Das Rosenkränzchen (1909-1911)
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1. Einleitung
Vereine, Bünde, Gemeinschaften, usw. – die Selbstorganisation von Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen in Gemeinschaftsmodellen ist ein struktureller Teil der gesellschaftlichen Aufbrüche des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die „Modernen“ griffen hiermit auf eine Organisationsform zurück, die im 19. Jahrhundert besonders von bürgerlichen Kreisen als Möglichkeit der Selbstdefinition genutzt wurde. Man traf sich in gesellschaftlichen Zirkeln, Männergesangs- und Heimatvereinen, bekundete Gemeinsamkeiten und arbeitete am eigenen gesellschaftlichen Rollenbild. Von diesen noch stark vom Privaten ausgehenden Vereinen distanzierten sich die Aufbruchsbewegungen, indem sie sich zunehmend im Konsens einer Weltanschauung mit Sendungsbewusstsein zusammenfanden. Berlin wurde zum zentralen Ort dieser Aufbruchsbewegung, unter anderem mit der 1882-1884 erschienenen Zeitschrift „Kritische Waffengänge“ der Brüder Heinrich (1855-1906) und Julius (1859-1930) Hart, die 1881 von Westfalen nach Berlin gekommen waren. Ihre integrierende Kraft prägte weitere Zusammenschlüsse wie den 1886 gegründeten Verein „Durch!“ und die 1900 entstehende „Neue Gemeinschaft“.
Doch ,Moderne‘ fand nicht nur in Berlin statt, auch im Rheinland brach man auf und suchte unter anderem einen engen Austausch zur Großstadt. Schriftsteller wie Herbert Eulenberg oder Hanns Heinz Ewers verlegten ihren Wohnsitz zeitweilig in die Hauptstadt und sandten Eindrücke und Aufträge an Freunde, Gleichgesinnte und die Familie zurück. Formate und Impulse der Berliner Modernen wurden nicht nur nach Hause getragen, sondern mit den rheinischen Aufbruchsbewegungen verbunden und weiterentwickelt. Von 1909 bis 1911 trafen sich Schriftsteller, Redakteure, Künstler und Kulturmacher im „Rosenkränzchen“ in der Düsseldorfer Altstadt. Dieser Literaten- und Künstler-Stammtisch ist Teil der Austauschbewegung.
2. Ort
Mit dem Weinlokal „Rosenkränzchen“ hatten sich die Düsseldorfer Schriftsteller und Künstler einen zentral gelegenen, traditionsreichen Ort zum Treffpunkt gewählt. Der Name zeugt von der langjährigen Geschichte des Lokals: Er verweist auf die Rosenkranzbruderschaft, die seit 1812 in der benachbarten Lambertuskirche ihre Andachten abhielt und anschließend im Wirtshaus einkehrte. Richard Klapheck (1883-1939), seit 1918 Professor für Kunstgeschichte an der Düsseldorfer Kunstakademie, erinnert in einem Aufsatz an die Geschichte des Düsseldorfer Weinlokals: „[...] hier kehrte, wie auch in späteren Jahren, die St. Sebastianus-Schützen-Bruderschaft ein, wenn sie in St. Lambertus ihr Patronatsfest begangen hatte; und hier, gleichsam an geweihter Stätte, umgeben von Gotteshäusern, fanden sich auch die frommen Düsseldorfer Heiligenmaler, die sogenannten Nazarener, und falteten gottergeben die Hände, wenn St. Lambertus den Angelus läutete, und von Oberkassel her über den Rhein die untergehende Sonne Kirche und ,Rosenkränzchen‘ in leuchtendes Rot tauchte.“[1] Mit der Gründung des Künstlervereins Malkasten im Revolutionsjahr 1848 erweiterte sich der Besucherkreis des Weinlokals. Das „Rosenkränzchen“ wurde zum Treffpunkt der künstlerischen Szene in Düsseldorf, Richard Klapheck berichtet sogar von „Malkasten-Sezessionen“, die anlässlich von „Wein-Bier-Kunst-Politik oder Weltanschauungs-Meinungsverschiedenheiten“ entstanden. Auch die Mitglieder des Künstlervereins Laetitia trafen sich im „Rosenkränzchen“. Als ständige Gäste des Lokals zu Zeiten des Literaten- und Künstler-Stammtischs nennt Klapheck unter anderem die Künstler Erich Nikutowski (1872-1921) und Andreas Dirks (1866-1922). Um die Geschichte des „Rosenkränzchens“ und seine Besucher rankt sich eine Vielzahl von Legenden. Klapheck hebt besonders die Geschichten um prominente literarische Gäste wie Detlev von Liliencron (1844-1909) oder Gerhart Hauptmann (1862-1946) hervor. Die Wahl der „Rosenkränzer“ (Hanns Heinz Ewers), für die der Köbes von 1909-1911 ein „Hinterstübchen“ (Herbert Eulenberg) reservierte, war nicht zufällig auf das Weinlokal gefallen. In der Verbindung von regionalem Gedächtnis, Aufbruch, Künsten und Bürgertum stellte es einen Transferort dar, an dem neue Entwicklungen aufgenommen und weitergedacht werden konnten.
