Louis-François Mettra

Verleger (1738-1804)

Karin Angelike (Hückelhoven)

Schreiben Louis-François Mettras an den Kölner Kurfürsten vom 19. März 1784. (Landesarchiv NRW, Abteilung Rheinland)

Louis-François Met­t­ra war ein be­deu­ten­der fran­zö­si­scher Ver­le­ger, der sich nach­weis­bar seit 1779 in den deut­schen Rhein­lan­den auf­hielt, um dort – wenn auch stets im Ver­bor­ge­nen – zahl­rei­che pu­bli­zis­ti­sche Un­ter­neh­mun­gen auf­zu­bau­en.

Sei­ne Tä­tig­kei­ten im Pres­se­we­sen deck­ten ein brei­tes Spek­trum ab: die Her­aus­ga­be zwei­er ge­hei­mer Kor­re­spon­den­zen – der „Bul­le­tins de Ver­sailles" (1774 bis 1794) und der „Cor­re­spon­dance lit­tér­ai­re se­crè­te" (1775 bis 1793), die Grün­dung ei­ner po­li­ti­schen Ga­zet­te im Kur­fürs­ten­tum Köln im Jahr 1779, der weit ver­zweig­te Han­del mit fran­zö­si­scher Un­ter­grund­li­te­ra­tur seit 1782 und der Be­trieb ei­ner gro­ßen Dru­cke­rei in Neu­wied seit Ja­nu­ar 1785. Als Stand­or­te sei­ner pu­bli­zis­ti­schen Un­ter­neh­mun­gen wähl­te Louis-François Met­t­ra deut­sche Klein­staa­ten im Rhein­land: das Her­zog­tum Jü­lich-Berg, das Köl­ner Kur­fürs­ten­tum und das Fürs­ten­tum Wied.

Für fle­xi­ble Un­ter­neh­mer­per­sön­lich­kei­ten wie Louis-Fran­cois Met­t­ra, die aus der Auf­klä­rung ein loh­nen­des Ge­schäft mach­ten, war das Rhein­land der idea­le Stand­ort für ein viel­schich­ti­ges Pres­se­we­sen, das erst mit der fran­zö­si­schen Be­sat­zung seit 1794 völ­lig zum Er­lie­gen kom­men soll­te.

 

Louis-François Met­t­ra wur­de 1738 ge­bo­ren und ent­stamm­te ei­ner Pa­ri­ser Kauf­manns­fa­mi­lie. Be­reits sein Va­ter Louis-François Met­t­ra (ge­stor­ben 1763) und sein Gro­ßva­ter wa­ren als Han­delsagen­ten des preu­ßi­schen Kö­nigs Fried­richs II. (Re­gie­rungs­zeit 1740-1786) tä­tig, in des­sen Auf­trag sie den An­kauf von Kunst­ge­gen­stän­den in Pa­ris durch­führ­ten. Met­t­ra über­nahm von 1767 bis 1772 die Nach­fol­ge in den Fi­nanz- und Mak­ler­ge­schäf­ten sei­nes Va­ters und Gro­ßva­ters, doch sei­ne Un­ter­neh­mun­gen schei­ter­ten. Da­her wand­te er sich ei­nem neu­en und pro­fi­ta­blen Ar­beits­feld zu, dem eu­ro­päi­schen Nach­rich­ten­han­del und dem pu­bli­zis­ti­schen Ge­wer­be, das er in den deut­schen Rhein­lan­den auf­bau­te. Im Rhein­land traf Met­t­ra in gro­ßer Nä­he zum fran­ko­pho­nen Sprach­ge­biet auf grö­ße­re pu­bli­zis­ti­sche Frei­räu­me, die nicht auf ei­ner for­mal ga­ran­tier­ten Pres­se­frei­heit be­ruh­ten, son­dern viel­mehr Fol­ge ei­ner ter­ri­to­ria­len wie po­li­ti­schen Zer­split­te­rung wa­ren, die das Ent­ste­hen ei­ner star­ken Zen­tral­ge­walt im An­satz ver­hin­der­ten.

