Das Caritashaus Arenberg im Ersten Weltkrieg
Zu den Kapiteln
1. Arenberg als Zentrum des Katholizismus
Zwischen der Wallfahrt zum Heiligen Rock nach Trier im Jahre 1844 und dem Ersten Weltkrieg war Arenberg bei Koblenz eines der wichtigsten Zentren des Katholizismus im Bistum Trier beziehungsweise in der südlichen Rheinprovinz. Nach der Wallfahrt begann Pfarrer Johann Baptist Kraus (1805-1893) mit dem Bau einer „Landschaftsbilderbibel“. In mit Halbedelsteinen und Muscheln geschmückten Grotten und Kapellen wurden Szenen aus der Bibel, dem Leiden Christi und seiner Mutter dargestellt. Zu den Pfarrer-Kraus-Anlagen gehörte eine ebenfalls mit zahllosen Muscheln und Edelsteinen geschmückte Pfarr- und Wallfahrtskirche, die 1872 geweiht werden konnte. Pfarrer Kraus gelang es dabei, zunächst seine Pfarrkinder, dann führende Persönlichkeiten des Koblenzer Katholikenkreises sowie des Bistums und nicht zuletzt auch die zahlungskräftigen Kurgäste aus Bad Ems für seinen Bibelgarten und die Wallfahrtskirche zu mobilisieren. Bis kurz vor seinem Tod 1893 arbeitete Pfarrer Kraus an seinem Lebenswerk, das bis in die 1960er Jahre zahlreiche Prozessionen mit bis zu 200.000 Pilgern im Jahr anzog.
Der rührige Pfarrer brauchte Unterstützung. Neben den Pfarrer-Kraus-Anlagen wurde ein Dominikanerinnenkloster gegründet. Was 1868 als geistliche Putzkolonne zur Pflege der Wallfahrtskirche und des Bibelgartens sowie als Krankenpflegeeinrichtung für die Pfarrei gedacht war, entwickelte sich bald zum Mutterhaus der deutschen Dominikanerinnen. Von hier aus wurden bis zum Zweiten Weltkrieg 42 Niederlassungen mit 662 Schwestern vorrangig im Rheinland, im Ruhrgebiet und im Raum Berlin gegründet, die für die katholischen Zuwanderer in den Städten Krankenhäuser, Kindergärten sowie Einrichtungen für Waisen, Dienstmädchen und andere berufstätige junge Frauen betrieben.
In Arenberg wurde 1889 eine Haushaltungsschule eröffnet, in der Töchter aus den führenden Familien lernten, einen großbürgerlichen Haushalt zu führen, im Jahre 1900 eine höhere Mädchenschule, ein „wissenschaftliches Pensionat“. Das war so erfolgreich, dass man es 1913 aus Platzgründen nach Euskirchen verlegen musste, wo im folgenden Jahr 219 Schülerinnen von 14 Schwestern unterrichtet wurden. Für ältere alleinstehende Damen (und einige Herren) aus diesen Kreisen richtete man ein Pensionat ein. Dies alles ist das Werk der Gründerin des Klosters, der zurückhaltend und bescheiden auftretende Mutter Cherubine Willimann (1842-1914). Nachdem ihr Konvent die von Pfarrer Kraus gesetzten Grenzen überwunden und die Wirren des Kulturkampfes überstanden hatte, konnte sie zielgerichtet das Mutterhaus und die damit verbundenen Einrichtungen ausbauen. Über die Rolle der Arenberger Dominikanerinnen in der Kriegskrankenpflege und im Ersten Weltkrieg berichtet ein eigener Beitrag.
