Rudolf Ritschl

Physiker (1902-1982)

Helmut Müller-Enbergs (Berlin)

Rudolf Ritschl, Porträtfoto, um 1950. (Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsbibliothek)

Ru­dolf Rit­schl war Pro­fes­sor für Phy­sik an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät in Ber­lin und Di­rek­tor des In­sti­tuts für Op­tik und Spek­tro­sko­pie der Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten der DDR.

Ge­bo­ren wur­de Ru­dolf Karl Lud­wig Rit­schl am 7.12.1902 als Sohn des li­be­ral ori­en­tier­ten evan­ge­li­schen Theo­lo­gie­pro­fes­sors Ot­to Rit­schl (1860-1944)l in Bonn. Des­sen Va­ter Al­brecht Rit­schl wie­der­um war gleich­falls evan­ge­li­scher Theo­lo­ge und Pro­fes­sor für Neu­es Tes­ta­ment in Bonn und an­schlie­ßend für Dog­ma­tik und Kir­chen- und Dog­men­ge­schich­te in Göt­tin­gen ge­we­sen, wo­bei er ab 1874 ei­ne Schu­le von Theo­lo­gen be­grün­de­te, die als „Rit­schlia­ner“ be­zeich­net wur­de und die letzt­hin die Auf­fas­sun­gen in der evan­ge­li­schen Theo­lo­gie bis zum Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts präg­te. Ru­dolf Rit­schl ent­stammt al­so ei­ner an­ge­se­he­nen Ge­lehr­ten­fa­mi­lie. Sein Bru­der Hans Wil­helm Rit­schl (1897–1993) war Pro­fes­sor für Na­tio­nal­öko­no­mie und So­zio­lo­gie an der Uni­ver­si­tät in Ba­sel, spä­ter Ham­burg und seit 1949 Mit­glied des wis­sen­schaft­li­chen Bei­ra­tes des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums der Fi­nan­zen.

Ru­dolf Rit­schl be­such­te von 1912 bis 1921 das Städ­ti­sche Gym­na­si­um in Bonn, setz­te die theo­lo­gi­sche Li­nie sei­ner Vä­ter und Vor­vä­ter je­doch nicht fort. Er stu­dier­te in Bonn, Frei­burg und Göt­tin­gen Ma­the­ma­tik, Phy­sik und Che­mie. Wäh­rend des Win­ter­se­mes­ters 1921/1922 in Bonn ge­hör­te er ak­tiv zur Bur­schen­schaft Ale­man­nia. In Bonn pro­mo­vier­te er 1927 mit ei­ner Dis­ser­ta­ti­on „über den Bau ei­ner Klas­se von Ab­sorp­ti­ons­spek­tren“, wo­bei es um ein elek­tro­ma­gne­ti­sches Spek­trum geht, das ent­steht, wenn wei­ßes Licht Ma­te­rie durch­strahlt und Licht­quan­ten mit be­stimm­ten Wel­len­län­gen da­bei ab­sor­biert wer­den. Sol­che Spek­tren fin­den heu­te in der Mess- und Ana­ly­se­tech­nik Ver­wen­dung so­wie in der As­tro­no­mie, um die Zu­sam­men­set­zung von leuch­ten­den Him­mels­kör­pern zu er­mit­teln.

Als As­sis­tent ging Ru­dolf Rit­schl 1927/1928 nach Göt­tin­gen und ar­bei­te­te bei Ja­mes Franck (1882-1964), der zu­sam­men mit Gus­tav Lud­wig Hertz (1887-1975) die Exis­tenz von dis­kre­ten En­er­gie­ni­veaus in Ato­men nach­ge­wie­sen hat, und da­für 1925 mit dem No­bel­preis aus­ge­zeich­net wor­den war. Nach 1933 stand Franck in Op­po­si­ti­on zu den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten. An­schlie­ßend ging Ru­dolf Rit­schl nach Ber­lin zur Phy­si­ka­lisch-Tech­ni­schen Reichs­an­stalt (PTR), wo er wis­sen­schaft­li­cher An­ge­stell­ter zu­nächst des Prä­si­den­ten Louis Carl Hein­rich Fried­rich Pa­schen (1865-1947) – Rit­schl galt spä­ter als Pa­schen-Schü­ler - und ab 1933 des na­tio­nal­so­zia­lis­tisch ori­en­tier­ten No­bel­preis­trä­gers Jo­han­nes Stark (1874-1957) war. Rit­schl wur­de 1932 zum Re­gie­rungs­rat er­nannt; er ge­hör­te 1933 der SA und 1937 bis 1945 der NS­DAP an. Er ha­bi­li­tier­te sich 1936 an der Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Ber­lin (der heu­ti­gen Hum­boldt-Uni­ver­si­tät), wur­de dort 1937 zu­nächst Do­zent für Ex­pe­ri­men­tal­phy­sik und 1942 zum au­ßer­plan­mä­ßi­gen Pro­fes­sor be­ru­fen. 1938 ver­öf­fent­lich­te er zu­sam­men mit der Phy­si­ke­rin Dr. Ma­ria Heyden (spä­ter ver­hei­ra­te­te Jor­ges), die Ar­beit über das Kern­mo­ment des Alu­mi­ni­ums. 1941 war er be­reits zum Mit­glied der Phy­si­ka­lisch-Tech­ni­schen Reichs­an­stalt be­ru­fen wor­den. Wäh­rend die­ser Zeit leis­te­te er bis 1944 sei­nen Kriegs­dienst beim Reichs­wet­ter­dienst; 1945 über­nahm er die Lei­tung des Spek­tro­sko­pi­schen La­bo­ra­to­ri­ums des PTR.

