Übrigens gefall ich mir prächtig hier - Felix Mendelssohn in seinen Düsseldorfer Jahren 1833-1835

Peter Sühring (Bornheim/Berlin)

 Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), Brustbild en face. - Lithographie von Friedrich Jentzen, gedruckt vom königlichen lithographischen Institut Berlin nach einem Gemälde von Theodor Hildebrandt, 1837. (gemeinfrei)

1. Nach Düsseldorf!

Für Fe­lix Men­dels­sohn[1] wa­ren die knapp zwei Jah­re, die er in Düs­sel­dorf vom Sep­tem­ber 1833 bis Ju­li 1835 leb­te und ar­bei­te­te, ei­ne Pe­ri­ode und ein Ort des Über­gangs. Die Zeit zwi­schen sei­ner frü­he­ren Tä­tig­keit in Ber­lin und der spä­te­ren in Leip­zig war in sei­ner Lauf­bahn ein be­deu­ten­der und weit­ge­hend glück­lich ver­lau­fen­der Le­bens­ab­schnitt. Au­ßer­dem be­en­de­te sie sei­ne Wan­der­jah­re. Nach­dem ihm im Ja­nu­ar 1833 in Ber­lin die Lei­tung der Sing­aka­de­mie von der wäh­len­den Mit­glie­der­ver­samm­lung ver­wehrt wor­den war und er sich ent­täuscht und de­pri­miert von der preu­ßi­schen Re­si­denz­stadt ab­wen­den woll­te, zog es ihn zu­nächst wie­der ins Aus­land. Be­son­ders dräng­te es ihn er­neut nach Eng­land, um dort An­fang Mai mit sei­nem Freund Ignaz Mo­sche­les (1794-1870) zu mu­si­zie­ren und sei­ne noch in Ber­lin zu En­de kom­po­nier­te Sin­fo­nie in A Dur, die „Ita­lie­ni­sche“, ur­auf­zu­füh­ren.[2] 

Düs­sel­dorf war für den in oder an Ber­lin ge­schei­ter­ten jun­gen und schon sehr er­fah­re­nen Kom­po­nis­ten und Mu­sik­prak­ti­ker Men­dels­sohn nach sei­nen ers­ten eng­li­schen Er­fah­run­gen das rich­ti­ge Pflas­ter zum rich­ti­gen Zeit­punkt. Auch die­se Stadt war mit dem Wie­ner Kon­gress Teil der Rhein­pro­vinz und da­mit preu­ßisch ge­wor­den, aber der Code Na­po­le­on, un­ter dem die Düs­sel­dor­fer auch nach der „Fran­zo­sen­zeit“ leb­ten, und der Ver­lust ei­nes ei­ge­nen fürst­li­chen Ho­fes hat­ten das lo­ka­le Bür­ger­tum be­son­ders für Kunst und Wis­sen­schaft emp­fäng­lich ge­macht und es da­zu ak­ti­viert, öf­fent­li­che Bil­dungs­in­sti­tu­tio­nen ein­zu­rich­ten, die vie­len li­be­ra­len Künst­lern und Wis­sen­schaft­lern ein rei­ches Be­tä­ti­gungs­feld bo­ten.

Im März 1833 hat­te Men­dels­sohn in Ber­lin ei­ne Ein­la­dung aus Düs­sel­dorf er­reicht, dort En­de Mai die Lei­tung des Nie­der­rhei­ni­schen Mu­sik­fes­tes zu über­neh­men, wel­che er dank­bar an­nahm. Dann wur­de er von Lon­don kom­mend wäh­rend der Pro­ben zum Mu­sik­fest von ei­nem wei­te­ren An­ge­bot über­rascht, ab 1. Ok­to­ber den Pos­ten des va­kan­ten Städ­ti­schen Mu­sik­di­rek­tors in Düs­sel­dorf zu über­neh­men. Men­dels­sohn un­ter­zeich­ne­te den Ver­trag noch vor dem Be­ginn des Fes­tes und trat dann nach ei­ner wei­te­ren Eng­land-Rei­se sein ers­tes öf­fent­li­ches Amt pünkt­lich an. Er war ver­pflich­tet, die Chor- und Or­ches­ter­kon­zer­te des Städ­ti­schen Mu­sik­ver­eins („Ver­ein zur Be­för­de­rung der Ton­kunst“, wie er sich et­was ge­spreizt nann­te) und die ka­tho­li­sche Kir­chen­mu­sik an den bei­den Haupt­kir­chen St. Ma­xi­mi­li­an und St. Lam­ber­tus zu lei­ten. Auch hat­te er au­ßer­dem ver­spro­chen, die Opern­auf­füh­run­gen im Städ­ti­schen Thea­ter ein­zu­stu­die­ren und zu di­ri­gie­ren. Heu­te ist man gut über die Ar­beits­si­tua­ti­on von Men­dels­sohn wäh­rend sei­ner Düs­sel­dor­fer Jah­re in­for­miert, weil ei­ni­ge der lan­ge we­der aus­ge­wer­te­ten noch pu­bli­zier­ten Ar­beits­no­ti­zen Men­dels­sohns aus der Düs­sel­dor­fer Zeit, die heu­te in Ox­ford lie­gen, tran­skri­biert und an­no­tiert wor­den sind.

 

Al­le die in Düs­sel­dorf zu über­neh­men­den Auf­ga­ben und Äm­ter in­ter­es­sier­ten Men­dels­sohn recht wohl, er ver­sprach sich aber von sei­nem dor­ti­gen Auf­ent­halt auch, bei ge­si­cher­ten fi­nan­zi­el­len Ver­hält­nis­sen und ei­nem vier­tel­jähr­li­chen Ur­laub recht ru­hig und für mich com­po­ni­ren zu kön­nen.[3] Trotz der in­ten­si­ven Er­fül­lung ei­nes vol­len Pro­gramms für die und in der Öf­fent­lich­keit soll­te ihm das in Düs­sel­dorf auch fast ge­lin­gen, wenn auch nicht im an­ge­streb­ten Um­fang. Sein Ora­to­ri­um „Pau­lus“ konn­te er wäh­rend sei­ner Düs­sel­dor­fer Jah­re nicht ganz fer­tig­stel­len, doch es ge­hört weit­ge­hend zu den Re­sul­ta­ten die­ser Jah­re. Es ist dann auch, ob­wohl ur­sprüng­lich für ei­ne Auf­füh­rung im Frank­fur­ter Cä­ci­li­en­ver­ein des ka­tho­li­schen Kir­chen­mu­si­kers Jo­hann Ne­po­muk Schel­b­le (1789-1837) vor­ge­se­hen, zur Er­öff­nung des Nie­der­rhei­ni­schen Mu­sik­fes­tes im Jahr 1836 in Düs­sel­dorf von ihm selbst ur­auf­ge­führt wor­den. Es ge­hö­ren zu sei­nen Düs­sel­dor­fer Kom­po­si­tio­nen wei­ter­hin die bis heu­te kaum be­ach­te­te Kon­zer­tou­ver­tü­re „Das Mär­chen von der schö­nen Me­lu­si­ne“, meh­re­re der schöns­ten „Lie­der oh­ne Worte“ (aus dem 2. Heft op. 30), ei­ni­ge Schau­spiel­mu­si­ken zu Stü­cken von Karl Im­mer­mann (1796 1840) und meh­re­re Be­ar­bei­tun­gen ei­ge­ner und frem­der Wer­ke. Sein frei­wil­li­ges En­ga­ge­ment für die Kir­chen­mu­sik und das Thea­ter über­wu­cher­ten schlie­ß­lich sei­ne ge­hei­men kom­po­si­to­ri­schen Plä­ne, zu de­nen auch ei­ne Oper nach Wil­liam Shake­speares (1564-1616) „Der Stur­m“ ge­hör­te, für die das Düs­sel­dor­fer Stadt­thea­ter tat­säch­lich der rech­te Ort ge­we­sen wä­re.

