Bonn im Bombenkrieg 1939-1945

Helmut Vogt (Bonn)

Erste Bombenschäden in Beuel (Rheinaustraße), Mai/Juni 1940. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

1. Einleitung

Das heu­ti­ge Stadt­ge­biet von Bonn ist al­li­ier­ten Bom­bar­die­run­gen in sehr un­ter­schied­li­cher In­ten­si­tät aus­ge­setzt ge­we­sen: Glimpf­lich da­von ka­men Bad Go­des­berg, Hardtberg und Ober­kas­sel. Im In­dus­trie­ort Beu­el wa­ren be­son­ders das brü­cken­na­he Zen­trum und die Rhein­front be­trof­fen, des Wei­te­ren in­di­rekt (durch Ex­plo­si­on ei­nes ab­ge­stell­ten Mu­ni­ti­ons­zu­ges) das Ge­biet um den Bahn­hof. Auch in Bonn lit­ten die fluss­na­hen Ge­bie­te am meis­ten, wur­de so­mit vor al­lem die Alt­stadt stark zer­stört. Wer 1949 aus der Bi­zo­nen­haupt­stadt Frank­furt kom­mend mit der Fäh­re ins Links­rhei­ni­sche über­setz­te, sah vor sich ei­ne Rui­nen­land­schaft, über die sich ein­sam die Tür­me des Müns­ters er­ho­ben. Der in Trüm­mern lie­gen­de Stadt­kern, „das Herz der im Zei­ten­lauf groß ge­wor­de­nen Mit­tel­stadt“ (Feh­re), wur­de noch lan­ge als of­fe­ne Wun­de emp­fun­den, be­son­ders im Kon­trast zum groß­bür­ger­li­chen Vil­len­strei­fen rhein­auf­wärts, wel­cher jetzt die Staats­or­ga­ne der frü­hen Bun­des­re­pu­blik be­her­berg­te, oder zu den weit­ge­hend in­tak­ten Grün­der­zeit­vier­teln in Bad Go­des­berg und der Bon­ner Süd­stadt.

Kriegszerstörte Bonner Altstadt von der Stiftskirche aufgenommen, um 1950. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

2. Ernstfallvorbereitungen

Mit der Auf­rüs­tung der eu­ro­päi­schen Luft­waf­fen wuchs das Be­wusst­sein für die Ver­wund­bar­keit der Städ­te im kom­men­den Krieg. Ent­spre­chend gut ein­ge­übt wa­ren die ge­wöhn­li­chen Vor­beu­ge­maß­nah­men. Im­mer­hin zähl­te der Reichs­luft­schutz­bund 1939 über zwölf Mil­lio­nen Mit­glie­der. Die Alarm­übung im No­vem­ber 1936 und die Luft­schutz­teil­übung am 6.3.1936 wa­ren in Bonn be­reits „kriegs­mä­ßi­g“ ge­stal­te­te Ak­tio­nen mit Flie­ger­alarm, Scha­dens­mel­dung und Scha­dens­be­kämp­fung. Ih­re Aus­wer­tung half noch vor­han­de­ne Schwach­stel­len zu fin­den. 35 Luft­schutz­si­re­nen mit ei­nem Ra­di­us von 250 Me­tern in der In­nen­stadt und 500 Me­tern in den Au­ßen­be­zir­ken wa­ren in­stal­liert, Dach­räu­me und Kel­ler ent­rüm­pelt, um dem Feu­er nicht un­nö­tig Nah­rung zu ver­schaf­fen: Nicht das Haus brennt zu­nächst, son­dern die in ihm be­find­li­chen Ge­gen­stän­de. Brand­schutz­übun­gen hat­ten Maß­nah­men zur Scha­dens­be­gren­zung trai­niert. Was­ser, Löschsand und Ge­rät zur schnel­len Feu­er­be­kämp­fung stan­den be­reit. In Beu­eler Au­ßen­be­zir­ken wa­ren, um bei An­grif­fen aus­rei­chend Lösch­was­ser be­reit­stel­len zu kön­nen, Quel­len ge­fasst und Lei­tun­gen ver­legt wor­den. Zu den Luft­schutz­kel­lern in Pri­vat- und Ge­schäfts­häu­sern tra­ten öf­fent­li­che Schutz­räu­me un­ter­schied­li­cher Qua­li­tät. In der Tat „bom­ben­si­cher“ war der 1939 fer­tig ge­stell­te Schutz­raum un­ter dem Al­ten Zoll, be­saß er doch ei­ne Erd­über­de­ckung von 10 Me­tern über dem Ge­wöl­be. Beim Bau der zwei­ten Gas­schleu­se stell­te sich her­aus, dass sich un­ter dem Wirt­schafts­ge­bäu­de im Stadt­gar­ten ein wei­te­rer Schutz­raum für 140 Per­so­nen aus­bau­en ließ, ei­ne im Hin­blick auf den „be­kann­ter­ma­ßen re­gen Ver­kehr auf der Rhein­pro­me­na­de“ von der Stadt­ver­wal­tung gern ge­nutz­te Ge­le­gen­heit, das noch un­zu­rei­chen­de Schutz­raum­an­ge­bot an der Rhein­front zu er­gän­zen.

Un­mit­tel­bar vor Kriegs­aus­bruch fand in Bonn so­wie dem in Luft­schutz­fra­gen an­ge­glie­der­ten Beu­el vom 21.-23.8.1939 ei­ne gro­ße Ver­dun­ke­lungs­übung statt. Am 28.8.1939 schlie­ß­lich wur­de Bonn Teil des Ope­ra­ti­ons­ge­bie­tes im Wes­ten. Deut­sche Sol­da­ten, so die pla­ka­tier­te Be­ru­hi­gung der Zi­vil­be­völ­ke­rung, stün­den be­reit zur „Ab­wehr je­des Fein­des auf der Er­de und in der Luf­t“.

3. Der Bonner Raum in der britischen Zielplanung

Als die Roy­al Air Force (RAF) En­de der 1930er Jah­re mit den Pla­nun­gen zur stra­te­gi­schen Bom­bar­die­rung deut­scher Rüs­tungs­schwer­punk­te be­gann, konn­te man noch nicht von solch rie­si­gen Bom­ber­flot­ten aus­ge­hen, wie sie tat­säch­lich 1944/1945 zur Ver­fü­gung stan­den. Es galt al­so, Prio­ri­tä­ten zu set­zen. Ein Ver­gleich der auf Ba­sis deut­schen Ma­te­ri­als er­stell­ten Ziel­kar­ten (Maß­stab 1: 50.000) für Köln und die süd­li­che Nach­bar­stadt führt die ge­rin­ge Be­deu­tung der Re­gi­on vor Au­gen. Als stra­te­gi­sche Zie­le sind le­dig­lich die Leicht­me­tall­wer­ke und die Rhein­brü­cke aus­ge­wie­sen, da­zu in Bad Go­des­berg die Rings­dorff-Wer­ke, aber kei­ner der zahl­rei­chen Beu­eler In­dus­trie­be­trie­be. Wei­te­re Ob­jek­te im Gro­ß­raum Bonn sind das Ober­kas­se­ler Ze­ment­werk, die Gas- und Elek­tri­zi­täts­ver­sor­gung, Haupt­bahn­hof und Haupt­post so­wie Ka­ser­nen­ge­bäu­de und Mu­ni­ti­ons­la­ger. Laut „Bom­ber-Ba­e­de­cker“-Füh­rer von 1943/1944 war Bonn „im we­sent­li­chen ei­ne Uni­ver­si­täts­stadt“ mit ei­ni­gen klei­ne­ren In­dus­trie­be­trie­ben. Das An­griffs­ziel „Bahn­hof“ wird als „wich­tig für die Re­gi­on“ ein­ge­stuft, nur die Leicht­me­tall­wer­ke, Her­stel­ler von Flug­zeug­tei­len, Bom­ben­tei­len und Bom­ben­zün­dern, gal­ten als „kriegs­wich­ti­g“. Mehr als fünf Jah­re lang, bis zum Herbst 1944, stand Bonn folg­lich nicht als Haupt­an­griffs­ziel in den Pla­nun­gen der bri­ti­schen und ame­ri­ka­ni­schen Luft­waf­fe. Bei den bis da­hin ge­flo­ge­nen An­grif­fen han­del­te es sich ent­we­der um Ver­su­che, den West­feld­zug zu stö­ren oder um „Ge­le­gen­heits- und Aus­weich­zie­le“, um Fäl­le al­so, in de­nen die Bom­ben­last aus di­ver­sen Grün­den nicht über der ur­sprüng­lich aus­ge­wähl­ten Stadt ab­ge­la­den wer­den konn­te.

