
Übrigens gefall ich mir prächtig hier - Felix Mendelssohn in seinen Düsseldorfer Jahren 1833-1835

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847), Brustbild en face. - Lithographie von Friedrich Jentzen, gedruckt vom königlichen lithographischen Institut Berlin nach einem Gemälde von Theodor Hildebrandt, 1837. (gemeinfrei)
Zu den Kapiteln
1. Nach Düsseldorf!
Für Felix Mendelssohn[1] waren die knapp zwei Jahre, die er in Düsseldorf vom September 1833 bis Juli 1835 lebte und arbeitete, eine Periode und ein Ort des Übergangs. Die Zeit zwischen seiner früheren Tätigkeit in Berlin und der späteren in Leipzig war in seiner Laufbahn ein bedeutender und weitgehend glücklich verlaufender Lebensabschnitt. Außerdem beendete sie seine Wanderjahre. Nachdem ihm im Januar 1833 in Berlin die Leitung der Singakademie von der wählenden Mitgliederversammlung verwehrt worden war und er sich enttäuscht und deprimiert von der preußischen Residenzstadt abwenden wollte, zog es ihn zunächst wieder ins Ausland. Besonders drängte es ihn erneut nach England, um dort Anfang Mai mit seinem Freund Ignaz Moscheles (1794-1870) zu musizieren und seine noch in Berlin zu Ende komponierte Sinfonie in A Dur, die „Italienische“, uraufzuführen.[2]
Düsseldorf war für den in oder an Berlin gescheiterten jungen und schon sehr erfahrenen Komponisten und Musikpraktiker Mendelssohn nach seinen ersten englischen Erfahrungen das richtige Pflaster zum richtigen Zeitpunkt. Auch diese Stadt war mit dem Wiener Kongress Teil der Rheinprovinz und damit preußisch geworden, aber der Code Napoleon, unter dem die Düsseldorfer auch nach der „Franzosenzeit“ lebten, und der Verlust eines eigenen fürstlichen Hofes hatten das lokale Bürgertum besonders für Kunst und Wissenschaft empfänglich gemacht und es dazu aktiviert, öffentliche Bildungsinstitutionen einzurichten, die vielen liberalen Künstlern und Wissenschaftlern ein reiches Betätigungsfeld boten.
Im März 1833 hatte Mendelssohn in Berlin eine Einladung aus Düsseldorf erreicht, dort Ende Mai die Leitung des Niederrheinischen Musikfestes zu übernehmen, welche er dankbar annahm. Dann wurde er von London kommend während der Proben zum Musikfest von einem weiteren Angebot überrascht, ab 1. Oktober den Posten des vakanten Städtischen Musikdirektors in Düsseldorf zu übernehmen. Mendelssohn unterzeichnete den Vertrag noch vor dem Beginn des Festes und trat dann nach einer weiteren England-Reise sein erstes öffentliches Amt pünktlich an. Er war verpflichtet, die Chor- und Orchesterkonzerte des Städtischen Musikvereins („Verein zur Beförderung der Tonkunst“, wie er sich etwas gespreizt nannte) und die katholische Kirchenmusik an den beiden Hauptkirchen St. Maximilian und St. Lambertus zu leiten. Auch hatte er außerdem versprochen, die Opernaufführungen im Städtischen Theater einzustudieren und zu dirigieren. Heute ist man gut über die Arbeitssituation von Mendelssohn während seiner Düsseldorfer Jahre informiert, weil einige der lange weder ausgewerteten noch publizierten Arbeitsnotizen Mendelssohns aus der Düsseldorfer Zeit, die heute in Oxford liegen, transkribiert und annotiert worden sind.
Alle die in Düsseldorf zu übernehmenden Aufgaben und Ämter interessierten Mendelssohn recht wohl, er versprach sich aber von seinem dortigen Aufenthalt auch, bei gesicherten finanziellen Verhältnissen und einem vierteljährlichen Urlaub recht ruhig und für mich componiren zu können.[3] Trotz der intensiven Erfüllung eines vollen Programms für die und in der Öffentlichkeit sollte ihm das in Düsseldorf auch fast gelingen, wenn auch nicht im angestrebten Umfang. Sein Oratorium „Paulus“ konnte er während seiner Düsseldorfer Jahre nicht ganz fertigstellen, doch es gehört weitgehend zu den Resultaten dieser Jahre. Es ist dann auch, obwohl ursprünglich für eine Aufführung im Frankfurter Cäcilienverein des katholischen Kirchenmusikers Johann Nepomuk Schelble (1789-1837) vorgesehen, zur Eröffnung des Niederrheinischen Musikfestes im Jahr 1836 in Düsseldorf von ihm selbst uraufgeführt worden. Es gehören zu seinen Düsseldorfer Kompositionen weiterhin die bis heute kaum beachtete Konzertouvertüre „Das Märchen von der schönen Melusine“, mehrere der schönsten „Lieder ohne Worte“ (aus dem 2. Heft op. 30), einige Schauspielmusiken zu Stücken von Karl Immermann (1796 1840) und mehrere Bearbeitungen eigener und fremder Werke. Sein freiwilliges Engagement für die Kirchenmusik und das Theater überwucherten schließlich seine geheimen kompositorischen Pläne, zu denen auch eine Oper nach William Shakespeares (1564-1616) „Der Sturm“ gehörte, für die das Düsseldorfer Stadttheater tatsächlich der rechte Ort gewesen wäre.
2. Mendelssohns Konzertprogramme in Düsseldorf
Schon die von ihm geleiteten Konzerte während des Niederrheinischen Musikfestes im Mai 1833 zeigten den Düsseldorfern und den rheinischen Gästen, wohin die musikalische Reise gehen würde. Seine erste musikalische Tat war die deutsche Erstaufführung des Oratoriums „Israel in Ägypten“ von Georg Friedrich Händel (1685-1759). So wie es heißt, Mendelssohn habe mit seiner Berliner Wiederaufführung der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach (1685-1750) im Jahr 1829 eine Bach-Renaissance in Deutschland ausgelöst (wobei Bach nach seinem Tod nie wirklich vergessen war), ist es mindestens so berechtigt festzustellen, er habe von Düsseldorf aus eine Händel-Renaissance in Deutschland bewirkt. Mendelssohn hat seine England-Reisen stets dazu benutzt, um in Oxford oder im British Museum die originalen Handschriften Händels zu studieren. Mendelssohn gab wie schon die Bachsche Matthäuspassion das Händelsche Oratorium in einer modernen, gekürzten Bearbeitung und stellte ihm seine frisch komponierte Trompeten-Ouvertüre voran. Am 22. Oktober gab er anlässlich des Besuchs des preußischen Kronprinzen in der Rheinprovinz davon sogar eine dramatisierte, halbszenische Fassung mit den damals beliebten, sogenannten „Lebenden Bildern“, Gesten und Kulissen nach Entwürfen der Düsseldorfer Maler Eduard Bendemann (1811-1889) und Julius Hübner (1806-1882). Das zweite Konzert während des Musikfestes im Mai eröffnete Mendelssohn mit Beethovens Pastoral-Sinfonie, die damals, sechs Jahre nach Beethovens Tod, noch nicht unbedingt zum Standardrepertoire von Sinfoniekonzerten gehörte.
