Das „schönste Weihnachtsgeschenk, was uns von unserer Führung aus gemacht werden konnte“? Die deutsche Ardennenoffensive im Dezember 1944

John Zimmermann (Potsdam)

Panzersoldaten der ersten US-Armee versammeln sich auf dem schneebedeckten Boden in der Nähe von Eupen und öffnen ihre Weihnachtspakete, 30.12.1944. (U.S. Army Center of Military History)

1. Einleitung

Am 15.12.1944 schien für Tei­le der west­al­li­ier­ten mi­li­tä­ri­schen Füh­rung die La­ge an der deut­schen West­front der­art ru­hig,[1] dass der Ober­be­fehls­ha­ber der 21. Ar­mee­grup­pe, der bri­ti­sche Feld­mar­schall Ber­nard L. Mont­go­me­ry (1887-1976), bei sei­nem Ober­be­fehls­ha­ber um Weih­nachts­ur­laub in der Hei­mat an­frag­te.[2] Doch in den frü­hen Mor­gen­stun­den des fol­gen­den Ta­ges tra­ten drei deut­sche Ar­me­en un­ter­stützt von un­ge­fähr 1.600 Ar­til­le­rie­ge­schüt­zen mit Schwer­punkt in den Ar­den­nen auf ei­ner Brei­te von cir­ca 170 Ki­lo­me­tern zwi­schen Mons­chau und Ech­ter­nach zur Of­fen­si­ve an. Die Ei­fel fun­gier­te auf die­se Wei­se so­wohl als Auf­marsch­ge­biet als auch als Hin­ter­land der Kämp­fe. 13 Volks­gre­na­dier- und fünf Pan­zer­di­vi­sio­nen, na­he­zu 200.000 Mann mit rund 600 Pan­zern, grif­fen un­ter dem Kom­man­do Ge­ne­ral­feld­mar­schalls Wal­ter Mo­del (1891-1945) US-ame­ri­ka­ni­sche und bri­ti­sche Trup­pen an. Wei­te­re Ver­stär­kun­gen und über 2.400 Flug­zeu­ge stan­den be­reit.

Ihr Auf­trag war es, den Ha­fen von Ant­wer­pen zu er­obern und da­mit den west­al­li­ier­ten Nach­schub ent­schei­dend zu stö­ren, ei­nen Keil zwi­schen die geg­ne­ri­sche 12. und 21. Ar­mee­grup­pe zu trei­ben und bis zu 30 ih­rer Di­vi­sio­nen zu ver­nich­ten. Weil die­se At­ta­cke tat­säch­lich völ­lig über­ra­schend kam, er­reich­te sie auf ei­ner Brei­te von 60 Ki­lo­me­tern Ein­brü­che von bis zu 100 Ki­lo­me­ter Tie­fe in das ei­gent­lich schon be­frei­te Ge­biet. Den­noch brach die Of­fen­si­ve kaum acht Ta­ge spä­ter vor dem bel­gi­schen Di­nant zu­sam­men, noch be­vor auch nur das Zwi­schen­ziel, näm­lich Brü­cken­köp­fe über die Maas zu bil­den, er­reicht wor­den war. Knapp sechs Wo­chen nach dem Be­ginn der Of­fen­si­ve stan­den die deut­schen Ver­bän­de dann wie­der dort, wo sie an je­nem 16. De­zem­ber ge­star­tet wa­ren. Bei­der­seits der Fron­ten hat­ten dies rund 150.000 Mann mit ih­rem Le­ben, mit Ver­wun­dung oder Ge­fan­gen­nah­me be­zahlt.[3] Mit al­lein et­wa 20.000 To­ten gilt die „Batt­le of the Bul­ge“, wie die Schlacht im eng­lisch­spra­chi­gen Raum be­zeich­net wird, als die ver­lust­reichs­te der US-Ar­mee wäh­rend des ge­sam­ten Zwei­ten Welt­krie­ges. Für die deut­schen Streit­kräf­te be­deu­te­te die Nie­der­la­ge in­des den end­gül­ti­gen Über­gang zur Reichs­ver­tei­di­gung.[4] 

Die Ardennenoffensive vom 16. bis 24.12.1944. (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr)

 

Den­noch zei­tig­te der Über­gang zum An­griff im Wes­ten bei den ein­fa­chen deut­schen Sol­da­ten ei­nen er­heb­li­chen Mo­ti­va­ti­ons­schub. In Brie­fen an die Hei­mat fin­det sich mas­sen­haft das Emp­fin­den, nun sei die Stun­de der Wen­de ge­kom­men. Noch am 30.12.1944 schrieb ein Ge­frei­ter nach Hau­se, die Of­fen­si­ve sei das schöns­te Weih­nachts­ge­schenk, was uns von un­se­rer Füh­rung aus ge­macht wer­den konn­te.[5] Die Tat­sa­che, dass es ge­lun­gen war, wie­der zum An­griff über­zu­ge­hen, wur­de bis in den Ja­nu­ar 1945 hin­ein als Hin­weis dar­auf ge­wer­tet, dass es mit uns auf­wärts geht[6], dass wir, das deut­sche Volk, das Al­ler­schlimms­te in die­sem ge­wal­ti­gen oft recht un­mensch­li­che [sic!] grau­sam an­mu­ten­den Völ­ker­rin­gen über­stan­den ha­ben dürf­ten[7]. Die we­ni­gen Stim­men, die am Er­folg zwei­fel­ten, mach­ten da­für we­der die po­li­ti­sche noch die mi­li­tä­ri­sche Füh­rung ver­ant­wort­lich, son­dern die all­ge­mei­ne Über­le­gen­heit des Geg­ners. Im Ge­gen­teil be­grün­de­te die Re­de Adolf Hit­lers (1889-1945) an Sil­ves­ter 1944 Be­wun­de­rung, Ver­trau­en und Zu­ver­sicht.[8] 

Um­so grö­ßer war dann je­doch die Er­nüch­te­rung bei der Trup­pe, als sie schon zu Be­ginn des Jah­res 1945 so rasch und zu­neh­mend wie­der in die Ver­tei­di­gung ge­drängt wor­den war. O Lu­cie!, schrieb ein an­de­rer Ge­frei­ter am 22.1.1945, ich ha­be im­mer an den Sieg ge­glaubt, aber nun ist wohl al­les vor­bei! Mö­ge das Schick­sal un­se­rem ar­men Deutsch­land gnä­dig sein. Manch ei­ner dach­te gar an wei­ter­ge­hen­de Kon­se­quen­zen: Ich ha­be den Ka­nal so voll! Man will wohl so da­von­lau­fen!, mel­de­te ein Stabs­ge­frei­ter brief­lich nach Hau­se.[9] 

Für die deut­sche Ge­ne­ra­li­tät soll die Nie­der­la­ge in­des kei­ne Über­ra­schung ge­we­sen sein. Wie die flei­ßig Me­moi­ren Schrei­ben­den dort mit­teil­ten, woll­ten sie längst er­kannt ha­ben, dass die­ser Krieg ver­lo­ren sei. Bis auf ei­ni­ge Un­ver­bes­ser­li­che, die noch in den letz­ten Mo­na­ten des Krie­ges an ei­nen sieg­rei­chen Aus­gang glaub­ten, will die Mehr­heit ir­gend­wann zwi­schen dem Stopp vor Mos­kau 1941 und der west­al­li­ier­ten Lan­dung in der Nor­man­die 1944 von ei­nem Schei­tern über­zeugt ge­we­sen sein.[10] Den­noch führ­ten sie den Krieg im­mer wei­ter fort und exe­ku­tier­ten die Be­feh­le ih­res „Füh­rer­s“. In der Me­moi­ren- und Po­pu­lär­li­te­ra­tur dien­te ei­ne so emp­fun­de­ne sol­da­ti­sche Pflicht­er­fül­lung ei­ner- und die omi­nö­se All­mäch­tig- und All­ge­gen­wär­tig­keit Hit­lers an­de­rer­seits als Be­grün­dung für die­ses Ver­hal­ten.

