Zu den Kapiteln
Walter Schellenberg war ein hochrangiger Funktionär des nationalsozialistischen Regimes. In seiner Funktion als Chef des Nachrichtendienstes der SS beeinflusste er maßgeblich die Entscheidungen des Reichsführers SS Heinrich Himmler (1900-1945) und des SS-Obergruppenführers und stellvertretenden Reichsprotektors von Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich (1904-1942).
Walter Schellenberg wurde als siebtes Kind des Klavierfabrikanten Guido Schellenberg und seiner Ehefrau Lydia, geborene Riedel am 16.1.1910 in Saarbrücken geboren. Er wuchs zunächst im Saarland auf und besuchte von 1915 bis 1918 die Volksschule und bis 1928 das Reform-Realgymnasium in Saarbrücken. 1923 siedelte seine Familie aus wirtschaftlichen Gründen nach Luxemburg über. Dort unterhielt die Firma B. Schellenberg, Hof-Pianoforte- und Musikalienhandlung, eine Filiale. Zum Sommersemester 1929 schrieb sich Schellenberg im Fach Medizin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ein. Auf Anregung seines liberal gesinnten Vaters entschied er sich, das Medizinstudium abzubrechen und an der Universität Marburg Rechts- und Staatswissenschaft zu studieren. Mit der Wahl dieses Studiums versprach sich Schellenberg, seinen Berufswunsch erfüllen zu können, eine Karriere im diplomatischen Dienst des Auswärtigen Amtes. In seinem ersten Semester trat er der Studentenverbindung Guestphalia bei. Nach fünf Semestern kehrte er an die Universität Bonn zurück und bestand am 18.03.1933 das erste Staatsexamen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.
Als Gerichtsreferendar arbeitete er zunächst am Land- und Amtsgericht in Bonn und Sinzig. Im März 1933 trat Schellenberg der SS und am 1.4.1933 der NSDAP bei, weil er dies unter anderem für die Bewilligung eines staatlichen Unterhaltszuschusses, den er aufgrund der finanziellen Lage seines Vaters benötigte, als unumgänglich ansah. 1934 trat er dem Sicherheitsdienst (SD) bei, 1935 arbeitete er in der inneren Verwaltung des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen als Assesor 1936 wurde er in das Preußische Geheimen Staatspolizeiamt (Gestapa) in Berlin übernommen.
Nach einer SS-Veranstaltung an der Universität Bonn, so Schellenberg in seinen Erinnerungen, machte er mit zwei Professoren Bekanntschaft, die ihn für den Sicherheitsdienst (SD) warben. Anfangs arbeitete er als Informant für den SD, schrieb Berichte über die rheinischen Universitäten und übernahm Aufgaben als Saalwache. So am 30.06.1934, dem Tag des Röhm-Putsches, im Bad Godesberger Hotel Dreesen. Von dort fuhr die anwesende Nazi-Elite zum Flughafen Hangelar, um nach München zu fliegen. 1934 beobachtete er für mehrere Wochen einen Sorbonner Professor in Paris. Die Folgen dieser Beobachtung für den Professor sind nicht klar zu erkennen, jedoch waren Schellenbergs Vorgesetzte von seiner Arbeit angetan. Im Frühjahr 1935 machte er Bekanntschaft mit Brigadeführer Dr. Wilhelm Albert (1898-1960), Verwaltungsleiter im SD-Hauptamt Berlin, welcher ihm eine Stelle in der Organisations- und Verwaltungsabteilung des SD-Hauptamtes anbot. Mit Erlaubnis des Innenministeriums nahm er diese Stelle an, arbeitete aber auch als Probeassesseor beim Polizeipräsidium des Innenministeriums selbst.
Von November 1936 bis Januar 1936 absolvierte er eine juristische Zusatzausbildung im Referendarausbildungslager in Jüterborg. In dieser Zeit legte er am 8.12.1936 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf sein zweites Staatsexamen mit Prädikat ab. Nach seiner Zusatzausbildung verließ er Jüterborg und fand eine Anstellung am Oberlandesgericht Düsseldorf und bei einem Anwalt und Freund seines Vaters. Da ihm der Beruf des privaten Rechtsanwalts, auch aufgrund der Diskreditierung durch das NS-Regime, keine Zukunftsaussichten versprach, kehrte er im Januar 1937 nach Berlin zurück. Als Assistent des Leiters der Verwaltungsabteilung des SD-Hauptamtes war er für Verwaltungs- und Rechtsfragen sowie für Probleme, die aus der dualen Konstruktion zwischen Reich und Partei entstanden, zuständig. 1938 wurde er zum Regierungsassessor befördert.