Wrackteile eines am 29./30.6.1940 bei Lengsdorf abgeschossenen britischen Bombers. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

4. Verschärfter Luftschutz ab 1939/40

Am 2.9.1939 wur­de die Ernst­fall­ver­dun­ke­lung an­ge­ord­net. Die Aus­ga­ben für Stra­ßen­be­leuch­tung san­ken auf 12 Pro­zent des Frie­dens­be­darfs. Die Flug­platz­ver­wal­tung Han­gelar ver­füg­te die so­for­ti­ge Räu­mung der um­lie­gen­den Häu­ser. In Beu­el be­leg­ten die cir­ca 140 Sol­da­ten der Brü­cken­wach­kom­pa­nie Räu­me in der Be­rufs­schu­le. An­de­re Schu­len nutz­ten aus Furcht vor Luft­an­grif­fen nur Erd­ge­schoss und ers­tes Stock­werk. Un­mit­tel­bar zu Kriegs­aus­bruch wur­den al­lein aus der Ge­mein­de Beu­el 230 Mit­glie­der des Si­cher­heits- und Hilfs­diens­tes (SHD) als Ein­greif­trup­pe bei et­wai­gen Luft­an­grif­fen ein­be­ru­fen, in der Haupt­sa­che Hand­wer­ker.

Als nen­nens­wer­te Schä­den aus­blie­ben, zu­gleich in den Be­trie­ben das Feh­len der Fach­kräf­te fühl­bar wur­de, er­reich­te die Ge­mein­de­ver­wal­tung bei der Bon­ner Luft­schutz­lei­tung, dass je­weils die Häl­fe der Män­ner zur Ar­beit in ih­ren Fir­men be­ur­laubt wur­de. Nach wie vor hielt man in 18 Gast­häu­sern 52 Bet­ten frei, um ge­ge­be­nen­falls aus­wär­ti­ge Hand­wer­ker zur Be­sei­ti­gung von Flie­ger­schä­den un­ter­brin­gen zu kön­nen; hin­zu kam ei­ne grö­ße­re An­zahl von Pri­vat­quar­tie­ren.

Ei­ne sys­te­ma­ti­sche Dar­stel­lung des ak­ti­ven Luft­schut­zes steht für den Bon­ner Raum noch aus. Flak­bat­te­ri­en stan­den im Tan­nen­busch, auf dem Hardtberg, in Fries­dorf, zwi­schen Beu­el und Lim­pe­rich, da­zu au­ßer­halb des heu­ti­gen Stadt­ge­bie­tes am Flug­platz Han­gelar so­wie ei­ne Groß­bat­te­rie in Nie­der­kas­sel. Ein nen­nens­wer­ter Schutz durch deut­sche Jagd­flug­zeu­ge be­stand zum Zeit­punkt der schwe­ren An­grif­fe ab Herbst 1944 nicht, da die ver­blie­be­nen Ge­schwa­der in Nord- und Mit­tel­deutsch­land kon­zen­triert wa­ren: Ein­flü­ge nach West­deutsch­land wur­den nicht aus der Luft be­kämpft.

Bau des Öffentlichen Luftschutzraumes am Stiftsplatz, September 1940. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

5. Bunkerbau in der Planung

Als Glücks­fall er­wies sich die Un­kennt­nis der deut­schen Sei­te über die ge­rin­ge Be­deu­tung der Re­gi­on in der al­li­ier­ten Ziel­pla­nung – trotz der La­ge im „luft­ge­fähr­de­ten“ Wes­ten des Rei­ches. Schwer­lich wä­re sonst Bonn (ein­schlie­ß­lich Beu­el) in die Rei­he der 61 „Luft­schutz­or­te 1. Klas­se“ be­zie­hungs­wei­se in das „Füh­rer-So­fort­pro­gram­m“ zur Er­rich­tung von Luft­schutz-Son­der­bau­ten auf­ge­nom­men wor­den. Dann hät­te es das Schick­sal all je­ner oft um ein Mehr­fa­ches grö­ße­ren Städ­te ge­teilt, die 1940 bei der Bun­ker­pla­nung nicht be­dacht wur­den, erst 1944/1945 den Feu­er­sturm er­leb­ten und die höchs­ten Ver­lus­te un­ter der Zi­vil­be­völ­ke­rung auf­wie­sen.

Bau des Bunkers in der Karlstraße, 8.4.1941. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

Auf der po­li­tisch-stra­te­gi­schen Ebe­ne be­deu­te­te der Ent­schluss zum Bau mas­si­ver Schutz­räu­me für die Zi­vil­be­völ­ke­rung das Ein­ge­ständ­nis der Nie­der­la­ge in der „Schlacht um Eng­lan­d“. Oh­ne ge­lun­ge­ne In­va­si­on blieb Deutsch­land der wach­sen­den Zer­stö­rungs­kraft bri­ti­scher Bom­ber aus­ge­setzt, be­vor 1942 die In­sel zu­sätz­li­che Be­deu­tung als „un­ver­senk­ba­rer Flug­zeug­trä­ger“ der US-Luft­waf­fe er­hielt. Die­ses Ar­gu­ment war stär­ker als oft vor­ge­brach­te Ein­wän­de ge­gen den Bau von Groß­bun­kern: Sie bo­ten zwei­fel­los mehr Si­cher­heit, ent­blö­ß­ten gleich­zei­tig die Häu­ser von der schüt­zen­den Hand ih­rer Be­woh­ner. Be­ton­ver­stärk­te Kel­ler, so die Kri­ti­ker des Bun­ker­pro­gramms, wür­den die dort­hin ge­flüch­te­ten Be­woh­ner in die La­ge ver­set­zen, un­mit­tel­bar nach dem An­griff oh­ne Zeit­ver­lust die Haus­brän­de noch im Ent­ste­hen er­folg­reich zu be­kämp­fen.

Der Bunker in der Karlstraße nach dem Angriff vom 18.4.1944. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

Am 14.11.1940 wur­den die Bau­re­fe­ren­ten der aus­ge­wähl­ten Städ­te in Ber­lin über die Grund­zü­ge des Bun­ker­pro­gramms in­for­miert. In­ner­halb we­ni­ger Wo­chen wa­ren die Vor­be­rei­tun­gen vor Ort so weit ab­zu­schlie­ßen, dass mit der Be­to­nie­rung be­gon­nen wer­den konn­te. Bonn und Beu­el er­hiel­ten ins­ge­samt 14 auf Rech­nung des Rei­ches er­rich­te­te Groß­bau­ten zu­ge­bil­ligt. Da­mit stan­den der Be­völ­ke­rung min­des­tens 12.000 Plät­ze in der höchs­ten Ka­te­go­rie der Schutz­bau­ten zur Ver­fü­gung, nach Um­wid­mung von Lie­ge- in Sitz­plät­ze 1944 noch ein­mal 3.000 zu­sätz­li­che Ein­hei­ten, in der Rea­li­tät der Bom­ben­näch­te in Fol­ge von Über­be­le­gung weit mehr. Wäh­rend die zu­nächst ge­plan­ten Bau­vor­ha­ben auch rea­li­siert wur­den, fiel Bonn aus der so ge­nann­ten „2. Wel­le bom­ben­si­che­rer Luft­schutz­bau­ten“ her­aus: Die ge­rin­ge An­griff­s­in­ten­si­tät ließ ein Auf­sto­ckung nicht dring­lich er­schei­nen, zu­dem kon­kur­rier­te der Luft­schutz in­zwi­schen mit den Auf­wen­dun­gen für die Si­che­rung der In­dus­trie­pro­duk­ti­on und ab Herbst 1942 mit dem At­lan­tik­wall um knap­pe Be­ton- und Bau­stahl­zu­tei­lun­gen. Bis Mit­te 1944 floss in den mi­li­tä­ri­schen Schutz der „Fes­tung Eu­ro­pa“ fast dop­pelt so viel Ma­te­ri­al wie in die Bun­ker­bau­ten.

6. Die Bunkerstandorte

Bei der Ver­tei­lung der Groß­bau­ten fällt die Kon­zen­tra­ti­on auf den In­nen­stadt­rand und die Vor­or­te auf. Für das dicht be­bau­te Bon­ner Zen­trum hielt man be­helfs­mä­ßig ein­ge­rich­te­te Öf­fent­li­che Luft­schutz­räu­me dort für aus­rei­chend, wo man nicht auf be­ste­hen­de Kel­ler be­zie­hungs­wei­se al­te Be­fes­ti­gungs­an­la­gen zu­rück­grei­fen konn­te. Der rie­si­ge Thea­ter­bun­ker (Tief­bau süd­lich der heu­ti­gen Beet­ho­ven­hal­le) re­flek­tiert die Ge­fähr­dung durch die Nä­he des An­griffs­ziels Rhein­brü­cke. Den sie­ben­stö­cki­gen Wind­eck­bun­ker hat­te die Stadt­ver­wal­tung aus städ­te­bau­li­chen Grün­den zu­nächst ab­ge­lehnt. Die Luft­schutz­be­hör­de ver­lang­te ei­ne bom­ben­si­che­re Be­fehls­stel­le, in den Stock­wer­ken dar­über noch wei­te­re bom­ben­si­che­re Räu­me. Sie setz­te sich durch, denn die Kom­mu­nen hat­ten we­der Ein­fluss auf die mi­li­tä­ri­sche Luft­ver­tei­di­gung noch den bau­li­chen Luft­schutz. So ent­stand der ein­zi­ge Hoch­bun­ker im Stadt­zen­trum. Als drit­ter in­nen­stadt­na­her Schutz­bau dien­te der Bun­ker Quan­ti­us­stra­ße mit über 1.500 Sitz­plät­zen nicht pri­mär als Wohn­bun­ker, son­dern als Zu­flucht für Bahn­rei­sen­de bei Luft­an­grif­fen.