Im Fol­gen­den wird da­her un­ter­sucht, in­wie­weit die be­tei­lig­ten Mi­li­tärs tat­säch­lich pro­fes­sio­nell agier­ten und wie ih­re Ver­ant­wort­lich­keit für das Ge­sche­he­ne am Bei­spiel der Ar­den­nen­of­fen­si­ve zu be­wer­ten ist. Da­zu muss die Gro­ßope­ra­ti­on in ei­nem ers­ten Schritt in den Kriegs­ver­lauf ein­ge­ord­net wer­den, ehe in ei­nem wei­te­ren der Ent­schluss zu ihr so­wie die Durch­füh­rung ana­ly­siert wer­den kön­nen.

2. Einordnung in den Kriegsverlauf

Al­ler­spä­tes­tens mit dem Zu­sam­men­bruch der Hee­res­grup­pe Mit­te im Os­ten und der ge­lun­ge­nen Lan­dung der West­al­li­ier­ten in der Nor­man­die war im Som­mer 1944 die Ent­schei­dung des Zwei­ten Welt­krie­ges in Eu­ro­pa ge­fal­len. In Frank­reich mach­ten der Durch­bruch bei Avran­ches En­de Ju­li und die Ein­kes­se­lung deut­scher Ver­bän­de bei Fa­lai­se der Wehr­macht im Au­gust 1944 den Gar­aus. Die zwei­te Lan­dung in Süd­frank­reich am 15. Au­gust si­cher­te die An­griffs­front zu­sätz­lich ab und er­mög­lich­te au­ßer­dem den fran­zö­si­schen Trup­pen un­ter Ge­ne­ral Charles de Gaul­le (1890-1970), die in der Nor­man­die nicht be­tei­ligt ge­we­sen wa­ren, den tri­um­pha­len Ein­zug in Pa­ris am 25.8.1944.[11] 

Die ent­kom­me­nen Wehr­macht­tei­le wi­chen der­weil in na­he­zu halt­lo­ser Flucht auf die Reichs­gren­ze aus; le­dig­lich auf dem Vo­ge­sen­kamm stan­den sie noch auf fran­zö­si­schem Ge­biet, nach­dem im Ok­to­ber mit Aa­chen die ers­te deut­sche Groß­stadt von den West­al­li­ier­ten er­obert wor­den war. Bis da­hin hat­ten die deut­schen West­ar­me­en von ih­ren ehe­mals rund 1,3 Mil­lio­nen Mann durch Tod, Ver­wun­dung oder Ge­fan­gen­nah­me be­reits na­he­zu 800.000 ein­ge­bü­ßt und bei­na­he das ge­sam­te Gro­ß­ge­rät ver­lo­ren.[12]

Nicht et­wa die deut­sche Ge­gen­wehr, son­dern die zu­neh­men­den Nach­schub­schwie­rig­kei­ten auf­grund der stei­gen­den Ent­fer­nung von den nor­man­ni­schen Ba­sen, ver­lang­sam­ten den west­al­li­ier­ten Vor­marsch, und er­mög­lich­ten der Wehr­macht, an der Reichs­gren­ze ei­ne Ver­tei­di­gungs­li­nie ein­zu­rich­ten. Die dor­ti­gen Ver­bän­de wa­ren al­ler­dings aus al­len Waf­fen­gat­tun­gen zu­sam­men­ge­wür­felt und mehr als dürf­tig aus­ge­rüs­tet. Selbst ein im Selbst­ver­ständ­nis als Eli­te-Gro­ß­ver­band gel­ten­des I. SS-Pan­zer­korps ver­füg­te zu die­sem Zeit­punkt nur noch über ei­nen ein­zi­gen ein­satz­fä­hi­gen Pan­zer und vie­len er­ging es wie dem LXXIV. Korps, das gänz­lich oh­ne Ar­til­le­rie un­ter­wegs war.[13] 

Zwar hat­te es die Wehr­macht­füh­rung ver­mocht, die gro­ße Mas­se der Stä­be al­ler Ebe­nen so­wie die meis­ten Füh­rer und Un­ter­füh­rer aus Frank­reich her­aus­zu­brin­gen, doch die Ver­lus­te wa­ren enorm. Ver­bän­de wie die 347. In­fan­te­rie-Di­vi­si­on wa­ren im Sep­tem­ber 1944, als sie die „Sieg­fried-Li­nie“ er­reich­ten, be­reits auf ei­ne Hand­voll Män­ner zu­sam­men­ge­schmol­zen. Sie wur­de in der Fol­ge um Aus­bil­dungs­ein­hei­ten, Fes­tungs-Ba­tail­lo­ne und ein Ba­tail­lon Ma­gen­kran­ker er­gänzt.

An­de­ren er­ging es kaum bes­ser: Die 89. In­fan­te­rie-Di­vi­si­on, erst im Fe­bru­ar 1944 über­haupt auf­ge­stellt, zu­nächst in Nor­we­gen und dann an der fran­zö­si­schen In­va­si­ons­front ein­ge­setzt, zähl­te im West­wall ge­ra­de noch 35 Mann. Sie wur­de mit 1.500 Mann ei­ner Aus­bil­dungs­ein­heit, ei­nem Lan­des­schüt­zen-Ba­tail­lon, drei Luft­waf­fen-Fes­tungs-Ba­tail­lo­nen, ei­nem Ba­tail­lon Frei­wil­li­ger aus der So­wjet­uni­on und ei­ner Pan­zer­ab­wehr-Kom­pa­nie auf­ge­füllt. Die 275. Di­vi­si­on hat­te in den Kämp­fen in Frank­reich von ih­ren zu­vor cir­ca 5.000 Mann 4.200 ver­lo­ren. Sie konn­te zwar durch Zu­wei­sung von Res­ten an­de­rer zer­schla­ge­ner Ver­bän­de wie­der ih­re al­te Kopf­stär­ke er­rei­chen, setz­te sich dann je­doch aus Sol­da­ten aus vor­mals 37 ver­schie­de­nen Ein­hei­ten zu­sam­men, de­ren Be­waff­nung ne­ben In­fan­te­rie­waf­fen le­dig­lich aus 13 leich­ten, ei­nem schwe­ren und sechs Flug­ab­wehr-Ge­schüt­zen be­stand. Selbst die als Eli­te-Di­vi­si­on gel­ten­de 116. Pan­zer-Di­vi­si­on zähl­te nach dem Rück­zug aus Frank­reich nur noch 40 Pan­zer und 900 In­fan­te­ris­ten, muss­te im Ver­gleich mit den an­de­ren aber den­noch als kampf­kräf­tig an­ge­se­hen wer­den. Dies al­les war dem Ge­gen­über durch­aus be­wusst: Nach Ein­schät­zung des west­al­li­ier­ten Haupt­quar­tiers (Su­pre­me Head­quar­ters Al­lied Ex­pe­di­tio­na­ry Force/SHAEF) ver­füg­te der deut­sche Ober­be­fehls­ha­ber (OB) West über Trup­pen­res­te im Äqui­va­lent von un­ge­fähr 17 In­fan­te­rie- und sie­ben Pan­zer- oder Pan­zer­gre­na­dier-Di­vi­sio­nen mit et­wa 500 Pan­zern; zu Ver­stär­kun­gen re­le­van­ter Art sah man den OB West nicht in der La­ge, bes­ten­falls wä­re mit rasch auf­ge­stell­ten For­ma­tio­nen zu rech­nen oder mit von an­de­ren Fron­ten ab­ge­zo­ge­nen Kräf­ten.[14] 

Ge­gen die­sen Geg­ner sah man es als mög­lich an, im Ok­to­ber den Rhein zu er­rei­chen und nörd­lich der Ruhr zu über­que­ren. Denn als stra­te­gi­sches Ziel mach­ten die west­al­li­ier­ten Stä­be das Ruhr­ge­biet aus: Des­sen zen­tra­le Be­deu­tung für die deut­sche Krieg­füh­rungs­fä­hig­keit wür­de die deut­sche Füh­rung zwin­gen, ih­re über­schau­ba­ren Trup­pen dort zu kon­zen­trie­ren, wo sie dann in ei­ner Art Ent­schei­dungs­schlacht ge­schla­gen wer­den könn­ten. Da­zu soll­te die 21. Ar­mee­grup­pe un­ter Mont­go­me­ry, ver­stärkt um die 1. US-Ar­mee En­de Ok­to­ber 1944 an­tre­ten, wäh­rend ei­ne wei­te­re US-Ar­mee bis En­de No­vem­ber durch das Saar­ge­biet auf Mainz vor­sto­ßen soll­te, um sich von dort aus im frü­hen De­zem­ber an der Ope­ra­ti­on ge­gen das Ruhr­ge­biet zu be­tei­li­gen.[15] 