Überblickt man die Programminhalte der weltlichen und kirchlichen Konzerte sowie der Opernaufführungen Mendelssohns in Düsseldorf während der folgenden zwei Saisons, so ergibt sich ein interessantes und historisch lehrreiches Bild. Auffällig ist, dass Mendelssohn mehr noch in der sakralen als in der profanen Musik vergleichsweise wenige eigene Werke spielen ließ, vor allem nicht die frisch komponierten, denen er wie üblich erst noch eine längere Phase der Überarbeitung angedeihen lassen wollte. Vor allem mit seinen abendlichen Kirchenmusiken gestaltete er überwiegend historische Kirchenkonzerte.
Betrachten wir zunächst exemplarisch einige der Konzerte zwischen dem 22.11.1833 und dem 2.7.1835, die Mendelssohn im Bekkerschen Saal, im Kasinosaal oder im Saal der Lesegesellschaft dirigierte. Das erste von Mendelssohn geleitete Städtische Konzert des Düsseldorfer Musikvereins am 22. November brachte Beethovens Ouvertüre zu Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) Trauerspiel „Egmont“, Mendelssohns in Berlin uraufgeführtes Klavierkonzert op. 25 mit ihm als Solisten und „Das Alexanderfest“ von Händel zu Gehör. Die Ouvertüre zu „Egmont“ war nur ein Vorspiel zu der im Januar 1834 stattfindenden Aufführung des gesamten Trauerspiels im Stadttheater mit der Musik von Beethoven, so wie es sich der Komponist ursprünglich gedacht hatte und wie auch Mendelssohn selbst seine eigenen zahlreichen Schauspielmusiken stets aufgeführt wissen wollte.
Die Konzertgestaltung der damaligen Zeit, an deren näherer Ausformung und Maßstäbe setzender Umformung Mendelssohn beteiligt war, unterschied sich deutlich von heutigen Gewohnheiten. Orchesterauftritte wurden mit Kammermusik durchsetzt, immer wieder gab es solistische und chorische Gesangsnummern, zum Teil mit ganzen Auszügen aus Opern. So darf es nicht verwundern, dass – wie in einem Konzert am 10.12.1833 im Kasinosaal, veranstaltet von Militärmusikern – nach einer -Sinfonie von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) und einem Violinkonzert von Johann Heinrich Lübeck (1799-1865) eine Sopranarie erklang, gefolgt von einem Potpourri für Klarinette aus der Oper „Die Stumme von Portici“ von Daniel-François-Esprit Auber (1782-1871), darauf eine Leonoren-Ouvertüre von Beethoven nebst einer seiner Violinsonaten, gefolgt von einem Duett aus Louis Spohrs (1784-1859) Oper „Jessonda“ und zum Schluss Variationen für Violine von dem Virtuosen Charles Auguste de Bériot (1802-1870). Das zweite Konzert Mendelssohns mit dem Orchester des Musikvereins im Januar 1834 brachte gleich wieder eine Beethoven-Sinfonie (die fünfte in c Moll), dann Auszüge aus Joseph Haydns (1732-1809) Oratorium „Die Jahreszeiten“ sowie aus Carl Maria von Webers (1786-1826) Oper „Oberon“, um mit Mendelssohns Ouvertüre zu „Ein Sommernachtstraum“ zu schließen. Das deutet abermals darauf hin, dass Konzertouvertüren eine selbständige, in sich abgeschlossene konzertante Kunstgattung waren, auf dem Weg zur „Sinfonischen Dichtung“. Die Ausschnitte aus Haydns Jahreszeiten waren wieder nur das Vorspiel zu einer im Februar folgenden kompletten Aufführung des Oratoriums, allerdings ohne Orchester, sondern mit Begleitung durch zwei Klaviere.
Das dritte Konzert im Mai brachte nach Mozarts Ouvertüre zu „Die Zauberflöte“ das Klavierkonzert in fis-Moll von Norbert Burgmüller (1810 36), eines von Mendelssohn stark geförderten jungen Düsseldorfer Komponisten, der leider früh verstarb, Auszüge aus Spohrs „Jessonda“ und Händels „Israel in Ägypten“ sowie eine Freie Fantasie für Klavier von Mendelssohn. Dieses „Fantasieren“, vor Publikum und improvisiert, liebte Mendelssohn ganz besonders, und es verband ihn auch später noch mit Düsseldorf und einem denkwürdigen Konzert im Mai 1842, als er wieder einmal, von Leipzig kommend und auf dem Weg nach London, während eines Niederrheinischen Musikfestes in Düsseldorf auftrat. Der angesagte Violinvirtuose Heinrich Wilhelm Ernst (1812-1865) wollte weder zu den Proben noch zur Aufführung erscheinen, und so musste Mendelssohn spontan auf die Darbietung von Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur überwechseln und ging nach weiteren zweien seiner „Lieder ohne Worte“, weil sie anfingen, ihn müde zu machen, dazu über, frei zu fantasieren. Seiner Schwester Rebecka berichtete er darüber begeistert und ironisch zugleich: […] und spielte wohl eine halbe Stunde so gut wie ich es noch niemals öffentlich und nicht immer einmal unter uns gethan habe. Die Leute machten aber auch ein Gebrüll, wie ichs mein Lebtag nicht gehört habe, und überschrieen den Tusch, daß man ihn nicht hören konnte, und ich hatte selbst viel Freude daran. Siehst du wohl, Beckchen, es ist alles sehr eitel. Nun muß ich aber der Wahrheit zu Ehren sagen, daß ich einige Tage später in Bonn lange nicht so gut phantasirte, und wieder einen Tag darauf in Cöln viel schlechter als in Bonn. Also ward ich auch wieder bescheiden.[4]
In der Saison 1834/1835 wurde ein Teil der Konzerte des Städtischen Musikvereins auf Mendelssohns Wunsch in Abonnementskonzerte umgewandelt, deren erstes am 23.10.1834 stattfand. Wieder eröffnete Mendelssohn es mit einer Beethoven-Sinfonie, diesmal der vierten in B-Dur und führte es weiter mit einem Duett aus Spohrs „Jessonda“ sowie der Violoncello-Sonate in A-Dur op. 69 von Beethoven, um im zweiten Konzertteil den ersten Teil von Händels Oratorium „Samson“ aufzuführen. Mendelssohn hatte einen Aufenthalt in London genutzt, um im British Museum die Originalhandschrift Händels einzusehen und daraus Konsequenzen für aufführungspraktische Fragen, zum Beispiel für den Einsatz der Orgel während der Chöre, zu ziehen. Das zweite Abonnementskonzert brachte Burgmüllers erste Sinfonie, eine Arie aus Webers „Oberon“, eine Elegie für Violoncello und Orchester von Bernhard Romberg (1767 1841), drei Tenorlieder mit Klavierbegleitung von Friedrich Curschmann (1805-1841), Mendelssohn und Beethoven, Mendelssohns Rondo brillant für Klavier und Orchester Es-Dur op. 29 von (von ihm in Düsseldorf komponiert und mit ihn am Klavier als Solisten) und abschließend ein Duett von Saverio Mercadante (1795-1870).