Der Dransdorfer Krankenhausbunker während der Bauzeit, 16.12.1942. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

Ei­nen wei­te­ren Schwer­punkt bil­de­ten die Hoch­bun­ker an der Karl­stra­ße und am Schlacht­hof so­wie der gro­ße Tief­bun­ker zum Schut­ze der An­woh­ner und Be­su­cher des Gro­ß­mark­tes. Wo die ört­li­chen Ver­hält­nis­se es zu­lie­ßen, griff man auf bil­li­ge­re Stol­len­bau­ten zu­rück, so an der Trie­rer Stra­ße in Pop­pels­dorf und im Fal­le des Drans­dor­fer Kran­ken­haus­bun­kers. Wei­te­re Hoch­bun­ker auf Bon­ner Ge­biet ent­stan­den in Kes­se­nich (Bun­ker Lo­thar­stra­ße), Dot­ten­dorf (Quirins­platz) und der Gro­nau (1950 über­baut durch klei­nes Ab­ge­ord­ne­ten­haus). Beu­el er­hielt je ei­nen klei­nen Bun­ker in Pütz­chen, wo die Kel­ler der schlich­ten Wohn­häu­ser nicht stark ge­nug er­schie­nen oder we­gen des ho­hen Grund­was­ser­spie­gels fehl­ten, und in Vi­lich-Mül­dorf, das durch die Nä­he des Flug­plat­zes Han­gelar ge­fähr­det schien. Für die Be­woh­ner des Rhein­ufers, die bei An­grif­fen auf Bonn oder die Brü­cke be­son­ders be­trof­fen wa­ren, wur­de der Groß­bau an der heu­ti­gen Goe­the­al­lee er­rich­tet.

Erste Bombenschäden in Beuel (Rheinaustraße), Mai/Juni 1940. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

7. Bunkerbau: Durchführung

Die Schnel­lig­keit der Um­set­zung des Bun­ker-Bau­pro­gramms ist be­mer­kens­wert: Fünf der 14 An­la­gen wa­ren be­reits Mit­te 1941 fer­tig, sie­ben wei­te­re im Spät­herbst/Win­ter des­sel­ben Jah­res. Die Bau­zeit be­trug je­weils nur we­nig mehr als ein hal­bes Jahr. Er­fah­run­gen bei der Er­rich­tung der ers­ten Bun­ker flos­sen in die Aus­füh­rung der nächst­fol­gen­den ein. Lang­wie­ri­ger war der Bau des Kran­ken­haus­bun­kers in Drans­dorf. Er lag so tief im Berg, dass Schutz­su­chen­de und Pa­ti­en­ten die spä­te­ren An­grif­fe auf Bonn kaum be­merk­ten.

Die am 17.4.1943 zerstörte Klufterstraße in Friesdorf. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

Je­weils ein Drit­tel der ein­ge­setz­ten Ar­beits­kräf­te stell­ten fran­zö­si­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne aus dem Mann­schafts­stamm­la­ger Du­is­dorf (Sta­lag VI G). Sie wa­ren wäh­rend der Ar­bei­ten na­he den Bau­stel­len un­ter­ge­bracht. Ein Ver­gleich der Bau­kos­ten ver­deut­licht den Preis, den ei­ne wirk­lich si­che­re Schutz­raum­ver­sor­gung hat­te: Bei an­nä­hernd glei­chem Platz­an­ge­bot in den 94 Öf­fent­li­chen Luft­schutz­räu­men und den 14 Bun­kern wa­ren letz­te­re in der Aus­füh­rung mehr als dop­pelt so teu­er.

8. Lokale Rivalitäten und Eigeninitiative

An­ge­sichts der an den Rän­dern zer­streu­ten Be­bau­ung der Bon­ner Re­gi­on konn­te die Schutz­raum­ver­sor­gung nie­mals flä­chen­de­ckend sein. Als sich die An­grif­fe häuf­ten und sich die Zer­stö­rungs­kraft der Spreng­bom­ben ver­viel­fach­te, we­gen der an­ge­spann­ten Ma­te­ri­al­la­ge aber kei­ne Hoch­bau­ten mehr ge­neh­migt wur­den, kam es un­wei­ger­lich zu Pro­tes­ten. In En­de­nich muss­te der NS­DAP-Orts­grup­pen­lei­ter ei­ne an­ge­lau­fe­ne Un­ter­schrif­ten­samm­lung un­ter­bin­den: Die Be­völ­ke­rung sei „sehr er­bos­t“, füh­le sich „zu­rück­ge­setzt, dass in fast al­len, so­gar ab­ge­le­ge­nen Stadt­tei­len längst Bun­ker ge­baut wur­den“, schimp­fe über die stief­müt­ter­li­che Be­hand­lung durch die Stadt­ver­wal­tung. Die­se ließ ei­nen U-för­mi­gen Stol­len in den Berg trei­ben, von bei­den En­den her. Ob­wohl die Ver­bin­dung bei­der Ab­schnit­te nie­mals fer­tig wur­de, be­nutz­ten bis zu 800 Schutz­su­chen­de das grö­ße­re der bei­den Teil­stü­cke: Bei Ver­schüt­tung des Ein­gangs an der Al­fred-Bu­che­rer-Stra­ße wä­re der Stol­len zum Mas­sen­grab ge­wor­den.

Auch in Lengs­dorf bo­ten 1944 die vor­han­de­nen Gar­ten­bun­ker kei­nen aus­rei­chen­den Schutz ge­gen die ein­ge­setz­ten Spreng­bom­ben, so dass ein Stol­len in den Kreuz­berg ge­trie­ben wur­de. Ähn­li­ches gilt für Bad Go­des­berg: Ein von der Fir­ma Go­de­sia pro­jek­tier­ter huf­ei­sen­för­mi­ger Stol­len un­ter der Burg soll­te aus­schlie­ß­lich für die Be­leg­schaft be­stimmt sein. An­ge­sichts feh­len­der Ar­beits­kräf­te warb man spä­ter in­ter­es­sier­te An­woh­ner ge­gen Nut­zungs­er­laub­nis zur Mit­hil­fe an. In Beu­el, wo ver­gleichs­wei­se we­ni­ge Plät­ze in Öf­fent­li­chen Luft­schutz­räu­men und Bun­kern zur Ver­fü­gung stan­den, setz­te man not­ge­drun­gen auf die Er­tüch­ti­gung pri­va­ter Kel­ler. Die Auf­wen­dun­gen hier­für er­reich­ten im­mer­hin 60 Pro­zent der im fünf­mal grö­ße­ren Bonn ver­bau­ten Sum­me. Vie­le Be­rich­te von Zeit­zeu­gen aus den Vor­or­ten er­wäh­nen selbst er­rich­te­te Schutz­räu­me. Ei­ne letz­te po­li­zei­li­che Über­prü­fung vom 20.2.1945 för­der­te ei­ne um­fang­rei­che Lis­te nicht zu­ge­las­se­ner, aber trotz ent­spre­chen­der Be­schil­de­rung bei Alarm auf­ge­such­ter Luft­schutz­räu­me und De­ckungs­grä­ben zu Ta­ge.

Am 12.8.1943 zerstörter Südflügel des Beueler St. Josef-Hospitals. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

9. Relative Sicherheit bis 1944

Erst am 17.6.1942 wird Bonn im Kriegs­ta­ge­buch des bri­ti­schen Bom­ber Com­mand über­haupt er­wähnt, und auch dann nur als Aus­weich­ziel. Von den 102 RAF-Luft­an­grif­fen des Jah­res 1942 ge­gen Deutsch­land und die be­setz­ten West­ge­bie­te gal­ten sechs dem be­nach­bar­ten Köln, 14 der Rüs­tungs­schmie­de Es­sen, kein ein­zi­ger dem Bon­ner Raum. Der ers­te An­griff auf Bonn am Mor­gen des 22.5.1940 war Teil ei­ner um­fang­rei­chen Luf­t­ope­ra­ti­on ge­gen Ei­sen­bahn­ver­bin­dun­gen im Wes­ten, so­weit sie der Un­ter­stüt­zung des deut­schen Vor­marschs in Frank­reich dien­ten. Die 37 ab­ge­wor­fe­nen Bom­ben kon­zen­trier­ten sich auf das Are­al zwi­schen Gü­ter­bahn­hof und Drans­dor­fer Weg, die Um­ge­bung des El­ler­bahn­hofs und die in Gleis­nä­he ge­le­ge­nen Wohn­ge­bie­te. Trotz der elf To­ten und 16 Ver­letz­ten zeig­te sich die Luft­schutz­lei­tung be­frie­digt dar­über, dass selbst bei Voll­tref­fern auf Wohn­häu­ser die im Kel­ler ge­le­ge­nen Schutz­räu­me ge­hal­ten hat­ten. Die Mehr­zahl der Op­fer ver­brann­te in ei­ner un­ge­schütz­ten Wohn­ba­ra­cke. Die Feu­er­wehr konn­te das Aus­grei­fen des Bran­des auf ein be­nach­bar­tes Tank­la­ger ver­hin­dern.