3. Zeitraum
Von 1909 bis 1911 bestand das Rosenkränzchen. Es scheint sich jedoch vor allem um einen Stammtisch im Winter zu handeln. So spricht Herbert Eulenberg von „zwei Wintern“, in denen man sich traf und auch Hermann Harry Schmitz‘ (1880-1913) von Victor M. Mai (1872-1951) überlieferte Erinnerungen heben die kalte Jahreszeit hervor – „Und ich sehe uns an manchem Winterabend über den heimeligen Stiftsplatz mit seinen alten Häusern einzeln durch den Schnee stapfen [...]“[2] . Ein Grund für diese jahreszeitliche Beschränkung mag einerseits darin liegen, dass nicht alle Mitglieder in Düsseldorf lebten und zum Beispiel Hanns Heinz Ewers um Weihnachten aus Berlin dazu stieß. Man schrieb quasi die traditionelle Ballsaison weiter, indem man den offiziellen Festrahmen variierte, um mit einem neuen, den künstlerischen und intellektuellen Austausch suchenden Format die ruhigen Wintermonate zu überbrücken.
4. Quellen zum Rosenkränzchen
Die Quellen, die das Rosenkränzchen als literarisch-künstlerischen Stammtisch belegen und seine Parameter nachvollziehbar machen, sind gering. So bezeugen die Erinnerungen von Hermann Harry Schmitz, Victor M. Mai, Richard Klapheck und Herbert Eulenberg die Existenz der Runde. Als Mitglieder werden genannt, wenn auch nicht in allen Quellen übereinstimmend: Otto Boyer (1874-1912), Alice Clarenbach geborene Eitel, Max Clarenbach (1880-1952), August Deusser (1870-1926), Herbert Eulenberg, Hedda Eulenberg geborene Maase (1876-1970), Hanns Heinz Ewers, Ilna Ewers-Wunderwald (1875-1957), Kurt Kamlah (1874-1912), Albert Keller, Gustav Krumbiegel (unbekannt-1914), Friedrich Maase (1878-unbekannt), Viktor M. Mai, August Münzer und Hermann Harry Schmitz.
Als einziger direkter Nachweis der Gruppensoziologie und -programmatik liegen nicht etwa Vereinsstatuten oder ein Programm vor, sondern lediglich ein Brief von Hanns Heinz Ewers an seinen Münchner Verleger Georg Müller vom 30.3.1910, in dem dieser den Verleger für eine gemeinsame Publikation der Rosenkränzer zu gewinnen sucht.
5. Zum Format des Rosenkränzchens
Ein fester Zeitpunkt – Samstagabend – und ein fester Ort – in einem Hinterzimmer im Weinlokal Rosenkränzchen – markieren die Eckdaten des Stammtischs. Wie es zur Gründung des Rosenkränzchens kam, wer Wortführer war, wer ständiges Mitglied und wer seltener Gast, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Mehr noch, die Erinnerungen von Eulenberg und Schmitz legen nahe, dass dies keine relevanten Fragestellungen im Kontext des Rosenkränzchens waren. So kann über das Ende des Stammtischs auch nur spekuliert werden: war es die Trennung von Hanns Heinz Ewers von seiner Frau oder deren Affäre mit Gustav Krumbiegel, der Wegzug einiger Mitglieder von Düsseldorf oder die Verschlechterung der Gesundheit von Hermann Harry Schmitz, die zur Auflösung des Rosenkränzchens führten?