An die­ser Pla­nung wur­de grund­sätz­lich auch fest­ge­hal­ten, nach­dem die Un­ter­neh­men Mar­ket und Gar­den, al­so der Ver­such, mit die­ser ge­kop­pel­ten Luft­lan­de- und Bo­den­of­fen­si­ve rasch über Eind­ho­ven nach Nim­we­gen und Arn­heim zum Rhein zu ge­lan­gen, im Sep­tem­ber 1944 ge­schei­tert wa­ren.[16] Erst als Mit­te No­vem­ber 1944 im Hürt­gen­wald Di­vi­sio­nen der 1. US-Ar­mee in schwe­re Kämp­fe mit ho­hen Ver­lus­ten ver­wi­ckelt wur­den und die ge­gen die Schel­de ge­führ­te Of­fen­si­ve eben­falls nicht plan­mä­ßig vor­an­kam, setz­te sich bei SHAEF die vor­sich­ti­ge, Ver­lus­te mi­ni­mie­ren­de Vor­ge­hens­wei­se des Ober­be­fehls­ha­bers, des US-Ge­ne­rals Dwight D. Ei­senhow­er (1890-1969), durch.[17] 

Nun viel­mehr bis zum Früh­jahr 1945 soll­ten die ver­bün­de­ten Trup­pen die deut­schen Ver­bän­de auf brei­ter Front an den Rhein zu­rück­drän­gen. In ei­nem ers­ten Zug ab Mit­te März soll­ten da­bei al­le geg­ne­ri­schen Kräf­te west­lich des Rheins zer­schla­gen (Un­ter­neh­men Var­si­ty) und in ei­nem zwei­ten zu­sam­men mit Ver­stär­kun­gen und ve­ri­ta­blen Luft­lan­de-Ver­bän­den der Über­gang be­werk­stel­ligt wer­den (Un­ter­neh­men Plun­der). Von die­sem Brü­cken­kopf aus soll­ten dann Ope­ra­tio­nen zur Iso­lie­rung des Ruhr­ge­bie­tes und zu ei­nem tie­fen Stoß ins Reichs­ge­biet vor­an­ge­trie­ben wer­den. Hier­für wur­den drei Ar­me­en mit ins­ge­samt 31 Di­vi­sio­nen vor­ge­se­hen.[18] 

Der deut­schen Auf­klä­rung blie­ben die da­zu not­wen­di­gen Trup­pen­ver­schie­bun­gen nicht ver­bor­gen. Den Schwach­punkt der geg­ne­ri­schen Front­li­nie mach­te sie in den Ar­den­nen aus, folg­lich wur­de dort der Schwer­punkt des ei­ge­nen An­griffs an­ge­setzt. Weil um­ge­kehrt die Nach­rich­ten­diens­te ein ent­spre­chen­des La­ge­bild auch we­gen der de­zi­dier­ten Ge­heim­hal­tungs­maß­nah­men der deut­schen Sei­te nicht zu er­stel­len ver­moch­ten, ge­lang die Über­ra­schung um­fas­send.

Junge deutsche Soldaten in leicht getarntem Schützenpanzer, Ende Dezember 1944. (Bundesarchiv, Bild 183-J28519)

 

3. Entschluss und Planung

Die Idee da­zu ging auf Hit­ler selbst zu­rück, der be­reits seit Au­gust 1944 im klei­ne­ren Füh­rungs­kreis dar­über sin­nier­te.[19] Wie sei­ne da­ma­li­gen Vor­ge­setz­ten Paul von Hin­den­burg (1847-1934) und Erich Lu­den­dorff (1865-1937) an­no 1918 woll­te der Ge­frei­te des Ers­ten auch im Zwei­ten Welt­krieg of­fen­bar die Ent­schei­dung durch ei­nen al­les ris­kie­ren­den gro­ßen Schlag im Wes­ten er­zwin­gen; an­ders als je­ne war er aber auch nach des­sen Schei­tern nicht be­reit, den Kampf ein­zu­stel­len.[20] Die ers­ten Ent­wür­fe für ei­ne ent­spre­chen­de Of­fen­si­ve leg­te das Ober­kom­man­do der Wehr­macht (OKW) be­zie­hungs­wei­se der Wehr­macht­füh­rungs­stab (WFSt) An­fang Ok­to­ber 1944 vor, ka­pri­zier­te sich schlie­ß­lich auf die Ar­den­nen­va­ri­an­te und be­auf­trag­te den OB West, Ge­ne­ral­feld­mar­schall Gerd von Rund­stedt (1875-1953), mit den Vor­be­rei­tun­gen da­zu. Am 22.10. weih­te Hit­ler die­sen per­sön­lich zu­sam­men mit dem Ober­be­fehls­ha­ber der für die Ope­ra­ti­on vor­ge­se­he­nen Hee­res­grup­pe B in sei­ne Ab­sich­ten ein.

Der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Vor­zei­ge-Ge­ne­ral­feld­mar­schall Wal­ter Mo­del zeig­te sich der­art be­geis­tert, dass er gleich noch vor­schlug, die west­al­li­ier­ten Di­vi­sio­nen nicht nur zu durch­bre­chen, son­dern auch gleich ein­zu­kes­seln und zu ver­nich­ten, be­vor man wei­ter vor­stie­ße.[21] Rund­stedt, der in ei­ner spä­te­ren Ver­neh­mung in bri­ti­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft aus­sag­te, er sei bes­ten­falls Herr über die Wa­chen vor sei­nem Ge­fechts­stand ge­we­sen und ha­be an­sons­ten un­ter dem Dik­tat des „Füh­rer­s“ ge­stan­den[22] , stimm­te dem Vor­schlag des WFSt nicht nur zu, er for­der­te zu­dem ei­ne zu­sätz­li­che Ope­ra­ti­on aus dem Raum Aa­chen her­aus. Hit­ler lehn­te bei­des ab, doch Rund­stedt und Mo­del wa­ren auch mit die­ser Ent­schei­dung voll ein­ver­stan­den.[23] 

Auch aus dem Tref­fen im Ge­fechts­stand „Ad­ler­hor­st“ bei Bad Nau­heim, in den Hit­ler am 10.12.1944 aus dem Füh­rer­bun­ker in Ber­lin um­ge­zo­gen war, und wo er sei­nen an der Of­fen­si­ve be­tei­lig­ten Ge­ne­rä­len vom Di­vi­si­ons­kom­man­deur auf­wärts das Vor­ha­ben per­sön­lich er­klär­te, sind Rück­fra­gen, gar Ein­sprü­che nicht be­kannt - wohl aber, dass vie­le der An­we­sen­den durch die An­spra­che des „Füh­rer­s“ hoch mo­ti­viert wur­den, ob­wohl doch ge­ra­de sie sehr ge­nau über den wah­ren Zu­stand und Kampf­wert ih­rer Trup­pen Be­scheid wuss­ten.[24] 

Denn die Ver­bän­de, die sich durch Frank­reich hin­durch zu gro­ßen Tei­len noch un­ter stän­di­gen west­al­li­ier­ten Luft­an­grif­fen bis auf das Reichs­ge­biet zu­rück­zo­gen, man­che zu­rück­kämpf­ten, er­lit­ten nicht nur hef­ti­ge Ver­lus­te. Es kam da­bei an­ge­sichts der in al­ler Re­gel man­gel­haf­ten Aus­bil­dung der Sol­da­ten auch im Gro­ß­kampf be­son­ders im Ge­gen­an­griff zu Hilf­lo­sig­keit und oft­mals zu ge­drück­ter Stim­mung, wie bei­spiels­wei­se der Kom­man­deur der 246. Volks­gre­na­dier-Di­vi­si­on (VGD) sei­nem vor­ge­setz­ten Korps­kom­man­do am 1. De­zem­ber mel­de­te.[25] Dies scheint sich als der­art all­ge­mei­nes Phä­no­men er­wie­sen zu ha­ben, dass sich das Ober­kom­man­do des Hee­res (OKH) zu Wort mel­de­te und An­fang No­vem­ber 1944 fest­leg­te, wie das Heft des Han­delns wie­der in die ei­ge­ne Hand zu be­kom­men sei: Man müs­se sich auf un­se­re Kraft be­sin­nen und je­de Hand­lung mit ei­ser­nem Kampf­wil­len durch­set­zen [Her­vor­he­bung im Ori­gi­nal; J.Z.]. [D]en schlech­ten Aus­bil­dungs­zu­stand un­se­rer Trup­pen und vor al­lem die ab­so­lu­te Über­le­gen­heit des Geg­ners in je­der Hin­sicht er­kann­te man zwar an, for­der­te aber nichts­des­to­trotz den An­griff: Da­zu müs­se die Kampf­mo­ral [...] durch dau­ern­de Be­leh­rung und Un­ter­rich­tung ge­ho­ben wer­den, vor al­lem aber sei­en schwa­che Füh­rer [...] rück­sichts­los aus­zu­schal­ten.[26] 

