Der Klavierbau im Rheinland

Nina Sträter (Düsseldorf)

Werbeplakat der 1794 von Johann Adoplh Ibach gegründeten Werkstatt für Klavier- und Orgelbau. (Archiv der Firma RUD. IBACH SOHN GmbH & Co. KG)

1. Die Entstehung des Klavierbaus als eigenständiger Wirtschaftszweig

Die gro­ße Be­deu­tung des Kla­viers im heu­ti­gen Kon­zert­le­ben eben­so wie als In­stru­ment für Hob­by­mu­si­ker darf als un­um­strit­ten gel­ten. Sei­nen her­aus­ra­gen­den Sta­tus in­ner­halb des Kul­tur­le­bens in der west­li­chen Welt er­warb sich das Kla­vier im Lau­fe des 19. Jahr­hun­derts. Nach­dem bis ins 18. Jahr­hun­dert hin­ein die Auf­füh­rung von Mu­sik au­ßer­halb des pri­va­ten Krei­ses dem Adel und der Kir­che vor­be­hal­ten ge­we­sen war, ent­stand mit dem Er­star­ken des Bür­ger­tums ei­ne ei­ge­ne Mu­sik­kul­tur, die zu­nächst der bür­ger­li­chen Ober­schicht, lang­fris­tig je­doch auch der brei­ten Be­völ­ke­rung Kunst­mu­sik durch öf­fent­li­che Kon­zer­te zu­gäng­lich mach­te. Die tief­grei­fen­den ge­sell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen, die die­se Ent­wick­lung vor­an­trie­ben, führ­ten zu ei­ner stei­gen­den Nach­fra­ge nach den im­mer be­lieb­ter wer­den­den Tas­ten­in­stru­men­ten. Ne­ben öf­fent­li­chen Kon­zer­ten war die von Lai­en prak­ti­zier­te Haus­mu­sik ein wich­ti­ger Be­reich in dem neu­en Mu­sik­le­ben, was da­zu führ­te, dass im 19. Jahr­hun­dert das Kla­vier bald zum be­lieb­tes­ten In­stru­ment des Bür­ger­tums avan­cier­te, auf dem im Sin­ne des bür­ger­li­chen Bil­dungs­ide­als ins­be­son­de­re die weib­li­chen Fa­mi­li­en­mit­glie­der po­pu­lä­re Stü­cke zu Ge­hör brach­ten. Zahl­reich sind die Stel­len in der Li­te­ra­tur der Zeit, wel­che über die Her­ab­wür­di­gung des Kla­viers zum de­ko­ra­ti­ven Mö­bel­stück und vor al­lem die man­geln­den künst­le­ri­schen Fä­hig­kei­ten der Aus­füh­ren­den spot­ten; ex­em­pla­risch sei hier Jo­han­na Kin­kel zi­tiert: „Kaum, daß man ei­ne Ge­sell­schaft be­su­chen kann, oh­ne Mu­sik aus­ste­hen zu müs­sen, und was für ent­setz­li­che Mu­sik! Mu­sik­freun­de und Mu­sik­fein­de wer­den gleich emp­find­lich durch den An­blick ei­nes ge­öff­ne­ten Cla­viers mit zwei Lich­tern dar­auf be­rührt, wenn sie ei­nen Sa­lon zur Er­ho­lung be­tre­ten. Dieß Mu­si­ci­ren zwi­schen der Un­ter­hal­tung ist ei­ne auf­lö­sen­de Säu­re für das Ge­spräch.“[1] 

Dar­über hin­aus muss­ten auch für die zahl­rei­chen neu ent­ste­hen­den mu­si­ka­li­schen Ver­ei­ne, in de­nen die Bür­ger im Chor oder an­de­ren For­ma­tio­nen mu­si­zier­ten, Kla­vie­re an­ge­schafft wer­den. Die Ent­ste­hung der mo­der­nen In­dus­trie­ge­sell­schaft im 19. Jahr­hun­dert, in de­ren Zu­ge die Pro­duk­ti­on von Wa­ren, die zu­vor von Hand ge­fer­tigt wor­den wa­ren, auf in­dus­tri­el­le Ver­fah­ren um­ge­stellt wur­de, wirk­ten sich auf den Bau der Tas­ten­in­stru­men­te eben­so aus wie Wirt­schafts­kri­sen, Krie­ge, Er­fin­dun­gen und ge­sell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen, so dass der Kla­vier­bau vie­le Ent­wick­lun­gen bis in die heu­ti­ge Zeit hin­ein an­schau­lich wi­der­zu­spie­geln ver­mag.

