Das Reichsministerium für die besetzten Gebiete (1919-1930)
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Das im August 1923 errichtete Reichsministerium für die besetzten Gebiete weist selbst in der an Besonderheiten nicht armen deutschen Verwaltungsgeschichte Eigentümlichkeiten auf, die ihm unter den Ministerien seit 1919 eine besondere Stellung einräumen. Es war das einzige Ministerium auf Reichs- und Bundesebene, das nur für einen Teil des Staatsgebiets zuständig war. Vergleichbar ist auf der Reichsebene allenfalls noch das kurzlebige (1876-1879) Reichskanzleramt für Elsass-Lothringen, das die Konsolidierung der Verfassung im 1871 annektierten Reichsland zum Gegenstand hatte.
1. Die ministeriellen Vorläufer bis 1923
In der Zeit nach der Besetzung der rheinischen Gebiete unter dem Waffenstillstandsabkommen ab Dezember 1918 war die Zuständigkeit für die besetzten Gebiete auf der Reichsebene zunächst nicht einheitlich geregelt; genauere Unterlagen ließen sich hierzu bislang nicht ermitteln. Befasst waren in jedem Fall die deutsche Waffenstillstandskommission unter Leitung von Staatssekretär Matthias Erzberger (1875-1921) und das Auswärtige Amt; hier dürften unter anderem die zwischen dem 1.11.1918 und vermutliche Ende 1919 bestehende Dienststelle des Leiters der vorbereitenden Maßnahmen für die Friedensverhandlungen (Wirklicher Geheimer Rat Johann Heinrich Graf von Bernstorff, 1862-1939) sowie später - ab Juli 1919 - auch die Abteilung F (Friedensabteilung) unter der Leitung von Ministerialdirektor Ernst von Simson (1876-1941) zuständig gewesen sein.
Die innenpolitischen Zuständigkeiten für Angelegenheiten der besetzten Gebiete wurden vermutlich Mitte 1919 der während des Weltkrieges errichteten Geheimen Registratur beziehungsweise Unterabteilung I M [Militärangelegenheiten] des Reichsministeriums des Innern (RMdI) übertragen. Nach Aufhebung dieser Unterabteilung und im Zuge einer Neuordnung der Geschäftsverteilung des RMdI war ab 1.1.1920 die neue (Unter-)Abteilung I A: [Verfassung, Politik, besetzte Gebiete] für die Angelegenheiten der besetzten Gebiete und die Ausführung des Friedensvertrages zuständig. Referenten für diese Aufgabengebiete waren Geheimer Regierungsrat Dr. Raban Graf Adelmann von Adelmannsfelden (1877–1935), Geheimer Regierungsrat August Schmid (1869–nach 1930), Geheimer Regierungsrat Gottfried von Jacobi (1869–1947). Der im Juni 1919 eingesetzte Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete war nachgeordnete Behörde des Reichsministeriums des Innern.
Außer dem Reichsministerium des Innern, zuständig für die administrativen Angelegenheiten der besetzten Gebiete, war mit dem Reichsschatzministerium noch ein zweites Ressort mit bestimmten Fragen befasst. Dieses Ministerium, mit dem Reichsfinanzministerium aus dem vormaligen Reichsschatzamt im Februar/März 1919 hervorgegangen, war unter anderem zuständig für die Verwaltung der reichseigenen Gebäude und Grundstücke. In diesem Ministerium befasste sich eine eigene Abteilung IVA mit der Reichsschatzverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete. Nachgeordnete Dienststelle dieser Abteilung war die 1919 errichtete Reichsvermögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete mit Sitz in Koblenz. Diese Dienststelle war (1922) in folgende Abteilungen gegliedert: I Liegenschaftsangelegenheiten, II Verpflegung, Personalien der Beamten, Angestellten und Arbeiter, Beschaffung, Requisitions- und Entschädigungswesen, III Organisation, allgemeine Angelegenheiten außer Liegenschaften, Rheinlandabkommen und Friedensvertrag, Vertretung bei dem Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete, Personalien der höheren Beamten, Verhandlungen mit Städten und Armeekommandos, Etat, Statistik, Rechnungswesen, Sonderaufgaben; Bauabteilung; Dezernat E (Entfestigungsangelegenheiten). Zweigstellen der Reichsvermögensverwaltung saßen in Köln, Mainz, Landau, Reichsvermögensämter in Köln (I, II), Bonn, Krefeld, Aachen, Koblenz, Trier, Bad Kreuznach, Mainz (Stadt und Land), Wiesbaden, Landau und Kaiserslautern; Reichsverpflegungsämter in Köln, Bonn, Krefeld, Aachen, Koblenz, Trier, Mainz, Landau; Entfestigungsämter in Köln, Koblenz und Mainz.