Arenberg ist das Werk dreier außergewöhnlicher Persönlichkeiten: Neben Pfarrer Johann Baptist Kraus und Mutter Cherubine Willimann ist als drittes Matthias Kinn (1847-1918), zu nennen, der seit 1889 Beichtvater der Schwestern war und der sich mit dem Bau des Caritashauses in Arenberg, der Zentrale und der Ausbildungsstätte der im ländlichen Bereich tätigen Krankenbesucherinnen, einen Lebenswunsch erfüllte. Ein weiteres Arenberger Institut kann nur am Rande erwähnt werden: Seit 1877 leitete Cyprian Fröhlich (1853-1931) die Niederlassung des Kapuzinerordens in Ehrenbreitstein. 1889 rief er das „Seraphische Liebeswerk zur Rettung der in Glaube oder Sitte gefährdeten Kinder“ ins Leben. Dieses gründete 1908 das heute noch bestehende Kinderheim St. Antonius in Arenberg, um gefährdete Kinder, namentlich aus Mischehen, zu retten. Doch eine Betreuung durch die Arenberger Dominikanerinnen kam nicht zustande; schließlich berief man 13 Schulschwestern des heiligen Franziskus von Erlenbad im Schwarzwald.
2. Matthias Kinn und die Landcaritasbewegung
Der Gründer des Caritashauses, Matthias Kinn, wurde 1847 in Weidingen bei Bitburg geboren, 1870 in Trier zum Priester geweiht und war anschließend Kaplan in Kesselheim und Bekond. Aus gesundheitlichen Gründen musste er sein Amt niederlegen und war von 1886 bis 1889 Hausgeistlicher bei den Salesianerinnen in Koblenz-Moselweiß. 1889 wurde er Rektor in Arenberg, wo er die Dominikanerinnen und die Bewohnerinnen der Haushaltungsschule und des Damenpensionats seelsorgerisch betreute. Bereits in Bekond engagierte er sich im Bereich der „Dorfcaritas“.
In den 1870er und 1880er Jahren gab es in jeder Kreisstadt der Rheinprovinz einen Kreisarzt und ein oft von Borromäerinnen oder Waldbreitbacher Franziskanerinnen betriebenes Krankenhaus. Wesentlich schlechter sah es in den Dörfern aus, die sich auch keine Gemeindeschwester leisten konnten. Schlechte Verkehrsverbindungen und die Unkenntnis in Fragen der Medizin und Hygiene waren weitere Faktoren, die den Gesundheitszustand der Landbewohner verschlechterten. 1883 gründete Kinn in Bekond die Rochusbruderschaft, die Familien im Krankheitsfall eine ausgebildete Kraft zur Verfügung stellte, sowie weitere Frauen entsandte, die Krankenkost zubereiteten oder den Haushalt, die Kinder und die Wäsche versorgten. Im Unterschied zu den gelernten Krankenschwestern und in Anspielung an Mt 25,36 nannte Kinn sie „Krankenbesucherinnen".
Mit der Forderung nach einer Dorfcaritas und der Teilnahme am Hygienediskurs stand Kinn damals weder im katholischen noch im evangelischen Lager allein. Dies gilt auch für seine publizistischen Aktivitäten. 1878 veröffentlichte er ein „Merkblatt der Krankenpflege“, 1883 ein „Krankenbüchlein für Landleute wie für Stadtbewohner“ und 1887 ein „Handbüchlein des Krankenbesuches.“ Hinzu kamen zahlreiche Artikel, in denen er für sein Anliegen warb, zum Beispiel mit Beiträgen in dem von Professoren des Trierer Priesterseminars herausgegebenen „Pastor bonus“, in denen er unter anderem die Ursachen für die hohe Sterblichkeit der in der Krankenpflege tätigen Ordensschwestern benannte und Verbesserungsmaßnahmen forderte. 1901 erschien das Büchlein „Elisabeth, die Krankenbesucherin des Charitasverbandes. Oder was eine brave Jungfrau im Krankenpflegekursus zu Arenberg im Krankenhaus und später in ihrer Heimat erlebt hat.“ Der etwas sentimentale Text war an ein weibliches Publikum adressiert, appellierte an dessen Mitgefühl und sollte künftige Krankenbesucherinnen werben. Weite Verbreitung fand auch: „Der Krankendienst. Kleines Taschenbüchlein für Schwestern, Brüder und Seelsorger enthaltend Gebete zum Vorbeten und kürzeste Winke für erste Hilfe bei Unglücksfällen“ (3. Auflage 1904).