Auch eine weitergehende Selbstorganisation in Form von Veranstaltungsprogrammen oder Vereinsstatuten scheint es nicht gegeben zu haben. Im Gegenteil, Hermann Harry Schmitz erinnert sich an „diese seltsamen Abende der Sammlung und der Weltflucht“ und signalisiert, dass der Zweck der Zusammenkünfte vor allem im geselligen Miteinander lag. Angesichts des Fehlens von Programmatik wäre zu fragen, ob es sich beim Rosenkränzchen um einen modernen Zirkel handelte oder nicht vielmehr um einen zufällig zusammengewürfelten Stammtisch. Konkret: War das Rosenkränzchen eine Gemeinschaft im Sinne der Moderne-Aufbrüche des 20. Jahrhunderts oder war es eine zufällige Ansammlung von Individuen mit einem Schwerpunkt auf dem geselligen Austausch und damit Teil einer rückwärtsgewandten, nostalgischen Verabschiedung des vergangenen Jahrhunderts?
Vier Perspektiven lassen sich von den Quellen ausgehend auf diese Frage werfen:
6. Blick zurück ins 19. Jahrhundert
Ein Stichwort für eine rückwärtsgewandte Ausrichtung des Rosenkränzchens liefert der oben angegebene Brief von Hanns Heinz Ewers an Georg Müller: „in Düsseldorf existiert eine gesellschaft: die ,Rosenkränzer‘. [...] die leute wollen nun ein buch gemeinsam herausgeben: ,Im Bewußtsein des Scheidens‘.“[3] Der Abschiedsgestus, der dem geplanten Buchprojekt innewohnt – „Im Bewußtsein des Scheidens“ – wird verstärkt durch den sehnsüchtig-nostalgischen Tenor der Erinnerungen von Hermann Harry Schmitz, Herbert Eulenberg und nicht zuletzt Richard Klapheck. Zugleich bietet der Arbeitstitel des unrealisierten Projekts einen Hinweis auf eine gemeinschaftliche Ausrichtung, die sich unter anderem biographisch interpretieren lässt, denn tatsächlich dezimierte der Tod die ehemaligen Mitglieder wenig später: Otto Boyer starb 1912 in seiner Geburtsstadt Weimar; Hermann Harry Schmitz beging, von seiner lebenslangen Krankheit gebeutelt, 1913 Selbstmord; Gustav Krumbiegel fiel schon im Oktober/November 1914 auf den Schlachtfeldern in Flandern. Insofern befand sich das Rosenkränzchen 1910 „Im Bewußtsein des Scheidens“ von einer Gegenwart, die mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges unwiderbringlich verloren war. Das Weinlokal und die vertraute Gesellschaft darin bot, so Hermann Harry Schmitz, ein „trauliches Retiro letzter Romantik“.