Die Stellung des Reichs- und Staatskommissars für die besetzten westlichen Gebiete im Behördenorganismus des Reichs und des Staates sowie die Frage einer zweckmäßigen Umformung der Einrichtung wurden in der Sitzung des Reichskabinetts am 12.3.1920 erörtert. Ein Vertreter des Reichsschatzministeriums bezeichnete es als einen unmögliche[n] Zustand, dass die Angelegenheiten der besetzten Gebiete in Berlin in zahlreichen verschiedenen Ressorts bearbeitet würden. „Ein Kommissar genüge […] nicht, es müsse eine Behörde sein; wenn kein Ministerium, dann mindestens ein selbständiger Unterstaatssekretär.“ Nach eingehender Diskussion billigte das Kabinett den Vorschlag, für die besetzten Gebiete eine Zentralstelle zu schaffen. Ob an ihrer Spitze ein Präsident oder ein Unterstaatssekretär stehen solle, sei noch zu prüfen. Die Zentralstelle solle dem gesamten Reichsministerium und dem Preußischen Staatsministerium unterstehen. Ein Vertreter dieser Zentrale sei ständig im besetzten Gebiet zu stationieren, um mit der Interalliierten Kommission zu verhandeln. Die Frage der Errichtung eines eigenen Ministeriums für die besetzten Gebiete wurde während Auseinandersetzungen der folgenden Jahre auch immer wieder angesprochen, zunächst jedoch, vor allem aus finanziellen Erwägungen, ohne Ergebnis. Im April 1920 beschloss zudem das Preußische Staatsministerium die Errichtung einer Zentralstelle für die besetzten preußischen Gebiete, setzte dann aber diesen Beschluss zugunsten der geplanten Zentralstelle des Reiches aus.
Die Umsetzung dieser Beschlüsse ließ aber über ein Jahr auf sich warten. Erst nach den Sanktionsmaßnahmen vom März 1921 - Besetzung von Düsseldorf, Duisburg und Hamborn (heute Stadt Duisburg) - kam, auch nach energischem Drängen von Vertretern des besetzten Gebiets, wieder Bewegung in die Angelegenheit. In der Kabinettsitzung am 18.3.1921 sprach Reichsminister des Innern Erich Koch-Weser (1875–1944) von der Notwendigkeit, sofort eine Stelle einzurichten, welche sich mit der Vertretung der rheinischen Interessen befassen solle. Er schlug vor, die Stelle jedenfalls mit einem Staatssekretär und einem Ministerialdirektor zu besetzen. Zwar anerkannte das Kabinett, „daß die Schaffung einer Staatssekretärsstelle notwendig sei“, im Übrigen sollte aber „die Bearbeitung der rheinischen Angelegenheiten aus den einzelnen Ministerien nicht herausgerissen“, sondern „in Verbindung mit den in Betracht kommenden Ressortministerien die Angelegenheiten bearbeite[t]“ werden. Der Kabinettsbeschluss lautete: Das Kabinett hat beschlossen, die Stelle eines Staatssekretärs für die rheinischen Angelegenheiten beim Reichsministerium des Innern einzurichten, dem die Vertretung der rheinischen Interessen in allen Fragen, die in der Reichsverwaltung bearbeitet werden, übertragen werden wird. Am 13.4.1921 bevollmächtigte die Reichsregierung den Reichsminister des Innern, den Ministerialdirektor Brandt in Koblenz mit der Wahrnehmung der Amtsgeschäfte eines Staatssekretärs für die besetzten Gebiete zu beauftragen. Es ist nicht ganz klar, ob Ministerialdirektor