Beim Auf­räu­men der Woh­nun­gen und an der Ber­gung von Haus­rat be­tei­lig­ten sich am nächs­ten Tag Par­tei­mit­glie­der und 100 Stu­den­ten der Uni­ver­si­tät. Ne­ben zahl­rei­chen Schau­lus­ti­gen aus Bonn und Um­ge­bung reis­ten „aus al­len Tei­len des Rei­ches“ Ver­tre­ter von Luft­schutz und Po­li­zei an, zum Teil so­gar per Flug­zeug, um die Er­fah­run­gen mit den Schutz­ein­rich­tun­gen und der Or­ga­ni­sa­ti­on von Hilfs­maß­nah­men zu stu­die­ren. In­ter­es­siert re­gis­trier­te man, dass Turm­be­ob­ach­ter (zum Bei­spiel auf dem Kreuz­berg) der ört­li­chen Luft­schutz­lei­tung er­laub­ten, ge­ziel­te Ret­tungs- und Hilfs­maß­nah­men mög­lichst früh­zei­tig ein­zu­set­zen.

Die erste Seite des Zeitzeugenberichts eines Bewohners der Bonner Bachstraße über den ersten Bombenangriff auf Bonn, 23.5.1940. (Privatbesitz Thomas Tack)

 

In Ober­kas­sel wur­de am 25./26.5.1940 ein Wohn­haus in Bahn­hofs­nä­he zer­stört. We­nig Scha­den rich­te­ten die ers­ten Bom­ben auf Beu­eler Ge­biet (3./4. und 11. Ju­ni) an, wäh­rend in Muf­fen­dorf am 9. Ju­ni ei­ne Frau durch Bom­ben­ab­wurf ge­tö­tet wur­de. Die ge­rin­ge An­griffs­tä­tig­keit des Jah­res 1941 for­der­te in Bonn ein Op­fer, in Bad Go­des­berg sie­ben.

Im Fol­ge­jahr ver­lo­ren in Bonn am 15.4.1942 20 Men­schen ihr Le­ben, 448 ih­re Woh­nung. Die schwe­ren Nacht­an­grif­fe der RAF auf West­deutsch­land („batt­le of the Ruhr“) von März bis Ju­ni 1943 be­rühr­ten die Uni­ver­si­täts­stadt kaum, kos­te­ten aber in Fries­dorf 26 To­te, als am frü­hen Mor­gen des 17. April ei­ne Luft­mi­ne in der Kluft­er­stra­ße nie­der­ging. Weil es kei­nen aku­ten Luft­alarm gab, la­gen die meis­ten Men­schen noch in den Bet­ten. Die Bei­set­zung der Op­fer auf dem Fried­hof An­na­ber­ger Stra­ße nutz­te NS-Bür­ger­meis­ter Alef zu ei­ner Hass­re­de ge­gen „dunk­le Kräf­te ei­ner jü­disch-plu­to­kra­ti­schen Schicht, die nicht ha­ben will, dass Deutsch­land in Frie­den sein Brot ver­die­nen kan­n“.

Am Mor­gen des 12.8.1943 stie­gen in Eng­land 330 ame­ri­ka­ni­sche B-17-Bom­ber der 8. Luft­flot­te auf. Ein Teil der Ma­schi­nen hat­te die Stahl­wer­ke in Bo­chum, die Stadt Reck­ling­hau­sen so­wie Hy­drier­an­la­gen (zur Pro­duk­ti­on syn­the­ti­schen Ben­zins) in Gel­sen­kir­chen zum Ziel. Die süd­li­che Ein­satz­grup­pe galt den Hy­drier­wer­ken in Wes­se­ling. Als die An­la­gen we­gen Ver­ne­be­lung nicht aus­zu­ma­chen wa­ren, ent­schied man sich zum An­griff auf das Aus­weich­ziel Bonn. Zwi­schen 8.50 und 8.58 Uhr war­fen 106 Ma­schi­nen 220 Ton­nen Spreng- und Brand­bom­ben auf die Stadt. Fünf Bon­ner Kran­ken­häu­ser und das Beu­eler Jo­sefshos­pi­tal wur­den ge­trof­fen, Tei­le der (al­ten) Beet­ho­ven­hal­le und des Boe­sel­ager­hofs zer­stört. Der bis da­to schwers­te An­griff der Re­gi­on kos­te­te in Bonn und Beu­el mehr als 200 Men­schen das Le­ben. 37 Ma­schi­nen hat­ten die Stadt ver­fehlt, 16 die­ser Bom­ber ver­zeich­ne­ten No­t­ab­wür­fe, als das von deut­schen Jä­gern an­ge­grif­fe­ne Füh­rungs­flug­zeug sei­ne Last aus­klink­te und die nach­fol­gen­den Ma­schi­nen das­sel­be an­geb­li­che Ziel bom­bar­dier­ten.

Die zweite Seite des Zeitzeugendokuments, 23.5.1940. (Privatbesitz Thomas Tack)

 

10. Illusionen

Trotz der be­trächt­li­chen Schä­den, die der US-Tagan­griff an Kran­ken­häu­sern be­wirk­te, klam­mer­ten sich zahl­rei­che Men­schen bis weit in das Jahr 1944 hin­ein an die Hoff­nung, Bonn wer­de als „La­za­rett­stadt“ oder als „Ro­te-Kreuz-Stadt“ von Flä­chen­zer­stö­run­gen ver­schont blei­ben. Der Ober­kas­se­ler Bür­ger­meis­ter be­klag­te den Ruf sei­ner Ge­mein­de als „ru­hi­ger“ Wohn­platz: „Im­mer wie­der kom­men Fa­mi­li­en aus den luft­ge­fähr­de­ten In­dus­trie­ge­bie­ten und ver­lan­gen im hie­si­gen Be­zirk ei­ne Woh­nung.“ In Go­des­berg setz­ten po­pu­lä­re Il­lu­sio­nen auf die An­we­sen­heit der so ge­nann­ten „Aus­tausch­grup­pe“. Dies wa­ren ur­sprüng­lich bei der Vichy-Re­gie­rung in Frank­reich ak­kre­di­tier­te Di­plo­ma­ten, die vom 11.2.1943 bis zum Früh­jahr des Fol­ge­jah­res im Rhein­ho­tel Dree­sen in­ter­niert wa­ren. „Soll­te Go­des­berg wirk­lich bom­bar­diert wer­den“, schrieb der Schwei­zer Ge­ne­ral­kon­sul von Weiss am 7.7.1943, „wä­re das ei­ne Ka­ta­stro­phe son­der­glei­chen, denn je­der glaubt sich hier un­ter dem Schutz der Vichy-Di­plo­ma­ten si­cher. Wenn die­se Ge­gend an­ge­grif­fen wür­de, ge­nü­gen ei­ni­ge Bom­ben, um gan­ze Dör­fer dem Erd­bo­den gleich­zu­ma­chen. Ei­ne Fla­k­ab­wehr exis­tiert hier nicht und Luft­schutz­kel­ler sind auch nicht vor­han­den.“ Die nach Ab­rei­se der Di­plo­ma­ten im Ho­tel Dree­sen fest­ge­hal­te­nen fran­zö­si­schen Of­fi­zie­re und Prä­fek­ten ver­spra­chen in den Au­gen der Orts­be­völ­ke­rung kei­nen ad­äqua­ten Schutz.

11. Hilfen für Köln

Zeit­ge­nös­si­sche Quel­len und Zeit­zeu­gen ha­ben die ra­sche und un­bü­ro­kra­ti­sche Hil­fe von Staats- und Par­tei­stel­len für die Op­fer der ers­ten An­grif­fe her­aus­ge­stellt. Die Ob­dach­lo­sen wa­ren je­weils in­ner­halb von acht Stun­den un­ter­ge­bracht und trotz Eng­päs­sen mit Klei­dung ver­sorgt. Zum Er­satz ver­lo­re­nen Mo­bi­li­ars kauf­te die Stadt­ver­wal­tung den Be­stand ei­nes Mö­bel­ge­schäf­tes auf. Die mehr als 4.000 Schlaf­plät­ze in 19 Bon­ner Schu­len stan­den auch Aus­ge­bomb­ten stär­ker be­trof­fe­ner Nach­bar­städ­te of­fen. Man­gels Quar­tier in Köln wa­ren in der Er­me­keil­ka­ser­ne 350 Hand­wer­ker un­ter­ge­bracht, die Mit­te 1942 bei der Be­sei­ti­gung von Schä­den des ers­ten 1.000-Bom­ber-An­griffs auf die Dom­stadt mit­wirk­ten. Ein hal­bes Jahr zu­vor hat­te man noch Köl­ner Ver­su­che ab­weh­ren müs­sen, beim Bun­ker­bau ein­ge­setz­te Kriegs­ge­fan­ge­ne ab­ge­ben zu müs­sen.

