Bonn im Bombenkrieg 1939-1945
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1. Einleitung
Das heutige Stadtgebiet von Bonn ist alliierten Bombardierungen in sehr unterschiedlicher Intensität ausgesetzt gewesen: Glimpflich davon kamen Bad Godesberg, Hardtberg und Oberkassel. Im Industrieort Beuel waren besonders das brückennahe Zentrum und die Rheinfront betroffen, des Weiteren indirekt (durch Explosion eines abgestellten Munitionszuges) das Gebiet um den Bahnhof. Auch in Bonn litten die flussnahen Gebiete am meisten, wurde somit vor allem die Altstadt stark zerstört. Wer 1949 aus der Bizonenhauptstadt Frankfurt kommend mit der Fähre ins Linksrheinische übersetzte, sah vor sich eine Ruinenlandschaft, über die sich einsam die Türme des Münsters erhoben. Der in Trümmern liegende Stadtkern, „das Herz der im Zeitenlauf groß gewordenen Mittelstadt“ (Fehre), wurde noch lange als offene Wunde empfunden, besonders im Kontrast zum großbürgerlichen Villenstreifen rheinaufwärts, welcher jetzt die Staatsorgane der frühen Bundesrepublik beherbergte, oder zu den weitgehend intakten Gründerzeitvierteln in Bad Godesberg und der Bonner Südstadt.
2. Ernstfallvorbereitungen
Mit der Aufrüstung der europäischen Luftwaffen wuchs das Bewusstsein für die Verwundbarkeit der Städte im kommenden Krieg. Entsprechend gut eingeübt waren die gewöhnlichen Vorbeugemaßnahmen. Immerhin zählte der Reichsluftschutzbund 1939 über zwölf Millionen Mitglieder. Die Alarmübung im November 1936 und die Luftschutzteilübung am 6.3.1936 waren in Bonn bereits „kriegsmäßig“ gestaltete Aktionen mit Fliegeralarm, Schadensmeldung und Schadensbekämpfung. Ihre Auswertung half noch vorhandene Schwachstellen zu finden. 35 Luftschutzsirenen mit einem Radius von 250 Metern in der Innenstadt und 500 Metern in den Außenbezirken waren installiert, Dachräume und Keller entrümpelt, um dem Feuer nicht unnötig Nahrung zu verschaffen: Nicht das Haus brennt zunächst, sondern die in ihm befindlichen Gegenstände. Brandschutzübungen hatten Maßnahmen zur Schadensbegrenzung trainiert. Wasser, Löschsand und Gerät zur schnellen Feuerbekämpfung standen bereit. In Beueler Außenbezirken waren, um bei Angriffen ausreichend Löschwasser bereitstellen zu können, Quellen gefasst und Leitungen verlegt worden. Zu den Luftschutzkellern in Privat- und Geschäftshäusern traten öffentliche Schutzräume unterschiedlicher Qualität. In der Tat „bombensicher“ war der 1939 fertig gestellte Schutzraum unter dem Alten Zoll, besaß er doch eine Erdüberdeckung von 10 Metern über dem Gewölbe. Beim Bau der zweiten Gasschleuse stellte sich heraus, dass sich unter dem Wirtschaftsgebäude im Stadtgarten ein weiterer Schutzraum für 140 Personen ausbauen ließ, eine im Hinblick auf den „bekanntermaßen regen Verkehr auf der Rheinpromenade“ von der Stadtverwaltung gern genutzte Gelegenheit, das noch unzureichende Schutzraumangebot an der Rheinfront zu ergänzen.
Unmittelbar vor Kriegsausbruch fand in Bonn sowie dem in Luftschutzfragen angegliederten Beuel vom 21.-23.8.1939 eine große Verdunkelungsübung statt. Am 28.8.1939 schließlich wurde Bonn Teil des Operationsgebietes im Westen. Deutsche Soldaten, so die plakatierte Beruhigung der Zivilbevölkerung, stünden bereit zur „Abwehr jedes Feindes auf der Erde und in der Luft“.
3. Der Bonner Raum in der britischen Zielplanung
Als die Royal Air Force (RAF) Ende der 1930er Jahre mit den Planungen zur strategischen Bombardierung deutscher Rüstungsschwerpunkte begann, konnte man noch nicht von solch riesigen Bomberflotten ausgehen, wie sie tatsächlich 1944/1945 zur Verfügung standen. Es galt also, Prioritäten zu setzen. Ein Vergleich der auf Basis deutschen Materials erstellten Zielkarten (Maßstab 1: 50.000) für Köln und die südliche Nachbarstadt führt die geringe Bedeutung der Region vor Augen. Als strategische Ziele sind lediglich die Leichtmetallwerke und die Rheinbrücke ausgewiesen, dazu in Bad Godesberg die Ringsdorff-Werke, aber keiner der zahlreichen Beueler Industriebetriebe. Weitere Objekte im Großraum Bonn sind das Oberkasseler Zementwerk, die Gas- und Elektrizitätsversorgung, Hauptbahnhof und Hauptpost sowie Kasernengebäude und Munitionslager. Laut „Bomber-Baedecker“-Führer von 1943/1944 war Bonn „im wesentlichen eine Universitätsstadt“ mit einigen kleineren Industriebetrieben. Das Angriffsziel „Bahnhof“ wird als „wichtig für die Region“ eingestuft, nur die Leichtmetallwerke, Hersteller von Flugzeugteilen, Bombenteilen und Bombenzündern, galten als „kriegswichtig“. Mehr als fünf Jahre lang, bis zum Herbst 1944, stand Bonn folglich nicht als Hauptangriffsziel in den Planungen der britischen und amerikanischen Luftwaffe. Bei den bis dahin geflogenen Angriffen handelte es sich entweder um Versuche, den Westfeldzug zu stören oder um „Gelegenheits- und Ausweichziele“, um Fälle also, in denen die Bombenlast aus diversen Gründen nicht über der ursprünglich ausgewählten Stadt abgeladen werden konnte.