Im dritten Abonnementskonzert konnte das Düsseldorfer Publikum außer der dritten Sinfonie von Beethoven („Eroica“), drei Liedern aus Webers Gesängen „Leyer und Schwert“ und einem Notturno für obligate Oboe von Johann Nepomuk Hummel (1778-1837) im zweiten Teil noch den gesamten ersten Teil aus Händels Oratorium „Judas Maccabäus“ genießen. Das vierte Abonnementskonzert war mit der Gesamtaufführung von Haydns Oratorium „Die Jahreszeiten“, diesmal mit vollem Orchester, ausgefüllt. Das fünfte Abonnementskonzert im Februar 1835 brachte außer der großen g-Moll-Sinfonie von Mozart und Spohrs achtem Violinkonzert („in Form einer Gesangsszene“) noch eine Bassarie mit obligat begleitendem Bassetthorn aus Mozarts Oper „La clemenza di Tito“, Webers Konzertstück für Klavier und Orchester f-Moll, Stücke aus Luigi Cherubinis (1760-1842) Oper „Ali Baba“ und abschließend das gemischte Streicher-Bläser-Septett op. 20 von Beethoven. „Der Messias“ von Händel war Gegenstand des sechsten und letzten von Mendelssohn dirigierten Abonnementskonzert im März 1835. Sein letztes Konzert mit dem Düsseldorfer Verein für Tonkunst gab Mendelssohn am 2.7.1835, wieder mit einer Beethoven-Sinfonie zu Beginn (diesmal der siebenten in A-Dur), dann kam Beethovens aus zwei Gedichten von Goethe zusammengebundene Kantate „Meeresstille und glückliche Fahrt“, Mendelssohns bereits 1832 komponiertes Capriccio brillant für Klavier und Orchester (wieder mit dem Komponisten am Klavier) und dem „Dettinger Tedeum“ von Händel als zweitem Teil des Konzerts.
Hinzu kommen Konzerte, die, wie damals üblich, einzelne Virtuosen veranstalteten und bei denen Mendelssohn nur engagiert war, um ein Potpourri verschiedener Solostücke zu begleiten, als Dirigent mit Orchester oder als Pianist. Einige wenige Konzerte konnte Mendelssohn an andere Dirigenten abtreten, so das zehnte Vereinskonzert außerhalb des Abonnements, das Julius Rietz (1812-1877) dirigierte und eine weitere Beethoven-Sinfonie, die achte in F-Dur, enthielt. Außerdem ist Mendelssohns Beteiligung an etlichen Hausmusiken in Düsseldorfer Bürgerhäusern überliefert, in denen stets die Kammermusik Beethovens dominierte.
3. Düsseldorfer Kirchenmusik unter Mendelssohn
Hinsichtlich der Ausgestaltung der Düsseldorfer katholischen Kirchenmusik, weniger des liturgischen als des konzertanten Teils, ist zu beachten, dass Mendelssohn noch vor seinem ersten weltlichen Konzert gleich Anfang Oktober 1833 eine Reise in lokale Kirchenarchive des Rheinlands unternahm, zunächst nach Elberfeld (heute Stadt Wuppertal), Bonn und Köln. Weitere Forschungsreisen führten ihn bis nach Koblenz, wo er auch Verwandte hatte. Er betätigte sich als unermüdlicher Sucher nach Originalquellen vergangener Musik und sorgte damit in Düsseldorf in den frühen 1830er Jahren für Wiederaufführungen älterer kirchenmusikalischer Werke von Händel, Antonio Lotti (1667-1740), Giovanni Battista Pergolesi (1710-1736), Leonardo Leo (1694-1744), Orlando di Lasso (1532-1594) und Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525-1594). Die Programme der von ihm veranstalteten und geleiteten abendlichen Kirchenmusiken in St. Maximilian und St. Lambertus legen davon beredt Zeugnis ab.
Was die religiöse Stellung Mendelssohns und seine kirchenmusikalischen Aktivitäten im Allgemeinen betrifft, so sei angemerkt, dass er entgegen einer weit verbreiteten Ansicht kein “konvertierter Jude“ war, sondern aus einem zunächst areligiösen, säkularen jüdischen Haus kam, in dem die Rituale des mosaischen Glaubens nicht mehr gepflegt wurden. Er wurde noch vor seinen Eltern 1816 im Alter von sieben Jahren christlich getauft, was seine erste Begegnung mit Religion überhaupt bedeutete. Um die Unbefangenheit zu verstehen, mit der Mendelssohn als evangelischer Christ sich der katholischen Kirchenmusik in Düsseldorf widmete, ist zu berücksichtigen, dass er im reformierten Bekenntnis getauft worden und in den entsprechenden Konfirmationsunterricht gegangen war. Das reformierte Bekenntnis zeichnete sich vor der Kirchenunion dadurch aus, dass in ihm das Alte Testament eine bevorzugte Stellung einnahm und als Glaubensinhalte lediglich die Worte Jesu galten. Diese Ausrichtung erlaubte es Mendelssohn, ohne Rücksicht auf weite Teile des Neuen Testaments und daraus entwickelter kirchlicher Dogmen für die Liturgien aller christlichen Konfessionen komponieren und arbeiten zu können. Das tat er auch sein Leben lang während seiner Düsseldorfer Zeit vornehmlich für die katholische Liturgie und deren Kirchenkalender. Gleichzeitig musste Mendelssohn von Düsseldorf aus zeitweilig den katholischen Cäcilienverein in Frankfurt am Main leiten, um seinen Freund Schelble, der ebenfalls Überragendes für die Wiederaufführung der großoratorischen Werke von Bach geleistet hatte, nun aber schwer erkrankt war, zu vertreten. Unter den Sängerinnen des Frankfurter Vereins fand er auch seine spätere Ehefrau Cécile Jeanrenaud (1817-1853).