Nach den ver­hee­ren­den Zer­stö­run­gen von 1943 nahm Bonn cir­ca 3.000 teil­wei­se per Schiff aus Köln her­aus­ge­brach­te Ob­dach­lo­se auf. 29 Be­diens­te­te des Bon­ner Gar­ten- und Fried­hofs­am­tes wur­den nach Köln ent­sandt – aus­schlie­ß­lich zur Lei­chen­ber­gung! In ei­ner Zeit, in der Ho­heits­trä­ger der NS­DAP den be­schä­dig­ten Ruf der „Gold­fa­sa­ne“ durch ih­ren Ein­satz für Bom­ben­ge­schä­dig­te auf­zu­po­lie­ren ver­moch­ten, war es nicht un­wich­tig, wem die ent­spre­chen­den Ver­diens­te zu­ge­schrie­ben wur­den. Ent­spre­chend wü­tend re­agier­te der Köl­ner Kreis­lei­ter Schal­ler auf an­geb­li­che Ver­su­che aus Bonn, „die ver­dien­te An­er­ken­nung über die gro­ßar­ti­gen Be­treu­ungs­maß­nah­men der Par­tei in Köln aus An­lass der vier schwe­ren Ter­ror­an­grif­fe [zu] tei­len“.

Kinder auf den Trümmern eines am 27.4.1943 über dem Kottenforst explodierten britischen Halifax-Bombers. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

12. Die Zerstörung am 18.10.1944

Wenn es in der Welt­krieg­s­chro­nik deut­scher Städ­te ei­nen Schwar­zen Tag gibt, ist dies für Bonn und Beu­el der 18.10.1944 ge­we­sen. Die zeit­li­che Ver­tei­lung der Ver­lus­te auf die ge­sam­te Kriegs­dau­er be­stä­tigt, wie be­rech­tigt der ban­ge Op­ti­mis­mus vie­ler Men­schen vie­le Mo­na­te lang ge­we­sen war: 80 Pro­zent der Bon­ner Luft­kriegs­op­fer kon­zen­trie­ren sich auf das letz­te von fünf­ein­halb Kriegs­jah­ren, be­gin­nend mit den 55 To­ten des An­griffs vom 4.2.1944. Noch stär­ker gilt die­se Fest­stel­lung für die ma­te­ri­el­len Schä­den. Zum Stich­tag 1.5.1944 wa­ren aus ei­nem Ge­samt­be­stand von über 27.000 Woh­nun­gen ge­ra­de ein­mal 500 to­tal zer­stört, wei­te­re 100 Ein­hei­ten un­ter Be­din­gun­gen der Kriegs­wirt­schaft nicht zu re­pa­rie­ren. Bei Wirt­schafts­ge­bäu­den wur­de der Zer­stö­rungs­grad mit 2 Pro­zent an­ge­ge­ben, da­von zwei Fünf­tel re­pa­ra­bel. Trotz ei­ni­ger zwei­fel­los hart be­trof­fe­ner Scha­dens­ge­bie­te bleibt als grund­sätz­li­che Tat­sa­che fest­zu­hal­ten, dass Bonn vor dem Flä­chen­bom­bar­de­ment des 18.10.1944 weit­ge­hend von den Schre­cken des Luft­krie­ges ver­schont ge­blie­ben war. Die­se Son­der­stel­lung un­ter den Groß­städ­ten im Wes­ten soll­te ihm nun zum Ver­häng­nis wer­den.

Luftbild der Bonner Innenstadt vor dem RAF-Angriff am 18.10.1944. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

13. Britische Planungen des Tagangriffs

Bald nach Kriegs­aus­bruch hat­te die RAF-Füh­rung die Un­mög­lich­keit ein­ge­se­hen, Punkt­zie­le aus der Luft zu tref­fen, oh­ne die Bom­ber­be­sat­zung un­trag­bar ho­hen Ver­lus­ten aus­zu­set­zen. Die Ant­wort wa­ren nächt­li­che Flä­chen­bom­bar­de­ments („area-bom­bin­g“) von Stadt­zen­tren, um gleich­zei­tig In­dus­trie­an­la­gen und Ver­kehrs­we­ge zu zer­stö­ren, Ver­sor­gung und öf­fent­li­che Ver­wal­tung zu be­hin­dern, die Ar­beits­fä­hig­keit der Zi­vil­be­völ­ke­rung zu ver­min­dern und die ih­rer Woh­nung und Ha­be Be­raub­ten zu de­mo­ra­li­sie­ren, ein­schlie­ß­lich der im Fel­de ste­hen­den Ehe­män­ner und Söh­ne. Ei­ne zu­neh­mend wirk­sa­me­re Kom­bi­na­ti­on von Spreng- und Brand­bom­ben und die Kon­zen­tra­ti­on des An­griffs auf die eng be­bau­te mit­tel­al­ter­li­che oder früh­neu­zeit­li­che In­nen­stadt mit ih­ren zahl­rei­chen Holz­bau­ten stei­ger­te die Wir­kung. „Bar­ba­risch aber sinn­vol­l“ (Overy) nen­nen die­je­ni­gen das Ver­fah­ren, wel­che dem stra­te­gi­schen Bom­ben­krieg ei­ne kriegs­ver­kür­zen­de Wir­kung zu­bil­li­gen. Nicht von der Hand zu wei­sen ist, dass Mit­te 1944, als die west­li­chen Al­li­ier­ten durch­aus über al­ter­na­ti­ve Kriegs­mit­tel ver­füg­ten, die Flä­chen­an­grif­fe ge­gen die Mo­ral der Zi­vil­be­völ­ke­rung ei­ne un­heil­vol­le Ei­gen­dy­na­mik ent­wi­ckelt hat­ten: Al­lein die Exis­tenz gro­ßer Bom­ber­ka­pa­zi­tä­ten be­stimm­te die Ein­sät­ze stär­ker als die rei­ne mi­li­tä­ri­sche Not­wen­dig­keit.

Im Spät­som­mer wa­ren mit Aus­nah­me Süd­deutsch­lands die meis­ten deut­schen Groß­städ­te im Kern so zer­stört, dass wei­te­re Flä­chen­bom­bar­die­run­gen we­nig Sinn er­ga­ben. Punkt­zie­le und die ver­blie­be­nen klei­ne­ren Städ­te wa­ren bei Nacht­an­grif­fen schlecht zu tref­fen. Man ar­bei­te­te al­so an ei­nem neu­en Ra­dar ge­stütz­ten Na­vi­ga­ti­ons­ver­fah­ren („GH-Sys­te­m“), das prä­zi­se Tagan­grif­fe er­mög­li­chen soll­te. Es war im Som­mer 1944 ein­satz­be­reit, aber auf ei­ne Ent­fer­nung von 200 Ki­lo­me­tern zwi­schen Bo­den­sta­ti­on und Flug­zeug be­schränkt. Die Er­obe­rung Frank­reichs lös­te die­ses Pro­blem, zu­min­dest für Zie­le ent­lang der Rhein­schie­ne. Um die An­griffs­wir­kung be­ur­tei­len zu kön­nen, be­durf­te es ei­ner noch weit­ge­hend un­zer­stör­ten grö­ße­ren Stadt: Bonn.

14. Der Angriff

Für den 18. Ok­to­ber sag­ten bri­ti­sche Me­teo­ro­lo­gen ei­ne Wol­ken­de­cke über Bonn vor­aus, un­ab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung für den Ver­such, denn die Bom­bar­die­rung soll­te aus­drück­lich nicht auf Sicht er­fol­gen, son­dern auf das Si­gnal der GH-Sta­ti­on Com­mer­cy (bei Nan­cy) hin. Die 129 am Mor­gen in Nor­folk ge­star­te­ten Lan­cas­ter-Bom­ber tru­gen ei­ne aus­ge­spro­chen ho­he Last an Mi­nen-, Spreng- und Brand­bom­ben: Mehr als fünf Ton­nen pro Flug­zeug in nur sechs Mi­nu­ten über ei­nem be­grenz­ten Ziel ab­ge­wor­fen, hät­ten, wä­re der An­griff nach Plan ver­lau­fen, das ver­gleichs­wei­se klei­ne Zen­trum der Stadt förm­lich aus­ra­diert. Als die Bom­ber um 11 Uhr über Bonn er­schie­nen, ver­zeich­ne­te die GH-Sta­ti­on Com­mer­cy ei­nen tech­ni­schen De­fekt. Der Sen­de­im­puls wur­de schwä­cher, fiel um 11.03 Uhr ganz aus. Nur die Hälf­te der Füh­rer­flug­zeu­ge emp­fing noch das Aus­lö­se­si­gnal. Da­für hat­ten sich die Wol­ken auf­ge­löst. Wie die spä­te­re Pho­to­aus­wer­tung be­leg­te, war­fen nur 21 Be­sat­zun­gen ih­re Bom­ben über dem Stadt­zen­trum (gut 900 Me­ter um den Markt­platz) ab. Zahl­rei­che Ab­wür­fe lan­de­ten weit ver­streut oder au­ßer­halb des Stadt­ge­biets. 25 Ton­nen Bom­ben wur­den zu­rück nach Eng­land ge­bracht. „Un­ter Sicht­be­din­gun­gen“, be­wer­tet der Ab­schluss­be­richt den An­griff, „war er ei­ni­ger­ma­ßen er­folg­reich. [...] Für ei­nen GH-An­griff war das Er­geb­nis ent­täu­schend.“ Durch wei­te­re Er­pro­bungs­ein­sät­ze wäh­rend des Ok­to­ber ge­wan­nen die Bri­ten so viel Er­fah­rung, dass das neue Na­vi­ga­ti­ons­sys­tem am 6.11.1944 über Ko­blenz sei­ne Taug­lich­keit ver­nich­tend (1.000 Op­fer, 87 Pro­zent der Bau­sub­stanz zer­stört) be­wei­sen konn­te.