7. Anbindung an die Berliner Moderne und Internationalität
Ein Blick in den Mitgliederkreis und die jeweilige Lebenssituation, aus der heraus die Rosenkränzer 1909-1911 zusammenkamen, legt jedoch andererseits nahe, dass die an dem Stammtisch beteiligten Personen sich reflektiert und ,im Bewusstsein‘ der Möglichkeiten ihrer gemeinsamen Aktivität zusammensetzten. So weisen die Namen Herbert Eulenberg und Hanns Heinz Ewers darauf hin, dass im Rosenkränzchen ein ausgeprägtes Bewusstsein für moderne Bewegungen zwischen Großstadt und Berlin vorhanden war: Herbert Eulenberg, der 1905 mit Louise Dumont und Gustav Lindemann aus Berlin nach Düsseldorf gekommen war, um hier als erster Dramaturg am Schauspielhaus Düsseldorf die Theatermoderne voran zu treiben, nahm gemeinsam mit seiner, intellektuell und künstlerisch gleichgestellten, Ehefrau Hedda Eulenberg teil. Mit den sonntäglichen „Morgenfeiern“ im Schauspielhaus Düsseldorf prägte Eulenberg die kulturelle Landschaft. Seine Frau stand ihm in der künstlerischen Belebung der Region zur Seite. In Berlin hatte Eulenberg vielfältige Erfahrungen in künstlerischen Vereinigungen gesammelt, so war er zum Beispiel Mitglied in der von Otto Erich Hartleben (1864-1905) eingerichteten „Halkyonischen Akademie“ und in dem Verein „Die Kommenden“. Gegründet 1900 durch Ludwig Jakobowski (1868-1900) waren die „Kommenden“ tatsächlich eine der tragenden Säulen des künstlerischen und literarischen Aufbruchs in Berlin, wenn auch dieser Impuls mit dem frühen Tod seines Gründers ein jähes Ende fand. Mit Hanns Heinz Ewers verband Herbert Eulenberg eine langjährige Freundschaft, 1909 hatten beide gemeinsam am „Roman der XII“ gearbeitet, beide bewegten sich schriftstellerisch in der Berliner Theaterlandschaft und standen der Literatur des Fin de siècle näher als den Naturalisten und Neuklassizisten. Beide schließlich waren aus dem Rheinland aufgebrochen, um sich in Berlin mit den notwendigen Impulsen der Moderne zu konfrontieren, hatten sich ein großes Netzwerk an Kollegen, Freunden und Förderern erarbeitet und weiterhin die Nähe zur Heimatstadt gehalten, um das Gewonnene hier weiterzudenken. Auch Hanns Heinz Ewers war vertraut mit den gemeinschaftlichen Aufbruchsbewegungen in Berlin, bevor er sich dem Rosenkränzchen zuwandte: So hatte er schon den literarischen Stammtisch „Das schwarze Ferkel“, das sich von 1892-1894 in Gustav Tückes Weinhandlung und Probierstube traf, besucht. Später war er Mitglied in der „Gemeinschaft der Eigenen“, gegründet 1903 durch den Verleger und Schriftsteller Adolf Brand (1874-1945); gelegentlicher Gast bei den „Kommenden“ und schließlich Mitglied der ebenfalls 1900 von den Brüdern Hart gegründeten „Neuen Gemeinschaft“. Ewers‘ Selbsteinschätzung am Rande der Rosenkränzer – „mehr als outsider: ich“ (Ewers an Georg Müller, 30.3.1910) – erweist sich mit Blick auf seine Korrespondenzen von 1909-1911 und deren Absendeorte als richtig: Meist schrieb er aus Berlin oder von Reisen. Viel Zeit für den Stammtisch in Düsseldorf blieb ihm nicht. Seit 1901 war er mit der Künstlerin Ilna Wunderwald (1875-1957) liiert, doch die Ehe gestaltete sich schwierig, beide Partner machten anderweitige Bekanntschaften, Ilna Ewers-Wunderwald kam zum Beispiel im Rosenkränzchen dem Komponisten Gustav Krumbiegel näher, mit dem sie 1911 für einige Zeit nach Dresden ging. Parallel hierzu reichte Ewers die Scheidung ein, er hatte zwar mit einer Affäre seiner Frau gerechnet, jedoch nicht damit, dass er es mit einem ernsthaften Konkurrenten zu tun habe. Als er erfuhr, dass es sich um Gustav Krumbiegel handelte, reagierte er erschrocken (2). Für den Transfer zwischen Berlin und Düsseldorf spielte die Verbindung der Eheleute jedoch eine wichtige Rolle, Hanns Heinz Ewers verfügte inzwischen in Berlin über ein großes Netzwerk und versorgte Freunde und Kollegen aus dem Rheinland mit Aufträgen. Ilna Ewers-Wunderwald und seine Mutter, die Übersetzerin Maria Ewers (1839-1926), koordinierten die Kooperationspartner im Rheinland.