Gleich am 13.10.1833 führte Mendelssohn neben einem eigens komponierten Prozessionsmarsch für das Patronatsfest von St. Maximilian eine Haydn-Messe auf und brachte in seiner ersten abendlichen Kirchenmusik die Motette „Popule meus“ von di Lasso zu Gehör. Seine erste Karfreitagsmusik im Jahr 1834 füllte er mit „Die sieben Worte“ von Pierluigi da Palestrina, um dann seine erste Kirchenmusik zu Ostern an St. Lambertus mit der C-Dur-Messe von Cherubini zu bestreiten, Anfang Mai wiederholt in St. Maximilian anlässlich des Besuchs des Kölner Erzbischofs und abermals in St. Lambertus zum Apollinarisfest, dem Fest des Stadtpatrons. Ebenfalls in St. Lambertus gab er im April eine abendliche Kirchenmusik mit der c-Moll-Messe op. 18 von Moritz Hauptmann (1792-1868), dem späteren Leipziger Thomaskantor (Wiederholung zu Ostern 1835). Zu Christi Himmelfahrt 1834 brachte Mendelssohn in beiden Hauptkirchen die von ihm aufgefundenen Kompositionen von Lotti (ein „Crucifixus“ und einen Psalm) sowie seine eigene Choralbearbeitung „Mitten wir im Leben sind“ von 1830 zu Aufführung. Zum Fronleichnamsfest 1834 wurden in St. Maximilian die C-Dur-Messe von Beethoven mit Mozarts „Ave verum“ aufgeführt; beides wurde dort ein Jahr später wiederholt. Am Fest Peter und Paul (29. Juni) erklangen dort auch zwei Bach-Kantaten. Händels „Dettinger Tedeum“ war zu Mariä Himmelfahrt (15. August) in beiden Hauptkirchen zu hören, ebenso Mozarts Requiem am 20. August. Zum Patronatsfest von St. Maximilian erklang Haydns B-Dur-Messe mit Mozarts „Ave verum“. Als Kirchenmusik zu Allerseelen (2. November) wurde in St. Lambertus Cherubinis Requiem aufgeführt. Die nächste Kirchenmusik wurde erst wieder zum Karfreitag 1835 veranstaltet, wo drei Responsorien von Pierluigi da Palestrina und Lottis „Crucifixus“ erklangen. Mendelssohn hatte sich im Jahr 1834 auf die Gestaltung der Düsseldorfer Kirchenmusik konzentriert, um den Querelen am Stadttheater um die Frage der Finanzierung der aufwendigen Inszenierungen Immermanns aus dem Weg zu gehen. Mendelssohn diente der Stadt- und Kirchenverwaltung auch als Orgelsachverständiger, der Vorschläge zur Reparatur und Umgestaltung der Orgeln in den beiden Hauptkirchen machen konnte.
4. Opernaufführungen und Schauspielmusiken am Düsseldorfer Stadttheater - Zusammenarbeit mit Karl Immermann
Bereits im Dezember 1833 leitete Mendelssohn seine erste Opernaufführung mit „Don Giovanni“ von Mozart, die eine Wiederholung erfuhr. Hierbei kam es zu seiner ersten intensiven, später immer schwieriger werdenden Zusammenarbeit mit dem Theaterintendanten Karl Immermann, den Mendelssohn völlig zu Recht wegen seines „komischen Heldenepos“ „Tulifäntchen“ (1829) für einen der bedeutendsten Dichter im damaligen Deutschland hielt und mit dem er schon früher von Berlin aus in Verbindung gestanden hatte. Immermann hatte den Ehrgeiz, für Deutschland sogenannte „Musteraufführungen“ zu inszenieren, die dann als Vorbilder und Stereotypen im ganzen Land gelten sollten. Die mit solchen Mustervorstellungen verbundenen ästhetischen Normen und vereinheitlichenden Kriterien sollten zwar der Qualitätssteigerung und -sicherung dienen, führten aber meistens doch auch zu Verengungen und zur Aufrichtung von aufführungspraktischen Dogmen. Das konnte nicht im Sinne Mendelssohns sein und führte auch über kurz oder lang zu Unstimmigkeiten mit dem Intendanten und Konflikten mit der Stadtverwaltung. War mit „Don Giovanni“ noch ein negativer adeliger Held ausgesucht worden, der zur Verdammnis bestimmt war, so verkörperte die zweite von Mendelssohn im März 1834 (mit Wiederholung) geleitete Oper, Luigi Cherubinis „Der Wasserträger“, einen positiven Helden aus dem vierten Stand, der mit seiner Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft die höheren Stände, Adel und Bürgertum, in den Schatten stellt und beschämt. Wenn man so will, war sie die erste „proletarische“ Oper, allerdings ganz ohne revolutionäre Ambitionen.
Im November 1834, wenige Tage nachdem er auch die Neueröffnung des Theater- und Opernhauses mit von Webers „Jubelouvertüre“ und der Ouvertüre „Die Weihe des Hauses“ von Beethoven geleitet hatte, dirigierte Mendelssohn einen Opernabend mit Heinrich Marschners (1795-1861) „Der Templer und die Jüdin“ mit zwei Wiederholungen, die er sich mit Julius Rietz aufteilte und vier Tage später Carl Maria von Webers „Oberon“, mit einer Wiederholung. Für die Marschner-Oper hatte sich Mendelssohn in direkten Verhandlungen mit dem Komponisten eingesetzt, mit dem Dirigat des Weberschen „Oberon“ erfüllte sich Mendelssohn einen Wunsch seiner Jünglingsjahre, denn er hatte die deutsche Erstaufführung dieser letzten Oper von Weber 1828 in Berlin mit Enthusiasmus verfolgt.