Ur­sprüng­lich wur­de die Be­zeich­nung „Kla­vier“ für In­stru­men­te ver­wen­det, die den Klang mit­tels ei­ner „Cla­via­tur“ (von la­tei­nisch cla­vis = Tas­te) er­zeug­ten, was so­wohl für Sai­ten­in­stru­men­te gel­ten konn­te al­so auch für Or­geln, de­ren Pfei­fen mit Luft zum Klin­gen ge­bracht wer­den. Der Ober­be­griff „Kla­vier“ wur­de erst ge­gen En­de des 18. Jahr­hun­derts von dif­fe­ren­zier­te­ren Aus­drü­cken all­mäh­lich ab­ge­löst. Die be­griff­li­che Ab­spal­tung der Or­gel von die­ser Ein­heit er­folg­te aus­ge­hend da­von, dass die Sai­ten­in­stru­men­te sehr viel leicht­gän­gi­ger wa­ren und an­de­re klang­li­che Wir­kun­gen her­vor­brach­ten. Die bei­den Vor­läu­fer der heu­te be­kann­ten und gän­gi­gen Tas­ten­in­stru­men­te „Kla­vier“ und „Flü­gel“ wa­ren in ers­ter Li­nie das Cla­vichord und das Cem­ba­lo. Letz­te­res war zwi­schen dem 16. und 19. Jahr­hun­dert als So­lo- und Ge­ne­ral­bas­sin­stru­ment un­ent­behr­lich für die Kam­mer­mu­sik, wäh­rend das deut­lich lei­se­re Cla­vichord eher im pri­va­ten Rah­men zum Ein­satz kam. Bei­de In­stru­men­te ver­füg­ten über Ei­gen­schaf­ten, die En­de des 18. Jahr­hun­derts ge­schätzt und dar­um in dem neu­en In­stru­men­ten­typ des Ham­mer­kla­viers ver­ei­nigt wur­den: Die Sai­ten des Cem­ba­los wur­den mit Kie­len an­ge­ris­sen, wo­durch ei­ne für da­ma­li­ge Ver­hält­nis­se ein­drucks­vol­le Laut­stärk­te er­reicht wer­den konn­te, doch es gab prak­tisch kei­ne Mög­lich­keit, die Dy­na­mik zu va­ri­ie­ren sprich den Wech­sel zwi­schen laut und lei­se für die Ge­stal­tung des Spiels ein­zu­set­zen. Die­se Fä­hig­keit be­saß zwar das Cla­vichord, doch sei­ne ge­rin­ge Laut­stär­ke schränk­te den Ge­brauch er­heb­lich ein.

Das neu­ar­ti­ge, von Bar­to­lo­meo Cris­to­fo­ri (1655-1731) er­fun­de­ne Ham­mer­kla­vier ver­band nun Qua­li­tä­ten bei­der In­stru­men­te mit­ein­an­der: Es über­nahm die „Flü­gel“-Form des Cem­ba­los, hat­te wie die­ses ei­nen lau­te­ren Klang und ei­nen grö­ße­ren Ton­um­fang als das Cla­vichord und be­saß ei­ne Me­cha­nik, bei der die ge­spann­ten Sai­ten durch das An­schla­gen mit Häm­mern zum Klin­gen ge­bracht wur­den. Die bei­den Vor­läu­fer Cem­ba­lo und Cla­vichord ver­schwan­den wäh­rend des 19. Jahr­hun­derts na­he­zu in der Be­deu­tungs­lo­sig­keit. Erst im 20. Jahr­hun­dert er­wach­te wie­der das In­ter­es­se an ih­nen im Rah­men ei­ner his­to­risch ori­en­tier­ten Auf­füh­rungs­pra­xis. Bis­wei­len kom­men sie auch in Wer­ken der Neu­en Mu­sik, im Jazz be­zie­hungs­wei­se in der ge­le­gent­lich noch prak­ti­zier­ten Haus­mu­sik zum Ein­satz. Da die kom­pli­zier­te Be­griff­lich­keit wech­seln­der Bau­ar­ten von Sai­ten­in­stru­men­ten mit Tas­ta­tu­ren über die Jahr­hun­der­te in die­sem Ar­ti­kel nicht nä­her the­ma­ti­siert wer­den kön­nen, sei hier nur fest­ge­legt, dass der Aus­druck „Kla­vier“ im Fol­gen­den als Sam­mel­be­griff für be­sai­te­te Tas­ten­in­stru­men­te mit Ham­mer­me­cha­nik ver­wen­det wird.