Alexander von Brandt (1873–1960), Stellvertreter des Reichskommissars für die besetzten Gebiete in Koblenz, tatsächlich damit beauftragt worden ist, denn bereits am 3. Mai wurde der bisherige Regierungspräsident in Köln, Philipp Brugger (1865–1943), zum Staatssekretär ernannt und ihm die im Reichsministerium des Innern neu gebildeten Abteilung IV übertragen, die für Angelegenheiten der besetzten rheinischen Gebiete und das Reichskommissariat für die besetzten rheinischen Gebiete in Koblenz zuständig war. Die Abteilung IV firmierte als Staatssekretariat für die besetzten rheinischen Gebiete. Stellvertreter des Staatssekretärs wurde Ministerialrat Dr. Raban Graf Adelmann von Adelmannsfelden (1877–1935), Geheimer Regierungsrat, schon seit 1919 als Referent für Fragen der besetzten Gebiete im Reichsministerium des Innern tätig. Die Bedeutung dieses Staatssekretariats war in erster Linie eine politische, weil hierdurch das Rheinland eine einheitliche Anlaufstelle für seine Anliegen hatte. Eine Zusammenfassung sämtlicher Fragen der besetzten Gebiete durch das Staatssekretariat erfolgte nicht und wäre auch undurchführbar gewesen.
Die Aufgaben des Staatssekretariats waren laut Geschäftsverteilungsplan des Reichsministeriums des Innern vom 25.1.1922 zunächst auf neun Referate verteilt. Im Laufe des Jahres 1922 bildete sich jedoch eine differenziertere Organisationsstruktur mit Unterabteilungen heraus, so dass sich die Organisation der Abteilung IV mit zwölf Referaten im Geschäftsverteilungsplan vom 15.3.1923 wie folgt darstellte:
Unterabteilung A (unter unmittelbarer Leitung des Staatssekretärs): 1. Allgemeine, politische und wirtschaftliche Angelegenheiten; 2. Reichskommissariat für die besetzten rheinischen Gebiete.
Unterabteilung B (Leiter: Ministerialrat Dr. Raban Graf Adelmann von Adelmannsfelden, Geheimer Regierungsrat): 3. Verhältnisse der deutschen Behörden und der Bevölkerung des besetzen Gebiets zu den Besatzungsbehörden; 4. Kulturelle und Wohlfahrtsangelegenheiten; 5. Militärische Besatzungsangelegenheiten; 6. Landwirtschaftliche Angelegenheiten, Ernährungswesen; 7. Kommunal- und Wohnungsangelegenheiten, Wohltätigkeit; 8. Sozialpolitische Angelegenheiten; 9. Wirtschaftliche und Verkehrsangelegenheiten; 10. Beamtenangelegenheiten; 11. Saargebiet.
[Unterabteilung C (unter Oberleitung des Staatssekretärs)]: 12. Arbeitsgruppe für das Einbruchsgebiet. Diese Arbeitsgruppe war am 5.2.1923 - nach dem Einmarsch der Franzosen und Belgier ins Ruhrgebiet - von Reichsminister Rudolf Oeser (1858–1926) eingesetzt worden, zuständig „innerhalb der allgemeinen Zuständigkeit des Reichsministeriums des Innern“ für: 1. die Sammlung des Nachrichtenmaterials über das Einbruchgebiet; 2. Besatzungslasten, Personen- und Sachschäden; 3. Fürsorgemaßnahmen für Beamte; 4. Fürsorge für ausgewiesene und verdrängte Personen; 5. Beobachtung und Bekämpfung von Ablösungsbestrebungen; 6. Angelegenheiten der inneren Verwaltung des Einbruchsgebietes; 7. Mitwirkung bei wirtschaftlichen, verkehrs- und sozialpolitischen sowie bei kulturellen Fragen.