Ein anderes Kapitel in Verbindung mit dem Stadttheater waren Mendelssohns Beiträge zu dort aufgeführten Theaterstücken in Form von Schauspielmusiken, besonders für Stücke von Immermann. Es waren musikalische Einlagestücke für einzelne Szenen, in denen entweder von der Handlung her ohnehin Musik verlangt war, Lieder oder Chöre gesungen werden sollten oder zur Steigerung der Stimmung Musik eingesetzt werden sollte. Die ausführlichste Schauspielmusik hatte Mendelssohn bereits vor seinem Düsseldorfer Amtsantritt in Berlin für Immermanns Stück „Der standhafte Prinz“ komponiert: Chöre, eine Schlachtmusik und zwei gravitätische Märsche; sie wurde am 9.4.1833 in Düsseldorf aufgeführt. Es folgte im April 1834 die Musik zu Immermanns „Andreas Hofer“ mit den Arrangements eines Tirolerlieds und der Marseillaise mit Trommeln auf offener Bühne. Für die festliche Wiedereröffnung des Düsseldorfer Stadttheaters im Oktober 1834 steuerte Mendelssohn noch eine Adaption von Mozarts Komtur-Musik aus dessen „Don Giovanni“ bei für die Statuen-Szene in Immermanns Stück „Kurfürst Johann Wilhelm im Theater“ und komponierte eine musikalische Untermalung für das Lebende Bild „Der Parnass“, das Immermann nach einer italienischen Vorlage entworfen hatte. Weitere verloren gegangene Musiken zu Lebenden Bildern hatte Mendelssohn im Dezember 1834 beigesteuert; zuletzt komponierte er für die Düsseldorfer Bühne noch ein Bojaren-Lied für Männerchor und Blasinstrumente für Immermanns Stück „Alexis“, dessen Aufführung im April 1835 stattfand.
Mendelssohns Erfahrungen im inneren Betrieb eines Theater- und Opernhauses und seine Debatten mit Immermann haben viel zu seinem Verständnis der Gegebenheiten und Erfordernisse von wirkungsvoller Bühnenmusik beigetragen. Umso bedauerlicher ist es, dass er diese wertvollen und eindringlichen Erfahrungen nicht bei der Produktion einer eigenen großen Oper umsetzen konnte. Wie in Düsseldorf, wo er längere Zeit mit Immermann an dem Projekt einer Oper zu Shakespeares „Der Sturm“ laborierte, ohne mit der Komposition zu beginnen,[5] ermangelte es Mendelssohn zeitlebens eines geeigneten, ihn wirklich zufriedenstellenden Librettos. Dass er sich aber in seinem letzten Lebensjahr entschloss, an einem Libretto Emanuel Geibels über den Lorelei-Mythos zu arbeiteten und einige Szenen des 1. Aktes fragmentarisch hinterließ, zeigt bei der Auswahl des Stoffes seine Verbundenheit mit dem Sagenkreis des Rheinlandes. Beim schließlichen Zerwürfnis mit Immermann ging es im Dreieck zwischen Mendelssohn, Immermann und der Stadtverwaltung um die Frage der Theaterintendanz, die Mendelssohn auf keinen Fall übernehmen wollte. Mendelssohns Einblicke in die Machinationen eines Opernbetriebs waren wohl eher abschreckend und ließen ihn hilflos taktierend zurück.
5. Mendelssohns in Düsseldorf komponierte Werke: „Paulus“, „Das Märchen von der schönen Melusine“, „Lieder ohne Worte“
Zwei der wichtigsten Kompositionen aus der Düsseldorfer Zeit Mendelssohns sollen hier zunächst als in sich geschlossene Werke näher betrachtet werden: das Oratorium „Paulus“ und die Konzertouvertüre „Das Märchen von der schönen Melusine“.[6]
Die Düsseldorfer Entstehung des ursprünglich für Schelbles Frankfurter Cäcilienverein komponierten, dann später - 1836, während eines Musikfestes - doch in Düsseldorf unter Leitung des Komponisten uraufgeführten Oratoriums „Paulus“ ist gut in die Kulturformen der von Mendelssohn ungemein geförderten Niederrheinischen Musikfeste einzubetten. Oratorien waren ein gewünschter Bestandteil solcher Musikfeste, denn sie eröffneten einer großen Zahl beteiligter Musiker - Sängern wie Instrumentalisten - die Gelegenheit zu musikalisch-literarischer Betätigung. Darüber hinaus konnten sie dem Wunsch nach einem religiösen Bekenntnis und einer Entfaltung dramatischer Bezüge zu biblischen oder mythologischen Stoffen, in denen man das menschliche Schicksal gespiegelt sah, Rechnung tragen. Dieses erste große Oratorium Mendelssohns sollte später das erste Stück einer von ihm angestrebten theologisch-musikalischen Trilogie werden. In der oratorischen Produktion Mendelssohns ging die Vertonung des neutestamentlichen Stoffes über den siegreichen Apostel Paulus dem „Elias“ als alttestamentlichem Bekenntniswerk zum Propheten Eliah voran, dem ein weiteres geplantes Oratorium folgen sollte, das als gesamtbiblische Synthese gedacht war und „Erde, Hölle und Himmel“ (oder auch „Christus“) heißen sollte. Mendelssohn konnte aber davon in den letzten Monaten seines Lebens nur einzelne Szenen um die Geburt und das Martyrium des Jesus von Nazareth fertigstellen.
Lediglich „Paulus“ geht in der sakralmusikalischen Produktion Mendelssohns christlichen, aber außerliturgischen Inhalts über den Rahmen der Evangelien hinaus und schließt sich einem historischen Christentum und dem Begründer seiner Kirche an. Die neue christliche Religion musste sich nach Jesu Tod erst im Kampf gegen die gesetzestreuen Juden und gegen heidnische antike Religionen des Mittelmeerraumes durchsetzen, insbesondere gegen die Vormachtstellung der hellenistischen Religion. Diese zu unterwerfen und auszulöschen sah Paulus aus gutem theologischen und kirchenpolitischen Machtinstinkt heraus als die vordringlichste Aufgabe an, wenn die Verheißungen eines kommenden Gottesreiches Anhänger im vorderen Orient und in Europa finden sollten. Allenfalls in der auch musikalisch vollzogenen Verherrlichung dieser religionshistorischen Tendenz könnte man einen gewaltigen Schritt über Mendelssohns reformiertes Bekenntnis hinaus sehen und fragen, was ihn zu dieser gewaltsamen und übertriebenen Bekenntnismusik veranlasst hat. Dafür ist der Briefwechsel mit seinem Dessauer Theologen-Freund Julius Schubring (1806-1889) der geeignete Schlüssel.