Durch seinen guten persönlichen Kontakt zu Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei (Sipo) und des SD, erhielt Schellenberg Sonderaufträge: So oblag ihm die Überarbeitung der SD-Berichte aus Italien vor der Annexion Österreichs (1938) zur Vorlage bei Adolf Hitler (1889-1945). Am Tag des „Anschlusses", dem 12.3.1938, flog Schellenberg mit Heinrich Himmler nach Wien, um österreichische Geheimdienstunterlagen zu beschlagnahmen und die rechtliche Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich vorzubereiten. Beim Einzug Hitlers in Wien oblagen ihm die Sicherheitsvorkehrungen des Einzuges. Am 15.04.1938 kehrte er aus Wien zurück und wurde, wegen seiner guten Arbeit, Mitte April 1938 mit den Vorbereitungen des Rombesuchs Hitlers im Mai 1938 betraut. Bei dieser Gelegenheit etablierte er ein Netz von 500 Agenten in Italien, welche die politische Stimmung im Land beobachten sollten. Auch mit einer Auskundschaftung des französischen Flottenstützpunktes in Dakar (damalige französische Kolonie Senegal) auf Geheiß Himmlers und Heydrichs wurde Schellenberg beauftragt.
Am 18.5.1938 heiratete Schellenberg seine erste Frau, Käthe Kortekamp. Die Ehe soll er nicht aus persönlichen, sondern beruflichen und moralischen Gründen, auf Anraten seines Vorgesetzten Dr. Wilhelm Albert, eingegangen sein. Im Juni 1938 nahm Schellenberg seine Arbeit im SD-Hauptamt wieder auf und beschäftigte sich mit juristischen Fragen der Gleichschaltung und Verwaltung des Sudentenlandes, Danzig und Österreichs.
Auf Grund von Schwierigkeiten in Ehe und Beruf erlitt er im Mai 1939 einen Nervenzusammenbruch. Die Freundschaft zwischen seiner Frau Käthe und der Geliebten seines Vorgesetzten Dr. Wilhelm Albert führte zu Problemen mit seinen Arbeitskollegen, zumal eine Freundschaft zu Reinhard Heydrichs Frau Lina Mathilde von Osten (1911-1985) für Klatsch sorgte. Schellenberg suchte nun nach anderen Pflichten im SD-Hauptamt.
Am 8.9.1939 begleitete er Reinhard Heydrich nach Warschau um die Sicherheit des Besuches Hitlers zu organisieren. 1940 sollte er den im Dezember 1936 abgedankten König Eduard VIII. von England (1894-1972), den nunmehrigen Herzog von Windsor und seine Gattin, in Lissabon als Pfand zum Ausgleich mit England entführen. Am 9.9.1939 gelang ihm die Entführung der britischen MI 6 Agenten Captain Sigismund Payne Best (1885-1978) und Major Richard Stevens (1893-1967) durch die Inszenierung des so genannten Venlo-Zwischenfalls. Beide Aktionen lieferten Schellenberg detaillierte Kenntnisse über Aufbau und Funktion des britischen Geheimdienstes.
Schließlich beauftragte Heydrich Schellenberg mit der Entwicklung einer Konzeptvorlage zur Verschmelzung von Sipo und SD, die mit der Gründung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) am 27.9.1939 umgesetzt wurde. Das RSHA war für die Koordination aller politischen Angelegenheiten der SS verantwortlich. Alle anderen SS-Hauptämter mussten politisch bedeutende Vorgänge dem RSHA zur Mitzeichnung vorlegen. Damit war durch Schellenbergs Mitwirken eine totale Überwachungsbehörde, ein politisches Leitamt von SS und Polizei, entstanden. Schellenberg wechselte, nun als SS-Standartenführer, zur Gestapo als Leiter der Gruppe IV E, Spionageabwehr Inland, wo er unter anderem mit der Aufklärung des Münchner Bürgerbräu-Attentats (Elser-Attentat vom 8.11.1939) auf Hitler befasst war.
Am 10.10.1940 ehelichte er Irene Grosse-Schönepauk (geboren 1919), eine Frau polnischer Abstammung. Nach wiederholter Krankheit, wurde ihm im November 1940 ein Leber- oder Gallenblasenleiden diagnostiziert. Zur Genesung erholte er sich in Karlsbad und in Thüringen.