2. Mendelssohns Konzertprogramme in Düsseldorf

Schon die von ihm ge­lei­te­ten Kon­zer­te wäh­rend des Nie­der­rhei­ni­schen Mu­sik­fes­tes im Mai 1833 zeig­ten den Düs­sel­dor­fern und den rhei­ni­schen Gäs­ten, wo­hin die mu­si­ka­li­sche Rei­se ge­hen wür­de. Sei­ne ers­te mu­si­ka­li­sche Tat war die deut­sche Erst­auf­füh­rung des Ora­to­ri­ums „Is­ra­el in Ägyp­ten“ von Ge­org Fried­rich Hän­del (1685-1759). So wie es hei­ßt, Men­dels­sohn ha­be mit sei­ner Ber­li­ner Wie­der­auf­füh­rung der Mat­thä­us­pas­si­on von Jo­hann Se­bas­ti­an Bach (1685-1750) im Jahr 1829 ei­ne Bach-Re­nais­sance in Deutsch­land aus­ge­löst (wo­bei Bach nach sei­nem Tod nie wirk­lich ver­ges­sen war), ist es min­des­tens so be­rech­tigt fest­zu­stel­len, er ha­be von Düs­sel­dorf aus ei­ne Hän­del-Re­nais­sance in Deutsch­land be­wirkt. Men­dels­sohn hat sei­ne Eng­land-Rei­sen stets da­zu be­nutzt, um in Ox­ford oder im Bri­tish Mu­se­um die ori­gi­na­len Hand­schrif­ten Hän­dels zu stu­die­ren. Men­dels­sohn gab  wie schon die Bach­sche Mat­thä­us­pas­si­on das Hän­del­sche Ora­to­ri­um in ei­ner mo­der­nen, ge­kürz­ten Be­ar­bei­tung und stell­te ihm sei­ne frisch kom­po­nier­te Trom­pe­ten-Ou­ver­tü­re vor­an. Am 22. Ok­to­ber gab er an­läss­lich des Be­suchs des preu­ßi­schen Kron­prin­zen in der Rhein­pro­vinz da­von so­gar ei­ne dra­ma­ti­sier­te, halb­s­ze­ni­sche Fas­sung mit den da­mals be­lieb­ten, so­ge­nann­ten „Le­ben­den Bil­dern“, Ges­ten und Ku­lis­sen nach Ent­wür­fen der Düs­sel­dor­fer Ma­ler Edu­ard Ben­de­mann (1811-1889) und Ju­li­us Hüb­ner (1806-1882). Das zwei­te Kon­zert wäh­rend des Mu­sik­fes­tes im Mai er­öff­ne­te Men­dels­sohn mit Beet­ho­vens Pas­to­ral-Sin­fo­nie, die da­mals, sechs Jah­re nach Beet­ho­vens Tod, noch nicht un­be­dingt zum Stan­dard­re­per­toire von Sin­fo­nie­kon­zer­ten ge­hör­te.

Über­blickt man die Pro­gramm­in­hal­te der welt­li­chen und kirch­li­chen Kon­zer­te so­wie der Opern­auf­füh­run­gen Men­dels­sohns in Düs­sel­dorf wäh­rend der fol­gen­den zwei Sai­sons, so er­gibt sich ein in­ter­es­san­tes und his­to­risch lehr­rei­ches Bild. Auf­fäl­lig ist, dass Men­dels­sohn mehr noch in der sa­kra­len als in der pro­fa­nen Mu­sik ver­gleichs­wei­se we­ni­ge ei­ge­ne Wer­ke spie­len ließ, vor al­lem nicht die frisch kom­po­nier­ten, de­nen er wie üb­lich erst noch ei­ne län­ge­re Pha­se der Über­ar­bei­tung an­ge­dei­hen las­sen woll­te. Vor al­lem mit sei­nen abend­li­chen Kir­chen­mu­si­ken ge­stal­te­te er über­wie­gend his­to­ri­sche Kir­chen­kon­zer­te.

Be­trach­ten wir zu­nächst ex­em­pla­risch ei­ni­ge der Kon­zer­te zwi­schen dem 22.11.1833 und dem 2.7.1835, die Men­dels­sohn im Bek­ker­schen Saal, im Ka­si­no­saal oder im Saal der Le­se­ge­sell­schaft di­ri­gier­te. Das ers­te von Men­dels­sohn ge­lei­te­te Städ­ti­sche Kon­zert des Düs­sel­dor­fer Mu­sik­ver­eins am 22. No­vem­ber brach­te Beet­ho­vens Ou­ver­tü­re zu Jo­hann Wolf­gang von Goe­thes (1749-1832) Trau­er­spiel „Eg­mon­t“, Men­dels­sohns in Ber­lin ur­auf­ge­führ­tes Kla­vier­kon­zert op. 25 mit ihm als So­lis­ten und „Das Alex­an­der­fes­t“ von Hän­del zu Ge­hör. Die Ou­ver­tü­re zu „Eg­mon­t“ war nur ein Vor­spiel zu der im Ja­nu­ar 1834 statt­fin­den­den Auf­füh­rung des ge­sam­ten Trau­er­spiels im Stadt­thea­ter mit der Mu­sik von Beet­ho­ven, so wie es sich der Kom­po­nist ur­sprüng­lich ge­dacht hat­te und wie auch Men­dels­sohn selbst sei­ne ei­ge­nen zahl­rei­chen Schau­spiel­mu­si­ken stets auf­ge­führt wis­sen woll­te.

Die Kon­zert­ge­stal­tung der da­ma­li­gen Zeit, an de­ren nä­he­rer Aus­for­mung und Maß­stä­be set­zen­der Um­for­mung Men­dels­sohn be­tei­ligt war, un­ter­schied sich deut­lich von heu­ti­gen Ge­wohn­hei­ten. Or­ches­ter­auf­trit­te wur­den mit Kam­mer­mu­sik durch­setzt, im­mer wie­der gab es so­lis­ti­sche und cho­ri­sche Ge­sangs­num­mern, zum Teil mit gan­zen Aus­zü­gen aus Opern. So darf es nicht ver­wun­dern, dass – wie in ei­nem Kon­zert am 10.12.1833 im Ka­si­no­saal, ver­an­stal­tet von Mi­li­tär­mu­si­kern – nach ei­ner -Sin­fo­nie von Wolf­gang Ama­de­us Mo­zart (1756-1791) und ei­nem Vio­lin­kon­zert von Jo­hann Hein­rich Lü­beck (1799-1865) ei­ne So­pra­na­rie er­klang, ge­folgt von ei­nem Pot­pour­ri für Kla­ri­net­te aus der Oper „Die Stum­me von Por­ti­ci“ von Da­ni­el-François-Es­prit Au­ber (1782-1871), dar­auf ei­ne Leo­no­ren-Ou­ver­tü­re von Beet­ho­ven nebst ei­ner sei­ner Vio­lin­so­na­ten, ge­folgt von ei­nem Du­ett aus Louis Sp­ohrs (1784-1859) Oper „Jes­son­da“ und zum Schluss Va­ria­tio­nen für Vio­li­ne von dem Vir­tuo­sen Charles Au­gus­te de Bé­ri­ot (1802-1870). Das zwei­te Kon­zert Men­dels­sohns mit dem Or­ches­ter des Mu­sik­ver­eins im Ja­nu­ar 1834 brach­te gleich wie­der ei­ne Beet­ho­ven-Sin­fo­nie (die fünf­te in c Moll), dann Aus­zü­ge aus Jo­seph Haydns (1732-1809) Ora­to­ri­um „Die Jah­res­zei­ten“ so­wie aus Carl Ma­ria von We­bers (1786-1826) Oper „Obe­ron“, um mit Men­dels­sohns Ou­ver­tü­re zu „Ein Som­mer­nachts­traum“ zu schlie­ßen. Das deu­tet aber­mals dar­auf hin, dass Kon­zer­tou­ver­tü­ren ei­ne selb­stän­di­ge, in sich ab­ge­schlos­se­ne kon­zer­tan­te Kunst­gat­tung wa­ren, auf dem Weg zur „Sin­fo­ni­schen Dich­tun­g“. Die Aus­schnit­te aus Haydns Jah­res­zei­ten wa­ren wie­der nur das Vor­spiel zu ei­ner im Fe­bru­ar fol­gen­den kom­plet­ten Auf­füh­rung des Ora­to­ri­ums, al­ler­dings oh­ne Or­ches­ter, son­dern mit Be­glei­tung durch zwei Kla­vie­re.