Am 1.4.1923 kam als Abteilung R mit dem Aufgabengebiet der bis dahin im aufgelösten Reichsschatzministerium als Abteilung IV A ressortierenden Reichsschatzverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete zum Reichsministerium des Innern. Die Abteilung umfasste in etwa folgende Aufgaben: Finanzierung der Besatzungskosten im alt- und neubesetzten Gebiet, Durchführung des Rheinlandabkommens in Fragen der Unterbringung und sonstigen Versorgung der Rheinlandkommission und der Besatzungstruppen, Entschädigungen aus Anlass der Besetzung, Entschädigung der Ausgewiesenen, Unterbringung der interalliierten Kommission. Leiter der Abteilung R wurde der aus dem Reichsschatzministerium übernommene Ministerialdirektor Adolf Miller. Mit der Abteilung R ging auch die Reichsvermögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete in den Geschäftsbereich des Reichsministeriums des Innern über.
2. Die Zentralstelle Rhein-Ruhr
Unmittelbar nach dem Ruhreinmarsch am 11.1.1923 beauftragte der Staatssekretär in der Reichskanzlei, Eduard Hamm (1849–1944), den Ministerialrat Franz Kempner (1879–1945) mit der Wahrnehmung der zentralen Bearbeitung der „Angelegenheiten des vergewaltigten Gebietes“. Die Beauftragung Kempners währte nur kurz, denn bereits am 6. Februar wurde der seit dem 26. Januar ausgewiesene Bürgermeister (I. Beigeordneter) der Stadt Düsseldorf, Carl Christian Schmid (1886–1955), zum Leiter des Ruhrreferats in der Reichskanzlei ernannt; er übernahm die Geschäfte von Kempner am Abend des 13. Februar. Noch im Februar wurde das Referat zur Abteilung IV der Reichskanzlei umgewidmet, ab März 1923 mit der Bezeichnung „Zentralstelle Rhein-Ruhr“, die dem Reichskanzler direkt unterstellt war. Am 2.5.1923 ernannte der Reichspräsident Bürgermeister Schmid zum „Kommissar des Reichskanzlers für die Ruhrabwehr“. Hintergrund der Ernennung durch den Reichspräsidenten war, wie Schmid es kurz vorher ausdrückte, die sachliche Notwendigkeit einer Legalisierung und äußeren Kennzeichnung unserer seither verfassungswidrig ausgeübten Tätigkeit […], ganz abgesehen davon, daß man uns auch persönlich nicht auf die Dauer die Rolle ‚wilder‘ Privatangestellter zumuten kann. Die besondere Stellung Schmids wurde auch darin anerkannt, dass er an Kabinettssitzungen und Ministerbesprechungen, in welchen Rhein-Ruhr-Angelegenheiten besprochen wurden, teilnehmen durfte.
Nach ihrer Geschäftsordnung vom März 1923 hatte „die zur Sicherung einheitlicher und rascher Bearbeitung der aus dem französisch-belgischen Einbruch ins Ruhrgebiet sich ergebenden Aufgaben“ gebildete Zentralstelle dafür zu sorgen, daß für alle Angelegenheiten, die sich in dem Einbruchsgebiet wie im altbesetzten Gebiet als Folgen des Ruhreinbruchs ergeben, die Einheitlichkeit und Raschheit der Bearbeitung und die Zuverlässigkeit des Vollzuges durch ständiges enges Benehmen der beteiligten Ministerien gesichert wird. An der Zuständigkeit der einzelnen Ministerien zur Erledigung der sachlichen Aufgaben wird durch die Einrichtung nichts geändert. Die Abstimmung mit den übrigen Ministerien sollte in regelmäßigen Zusammenkünften der Staatssekretäre erfolgen. Personell war die Zentralstelle mit drei Abteilungsleitern (Ministerialräten) und acht Referenten ausgestattet.