4. Verschärfter Luftschutz ab 1939/40
Am 2.9.1939 wurde die Ernstfallverdunkelung angeordnet. Die Ausgaben für Straßenbeleuchtung sanken auf 12 Prozent des Friedensbedarfs. Die Flugplatzverwaltung Hangelar verfügte die sofortige Räumung der umliegenden Häuser. In Beuel belegten die circa 140 Soldaten der Brückenwachkompanie Räume in der Berufsschule. Andere Schulen nutzten aus Furcht vor Luftangriffen nur Erdgeschoss und erstes Stockwerk. Unmittelbar zu Kriegsausbruch wurden allein aus der Gemeinde Beuel 230 Mitglieder des Sicherheits- und Hilfsdienstes (SHD) als Eingreiftruppe bei etwaigen Luftangriffen einberufen, in der Hauptsache Handwerker.
Als nennenswerte Schäden ausblieben, zugleich in den Betrieben das Fehlen der Fachkräfte fühlbar wurde, erreichte die Gemeindeverwaltung bei der Bonner Luftschutzleitung, dass jeweils die Hälfe der Männer zur Arbeit in ihren Firmen beurlaubt wurde. Nach wie vor hielt man in 18 Gasthäusern 52 Betten frei, um gegebenenfalls auswärtige Handwerker zur Beseitigung von Fliegerschäden unterbringen zu können; hinzu kam eine größere Anzahl von Privatquartieren.
Eine systematische Darstellung des aktiven Luftschutzes steht für den Bonner Raum noch aus. Flakbatterien standen im Tannenbusch, auf dem Hardtberg, in Friesdorf, zwischen Beuel und Limperich, dazu außerhalb des heutigen Stadtgebietes am Flugplatz Hangelar sowie eine Großbatterie in Niederkassel. Ein nennenswerter Schutz durch deutsche Jagdflugzeuge bestand zum Zeitpunkt der schweren Angriffe ab Herbst 1944 nicht, da die verbliebenen Geschwader in Nord- und Mitteldeutschland konzentriert waren: Einflüge nach Westdeutschland wurden nicht aus der Luft bekämpft.
5. Bunkerbau in der Planung
Als Glücksfall erwies sich die Unkenntnis der deutschen Seite über die geringe Bedeutung der Region in der alliierten Zielplanung – trotz der Lage im „luftgefährdeten“ Westen des Reiches. Schwerlich wäre sonst Bonn (einschließlich Beuel) in die Reihe der 61 „Luftschutzorte 1. Klasse“ beziehungsweise in das „Führer-Sofortprogramm“ zur Errichtung von Luftschutz-Sonderbauten aufgenommen worden. Dann hätte es das Schicksal all jener oft um ein Mehrfaches größeren Städte geteilt, die 1940 bei der Bunkerplanung nicht bedacht wurden, erst 1944/1945 den Feuersturm erlebten und die höchsten Verluste unter der Zivilbevölkerung aufwiesen.
Auf der politisch-strategischen Ebene bedeutete der Entschluss zum Bau massiver Schutzräume für die Zivilbevölkerung das Eingeständnis der Niederlage in der „Schlacht um England“. Ohne gelungene Invasion blieb Deutschland der wachsenden Zerstörungskraft britischer Bomber ausgesetzt, bevor 1942 die Insel zusätzliche Bedeutung als „unversenkbarer Flugzeugträger“ der US-Luftwaffe erhielt. Dieses Argument war stärker als oft vorgebrachte Einwände gegen den Bau von Großbunkern: Sie boten zweifellos mehr Sicherheit, entblößten gleichzeitig die Häuser von der schützenden Hand ihrer Bewohner. Betonverstärkte Keller, so die Kritiker des Bunkerprogramms, würden die dorthin geflüchteten Bewohner in die Lage versetzen, unmittelbar nach dem Angriff ohne Zeitverlust die Hausbrände noch im Entstehen erfolgreich zu bekämpfen.
Am 14.11.1940 wurden die Baureferenten der ausgewählten Städte in Berlin über die Grundzüge des Bunkerprogramms informiert. Innerhalb weniger Wochen waren die Vorbereitungen vor Ort so weit abzuschließen, dass mit der Betonierung begonnen werden konnte. Bonn und Beuel erhielten insgesamt 14 auf Rechnung des Reiches errichtete Großbauten zugebilligt. Damit standen der Bevölkerung mindestens 12.000 Plätze in der höchsten Kategorie der Schutzbauten zur Verfügung, nach Umwidmung von Liege- in Sitzplätze 1944 noch einmal 3.000 zusätzliche Einheiten, in der Realität der Bombennächte in Folge von Überbelegung weit mehr. Während die zunächst geplanten Bauvorhaben auch realisiert wurden, fiel Bonn aus der so genannten „2. Welle bombensicherer Luftschutzbauten“ heraus: Die geringe Angriffsintensität ließ ein Aufstockung nicht dringlich erscheinen, zudem konkurrierte der Luftschutz inzwischen mit den Aufwendungen für die Sicherung der Industrieproduktion und ab Herbst 1942 mit dem Atlantikwall um knappe Beton- und Baustahlzuteilungen. Bis Mitte 1944 floss in den militärischen Schutz der „Festung Europa“ fast doppelt so viel Material wie in die Bunkerbauten.
6. Die Bunkerstandorte
Bei der Verteilung der Großbauten fällt die Konzentration auf den Innenstadtrand und die Vororte auf. Für das dicht bebaute Bonner Zentrum hielt man behelfsmäßig eingerichtete Öffentliche Luftschutzräume dort für ausreichend, wo man nicht auf bestehende Keller beziehungsweise alte Befestigungsanlagen zurückgreifen konnte. Der riesige Theaterbunker (Tiefbau südlich der heutigen Beethovenhalle) reflektiert die Gefährdung durch die Nähe des Angriffsziels Rheinbrücke. Den siebenstöckigen Windeckbunker hatte die Stadtverwaltung aus städtebaulichen Gründen zunächst abgelehnt. Die Luftschutzbehörde verlangte eine bombensichere Befehlsstelle, in den Stockwerken darüber noch weitere bombensichere Räume. Sie setzte sich durch, denn die Kommunen hatten weder Einfluss auf die militärische Luftverteidigung noch den baulichen Luftschutz. So entstand der einzige Hochbunker im Stadtzentrum. Als dritter innenstadtnaher Schutzbau diente der Bunker Quantiusstraße mit über 1.500 Sitzplätzen nicht primär als Wohnbunker, sondern als Zuflucht für Bahnreisende bei Luftangriffen.
Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die Hochbunker an der Karlstraße und am Schlachthof sowie der große Tiefbunker zum Schutze der Anwohner und Besucher des Großmarktes. Wo die örtlichen Verhältnisse es zuließen, griff man auf billigere Stollenbauten zurück, so an der Trierer Straße in Poppelsdorf und im Falle des Dransdorfer Krankenhausbunkers. Weitere Hochbunker auf Bonner Gebiet entstanden in Kessenich (Bunker Lotharstraße), Dottendorf (Quirinsplatz) und der Gronau (1950 überbaut durch kleines Abgeordnetenhaus). Beuel erhielt je einen kleinen Bunker in Pützchen, wo die Keller der schlichten Wohnhäuser nicht stark genug erschienen oder wegen des hohen Grundwasserspiegels fehlten, und in Vilich-Müldorf, das durch die Nähe des Flugplatzes Hangelar gefährdet schien. Für die Bewohner des Rheinufers, die bei Angriffen auf Bonn oder die Brücke besonders betroffen waren, wurde der Großbau an der heutigen Goetheallee errichtet.
7. Bunkerbau: Durchführung
Die Schnelligkeit der Umsetzung des Bunker-Bauprogramms ist bemerkenswert: Fünf der 14 Anlagen waren bereits Mitte 1941 fertig, sieben weitere im Spätherbst/Winter desselben Jahres. Die Bauzeit betrug jeweils nur wenig mehr als ein halbes Jahr. Erfahrungen bei der Errichtung der ersten Bunker flossen in die Ausführung der nächstfolgenden ein. Langwieriger war der Bau des Krankenhausbunkers in Dransdorf. Er lag so tief im Berg, dass Schutzsuchende und Patienten die späteren Angriffe auf Bonn kaum bemerkten.
Jeweils ein Drittel der eingesetzten Arbeitskräfte stellten französische Kriegsgefangene aus dem Mannschaftsstammlager Duisdorf (Stalag VI G). Sie waren während der Arbeiten nahe den Baustellen untergebracht. Ein Vergleich der Baukosten verdeutlicht den Preis, den eine wirklich sichere Schutzraumversorgung hatte: Bei annähernd gleichem Platzangebot in den 94 Öffentlichen Luftschutzräumen und den 14 Bunkern waren letztere in der Ausführung mehr als doppelt so teuer.
8. Lokale Rivalitäten und Eigeninitiative
Angesichts der an den Rändern zerstreuten Bebauung der Bonner Region konnte die Schutzraumversorgung niemals flächendeckend sein. Als sich die Angriffe häuften und sich die Zerstörungskraft der Sprengbomben vervielfachte, wegen der angespannten Materiallage aber keine Hochbauten mehr genehmigt wurden, kam es unweigerlich zu Protesten. In Endenich musste der NSDAP-Ortsgruppenleiter eine angelaufene Unterschriftensammlung unterbinden: Die Bevölkerung sei „sehr erbost“, fühle sich „zurückgesetzt, dass in fast allen, sogar abgelegenen Stadtteilen längst Bunker gebaut wurden“, schimpfe über die stiefmütterliche Behandlung durch die Stadtverwaltung. Diese ließ einen U-förmigen Stollen in den Berg treiben, von beiden Enden her. Obwohl die Verbindung beider Abschnitte niemals fertig wurde, benutzten bis zu 800 Schutzsuchende das größere der beiden Teilstücke: Bei Verschüttung des Eingangs an der Alfred-Bucherer-Straße wäre der Stollen zum Massengrab geworden.
Auch in Lengsdorf boten 1944 die vorhandenen Gartenbunker keinen ausreichenden Schutz gegen die eingesetzten Sprengbomben, so dass ein Stollen in den Kreuzberg getrieben wurde. Ähnliches gilt für Bad Godesberg: Ein von der Firma Godesia projektierter hufeisenförmiger Stollen unter der Burg sollte ausschließlich für die Belegschaft bestimmt sein. Angesichts fehlender Arbeitskräfte warb man später interessierte Anwohner gegen Nutzungserlaubnis zur Mithilfe an. In Beuel, wo vergleichsweise wenige Plätze in Öffentlichen Luftschutzräumen und Bunkern zur Verfügung standen, setzte man notgedrungen auf die Ertüchtigung privater Keller. Die Aufwendungen hierfür erreichten immerhin 60 Prozent der im fünfmal größeren Bonn verbauten Summe. Viele Berichte von Zeitzeugen aus den Vororten erwähnen selbst errichtete Schutzräume. Eine letzte polizeiliche Überprüfung vom 20.2.1945 förderte eine umfangreiche Liste nicht zugelassener, aber trotz entsprechender Beschilderung bei Alarm aufgesuchter Luftschutzräume und Deckungsgräben zu Tage.
9. Relative Sicherheit bis 1944
Erst am 17.6.1942 wird Bonn im Kriegstagebuch des britischen Bomber Command überhaupt erwähnt, und auch dann nur als Ausweichziel. Von den 102 RAF-Luftangriffen des Jahres 1942 gegen Deutschland und die besetzten Westgebiete galten sechs dem benachbarten Köln, 14 der Rüstungsschmiede Essen, kein einziger dem Bonner Raum. Der erste Angriff auf Bonn am Morgen des 22.5.1940 war Teil einer umfangreichen Luftoperation gegen Eisenbahnverbindungen im Westen, soweit sie der Unterstützung des deutschen Vormarschs in Frankreich dienten. Die 37 abgeworfenen Bomben konzentrierten sich auf das Areal zwischen Güterbahnhof und Dransdorfer Weg, die Umgebung des Ellerbahnhofs und die in Gleisnähe gelegenen Wohngebiete. Trotz der elf Toten und 16 Verletzten zeigte sich die Luftschutzleitung befriedigt darüber, dass selbst bei Volltreffern auf Wohnhäuser die im Keller gelegenen Schutzräume gehalten hatten. Die Mehrzahl der Opfer verbrannte in einer ungeschützten Wohnbaracke. Die Feuerwehr konnte das Ausgreifen des Brandes auf ein benachbartes Tanklager verhindern.