Das drit­te Kon­zert im Mai brach­te nach Mo­zarts Ou­ver­tü­re zu „Die Zau­ber­flö­te“ das Kla­vier­kon­zert in fis-Moll von Nor­bert Burg­mül­ler (1810 36), ei­nes von Men­dels­sohn stark ge­för­der­ten jun­gen Düs­sel­dor­fer Kom­po­nis­ten, der lei­der früh ver­starb, Aus­zü­ge aus Sp­ohrs „Jes­son­da“ und Hän­dels „Is­ra­el in Ägyp­ten“ so­wie ei­ne Freie Fan­ta­sie für Kla­vier von Men­dels­sohn. Die­ses „Fan­ta­sie­ren“, vor Pu­bli­kum und im­pro­vi­siert, lieb­te Men­dels­sohn ganz be­son­ders, und es ver­band ihn auch spä­ter noch mit Düs­sel­dorf und ei­nem denk­wür­di­gen Kon­zert im Mai 1842, als er wie­der ein­mal, von Leip­zig kom­mend und auf dem Weg nach Lon­don, wäh­rend ei­nes Nie­der­rhei­ni­schen Mu­sik­fes­tes in Düs­sel­dorf auf­trat. Der an­ge­sag­te Vio­lin­vir­tuo­se Hein­rich Wil­helm Ernst (1812-1865) woll­te we­der zu den Pro­ben noch zur Auf­füh­rung er­schei­nen, und so muss­te Men­dels­sohn spon­tan auf die Dar­bie­tung von Beet­ho­vens Kla­vier­kon­zert Nr. 5 in Es-Dur über­wech­seln und ging nach wei­te­ren zwei­en sei­ner „Lie­der oh­ne Worte“, weil sie an­fin­gen, ihn mü­de zu ma­chen, da­zu über, frei zu fan­ta­sie­ren. Sei­ner Schwes­ter Re­be­cka be­rich­te­te er dar­über be­geis­tert und iro­nisch zu­gleich: […] und spiel­te wohl ei­ne hal­be Stun­de so gut wie ich es noch nie­mals öf­fent­lich und nicht im­mer ein­mal un­ter uns gethan ha­be. Die Leu­te mach­ten aber auch ein Ge­brüll, wie ichs mein Leb­tag nicht ge­hört ha­be, und über­schrie­en den Tusch, daß man ihn nicht hö­ren konn­te, und ich hat­te selbst viel Freu­de dar­an. Siehst du wohl, Beck­chen, es ist al­les sehr ei­tel. Nun muß ich aber der Wahr­heit zu Eh­ren sa­gen, daß ich ei­ni­ge Ta­ge spä­ter in Bonn lan­ge nicht so gut phan­ta­sir­te, und wie­der ei­nen Tag dar­auf in Cöln viel schlech­ter als in Bonn. Al­so ward ich auch wie­der be­schei­den.[4] 

In der Sai­son 1834/1835 wur­de ein Teil der Kon­zer­te des Städ­ti­schen Mu­sik­ver­eins auf Men­dels­sohns Wunsch in Abon­ne­ments­kon­zer­te um­ge­wan­delt, de­ren ers­tes am 23.10.1834 statt­fand. Wie­der er­öff­ne­te Men­dels­sohn es mit ei­ner Beet­ho­ven-Sin­fo­nie, dies­mal der vier­ten in B-Dur und führ­te es wei­ter mit ei­nem Du­ett aus Sp­ohrs „Jes­son­da“ so­wie der Vio­lon­cel­lo-So­na­te in A-Dur op. 69 von Beet­ho­ven, um im zwei­ten Kon­zert­teil den ers­ten Teil von Hän­dels Ora­to­ri­um „Sam­son“ auf­zu­füh­ren. Men­dels­sohn hat­te ei­nen Auf­ent­halt in Lon­don ge­nutzt, um im Bri­tish Mu­se­um die Ori­gi­nal­hand­schrift Hän­dels ein­zu­se­hen und dar­aus Kon­se­quen­zen für auf­füh­rungs­prak­ti­sche Fra­gen, zum Bei­spiel für den Ein­satz der Or­gel wäh­rend der Chö­re, zu zie­hen. Das zwei­te Abon­ne­ments­kon­zert brach­te Burg­mül­lers ers­te Sin­fo­nie, ei­ne Arie aus We­bers „Obe­ron“, ei­ne Ele­gie für Vio­lon­cel­lo und Or­ches­ter von Bern­hard Rom­berg (1767 1841), drei Te­n­or­lie­der mit Kla­vier­be­glei­tung von Fried­rich Cur­sch­mann (1805-1841), Men­dels­sohn und Beet­ho­ven, Men­dels­sohns Ron­do bril­lant für Kla­vier und Or­ches­ter Es-Dur op. 29 von (von ihm in Düs­sel­dorf kom­po­niert und mit ihn am Kla­vier als So­lis­ten) und ab­schlie­ßend ein Du­ett von Sa­ve­rio Mer­cad­an­te (1795-1870).

Im drit­ten Abon­ne­ments­kon­zert konn­te das Düs­sel­dor­fer Pu­bli­kum au­ßer der drit­ten Sin­fo­nie von Beet­ho­ven („Eroi­ca“), drei Lie­dern aus We­bers Ge­sän­gen „Ley­er und Schwer­t“ und ei­nem Not­tur­no für ob­li­ga­te Oboe von Jo­hann Ne­po­muk Hum­mel (1778-1837) im zwei­ten Teil noch den ge­sam­ten ers­ten Teil aus Hän­dels Ora­to­ri­um „Ju­das Macc­a­bäus“ ge­nie­ßen. Das vier­te Abon­ne­ments­kon­zert war mit der Ge­samt­auf­füh­rung von Haydns Ora­to­ri­um „Die Jah­res­zei­ten“, dies­mal mit vol­lem Or­ches­ter, aus­ge­füllt. Das fünf­te Abon­ne­ments­kon­zert im Fe­bru­ar 1835 brach­te au­ßer der gro­ßen g-Moll-Sin­fo­nie von Mo­zart und Sp­ohrs ach­tem Vio­lin­kon­zert („in Form ei­ner Ge­sangs­sze­ne“) noch ei­ne Bas­sa­rie mit ob­li­gat be­glei­ten­dem Bas­sett­horn aus Mo­zarts Oper „La cle­men­za di Ti­to“, We­bers Kon­zert­stück für Kla­vier und Or­ches­ter f-Moll, Stü­cke aus Lu­i­gi Che­ru­bi­nis (1760-1842) Oper „Ali Ba­ba“ und ab­schlie­ßend das ge­misch­te Strei­cher-Blä­ser-Sep­tett op. 20 von Beet­ho­ven. „Der Mes­sias“ von Hän­del war Ge­gen­stand des sechs­ten und letz­ten von Men­dels­sohn di­ri­gier­ten Abon­ne­ments­kon­zert im März 1835. Sein letz­tes Kon­zert mit dem Düs­sel­dor­fer Ver­ein für Ton­kunst gab Men­dels­sohn am 2.7.1835, wie­der mit ei­ner Beet­ho­ven-Sin­fo­nie zu Be­ginn (dies­mal der sie­ben­ten in A-Dur), dann kam Beet­ho­vens aus zwei Ge­dich­ten von Goe­the zu­sam­men­ge­bun­de­ne Kan­ta­te „Mee­res­stil­le und glück­li­che Fahr­t“, Men­dels­sohns be­reits 1832 kom­po­nier­tes Ca­pric­cio bril­lant für Kla­vier und Or­ches­ter (wie­der mit dem Kom­po­nis­ten am Kla­vier) und dem „Det­tin­ger Te­de­um“ von Hän­del als zwei­tem Teil des Kon­zerts.

Hin­zu kom­men Kon­zer­te, die, wie da­mals üb­lich, ein­zel­ne Vir­tuo­sen ver­an­stal­te­ten und bei de­nen Men­dels­sohn nur en­ga­giert war, um ein Pot­pour­ri ver­schie­de­ner So­lo­stü­cke zu be­glei­ten, als Di­ri­gent mit Or­ches­ter oder als Pia­nist. Ei­ni­ge we­ni­ge Kon­zer­te konn­te Men­dels­sohn an an­de­re Di­ri­gen­ten ab­tre­ten, so das zehn­te Ver­eins­kon­zert au­ßer­halb des Abon­ne­ments, das Ju­li­us Rietz (1812-1877) di­ri­gier­te und ei­ne wei­te­re Beet­ho­ven-Sin­fo­nie, die ach­te in F-Dur, ent­hielt. Au­ßer­dem ist Men­dels­sohns Be­tei­li­gung an et­li­chen Haus­mu­si­ken in Düs­sel­dor­fer Bür­ger­häu­sern über­lie­fert, in de­nen stets die Kam­mer­mu­sik Beet­ho­vens do­mi­nier­te.