Aufgabe der Zentralstelle war auch die Entgegennahme und Weiterleitung der aus dem Einbruchgebiet kommenden Anträge und Anregungen sowie die Beschleunigung und die Koordination der weiteren Bearbeitung zu gewährleisten. Als ehrenamtliche Vertrauensleute der Zentralstelle vor allem gegenüber der Bevölkerung des besetzten preußischen Gebiets nahmen ab April 1923 der Duisburger Oberbürgermeister Karl Jarres und ab Juni auch der rheinische Oberpräsident Hans Fuchs (1874–1956), beide ebenfalls ausgewiesen, die „ständige Außenvertretung“ der Zentralstelle wahr. War Jarres zunächst für das gesamte besetzte Gebiet zuständig, beschränkte er sich nach dem Hinzutreten von Fuchs, der für die linksrheinische Rheinprovinz zuständig wurde, auf den rechtsrheinischen Teil des Regierungsbezirks Düsseldorf und die besetzten Teile der Provinz Westfalen. Die Belange des Regierungsbezirks Wiesbaden und der besetzten Gebiete des Freistaats Hessen vertrat in gleicher Weise der ebenfalls ausgewiesene Mainzer Oberbürgermeister Karl Külb (1870–1943).
3. Die Errichtung des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete 1923
Seit 1920 war die Frage der Errichtung eines eigenen Reichsministeriums für die besetzten Gebiete immer wieder erörtert worden und wurde im August 1923, im Zuge der Bildung der Regierung von Reichskanzler Gustav Stresemann (1878-1929, Reichskanzler 13.8.-28.11.1923), schließlich realisiert. Seine Errichtung entsprang nicht Erwägungen der Verwaltungsorganisation, sondern erfolgte aus politischen Gründen. Mit dem Abbruch des Ruhrkampfes stand die Notwendigkeit der Stärkung der besetzten Gebiete weiterhin auf der Agenda, so dass ein auf die Errichtung eines solchen Ministeriums zielender Antrag des Zentrums vom Reichstag einstimmig angenommen wurde. So wurde das Reichsministerium für die besetzten Gebiete durch Erlass des Reichspräsidenten vom 24. August mit Wirkung vom 27. August errichtet zur Bearbeitung der besonderen Angelegenheiten der besetzten rheinischen Gebiete und der mit der Besetzung zusammenhängenden Verwaltungserfordernisse Es übernahm die Aufgaben folgender reichsbehördlicher Einrichtungen: Abteilung IV (Staatssekretariat für die besetzten rheinischen Gebiete) des Reichsministeriums des Innern; Abteilung R (Reichsschatzverwaltung der besetzten rheinischen Gebiete) des vormaligen Reichsschatzministeriums, die bei dessen Auflösung dem Staatssekretariat für die besetzten rheinischen Gebiete im Reichsministerium des Innern unterstellt worden war, und den Kommissar des Reichskanzlers für die Ruhrabwehr beziehungsweise die Zentralstelle Rhein-Ruhr. Dem Ministerium unterstellt wurden der Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete, die Reichsvermögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete sowie vorübergehend auch die Reichsentschädigungsstelle für Ausgewiesene an Rhein und Ruhr sowie die Rheinische Volkspflege. Das Ministerium war (im Vergleich mit den übrigen Reichsministerien, die Ressortministerien waren) ein Regionalministerium, das Zuständigkeiten vornehmlich anderer Ressorts für sein Zuständigkeitsgebiet mit verwaltete. Die Einschätzung des zeitgenössischen Staatsrechtlers Fritz Poetzsch-Heffter (1882–1935) im renommierten „Handbuch des Deutschen Staatsrechts“ (1930), das Ministerium für die besetzten Gebiete nehme „eine Zwischenstellung ein“ zwischen Ressort- und Regionalministerium scheint nicht nur aus heutiger Sicht angreifbar zu sein.