Musikalisch verbleibt Mendelssohns Paulus-Oratorium innerhalb der von Händel gegebenen formalen Einheit von Rezitativen, Arien und Chören, deren Abfolge dramatisch aufgeladen ist. Die Rezitative sind hier allerdings noch allein einem Lektor zugeordnet, der die Handlung mehr erzählt als unterbricht. Ein handlungsintensives, der Oper angenähertes Oratorium, das keinen Erzähler mehr braucht, hat Mendelssohn erst mit seinem „Elias“ geschaffen. Dass Mendelssohn auch nach der Uraufführung weiter an einer Endfassung des „Paulus“ arbeitete, geht aus dem neu aufgefundenen Düsseldorfer Stimmenmaterial hervor, das zeigt, wie sehr sich die gedruckte Erstfassung noch einmal von der ursprünglichen, in Düsseldorf aufgeführten Version unterschied.
Seine im November 1833 fertiggestellte Konzertouvertüre „Das Märchen von der schönen Melusine“ geht auf ein Theaterbuch für eine romantische Oper von Conradin Kreutzer (1780-1849) zurück, die Mendelssohn noch in Berlin erlebte. Aber sie ist nicht als Vorspiel zu einer Theateraufführung gedacht, sondern als selbständiges Konzertstück, in dem die ganze Geschichte musikalisch nacherzählt wird - wie ursprünglich auch in der Ouvertüre zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ -, noch bevor Mendelssohn viel später auch eine ganze Schauspielmusik zu diesem Stück komponierte. Die Uraufführung der Düsseldorfer Frühfassung der Melusinen-Ouvertüre lässt Mendelssohn zunächst seinen Freund Moscheles im April 1834 in London dirigieren. Er hat sie der Überlieferung nach den Düsseldorfern damals vorenthalten, weil die Londoner Kritiker, seine Schwester Fanny und nicht zuletzt er selbst einiges an ihr auszusetzen hatten. Er wollte sie korrigieren, bevor er es wagte, sie in Deutschland aufzuführen, was erst in einem seiner ersten Leipziger Konzerte geschah. Vielleicht hatte er auch den Düsseldorfer Musikern zunächst nicht zugetraut, dieses Werk angemessen aufzuführen, denn gleich die ersten Erfahrungen mit dem ungleich präziser und flexibler spielenden Leipziger Gewandhaus-Musikern animierten Mendelssohn, seine in Düsseldorf geplante Überarbeitung der Melusinen-Ouvertüre im Herbst 1835 in Leipzig schnell vorzunehmen.

Porträt, Karl Ludwig Immermann, Stahlstich von Franz Xaver Stöber nach einer Zeichnungvon Kaarl Friedrich Lessing, undatiert. (Bayrische Staatsbibliothek/port-007933)
Die Konzertouvertüre „Das Märchen von der schönen Melusine“ zeigt auch Mendelssohns Zweifel an der Fähigkeit der Musik, etwas zu schildern und das Geschilderte dem Hörer eindeutig zu vermitteln sowie seine daran anschließende Überlegung, ob man sich nicht lieber einmummen und verkriechen (soll), in alle mögliche Instrumentalmusik ohne Titel – wie er an seine Schwester Fanny schrieb.[7] Die bis heute arg vernachlässigte Düsseldorfer Komposition der Melusinen-Ouvertüre zeigt zwar eine narrative Potenz der Musik, leidet in ihrer Rezeption aber auch an Robert Schumanns bis heute wirksamem Irrtum, ein bestimmtes liebliches Thema im ersten Teil der Ouvertüre würde die Stimme Melusinens repräsentieren. Hingegen ist im musikalischen Geschehen in dieser Ouvertüre nicht nur abstrakt und allgemein der Kontrast zwischen der ritterlichen Sphäre und jener der Nixen dargestellt, sondern in ihrem formalen, harmonischen und motivischen Verlauf präsentiert sie einen genauen Abklang der Handlung dieses personenbezogenen Märchens. Es kann erst der im zweiten Teil erstmals aufkommende Gesang der Oboe das Liebeslied der betörten und betörenden Nixe sein, während der bisher Melusinen zugeschriebene sehnende Gesang der Geigen im ersten Teil das Liebeswerben des aus der Horde vereinzelten edlen Ritters verkörpern muss.
Nachdem gegen Ende der 1820er Jahre mit vereinten Kräften von Mendelssohn und seinem Berliner Freund Wilhelm Taubert (1811-1891) die neue Gattung des Instrumentalliedes für Klavier erfunden und verbreitet worden war, hielt Mendelssohn sein Leben lang an diesem Typus des pianistischen Charakterstücks fest. Er veröffentlichte in größeren Abständen Sammlungen mit jeweils sechs solcher Stücke unter dem von ihm geprägten Titel „Lieder ohne Worte“. Erfunden hatte diese Gattung eigentlich Taubert, der als erster eine Sammlung „Minnelieder an die Geliebte für das Klavier“ veröffentlicht hatte. Davon war Mendelssohn so begeistert, dass er Taubert, der 1845-1869 als Berliner Generalmusikdirektor wirken sollte, zu dieser Erfindung gratulierte und sie zusammen mit seinen eigenen „Liedern“, „romances sans paroles“, „songs for piano alone“, die er für einige deutsche, französische und englische Damen notiert und ihnen gewidmet hatte, zu einer neuen Gattung der Musikgeschichte erklärte.[8] Alle sechs von Mendelssohn in seine zweite Sammlung op. 30 aufgenommenen „Lieder ohne Worte“ stammen aus der Düsseldorfer Zeit, darunter das berühmte zweite „Venezianische Gondellied“ in fis-Moll vom März 1835. Einige seiner in Düsseldorf komponierten Klavierlieder hat er auch noch in spätere Sammlungen (opp. 38, 53 und 67) aufgenommen. Ihr Charakter ist sehr unterschiedlich, er reicht von ruhig fließend und elegisch bis aufgeregt und feurig, oder wie es in den italienischen Tempo- und Charakterbezeichnungen heißt von „tranquillo“ über „Andante espressivo“ bis zu „Agitato e con fuoco“ und „Presto e molto vivace“.