3. Düsseldorfer Kirchenmusik unter Mendelssohn

Hin­sicht­lich der Aus­ge­stal­tung der Düs­sel­dor­fer ka­tho­li­schen Kir­chen­mu­sik, we­ni­ger des lit­ur­gi­schen als des kon­zer­tan­ten Teils, ist zu be­ach­ten, dass Men­dels­sohn noch vor sei­nem ers­ten welt­li­chen Kon­zert gleich An­fang Ok­to­ber 1833 ei­ne Rei­se in lo­ka­le Kir­chen­ar­chi­ve des Rhein­lands un­ter­nahm, zu­nächst nach El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal), Bonn und Köln. Wei­te­re For­schungs­rei­sen führ­ten ihn bis nach Ko­blenz, wo er auch Ver­wand­te hat­te. Er be­tä­tig­te sich als un­er­müd­li­cher Su­cher nach Ori­gi­nal­quel­len ver­gan­ge­ner Mu­sik und sorg­te da­mit in Düs­sel­dorf in den frü­hen 1830er Jah­ren für Wie­der­auf­füh­run­gen äl­te­rer kir­chen­mu­si­ka­li­scher Wer­ke von Hän­del, An­to­nio Lot­ti (1667-1740), Gio­van­ni Bat­tis­ta Per­go­le­si (1710-1736), Leo­nar­do Leo (1694-1744), Or­lan­do di Las­so (1532-1594) und Gio­van­ni Pier­lu­i­gi da Pa­le­stri­na (1525-1594). Die Pro­gram­me der von ihm ver­an­stal­te­ten und ge­lei­te­ten abend­li­chen Kir­chen­mu­si­ken in St. Ma­xi­mi­li­an und St. Lam­ber­tus le­gen da­von be­redt Zeug­nis ab.

Was die re­li­giö­se Stel­lung Men­dels­sohns und sei­ne kir­chen­mu­si­ka­li­schen Ak­ti­vi­tä­ten im All­ge­mei­nen be­trifft, so sei an­ge­merkt, dass er ent­ge­gen ei­ner weit ver­brei­te­ten An­sicht kein “kon­ver­tier­ter Ju­de“ war, son­dern aus ei­nem zu­nächst are­li­giö­sen, sä­ku­la­ren jü­di­schen Haus kam, in dem die Ri­tua­le des mo­sai­schen Glau­bens nicht mehr ge­pflegt wur­den. Er wur­de noch vor sei­nen El­tern 1816 im Al­ter von sie­ben Jah­ren christ­lich ge­tauft, was sei­ne ers­te Be­geg­nung mit Re­li­gi­on über­haupt be­deu­te­te. Um die Un­be­fan­gen­heit zu ver­ste­hen, mit der Men­dels­sohn als evan­ge­li­scher Christ sich der ka­tho­li­schen Kir­chen­mu­sik in Düs­sel­dorf wid­me­te, ist zu be­rück­sich­ti­gen, dass er im re­for­mier­ten Be­kennt­nis ge­tauft wor­den und in den ent­spre­chen­den Kon­fir­ma­ti­ons­un­ter­richt ge­gan­gen war. Das re­for­mier­te Be­kennt­nis zeich­ne­te sich vor der Kir­chen­uni­on da­durch aus, dass in ihm das Al­te Tes­ta­ment ei­ne be­vor­zug­te Stel­lung ein­nahm und als Glau­bens­in­hal­te le­dig­lich die Wor­te Je­su gal­ten. Die­se Aus­rich­tung er­laub­te es Men­dels­sohn, oh­ne Rück­sicht auf wei­te Tei­le des Neu­en Tes­ta­ments und dar­aus ent­wi­ckel­ter kirch­li­cher Dog­men für die Lit­ur­gi­en al­ler christ­li­chen Kon­fes­sio­nen kom­po­nie­ren und ar­bei­ten zu kön­nen. Das tat er auch sein Le­ben lang wäh­rend sei­ner Düs­sel­dor­fer Zeit vor­nehm­lich für die ka­tho­li­sche Lit­ur­gie und de­ren Kir­chen­ka­len­der. Gleich­zei­tig muss­te Men­dels­sohn von Düs­sel­dorf aus zeit­wei­lig den ka­tho­li­schen Cä­ci­li­en­ver­ein in Frank­furt am Main lei­ten, um sei­nen Freund Schel­b­le, der eben­falls Über­ra­gen­des für die Wie­der­auf­füh­rung der gro­ßo­ra­to­ri­schen Wer­ke von Bach ge­leis­tet hat­te, nun aber schwer er­krankt war, zu ver­tre­ten. Un­ter den Sän­ge­rin­nen des Frank­fur­ter Ver­eins fand er auch sei­ne spä­te­re Ehe­frau Cé­ci­le Jean­ren­aud (1817-1853).

Gleich am 13.10.1833 führ­te Men­dels­sohn ne­ben ei­nem ei­gens kom­po­nier­ten Pro­zes­si­ons­marsch für das Pa­tro­nats­fest von St. Ma­xi­mi­li­an ei­ne Haydn-Mes­se auf und brach­te in sei­ner ers­ten abend­li­chen Kir­chen­mu­sik die Mo­tet­te „Po­pu­le meu­s“ von di Las­so zu Ge­hör. Sei­ne ers­te Kar­frei­tags­mu­sik im Jahr 1834 füll­te er mit „Die sie­ben Worte“ von Pier­lu­i­gi da Pa­le­stri­na, um dann sei­ne ers­te Kir­chen­mu­sik zu Os­tern an St. Lam­ber­tus mit der C-Dur-Mes­se von Che­ru­bi­ni zu be­strei­ten, An­fang Mai wie­der­holt in St. Ma­xi­mi­li­an an­läss­lich des Be­suchs des Köl­ner Erz­bi­schofs und aber­mals in St. Lam­ber­tus zum Apol­li­na­ris­fest, dem Fest des Stadt­pa­trons. Eben­falls in St. Lam­ber­tus gab er im April ei­ne abend­li­che Kir­chen­mu­sik mit der c-Moll-Mes­se op. 18 von Mo­ritz Haupt­mann (1792-1868), dem spä­te­ren Leip­zi­ger Tho­mas­kan­tor (Wie­der­ho­lung zu Os­tern 1835). Zu Chris­ti Him­mel­fahrt 1834 brach­te Men­dels­sohn in bei­den Haupt­kir­chen die von ihm auf­ge­fun­de­nen Kom­po­si­tio­nen von Lot­ti (ein „Cru­ci­fi­xus“ und ei­nen Psalm) so­wie sei­ne ei­ge­ne Cho­ral­be­ar­bei­tung „Mit­ten wir im Le­ben sin­d“ von 1830 zu Auf­füh­rung. Zum Fron­leich­nams­fest 1834 wur­den in St. Ma­xi­mi­li­an die C-Dur-Mes­se von Beet­ho­ven mit Mo­zarts „Ave ver­um“ auf­ge­führt; bei­des wur­de dort ein Jahr spä­ter wie­der­holt. Am Fest Pe­ter und Paul (29. Ju­ni) er­klan­gen dort auch zwei Bach-Kan­ta­ten. Hän­dels „Det­tin­ger Te­de­um“ war zu Ma­riä Him­mel­fahrt (15. Au­gust) in bei­den Haupt­kir­chen zu hö­ren, eben­so Mo­zarts Re­qui­em am 20. Au­gust. Zum Pa­tro­nats­fest von St. Ma­xi­mi­li­an er­klang Haydns B-Dur-Mes­se mit Mo­zarts „Ave ver­um“. Als Kir­chen­mu­sik zu Al­ler­see­len (2. No­vem­ber) wur­de in St. Lam­ber­tus Che­ru­bi­nis Re­qui­em auf­ge­führt. Die nächs­te Kir­chen­mu­sik wur­de erst wie­der zum Kar­frei­tag 1835 ver­an­stal­tet, wo drei Re­s­pons­ori­en von Pier­lu­i­gi da Pa­le­stri­na und Lot­tis „Cru­ci­fi­xus“ er­klan­gen. Men­dels­sohn hat­te sich im Jahr 1834 auf die Ge­stal­tung der Düs­sel­dor­fer Kir­chen­mu­sik kon­zen­triert, um den Que­re­len am Stadt­thea­ter um die Fra­ge der Fi­nan­zie­rung der auf­wen­di­gen In­sze­nie­run­gen Im­mer­manns aus dem Weg zu ge­hen. Men­dels­sohn dien­te der Stadt- und Kir­chen­ver­wal­tung auch als Or­gel­sach­ver­stän­di­ger, der Vor­schlä­ge zur Re­pa­ra­tur und Um­ge­stal­tung der Or­geln in den bei­den Haupt­kir­chen ma­chen konn­te.