Im Februar 1941 nahm er seine Arbeit in der Gruppe IV E wieder auf, wechselte aber schließlich zum Amt VI, SD-Ausland. Im Juli 1941 war Schellenberg erst Vertreter, im September geschäftsführender Amtschef des Amtes und unter anderem an der Zerschlagung der Untergrundgruppen der „Roten Kapelle" beteiligt. Im Mai 1942 reiste er nach Den Haag, um sich über die Spionageverbindungen zwischen den Niederlanden und England zu informieren. Auf direkten Befehl Heinrich Himmlers wurde er am 21.7.1942 zum Standartenführer ernannt. Seit 1941/1942 betreute er außerdem das „Unternehmen Zeppelin", das sich mit politischen Zersetzungsversuchen in der Sowjetunion befasste. Sowjetische Kriegsgefangene sollten als Agenten in Propaganda-, Nachrichten-, Sabotage- und Revolutionstrupps eingesetzt werden. Auch bei den Verhandlungen über den Freikauf von Juden durch Devisen soll Schellenberg beteiligt gewesen sein. Darüber hinaus plante und führte er das Fluchthilfeunternehmen „Rattenlinie" durch, das noch nach der Kapitulation aktiv blieb und einigen hundert hohen nationalsozialistischen Funktionären Leben und Freiheit sicherte. Auch organisierte er die Einrichtung einer Geldfälscherwerkstatt im KZ Sachsenhausen zum Druck englischer Banknoten zur Destabilisierung des englischen Finanzmarktes. 1944, nach der Amtsenthebung seines Rivalen, dem am militärischen Widerstand beteiligten Wilhelm Canaris (1887-1945) übernahm er auch dessen „Abwehr", den militärischen Nachrichtendienst der Wehrmacht als eigenes „Amt Mil" in das RSHA, nun als SS-Brigadeführer.
Im April 1945 räumte das RSHA seine Büros in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße 8. Schellenberg und weitere Mitarbeiter zogen sich nach Flensburg zurück, um in der Reichsregierung Karl Dönitz (1891-1980) weiterzuarbeiten. Bereits am 5.5.1945 wurde Schellenberg nach Schweden befohlen, um Verhandlungen über den Abzug der deutschen Besatzungsarmee aus Norwegen und ihre Internierung in Schweden zu führen. Die Gesamtkapitulation am 8.5.1945 beendete sein Mandat jedoch noch vor Verhandlungsbeginn.
Bis Juni 1945 blieb Schellenberg in Schweden, wohnte bei Graf Folke Bernadotte (1895-1948), dem damaligen Vizepräsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes, und stellte sich schließlich dem amerikanischen Militärattaché. Am 11.4.1949 verurteilte ihn das amerikanische Militärgericht in Nürnberg im Wilhelmstraßenprozess zu sechs Jahren Haft. Die geringe Haftstrafe erwirkte er durch Kooperation mit den alliierten Geheimdiensten. Jedoch behauptete er weiterhin, dass der SD-Ausland als politischer Geheimdienst des Reiches nur im Ausland gearbeitet habe und ein reiner Informationsdienst gewesen sei. Bereits im Dezember 1950 wurde er aus gesundheitlichen Gründen begnadigt. Seitdem lebte er in Pallanza (Italien, Region Piemont). Während seiner zweijährigen Haftzeit schrieb er seine Memoiren („Das Labyrinth"). 1951 soll er eine Reise nach Spanien unternommen haben, mit dem Zweck neue Verbindungen zu den Kreisen geflüchteter SS-Führer zu knüpfen.
Schellenberg erlag am 31.3.1952 in Turin einem Leberleiden. Seine Ehen blieben kinderlos.
Quellen
Petersen, Gita, Walter Schellenberg. Aufzeichnungen: Die Memoiren des letzten Geheimdienstchefs unter Hitler. Wiesbaden, München 1979.
Literatur
Doerries, Reinhard R., Hitler's Intelligence Chief, New York 2009.
Doerries, Reinhard R., Hitler’s last chief of foreign intelligence: Allied interrogations of Walter Schellenberg, London u.a. 2003.
Wildt, Michael, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2003.
Wistrich, Robert S., Walter Schellenberg, in: Deutsche biographische Enzyklopädie 8 (1999), S. 595.
Online
Pohl, Dieter, „Schellenberg, Walter", in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 650. [Online]
Schellenberg, Walter, Das Attentat im Münchner Bürgerbräukeller (Auszug aus Schellenbergs Memoiren auf der Website des Georg-Elser-Arbeitskreises). [Online]
Schellenberg, Walter, Der Venlo-Zwischenfall (Auszug aus Schellenbergs Memoiren auf der Website des Georg-Elser-Arbeitskreises). [Online]
Schellenberg, Walter, Die Verfolgung Otto Strassers (Auszug aus Schellenbergs Memoiren auf der Website des Georg-Elser-Arbeitskreises). [Online]
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Holzer, Roland, Walter Friedrich Schellenberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/walter-friedrich-schellenberg/DE-2086/lido/57c94666748638.68144368 (abgerufen am 26.04.2024)