Auch die weiteren Mitglieder, wenngleich sie heute fast vergessen sind, weisen auf das breite und zukunftsgewandte Spektrum des Rosenkränzchens hin, nicht auf dessen Abschiedsbewusstsein:
Kurt Kamlah, Regierungsrat und Schriftsteller, reflektierte in seinem 1912 erschienenen Roman „Die Erziehung zum Lyriker durch Otto Erich Hartleben“ die Dichotomie Großstadt – Provinz aus biographischer Perspektive: welche Verluste nahm der Schriftsteller in Kauf, der in die Großstadt zog und welche Möglichkeiten blieben dem Literaten, der die Heimat als Wirkstätte vorzog? Im Metatext des Romans steht die Frage nach dem möglichen Ausmaß an Modernität in der Provinz. Auch ihm war die Relevanz von Zusammenschlüssen im Kontext neuer literarischer Bestrebungen bewusst, so war er von 1902/1903 bis zu ihrer Auflösung 1904 Schriftführer in der Düsseldorfer „Freien Litterarischen Vereinigung“, anschließend Vorsitzender der „Litterarischen Gesellschaft“ ebendort. Otto Boyer illustrierte Kurt Kamlahs Publikation „Mumuksha“, ähnlich wie Ewers und Eulenberg stand er der Kunst und Literatur des Fin de siècle nahe, seinen einzigen Roman, der der phantastischen Literatur zugeordnet werden muss, „Fuegos Fatuos. Fragment aus dem Leben eines fantasierenden Müßiggängers“ (1910), widmete er Kurt Kamlah.
Im Rosenkränzchen sammelten sich also durch seine Mitglieder verschiedene Facetten der Vertrautheit und des Engagement in ,modernen‘ Gemeinschaften. So kam die Idee einer gemeinsamen Publikation nicht von ungefähr: eigene Zeitschriften und Publikationen begleiteten auch in Berlin die Zusammenschlüsse. Schließlich weist das Rosenkränzchen in seiner lockeren Organisationsform strukturelle Parallelen zum Berliner „schwarzen Ferkel“ auf, das allerdings schon fast 30 Jahre früher, von 1892-1894 in Berlin existierte. Auch hier hatte man ein Lokal zum Treffpunkt gewählt, dessen identitätsstiftendes Potential Teil des Selbstverständnisses war. Beide Kreise werden als Stammtische bezeichnet und damit räumlich – Kneipe/Lokal – und zeitlich – die Abendstunden – festgelegt. Rausch als Programmpunkt begleitet das Assoziationsfeld des Stammtischs. Man war im „schwarzen Ferkel“ international angebunden, August Strindberg und Edvard Munch kamen zu den Treffen. Sie brachten enge Kontakte zur skandinavischen „Christiania“-Boheme in nach Berlin und wirkten kurz vor der Jahrhundertwende als Generatoren moderner Prozesse. Herbert Eulenberg, der in seiner Erinnerung an das Rosenkränzchen die schillernden Mitglieder kurz umreißt, hebt die Einflüsse hervor, die die Mitglieder einbrachten: von Spanien bis Westfalen, von Frankreich ins Rheinland bis nach Indien.
