stadt auf­ge­ru­fen hat­te, wur­de die La­ge für die Be­woh­ner En­de März 1945 im­mer be­droh­li­cher. Am 24.3.1945 rief Kreis­lei­ter Karl Wal­ter (1901-1957) Frau­en und Kin­der zum Ver­las­sen der Stadt auf. Seit An­fang März stand Düs­sel­dorf un­ter Dau­er­be­schuss, al­le Stra­ßen, die meis­ten Rhein­brü­cken, Hoch­was­ser­dei­che, Un­ter- und Über­füh­run­gen so­wie das städ­ti­sche Was­ser­netz wa­ren grö­ß­ten­teils zer­stört. Am 28.3.1945 gab Fried­rich Karl Flo­ri­an da­her den Räu­mungs­be­fehl: Die ge­sam­te Stadt soll­te zer­stört wer­den, um den Al­li­ier­ten bei ih­rem Vor­marsch le­dig­lich „ver­brann­te Er­de" zu hin­ter­las­sen.

In die­ser Si­tua­ti­on ent­schlos­sen sich Karl Mül­ler und die an­de­ren Wi­der­ständ­ler zum Han­deln. Am 15.4.1945 traf sich Mül­ler mit Wie­den­ho­fen und wei­te­ren Mit­glie­dern aus des­sen Wi­der­stands­kreis, um die nun fol­gen­den Schrit­te zu be­ra­ten. Ei­nig­keit herrsch­te dar­über, dass die NS-Füh­rung aus­ge­schal­tet wer­den müs­se, um ei­ne kampf­lo­se Über­ga­be der Stadt an die al­li­ier­ten Trup­pen zu er­rei­chen und wei­te­re Bom­bar­die­run­gen zu ver­hin­dern. Zu die­sem Zweck soll­te der Oberst­leut­nant der Schutz­po­li­zei Franz Jür­gens (1895-1945), der sich ve­he­ment ge­gen die Zer­stö­rungs­be­feh­le Flo­ri­ans ge­stellt hat­te, in die Plä­ne ein­ge­weiht wer­den. Die­ser hat­te An­fang April 1945 die von Po­li­zei­prä­si­dent Au­gust Kor­reng (1878-1945) be­foh­le­ne Über­nah­me des Kom­man­dos über die „Kampf­grup­pe Mit­te", die Düs­sel­dorf vor den her­an­rü­cken­den Al­li­ier­ten ver­tei­di­gen soll­te, ver­wei­gert. Mit sei­ner Hil­fe be­ab­sich­tig­te man, Kor­reng ge­fan­gen zu neh­men und die Kon­trol­le über die Stadt zu er­lan­gen. Über Mül­ler wur­den auch Oden­thal und Win­kens in die Plä­ne ein­ge­weiht.

Am Mor­gen des 16.4.1945 tra­fen sich Mül­ler, Oden­thal und Wie­den­ho­fen mit den Wi­der­stands­kämp­fern Theo­dor An­d­re­sen (1907-1945), Jo­sef Knab (1894-1945), Karl Klep­pe (1889-1945) und Her­mann Weill (1924-1945). Da die Ame­ri­ka­ner be­reits vor den To­ren der Stadt stan­den und ge­gen die Be­feh­le Flo­ri­ans ei­ne Ka­pi­tu­la­ti­on aus­sichts­los er­schien, ent­schloss sich die Grup­pe, noch am sel­ben Tag ak­tiv zu wer­den.

Mül­ler, Oden­thal und Wie­den­ho­fen fan­den sich ge­gen Mit­tag bei Franz Jür­gens im Po­li­zei­prä­si­di­um ein, wo die letz­ten De­tails der „Ak­ti­on Rhein­land" be­spro­chen wur­den. Mül­ler, Wie­den­ho­fen und Oden­thal soll­ten mit ei­nem von Jür­gens un­ter­zeich­ne­ten Pas­sier­schein zu den ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen durch­drin­gen und über ei­ne kampf­lo­se Über­ga­be der Stadt ver­han­deln, wäh­rend Jür­gens für ei­ne Fest­nah­me Kor­rengs sor­gen und das Kom­man­do über die Po­li­zei über­neh­men soll­te. Aus­ge­stat­tet mit Waf­fen der Schutz­po­li­zei stürm­ten die Män­ner das Bü­ro des Po­li­zei­prä­si­den­ten und nah­men ihn ge­fan­gen. Ne­ben zwei Po­li­zei­be­am­ten fun­gier­te zu­nächst Karl Mül­ler bis zum Nach­mit­tag als Wa­che.