4. Leitung und Geschäftsverteilung 1923-1930
Die Initiative des Zentrums zur Errichtung des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete dürfte mutmaßlich auch aus personaltaktischem Kalkül erfolgt sein, wenn man berücksichtigt, dass nahezu alle späteren Leiter des Ministeriums Zentrumsleute waren – schließlich war das besetzte Rheinland eine der Hochburgen des Zentrums. Gleich der erste Stelleninhaber, der weiterhin amtierende, aber ausgewiesene rheinische Oberpräsident Hans Fuchs, musste politisch versorgt werden, da das ihm bei der Regierungsbildung ursprünglich zugedachte Reichsministerium des Innern aus Koalitionsgründen einem SPD-Mitglied (Wilhelm Sollmann) übertragen wurde. So wurde Fuchs bereits am 13. August mit der Wahrnehmung der Geschäfte des 14 Tage später gebildeten Ministeriums beauftragt.
Fuchs war übrigens bis auf weiteres der einzige reguläre Minister dieses Ressort, in der Folgezeit (bis 1929) wurde die Leitung des Ministeriums stets einem anderen Reichsminister, mehrheitlich dem Reichsminister der Justiz, übertragen (siehe Kapitel 6). Dies erfolgte zunächst aus haushaltstechnischen Gründen; so hatte der Reichsrat beschlossen wobei dieser Beschluss später vom Reichstag kassiert wurde, - von den Stellen des Ministers und des Staatssekretärs dürfe jeweils nur eine planmäßig besetzt sein. Später bildete diese Praxis einen Kompromiss zwischen der Möglichkeit der Auflösung des Ministeriums und dem weiteren Wunsch, die besetzten Gebiete angemessen zu repräsentieren. Auffallend ist die Tatsache, dass die beiden letzten Minister 1929-1930 das Ressort planmäßig innehatten. Untypisch war auch zunächst die Regelung der Stellvertretung des Ministers. Im Gegensatz zur üblichen Praxis (später in § 4 Abs. 1 des Allgemeinen Teils der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Reichsministerien [GGO I] normiert) leitete zunächst kein Staatssekretär als ständiger Vertreter des Ministers den Geschäftsbetrieb des Ministeriums, sondern der bisherige Kommissar des Reichskanzlers für die Ruhrabwehr und Leiter der Zentralstelle Rhein-Ruhr, Carl-Christian Schmid (1886-1955), der mit der Amtsbezeichnung Generalkommissar des Reichs für Rhein und Ruhr und Stellvertreter des Reichsministers in das Ministerium gewechselt war. Erst am 1.6.1926 wurde Schmid zum Staatssekretär ernannt.
Das Ministerium war in zwei Abteilungen gegliedert, die Geschäftsverteilung stellte sich 1929 wie folgt dar:
Dem Staatssekretär unmittelbar unterstellt waren Reichsministerialsachen, Personalien des Ministeriums; Haushalts-, Kassen- und Rechnungsangelegenheiten;
Abteilung I: Politische und wirtschaftliche Abteilung (Aufgabenkreis: Politische Angelegenheiten der besetzten Gebiete; Rheinlandabkommen und ergänzende Verträge; Ordonnanzen der Interalliierten Rheinlandkommission; Rechtspflege; kulturelle Fürsorge; Fürsorge für Ausgewiesene und Verdrängte; Angelegenheiten der Landwirtschaft, des Weinbaues, der Industrie, des Handels und Handwerks; Geld-, Bank-, Finanz- und Steuerfragen; sozialpolitische Fragen). Die Abteilung I wurde vom Generalkommissar beziehungsweise Staatssekretär geleitet, dem als Dirigent ein Ministerialrat (mit Titel Ministerialdirektor) beigegeben war.
Abteilung II: Verwaltungsabteilung für die besetzten rheinischen Gebiete (Aufgabenkreis: Besatzungskosten; Finanzierung der Besatzungskosten im alt- und neubesetzten Gebiet. Durchführung des Rheinlandabkommens und des Londoner Abkommens in Fragen der Unterbringung und sonstigen Versorgung der Rheinlandkommission und der Besatzungstruppen; Entschädigungen aus Anlass der Besetzung; Entschädigung der Ausgewiesenen). Leiter der Abteilung war Ministerialdirektor Adolf Miller.