Mendelssohns intensive Beziehungen nach England, speziell zu Londoner Musikern, führten zu einer Reihe von Kompositionen, die er zwar in Düsseldorf schuf, aber zum Teil nur in London aufführen oder zunächst dort uraufführen ließ. Dazu zählen das Rondo brillant in Es-Dur für Klavier und Orchester op. 29, das er von November 1833 bis Januar 1834 schrieb und von seinem Freund Moscheles, dem das Werk auch gewidmet war, in London uraufführen ließ. Es zählt zu einer Reihe von ein- bis zweisätzigen Konzertstücken für diese Besetzung, die Mendelssohn zwischen seinen großen Klavierkonzerten komponierte, um das virtuose Genre der Zeit auch musikalisch auf hohem Niveau zu halten. Einem Auftrag der Londoner Philharmonic Society folgte Mendelssohn mit der Komposition einer Konzertarie nach einem Text von Pietro Metastasio (1698-1782), der einst die italienische opera seria mit Libretti versorgt hatte. In dieser in Düsseldorf geschriebenen ersten Fassung stellte er der Sopranstimme, die bei der Londoner Uraufführung im Mai 1834 mit der berühmten Maria Malibran-Garcia (1808-1836) besetzt war, noch eine obligate Solovioline an die Seite, deren Part der nicht weniger berühmte Geiger (und Malibrans Lebensgefährte) Charles de Bériot übernahm. Mit dieser vereinzelten Arie stellte Mendelssohn nochmals seine Neigung zu opernhafter Bühnenmusik unter Beweis. In einer späteren Bearbeitung dieser Konzertarie für eine Leipziger Sängerin ließ er die Sologeige wieder fort.
6. Malen und Reiten in Düsseldorf - Abgang aus Düsseldorf
Mendelssohn hat in seiner Düsseldorfer Zeit hart gearbeitet, aber er war auch als lebensfroher Mensch, der anderen Glück spenden konnte und wollte, Vergnügungen nicht abgeneigt. Auch war er für andere Künste, für Literatur und bildende Kunst zu begeistern und versuchte, seine Musik mit ihnen zu verknüpfen. Vor allem seine bereits in Berlin erworbenen Kenntnisse in praktischer Malerei konnte er hier anwenden. Er war befreundet mit Bendemann sowie dem Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie und Haupt der Düsseldorfer Malerschule, Wilhelm von Schadow (1788-1862) - er wohnte auch bei ihm -, mit denen er einen intensiven Gedankenaustausch über Techniken und Sujets der bildenden Kunst pflegte. Zu Erholung kaufte sich Mendelssohn ein Pferd und unternahm so manchen Ritt in die Umgebung. Schon Ende September 1833, noch bevor er sich recht constituirt hatte und trotz allerlei Geschäftsgängen, die er zu absolvieren hatte, meinte Mendelssohn: Übrigens gefall ich mir prächtig hier.[9]
Dabei dürfte es dann lange Zeit geblieben sein. Obwohl Mendelssohn anfänglich stark mit mangelnder Qualität und Disziplin der Düsseldorfer Musiker zu kämpfen hatte, er die Statuten ändern und bei den Proben schreien und schimpfen musste und dabei sogar einmal die Partitur von Beethovens Egmont-Ouvertüre zerschlug, erkannten diese bald die Vorteile von Mendelssohns Strenge. Zwar hatte sich Mendelssohn mit seinem herrischen Auftreten zunächst auch bei den Musikern äußerst unbeliebt gemacht, bald aber erfreuten sie sich an dem erzielten verbesserten Klang, den auch das Publikum zu schätzen wusste. Dennoch wurde Mendelssohn nach zwei Saisons der Anstrengungen und anhaltenden Querelen am Stadttheater müde, zweifelte wohl auch an der Möglichkeit, das Niveau in Düsseldorf jemals auf die von ihm angestrebte Höhe heben zu können, sodass er dem Angebot aus Leipzig, dort die Leitung des renommierten Gewandhauses zu übernehmen, nicht widerstehen konnte. Er blieb der Stadt Düsseldorf freundschaftlich verbunden und dirigierte auch in den nächsten Jahren dort immer wieder gerne.
Seine Hochzeitsreise mit seiner in Frankfurt während der Proben im Cäcilia-Gesangverein kennen und lieben gelernten Braut Cécile Jeanrenaud unternahm er im Frühling und Frühsommer 1837 von Mainz aus rheinaufwärts an den Oberrhein, eine weitere Reise für die beiden Eheleute schloss sich unmittelbar danach an und führte sie von Frankfurt aus bis an den Niederrhein, wo sich Felix zu einer weiteren Englandreise in Düsseldorf einschiffte. Beide Reisen sind in einem von Cécile und Felix Mendelssohn geführten gemeinsamen Tagebuch dokumentiert.[10]
Mendelssohn war ein der Lebenslust nicht abgeneigter, aber auch hart und kontinuierlich arbeitender Künstler, der für die verschiedenen Aspekte seiner musikalischen Begabung als Pianist, Dirigent, Komponist und Organisator hier prägende Erfahrungen für seinen weiteren Lebensweg machte, hier für die großen Leipziger Aufgaben, die Leitung des Gewandhauses und die Gründung des Konservatoriums heranreifte – das dürfte die Quintessenz der Düsseldorfer Jahre sein.

Mendelssohn Haus, Schadowstraße 30 in Düsseldorf, Foto um 1905. (Stadtarchiv Düsseldorf/5_8_0_034_763_058)
7. Ein Denkmal für Mendelssohn
Nicht nur die Leipziger und Berliner hatten und haben also Grund, sich des in ihrer Stadt wirkenden Musikers zu erinnern und dies im Rahmen der Denkmalkultur zu dokumentieren. Die Düsseldorfer ehrten Mendelssohns Tätigkeit für das Musikleben ihrer Stadt, die über die Zeit seiner Anwesenheit und seines Todes hinaus Auswirkungen hatte, indem sie ihm nach langer Vorbereitung und dem Eintreiben von Spenden im Jahr 1901 ein Denkmal errichteten, zusammen mit dem für Immermann direkt vor dem Stadttheater. Die nationalsozialistische Kulturpolitik verbot in ihrer antisemitischen Ausrichtung nicht nur die Aufführung von Mendelssohns Werken, sondern legte auch Hand an das Denkmal, ließ es im August 1936 abreißen und das demontierte Denkmal 1940 als Metallspende für den Krieg einschmelzen. Erst im Anschluss an Mendelssohns 200. Geburtstag im Jahr 2009 bildete sich in Düsseldorf eine Initiative für die Wiedererrichtung des Denkmals durch private Spenden. Es entstand ein erfolgreich arbeitender Förderverein zur Wiederaufstellung des Mendelssohn-Denkmals, der vom Düsseldorfer Musikverein unterstützt wurde. Ein Bronzeabguss des Originals von 1901 steht seit 2012 am Rande des Hofgartens, der Saal in der Düsseldorfer Tonhalle heißt seitdem Mendelssohn-Saal.