Matthias Kinn versuchte außerdem, ein Periodikum ins Leben zu rufen. Der „Charitas-Bote“ führte 1891 den Untertitel „Ein Jahrbuch der christl. Krankenpflege zur Erbauung, Belehrung und Vereinigung der Pfleger und Pflegerinnen sowie ein belehrender Rundschauer und Berather über das Neueste in der Gesundheits- und Krankenpflege für Klöster, Erziehungs-Anstalten, Familien und Leidende.“ Zusätzlich zu diesem Jahrbuch gab Kinn ab 1892 eine Vierteljahresschrift mit dem gleichen Titel heraus: „Charitas-Bote. Christl. Vierteljahresschrift für Gesundheits- und Krankenpflege,“ die nach vier Heften ihr Erscheinen einstellte. Auch der 1893 ins Leben gerufene „Diener der Barmherzigkeit“ konnte sich nicht halten. Mehr Glück hatte Kinn mit den ab 1902 erscheinenden „Mitteilungen für die Krankenbesucherinnen des Charitasverbandes.“ Sie erschienen in Freiburg als Beilage der Verbandszeitschrift „Charitas“. Ab 1911 veröffentlichte Matthias Kinn „Jahresberichte der Caritasvereinigung für Landkrankenpflege und Volkswohl in Arenberg“, die viele Nachrichten über seine Arbeit enthalten. Leider ist es schwer, an diese Periodika heranzukommen, da nur wenige Bibliotheken Einzelhefte besitzen. Fündig wird man im Archiv des Mutterhauses in Arenberg, vor allem aber im Caritashaus, wo auch noch die gesamte Buchführung der Ära Kinn aufbewahrt wird.
Kinns Grundgedanke war es, ehrsame Jungfrauen nach einer Ausbildung in der Krankenpflege, bei Unfällen und Verletzungen sowie als Beraterinnen in Fragen der Hygiene und Ernährung einzusetzen. Bewerberinnen konnten nur brave, gesunde Mädchen (auch Witwen) im Alter von 25 bis 45 Jahren sein, die eine Tätigkeit als Krankenbesucherin ehrenamtlich ausüben wollten, ein unbezahlbares Werk der christlichen Liebe. Mit Zuschüssen des Caritasverbandes, der Provinzialverwaltung und der Landesversicherungsanstalt, mit Spenden, Beiträgen der Vereinsmitglieder und dem Ertrag von Hauskollekten konnte Kinn die Kurse finanzieren, die Fahrtkosten übernehmen, die Schülerinnen mit einem Medikamentenschrank ausstatten. Mitteilungsblätter, Treffen und Fortbildungskurse hielten die Krankenbesucherinnen auf dem Laufenden. Zudem gab es Wiederholungskurse, einen Desinfektionskursus und „diätische Kochkurse“. Deutlich wurden ihnen die gesetzlichen Grenzen und Aufgaben (Seuchenpolizei) eingeschärft und eine enge Kooperation mit Ärzten, Hebammen, Pfarrern, Bürgermeistern und Polizisten nahegelegt – so entstand über die Caritasschwestern ein weiterer Stützpunkt des Staates im Dorf.
1898 gelang es Kinn, mit einem Zuschuss der 1897 gegründeten Caritasvereinigung für das katholische Deutschland, den ersten „Kursus für Jungfrauen vom Lande“ abzuhalten. In Arenberg wurde seine Initiative von Cherubine Willimann unterstützt, die die Schülerinnen zunächst im Kloster beherbergte und beköstigte und dann die Haushaltsführung im Caritashaus übernahm; außerdem stellte sie Lehrschwestern.