5. Auflösung des Ministeriums 1930
Die Auflösung des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete stand bereits Anfang 1926, nach der Räumung der Kölner Zone, zur Diskussion. Für eine Aufhebung wurde neben der genannten Räumung auch die Entlastung des Ministeriums durch die Wiedererrichtung des Reichskommissariats in Koblenz ins Feld geführt. Die Reichsregierung beschloss aber am 24.2.1926: Das Rheinministerium soll zur Zeit aufrechterhalten bleiben. Als die Räumung der 3. (Mainzer) Zone am 1.7.1930 bevorstand, beschäftigte sich auch die Reichsregierung am 17.6.1930 mit dem weiteren Schicksal des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete, nachdem Reichsrat und Hauptausschuss des Reichstags beschlossen hatten, das Ministerium zum 1. Oktober aufzulösen. Für die Reichsregierung ergab sich eine unbequeme Situation, „als nach dem 1.Oktober die Fortführung des Amtes des Reichsministers für die besetzten Gebiete schwierig geworden sei“. Das Problem lag allerdings weniger in den ohnehin auslaufenden sachlichen Aufgaben des Ministeriums als in der Personalie des Reichsministers für die besetzten Gebiete, Treviranus, dessen Verbleib im Kabinett „aus politischen Gründen“ erwünscht war (er sollte das Reichskommissariat für die Osthilfe übernehmen). Als die definitive Auflösung des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete zum 1. Oktober feststand, beschloss die Reichsregierung am 29.9.1930 „dem Herrn Reichspräsidenten vorzuschlagen, daß Reichsminister Treviranus nach seiner Entbindung vom Amt als Reichsminister für die besetzten Gebiete zum Zwecke der Durchführung der Osthilfe zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich bestellt wird Ferner beschloss das Reichskabinett, die Minister-Planstelle vom Haushalt des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete auf den Etat des Reichsministeriums, des Reichskanzlers und der Reichskanzlei zu übertragen.“ Staatssekretär Schmid und Ministerialdirektor Miller waren bereits durch Kabinettsbeschluss vom 16. September zum 1. Oktober in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden.
Die Auflösung des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete erfolgte durch Verordnung des Reichspräsidenten vom 28.7.1930, Durchführungsfragen regelte ein Erlass des Reichsministers des Innern vom 6.9.1930. Hiernach gingen die verbleibenden Aufgaben des aufgelösten Ministeriums über:
a) auf das Reichsministerium des Innern:
- die Angelegenheiten der früheren Abteilung I des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete, ohne Saargängerfragen,
- die Entschädigungen aus Anlass der Besetzung einschließlich Abwicklung des Sonderverfahrens sowie des Härtefondsverfahrens zur Abgeltung von allgemeinen Geschäftsschäden aus Anlass des Ruhrkampfs und des Transportmehrkostenverfahrens, des Verwaltungshilfsverfahrens und des Verfahrens zur Abgeltung von Separatistenschäden;
b) auf das Reichsfinanzministerium: die Verwaltung der reichseigenen Liegenschaften sowie die sonstigen Aufgaben der Reichsvermögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete und die Abwicklung der diese Verwaltung betreffenden Angelegenheiten, die Verwertung von beweglichem Reichseigentum, die Angelegenheiten der früheren Militärgrundstücke im Saargebiet, die die interalliierten Überwachungsausschüsse und Vermisstenkommission betreffenden Angelegenheiten sowie die Restaufgaben der Unterbringungsstelle für die Angestellten und Arbeiter der Reichsvermögensverwaltung für die besetzten rheinischen Gebiete,
c) auf das Reichsarbeitsministerium: die Saargängerfragen.