Wenn­gleich dies in der Me­moi­ren­li­te­ra­tur be­stän­dig in Ab­re­de ge­stellt oder so­gar ins Ge­gen­teil ver­kehrt wird[27], war die mi­li­tä­ri­sche Füh­rung da­mit nicht nur prä­zi­se auf der Li­nie ih­res „Füh­rer­s“, son­dern ihm gar vor­aus: Hit­ler selbst for­der­te erst am 28.11.1944 von al­len deut­schen Vor­ge­setz­ten, dass in die­sem Krieg über Sein oder Nicht­sein des deut­schen Vol­kes nur der­je­ni­ge deut­sche Trup­pen füh­ren dür­fe, der Tat­kraft und Ent­schluss­freu­dig­keit, Cha­rak­ter­fes­tig­keit und Glau­bens­stär­ke und har­te, un­be­ding­te Ein­satz­be­reit­schaft be­sä­ße. Und eben­so un­zwei­deu­tig mar­kier­te er das Ge­for­der­te: [R]ück­sichts­lo­ser Ein­satz je­des ein­zel­nen, to­des­mu­ti­ge Ein­satz­be­reit­schaft der Trup­pen, stand­haf­tes Aus­har­ren al­ler Dienst­gra­de und un­beug­sa­me über­le­ge­ne Füh­rung.[28] 

Sol­che skru­pel­lo­se Rück­sichts­lo­sig­keit be­zog sich aber nicht al­lein auf die Sol­da­ten, son­dern be­reits seit Mit­te Sep­tem­ber 1944 auch auf die ge­sam­te deut­sche Ge­sell­schaft.[29] Nach dem Über­schrei­ten der Reichs­gren­zen durch die west­al­li­ier­ten Trup­pen hat­te Hit­ler dem OB West be­foh­len, dass die­se Tat­sa­che un­se­re Kampf­füh­rung fa­na­ti­sie­ren und un­ter Ein­satz je­des wehr­fä­hi­gen Man­nes in der Kampf­zo­ne zur äu­ßers­ten Här­te stei­gern [muß]. Ein­ge­setzt wer­den soll­te nun al­les, Rück­sich­ten auf nichts mehr ge­nom­men wer­den: Je­der Bun­ker, je­der Häu­ser­block in ei­ner deut­schen Stadt, je­des deut­sche Dorf, so der „Füh­rer“ wei­ter, muß zu ei­ner Fes­tung wer­den, an der sich der Feind ent­we­der ver­blu­tet oder die ih­re Be­sat­zung im Kampf Mann ge­gen Mann un­ter sich be­gräbt.

Da­mit ord­ne­te Hit­ler nichts an­de­res als ei­nen all­ge­mei­nen Volks­krieg an; von nun an ge­be es kein gro­ßzü­gi­ges Ope­rie­ren mehr, son­dern nur Hal­ten der Stel­lung oder Ver­nich­tung. Über­all soll­te die­ser Fa­na­tis­mus [...] ge­weckt, stän­dig ge­stei­gert und als Waf­fe ge­gen die Ein­dring­lin­ge auf deut­schem Bo­den zur Aus­wir­kung kom­men. Hier­für ver­ant­wort­lich sein soll­ten die Füh­rer al­ler Gra­de, und wer sei­ne Auf­ga­be nicht un­ter vol­lem Ein­satz sei­nes Le­bens löst, der sei zu be­sei­ti­gen und zur Ver­ant­wor­tung zu zie­hen [sic!]. Gleich­falls ha­be der OB West so­fort si­cher­zu­stel­len, daß durch um­fas­sen­des Ein­grei­fen mit dra­ko­ni­schen Mit­teln die Stand­haf­tig­keit der Trup­pe wie­der­her­ge­stellt und er­hal­ten wird.

So bru­tal die­ser Be­fehl auch war, so lo­gisch war er aus der Sicht des Dik­ta­tors; denn er bil­de­te die ein­zi­ge Mög­lich­keit, den Krieg im Wes­ten noch wei­ter zu füh­ren. Zu je­der an­de­ren Krieg­füh­rung fehl­ten zu­neh­mend die er­for­der­li­chen in­fra­struk­tu­rel­len und rüs­tungs­tech­ni­schen Grund­la­gen. Dass Hit­ler nie­mals ka­pi­tu­lie­ren wür­de, dar­an hat­te er von An­fang an nicht den lei­ses­ten Zwei­fel auf­kom­men las­sen, schon gar nicht ge­gen­über sei­nen mi­li­tä­ri­schen Un­ter­ge­be­nen. Dass die mi­li­tä­ri­schen Füh­rer al­ler Gra­de auch im Wes­ten des Rei­ches al­ler­dings ei­nen Krieg wei­ter­füh­ren woll­ten, um des­sen Aus­sichts­lo­sig­keit sie längst wuss­ten, um­rei­ßt die Di­men­si­on ih­rer Ver­ant­wort­lich­keit. Schon kurz nach der In­va­si­on in der Nor­man­die wa­ren sie selbst näm­lich von der Un­mög­lich­keit über­zeugt, den Geg­ner vor den Reichs­gren­zen auf­hal­ten zu kön­nen; ei­ne Ein­sicht, die je­doch nicht zu wei­ter­ge­hen­den Über­le­gun­gen führ­te.[30] 

Es gab kei­nen Plan zur Reichs­ver­tei­di­gung und es konn­te frei­lich auch kein mi­li­tä­risch halt­ba­rer ent­wor­fen wer­den, zu­min­dest das zu er­ken­nen ließ ih­re pro­fes­sio­nel­le Ur­teils­fä­hig­keit noch zu. Die Nutz­lo­sig­keit des West­walls[31] im Kon­text der mo­der­nen Krieg­füh­rung war ih­nen eben­so be­wusst wie die Aus­sichts­lo­sig­keit, auf die Hin­der­nis­wir­kung der na­tür­li­chen Bar­rie­ren des Rei­ches, vor al­lem den Rhein, zu set­zen. Und spä­tes­tens nach der de­sas­trö­sen Flucht durch Frank­reich stan­den ih­nen auch kei­ne re­spek­ta­blen Trup­pen mehr zur Ver­fü­gung, wäh­rend die zwi­schen­zeit­li­che In­ef­fek­ti­vi­tät von Luft­waf­fe und Ma­ri­ne schon zu­vor sicht­bar ge­wor­den war.[32] Woll­ten sie al­so den Kampf nicht auf­ge­ben, blieb auch ih­nen nichts wei­ter üb­rig, als für­der­hin im Sin­ne des zi­tier­ten Be­fehls zu agie­ren.