4. Opernaufführungen und Schauspielmusiken am Düsseldorfer Stadttheater - Zusammenarbeit mit Karl Immermann

Be­reits im De­zem­ber 1833 lei­te­te Men­dels­sohn sei­ne ers­te Opern­auf­füh­rung mit „Don Gio­van­ni“ von Mo­zart, die ei­ne Wie­der­ho­lung er­fuhr. Hier­bei kam es zu sei­ner ers­ten in­ten­si­ven, spä­ter im­mer schwie­ri­ger wer­den­den Zu­sam­men­ar­beit mit dem Thea­ter­in­ten­dan­ten Karl Im­mer­mann, den Men­dels­sohn völ­lig zu Recht we­gen sei­nes „ko­mi­schen Hel­den­epos“ „Tu­li­fänt­chen“ (1829) für ei­nen der be­deu­tends­ten Dich­ter im da­ma­li­gen Deutsch­land hielt und mit dem er schon frü­her von Ber­lin aus in Ver­bin­dung ge­stan­den hat­te. Im­mer­mann hat­te den Ehr­geiz, für Deutsch­land so­ge­nann­te „Mus­ter­auf­füh­run­gen“ zu in­sze­nie­ren, die dann als Vor­bil­der und Ste­reo­ty­pen im gan­zen Land gel­ten soll­ten. Die mit sol­chen Mus­ter­vor­stel­lun­gen ver­bun­de­nen äs­the­ti­schen Nor­men und ver­ein­heit­li­chen­den Kri­te­ri­en soll­ten zwar der Qua­li­täts­stei­ge­rung und -si­che­rung die­nen, führ­ten aber meis­tens doch auch zu Ver­en­gun­gen und zur Auf­rich­tung von auf­füh­rungs­prak­ti­schen Dog­men. Das konn­te nicht im Sin­ne Men­dels­sohns sein und führ­te auch über kurz oder lang zu Un­stim­mig­kei­ten mit dem In­ten­dan­ten und Kon­flik­ten mit der Stadt­ver­wal­tung. War mit „Don Gio­van­ni“ noch ein ne­ga­ti­ver ade­li­ger Held aus­ge­sucht wor­den, der zur Ver­damm­nis be­stimmt war, so ver­kör­per­te die zwei­te von Men­dels­sohn im März 1834 (mit Wie­der­ho­lung) ge­lei­te­te Oper, Lu­i­gi Che­ru­bi­nis „Der Was­ser­trä­ger“, ei­nen po­si­ti­ven Hel­den aus dem vier­ten Stand, der mit sei­ner Mensch­lich­keit und Hilfs­be­reit­schaft die hö­he­ren Stän­de, Adel und Bür­ger­tum, in den Schat­ten stellt und be­schämt. Wenn man so will, war sie die ers­te „pro­le­ta­ri­sche“ Oper, al­ler­dings ganz oh­ne re­vo­lu­tio­nä­re Am­bi­tio­nen.

Im No­vem­ber 1834, we­ni­ge Ta­ge nach­dem er auch die Neu­er­öff­nung des Thea­ter- und Opern­hau­ses mit von We­bers „Ju­be­lou­ver­tü­re“ und der Ou­ver­tü­re „Die Wei­he des Hau­ses“ von Beet­ho­ven ge­lei­tet hat­te, di­ri­gier­te Men­dels­sohn ei­nen Opern­abend mit Hein­rich Mar­sch­ners (1795-1861) „Der Temp­ler und die Jü­din“ mit zwei Wie­der­ho­lun­gen, die er sich mit Ju­li­us Rietz auf­teil­te und vier Ta­ge spä­ter Carl Ma­ria von We­bers „Obe­ron“, mit ei­ner Wie­der­ho­lung. Für die Mar­sch­ner-Oper hat­te sich Men­dels­sohn in di­rek­ten Ver­hand­lun­gen mit dem Kom­po­nis­ten ein­ge­setzt, mit dem Di­ri­gat des We­ber­schen „Obe­ron“ er­füll­te sich Men­dels­sohn ei­nen Wunsch sei­ner Jüng­lings­jah­re, denn er hat­te die deut­sche Erst­auf­füh­rung die­ser letz­ten Oper von We­ber 1828 in Ber­lin mit En­thu­si­as­mus ver­folgt.

Ein an­de­res Ka­pi­tel in Ver­bin­dung mit dem Stadt­thea­ter wa­ren Men­dels­sohns Bei­trä­ge zu dort auf­ge­führ­ten Thea­ter­stü­cken in Form von Schau­spiel­mu­si­ken, be­son­ders für Stü­cke von Im­mer­mann. Es wa­ren mu­si­ka­li­sche Ein­la­ge­stü­cke für ein­zel­ne Sze­nen, in de­nen ent­we­der von der Hand­lung her oh­ne­hin Mu­sik ver­langt war, Lie­der oder Chö­re ge­sun­gen wer­den soll­ten oder zur Stei­ge­rung der Stim­mung Mu­sik ein­ge­setzt wer­den soll­te. Die aus­führ­lichs­te Schau­spiel­mu­sik hat­te Men­dels­sohn be­reits vor sei­nem Düs­sel­dor­fer Amts­an­tritt in Ber­lin für Im­mer­manns Stück „Der stand­haf­te Prin­z“ kom­po­niert: Chö­re, ei­ne Schlacht­mu­sik und zwei gra­vi­tä­ti­sche Mär­sche; sie wur­de am 9.4.1833 in Düs­sel­dorf auf­ge­führt. Es folg­te im April 1834 die Mu­sik zu Im­mer­manns „An­dre­as Ho­fer“ mit den Ar­ran­ge­ments ei­nes Ti­ro­ler­lieds und der Mar­seil­lai­se mit Trom­meln auf of­fe­ner Büh­ne. Für die fest­li­che Wie­der­er­öff­nung des Düs­sel­dor­fer Stadt­thea­ters im Ok­to­ber 1834 steu­er­te Men­dels­sohn noch ei­ne Ad­ap­ti­on von Mo­zarts Kom­tur-Mu­sik aus des­sen „Don Gio­van­ni“ bei für die Sta­tu­en-Sze­ne in Im­mer­manns Stück „Kur­fürst Jo­hann Wil­helm im Thea­ter“ und kom­po­nier­te ei­ne mu­si­ka­li­sche Un­ter­ma­lung für das Le­ben­de Bild „Der Par­nas­s“, das Im­mer­mann nach ei­ner ita­lie­ni­schen Vor­la­ge ent­wor­fen hat­te. Wei­te­re ver­lo­ren ge­gan­ge­ne Mu­si­ken zu Le­ben­den Bil­dern hat­te Men­dels­sohn im De­zem­ber 1834 bei­ge­steu­ert; zu­letzt kom­po­nier­te er für die Düs­sel­dor­fer Büh­ne noch ein Bo­ja­ren-Lied für Män­ner­chor und Blas­in­stru­men­te für Im­mer­manns Stück „Alexis“, des­sen Auf­füh­rung im April 1835 statt­fand.

Men­dels­sohns Er­fah­run­gen im in­ne­ren Be­trieb ei­nes Thea­ter- und Opern­hau­ses und sei­ne De­bat­ten mit Im­mer­mann ha­ben viel zu sei­nem Ver­ständ­nis der Ge­ge­ben­hei­ten und Er­for­der­nis­se von wir­kungs­vol­ler Büh­nen­mu­sik bei­ge­tra­gen. Um­so be­dau­er­li­cher ist es, dass er die­se wert­vol­len und ein­dring­li­chen Er­fah­run­gen nicht bei der Pro­duk­ti­on ei­ner ei­ge­nen gro­ßen Oper um­set­zen konn­te. Wie in Düs­sel­dorf, wo er län­ge­re Zeit mit Im­mer­mann an dem Pro­jekt ei­ner Oper zu Shake­speares „Der Stur­m“ la­bo­rier­te, oh­ne mit der Kom­po­si­ti­on zu be­gin­nen,[5] er­man­gel­te es Men­dels­sohn zeit­le­bens ei­nes ge­eig­ne­ten, ihn wirk­lich zu­frie­den­stel­len­den Li­bret­tos. Dass er sich aber in sei­nem letz­ten Le­bens­jahr ent­schloss, an ei­nem Li­bret­to Ema­nu­el Gei­bels über den Lo­re­lei-My­thos zu ar­bei­te­ten und ei­ni­ge Sze­nen des 1. Ak­tes frag­men­ta­risch hin­ter­ließ, zeigt bei der Aus­wahl des Stof­fes sei­ne Ver­bun­den­heit mit dem Sa­gen­kreis des Rhein­lan­des. Beim schlie­ß­li­chen Zer­würf­nis mit Im­mer­mann ging es im Drei­eck zwi­schen Men­dels­sohn, Im­mer­mann und der Stadt­ver­wal­tung um die Fra­ge der Thea­ter­in­ten­danz, die Men­dels­sohn auf kei­nen Fall über­neh­men woll­te. Men­dels­sohns Ein­bli­cke in die Ma­chi­na­tio­nen ei­nes Opern­be­triebs wa­ren wohl eher ab­schre­ckend und lie­ßen ihn hilf­los tak­tie­rend zu­rück.