6. Die Reichsminister für die besetzten Gebiete
Dr. Hans Fuchs (Zentrum) (13.8.1923 mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt, 27.8.–30.11.1923)
Reichspostminister Dr. Anton Höfle (Zentrum) (beauftragt, 30.11.1923–9.1.1925)
Reichskanzler Wilhelm Marx (Zentrum) (kommissarisch, 10.–15.1.1925)
Reichskanzler Dr. Hans Luther (DVP) (kommissarisch, 15.–19.1.1925)
Reichsminister der Justiz Dr. Joseph Frenken (Zentrum) (beauftragt, 19.1.–21.11.1925)
Reichsarbeitsminister Dr. Heinrich Brauns (Zentrum) (beauftragt, 22.11.1925–20.1.1926)
Reichsminister der Justiz (17.5.1926 Reichskanzler) Wilhelm Marx (Zentrum) (mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt, 20.1.–16.7.1926)
Reichsminister der Justiz Dr. Johannes Bell (Zentrum) (beauftragt, 16.7.1926–29.1.1927)
Reichskanzler Wilhelm Marx (Zentrum) (mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt, 29.1.1927–29.6.1928)
Reichsverkehrsminister Theodor von Guérard (Zentrum) (beauftragt, 29.6.1928–6.2.1929)
Reichsminister des Innern Carl Severing (SPD) (kommissarisch, 7.2.–13.4.1929)
Dr. Joseph Wirth (Zentrum) (13.4.1929–27.3.1930)
Gottfried Reinhold Treviranus (Konservative Volkspartei) (30.3.–30.9.1930)
Quellen
Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik [Online]:
Das Kabinett Scheidemann (1919), bearb. von Hagen Schulze, Boppard 1971. Das Kabinett Fehrenbach (1920/21), bearb. von Peter Wulf, Boppard 1972. Das Kabinett Wirth I/II (1921/22), bearb. von Ingrid Schulze-Bidlingmeier, Boppard 1973. Das Kabinett Cuno (1922/23), bearb. von Karl-Heinz Harbeck, Boppard 1968. Die Kabinette Stresemann I und II, bearb. von Karl Dietrich Erdmann/Martin Vogt, Boppard 1978. Das Kabinett Luther I/II (1925/26), bearb. von Karl-Heinz Minuth, Boppard 1977. Das Kabinett Brüning I (1930/31), bearb. von Tilman Koops, Boppard 1982.
Bundesarchiv: Akten des Reichsministeriums des Innern (v.a. R 1501/1 und R/1501/2) und der Reichskanzlei (R 43 I/1964).
Denkschrift des Reichsschatzministeriums über den notwendigen Ausbau der Reichsvermögensverwaltung für das besetzte rheinische Gebiet [Juli 1920], in: Verhandlungen des Reichstags Band 363, I. Wahlperiode 1920, Anlagen zu den Stenographischen Berichten Nr. 1 bis 452), Anlage Nr. 182, S. 133–139.
Literatur
Bühler, Ottmar, Übersicht über die Behördenorganisation des Reichs, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hg. von Gerhard Anschütz und Richard Thoma, Band 1, Tübingen 1930, S. 586–594.
Handbuch für das Deutsche Reich, hg. vom Reichsministerium des Innern, 41 (1922), Ergänzungsheft 1923, 42 (1924), 43 (1926), 44 (1929).
Lassar, Gerhard, Reichseigene Verwaltung unter der Weimarer Verfassung. Zwei Studien, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 14 (1926), S. 1–231.
Poetzsch-Heffter, Fritz, Organisation und Geschäftsgang der Reichsregierung, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hg. von Gerhard Anschütz und Richard Thoma, Band 1, Tübingen 1930, S. 511–520.
Romeyk, Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816–1945, Düsseldorf 1994.
Romeyk, Horst, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Rheinprovinz 1914–1945, Düsseldorf 1985.
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Lilla, Joachim, Das Reichsministerium für die besetzten Gebiete (1919-1930), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/das-reichsministerium-fuer-die-besetzten-gebiete-1919-1930/DE-2086/lido/57d12a0da73104.85780877 (abgerufen am 06.12.2024)