1906 gründete Matthias Kinn mit 40 Mitstreitern die Caritasvereinigung für Landkrankenpflege und Volkswohl. Die Vereinsgründung war außerordentlich erfolgreich, bereits 1910 konnte das auf einer Anhöhe über dem Kloster gelegene Caritashaus St. Elisabeth errichtet werden. In diesem Jahr plante Kinn zwei Hauptkurse mit je 25 Schülerinnen. Inzwischen gäbe es 282 aktive Krankenbesucherinnen, die folgende Leistungen erbracht hätten: 53.000 Krankenbesuche, 6.000 Pflegetage, 3.500 Nachtwachen, 1.600 Erste Hilfen, 39.000 Verbände, 11.000 Ausleihen von Pflegegeräten und 2.000 Krankenberichte, wie im Jahresbericht zu lesen war.
Aus dem Jahresbericht 1910 geht weiter hervor, dass im Caritashaus sämtliche der 40 für unvermögende Kinder bestimmten Betten belegt waren. Sie wurden von den Schwestern liebevoll verpflegt und nahmen zwischen zwei und 20 Pfund zu. Weiterhin war geplant, bemittelte Damen, die eine Veränderung und Erholung notwendig haben, für 5 Mark pro Tag als Pensionsgäste aufzunehmen. Aus der Beschreibung des Hauses erfährt man Näheres: Es sollte von April bis Oktober erholungsbedürftigen schulpflichtigen katholischen Kindern, zunächst nur Mädchen, zur Verfügung stehen. Neben der Schönheit und Zweckmäßigkeit des Geländes und Gebäudes wird die Nähe zu den Arenberger Anlagen hervorgehoben, mit der Kinn auch bei seinen Krankenbesucherinnen warb. Die Kinder durften nicht krank, sondern allenfalls unterernährt, blutarm oder skrofulös (einfache Tuberkulose) sein. Nach den Berichten der Schulärzte seien 50 Prozent der Kinder in den Großstädten blutarm, 30 Prozent hätten Rachitis, 30 Prozent Drüsenschwellungen (Skrofulose), 50 Prozent Haltungsschäden und über 25 Prozent ein Nervenleiden.
Das Jahrbuch der Caritasvereinigung von 1910 enthält ein Mitgliederverzeichnis des Vereins, das circa 1.400 Personen aufführt. Die Liste liest sich wie ein „who is who“ der preußischen Rheinprovinz und der Provinz Westfalen beziehungsweise der Bistümer Trier und Köln. Die Vorsitzenden waren zwei Amtsgerichtsräte, Kinn war Schriftführer und Leiter der Zentralstelle. Hinzu kamen ein Arzt, ein Lehrer, ein Landesrat - der Leiter des Wohlfahrtswesens der Rheinischen Provinzialverwaltung -, ein Sanitätsrat, ein Vertreter des Caritasverbandes und einer des Bischofs. Kinn konnte seinen Verein mit kirchlichen und staatlichen Institutionen so gut vernetzen, dass eine finanzielle Förderung und eine Sicherung der Qualität, aber auch eine katholische Ausrichtung garantiert waren.
Weiter ergibt eine Auszählung, dass der Verein allein 60 Mitglieder aus dem Kreis Bitburg – der hier einmal willkürlich herausgegriffen sei – hatte. Demgegenüber gab es in Koblenz 23, in Köln 16 und in Trier nur acht Mitglieder. Es zeigt sich, dass die Landcaritasbewegung viel stärker auf dem Land als in der Stadt verwurzelt war. Dem entspricht, dass sich 1910 für den Kreis Bitburg 13 in Arenberg ausgebildete Krankenbesucherinnen nachweisen lassen, von denen keine ihren Sitz in einem Ort hatte, in dem es einen Arzt oder ein Krankenhaus gab. Nur am Rande sei erwähnt, dass Matthias Kinn auch ein Vorreiter der Kneipp-Bewegung war. Er war mit Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897), Beichtvater der Dominikanerinnen in Wörishofen, befreundet, der mehrfach Arenberg und Koblenz, wo ein großer Kneipp-Verein gegründet wurde, besuchte.