5. Mendelssohns in Düsseldorf komponierte Werke: „Paulus“, „Das Märchen von der schönen Melusine“, „Lieder ohne Worte“

Zwei der wich­tigs­ten Kom­po­si­tio­nen aus der Düs­sel­dor­fer Zeit Men­dels­sohns sol­len hier zu­nächst als in sich ge­schlos­se­ne Wer­ke nä­her be­trach­tet wer­den: das Ora­to­ri­um „Pau­lus“ und die Kon­zer­tou­ver­tü­re „Das Mär­chen von der schö­nen Me­lu­si­ne“.[6] 

Die Düs­sel­dor­fer Ent­ste­hung des ur­sprüng­lich für Schel­b­les Frank­fur­ter Cä­ci­li­en­ver­ein kom­po­nier­ten, dann spä­ter - 1836, wäh­rend ei­nes Mu­sik­fes­tes - doch in Düs­sel­dorf un­ter Lei­tung des Kom­po­nis­ten ur­auf­ge­führ­ten Ora­to­ri­ums „Pau­lus“ ist gut in die Kul­tur­for­men der von Men­dels­sohn un­ge­mein ge­för­der­ten Nie­der­rhei­ni­schen Mu­sik­fes­te ein­zu­bet­ten. Ora­to­ri­en wa­ren ein ge­wünsch­ter Be­stand­teil sol­cher Mu­sik­fes­te, denn sie er­öff­ne­ten ei­ner gro­ßen Zahl be­tei­lig­ter Mu­si­ker - Sän­gern wie In­stru­men­ta­lis­ten - die Ge­le­gen­heit zu mu­si­ka­lisch-li­te­ra­ri­scher Be­tä­ti­gung. Dar­über hin­aus konn­ten sie dem Wunsch nach ei­nem re­li­giö­sen Be­kennt­nis und ei­ner Ent­fal­tung dra­ma­ti­scher Be­zü­ge zu bib­li­schen oder my­tho­lo­gi­schen Stof­fen, in de­nen man das mensch­li­che Schick­sal ge­spie­gelt sah, Rech­nung tra­gen. Die­ses ers­te gro­ße Ora­to­ri­um Men­dels­sohns soll­te spä­ter das ers­te Stück ei­ner von ihm an­ge­streb­ten theo­lo­gisch-mu­si­ka­li­schen Tri­lo­gie wer­den. In der ora­to­ri­schen Pro­duk­ti­on Men­dels­sohns ging die Ver­to­nung des neu­tes­ta­ment­li­chen Stof­fes über den sieg­rei­chen Apos­tel Pau­lus dem „Eli­a­s“ als alt­tes­ta­ment­li­chem Be­kennt­nis­werk zum Pro­phe­ten Eliah vor­an, dem ein wei­te­res ge­plan­tes Ora­to­ri­um fol­gen soll­te, das als ge­samt­bib­li­sche Syn­the­se ge­dacht war und „Er­de, Höl­le und Him­mel“ (oder auch „Chris­tus“) hei­ßen soll­te. Men­dels­sohn konn­te aber da­von in den letz­ten Mo­na­ten sei­nes Le­bens nur ein­zel­ne Sze­nen um die Ge­burt und das Mar­ty­ri­um des Je­sus von Na­za­reth fer­tig­stel­len.

Le­dig­lich „Pau­lus“ geht in der sa­kral­mu­si­ka­li­schen Pro­duk­ti­on Men­dels­sohns christ­li­chen, aber au­ßer­li­t­ur­gi­schen In­halts über den Rah­men der Evan­ge­li­en hin­aus und schlie­ßt sich ei­nem his­to­ri­schen Chris­ten­tum und dem Be­grün­der sei­ner Kir­che an. Die neue christ­li­che Re­li­gi­on muss­te sich nach Je­su Tod erst im Kampf ge­gen die ge­set­zes­treu­en Ju­den und ge­gen heid­ni­sche an­ti­ke Re­li­gio­nen des Mit­tel­meer­rau­mes durch­set­zen, ins­be­son­de­re ge­gen die Vor­macht­stel­lung der hel­le­nis­ti­schen Re­li­gi­on. Die­se zu un­ter­wer­fen und aus­zu­lö­schen sah Pau­lus aus gu­tem theo­lo­gi­schen und kir­chen­po­li­ti­schen Macht­in­stinkt her­aus als die vor­dring­lichs­te Auf­ga­be an, wenn die Ver­hei­ßun­gen ei­nes kom­men­den Got­tes­rei­ches An­hän­ger im vor­de­ren Ori­ent und in Eu­ro­pa fin­den soll­ten. Al­len­falls in der auch mu­si­ka­lisch voll­zo­ge­nen Ver­herr­li­chung die­ser re­li­gi­ons­his­to­ri­schen Ten­denz könn­te man ei­nen ge­wal­ti­gen Schritt über Men­dels­sohns re­for­mier­tes Be­kennt­nis hin­aus se­hen und fra­gen, was ihn zu die­ser ge­walt­sa­men und über­trie­be­nen Be­kennt­nis­mu­sik ver­an­lasst hat. Da­für ist der Brief­wech­sel mit sei­nem Des­sau­er Theo­lo­gen-Freund Ju­li­us Schub­ring (1806-1889) der ge­eig­ne­te Schlüs­sel.

Mu­si­ka­lisch ver­bleibt Men­dels­sohns Pau­lus-Ora­to­ri­um in­ner­halb der von Hän­del ge­ge­be­nen for­ma­len Ein­heit von Re­zi­ta­ti­ven, Ari­en und Chö­ren, de­ren Ab­fol­ge dra­ma­tisch auf­ge­la­den ist. Die Re­zi­ta­ti­ve sind hier al­ler­dings noch al­lein ei­nem Lek­tor zu­ge­ord­net, der die Hand­lung mehr er­zählt als un­ter­bricht. Ein hand­lungs­in­ten­si­ves, der Oper an­ge­nä­her­tes Ora­to­ri­um, das kei­nen Er­zäh­ler mehr braucht, hat Men­dels­sohn erst mit sei­nem „Eli­a­s“ ge­schaf­fen. Dass Men­dels­sohn auch nach der Ur­auf­füh­rung wei­ter an ei­ner End­fas­sung des „Pau­lus“ ar­bei­te­te, geht aus dem neu auf­ge­fun­de­nen Düs­sel­dor­fer Stim­men­ma­te­ri­al her­vor, das zeigt, wie sehr sich die ge­druck­te Erst­fas­sung noch ein­mal von der ur­sprüng­li­chen, in Düs­sel­dorf auf­ge­führ­ten Ver­si­on un­ter­schied.

Sei­ne im No­vem­ber 1833 fer­tig­ge­stell­te Kon­zer­tou­ver­tü­re „Das Mär­chen von der schö­nen Me­lu­si­ne“ geht auf ein Thea­ter­buch für ei­ne ro­man­ti­sche Oper von Con­ra­din Kreut­zer (1780-1849) zu­rück, die Men­dels­sohn noch in Ber­lin er­leb­te. Aber sie ist nicht als Vor­spiel zu ei­ner Thea­ter­auf­füh­rung ge­dacht, son­dern als selb­stän­di­ges Kon­zert­stück, in dem die gan­ze Ge­schich­te mu­si­ka­lisch nach­er­zählt wird - wie ur­sprüng­lich auch in der Ou­ver­tü­re zu Shake­speares „Ein Som­mer­nachts­traum“ -, noch be­vor Men­dels­sohn viel spä­ter auch ei­ne gan­ze Schau­spiel­mu­sik zu die­sem Stück kom­po­nier­te. Die Ur­auf­füh­rung der Düs­sel­dor­fer Früh­fas­sung der Me­lu­si­nen-Ou­ver­tü­re lässt Men­dels­sohn zu­nächst sei­nen Freund Mo­sche­les im April 1834 in Lon­don di­ri­gie­ren. Er hat sie der Über­lie­fe­rung nach den Düs­sel­dor­fern da­mals vor­ent­hal­ten, weil die Lon­do­ner Kri­ti­ker, sei­ne Schwes­ter Fan­ny und nicht zu­letzt er selbst ei­ni­ges an ihr aus­zu­set­zen hat­ten. Er woll­te sie kor­ri­gie­ren, be­vor er es wag­te, sie in Deutsch­land auf­zu­füh­ren, was erst in ei­nem sei­ner ers­ten Leip­zi­ger Kon­zer­te ge­schah. Viel­leicht hat­te er auch den Düs­sel­dor­fer Mu­si­kern zu­nächst nicht zu­ge­traut, die­ses Werk an­ge­mes­sen auf­zu­füh­ren, denn gleich die ers­ten Er­fah­run­gen mit dem un­gleich prä­zi­ser und fle­xi­bler spie­len­den Leip­zi­ger Ge­wand­haus-Mu­si­kern ani­mier­ten Men­dels­sohn, sei­ne in Düs­sel­dorf ge­plan­te Über­ar­bei­tung der Me­lu­si­nen-Ou­ver­tü­re im Herbst 1835 in Leip­zig schnell vor­zu­neh­men.