Im Jahr 1779 grün­de­te Met­t­ra un­ter dem Ti­tel „Nou­vel­lis­te po­li­tique d’Al­le­ma­gne" (NPA) das ers­te fran­zö­si­sche Zei­tungs­un­ter­neh­men in Kur­k­öln, ei­nem der geist­lich re­gier­ten Ter­ri­to­ri­en des Deut­schen Rei­ches. Der NPA lässt sich den im 17. und 18. Jahr­hun­dert weit ver­brei­te­ten „ga­zet­tes eu­ro­péen­nes" zu­ord­nen, de­ren in­halt­li­cher Schwer­punkt auf der in­ter­na­tio­na­len Po­li­tik lag: Kriegs­er­eig­nis­se, di­plo­ma­ti­sche Ver­hand­lun­gen und das Hof­le­ben der Sou­ve­rä­ne wa­ren we­sent­li­cher Be­stand­teil die­ser Nach­rich­ten­or­ga­ne, die in fran­zö­si­scher Spra­che ab­ge­fasst wa­ren und sich an die po­li­ti­sche und aka­de­mi­sche Eli­te Eu­ro­pas rich­te­ten.

Ob­wohl der NPA über ei­ne lan­des­herr­li­che Druck­erlaub­nis (Pri­vi­leg) ver­füg­te und da­mit die Öf­fent­lich­keit nicht zu scheu­en brauch­te, hielt sich Met­t­ra als Be­grün­der und Her­aus­ge­ber der Zei­tung stets ver­bor­gen: Als Pri­vi­le­gi­en­in­ha­ber wur­den in den fürst­li­chen Ur­kun­den stets an­de­re am Un­ter­neh­men be­tei­lig­te Per­so­nen ge­nannt, die es Met­t­ra er­laub­ten, sei­ne Tä­tig­kei­ten im Un­ter­grund zu be­trei­ben.

Nach zwei Jah­ren wech­sel­te Met­t­ra in­ner­halb Kur­k­ölns auf die lin­ke Rhein­sei­te über, wo er auf ab­tei­lich-al­ten­ber­gi­schem Bo­den in Riehl (heu­te Stadt Köln) sein Un­ter­neh­men wie­der auf­bau­te. Die Mo­ti­ve für den Um­zug des Un­ter­neh­mens stan­den in Zu­sam­men­hang mit ei­nem wei­te­ren pu­bli­zis­ti­schen Han­dels­zweig, den Met­t­ra nun sys­te­ma­tisch aus­bau­te: In en­ger Zu­sam­men­ar­beit mit der be­deu­ten­den „So­cié­té ty­po­gra­phi­que de Neu­châ­tel" (Dru­cker­ei­ge­sell­schaft von Neu­en­burg in der Schweiz) stieg Met­t­ra in den Han­del mit fran­zö­si­scher Un­ter­grund­li­te­ra­tur ein, das hei­ßt mit ge­sell­schafts­kri­ti­schen oder frei­zü­gi­gen Ro­ma­nen und – in noch viel grö­ße­rem Um­fang – mit Por­no­gra­phie. Sein Han­del er­streck­te sich schwer­punkt­mä­ßig auf deut­sche Re­si­denz­städ­te, nach Bel­gi­en und in die Nie­der­lan­de. Der Han­del mit ver­bo­te­nen fran­zö­si­schen Bü­chern blieb je­doch nicht die ein­zi­ge heim­li­che Un­ter­neh­mung: Be­vor sich Met­t­ra im Jahr 1779 auf kur­k­öl­ni­schem Bo­den nie­der­ließ, gab er in der jü­lich-ber­gi­schen Re­si­den­z Düs­sel­dorf die bei­den ge­hei­men Kor­re­spon­den­zen „Bul­le­tins de Ver­sailles" und „Cor­re­spon­dance lit­tér­ai­re se­crè­te" her­aus. Da­bei er­hielt er tat­kräf­ti­ge Un­ter­stüt­zung durch Karl von Ne­or­berg, obers­ter Zen­sor des Her­zog­tums Jü­lich-Berg, der sich ei­gen­hän­dig an der Nie­der­schrift der hand­ge­schrie­be­nen „Bul­le­tins de Ver­sailles" be­tei­lig­te. Die­se er­schie­nen seit 1774 ein­mal wö­chent­lich und ver­brei­te­ten ge­hei­me po­li­ti­sche Nach­rich­ten aus dem Um­feld des fran­zö­si­schen Kö­nigs­ho­fes. Die an­ony­men Kor­re­spon­den­ten die­ser be­gehr­ten und sehr kost­ba­ren Nach­rich­ten of­fen­ba­ren aus­ge­zeich­ne­te Kennt­nis­se über das po­li­ti­sche Han­deln der fran­zö­si­schen Re­gie­rung.