3. Die Krankenbesucherinnen bereiten sich auf den Weltkrieg vor
Der Erste Weltkrieg in Arenberg ist durch zwei einschneidende Zäsuren gekennzeichnet: Am 18.12.1914 starb Cherubine Willimann und am 19.7.1918 Matthias Kinn. Auch in der Geschichte des Caritashauses stellte er einen bemerkenswerten Einschnitt dar, wobei man mit einigem Erstaunen feststellt, dass der Weltkrieg und auch der Einsatz der Dominikanerinnen wie auch der Caritasschwestern langfristig und generalstabsmäßig vorbereitet worden war. Bereits im Sommer 1900 teilte der Trierer Bischof Michael Felix Korum (Episkopat 1881-1921) Cherubine Willimann mit, es sei für die Schwestern nur von Vorteil, wenn ihre Tätigkeit in der Krankenpflege einheitlich geregelt und dadurch auch im Kriegsfall ihre Arbeit und Lebensweise gesichert sei.
1908 forderte Kinn in seinen „Mitteilungen“ seine Krankenpflegerinnen auf, bei Massenverunglückung im Bergbau oder bei der Eisenbahn als freiwillige Helferin ihre Hilfe zur Verfügung zu stellen. Im Falle eines Krieges sollten sie auf Anfragen des Roten Kreuzes und sofern sie aufgrund ihrer Familienverhältnisse abkömmlich seien, ihre Mitarbeit in einem Lazarett in der Nähe anbieten. Nach dem Balkankrieg von 1912, als eine kriegerische Verwicklung unseres Vaterlandes drohte, fragte der Vorstand, so der Jahresbericht der Caritasvereinigung, beim Malteserritterorden an, ob die Hilfeleistung von Krankenbesucherinnen erwünscht sei. Eine ähnliche Anfrage stellten auch die Arenberger Dominikanerinnen. Man antwortete ihnen, dass man die Krankenbesucherinnen und Berufspflegerinnen der Caritasvereinigung gerne als Hilfspflegerinnen annähme, dass diese aber bereit sein müssten, mit ins Feld zu rücken und in einem Militärlazarett zu dienen. Auf eine Umfrage hin hatte Kinn erfahren, dass mehr als 50 Krankenbesucherinnen sich zur Kriegerpflege im Kreise und mehr als weitere 50 für den Felddienst bereit erklärt hätten. Angesichts ihrer dürftigen wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer familiären Verpflichtungen, schreibt er weiter, sei dies ein glänzendes Ergebnis, ein Beweis […] der patriotischen Gesinnung unserer Caritasschwestern.
1913 dachte auch der mit Kinn eng befreundete Präsident des Caritasverbandes, Lorenz Werthmann (1858-1921), in einem Artikel in der „Caritas“ darüber nach, Kinns Kursistinnen künftig als Helferinnen bei den Versicherungsanstalten, in der Tuberkulosevorsorge auf dem Lande, in der Säuglingspflege und als Helferinnen für die Kriegsinvalidenpflege einzusetzen. Die Vorbereitungen für den Krieg liefen also schon auf Hochtouren: Bereits 1912 wurde den Schwestern des Trierer Josephsstifts mitgeteilt, dass ihr Haus im Kriegsfalle als Etappenlazarett vorgesehen sei. Sicherlich gab es auch für Koblenz solche Pläne.