Wäh­rend Oden­thal und Wie­den­ho­fen in der Stadt die Ab­lö­sung für Karl Mül­ler or­ga­ni­sier­ten, wur­de die Ak­ti­on je­doch von ei­nem Mit­ar­bei­ter des Po­li­zei­prä­si­di­ums ver­ra­ten. Mül­ler konn­te ge­ra­de noch flie­hen, wäh­rend sei­ne mitt­ler­wei­le ein­ge­trof­fe­nen Mit­strei­ter Klep­pe, Knab, An­d­re­sen, Weill und spä­ter auch Jür­gens fest­ge­nom­men wur­den. Am Nach­mit­tag des 16.4.1945 wur­den die fünf Wi­der­stands­kämp­fer un­ter an­de­rem we­gen Feind­be­güns­ti­gung zum To­de ver­ur­teilt. Die Ur­tei­le wur­den noch in der Nacht zum 17.4.1945 voll­streckt.

In­zwi­schen war es Oden­thal und Wie­den­ho­fen ge­lun­gen, bis zu den ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen durch­zu­drin­gen und die al­li­ier­ten Kom­man­deu­re von ei­ner kampf­lo­sen Über­ga­be Düs­sel­dorfs zu über­zeu­gen. Wäh­rend­des­sen ver­steck­ten sich Mül­ler und Go­e­tsch in Mül­lers Ger­res­hei­mer Woh­nung, wo sie am 17.4.1945 den Ein­marsch der Ame­ri­ka­ner er­leb­ten. Durch den Ein­satz der Wi­der­stands­grup­pe war ein für die Nacht auf den 17.4.1945 ge­plan­ter Bom­ben­an­griff ge­ra­de noch ver­hin­dert wor­den.

Nach 1945 ar­bei­te­te Mül­ler in Düs­sel­dorf als Rechts­an­walt; 1948 hei­ra­te­te er in zwei­ter Ehe Eli­sa­beth Re­gi­ne Krüll (ge­bo­ren 1924). Aus sei­nen bei­den Ehen sind kei­ne Kin­der her­vor­ge­gan­gen.

Karl Mül­ler starb am 18.10.1949 im Al­ter von 56 Jah­ren in Düs­sel­dorf. Sein Grab be­fin­det sich auf dem dor­ti­gen Nord­fried­hof; an ihn er­in­nert ei­ne nach ihm be­nann­te Stra­ße in Düs­sel­dorf-Düs­sel­tal.

Literatur

Gör­gen, Hans-Pe­ter, Düs­sel­dorf und der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Stu­die zur Ge­schich­te ei­ner Groß­stadt im „Drit­ten Reich", Düs­sel­dorf 1969.
Scha­b­rod, Karl, Wi­der­stand ge­gen Flick und Flo­ri­an, Frank­furt am Main 1978.
Stein­acker, Olaf, Bom­ben­krieg über Düs­sel­dorf, Gu­dens­berg-Glei­chen 2003.
Wei­den­haupt, Hu­go (Hg.), Düs­sel­dorf. Ge­schich­te von den An­fän­gen bis ins 20.Jar­hun­dert, Band 3, Düs­sel­dorf 1989, S. 229-237.
Zim­mer­mann, Vol­ker, In Schutt und Asche. Das En­de des Zwei­ten Welt­krie­ges in Düs­sel­dorf, Düs­sel­dorf 1995.

Online

Döne­cke, Klaus-Fr., Die Er­eig­nis­se des 16. und 17. April in Düs­sel­dorf "Ak­ti­on Rhein­land" (PDF-Da­tei auf der Home­page der Ge­schichts­werk­statt Düs­sel­dorf e. V.). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Striewski, Jennifer, Karl Müller, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/karl-mueller/DE-2086/lido/57c950dd615972.64558134 (abgerufen am 28.03.2024)