Beim Aufräumen der Wohnungen und an der Bergung von Hausrat beteiligten sich am nächsten Tag Parteimitglieder und 100 Studenten der Universität. Neben zahlreichen Schaulustigen aus Bonn und Umgebung reisten „aus allen Teilen des Reiches“ Vertreter von Luftschutz und Polizei an, zum Teil sogar per Flugzeug, um die Erfahrungen mit den Schutzeinrichtungen und der Organisation von Hilfsmaßnahmen zu studieren. Interessiert registrierte man, dass Turmbeobachter (zum Beispiel auf dem Kreuzberg) der örtlichen Luftschutzleitung erlaubten, gezielte Rettungs- und Hilfsmaßnahmen möglichst frühzeitig einzusetzen.
In Oberkassel wurde am 25./26.5.1940 ein Wohnhaus in Bahnhofsnähe zerstört. Wenig Schaden richteten die ersten Bomben auf Beueler Gebiet (3./4. und 11. Juni) an, während in Muffendorf am 9. Juni eine Frau durch Bombenabwurf getötet wurde. Die geringe Angriffstätigkeit des Jahres 1941 forderte in Bonn ein Opfer, in Bad Godesberg sieben.
Im Folgejahr verloren in Bonn am 15.4.1942 20 Menschen ihr Leben, 448 ihre Wohnung. Die schweren Nachtangriffe der RAF auf Westdeutschland („battle of the Ruhr“) von März bis Juni 1943 berührten die Universitätsstadt kaum, kosteten aber in Friesdorf 26 Tote, als am frühen Morgen des 17. April eine Luftmine in der Klufterstraße niederging. Weil es keinen akuten Luftalarm gab, lagen die meisten Menschen noch in den Betten. Die Beisetzung der Opfer auf dem Friedhof Annaberger Straße nutzte NS-Bürgermeister Alef zu einer Hassrede gegen „dunkle Kräfte einer jüdisch-plutokratischen Schicht, die nicht haben will, dass Deutschland in Frieden sein Brot verdienen kann“.
Am Morgen des 12.8.1943 stiegen in England 330 amerikanische B-17-Bomber der 8. Luftflotte auf. Ein Teil der Maschinen hatte die Stahlwerke in Bochum, die Stadt Recklinghausen sowie Hydrieranlagen (zur Produktion synthetischen Benzins) in Gelsenkirchen zum Ziel. Die südliche Einsatzgruppe galt den Hydrierwerken in Wesseling. Als die Anlagen wegen Vernebelung nicht auszumachen waren, entschied man sich zum Angriff auf das Ausweichziel Bonn. Zwischen 8.50 und 8.58 Uhr warfen 106 Maschinen 220 Tonnen Spreng- und Brandbomben auf die Stadt. Fünf Bonner Krankenhäuser und das Beueler Josefshospital wurden getroffen, Teile der (alten) Beethovenhalle und des Boeselagerhofs zerstört. Der bis dato schwerste Angriff der Region kostete in Bonn und Beuel mehr als 200 Menschen das Leben. 37 Maschinen hatten die Stadt verfehlt, 16 dieser Bomber verzeichneten Notabwürfe, als das von deutschen Jägern angegriffene Führungsflugzeug seine Last ausklinkte und die nachfolgenden Maschinen dasselbe angebliche Ziel bombardierten.
10. Illusionen
Trotz der beträchtlichen Schäden, die der US-Tagangriff an Krankenhäusern bewirkte, klammerten sich zahlreiche Menschen bis weit in das Jahr 1944 hinein an die Hoffnung, Bonn werde als „Lazarettstadt“ oder als „Rote-Kreuz-Stadt“ von Flächenzerstörungen verschont bleiben. Der Oberkasseler Bürgermeister beklagte den Ruf seiner Gemeinde als „ruhiger“ Wohnplatz: „Immer wieder kommen Familien aus den luftgefährdeten Industriegebieten und verlangen im hiesigen Bezirk eine Wohnung.“ In Godesberg setzten populäre Illusionen auf die Anwesenheit der so genannten „Austauschgruppe“. Dies waren ursprünglich bei der Vichy-Regierung in Frankreich akkreditierte Diplomaten, die vom 11.2.1943 bis zum Frühjahr des Folgejahres im Rheinhotel Dreesen interniert waren. „Sollte Godesberg wirklich bombardiert werden“, schrieb der Schweizer Generalkonsul von Weiss am 7.7.1943, „wäre das eine Katastrophe sondergleichen, denn jeder glaubt sich hier unter dem Schutz der Vichy-Diplomaten sicher. Wenn diese Gegend angegriffen würde, genügen einige Bomben, um ganze Dörfer dem Erdboden gleichzumachen. Eine Flakabwehr existiert hier nicht und Luftschutzkeller sind auch nicht vorhanden.“ Die nach Abreise der Diplomaten im Hotel Dreesen festgehaltenen französischen Offiziere und Präfekten versprachen in den Augen der Ortsbevölkerung keinen adäquaten Schutz.
11. Hilfen für Köln
Zeitgenössische Quellen und Zeitzeugen haben die rasche und unbürokratische Hilfe von Staats- und Parteistellen für die Opfer der ersten Angriffe herausgestellt. Die Obdachlosen waren jeweils innerhalb von acht Stunden untergebracht und trotz Engpässen mit Kleidung versorgt. Zum Ersatz verlorenen Mobiliars kaufte die Stadtverwaltung den Bestand eines Möbelgeschäftes auf. Die mehr als 4.000 Schlafplätze in 19 Bonner Schulen standen auch Ausgebombten stärker betroffener Nachbarstädte offen. Mangels Quartier in Köln waren in der Ermekeilkaserne 350 Handwerker untergebracht, die Mitte 1942 bei der Beseitigung von Schäden des ersten 1.000-Bomber-Angriffs auf die Domstadt mitwirkten. Ein halbes Jahr zuvor hatte man noch Kölner Versuche abwehren müssen, beim Bunkerbau eingesetzte Kriegsgefangene abgeben zu müssen.