4. Die Krankenbesucherinnen im Ersten Weltkrieg
Über die Kriegszeiten unterrichten die Jahresberichte der Caritasvereinigung für die Jahre 1914 und 1915. Kinn beginnt seinen Bericht für 1914 mit einem kurzen Nachruf auf Schwester Cherubine, die seinem Anliegen die Klosterpforte geöffnet hatte, was andere Orden wohl abgelehnt hatten. Traurig blickt er 1915 auf das Vorjahr zurück, wo der Weltkrieg unter der Truppe seiner Krankenbesucherinnen ein Weltelend geschaffen habe. Das Caritashaus sei glücklicherweise von den Bomben französischer Flieger verschont geblieben. Nachfolgerin von Schwester Alphonsa, die derzeit die Leitung des Reservelazaretts in Freiburg inne habe, im Caritashaus sei die Kursusschwester Hildegardis. Die 65 armen Kinder, die in dem Haus verpflegt wurden, hat man nach Kriegsbeginn nach Hause geschickt. Die wenigen Damenzimmer hätten sich geleert, die Kochschülerinnen habe man entlassen und den Lehrkurs 1914/1915 ausfallen lassen. Man hatte noch einen Unterrichtsraum im Dorf angemietet und die Verpflegung im Kloster sichergestellt. Aber das Caritashaus und das Pensionat des Klosters dienten als Verwundeten-Lazarett, und im Dorf gäbe es so viele Einquartierungen, dass der Kurs abgesagt werden musste. Daher sei das Caritashaus seit dem 1. August ohne Einnahmen, während es weiterhin seine Baukredite abzahlen müsse. Das Caritashaus stellte 50 und das Kloster 130 Betten für Leichtverwundete zur Verfügung, die aber erst ab dem 23.11.1914 belegt wurden. Gegen eine entsprechende Vergütung durch das Militär pflegte man im Caritashaus circa 30 bis 50 Soldaten.
Wie in jedem Jahr listet Kinn für 1914 die Zahl der 97.000 Krankenbesuche und 65.000 Wundverbände auf – gegenüber 1909 annähernd eine Verdoppelung – und stellt fest, der Verein habe einen Fehlbetrag von 2.000 Mark erwirtschaftet, der durch die Landesversicherungsanstalt ausgeglichen werde. In einem weiteren Artikel konstatierte Kinn, dass sich die Nachfrage nach Caritasschwestern zur Kriegerpflege in Grenzen hielt. 80 hätten sich gemeldet, aber in den Etappen- und Frontlazaretten seien überwiegend Militärpfleger und Rotkreuzschwestern sowie Ordensschwestern tätig. In den Reservelazaretten in der Heimat ständen so viele kurzgeschulte, gebildete Damen zur Verfügung, dass man die Caritasschwestern selten benötigte. Erschwert wurde der Einsatz der Hilfspflegerinnen dadurch, dass sie oft in abgelegenen Dörfern lebten, die Lazarette sich aber in den Städten befanden. Dennoch war eine Reihe von Krankenbesucherinnen in den von Dominikanerinnen betriebenen Krankenhäusern (Düsseldorf-Heerdt, Oberhausen, Berlin) und in Reservelazaretten im Rheinland (Bitburg, Malberg, Neuenahr, Trier) im Einsatz.
Wichtig sei die Arbeit der Caritasschwestern bei der Versorgung der Zivilbevölkerung, die sich durch die Tätigkeit zahlreicher Pflegekräfte in den Lazaretten deutlich verschlechtert habe, bei der Unterstützung von Transporten oder Märschen, und viel wichtiger noch nach Kriegsende, wenn manche Krankheit oder Verwundung auskuriert werden müsse, schrieb Kinn Anfang 1915: Überreiche Pflegearbeit für die (hoffentlich siegreich) heimkehrenden Krieger steht den Caritasschwestern nach der Beendigung des Krieges bevor. Nur mit einem gewissen Schrecken kann man an die Nachwehen des Krieges denken. Was da mitgebracht wird an nicht ausgeheilten Wunden, an Nachwirkung überstandener Krankheiten, an Nachwirken eines in den nassen, kalten Schützengräben verlebten Winters, was für böse Ansteckungskeime noch aufgehen werden, das läßt sich zurzeit nur ahnen.
Für das Jahr 1915 kann Kinn berichten, dass das Caritashaus als Kriegerlazarett (Genesungsheim) diene; 52 Betten seien mit Soldaten belegt. Durch eine Umverteilung und die Anmietung eines Hauses sei es gelungen, den Kursussaal wieder freizumachen. Seit dem 1.5.1915 könne man die Kinderpflege wieder aufnehmen und fünf Gruppen mit je 40 Gästen aus Köln, Düsseldorf und Essen beherbergen. Auch konnte man zwei Lehrkurse mit 22 und 32 Schülerinnen durchführen, die man in Privathäusern unterbringen musste, da die Kinderbetten für sie zu kurz waren.