Die Ent­wick­lung des Ham­mer­kla­viers fand nicht über Nacht statt. Schon seit dem 17. Jahr­hun­dert wur­de an tech­ni­schen Neue­run­gen ge­ar­bei­tet und ex­pe­ri­men­tiert, und ab dem En­de des 18. Jahr­hun­derts be­gann der Kla­vier­bau all­mäh­lich se­ri­en­mä­ßig und da­mit ein Markt­fak­tor zu wer­den. Die stei­gen­de Be­deu­tung des Kla­viers – ne­ben wei­te­ren In­stru­men­ten, die die­se Ent­wick­lung eben­falls be­traf – schuf neue Be­ru­fe und Be­dürf­nis­se: Be­nö­tigt wur­den Zu­lie­fe­rer von Bau­ma­te­ri­al, spe­zia­li­sier­te Hand­wer­ker, zahl­rei­che Händ­ler, die die In­stru­men­te ver­kauf­ten und ver­mie­te­ten, Kla­vier­stim­mer, Mu­sik­leh­rer, Ver­le­ger, Be­trei­ber von Kon­zert­sä­len und Kon­zert­ver­an­stal­ter. Auch Kom­po­nis­ten und Vir­tuo­sen wa­ren Teil die­ses wirt­schaft­li­chen Sys­tems. Da die Spe­zia­li­sie­rung auf den Kla­vier­bau erst bei all­mäh­lich stei­gen­der Nach­fra­ge er­folg­te, wa­ren die Her­stel­ler von In­stru­men­ten vor Be­ginn des 19. Jahr­hun­derts in vie­len Fäl­len be­son­ders ge­schul­te Schrei­ner oder Tisch­ler, die gleich­zei­tig auch Mö­bel und an­de­re Ge­brauchs­ge­gen­stän­de her­stell­ten. 

In der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts wuchs der Be­darf an Kla­vie­ren mit je­dem Jahr und durch die Um­stel­lung auf kos­ten­güns­ti­ge in­dus­tri­el­le Fer­ti­gung in der Zeit zwi­schen 1860 und 1880 stieg die Nach­fra­ge noch ein­mal sprung­haft an. Klei­ne­re Hand­werks­be­trie­be und Ma­nu­fak­tu­ren wur­den von den Un­ter­neh­men, de­nen der Sprung in die in­dus­tri­el­le Fer­ti­gung ge­lun­gen war, bald vom Markt ver­drängt. Das Kla­vier war als Pro­dukt so be­deut­sam, dass die Her­stel­ler bis zum Ers­ten Welt­krieg so­gar weit­ge­hend von den Aus­wir­kun­gen von Wirt­schafts­kri­sen ver­schont blie­ben.[2] 

Als wich­ti­ge Zen­tren des Kla­vier­baus gal­ten au­ßer­halb von Deutsch­land bei­spiels­wei­se Pa­ris, wo die Fir­men Er­ard, Pley­el, Herz und Ga­veau an­säs­sig wa­ren, in den USA New York, wo Stein­way pro­du­zier­te, und in Wien, wo Bö­sen­dor­fer saß. In Deutsch­land ge­hört ne­ben Blüth­ner, Bech­stein, Förs­ter und Sau­ter die im Raum Wup­per­tal be­hei­ma­te­te Fir­ma Ibach zu den be­kann­tes­ten und tra­di­ti­ons­reichs­ten Kla­vier­bau­ern. Der in­ter­na­tio­na­le Ex­port deut­scher Kla­vie­re er­lang­te im 19. Jahr­hun­dert und ins­be­son­de­re in der Kai­ser­zeit Welt­gel­tung.[3] 