8. Austausch und ästhetisches Konzept
Wie auch „Das schwarze Ferkel“ bestand das Programm des „Rosenkränzchens“ vor allem im Austausch über die aktuelle Literatur und im Vortrag eigener Werke. Dies fand jedoch nicht mit Hilfe eines ,elektrischen Stuhls‘ statt, wie ihn die Gruppe 47 etablierte, sondern als spielerischer, unterhaltsame Vorstellung in der Gemeinschaft. Vortrag und Austausch dienten eher der Bestätigung als der Kritik und Abgrenzung. Am Werdegang von Hermann Harry Schmitz, der 1911 erst freier Autor wurde, lässt sich dies zeigen. Im „Rosenkränzchen“ fanden sich seine wichtigsten Förderer: Hanns Heinz Ewers und Herbert Eulenberg halfen ihm bei der Suche nach einem Verleger für sein erstes Buch, das ebenfalls 1911 erschien. Viktor M. Mai hatte ihn 1909 für den Düsseldorfer General-Anzeiger entdeckt und über den Künstler Erich Nikutowski kam Schmitz in Kontakt mit den Künstlervereinen Laetitia und dem Malkasten, hier trug er seine ersten Grotesken vor und schrieb Texte für die Aufführungen der Künstlerfeste. Vor allem aber ermutigte die antibürgerliche Existenz Erich Nikutowskis Hermann Harry Schmitz dazu, sich selbst ausserhalb des gesellschaftlich ,Normalen‘ zu verorten. Michael Matzigkeit betitelt ihn als „Dandy vom Rhein“ und greift damit ganz richtig das Singuläre in der Kunst und Realität übergreifenden Lebensweise von H. H. Schmitz im Rheinland auf, denn eine Boheme gab es in Düsseldorf nicht. Zudem verortet er den Schriftsteller damit in einer Ästhetik, die die schnelle Ismenabfolge in Berlin schon hinter sich gelassen hatte. In Düsseldorf war das Konzept Decadence und Fin de siècle 1909 jedoch kaum angetastet, beziehungsweise nicht angekommen. So hatte zum Beispiel Hanns Heinz Ewers die Stadt schon zur Jahrhundertwende verlassen, mit seinem anderen, ästhetizistischen Literatur- und Lebensbegriff konnte man hier wenig anfangen. In Berlin fand er Gleichgesinnte. Hermann Harry Schmitz, der bis auf wenige Reisen Düsseldorf nicht verließ und der seine hermetischen Grotesken hier verortete, wurde mehr Wohlwollen entgegen gebracht. Er war Teil des Düsseldorfer Kulturlebens, zum Beispiel im Schauspielhaus bei Louise Dumont.
Mit Hanns Heinz Ewers, Herbert Eulenberg, Otto Boyer, Hermann Harry Schmitz und Kurt Kamlah kamen nun im Rosenkränzchen vor allem Schriftsteller zusammen, die der Literatur des Fin de siècles nah waren. Auch die dem vor allem literarisch ausgerichteten Rosenkränzchen zuzurechnenden Künstler orientierten sich an ästhetizistischen Konzepten wie zum Beispiel dem Jugendstil (Ilna Ewers-Wunderwald). Insofern lässt sich das Rosenkränzchen auch als Versuch verstehen, die literarische und künstlerische Decadence im Rheinland als Anstoß einer modernen Bewegung zu etablieren. Entsprechend plante man für die erste Publikation einen Titel, der dies zum Ausdruck brachte und meinte damit keinen realen Abschied, sondern ein ästhetisches Konzept: „Im Bewußtsein des Scheidens“.
9. Aufbruch in Düsseldorf
Interessanterweise erwähnt Herbert Eulenberg auch August Deusser (1870-1942) und Max Clarenbach (1880-1952) als gelegentliche Besucher des Rosenkränzchens. Beide waren Gründungsmitglieder des „Sonderbundes Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler“, der zeitgleich zum „Rosenkränzchen“ und in stärker institutionalisierter Form entstand. Der „Sonderbund“ zielte auf die Belebung der Düsseldorfer Kunstszene durch Ausstellungen ab. Nach den ersten erfolgreichen Ausstellungen 1909 bis 1911 verlegte er seinen Ausstellungsort gezwungenermaßen 1912 nach Köln. Diese inzwischen legendäre Ausstellung markiert die Ankunft der künstlerischen Moderne im Rheinland – von Edvard Munch (1863-1944) über Vincent van Gogh (1853-1890) bis hin zu Pablo Picassos (1881-1973) ersten kubistischen Werken war alles vertreten. Die Künstler der Düsseldorfer Akademie hatten ihre Werke selbstbewusst dazwischen gehängt. In der Forschung wird diese Ausstellung von zwei Seiten betrachtet: einerseits als verspätete Moderne, da zum Beispiel Vincent van Gogh 1912 schon über 20 Jahre tot war und somit schon lange nicht mehr die Spitze der Moderne darstellte, andererseits wird die Sonderbundschau von 1912 als Aufbruchsmoment verstanden, nicht zuletzt durch die Herleitung einer künstlerischen und räumlichen Genese der Moderne von Munch bis Picasso, von Paris bis ins Rheinland. Die Moderne und ihre Präsenzformen liegen, das zeigt der „Sonderbund“ ebenso wie das Rosenkränzchen, nicht nur auf einer zeitlichen Skala, sondern auch einer räumlichen.