General Gerd von Rundstedt, Porträt, 1932. (Bundesarchiv, Bild 183-S37772)

 

4. Die Durchführung der Offensive

Am 10.11.1944 er­ließ Hit­ler schlie­ß­lich den Be­fehl zum Auf­marsch (Un­ter­neh­men Wacht am Rhein). Neu über­dacht wur­den die nun an­lau­fen­den An­griffs­vor­be­rei­tun­gen nicht, ob­wohl die ei­ge­nen Ver­bän­de nicht ein­mal recht­zei­tig her­an­ge­bracht wer­den konn­ten. We­gen der Ge­heim­hal­tung und der per­ma­nen­ten Jagd­bom­ber-Ge­fahr konn­te näm­lich nur nachts oder bei schlech­ter Sicht mar­schiert wer­den. Der An­griffs­ter­min muss­te folg­lich zu­nächst vom 27.11. auf den 10.12., dann den 16.12.1944 ver­scho­ben wer­den. Eben­falls aus Grün­den der Tar­nung fan­den in den Auf­marsch­räu­men nicht die not­wen­di­gen Er­kun­dun­gen statt, was am En­de da­zu führ­te, dass die Trup­pen in der Re­gel in un­be­kann­tes Ter­rain vor­stie­ßen und dort auf ei­nen Geg­ner tra­fen, den sie nicht kann­ten.[33] 

Au­ßer­dem be­stan­den längst ekla­tan­te Män­gel in al­len Be­rei­chen: Die 116. Pan­zer-Di­vi­si­on, nach ih­rem Ver­bands­ab­zei­chen bis heu­te ger­ne als „Wind­hund­di­vi­si­on“ ver­klärt, war nach dem Schluss­be­richt ih­res Kom­man­deurs vom 5.1.1945 zu Be­ginn des An­griffs we­der voll­stän­dig ver­sam­melt noch mit aus­rei­chend Be­triebs­stoff aus­ge­stat­tet, zu­dem fehl­ten Ge­rät und Fahr­zeu­ge je­der Art.[34] Bei der 167. Volks­gre­na­dier-Di­vi­si­on, die erst im De­zem­ber 1944 neu auf­ge­stellt wor­den war, wur­de nicht ein­mal für de­ren Ver­samm­lung Be­triebs­stoff zu­ge­führt. Oh­ne Vor­rä­te und die un­be­weg­li­chen Tei­le der Mu­ni­ti­ons­aus­stat­tung trat die Di­vi­si­on folg­lich ins Ge­fecht und muss­te sich durch an­de­re Ver­bän­de mit­ver­sor­gen las­sen. Für ih­re Ver­pfle­gung blieb sie gar auf Ent­nah­me aus dem Lan­de an­ge­wie­sen, wie ihr Chef des Sta­bes im Nach­hin­ein sei­nem Korps-Kom­man­deur mit­teil­te.[35] Er­staun­li­cher­wei­se will die Di­vi­si­ons­füh­rung erst in die­sem Mo­ment zur Ein­sicht ge­kom­men sein, dass es [...] sich als für die Ver­sor­gung un­trag­bar er­wie­sen [hat], ei­ne nicht voll aus­ge­stat­te­te Trup­pe un­ter solch schwie­ri­gen Nach­schub­ver­hält­nis­sen [...] zu Vor­marsch und Ge­fecht ein­zu­set­zen.[36] 

An­de­re Zu­stands­be­rich­te nach der Ar­den­nen­of­fen­si­ve be­män­gel­ten au­ßer­dem die feh­len­de Un­ter­stüt­zung der In­fan­te­rie durch Ar­til­le­rie und Pan­zer so­wie die aus­blei­ben­de Auf­fri­schung der An­griffs­ver­bän­de. Ein­zel­ne Di­vi­sio­nen tru­gen ih­re An­grif­fe mit gan­zen vier Sturm­ge­schüt­zen vor, soll­ten oh­ne Über­setz­ge­rä­te Ge­wäs­ser über­win­den und wa­ren beim auf­kla­ren­den Wet­ter man­gels ei­ge­ner aus­rei­chen­der Luft­ab­wehr der west­al­li­ier­ten Luft­waf­fe hilf­los aus­ge­lie­fert.

Di­ver­se Ver­bän­de klag­ten in ih­ren Zu­stands­be­rich­ten zu­sätz­lich über ei­nen vi­ru­len­ten Man­gel an Waf­fen, Er­satz­tei­len al­ler Art so­wie der ge­rin­gen Aus­stat­tung mit Win­ter­aus­rüs­tung und Rei­fen. Über­all fehl­ten zu­dem ge­län­de­gän­gi­ge Kraft- oder Zug­fahr­zeu­ge.[37] War ir­gend­wo et­was vor­han­den, war da­mit nicht ge­sagt, dass es dort­hin ver­bracht wer­den konn­te, wo es ge­braucht wur­de, so schwer an­ge­schla­gen war auch der Trans­port­sek­tor be­reits. Die west­al­li­ier­ten Bom­ber­strö­me zer­stör­ten seit dem Früh­jahr 1944 ge­zielt Rüs­tungs­be­trie­be, ver­nich­te­ten die In­fra­struk­tur und grif­fen am Jah­res­en­de jeg­li­che Be­we­gung am Bo­den an.[38] Die Be­weg­lich­keit der Ver­bän­de va­ri­ier­te oh­ne­dies zwi­schen 15 und 100 Pro­zent und we­der die Ab­spra­chen noch die Lei­tungs­ver­bin­dun­gen wa­ren in ge­nü­gen­dem Ma­ße si­cher­ge­stellt, was im­mer wie­der zur Ver­wir­rung der ei­ge­nen Trup­pe und zu un­ko­or­di­nier­tem Vor­ge­hen führ­te.[39] 

Über­ra­schend kam auch dies frei­lich nicht, denn be­reits im Herbst des Jah­res 1944 war al­ler­or­ten den mi­li­tä­ri­schen Be­fehls­stel­len ge­mel­det wor­den, dass die Füh­rungs­mit­tel fehl­ten oder nur noch ru­di­men­tär vor­han­den wa­ren. Selbst Fern­ge­sprä­che auf fes­ten Wehr­macht­lei­tun­gen hat­ten im­mer mehr ein­ge­schränkt und für man­che Be­rei­che schlie­ß­lich ver­bo­ten wer­den müs­sen. Vor die­sem Hin­ter­grund be­fahl der OB West im De­zem­ber 1944 das 3-Mi­nu­ten­ge­spräch[40] und mit­un­ter wur­de auf­grund der­art schlech­ter Nach­rich­ten­über­mitt­lung ku­rio­ser­wei­se gar der Mel­de-Rei­ter wie­der­ent­deckt.[41] 

Das er­klärt we­nigs­tens teil­wei­se, wie­so die west­al­li­ier­ten Nach­rich­ten­diens­te den Auf­marsch nicht in sei­ner Re­le­vanz rea­li­sier­ten. Trotz Mel­dun­gen der ei­ge­nen Ab­wehr und Auf­klä­rung, die auf ei­ne deut­sche Of­fen­siv­ope­ra­ti­on hin­deu­te­ten, be­wer­te­te der ver­ant­wort­li­che Nach­rich­ten­of­fi­zier bei SHAEF, der bri­ti­sche Bri­ga­de­ge­ne­ral Ken­neth Strong (1900-1982), dies le­dig­lich als ei­ne von meh­re­ren Op­tio­nen des Geg­ners. Wohl wur­de sie ins Kal­kül ge­zo­gen und ei­ni­ge Pan­zer­ab­wehr­ein­hei­ten in den als be­droht an­ge­se­he­nen Ar­den­nen­raum ver­scho­ben, doch ent­sprang dies mehr der Vor­sicht als ernst­haf­ten Be­fürch­tun­gen. Denn für die West­al­li­ier­ten schien es an­ge­sichts der Ge­samt­la­ge, des Zu­stan­des und des Ver­mö­gens der deut­schen Trup­pen mi­li­tä­risch un­sin­nig, wenn über­haupt mehr als nur ei­ne ört­lich be­grenz­te Of­fen­si­ve durch­füh­ren zu wol­len.[42] 

Deutsche Generäle Walter Model, Gerd von Rundstedt und Hans Krebs bei einer der Vorbesprechungen zur Ardennenoffensive an Tisch über einer Landkarte, November 1944. (Bundesarchiv, Bild 146-1978-024-31)

 

Viel­leicht war das mit ein Grund da­für, dass die west­al­li­ier­te Füh­rung trotz al­ler Ver­wun­de­rung über den An­griff und des an­fäng­li­chen Cha­os nicht an­satz­wei­se in die Ver­wir­rung ge­riet, wel­che die deut­sche Ge­ne­ra­li­tät er­war­tet und wohl auch er­hofft hat­te. Ent­ge­gen des Ver­dikts, nicht fle­xi­bel agie­ren zu kön­nen, führ­ten die west­al­li­ier­ten Be­fehls­ha­ber das Ab­wehr­ge­fecht von An­fang an ent­schlos­sen und sehr be­weg­lich mit Sol­da­ten, die eben­so zäh wie ver­bis­sen kämpf­ten. Das nö­tig­te so­gar den deut­schen An­grei­fern Re­spekt ab.[43] 