Par­al­lel zu den „Bul­le­tins de Ver­sailles" gab Met­t­ra seit 1775 eben­falls ein­mal wö­chent­lich die ge­druck­te „Cor­re­spon­dance lit­tér­ai­re se­crè­te" (CLS) her­aus, ei­ne li­te­ra­ri­sche Er­gän­zung zu den hand­ge­schrie­be­nen po­li­ti­schen Nach­rich­ten aus Ver­sailles. Der the­ma­ti­sche Schwer­punkt der Zeit­schrift lag auf den kul­tu­rel­len Er­eig­nis­sen der Pa­ri­ser Ge­sell­schaft: Li­te­ra­tur, Wis­sen­schaft, Thea­ter, Mo­den. Be­spro­chen wur­den auch die kurz­le­bi­gen und zu­meist im Un­ter­grund ver­trie­be­nen li­te­ra­ri­schen Wer­ke, die ge­gen die Zen­sur­vor­schrif­ten ver­stie­ßen und da­her um­so mehr die Neu­gier­de des Pu­bli­kums an­reiz­ten.

Met­t­ra ver­folg­te sei­ne Un­ter­neh­mun­gen un­ge­stört, bis ein ka­ta­stro­pha­ler Eis­gang im Fe­bru­ar 1784 sei­ne an den Ufern des Rheins ge­le­ge­ne Dru­cke­rei zer­stör­te. Der fi­nan­zi­el­le Ver­lust, den Met­t­ra durch das Rhein­hoch­was­ser er­litt, war so hoch, dass er beim Kur­fürs­ten um sei­nen Rück­tritt von den Zei­tungs­rech­ten bat. Den­noch setz­ten zwei Nach­fol­ger die Her­aus­ga­be des Blatts bis zu sei­nem Nie­der­gang im Jahr 1788 fort.

Met­t­ra da­ge­gen or­ga­ni­sier­te den Auf­bau ei­ner Dru­cke­rei in Neu­wied – ein Ort, der be­kannt war für sei­ne Zen­sur­frei­heit und die to­le­ran­te Po­li­tik sei­nes Lan­des­herrn; im Ja­nu­ar 1785 gab die bis da­hin im Un­ter­grund er­schie­ne­ne „Cor­re­spon­dance lit­tér­ai­re se­crè­te" ih­ren Druck­ort in Neu­wied be­kannt. Dort stieg Met­t­ra zu­dem in ein re­ges Buch­druck­ge­schäft mit zu­meist ver­bo­te­nen Bü­chern ein; sein Spek­trum um­fass­te un­ter an­de­rem die auf dem In­dex ste­hen­den ge­sam­mel­ten Wer­ke François Ma­rie Vol­taires (1694-1778). Die Dru­cke­rei in Neu­wied ent­wi­ckel­te sich zu ei­ner der grö­ß­ten ty­po­gra­phi­schen Un­ter­neh­mun­gen Deutsch­lands. An­ge­sichts sei­ner um­fang­rei­chen pu­bli­zis­ti­schen Tä­tig­kei­ten über­nahm Met­t­ra im Jahr 1793 mit der Neu­wie­der Pa­pier­müh­le die Pa­pier­her­stel­lung des Fürs­ten­tums und be­tä­tig­te sich als Falsch­mün­zer, in­dem er das Pa­pier­geld der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­ons­re­gie­rung nach­druck­te.