Ob es Jahresberichte für 1916, 1917 und 1918 gab, ließ sich nicht feststellen. Ab 1917 gaben der Caritasverband sowie die Vinzenz- und Elisabethvereine die „Caritasstimmen“ heraus, in denen sich einige Artikel über Arenberg finden. 1917 erschien ein kurzer Bericht für das Geschäftsjahr 1916: Danach war das Caritashaus weiterhin Lazarett und würde es auch bis Kriegsende bleiben. Nur der Speisesaal und der Spielsaal könnten für schwächliche Stadtkinder aus Köln, Düren, Düsseldorf und Essen genutzt werden, die in einem angemieteten Haus schliefen. Der Januarkurs fand mit 32 Schülerinnen statt, der im November musste ausfallen. 114.000 Krankenbesuche und 78.000 Wundverbände wurden gezählt, deutlich mehr als bei Kriegsbeginn. Die Krankenbesucherinnen, die in der Nähe von Bahnhöfen wohnten, hätten für 2.000 Großstadtkinder Plätze zur Erholung in den Sommerferien beschafft. 1919 konnte mitgeteilt werden, dass Dr. Heinrich Laufen die Nachfolge von Matthias Kinn angetreten hatte. Möge der gute ‚Vater Kinn‘ vom Himmel her sein Werk, seinen Nachfolger und seine geistigen Töchter segnen heißt es im Jahresbericht für 1918, der mangels fehlender Angaben nicht rechtzeitig fertiggestellt werden konnte.
Die Durchsicht der Caritasstimmen ist auch deshalb aufschlussreich, als sie viele Facetten der sozialen Problematik und der Kriegswohlfahrtspflege des Ersten Weltkrieges beleuchtet, So werden Unterrichtskurse für Kriegsbeschädigte angeboten, damit Verstümmelte wieder in ihrem alten Beruf arbeiten können. Bezeichnend ist auch das Wort Krüppelfürsorge oder das der Fürsorge für die Abnormen, worunter man Nichtvollsinnige (Bilde, Taubstumme) …, die Geistesschwachen und die Krüppel verstand. Die Adoption durch Kriegerwitwen wird geregelt, über Begünstigungen für Soldatenkinder informiert und über das Kapitalabfindungsgesetz, das Kriegsbeschädigten und Kriegerwitwen den Grunderwerb ermöglichen sollte. Die Hinterbliebenenversorgung war ein großes Thema, etwa erhielten Kriegerwitwen das Sterbegeld in voller Höhe, auch wenn sie die Beerdigung nicht zahlen mussten. Geworben wurde für das Buch „Wie sorgt das Vaterland für seine kriegsbeschädigten Heldensöhne?“ Gedanken machte man sich außerdem über das Wochengeld der Kriegswöchnerinnen und über Fahrpreisermäßigungen beim Besuch von Kriegsgefangenen. Auch die Jugendgerichtshilfe war ein Thema, weiter die Familienunterstützung für unehelich geborene Soldatenkinder und Ländliche Arbeitsheime für sittlich gefährdete Frauen und Mädchen. Gedacht wurde auch an Feierabendheime für berufstätige Frauen in den Städten für die zahlreichen, in den Fabriken, insbesondere in der Rüstungsindustrie tätigen Arbeiterinnen.