Nach den verheerenden Zerstörungen von 1943 nahm Bonn circa 3.000 teilweise per Schiff aus Köln herausgebrachte Obdachlose auf. 29 Bedienstete des Bonner Garten- und Friedhofsamtes wurden nach Köln entsandt – ausschließlich zur Leichenbergung! In einer Zeit, in der Hoheitsträger der NSDAP den beschädigten Ruf der „Goldfasane“ durch ihren Einsatz für Bombengeschädigte aufzupolieren vermochten, war es nicht unwichtig, wem die entsprechenden Verdienste zugeschrieben wurden. Entsprechend wütend reagierte der Kölner Kreisleiter Schaller auf angebliche Versuche aus Bonn, „die verdiente Anerkennung über die großartigen Betreuungsmaßnahmen der Partei in Köln aus Anlass der vier schweren Terrorangriffe [zu] teilen“.
12. Die Zerstörung am 18.10.1944
Wenn es in der Weltkriegschronik deutscher Städte einen Schwarzen Tag gibt, ist dies für Bonn und Beuel der 18.10.1944 gewesen. Die zeitliche Verteilung der Verluste auf die gesamte Kriegsdauer bestätigt, wie berechtigt der bange Optimismus vieler Menschen viele Monate lang gewesen war: 80 Prozent der Bonner Luftkriegsopfer konzentrieren sich auf das letzte von fünfeinhalb Kriegsjahren, beginnend mit den 55 Toten des Angriffs vom 4.2.1944. Noch stärker gilt diese Feststellung für die materiellen Schäden. Zum Stichtag 1.5.1944 waren aus einem Gesamtbestand von über 27.000 Wohnungen gerade einmal 500 total zerstört, weitere 100 Einheiten unter Bedingungen der Kriegswirtschaft nicht zu reparieren. Bei Wirtschaftsgebäuden wurde der Zerstörungsgrad mit 2 Prozent angegeben, davon zwei Fünftel reparabel. Trotz einiger zweifellos hart betroffener Schadensgebiete bleibt als grundsätzliche Tatsache festzuhalten, dass Bonn vor dem Flächenbombardement des 18.10.1944 weitgehend von den Schrecken des Luftkrieges verschont geblieben war. Diese Sonderstellung unter den Großstädten im Westen sollte ihm nun zum Verhängnis werden.
13. Britische Planungen des Tagangriffs
Bald nach Kriegsausbruch hatte die RAF-Führung die Unmöglichkeit eingesehen, Punktziele aus der Luft zu treffen, ohne die Bomberbesatzung untragbar hohen Verlusten auszusetzen. Die Antwort waren nächtliche Flächenbombardements („area-bombing“) von Stadtzentren, um gleichzeitig Industrieanlagen und Verkehrswege zu zerstören, Versorgung und öffentliche Verwaltung zu behindern, die Arbeitsfähigkeit der Zivilbevölkerung zu vermindern und die ihrer Wohnung und Habe Beraubten zu demoralisieren, einschließlich der im Felde stehenden Ehemänner und Söhne. Eine zunehmend wirksamere Kombination von Spreng- und Brandbomben und die Konzentration des Angriffs auf die eng bebaute mittelalterliche oder frühneuzeitliche Innenstadt mit ihren zahlreichen Holzbauten steigerte die Wirkung. „Barbarisch aber sinnvoll“ (Overy) nennen diejenigen das Verfahren, welche dem strategischen Bombenkrieg eine kriegsverkürzende Wirkung zubilligen. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass Mitte 1944, als die westlichen Alliierten durchaus über alternative Kriegsmittel verfügten, die Flächenangriffe gegen die Moral der Zivilbevölkerung eine unheilvolle Eigendynamik entwickelt hatten: Allein die Existenz großer Bomberkapazitäten bestimmte die Einsätze stärker als die reine militärische Notwendigkeit.
Im Spätsommer waren mit Ausnahme Süddeutschlands die meisten deutschen Großstädte im Kern so zerstört, dass weitere Flächenbombardierungen wenig Sinn ergaben. Punktziele und die verbliebenen kleineren Städte waren bei Nachtangriffen schlecht zu treffen. Man arbeitete also an einem neuen Radar gestützten Navigationsverfahren („GH-System“), das präzise Tagangriffe ermöglichen sollte. Es war im Sommer 1944 einsatzbereit, aber auf eine Entfernung von 200 Kilometern zwischen Bodenstation und Flugzeug beschränkt. Die Eroberung Frankreichs löste dieses Problem, zumindest für Ziele entlang der Rheinschiene. Um die Angriffswirkung beurteilen zu können, bedurfte es einer noch weitgehend unzerstörten größeren Stadt: Bonn.
14. Der Angriff
Für den 18. Oktober sagten britische Meteorologen eine Wolkendecke über Bonn voraus, unabdingbare Voraussetzung für den Versuch, denn die Bombardierung sollte ausdrücklich nicht auf Sicht erfolgen, sondern auf das Signal der GH-Station Commercy (bei Nancy) hin. Die 129 am Morgen in Norfolk gestarteten Lancaster-Bomber trugen eine ausgesprochen hohe Last an Minen-, Spreng- und Brandbomben: Mehr als fünf Tonnen pro Flugzeug in nur sechs Minuten über einem begrenzten Ziel abgeworfen, hätten, wäre der Angriff nach Plan verlaufen, das vergleichsweise kleine Zentrum der Stadt förmlich ausradiert. Als die Bomber um 11 Uhr über Bonn erschienen, verzeichnete die GH-Station Commercy einen technischen Defekt. Der Sendeimpuls wurde schwächer, fiel um 11.03 Uhr ganz aus. Nur die Hälfte der Führerflugzeuge empfing noch das Auslösesignal. Dafür hatten sich die Wolken aufgelöst. Wie die spätere Photoauswertung belegte, warfen nur 21 Besatzungen ihre Bomben über dem Stadtzentrum (gut 900 Meter um den Marktplatz) ab. Zahlreiche Abwürfe landeten weit verstreut oder außerhalb des Stadtgebiets. 25 Tonnen Bomben wurden zurück nach England gebracht. „Unter Sichtbedingungen“, bewertet der Abschlussbericht den Angriff, „war er einigermaßen erfolgreich. [...] Für einen GH-Angriff war das Ergebnis enttäuschend.“ Durch weitere Erprobungseinsätze während des Oktober gewannen die Briten so viel Erfahrung, dass das neue Navigationssystem am 6.11.1944 über Koblenz seine Tauglichkeit vernichtend (1.000 Opfer, 87 Prozent der Bausubstanz zerstört) beweisen konnte.