Ei­ni­ge be­deu­ten­de Ent­wick­lun­gen im Kla­vier­bau tru­gen zu der im­mer wei­ter an­stei­gen­den Be­liebt­heit des In­stru­men­tes im 19. Jahr­hun­dert bei. Die Kon­struk­ti­on von auf­recht­ste­hen­den Kla­vie­ren, die in Eng­land be­reits um 1800 be­kannt war, wur­de in Deutsch­land erst un­ge­fähr ab den 1830er Jah­ren um­ge­setzt und um die Mit­te des 19. Jahr­hun­derts all­mäh­lich gän­gig. Die­se so­ge­nann­te „eng­li­sche Bau­wei­se“ brach­te den Mehr­wert mit sich, dass we­ni­ger Ma­te­ria­li­en ver­baut wer­den muss­ten, wo­durch der Preis im Ver­gleich zu dem ei­nes Kon­zert­flü­gels spür­bar sank. Au­ßer­dem nah­men die auf­recht­ste­hen­den In­stru­men­te we­ni­ger Platz ein, so dass sie leich­ter Ein­zug in die Bür­ger­häu­ser fan­den. Un­ge­fähr ab den 1840er Jah­ren er­setz­ten all­mäh­lich Ei­sen­guss­rah­men die ur­sprüng­lich aus Holz ge­fer­tig­ten Rah­men, was ei­nen lau­te­ren Klang er­mög­lich­te so­wie ei­ne grö­ße­re Sta­bi­li­tät und Halt­bar­keit der In­stru­men­te mit sich brach­te, zu­gleich wur­den sie da­durch je­doch deut­lich schwe­rer.

Zwei wei­te­re Neue­run­gen wa­ren we­ni­ger of­fen­sicht­lich, aber den­noch für den Kla­vier­bau fol­gen­reich: Die aus Holz ge­fer­tig­ten Ham­mer­köp­fe, wel­che die Sai­ten an­schla­gen, wur­den im 18. Jahr­hun­dert mit Le­der be­zo­gen. Et­wa ab den 1830er Jah­ren ging man da­zu über, Filz als Be­zugs­ma­te­ri­al zu ver­wen­den. Der An­schlag wur­de da­durch wei­cher und ließ sich bes­ser mo­di­fi­zie­ren, was es dem Kla­vier­bau­er er­laub­te, sei­nen In­stru­men­ten ei­nen cha­rak­te­ris­ti­sche­ren Klang zu ver­lei­hen und sich so bes­ser von Kon­kur­renz­pro­duk­ten ab­set­zen zu kön­nen. Ei­ne wei­te­re wich­ti­ge Ent­wick­lung war die Dop­pel-Re­pe­ti­ti­ons­me­cha­nik, die un­ge­fähr ab der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts gän­gig wur­de. Für den mu­si­ka­li­schen Lai­en be­deu­te­te sie kaum prak­ti­schen Nut­zen, doch den Pro­fis er­mög­lich­te sie es, ih­re Ge­schwin­dig­keit an den Tas­ten und da­mit auch die Vir­tuo­si­tät ih­rer Dar­bie­tung wei­ter zu stei­gern, was lang­fris­tig Ein­fluss auf das Kon­zert­le­ben nahm.

Ne­ben Wer­ken, die ex­pli­zit für das Kla­vier kom­po­niert wur­den, er­schie­nen im 19. Jahr­hun­dert auch ei­ne un­über­seh­ba­re Fül­le von Be­ar­bei­tun­gen für Kla­vier po­pu­lä­rer Or­ches­ter- und Opern­wer­ke, die es den Bür­gern er­mög­lich­ten, neue Stü­cke der Zeit im häus­li­chen Um­feld ken­nen­zu­ler­nen. We­gen sei­ner Viel­stim­mig­keit und sei­nem gro­ßen Ton­um­fang von über sie­ben Ok­ta­ven war das Kla­vier für die­se Auf­ga­be ge­ra­de­zu prä­des­ti­niert.

 

2. Die Firma Ibach im Raum Wuppertal bis zum Ersten Weltkrieg

Ins­ge­samt ist die Quel­len­la­ge zum Kla­vier­bau im Rhein­land als spär­lich zu be­zeich­nen. Im 19. Jahr­hun­dert ent­stan­den ne­ben Groß­be­trie­ben wie Ibach zahl­lo­se klei­ne Fir­men, de­ren Ak­ti­vi­tät – wenn über­haupt – meist nur spo­ra­disch do­ku­men­tiert wur­de. Nicht nur auf­grund sei­nes lan­gen Be­ste­hens und sei­ner gro­ßen Be­deu­tung als Wirt­schafts­fak­tor in der Re­gi­on, son­dern auch we­gen sei­ner gut auf­ge­ar­bei­te­ten Ge­schich­te stellt Ibach ein an­schau­li­ches Bei­spiel für die Ent­wick­lung des Kla­vier­baus im Rhein­land dar.