Der „Sonderbund“ bestand ein Jahr länger als das „Rosenkränzchen“, erst im Anschluss an seinen größten Erfolg in Köln 1912 verlief sich das Engagement. Erinnert wird er vor allem über die Kölner Kunstausstellung, die als Ergebnis des gemeinschaftlichen Engagements dem „Sonderbund“ ein eigenes Profil verlieh. Das „Rosenkränzchen“ verlief sich 1911 ohne dass es einen Beleg seiner Gemeinschaft hinterlassen hätte. Dennoch ist sein Einfluss auf die literarische Moderne im Rheinland nicht unerheblich, entstanden doch in den Jahren seines Bestehens die wichtigsten Werke des Fin de siècle aus Düsseldorf.
Quellen
Schmitz, Hermann Harry, Splitternachlass im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf.
Ewers, Hanns Heinz, Nachlass im Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf.
Eulenberg, Herbert, Ein Blatt der Erinnerung, in: Die deutschen Gaststätten. Bilder aus ihrer Vergangenheit und Gegenwart. Hg. v. Wilhelm Bredehorn, Band 1, Düsseldorf 1925, S. 62-63.
Mai, Victor Matthias, Hermann Harry Schmitz, Düsseldorf o.J. [1925].
Literatur
Cepl-Kaufmann, Gertrude/Kauffeldt, Rolf, Berlin - Friedrichshagen. Literaturhauptstadt um die Jahrhundertwende. Der Friedrichshagener Dichterkreis, München 1994.
Fähnders, Walter, Avantgarde und Moderne 1890-1933, Stuttgart [u.a.], 2., aktualisierte und erweiterte Auflage 2010.
Klapheck, Richard, Das Rosenkränzchen. Erinnerungen an eine verschwundene Bürger- und Künstler-Weinschenke am Stiftsplatz zu Düsseldorf (Ein Fragment), in: Düsseldorfer Heimatblätter 8/Nr. 8 (1939) , S. 171-182.
Krempel, Ulrich, Am Anfang: Das Junge Rheinland. Zur Kunst- und Zeitgeschichte einer Region 1918-1945, Düsseldorf 1985.
Matzigkeit, Michael, Hermann Harry Schmitz. Der Dandy vom Rhein. In Zusammenarbeit mit Sabine Brenner-Wilczek, Düsseldorf 2005.
Wüfling, Wulf/Bruns, Karin/Parr, Rolf (Hg.), Handbuch literarisch-kultureller Vereine, Gruppen und Bünde 1825-1933, Metzler 1998.
- 1: Hanns Heinz Ewers an Georg Müller, Berlin-Charlottenburg, 30.3.1910, Bayerische Staatsbibliothek, Handschriften-Abteilung, München. Signatur: Ana 381, II. Zitiert nach: Matzigkeit, Hermann Harry Schmitz, S. 82-83.
- 2: vgl. Hanns Heinz Ewers an Ilna Ewers-Wunderwald, Berlin-Charlottenburg, 17.12.1911, Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Nachlass Ewers.
- 3: Hanns Heinz Ewers an Georg Müller, Berlin-Charlottenburg, 30.3.1910, Bayerische Staatsbibliothek, Handschriften-Abteilung, München. Signatur: Ana 381, II. Zitiert nach: Matzigkeit, Michael, Hermann Harry Schmitz. Der Dandy vom Rhein. In Zusammenarbeit mit Sabine Brenner-Wilczek. Düsseldorf 2005, S. 82f.
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Grande, Jasmin, Das Rosenkränzchen (1909-1911), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/das-rosenkraenzchen-1909-1911/DE-2086/lido/57d12a3041bc94.96504538 (abgerufen am 15.10.2024)