Porträt, Karl Ludwig Immermann, Stahlstich von Franz Xaver Stöber nach einer Zeichnungvon Kaarl Friedrich Lessing, undatiert. (Bayrische Staatsbibliothek/port-007933)

 

Die Kon­zer­tou­ver­tü­re „Das Mär­chen von der schö­nen Me­lu­si­ne“ zeigt auch Men­dels­sohns Zwei­fel an der Fä­hig­keit der Mu­sik, et­was zu schil­dern und das Ge­schil­der­te dem Hö­rer ein­deu­tig zu ver­mit­teln so­wie sei­ne dar­an an­schlie­ßen­de Über­le­gung, ob man sich nicht lie­ber ein­mum­men und ver­krie­chen (soll), in al­le mög­li­che In­stru­men­tal­mu­sik oh­ne Ti­tel – wie er an sei­ne Schwes­ter Fan­ny schrieb.[7] Die bis heu­te arg ver­nach­läs­sig­te Düs­sel­dor­fer Kom­po­si­ti­on der Me­lu­si­nen-Ou­ver­tü­re zeigt zwar ei­ne nar­ra­ti­ve Po­tenz der Mu­sik, lei­det in ih­rer Re­zep­ti­on aber auch an Ro­bert Schu­manns bis heu­te wirk­sa­mem Irr­tum, ein be­stimm­tes lieb­li­ches The­ma im ers­ten Teil der Ou­ver­tü­re wür­de die Stim­me Me­lu­si­nens re­prä­sen­tie­ren. Hin­ge­gen ist im mu­si­ka­li­schen Ge­sche­hen in die­ser Ou­ver­tü­re nicht nur abs­trakt und all­ge­mein der Kon­trast zwi­schen der rit­ter­li­chen Sphä­re und je­ner der Ni­xen dar­ge­stellt, son­dern in ih­rem for­ma­len, har­mo­ni­schen und mo­ti­vi­schen Ver­lauf prä­sen­tiert sie ei­nen ge­nau­en Ab­klang der Hand­lung die­ses per­so­nen­be­zo­ge­nen Mär­chens. Es kann erst der im zwei­ten Teil erst­mals auf­kom­men­de Ge­sang der Oboe das Lie­bes­lied der be­tör­ten und be­tö­ren­den Ni­xe sein, wäh­rend der bis­her Me­lu­si­nen zu­ge­schrie­be­ne seh­nen­de Ge­sang der Gei­gen im ers­ten Teil das Lie­bes­wer­ben des aus der Hor­de ver­ein­zel­ten ed­len Rit­ters ver­kör­pern muss.

Nach­dem ge­gen En­de der 1820er Jah­re mit ver­ein­ten Kräf­ten von Men­dels­sohn und sei­nem Ber­li­ner Freund Wil­helm Tau­bert (1811-1891) die neue Gat­tung des In­stru­men­tal­lie­des für Kla­vier er­fun­den und ver­brei­tet wor­den war, hielt Men­dels­sohn sein Le­ben lang an die­sem Ty­pus des pia­nis­ti­schen Cha­rak­ter­stücks fest. Er ver­öf­fent­lich­te in grö­ße­ren Ab­stän­den Samm­lun­gen mit je­weils sechs sol­cher Stü­cke un­ter dem von ihm ge­präg­ten Ti­tel „Lie­der oh­ne Worte“. Er­fun­den hat­te die­se Gat­tung ei­gent­lich Tau­bert, der als ers­ter ei­ne Samm­lung „Min­ne­lie­der an die Ge­lieb­te für das Kla­vier“ ver­öf­fent­licht hat­te. Da­von war Men­dels­sohn so be­geis­tert, dass er Tau­bert, der 1845-1869 als Ber­li­ner Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor wir­ken soll­te, zu die­ser Er­fin­dung gra­tu­lier­te und sie zu­sam­men mit sei­nen ei­ge­nen „Lie­dern“, „ro­man­ces sans pa­ro­le­s“, „songs for pia­no alo­ne“, die er für ei­ni­ge deut­sche, fran­zö­si­sche und eng­li­sche Da­men no­tiert und ih­nen ge­wid­met hat­te, zu ei­ner neu­en Gat­tung der Mu­sik­ge­schich­te er­klär­te.[8] Al­le sechs von Men­dels­sohn in sei­ne zwei­te Samm­lung op. 30 auf­ge­nom­me­nen „Lie­der oh­ne Worte“ stam­men aus der Düs­sel­dor­fer Zeit, dar­un­ter das be­rühm­te zwei­te „Ve­ne­zia­ni­sche Gon­del­lie­d“ in fis-Moll vom März 1835. Ei­ni­ge sei­ner in Düs­sel­dorf kom­po­nier­ten Kla­vier­lie­der hat er auch noch in spä­te­re Samm­lun­gen (opp. 38, 53 und 67) auf­ge­nom­men. Ihr Cha­rak­ter ist sehr un­ter­schied­lich, er reicht von ru­hig flie­ßend und ele­gisch bis auf­ge­regt und feu­rig, oder   wie es in den ita­lie­ni­schen Tem­po- und Cha­rak­ter­be­zeich­nun­gen hei­ßt   von „tran­quil­lo“ über „An­dan­te es­pres­si­vo“ bis zu „Agi­ta­to e con fuo­co“ und „Pres­to e mol­to vi­va­ce“.

Men­dels­sohns in­ten­si­ve Be­zie­hun­gen nach Eng­land, spe­zi­ell zu Lon­do­ner Mu­si­kern, führ­ten zu ei­ner Rei­he von Kom­po­si­tio­nen, die er zwar in Düs­sel­dorf schuf, aber zum Teil nur in Lon­don auf­füh­ren oder zu­nächst dort ur­auf­füh­ren ließ. Da­zu zäh­len das Ron­do bril­lant in Es-Dur für Kla­vier und Or­ches­ter op. 29, das er von No­vem­ber 1833 bis Ja­nu­ar 1834 schrieb und von sei­nem Freund Mo­sche­les, dem das Werk auch ge­wid­met war, in Lon­don ur­auf­füh­ren ließ. Es zählt zu ei­ner Rei­he von ein- bis zwei­sät­zi­gen Kon­zert­stü­cken für die­se Be­set­zung, die Men­dels­sohn zwi­schen sei­nen gro­ßen Kla­vier­kon­zer­ten kom­po­nier­te, um das vir­tuo­se Gen­re der Zeit auch mu­si­ka­lisch auf ho­hem Ni­veau zu hal­ten. Ei­nem Auf­trag der Lon­do­ner Phil­har­mo­nic So­cie­ty folg­te Men­dels­sohn mit der Kom­po­si­ti­on ei­ner Kon­zer­ta­rie nach ei­nem Text von Pie­tro Me­ta­sta­sio (1698-1782), der einst die ita­lie­ni­sche ope­ra se­ria mit Li­bret­ti ver­sorgt hat­te. In die­ser in Düs­sel­dorf ge­schrie­be­nen ers­ten Fas­sung stell­te er der So­pran­stim­me, die bei der Lon­do­ner Ur­auf­füh­rung im Mai 1834 mit der be­rühm­ten Ma­ria Ma­li­bran-Gar­cia (1808-1836) be­setzt war, noch ei­ne ob­li­ga­te So­lo­vio­li­ne an die Sei­te, de­ren Part der nicht we­ni­ger be­rühm­te Gei­ger (und Ma­li­brans Le­bens­ge­fähr­te) Charles de Bé­ri­ot über­nahm. Mit die­ser ver­ein­zel­ten Arie stell­te Men­dels­sohn noch­mals sei­ne Nei­gung zu opern­haf­ter Büh­nen­mu­sik un­ter Be­weis. In ei­ner spä­te­ren Be­ar­bei­tung die­ser Kon­zer­ta­rie für ei­ne Leip­zi­ger Sän­ge­rin ließ er die So­log­ei­ge wie­der fort.