Ins­be­son­de­re die Füh­rungs­fä­hig­kei­ten Ei­senhow­ers mach­ten sich be­zahlt. Mit durch­dach­ten Be­we­gun­gen und Ver­stär­kun­gen he­bel­ten die ver­bün­de­ten Trup­pen den deut­schen An­griff aus. Schnell hat­te man bei SHAEF die Ab­sicht des Geg­ners ana­ly­siert, die neur­al­gi­schen Punk­te ve­ri­fi­ziert und da­mit be­gon­nen, Luft­lan­de- so­wie Pan­zer­ver­bän­de dort­hin zu ent­sen­den. Gleich­zei­tig wur­de ei­ne Ge­gen­un­ter­neh­mung ge­star­tet, die nicht nur dar­auf ziel­te, die deut­schen Trup­pen zu­rück­zu­drän­gen, son­dern dar­über hin­aus die Chan­ce wahr­zu­neh­men, das kampf­kräf­ti­ge Gros der deut­schen West­ar­me­en ab­zu­schnei­den und zu ver­nich­ten. 

Ardennen-Offensive, Luxemburg, Kampf im verschneiten Wald, vorn ein deutscher Soldat mit Sturmgewehr 44, 22.12.1944. (Bundesarchiv, Bild 183-1985-0104-501)

 

Dass dies schlie­ß­lich nicht ge­lang, muss in ers­ter Li­nie zwei Fak­to­ren zu­ge­rech­net wer­den: Zum ei­nen sta­bi­li­sier­te die re­la­tiv ra­sche deut­sche Ein­sicht in die Not­wen­dig­keit des Ab­bruchs der Of­fen­si­ve die deut­sche Haupt­kampf­li­nie und zum an­de­ren wur­den die ur­sprüng­li­chen Pla­nun­gen von SHAEF fast schon tor­pe­diert durch die eit­len Ei­gen­mäch­tig­kei­ten des bri­ti­schen Feld­mar­schalls Mont­go­me­ry. Statt wie vor­ge­se­hen gleich­zei­tig mit den US-ame­ri­ka­ni­schen Ver­bän­den der 12. Ar­mee­grup­pe An­fang Ja­nu­ar 1945 zum Ge­gen­an­griff über­zu­ge­hen, ließ die­ser je­ne al­lein vor­sto­ßen und er­mög­lich­te da­mit das ko­or­di­nier­te Zu­rück­ge­hen der deut­schen Trup­pen. Ihm wa­ren in die­ser Pha­se of­fen­bar sei­ne ei­ge­nen Am­bi­tio­nen hin­sicht­lich des al­lei­ni­gen Ober­be­fehls über sämt­li­che west­al­li­ier­te Land­streit­kräf­te im Wes­ten wich­ti­ger. Da ihm der Ober­be­fehl im­mer wie­der ver­sagt wur­de, woll­te er wohl auf die­se Art auf die ei­ge­ne Be­deu­tung hin­wei­sen.

Nichts­des­to­we­ni­ger stell­te sich Mont­go­me­ry spä­ter als der ei­gent­li­che Sie­ger und Ga­rant der Ab­wehr der Of­fen­si­ve dar, was sich zu ei­ner mit­tel­schwe­ren Kri­se in den in­ne­ral­li­ier­ten Be­zie­hun­gen aus­wuchs. Ge­ra­de noch recht­zei­tig zog Chur­chill die Not­brem­se und rück­te in sei­nem Be­richt vor dem bri­ti­schen Par­la­ment die Tat­sa­chen wie­der ins ge­for­der­te rech­te Licht: Vor al­lem den US-ame­ri­ka­ni­schen Ver­bän­den sei es zu ver­dan­ken ge­we­sen, dass der deut­sche Vor­stoß so schnell ab­ge­wehrt und mit ei­nem um­fas­sen­den Ge­gen­an­griff ha­be be­ant­wor­tet wer­den kön­nen.[44] 

Dass der deut­sche An­griff un­ter den dar­ge­stell­ten Um­stän­den über­haupt hier und da er­folg­reich ver­lief, war al­so ent­schei­dend der er­staun­li­chen Mo­ti­va­ti­on der deut­schen Trup­pen, vor al­lem aber dem Über­ra­schungs­mo­ment und dem schlech­ten Flug­wet­ter zu dan­ken. Trotz­dem schaff­ten es die deut­schen Di­vi­sio­nen nicht, im ge­plan­ten Tem­po vor­an­zu­kom­men. Nach knapp ei­ner Wo­che ging auch den letz­ten deut­schen An­griffs­ver­bän­den die Luft aus, gleich­zei­tig grif­fen die west­al­li­ier­ten Ge­gen­maß­nah­men und das auf­kla­ren­de Wet­ter er­mög­lich­te zwi­schen­zeit­lich den um­fas­sen­den Ein­satz der Luft­streit­kräf­te. Hät­te Hit­ler nicht re­gel­mä­ßig Rück­zü­ge ab­ge­lehnt, wä­re die Schlacht wohl schnel­ler be­en­det ge­we­sen. So aber ver­brauch­ten sich die deut­schen Ver­bän­de, in­dem sie sich von den west­al­li­ier­ten Geg­nern in teil­wei­se har­ten Kämp­fen zu­rück­drän­gen las­sen muss­ten. Auf die­se Wei­se for­der­te die Of­fen­si­ve am En­de im­men­se Op­fer auf bei­den Sei­ten und ei­nen aus­la­den­den Ma­te­ri­al­auf­wand.

Im Un­ter­schied zu den west­al­li­ier­ten Ar­me­en, die den Ver­lust von 15 bis 25 Pro­zent des auf dem Kriegs­schau­platz vor­han­de­nen Be­stan­des an Waf­fen, Fahr­zeu­gen und Aus­rüs­tung schon zwei Wo­chen nach dem En­de der Ope­ra­tio­nen weit mehr als aus­ge­gli­chen hat­ten, konn­te die Wehr­macht ih­re ei­ge­nen Ver­lus­te nicht mehr er­set­zen. Ganz im Ge­gen­teil: Herrsch­te vor­her schon ekla­tan­ter Man­gel an na­he­zu al­lem, was für ei­ne pro­fes­sio­nel­le Krieg­füh­rung von­nö­ten war, hat­te man in der Ar­den­nen­of­fen­si­ve auch die letz­ten zu­sam­men­ge­kratz­ten Re­ser­ven ver­braucht, Er­satz und Nach­schub wa­ren mar­gi­nal.[45] 

Zerstörte amerikanische Panzer M4 Sherman, Anfang Januar 1945. (Bundesarchiv, Bild 183-J28610)

 

Die deut­sche Füh­rung hat­te al­so nicht nur aus­nahms­los ih­re Zie­le nicht er­reicht, es han­del­te sich so­gar um ein De­sas­ter. Zwar war der west­al­li­ier­te Vor­stoß um et­wa sechs Wo­chen ver­zö­gert wor­den, aber selbst die­ser „Ge­win­n“ re­la­ti­vier­te sich da­durch, dass man sich selbst jeg­li­cher Hand­lungs­frei­heit be­raubt hat­te. Der Krieg ließ sich über­haupt nur des­we­gen fort­set­zen, weil es der Wehr­macht­füh­rung ge­lun­gen war, die Mas­se ih­rer Trup­pen ge­schlos­sen wie­der zu­rück­zu­füh­ren. Zwar setz­te die deut­sche Füh­rung ih­re an der Saar und im El­sass zwi­schen­zeit­lich nach­ge­scho­be­nen An­grif­fe wei­ter fort, doch die In­itia­ti­ve im Wes­ten lag im Ja­nu­ar 1945 längst auf brei­ter Front wie­der bei den West­al­li­ier­ten, die sich nun an­schick­ten, das Deut­sche Reich gro­ßräu­mig zu be­set­zen. Dass es so kom­men muss­te, lag an der Un­wil­lig­keit der deut­schen Ver­ant­wort­li­chen zu ei­ner Auf­ga­be des Kamp­fes. In der Mehr­zahl hat­ten sie, wie der Ge­ne­ral der Fall­schirm­trup­pe Al­fred Schlemm (1894-1986), noch nach dem Krieg nicht ein­mal für das vor­sich­ti­ge, so we­nig wie mög­lich ei­ge­ne Ver­lus­te ris­kie­ren­de west­al­li­ier­te Vor­ge­hen Ver­ständ­nis; da­durch ha­be man im­mer­hin den deut­schen Ver­bän­den im­mer wie­der die Mög­lich­keit ge­ge­ben, die auf­ge­ris­se­nen ei­ge­nen Rei­hen zu schlie­ßen.[46] 