Luftbild der Bonner Innenstadt nach dem RAF-Angriff am 18.10.1944. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

15. Die Zerstörungswirkung

Auch wenn es am Bo­den nicht zum al­les ver­zeh­ren­den Feu­er­sturm ge­kom­men ist: Die Wucht des An­griffs im Ge­biet der Bon­ner In­nen­stadt über­traf das Vor­aus­ge­gan­ge­ne bei wei­tem. Das Grau­en des In­fer­nos, die De­to­na­tio­nen, Feu­er­wän­de, gräss­lich ver­stüm­mel­te Lei­chen, das Schrei­en der Ver­wun­de­ten, das Klop­fen der Ver­schüt­te­ten, die Hit­ze glü­hen­der Koks­vor­rä­te in den Kel­lern le­ben in zahl­rei­chen Zeit­zeu­gen­be­rich­ten wie­der auf. Na­he­zu völ­lig ver­nich­te­ten die Bom­ben die Bon­ner Alt­stadt, rhein­auf bis zur Zwei­ten Fähr­gas­se, in Ge­gen­rich­tung bis zur Wachs­blei­che, im Wes­ten hin zur Bahn­li­nie. Kom­plett aus­ge­löscht war das dicht be­bau­te Rhein­vier­tel: Ein­ein­halb Jah­re nach Kriegs­en­de weist die Volks­zäh­lung hier ei­nen Be­völ­ke­rungs­rück­gang von 9.815 auf 751 Ein­woh­nern aus, al­le­samt Rui­nen­be­woh­ner jetzt. Die um­fang­rei­che Ver­nich­tung von Woh­nun­gen ließ 20.000 Ob­dach­lo­se zu­rück. Über 300 Men­schen star­ben, 1.000 wur­den durch den An­griff ver­letzt. Un­ter den ge­bors­te­nen oder aus­ge­brann­ten öf­fent­li­chen Ge­bäu­den Schu­len, Kir­chen, das Stadt­thea­ter, der gro­ße Kli­nik­kom­plex am Rhein, Arndt-Haus und „Le­se“ an der Ko­blen­zer Stra­ße, das his­to­ri­sche Rat­haus am Markt und, an ih­rem Grün­dungs­tag, die Uni­ver­si­tät im ehe­mals kur­fürst­li­chen Schloss.

Nachgestelltes Foto der Einnahme Bonns durch US-Truppen, März 1945. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

Stell­ver­tre­tend für die Ver­nich­tung von Kul­tur­gut sei­en die Buch­be­stän­de der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek ge­nannt. We­sent­li­che Tei­le wa­ren seit Herbst 1942, als die ers­ten schwe­ren An­grif­fe auf Städ­te er­folg­ten, vor­sorg­lich aus­ge­la­gert wor­den. Von den cir­ca 200.000 Bän­den, die für den Lehr­be­trieb be­nö­tigt wur­den, sind im zer­stör­ten Ost­flü­gel des Schlos­ses neun Zehn­tel ver­nich­tet wor­den. Ge­ret­tet wer­den in­mit­ten bren­nen­der Nach­bar­ge­bäu­de konn­te das Ge­burts­haus Beet­ho­vens, heu­te ein Ma­gnet für aus­wär­ti­ge Be­su­cher. Kas­tel­lan Has­sel­bach ver­moch­te, spä­ter un­ter­stützt durch SHD und Feu­er­wehr, ein Über­grei­fen der Flam­men zu ver­hin­dern. In Beu­el, wo ent­lang der stark ge­trof­fe­nen Rhein­front 100 Ge­bäu­de ver­nich­tet und wei­te­re 1.100 be­schä­digt wur­den, ver­zeich­ne­te auch die In­dus­trie zer­stör­te Pro­duk­ti­ons­an­la­gen. 23 Frau­en, zwölf Män­ner und acht Kin­der wur­den ge­tö­tet, 15 Men­schen ver­letzt.

Schäden des Luftangriffes vom 1.2.1945 in Bad Godesberg, Bahnhofstraße/Moltkestraße. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

16. Opferversorgung

Ein­däm­mung und Be­kämp­fung der Scha­dens­feu­er, Aus­gra­ben von Ver­schüt­te­ten, Ber­gung und Ver­sor­gung Ver­letz­ter: Über­all wur­den nach An­griffsen­de hel­fen­de Hän­de ge­braucht, über­all fehl­te es, so wird be­rich­tet, an zu­pa­cken­den Ar­men. Mehr als 15.000 Bon­ner Män­ner im bes­ten Al­ter wa­ren 1944 zu Wehr­macht, Reichs­ar­beits­dienst und Or­ga­ni­sa­ti­on Todt ein­be­ru­fen, ei­ne Zahl, die auch nicht an­nä­hernd durch Kriegs­ge­fan­ge­ne, Zwangs­ar­bei­ter, in der Re­gi­on sta­tio­nier­te Sol­da­ten, Ur­lau­ber oder et­wa die Leh­rer der in­zwi­schen ge­schlos­se­nen Schu­len aus­ge­gli­chen wer­den konn­te. Die vor­han­de­nen Kräf­te un­mit­tel­bar nach der Ent­war­nung best­mög­lich zu ver­wen­den, er­for­der­te von der Ein­satz­lei­tung schnel­le und nicht sel­ten har­te Ent­schei­dun­gen.

Unzerstörte Gallwitz-Kaserne in Duisdorf, seit 1949/50 Sitz des Bundeswirtschaftsministeriums. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

Auf­fang­stel­len für Bom­ben­ge­schä­dig­te be­fan­den sich im Bür­ger­ver­ein, der Ju­gend­her­ber­ge und der Wil­helm­schu­le, zu­sätz­lich in Gast­stät­ten. Sie wa­ren mit je ei­nem po­li­ti­schen Lei­ter der NS­DAP und ei­ner Ver­tre­te­rin der NS-Frau­en­schaft be­setzt. Für Bonn sah der Ein­satz­plan für den Fall der Alarm­stu­fe „Gro­ßan­grif­f“ die Eva­ku­ie­rung von bis zu 12.500 Aus­ge­bomb­ten mit An­hän­ger­bus­sen, Zü­gen, Stra­ßen­bah­nen und der Vor­ge­birgs­bahn in um­lie­gen­de klei­ne­re Ort­schaf­ten (Me­cken­heim, Alf­ter, Go­des­berg) vor, doch über­for­der­te die hö­he­re Zahl von Ge­schä­dig­ten nach dem 18.10.1944 so­wohl die Ver­kehrs­mit­tel als auch die Aus­weich­kran­ken­häu­ser in Bad Go­des­berg, Kö­nigs­win­ter, Hon­nef und Rhein­bach. Völ­lig über­be­legt, da­zu per­so­nell und ma­te­ri­ell un­ter­ver­sorgt, war der Kran­ken­haus­bun­ker in Drans­dorf. Bei Strom­aus­fall wur­de im Schein von Ker­zen oder Pe­tro­le­um­lam­pen ope­riert. Was­ser­man­gel ver­hin­der­te ein­fachs­te Rei­ni­gungs­maß­nah­men oder das Wa­schen der Wä­sche. Je­den Tag hol­te der Fuhr­park die Ver­stor­be­nen ab und brach­te sie zum Nord­fried­hof.