15. Die Zerstörungswirkung
Auch wenn es am Boden nicht zum alles verzehrenden Feuersturm gekommen ist: Die Wucht des Angriffs im Gebiet der Bonner Innenstadt übertraf das Vorausgegangene bei weitem. Das Grauen des Infernos, die Detonationen, Feuerwände, grässlich verstümmelte Leichen, das Schreien der Verwundeten, das Klopfen der Verschütteten, die Hitze glühender Koksvorräte in den Kellern leben in zahlreichen Zeitzeugenberichten wieder auf. Nahezu völlig vernichteten die Bomben die Bonner Altstadt, rheinauf bis zur Zweiten Fährgasse, in Gegenrichtung bis zur Wachsbleiche, im Westen hin zur Bahnlinie. Komplett ausgelöscht war das dicht bebaute Rheinviertel: Eineinhalb Jahre nach Kriegsende weist die Volkszählung hier einen Bevölkerungsrückgang von 9.815 auf 751 Einwohnern aus, allesamt Ruinenbewohner jetzt. Die umfangreiche Vernichtung von Wohnungen ließ 20.000 Obdachlose zurück. Über 300 Menschen starben, 1.000 wurden durch den Angriff verletzt. Unter den geborstenen oder ausgebrannten öffentlichen Gebäuden Schulen, Kirchen, das Stadttheater, der große Klinikkomplex am Rhein, Arndt-Haus und „Lese“ an der Koblenzer Straße, das historische Rathaus am Markt und, an ihrem Gründungstag, die Universität im ehemals kurfürstlichen Schloss.
Stellvertretend für die Vernichtung von Kulturgut seien die Buchbestände der Universitätsbibliothek genannt. Wesentliche Teile waren seit Herbst 1942, als die ersten schweren Angriffe auf Städte erfolgten, vorsorglich ausgelagert worden. Von den circa 200.000 Bänden, die für den Lehrbetrieb benötigt wurden, sind im zerstörten Ostflügel des Schlosses neun Zehntel vernichtet worden. Gerettet werden inmitten brennender Nachbargebäude konnte das Geburtshaus Beethovens, heute ein Magnet für auswärtige Besucher. Kastellan Hasselbach vermochte, später unterstützt durch SHD und Feuerwehr, ein Übergreifen der Flammen zu verhindern. In Beuel, wo entlang der stark getroffenen Rheinfront 100 Gebäude vernichtet und weitere 1.100 beschädigt wurden, verzeichnete auch die Industrie zerstörte Produktionsanlagen. 23 Frauen, zwölf Männer und acht Kinder wurden getötet, 15 Menschen verletzt.
16. Opferversorgung
Eindämmung und Bekämpfung der Schadensfeuer, Ausgraben von Verschütteten, Bergung und Versorgung Verletzter: Überall wurden nach Angriffsende helfende Hände gebraucht, überall fehlte es, so wird berichtet, an zupackenden Armen. Mehr als 15.000 Bonner Männer im besten Alter waren 1944 zu Wehrmacht, Reichsarbeitsdienst und Organisation Todt einberufen, eine Zahl, die auch nicht annähernd durch Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, in der Region stationierte Soldaten, Urlauber oder etwa die Lehrer der inzwischen geschlossenen Schulen ausgeglichen werden konnte. Die vorhandenen Kräfte unmittelbar nach der Entwarnung bestmöglich zu verwenden, erforderte von der Einsatzleitung schnelle und nicht selten harte Entscheidungen.
Auffangstellen für Bombengeschädigte befanden sich im Bürgerverein, der Jugendherberge und der Wilhelmschule, zusätzlich in Gaststätten. Sie waren mit je einem politischen Leiter der NSDAP und einer Vertreterin der NS-Frauenschaft besetzt. Für Bonn sah der Einsatzplan für den Fall der Alarmstufe „Großangriff“ die Evakuierung von bis zu 12.500 Ausgebombten mit Anhängerbussen, Zügen, Straßenbahnen und der Vorgebirgsbahn in umliegende kleinere Ortschaften (Meckenheim, Alfter, Godesberg) vor, doch überforderte die höhere Zahl von Geschädigten nach dem 18.10.1944 sowohl die Verkehrsmittel als auch die Ausweichkrankenhäuser in Bad Godesberg, Königswinter, Honnef und Rheinbach. Völlig überbelegt, dazu personell und materiell unterversorgt, war der Krankenhausbunker in Dransdorf. Bei Stromausfall wurde im Schein von Kerzen oder Petroleumlampen operiert. Wassermangel verhinderte einfachste Reinigungsmaßnahmen oder das Waschen der Wäsche. Jeden Tag holte der Fuhrpark die Verstorbenen ab und brachte sie zum Nordfriedhof.
17. Evakuierungen
In ungleich öfter und heftiger bombardierte Städten, zum Beispiel an der Ruhr, forderten die Angriffe häufig prozentual weniger menschliche Opfer, Folge einer besseren Versorgung mit bombensicheren Schutzbauten, vor allem eines höheren Anteils an evakuierten Zivilpersonen. In Bonn lässt sich die Hoffnung, verschont zu werden auch daran festmachen, dass im Frühjahr 1944 erst circa 5 Prozent der Vorkriegsbevölkerung in weniger gefährdete Gebiete ausgewichen waren. Der eigentliche Exodus setzte erst mit dem 18. Oktober desselben Jahres ein. In den letzten Monaten des „Dritten Reiches“ dehnte die Partei wegen der sich verschlechternden Versorgungslage den Druck auf die kriegswirtschaftlich entbehrliche Bevölkerung aus. Weiteres Motiv: Die Wohnungen der Evakuierten sollten für ausgebombte Rüstungsarbeiter freigemacht werden. Wie die Beschießung eines Bonner Flüchtlingszuges im Bahnhof von Oelde durch Tiefflieger (24.1.1945) zeigt, war auch die Flucht aus dem bedrohten Rheinland nicht gefahrlos. Dennoch haben es viele gewagt: Beim Ende der Kampfhandlungen wird der Tiefpunkt der Bonner Bevölkerungszahl auf circa 43.000 Bewohner (1939: 100.800) geschätzt.