In die­ser bor­nier­ten Un­be­irr­bar­keit ließ die mi­li­tä­ri­sche Füh­rung ih­re Män­ner bis zum Mai 1945 wei­terster­ben, in ei­nem Krieg, der je­den wei­te­ren Mo­nat an­nä­hernd 300.000 Mann Ver­lus­te al­lein an deut­schen Sol­da­ten kos­te­te – die über­gro­ße Mehr­heit da­von frei­lich an der Front im Os­ten.[47] Hin­zu tra­ten die Aber­tau­sen­den To­te der Luft­an­grif­fe so­wie die Op­fer ei­ner mit dem na­hen­den Kriegs­en­de ste­tig bru­ta­ler es­ka­lie­ren­den Mord­ma­schi­ne­rie in den Kon­zen­tra­ti­ons- und Ar­beits­la­gern. Skru­pel hat­te die Mehr­heit der mi­li­tä­ri­schen Be­fehls­ha­ber da­bei nicht. Schon wäh­rend der Ar­den­nen­of­fen­si­ve hat­ten sie so bei­spiels­wei­se ein Un­ter­neh­men Greif ge­bil­ligt, bei dem deut­sche Sol­da­ten in US-ame­ri­ka­ni­schen Uni­for­men un­ter der Füh­rung des be­rüch­tig­ten SS-Sturm­bann­füh­rers Ot­to Skor­ze­ny (1908-1975) hin­ter den geg­ne­ri­schen Li­ni­en völ­ker­rechts­wid­rig ei­nen Klein­krieg führ­ten, der auch vor will­kür­li­chen Er­schie­ßun­gen Ge­fan­ge­ner nicht zu­rück­schreck­te. Dass es im Ge­gen­zug bei west­al­li­ier­ten Ver­bän­den eben­falls zu Ver­bre­chen kam, darf gleich­wohl nicht un­ter­schla­gen wer­den.[48] Da­mit soll der ver­bre­che­ri­sche An­griffs­krieg der Wehr­macht kei­nes­falls re­la­ti­viert wer­den.

5. Das Unternehmen Bodenplatte - Der Einsatz der deutschen Luftwaffe

So ein­deu­tig die Ver­ant­wort­lich­kei­ten für sol­che Kriegs­ver­bre­chen sind, so vor­sich­tig wird gleich­wohl das ver­meint­lich pro­fes­sio­nel­le Han­deln der mi­li­tä­ri­schen Füh­rung be­wer­tet. Ein wei­te­res Bei­spiel da­für im Kon­text des Un­ter­neh­mens Wacht am Rhein ist die Of­fen­si­ve der deut­schen Luft­waf­fe am 1.1.1945, zu ei­nem Zeit­punkt al­so, als die Ar­den­nen­of­fen­si­ve be­reits ge­schei­tert war. Lo­gi­scher­wei­se war in die­sem Zu­sam­men­hang ei­ne solch um­fang­rei­che Ope­ra­ti­on gar nicht vor­ge­se­hen, ba­sier­te der An­griffs­plan für je­ne an­ge­sichts der ab­so­lu­ten west­al­li­ier­ten Luft­herr­schaft doch ge­ra­de auf schlech­tem Flug­wet­ter. Den­noch plan­ten die Luft­streit­kräf­te eben­falls im Ge­hei­men ei­nes der um­fang­reichs­ten ei­ge­nen An­griffs­un­ter­neh­men wäh­rend des ge­sam­ten Zwei­ten Welt­krie­ges. 

Wäh­rend die Mehr­heit der deut­schen Flug­zeu­ge in die Ar­den­nen­of­fen­si­ve kaum ein­griff, wur­den so rund 850 Kampf­flug­zeu­ge aus zehn Jagd- und ei­nem Schlacht­ge­schwa­der zum Jah­res­wech­sel in ei­nen kon­zen­trier­ten Über­ra­schungs-Luft­an­griff auf 17 west­al­li­ier­te Front­flug­plät­ze in Bel­gi­en, den Nie­der­lan­den und Nord­frank­reich ge­schickt. Ihr Ziel war es, die­se Plät­ze zu zer­stö­ren und dem Geg­ner dar­über hin­aus mög­lichst gro­ßen Scha­den bei­zu­brin­gen. Im Er­geb­nis wur­de kein ein­zi­ger der an­ge­grif­fe­nen Plät­ze zum To­tal­ver­lust, im­mer­hin fünf wa­ren schwer be­schä­digt, drei mä­ßig und sechs nur ge­ring­fü­gig ge­trof­fen, drei Plät­ze wie­der­um wur­den gar nicht ge­fun­den oder ver­fehlt. Da­bei ver­nich­te­ten die deut­schen Pi­lo­ten ins­ge­samt 305 geg­ne­ri­sche Ma­schi­nen und be­schä­dig­ten 190 wei­te­re. Weil es sich fast durch­gän­gig um Bo­den­ver­lus­te han­del­te, er­lit­ten die Al­li­ier­ten da­bei nur ge­rin­ge per­so­nel­le Aus­fäl­le.[49] Selbst die am schwers­ten ge­trof­fe­nen Feld­flug­plät­ze fie­len nicht län­ger als zwei Wo­chen für den Ein­satz aus, die ma­te­ri­el­len Ver­lus­te konn­ten eben­so rasch aus­ge­gli­chen wer­den. In den west­al­li­ier­ten Füh­rungs­stä­ben be­wer­te­te man die La­ge an­schlie­ßend zwar nicht als zu­frie­den­stel­lend, aber auch nicht als alar­mie­rend.[50] 

Die deut­schen An­grei­fer ver­lo­ren bei die­ser Ope­ra­ti­on hin­ge­gen 292 und da­mit je­des drit­te der ein­ge­setz­ten Flug­zeu­ge so­wie 213 Pi­lo­ten. Un­ter ih­nen be­fan­den sich drei Ge­schwa­der­kom­mo­do­re, fünf Grup­pen­kom­man­deu­re und 14 Staf­fel­ka­pi­tä­ne.[51] Da­mit wur­de nicht nur das Ziel der Ope­ra­ti­on ver­fehlt, sie füg­te viel­mehr der deut­schen Luft-, ins­be­son­de­re ih­rer Jagd­waf­fe, un­er­setz­li­che Ver­lus­te an Flug­zeu­gen und vor al­lem er­fah­re­nem Per­so­nal zu, so dass sie für ih­re ei­gent­li­che Auf­ga­be, den Schutz des Reichs­ge­bie­tes im Wes­ten, zu­künf­tig aus­fiel.[52] 

Auch hier hat­te die deut­sche mi­li­tä­ri­sche Füh­rung am En­de völ­lig ver­sagt: Der An­griff war der­art kon­spi­ra­tiv vor­be­rei­tet wor­den, dass die deut­schen Bo­den­ver­bän­de - an grö­ße­re ei­ge­ne Flie­ger­pulks am Him­mel längst nicht mehr ge­wöhnt - schlicht nicht in­for­miert wor­den wa­ren. So wur­den et­li­che der ein­ge­setz­ten Ma­schi­nen von der ei­ge­nen Luft­ab­wehr ab­ge­schos­sen. Selbst der Be­fehls­ha­ber im Be­reich, durch des­sen Luft­raum die Mas­se der ei­ge­nen Flug­zeu­ge ih­ren Weg neh­men muss­te, Ge­ne­ral­oberst Kurt Stu­dent (1890-1978), ein an­de­rer treu­er Pa­la­din des „Füh­rer­s“, will über die Ak­ti­on nicht un­ter­rich­tet ge­we­sen sein.[53] 