6. Malen und Reiten in Düsseldorf - Abgang aus Düsseldorf

Men­dels­sohn hat in sei­ner Düs­sel­dor­fer Zeit hart ge­ar­bei­tet, aber er war auch als le­bens­fro­her Mensch, der an­de­ren Glück spen­den konn­te und woll­te, Ver­gnü­gun­gen nicht ab­ge­neigt. Auch war er für an­de­re Küns­te, für Li­te­ra­tur und bil­den­de Kunst zu be­geis­tern und ver­such­te, sei­ne Mu­sik mit ih­nen zu ver­knüp­fen. Vor al­lem sei­ne be­reits in Ber­lin er­wor­be­nen Kennt­nis­se in prak­ti­scher Ma­le­rei konn­te er hier an­wen­den. Er war be­freun­det mit Ben­de­mann so­wie dem Di­rek­tor der Düs­sel­dor­fer Kunst­aka­de­mie und Haupt der Düs­sel­dor­fer Ma­ler­schu­le, Wil­helm von Scha­dow (1788-1862) - er wohn­te auch bei ihm -, mit de­nen er ei­nen in­ten­si­ven Ge­dan­ken­aus­tausch über Tech­ni­ken und Su­jets der bil­den­den Kunst pfleg­te. Zu Er­ho­lung kauf­te sich Men­dels­sohn ein Pferd und un­ter­nahm so man­chen Ritt in die Um­ge­bung. Schon En­de Sep­tem­ber 1833, noch be­vor er sich recht con­sti­tuirt hat­te und trotz al­ler­lei Ge­schäfts­gän­gen, die er zu ab­sol­vie­ren hat­te, mein­te Men­dels­sohn: Üb­ri­gens ge­fall ich mir präch­tig hier.[9]

Da­bei dürf­te es dann lan­ge Zeit ge­blie­ben sein. Ob­wohl Men­dels­sohn an­fäng­lich stark mit man­geln­der Qua­li­tät und Dis­zi­plin der Düs­sel­dor­fer Mu­si­ker zu kämp­fen hat­te, er die Sta­tu­ten än­dern und bei den Pro­ben schrei­en und schimp­fen muss­te und da­bei so­gar ein­mal die Par­ti­tur von Beet­ho­vens Eg­mont-Ou­ver­tü­re zer­schlug, er­kann­ten die­se bald die Vor­tei­le von Men­dels­sohns Stren­ge. Zwar hat­te sich Men­dels­sohn mit sei­nem her­ri­schen Auf­tre­ten zu­nächst auch bei den Mu­si­kern äu­ßerst un­be­liebt ge­macht, bald aber er­freu­ten sie sich an dem er­ziel­ten ver­bes­ser­ten Klang, den auch das Pu­bli­kum zu schät­zen wuss­te. Den­noch wur­de Men­dels­sohn nach zwei Sai­sons der An­stren­gun­gen und an­hal­ten­den Que­re­len am Stadt­thea­ter mü­de, zwei­fel­te wohl auch an der Mög­lich­keit, das Ni­veau in Düs­sel­dorf je­mals auf die von ihm an­ge­streb­te Hö­he he­ben zu kön­nen, so­dass er dem An­ge­bot aus Leip­zig, dort die Lei­tung des re­nom­mier­ten Ge­wand­hau­ses zu über­neh­men, nicht wi­der­ste­hen konn­te. Er blieb der Stadt Düs­sel­dorf freund­schaft­lich ver­bun­den und di­ri­gier­te auch in den nächs­ten Jah­ren dort im­mer wie­der ger­ne.

Sei­ne Hoch­zeits­rei­se mit sei­ner in Frank­furt wäh­rend der Pro­ben im Cä­ci­lia-Ge­sang­ver­ein ken­nen und lie­ben ge­lern­ten Braut Cé­ci­le Jean­ren­aud un­ter­nahm er im Früh­ling und Früh­som­mer 1837 von Mainz aus rhein­auf­wärts an den Ober­rhein, ei­ne wei­te­re Rei­se für die bei­den Ehe­leu­te schloss sich un­mit­tel­bar da­nach an und führ­te sie von Frank­furt aus bis an den Nie­der­rhein, wo sich Fe­lix zu ei­ner wei­te­ren Eng­land­rei­se in Düs­sel­dorf ein­schiff­te. Bei­de Rei­sen sind in ei­nem von Cé­ci­le und Fe­lix Men­dels­sohn ge­führ­ten ge­mein­sa­men Ta­ge­buch do­ku­men­tiert.[10]  

Men­dels­sohn war ein der Le­bens­lust nicht ab­ge­neig­ter, aber auch hart und kon­ti­nu­ier­lich ar­bei­ten­der Künst­ler, der für die ver­schie­de­nen As­pek­te sei­ner mu­si­ka­li­schen Be­ga­bung als Pia­nist, Di­ri­gent, Kom­po­nist und Or­ga­ni­sa­tor hier prä­gen­de Er­fah­run­gen für sei­nen wei­te­ren Le­bens­weg mach­te, hier für die gro­ßen Leip­zi­ger Auf­ga­ben, die Lei­tung des Ge­wand­hau­ses und die Grün­dung des Kon­ser­va­to­ri­ums her­an­reif­te – das dürf­te die Quint­es­senz der Düs­sel­dor­fer Jah­re sein.

Mendelssohn Haus, Schadowstraße 30 in Düsseldorf, Foto um 1905. (Stadtarchiv Düsseldorf/5_8_0_034_763_058)

 

7. Ein Denkmal für Mendelssohn

Nicht nur die Leip­zi­ger und Ber­li­ner hat­ten und ha­ben al­so Grund, sich des in ih­rer Stadt wir­ken­den Mu­si­kers zu er­in­nern und dies im Rah­men der Denk­mal­kul­tur zu do­ku­men­tie­ren. Die Düs­sel­dor­fer ehr­ten Men­dels­sohns Tä­tig­keit für das Mu­sik­le­ben ih­rer Stadt, die über die Zeit sei­ner An­we­sen­heit und sei­nes To­des hin­aus Aus­wir­kun­gen hat­te, in­dem sie ihm nach lan­ger Vor­be­rei­tung und dem Ein­trei­ben von Spen­den im Jahr 1901 ein Denk­mal er­rich­te­ten, zu­sam­men mit dem für Im­mer­mann di­rekt vor dem Stadt­thea­ter. Die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Kul­tur­po­li­tik ver­bot in ih­rer an­ti­se­mi­ti­schen Aus­rich­tung nicht nur die Auf­füh­rung von Men­dels­sohns Wer­ken, son­dern leg­te auch Hand an das Denk­mal, ließ es im Au­gust 1936 ab­rei­ßen und das de­mon­tier­te Denk­mal 1940 als Me­tall­spen­de für den Krieg ein­schmel­zen. Erst im An­schluss an Men­dels­sohns 200. Ge­burts­tag im Jahr 2009 bil­de­te sich in Düs­sel­dorf ei­ne In­itia­ti­ve für die Wie­der­er­rich­tung des Denk­mals durch pri­va­te Spen­den. Es ent­stand ein er­folg­reich ar­bei­ten­der För­der­ver­ein zur Wie­der­auf­stel­lung des Men­dels­sohn-Denk­mals, der vom Düs­sel­dor­fer Mu­sik­ver­ein un­ter­stützt wur­de. Ein Bron­ze­ab­guss des Ori­gi­nals von 1901 steht seit 2012 am Ran­de des Hof­gar­tens, der Saal in der Düs­sel­dor­fer Ton­hal­le hei­ßt seit­dem Men­dels­sohn-Saal.

Quellen

Fe­lix Men­dels­sohn Bar­thol­dy, Sämt­li­che Brie­fe, hg. v. Hel­mut Loos u. Wil­helm Sei­del, 12 Bän­de, Kas­sel 2008-2017.

Literatur

Ball­sta­edt, An­dre­as/Ka­lisch, Vol­ker/Kort­län­der, Bernd (Hg.), Bür­ger­lich­keit und Öf­fent­lich­keit. Men­dels­sohns Wir­ken in Düs­sel­dorf, Schli­en­gen 2012.

Hei­ne-In­sti­tut Düs­sel­dorf (Hg.), „Üb­ri­gens ge­fall ich mir präch­tig hier“. Fe­lix Men­dels­sohn Bar­thol­dy in Düs­sel­dorf, Düs­sel­dorf 2011.

We­ber-Bock­holdt, Pe­tra (Hg.), Men­dels­sohn und das Rhein­land, Mün­chen 2011.

Weh­ner, Ralf (Hg.), Men­dels­sohn Werk­ver­zeich­nis (MWV), Wies­ba­den 2008. 

Denkmal in Düsseldorf, 2012 eingeweiht, Bronzeguss nach dem Original von 1901, 2014. (CC BY-SA 3.0)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Sühring, Peter, Übrigens gefall ich mir prächtig hier - Felix Mendelssohn in seinen Düsseldorfer Jahren 1833-1835, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/%25C3%259Cbrigens-gefall-ich-mir-praechtig-hier---felix-mendelssohn-in-seinen-duesseldorfer-jahren-1833-1835/DE-2086/lido/623979ae0f8201.55181321 (abgerufen am 19.02.2025)

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 16.01.2025, zuletzt geändert am 20.01.2025