17. Evakuierungen

In un­gleich öf­ter und hef­ti­ger bom­bar­dier­te Städ­ten, zum Bei­spiel an der Ruhr, for­der­ten die An­grif­fe häu­fig pro­zen­tu­al we­ni­ger mensch­li­che Op­fer, Fol­ge ei­ner bes­se­ren Ver­sor­gung mit bom­ben­si­che­ren Schutz­bau­ten, vor al­lem ei­nes hö­he­ren An­teils an eva­ku­ier­ten Zi­vil­per­so­nen. In Bonn lässt sich die Hoff­nung, ver­schont zu wer­den auch dar­an fest­ma­chen, dass im Früh­jahr 1944 erst cir­ca 5 Pro­zent der Vor­kriegs­be­völ­ke­rung in we­ni­ger ge­fähr­de­te Ge­bie­te aus­ge­wi­chen wa­ren. Der ei­gent­li­che Exo­dus setz­te erst mit dem 18. Ok­to­ber des­sel­ben Jah­res ein. In den letz­ten Mo­na­ten des „Drit­ten Rei­ches“ dehn­te die Par­tei we­gen der sich ver­schlech­tern­den Ver­sor­gungs­la­ge den Druck auf die kriegs­wirt­schaft­lich ent­behr­li­che Be­völ­ke­rung aus. Wei­te­res Mo­tiv: Die Woh­nun­gen der Eva­ku­ier­ten soll­ten für aus­ge­bomb­te Rüs­tungs­ar­bei­ter frei­ge­macht wer­den. Wie die Be­schie­ßung ei­nes Bon­ner Flücht­lings­zu­ges im Bahn­hof von Oel­de durch Tief­flie­ger (24.1.1945) zeigt, war auch die Flucht aus dem be­droh­ten Rhein­land nicht ge­fahr­los. Den­noch ha­ben es vie­le ge­wagt: Beim En­de der Kampf­hand­lun­gen wird der Tief­punkt der Bon­ner Be­völ­ke­rungs­zahl auf cir­ca 43.000 Be­woh­ner (1939: 100.800) ge­schätzt.

Be­son­de­re Be­mü­hun­gen in den „luft­ge­fähr­de­ten“ Reichs­tei­len gal­ten der Ver­brin­gung von Kin­dern in we­ni­ger be­droh­te länd­li­che Ge­bie­te. Im Früh­jahr 1941 nah­men aus dem Stadt­kreis Bonn 13 Pro­zent der Volks­schü­ler mit ih­ren Leh­rern an die­ser „Kin­der­land­ver­schi­ckun­g“ teil. Nur in we­ni­gen Mo­na­ten der Jah­re 1941-1943 über­schritt die Zahl der Ver­schick­ten die Mar­ke von 1.000. Trotz Pro­pa­gan­da, die auf Bei­spie­le der „Aus­lö­schun­g“ gan­zer Fa­mi­li­en ver­wies, wünsch­te der über­wie­gen­de Teil der Bon­ner El­tern, ih­re Kin­der in der Stun­de der Ge­fahr bei sich zu ha­ben. De­mo­ti­vie­rend wirk­ten auch Be­rich­te über die un­freund­li­che Be­hand­lung, zum Bei­spiel in über­füll­ten schle­si­schen Auf­nah­me­quar­tie­ren.

Trauerfeier für die Opfer des Angriffes vom 17.4.1943, Friedhof Friesdorf, 21. April 1943. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

18. Zwangsarbeiter

Grund­sätz­lich wa­ren Zwangs­ar­bei­ter von der Auf­nah­me in Bun­kern oder Luft­schutz­kel­lern aus­ge­schlos­sen. Ih­nen muss­ten Split­ter­grä­ben in der Nä­he ih­rer La­ger oder Ein­satz­or­te ge­nü­gen. In vie­len Fäl­len be­sa­ßen sie gar kei­ne Schutz­mög­lich­keit, zum Bei­spiel im Ba­ra­cken­la­ger am Bon­ner Gü­ter­bahn­hof oder dem Auf­fang­la­ger für aus dem Wes­ten eva­ku­ier­te Zwangs­ar­bei­ter, wel­ches die DAF auf dem Ge­län­de der Beu­eler Ju­te­spin­ne­rei ein­rich­te­te. Bei je­dem Luft­alarm rann­ten die hier un­ter­ge­brach­ten 400 Men­schen aufs freie Feld. In­des schei­nen die Vor­schrif­ten nicht über­all be­ach­tet wor­den zu sein: Zeit­zeu­gen be­rich­ten, vom Wach­per­so­nal in den Schutz­raum ge­zwun­gen wor­den zu sein. Zahl­rei­che Op­fer un­ter den Kriegs­ge­fan­ge­nen aus west­eu­ro­päi­schen Län­dern for­der­te ein Luft­an­griff auf den Hardtberg am 4./5. Fe­bru­ar, bei dem das Haupt­la­ger des Sta­lag VI G ge­trof­fen wur­de.

19. Die letzten Kriegsmonate

Kei­ner der 14 Bun­ker in Bonn und Beu­el ist von ei­ner Spreng­bom­be durch­schla­gen wor­den. Dies ist um so be­mer­kens­wer­ter, als wäh­rend der deut­schen Ar­den­nen­of­fen­si­ve Bri­ten und Ame­ri­ka­ner Nach­schub­li­ni­en für die West­front mit schwe­ren und schwers­ten De­to­na­ti­ons­kör­pern an­grif­fen, so die RAF mit den Ein­sät­zen vom 21./22. und 28./29.12.1944 auf den Bon­ner Haupt- und Gü­ter­bahn­hof. Die ge­plan­te Zer­stö­rung der Bahn­an­la­gen wur­de nicht er­reicht. Al­ler­dings blo­ckier­te die zu­sam­men­ge­bro­che­ne Vik­to­ria­b­rü­cke ei­ne Zeit­lang die Glei­se.

Ver­hee­ren­der wa­ren die Zer­stö­run­gen von Wohn­vier­teln in En­de­nich und Pop­pels­dorf und den süd­li­chen Stadt­ge­bie­ten, hoch der Blut­zoll un­ter der Zi­vil­be­völ­ke­rung durch Di­rekt­tref­fer auf zwei Öf­fent­li­che Luft­schutz­räu­me un­ter dem Müns­ter­platz und dem Stifts­platz. 31 von 38 vier­mo­to­ri­gen Bom­bern ei­nes ame­ri­ka­ni­schen Ver­ban­des, der am 6.1.1945 die Brü­cken­ram­pen in Beu­el und Bonn zer­stö­ren soll­te, er­reich­ten ihr Ziel. Der Rhein­über­gang blieb un­ver­sehrt, aber ei­ne pan­zer­bre­chen­de Bom­be zer­schlug die Be­ton­de­cke des Luft­schutz­rau­mes un­ter dem Land­ge­richt und tö­te­te 230 Schutz­su­chen­de. Ob­wohl an meh­re­ren Stel­len un­ter­bro­chen – die Ex­plo­si­ons­kraft der neu­en Kampf­mit­tel bog Schie­nen­strän­ge mit Schwel­len me­ter­hoch nach oben – war die Rhein­stre­cke nach we­ni­gen Ta­gen wie­der re­pa­riert und für Mi­li­tär­trans­por­te, die un­un­ter­bro­chen Rich­tung Ko­blenz roll­ten, im Ein­satz. Um die Not der Be­völ­ke­rung zu lin­dern, hat­te die NS­DAP die bei­den Hilfs­zü­ge „Her­mann Gö­rin­g“ und „Dr. Jo­seph Go­eb­bel­s“ nach Bonn be­or­dert. Aus Si­cher­heits­grün­den stan­den sie je­doch in der Gro­nau, ei­ne gu­te hal­be Stun­de Fu­ß­marsch vom Stadt­zen­trum ent­fernt.

Im Fe­bru­ar 1945 hat­te Bonn noch ein­mal Glück: Wid­ri­ges Wet­ter ließ ei­nen ge­plan­ten An­griff von 222 schwe­ren RAF-Bom­bern auf die Bahn­an­la­gen schei­tern. Ein gro­ßer Teil der Bom­ben traf un­be­wohn­tes Ge­biet, ei­ne Luft­mi­ne den Beu­eler Bahn­hof. In Kü­ding­ho­ven tö­te­te noch am 13.2.1945 ei­ne Luft­mi­ne zahl­rei­che Be­woh­ner. Bei den ein­ge­setz­ten 16 Mos­qui­to-Bom­bern han­del­te es sich um ei­nen Ver­band, der durch Ab­len­kungs­an­grif­fe auf die Re­gi­on den An­flug ei­nes weit grö­ße­ren Ver­ban­des auf Dres­den (2. Wel­le) ver­schlei­ern soll­te. Mit dem Her­an­na­hen der Front An­fang März 1945 dien­ten Kel­ler und Bun­ker auch dem Schutz vor Ar­til­le­rie­tref­fern: In ih­nen er­war­te­te die Zi­vil­be­völ­ke­rung die ame­ri­ka­ni­schen Sie­ger. Ein Bom­ben­tep­pich zur Un­ter­stüt­zung der Erd­kämp­fe, wie ihn zum Bei­spiel Me­cken­heim er­leb­te, blieb Bonn er­spart.