Die Re­vo­lu­ti­ons­krie­ge und die Be­set­zung des Rhein­lan­des durch die fran­zö­si­schen Trup­pen setz­ten der um­fang­rei­chen ver­le­ge­ri­schen Tä­tig­keit Mett­ras ein jä­hes En­de: 1795 wur­de Neu­wied bom­bar­diert und Mett­ras Dru­cke­rei zer­stört; Met­t­ra selbst ver­ließ flucht­ar­tig das Rhein­land, um sich in der Buch­han­dels­stadt Leip­zig nie­der­zu­las­sen. 1798 sie­del­te er nach Ber­lin über, wo er sich er­neut um ei­nen Ein­stieg in das Zei­tungs­ge­wer­be be­müh­te. Die preu­ßi­sche Lan­des­re­gie­rung ver­wehr­te ihm je­doch die not­wen­di­ge Er­laub­nis zur Zei­tungs­her­aus­ga­be, da sie ihn be­reits als po­li­tisch un­zu­ver­läs­si­ge Per­son iden­ti­fi­ziert hat­te. Met­t­ra kon­zen­trier­te sich da­her auf ei­nen um­fang­rei­chen Buch- und Kunst­han­del, bis er am 11.12.1804 in Ber­lin ver­starb. Er hin­ter­ließ sei­ner Frau und sei­nen bei­den Kin­dern ne­ben un­ge­heu­ren Schul­den ei­ne eben­so um­fang­rei­che wie kost­ba­re Samm­lung an Kup­fer­sti­chen und Ge­mäl­den und ei­ne be­deu­ten­de Bi­blio­thek fran­zö­si­scher Wer­ke.

Literatur

An­ge­li­ke, Ka­rin, Louis-François Met­t­ra. Ein fran­zö­si­scher Zei­tungs­ver­le­ger in Köln (1770-1800), Köln /Wei­mar/Wien 2002.
Berg­lund-Nils­son, Bir­git­ta / Oh­lin, Bar­bro (Hg.), In­ven­taire et in­dex de la Cor­re­spon­dance lit­tér­ai­re se­crè­te, di­te de Met­t­ra, 2 Bän­de, Fer­ney-Vol­taire 1999.
Hjort­berg, Mo­ni­ca, Cor­re­spon­dance Lit­tér­ai­re Se­crè­te. 1775-1793. Une pré­sen­ta­ti­on, Pa­ris/Gö­te­borg 1987.
Jo­hans­son, Vic­tor, Sur la Cor­re­spon­dance Lit­tér­ai­re Se­crè­te et son Edi­teur, Gö­te­borg, Pa­ris 1960.
Mass, Ed­gar, Fran­zö­si­sche Jour­na­lis­ten in Deutsch­land, in: Mon­dot, Jean / Va­len­tin,  Jean-Ma­rie / Voss, Jür­gen (Hg.), Deut­sche in Frank­reich, Fran­zo­sen in Deutsch­land 1715-1789, Sig­ma­rin­gen 1992.

Schreiben Louis-François Mettras an den Kölner Kurfürsten vom 19. März 1784, Rückseite, namentlich signiert. (Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland)

 
Zitationshinweis

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Angelike, Karin, Louis-François Mettra, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/louis-fran%25C3%25A7ois-mettra/DE-2086/lido/57c94dfd93f8b6.30662747 (abgerufen am 18.04.2024)