Quellen
Felix Mendelssohn Bartholdy, Sämtliche Briefe, hg. v. Helmut Loos u. Wilhelm Seidel, 12 Bände, Kassel 2008-2017.
Literatur
Ballstaedt, Andreas/Kalisch, Volker/Kortländer, Bernd (Hg.), Bürgerlichkeit und Öffentlichkeit. Mendelssohns Wirken in Düsseldorf, Schliengen 2012.
Heine-Institut Düsseldorf (Hg.), „Übrigens gefall ich mir prächtig hier“. Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf, Düsseldorf 2011.
Weber-Bockholdt, Petra (Hg.), Mendelssohn und das Rheinland, München 2011.
Wehner, Ralf (Hg.), Mendelssohn Werkverzeichnis (MWV), Wiesbaden 2008.

Denkmal in Düsseldorf, 2012 eingeweiht, Bronzeguss nach dem Original von 1901, 2014. (CC BY-SA 3.0)
- 1: Felix Mendelssohn (1809-1847) war ein geborener Mendelssohn in der direkten väterlichen Linie von Moses (1729-1786) auf dessen Sohn Abraham bis hin zu ihm und seinen Geschwistern als Kinder des Ehepaars Abraham (1776-1835) und Lea (1777-1842) Mendelssohn. Erst nach der assimilationsbedingten Taufe der Eltern im Jahr 1822 Felix war 13 Jahre alt , in deren Rahmen dem Namen Mendelssohn ohne Bindestrich der Beiname Bartholdy zum Zeichen des Getauftseins zugefügt wurde, begann auch Felix Mendelssohn, im Gegensatz zu seinen weiblichen Geschwistern Fanny (1805-1847) und Rebecka (1811-1858), den Doppelnamen zu tragen; der erste so unterschriebener Brief stammt vom Dezember 1823 an Carl Friedrich Zelter (1758-1832). Da der Assimilationswunsch der Juden von den Deutschen mehrheitlich verweigert wurde und aus heutiger Sicht wegen der brutalen Auslöschung jüdischen Lebens in Deutschland als historisch gescheitert zu betrachten ist, hält der Verfasser dieses Beitrags es für angebracht, den Beinamen Bartholdy als Zeichen einer umstrittenen Episode in der weit verzweigten Familie Mendelssohn nicht zu verwenden und Mendelssohn bei seinem Geburtsnamen zu nennen.
- 2: Der Beitrag basiert auf der Monografie des Autors: Sühring, Peter, Felix Mendelssohn. Der (un)vollendeteTonkünstler (Jüdische Miniaturen, Bd. 227), Leipzig 2018. Siehe auch die Sammelbände Ballstaedt, Andreas/Kalisch, Volker/Kortländer, Bernd (Hg.), Bürgerlichkeit und Öffentlichkeit. Mendelssohns Wirken in Düsseldorf (Kontext Musik, Bd. 2), Schliengen 2012; Kortländer, Bernd (Hg.), „Übrigens gefallich mir prächtig hier“. Felix Mendelssohn Bartholdy in Düsseldorf. Ausstellung des Heinrich-Heine-Instituts Düsseldorf, 1. Oktober 2009–10. Januar 2010 (Veröffentlichungen des Heinrich-Heine-Instituts),2. Aufl., Düsseldorf 2011; Weber-Bockholdt, Petra (Hg.), Mendelssohn und das Rheinland. Bericht überdas Internationale Symposium Koblenz 29.–31.10.2009 (Studien zur Musik, Bd. 18), München 2011; und Wehner, Ralf (Hg.), Felix Mendelssohn Bartholdy. Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke (MWV). Studien-Ausgabe (Leipziger Ausgabe der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy,Serie XIII, Bd. 1A), Wiesbaden 2008. Für das einleitende Zitat siehe Anm. 9.
- 3: Brief Mendelssohns aus Koblenz an seinen Freund Julius Schubring in Dessau vom 6.9.1833, Mendelssohn Bartholdy, Briefe, Band 3, Kassel 2010, Nr. 785.
- 4: Brief Mendelssohns aus Ostende an Rebecka Lejeune Dirichlet in Berlin vom 29.5.1842, Mendelssohn Bartholdy, Briefe, Band 8, Kassel 2013, Nr. 3529.
- 5: Siehe hierzu neuerdings Hennemann, Monika, Als Operndirektor in Düsseldorf (1832–1835). Mendelssohnund Immermann, in: Dies. (Hg.), Felix Mendelssohns Opernprojekte im kulturellen Kontext der deutschen Opern- und Literaturgeschichte 1820–1850, Hannover 2020, S. 132–157.
- 6: Vgl. hierzu auch die Jahre 1833–35 im ersten chronologisch angelegte Auswahl-Werkverzeichnis in Sühring, Mendelssohn, S. 93.
- 7: Brief Mendelssohns aus Düsseldorf an Fanny Hensel in Berlin vom 7.4.1834, Mendelssohn Bartholdy, Briefe, Band 3, Kassel 2010, Nr. 896.
- 8: Siehe den Brief aus Luzern an Wilhelm Taubert in Berlin vom 27.8.1831, in: Morgenstern, Anja (Hg.),Felix Mendelssohn Bartholdy. Sämtliche Briefe, Bd. 2: Briefe Juli 1830 – Juli 1832, Kassel 2009, Nr. 453,S. 365, wo Mendelssohn davon spricht, wie wohltuend es ist, einen Musiker mehr in der Welt zu wissen,der dasselbe vorhat und ersehnt und dieselbe Straße geht.
- 9: Brief Mendelssohns aus Düsseldorf an Eduard Devrient (1801-1877) in Berlin vom 30.9.1833, Mendelssohn Bartholdy, Briefe, Band 3, Kassel 2010, Nr. 785.
- 10: Siehe Jones, Peter Ward (Hg.), Felix und Cécile Mendelssohn Bartholdy. Das Tagebuch der Hochzeitsreise nebst Briefen an ihre Familien, Zürich 1997.
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Sühring, Peter, Übrigens gefall ich mir prächtig hier - Felix Mendelssohn in seinen Düsseldorfer Jahren 1833-1835, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/%25C3%259Cbrigens-gefall-ich-mir-praechtig-hier---felix-mendelssohn-in-seinen-duesseldorfer-jahren-1833-1835/DE-2086/lido/623979ae0f8201.55181321 (abgerufen am 19.02.2025)
Veröffentlicht am 16.01.2025, zuletzt geändert am 20.01.2025