Besondere Bemühungen in den „luftgefährdeten“ Reichsteilen galten der Verbringung von Kindern in weniger bedrohte ländliche Gebiete. Im Frühjahr 1941 nahmen aus dem Stadtkreis Bonn 13 Prozent der Volksschüler mit ihren Lehrern an dieser „Kinderlandverschickung“ teil. Nur in wenigen Monaten der Jahre 1941-1943 überschritt die Zahl der Verschickten die Marke von 1.000. Trotz Propaganda, die auf Beispiele der „Auslöschung“ ganzer Familien verwies, wünschte der überwiegende Teil der Bonner Eltern, ihre Kinder in der Stunde der Gefahr bei sich zu haben. Demotivierend wirkten auch Berichte über die unfreundliche Behandlung, zum Beispiel in überfüllten schlesischen Aufnahmequartieren.
18. Zwangsarbeiter
Grundsätzlich waren Zwangsarbeiter von der Aufnahme in Bunkern oder Luftschutzkellern ausgeschlossen. Ihnen mussten Splittergräben in der Nähe ihrer Lager oder Einsatzorte genügen. In vielen Fällen besaßen sie gar keine Schutzmöglichkeit, zum Beispiel im Barackenlager am Bonner Güterbahnhof oder dem Auffanglager für aus dem Westen evakuierte Zwangsarbeiter, welches die DAF auf dem Gelände der Beueler Jutespinnerei einrichtete. Bei jedem Luftalarm rannten die hier untergebrachten 400 Menschen aufs freie Feld. Indes scheinen die Vorschriften nicht überall beachtet worden zu sein: Zeitzeugen berichten, vom Wachpersonal in den Schutzraum gezwungen worden zu sein. Zahlreiche Opfer unter den Kriegsgefangenen aus westeuropäischen Ländern forderte ein Luftangriff auf den Hardtberg am 4./5. Februar, bei dem das Hauptlager des Stalag VI G getroffen wurde.
19. Die letzten Kriegsmonate
Keiner der 14 Bunker in Bonn und Beuel ist von einer Sprengbombe durchschlagen worden. Dies ist um so bemerkenswerter, als während der deutschen Ardennenoffensive Briten und Amerikaner Nachschublinien für die Westfront mit schweren und schwersten Detonationskörpern angriffen, so die RAF mit den Einsätzen vom 21./22. und 28./29.12.1944 auf den Bonner Haupt- und Güterbahnhof. Die geplante Zerstörung der Bahnanlagen wurde nicht erreicht. Allerdings blockierte die zusammengebrochene Viktoriabrücke eine Zeitlang die Gleise.
Verheerender waren die Zerstörungen von Wohnvierteln in Endenich und Poppelsdorf und den südlichen Stadtgebieten, hoch der Blutzoll unter der Zivilbevölkerung durch Direkttreffer auf zwei Öffentliche Luftschutzräume unter dem Münsterplatz und dem Stiftsplatz. 31 von 38 viermotorigen Bombern eines amerikanischen Verbandes, der am 6.1.1945 die Brückenrampen in Beuel und Bonn zerstören sollte, erreichten ihr Ziel. Der Rheinübergang blieb unversehrt, aber eine panzerbrechende Bombe zerschlug die Betondecke des Luftschutzraumes unter dem Landgericht und tötete 230 Schutzsuchende. Obwohl an mehreren Stellen unterbrochen – die Explosionskraft der neuen Kampfmittel bog Schienenstränge mit Schwellen meterhoch nach oben – war die Rheinstrecke nach wenigen Tagen wieder repariert und für Militärtransporte, die ununterbrochen Richtung Koblenz rollten, im Einsatz. Um die Not der Bevölkerung zu lindern, hatte die NSDAP die beiden Hilfszüge „Hermann Göring“ und „Dr. Joseph Goebbels“ nach Bonn beordert. Aus Sicherheitsgründen standen sie jedoch in der Gronau, eine gute halbe Stunde Fußmarsch vom Stadtzentrum entfernt.
Im Februar 1945 hatte Bonn noch einmal Glück: Widriges Wetter ließ einen geplanten Angriff von 222 schweren RAF-Bombern auf die Bahnanlagen scheitern. Ein großer Teil der Bomben traf unbewohntes Gebiet, eine Luftmine den Beueler Bahnhof. In Küdinghoven tötete noch am 13.2.1945 eine Luftmine zahlreiche Bewohner. Bei den eingesetzten 16 Mosquito-Bombern handelte es sich um einen Verband, der durch Ablenkungsangriffe auf die Region den Anflug eines weit größeren Verbandes auf Dresden (2. Welle) verschleiern sollte. Mit dem Herannahen der Front Anfang März 1945 dienten Keller und Bunker auch dem Schutz vor Artillerietreffern: In ihnen erwartete die Zivilbevölkerung die amerikanischen Sieger. Ein Bombenteppich zur Unterstützung der Erdkämpfe, wie ihn zum Beispiel Meckenheim erlebte, blieb Bonn erspart.
20. Bilanz des Bombenkrieges
Durch Luftangriffe während des Zweiten Weltkriegs verloren in Bonn 1.564, in Bad Godesberg 173 und in Beuel 167 Einwohner ihr Leben. Bezogen auf die Wohnbevölkerung von 1939 waren dies in Bonn 15,5 Einwohner pro Tausend, in Godesberg 5,7 und in Beuel 8,0. Danach stand Bonn unter den 43 am stärksten in Mitleidenschaft gezogenen Städten des späteren Bundesgebietes auf dem 17. Platz, war fast genau so hart betroffen wie die ungleich öfter angegriffene und viel stärker zerstörte Nachbarstadt Köln (17,7 pro Tausend).