Dies be­weist ein wei­te­res Mal das pro­fes­sio­nel­le, nicht al­lein das cha­rak­ter­li­che und mo­ra­li­sche Ver­sa­gen der mi­li­tä­risch Ver­ant­wort­li­chen auf der deut­schen Sei­te.[54] Doch im Un­ter­schied zur Ar­den­nen­of­fen­si­ve hat­te von der Luft­waf­fen­füh­rung nie­mand et­was Ver­gleich­ba­res ver­langt; das Un­ter­neh­men Bo­den­plat­te hat­te man sich dort un­auf­ge­for­dert aus­ge­dacht und auch dann noch durch­ge­führt, als es nach dem De­sas­ter der Ar­den­nen­of­fen­si­ve kei­nem noch so ru­di­men­tä­ren mi­li­tä­ri­schen Zweck mehr die­nen konn­te. Zu­dem hat­ten die Jagd­ver­bän­de im Wes­ten zu­vor be­reits dras­tisch ge­lit­ten: Als ab dem 18.12.1944 das Wet­ter auf­ge­klart und den Ein­satz der west­al­li­ier­ten Luft­waf­fe er­mög­licht hat­te, ver­lo­ren al­lein in den letz­ten bei­den Wo­chen des Jah­res 1944 535 deut­sche Jagd­flie­ger ihr Le­ben oder gin­gen in Ge­fan­gen­schaft, ob­wohl die Ar­den­nen­of­fen­si­ve schon am Weih­nachts­tag 1944 ab­ge­bro­chen wor­den war.[55] 

6. Schluss

Die deut­sche mi­li­tä­ri­sche Füh­rung wuss­te spä­tes­tens im Herbst 1944 um die aus­sichts­lo­se La­ge, zog dar­aus je­doch kei­ne ver­ant­wort­li­che Kon­se­quenz, son­dern le­dig­lich ei­ne hand­werk­li­che. Statt den hoff­nungs­lo­sen Krieg zu be­en­den, er­sann sie Mög­lich­keit um Mög­lich­keit, ihn noch ei­ni­ge Mo­na­te, Wo­chen, am En­de Ta­ge und Stun­den wei­ter­füh­ren zu kön­nen. Die bis­lang von der For­schung hier­zu vor­ge­leg­te Be­grün­dung, die mi­li­tä­risch Ver­ant­wort­li­chen in Deutsch­land hät­ten auf­grund ih­rer De­gra­die­rung zu ei­ner Funk­ti­ons­eli­te ihr Hand­werk so lan­ge es ir­gend ging fort­set­zen wol­len, greift zu kurz. Seit je­her fehl­te das Ziel, auf das die­ses Han­deln letzt­lich hät­te aus­ge­rich­tet sein sol­len.

Ka­schiert wur­de die­ses Man­ko durch die Über­nah­me der Ar­gu­men­ta­ti­on aus der Me­moi­ren- und Ve­te­ra­nen­li­te­ra­tur, ei­ner „Pflicht­er­fül­lun­g“, wel­che wie­der­um nicht an das Re­gime oder gar Hit­ler, son­dern an das deut­sche Volk re­spek­ti­ve das Va­ter­land ge­kop­pelt ge­we­sen sein will. Da­bei dürf­te nur we­nig die Ab­sur­di­tät der deut­schen Krieg­füh­rung im Wes­ten ge­gen En­de des Zwei­ten Welt­krie­ges deut­li­cher ent­lar­ven als die Fest­stel­lung, dass die grö­ß­te Über­le­bens­chan­ce deut­scher Uni­for­mier­ter dort zu­neh­mend dar­in be­stand, bei ih­rer Trup­pe zu blei­ben und so zu tun als ob, wie es der Chef des Ge­ne­ral­sta­bes des OB West, Ge­ne­ral der Ka­val­le­rie Sieg­fried West­phal (1902-1982), nach­träg­lich sei­nen Me­moi­ren an­ver­trau­te. Aber längst nicht al­le ta­ten nur „so als ob“, wie ge­ra­de die Bei­spie­le der Ar­den­nen­of­fen­si­ve und des Un­ter­neh­mens Bo­den­plat­te zei­gen.

Im Un­ter­schied zur Bo­den- war die Luf­tof­fen­si­ve aber kei­nes­wegs von Hit­ler be­foh­len, son­dern von den jun­gen Ge­ne­rä­len der Luft­waf­fe um Ge­ne­ral­leut­nant Adolf Gal­land (1912-1996) und Ge­ne­ral­ma­jor Diet­rich Peltz (1914-2001) selbst er­dacht wor­den. Zu­min­dest sie konn­ten ih­re Ver­ant­wort­lich­keit da­mit nicht, wie so vie­le, wohl­feil auf den „Füh­rer“ ab­wäl­zen.

Das Pro­blem der Ge­ne­ra­le war schlicht, dass sie das Re­gime durch­weg un­ter­stützt hat­ten, so­lan­ge es er­folg­reich war, bis hin zur Kom­pli­zen­schaft in den Ver­bre­chen, und nun im Miss­er­folg kei­nen Aus­weg wuss­ten – von der Teil-Iden­ti­tät der Zie­le bis zur Teil-Part­ner­schaft im Ver­bre­chen[56]. Ih­re Lö­sung die­ses selbst­ver­schul­de­ten Di­lem­mas be­stand schluss­end­lich dar­in, den Kampf um des Kamp­fes Wil­len als Ziel an sich zu pro­pa­gie­ren – ganz im Sin­ne der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gie und völ­lig ent­ge­gen der an­sons­ten gern be­müh­ten sol­da­ti­schen Tra­di­ti­on deut­scher Ar­me­en. Hier mag auch ein Grund für die Hür­den lie­gen, wel­che die deut­sche Er­in­ne­rung an die Wehr­macht nach 1945 zu über­win­den hat­te.

Die Grün­de, war­um sie ih­re Män­ner in ei­ne aus­sichts­lo­se Schlacht schick­ten, sind ra­tio­nal al­so nur schwer, aber auch hand­werk­lich über­haupt nicht nach­zu­voll­zie­hen. Bis­lang hat die his­to­ri­sche For­schung ei­ne - in­di­vi­du­ell ver­schie­de­ne - Ge­men­ge­la­ge her­aus­ge­fil­tert zwi­schen Rea­li­täts­ver­lust und Selbst­be­trug, zwi­schen per­sön­li­chem Gel­tungs­drang und Ver­län­ge­rung der ei­ge­nen Macht­po­si­ti­on an­ge­sichts der im Fal­le der Ka­pi­tu­la­ti­on be­fürch­te­ten Mi­li­tär­ge­richts­ver­fah­ren durch die Sie­ger.[57] Der Krieg wur­de je­den­falls auch 1945 wei­ter­ge­führt, mit noch jün­ge­ren, im­mer we­ni­ger aus­ge­bil­de­ten und ste­tig dürf­ti­ger aus­ge­rüs­te­ten Sol­da­ten. Da­bei schien es, als ob die Ar­den­nen­of­fen­si­ve und das zeit­lich da­mit ver­knüpf­te Un­ter­neh­men Bo­den­plat­te schon die Tief­punk­te deut­schen mi­li­tä­ri­schen Han­delns im Wes­ten ge­we­sen sein müss­ten, doch wa­ren sie am En­de nur ein Me­ne­te­kel für all das, was an „Krieg­füh­run­g“ noch kom­men soll­te, ein wei­te­rer Hö­he­punkt der skru­pel­lo­sen mi­li­tä­ri­schen Un­ter­neh­mun­gen der deut­schen Wehr­macht und ih­rer Ge­ne­ra­le.[58] 

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Anmerkungen
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Zimmermann, John, Das „schönste Weihnachtsgeschenk, was uns von unserer Führung aus gemacht werden konnte“? Die deutsche Ardennenoffensive im Dezember 1944, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/das-schoenste-weihnachtsgeschenk-was-uns-von-unserer-fuehrung-aus-gemacht-werden-konnte-die-deutsche-ardennenoffensive-im-dezember-1944/DE-2086/lido/669f9ff35913d5.23487069 (abgerufen am 13.02.2025)

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 28.10.2024, zuletzt geändert am 17.12.2024