Wäh­rend des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus hat­te Rit­schl of­fen­bar eher fach­li­che als po­li­ti­sche Dif­fe­ren­zen zum Prä­si­den­ten der PTR. Zu­sam­men mit dem Bon­ner Phy­sik-Pro­fes­sor Hein­rich Kay­ser (1853-1940) pu­bli­zier­te er die „Ta­bel­le der Haupt­li­ni­en der Li­ni­en­spek­tren al­ler Ele­men­te nach Wel­len­län­ge“, die 1939 in Ber­lin beim an­ge­se­he­nen Wis­sen­schafts­ver­lag Sprin­ger er­schien; das Werk gilt bis heu­te als un­ent­behr­lich für al­le tech­ni­schen Spek­tral­ana­ly­sen (1968 aber­mals auf­ge­legt).

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg ge­hör­te Ru­dolf Rit­schl 1946/1947 ei­ner Ar­beits­grup­pe des Kon­struk­ti­ons­bü­ros der so­wje­ti­schen Kriegs­ma­ri­ne an, die in­sti­tu­tio­nell beim Op­ti­schen In­sti­tut von Ernst Lau  in Ber­lin-Ka­row an­ge­bun­den war. Lau war frü­her Lei­ter des Strah­lungs­la­bo­ra­to­ri­ums bei der PTR ge­we­sen und hat­te ne­ben sei­nem Wohn­haus ein op­ti­sches La­bo­ra­to­ri­um ein­ge­rich­tet. De fac­to war es ei­ne Aus­grün­dung aus der Phy­si­ka­lisch-Tech­ni­schen Reichs­an­stalt, die Grund­la­gen­for­schung be­trieb. Dar­aus ent­stand 1948 das Op­ti­sche La­bo­ra­to­ri­um, das der Deut­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten an­ge­schlos­sen wur­de, 1952 als In­sti­tut für Op­tik und Fein­me­cha­nik und ab 1957 als In­sti­tut für Op­tik und Spek­tro­sko­pie fir­mier­te. Hier ar­bei­te­te Ru­dolf Rit­schl von 1948 bis 1959 als wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter und an­schlie­ßend bis 1967 als Di­rek­tor des In­sti­tuts für Op­tik und Spek­tro­sko­pie. An sei­nem In­sti­tut konn­te be­reits 1962 – zwei Jah­re nach sei­ner Ent­de­ckung – der ers­te La­ser-Ver­such im so­zia­lis­ti­schen La­ger durch den Me­teo­ro­lo­gen Kurt Lenz (ge­bo­ren 1932) nach­ge­bil­det wer­den.

Von 1949 an war er zu­nächst kom­mis­sa­risch, ab 1952 end­gül­tig Di­rek­tor des 1. Phy­si­ka­li­schen In­sti­tuts der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät Ber­lin, wo er 1952 auch zum Pro­fes­sor für Ex­pe­ri­men­tal­phy­sik be­ru­fen wur­de, ein Jahr spä­ter war er bis 1965 Fach­rich­tungs­lei­ter Phy­sik. 1968 wur­de er eme­ri­tiert. Ru­dolf Rit­schl starb am 8.11.1982 in Ber­lin.

Ru­dolf Rit­schl ver­fass­te wäh­rend sei­nes aka­de­mi­schen Le­bens weit über 70 Auf­sät­ze, wo­bei sein Schwer­punkt auf den Atom- und Mo­le­kül­spek­tren, die op­ti­sche Spek­tro­sko­pie, das mehr­fa­che Auf­spal­ten von Spek­tral­li­ni­en (nach dem No­bel­preis­trä­ger Pie­ter Zee­mann be­nann­ten Ef­fekt), die Po­la­ri­sa­ti­on und die Ei­gen­schaf­ten dün­ner Me­tall­schich­ten und Kris­tallp­hos­pho­re wa­ren. Mit dem Vor­sit­zen­den der Phy­si­ka­li­schen Ge­sell­schaft der DDR, Ro­bert Rom­pe (1905-1993), gab er im Auf­trag die­ser Ge­sell­schaft die Fach­zeit­schrift „Fort­schrit­te der Phy­si­k“ her­aus.

Werke (Auswahl)

Über den Bau ei­ner Klas­se von Ab­sorp­ti­ons­spek­tren. Ber­lin 1927.
Ta­bel­le der Haupt­li­ni­en der Li­ni­en­spek­tren al­ler Ele­men­te nach Wel­len­län­ger. Ber­lin 1939.
Fort­schrit­te der Phy­sik, Leip­zig 1953.
Fünf Vor­trä­ge über Spek­tro­sko­pie, Ber­lin 1958.
Emis­si­ons­spek­tro­sko­pie, Ber­lin 1964.

Literatur

Ha­mel, Jür­gen/Keil, In­de (Hg.), Der Meis­ter und die Fern­roh­re. Das Wech­sel­spiel zwi­schen As­tro­no­mie und Op­tik in der Ge­schich­te, Frank­furt/Main 2007.
Lenz, Kurt/Röß, Die­ter, Die ers­ten La­ser in Ost und West, in: Phy­sik­Jour­nal 7, (2010), S. 46–48.
Schramm, Ma­nu­el, Wis­sen­schaft und Wirt­schaft in DDR und BRD. Die Ka­te­go­rie Ver­trau­en in In­no­va­ti­ons­pro­zes­sen, Köln 2008.

Online

Kant Hort, Ru­dolf Rit­schl, in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 21, Ber­lin 2003, S. 651-652. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Müller-Enbergs, Helmut, Rudolf Ritschl, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/rudolf-ritschl/DE-2086/lido/57cd209204d859.19188560 (abgerufen am 16.04.2024)