Das am 18.10.1944 zerstörte Arndt-Haus. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 

20. Bilanz des Bombenkrieges

Durch Luft­an­grif­fe wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs ver­lo­ren in Bonn 1.564, in Bad Go­des­berg 173 und in Beu­el 167 Ein­woh­ner ihr Le­ben. Be­zo­gen auf die Wohn­be­völ­ke­rung von 1939 wa­ren dies in Bonn 15,5 Ein­woh­ner pro Tau­send, in Go­des­berg 5,7 und in Beu­el 8,0. Da­nach stand Bonn un­ter den 43 am stärks­ten in Mit­lei­den­schaft ge­zo­ge­nen Städ­ten des spä­te­ren Bun­des­ge­bie­tes auf dem 17. Platz, war fast ge­nau so hart be­trof­fen wie die un­gleich öf­ter an­ge­grif­fe­ne und viel stär­ker zer­stör­te Nach­bar­stadt Köln (17,7 pro Tau­send).

Pa­ra­dox an­ge­sichts fast täg­li­cher Bom­ber­ein­flü­ge wir­ken die we­sent­lich nied­ri­ge­ren Wer­te für Es­sen. Zwei­fel­los hat hier der ho­he Ver­sor­gungs­grad mit wirk­lich bom­ben­si­che­ren Schutz­bau­ten die Über­le­bens­chan­ce der Men­schen er­höht. Zum an­de­ren hat­ten sich an der Ruhr viel mehr Men­schen eva­ku­ie­ren las­sen als im jah­re­lang „ru­hi­gen“ Raum Bonn. Ent­schei­dend: Wäh­rend in Bonn die Haus­kel­ler für die Bom­bar­dier­ten in den al­ler­meis­ten Fäl­len Schutz bo­ten und nur we­ni­gen zum Grab wur­den, sind es die Tref­fer auf vier dicht be­leg­te Öf­fent­li­che Luft­schutz­räu­me ge­we­sen, die ei­nen Gro­ß­teil der Op­fer for­der­ten. „Er­schre­ckend hoch“ nennt Geb­hard Aders da­her den Blut­zoll für ei­ne re­la­tiv sel­ten und nur ein­mal in ge­ziel­tem Flä­chen­an­griff at­ta­ckier­te Stadt.

Mann­heim, die am häu­figs­ten an­ge­grif­fe­ne Stadt im heu­ti­gen Ba­den-Würt­tem­berg, bot sei­ner Zi­vil­be­völ­ke­rung prak­tisch Voll­schutz in Tief­bun­kern. Die re­la­ti­ven Men­schen­ver­lus­te be­tru­gen nur we­nig mehr als ein Drit­tel des Bon­ner Wer­tes. Die The­se von der ent­schei­den­den Be­deu­tung ei­ner gu­ten Schutz­raum­ver­sor­gung fin­det auch ih­re Be­stä­ti­gung im Ver­gleich zwi­schen Beu­el und dem nicht in der höchs­ten Luft­schutz­klas­se ran­gie­ren­den Bad Go­des­berg. Ob­wohl die Kur­stadt tat­säch­lich viel we­ni­ger stark an­ge­grif­fen wur­de – in Beu­el wa­ren nach Kriegs­en­de mehr als zehn­mal so viel Trüm­mer­schutt zu räu­men wie in Go­des­berg – lag die ab­so­lu­te Zahl von Op­fern hier hö­her als im Rechts­rhei­ni­schen.

21. Trotz Wohnraumzerstörung Hauptstadtkandidat

Je­de Ein­schät­zung von kriegs­be­ding­ten Ge­bäu­de­schä­den nach Ab­schluss der Kampf­hand­lun­gen ist stark sub­jek­tiv be­ein­flusst. Ein En­de 1946 an­ge­stell­ter in­ter­kom­mu­na­ler Ver­gleich er­scheint aus­sa­ge­kräf­tig: Er kommt für den da­ma­li­gen Stadt­kreis Bonn auf ei­nen mitt­le­ren Scha­dens­grad von 17,7 Pro­zent (Köln: 43 Pro­zent; Düs­sel­dorf: 33,4 Pro­zent; Dort­mund: 30,1 Pro­zent). Als 1949 ein pro­vi­so­ri­scher Bun­des­sitz ge­sucht wur­de, konn­te oh­ne­hin kei­ner der Kan­di­da­ten mit ei­ner in­tak­ten In­nen­stadt punk­ten. Auch wenn, wie ein­gangs be­tont, in Bonn die Öde der zer­bomb­ten Mit­te be­son­ders au­gen­fäl­lig blieb, war doch viel an Wohn­be­bau­ung ver­schont wor­den oder mit ver­tret­ba­rem Auf­wand re­pa­ra­bel. Und für die über­aus be­schei­den di­men­sio­nier­ten Raum­an­sprü­che der Pla­nungs­pha­se bot sich au­ßer­halb der Zer­stö­rungs­schnei­se über­ra­schend viel: Die Päd­ago­gi­sche Aka­de­mie in der Gro­nau, wo der Par­la­men­ta­ri­sche Rat ar­bei­te­te, spä­ter Par­la­ment und Bun­des­rat tag­ten, in un­mit­tel­ba­rer Nä­he das Mu­se­um Ko­enig und die Rhein­villen für Staats­ober­haupt, Re­gie­rungs­chef und Lan­des­ver­tre­tun­gen, nicht zu­letzt der völ­lig un­zer­stör­te Rie­sen­bau der Land­wirt­schafts­kam­mer an der En­de­ni­cher Al­lee. Und so pa­ra­dox es klin­gen mag: Keim­zel­le der Mi­nis­te­ri­en der jun­gen Bun­des­re­pu­blik war die von Luft­an­grif­fen fast kom­plett ver­schon­te mi­li­tä­ri­sche Hin­ter­las­sen­schaft des „Drit­ten Rei­ches“. Im­mer­hin deck­ten die aus­ge­dehn­ten Ka­ser­nen­kom­ple­xe an der (Grau)Rhein­dor­fer Stra­ße so­wie den bei­den Gro­ß­ka­ser­nen im be­nach­bar­ten Du­is­dorf für das ers­te Jahr un­ge­fähr die Hälf­te des Raum­be­darfs der Exe­ku­ti­ve ab.

Hin­zu­zu­rech­nen sind noch – eben­falls un­ver­sehrt – äl­te­re An­la­gen wie die Er­me­keil­ka­ser­ne in der Süd­stadt oder die gro­ße Flak­ka­ser­ne auf dem Ve­nus­berg, wo­hin jetzt die am Rhein zer­stör­ten Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken ver­legt wur­den. Das weit­ge­hend in­tak­te Bad Go­des­berg blieb für das aus­län­di­sche Ele­ment re­ser­viert. Hier fan­den die Be­sat­zungs­stä­be in be­schlag­nahm­ten Vil­len Quar­tier, ge­folgt von der Al­li­ier­ten Ho­hen Kom­mis­si­on und ih­rer um­fang­rei­chen Bü­ro­kra­tie und den Bot­schaf­ten frem­der Staa­ten. Wie in Bonn galt es auch in der süd­li­chen Nach­bar­stadt, zu­nächst die vor­han­de­nen Ge­bäu­de zu nut­zen, be­vor mit der Ver­fes­ti­gung des Pro­vi­so­ri­ums auch in stär­ke­rem Ma­ße Neu­bau­ten ent­stan­den.

Quellen

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Literatur

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Boog, Horst (Hg.), Luft­kriegs­füh­rung im Zwei­ten Welt­krieg. Ein In­ter­na­tio­na­ler Ver­gleich. Her­ford/Bonn 1993.
Dah­l­mann, Ditt­mar (Hg.), „Schla­gen gut ein und leis­ten Be­frie­di­gen­des“. Zwangs­ar­bei­te­rin­nen und Zwangs­ar­bei­ter in Bonn 1940-1945, Bonn 2006.
Fried­rich, Jörg, Der Brand. Deutsch­land im Bom­ben­krieg 1940-1945 Mün­chen 2002.
Overy, Ri­chard, Bar­ba­risch aber sinn­voll, in: Fried­rich, Lo­thar Ket­ten­a­cker (Hg.), Ein Volk von Op­fern? Die neue De­bat­te um den Bom­ben­krieg 1940-1945, Ber­lin 2003.
Schloss­ma­cher, Nor­bert, Bu­chen­wald am Rhein. Ma­rie-Agnès Cail­li­au de Gaul­le als Ge­fan­ge­ne in ei­nem Au­ßen­kom­man­do des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Bu­chen­wald, in: Rhei­ni­sche Vier­tel­jahrs­blät­ter 71 (2007), S. 231-253.
Vogt, Hel­mut, Das 5. Luft­schutz­re­vier von Bonn: Die In­dus­trie­ge­mein­de Beu­el im Bom­ben­krieg, Bonn 1994.

Online

Der al­li­ier­te Bom­ben­krieg 1939-1945, in: his­to­ri­cum.net (Um­fang­rei­ches In­for­ma­ti­ons­an­ge­bot über den Kon­text des Bom­ben­kriegs) [On­line]

Unzerstörtes Beethoven-Denkmal auf dem Münsterplatz, März 1945. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

 
Zitationshinweis

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Vogt, Helmut, Bonn im Bombenkrieg 1939-1945, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/bonn-im-bombenkrieg-1939-1945/DE-2086/lido/57d1299dd5a747.48656399 (abgerufen am 24.04.2024)