Ausführlich berichtet wird über eine katholische Heimwerkstätte für Kriegsbeschädigte bei den Barmherzigen Brüdern in Koblenz. Der Weltkrieg mit seinen vervollkommneten Kampfesweisen bringt uns eine große Folge von Verwundungen, die glücklicherweise infolge des in Deutschland vorzüglich organisierten Sanitätswesens schnell und gründlich geheilt werden, so dass viele unserer Feldgrauen schon beim zweiten oder dritten Male nach ihrer jedesmaligen Genesung hinausziehen konnten, um dem Vaterlande von neuem auf treuer Wacht zu dienen. Für 300 Soldaten, die einen Arm, ein Bein, einen Fuß oder eine Hand, manchmal sogar beides verloren haben, wurde eine Invalidenschule oder Heilwerkstätte für Kriegsbeschädigte eingerichtet, und zwar vom 8. Armeekorps in den Räumen des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder. Die Kriegsbeschädigten wurden in der Bäckerei, in der Gärtnerei oder mit Maler- und Anstreicherarbeiten im Krankenhaus beschäftigt, außerdem gab es eine Schreinerei. Weiter bestand die Möglichkeit, noch einmal die Schulbank zu drücken und eine Bürotätigkeit zu erlernen. Diejenigen, die noch der Krankenhauspflege bedürftig sind, fertigten Gebrauchsgegenstände und Spielsachen, wie Schlitten, Schaukelpferde, kleine Leiterwagen, Kerzenleuchter, Obst- und Briefschalen, Korbflechtereien etc. an, um bei einem Heimaturlaub den Eltern, der Frau und den Kindern … eine Freude zu machen. In einer orthopädischen Werkstätte wurden künstliche Glieder hergestellt und angepasst. Dabei lobte man die sehr leichten Holzbeine. Weiter wurden Kriegsbeschädigten-Schuhe angefertigt, die die Soldaten dazu in die Lage versetzten, erneut ihren Truppendienst zu versehen und wieder mitzuhelfen zum endgültigen Sieg unserer Waffen.
Recht kleinlaut wird in den Caritasstimmen vom lange herbeigesehnten Ende des Kriegs berichtet. Leider stelle der Ausgang für das deutsche Volk eine schmerzliche Heimsuchung und tiefe Demütigung dar. Doch sei dies ein Werk der göttlichen Vorsehung, und ein äußerer Sturz aus stolzer Höhe sei der Ausgangspunkt einer inneren Erneuerung. Im Moment sei es schwer, den rettenden Ausweg aus der unermeßlichen Notlage aller Volksgenossen zu finden. Die so rasch aufgeblühte deutsche Caritasbewegung könne aber nicht durch dieseitige Humanitätsschwärmerei, sondern nur aus dem Vollgehalt unseres heiligen Glaubens heraus wiedererstehen.
Man blättert die Caritasstimmen mit etwas gemischten Gefühlen durch. Auf der einen Seite ist es erschreckend, welche Folgen der Krieg für die Menschen nicht nur an der Front, sondern auch in der Heimat – die hier im Vordergrund stand – hatte. Auf der anderen Seite ist es imponierend, wie ein breit gefächertes Angebot an sozialen Leistungen von staatlichen Stellen kam und wie sehr sich kirchliche Institutionen und lokale Vereine bemühten, es durch Aktivitäten vor Ort zu ergänzen. Wie viel davon bei den Betroffenen ankam und ob es ausreichte, ist eine andere Frage. Auf der anderen Seite zeigen sich die Orden und karitativen Einrichtungen stets als Zahnrad in der Maschinerie des Weltkrieges. Eine große Organisation wie die Caritasvereinigung ließ sich nur aufbauen, wenn dies in enger Kooperation mit kirchlichen und staatlichen Stellen geschah.
Quellen
Der Artikel beruht auf Recherchen im Archiv des Mutterhauses der Dominikanerinnen und des Caritashauses in Arenberg. Dort werden auch die "Caritasstimmen" und ähnliche Periodika aufbewahrt.
Das Caritashaus Arenberg. [Online]
Das Dominikanerinnenkloster in Arenberg. [Online]
Literatur
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Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Schmid, Wolfgang, Das Caritashaus Arenberg im Ersten Weltkrieg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/das-caritashaus-arenberg-im-ersten-weltkrieg/DE-2086/lido/602aa58378f7b0.39415197 (abgerufen am 14.12.2024)