Paradox angesichts fast täglicher Bombereinflüge wirken die wesentlich niedrigeren Werte für Essen. Zweifellos hat hier der hohe Versorgungsgrad mit wirklich bombensicheren Schutzbauten die Überlebenschance der Menschen erhöht. Zum anderen hatten sich an der Ruhr viel mehr Menschen evakuieren lassen als im jahrelang „ruhigen“ Raum Bonn. Entscheidend: Während in Bonn die Hauskeller für die Bombardierten in den allermeisten Fällen Schutz boten und nur wenigen zum Grab wurden, sind es die Treffer auf vier dicht belegte Öffentliche Luftschutzräume gewesen, die einen Großteil der Opfer forderten. „Erschreckend hoch“ nennt Gebhard Aders daher den Blutzoll für eine relativ selten und nur einmal in gezieltem Flächenangriff attackierte Stadt.
Mannheim, die am häufigsten angegriffene Stadt im heutigen Baden-Württemberg, bot seiner Zivilbevölkerung praktisch Vollschutz in Tiefbunkern. Die relativen Menschenverluste betrugen nur wenig mehr als ein Drittel des Bonner Wertes. Die These von der entscheidenden Bedeutung einer guten Schutzraumversorgung findet auch ihre Bestätigung im Vergleich zwischen Beuel und dem nicht in der höchsten Luftschutzklasse rangierenden Bad Godesberg. Obwohl die Kurstadt tatsächlich viel weniger stark angegriffen wurde – in Beuel waren nach Kriegsende mehr als zehnmal so viel Trümmerschutt zu räumen wie in Godesberg – lag die absolute Zahl von Opfern hier höher als im Rechtsrheinischen.
21. Trotz Wohnraumzerstörung Hauptstadtkandidat
Jede Einschätzung von kriegsbedingten Gebäudeschäden nach Abschluss der Kampfhandlungen ist stark subjektiv beeinflusst. Ein Ende 1946 angestellter interkommunaler Vergleich erscheint aussagekräftig: Er kommt für den damaligen Stadtkreis Bonn auf einen mittleren Schadensgrad von 17,7 Prozent (Köln: 43 Prozent; Düsseldorf: 33,4 Prozent; Dortmund: 30,1 Prozent). Als 1949 ein provisorischer Bundessitz gesucht wurde, konnte ohnehin keiner der Kandidaten mit einer intakten Innenstadt punkten. Auch wenn, wie eingangs betont, in Bonn die Öde der zerbombten Mitte besonders augenfällig blieb, war doch viel an Wohnbebauung verschont worden oder mit vertretbarem Aufwand reparabel. Und für die überaus bescheiden dimensionierten Raumansprüche der Planungsphase bot sich außerhalb der Zerstörungsschneise überraschend viel: Die Pädagogische Akademie in der Gronau, wo der Parlamentarische Rat arbeitete, später Parlament und Bundesrat tagten, in unmittelbarer Nähe das Museum Koenig und die Rheinvillen für Staatsoberhaupt, Regierungschef und Landesvertretungen, nicht zuletzt der völlig unzerstörte Riesenbau der Landwirtschaftskammer an der Endenicher Allee. Und so paradox es klingen mag: Keimzelle der Ministerien der jungen Bundesrepublik war die von Luftangriffen fast komplett verschonte militärische Hinterlassenschaft des „Dritten Reiches“. Immerhin deckten die ausgedehnten Kasernenkomplexe an der (Grau)Rheindorfer Straße sowie den beiden Großkasernen im benachbarten Duisdorf für das erste Jahr ungefähr die Hälfte des Raumbedarfs der Exekutive ab.
Hinzuzurechnen sind noch – ebenfalls unversehrt – ältere Anlagen wie die Ermekeilkaserne in der Südstadt oder die große Flakkaserne auf dem Venusberg, wohin jetzt die am Rhein zerstörten Universitätskliniken verlegt wurden. Das weitgehend intakte Bad Godesberg blieb für das ausländische Element reserviert. Hier fanden die Besatzungsstäbe in beschlagnahmten Villen Quartier, gefolgt von der Alliierten Hohen Kommission und ihrer umfangreichen Bürokratie und den Botschaften fremder Staaten. Wie in Bonn galt es auch in der südlichen Nachbarstadt, zunächst die vorhandenen Gebäude zu nutzen, bevor mit der Verfestigung des Provisoriums auch in stärkerem Maße Neubauten entstanden.
Quellen
Helmut Vogt (Bearb. u. Hg.), Bonn im Bombenkrieg. Zeitgenössische Aufzeichnungen und Erinnerungsberichte von Augenzeugen. Bonn 1989.
Literatur
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Blank, Ralf, Kriegsalltag und Luftkrieg an der „Heimatfront“, in: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9.1: Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939-1945, hg. von Jörg Echternkamp, München 2004, S. 357-461.
Boog, Horst (Hg.), Luftkriegsführung im Zweiten Weltkrieg. Ein Internationaler Vergleich. Herford/Bonn 1993.
Dahlmann, Dittmar (Hg.), „Schlagen gut ein und leisten Befriedigendes“. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Bonn 1940-1945, Bonn 2006.
Friedrich, Jörg, Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945 München 2002.
Overy, Richard, Barbarisch aber sinnvoll, in: Friedrich, Lothar Kettenacker (Hg.), Ein Volk von Opfern? Die neue Debatte um den Bombenkrieg 1940-1945, Berlin 2003.
Schlossmacher, Norbert, Buchenwald am Rhein. Marie-Agnès Cailliau de Gaulle als Gefangene in einem Außenkommando des Konzentrationslagers Buchenwald, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 71 (2007), S. 231-253.
Vogt, Helmut, Das 5. Luftschutzrevier von Bonn: Die Industriegemeinde Beuel im Bombenkrieg, Bonn 1994.
Online
Der alliierte Bombenkrieg 1939-1945, in: historicum.net (Umfangreiches Informationsangebot über den Kontext des Bombenkriegs) [Online]
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Vogt, Helmut, Bonn im Bombenkrieg 1939-1945, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/bonn-im-bombenkrieg-1939-1945/DE-2086/lido/57d1299dd5a747.48656399 (abgerufen am 06.12.2024)