In der Re­gi­on Wup­per­tal und spä­ter durch Nie­der­las­sun­gen auch in an­de­ren Tei­len des Rhein­lands ist kein Un­ter­neh­men für In­stru­men­ten­bau so be­deut­sam ge­wor­den wie die Or­gel- und Kla­vier­b­au­fir­ma Ibach, die sich von ei­nem klei­nen Hand­werks­be­trieb am En­de des 18. Jahr­hun­derts in ein welt­weit be­kann­tes Un­ter­neh­men ver­wan­del­te, das bis zu sei­ner Auf­lö­sung im Jahr 2007 stets in Fa­mi­li­en­be­sitz blieb. An­ge­merkt sei an die­ser Stel­le, dass der Ort Bey­en­burg, wo das Un­ter­neh­men 1794 als „Werk­statt für Kla­vier- und Or­gel­bau“ of­fi­zi­ell ge­grün­det wur­de, ei­ne selb­stän­di­ge Ort­schaft war, be­vor er 1929 ein Stadt­teil von Wup­per­tal wur­de. Die ers­te Hälf­te der Fir­men­ge­schich­te, das hei­ßt das 19. Jahr­hun­dert, hat Flo­ri­an Speer de­tail­liert er­forscht.[4] Sei­ne Ar­beit bie­tet ei­nen Über­blick über das Un­ter­neh­men und sei­ne Ein­bin­dung in Wirt­schaft und Ge­sell­schaft der Zeit.

Der Grün­der der Or­gel- und Kla­vier­bau­werk­statt war Jo­hann Adolph Ibach (1766–1848), der sich rasch mit sei­nen In­stru­men­ten – in der ers­ten Zeit wa­ren dies Flü­gel und Ta­fel­kla­vie­re – ei­nen gu­ten Ruf er­warb, so dass er schon bald Kun­den nicht nur in der nä­he­ren Um­ge­bung fand. Trotz des pie­tis­ti­schen Um­fel­des und des in der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts eher spar­sa­men Mu­sik­le­bens im Raum Wup­per­tal er­wies sich der Stand­ort als güns­tig, so dass Ibach sei­ner Hei­mat­re­gi­on treu blieb. 1817 bau­te er in Bar­men – seit 1929 eben­falls zur Stadt Wup­per­tal ge­hö­rig – ei­ne Pro­duk­ti­ons­stät­te, in der er sich zu­neh­mend auf den Bau von Kla­vie­ren spe­zia­li­sier­te. Ab den 1820er Jah­ren ent­wi­ckel­te er be­reits die Stra­te­gie, ne­ben In­stru­men­ten, die in La­gern be­reit­stan­den, Kun­den An­ge­bo­te an­hand ei­ner Mo­dell-Lis­te mit fest­ge­leg­ten Prei­sen zu ma­chen, so dass ein Kla­vier nach Wunsch zeit­nah an­ge­fer­tigt wer­den konn­te.

Porträt von Carl Rudolf Ibach mit seiner Ehefrau Regine Emilie Bruckenhaus und seinen Söhnen P.A. Rudolf, Eugen und Moritz Walter aus dem Jahr 1833. (Archiv der Firma RUD. IBACH SOHN GmbH & Co. KG)

 

1839 über­nah­men die Söh­ne Carl Ru­dolph (1804-1863) und Ri­chard (1813-1889) Ibach das Un­ter­neh­men un­ter dem Na­men „Ad. Ibach Söh­ne“. Ers­te Ver­kaufs­nie­der­las­sun­gen wur­den in Düs­sel­dorfBonn un­d Es­sen er­rich­tet. Ab dem En­de der 1840er Jah­re wa­ren im­mer grö­ße­re Er­fol­ge auf dem Ge­biet des Or­gel­baus zu ver­bu­chen, so dass die­ser Zweig des Un­ter­neh­mens 1869 als ei­gen­stän­di­ges Un­ter­neh­men wei­ter­ge­führt wur­de. Der jun­ge Pe­ter Adolf Ru­dolf Ibach (1843-1892), der nach dem Tod sei­nes Va­ters 1863 das Kern­ge­schäft über­nahm, führ­te un­ter dem Na­men „Rud. Ibach Sohn“ den Be­reich Kla­vier- und Flü­gel­bau fort. Un­ter sei­ner Lei­tung voll­zog sich der Wan­del der Ma­nu­fak­tur hin zur in­dus­tri­ell ar­bei­ten­den Pro­duk­ti­on, wo­mit das Un­ter­neh­men ei­nen in der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung des 19. Jahr­hun­derts ty­pi­schen Schritt tat. Im Rah­men die­ser Ent­wick­lung er­öff­ne­te Pe­ter Adolf Ru­dolf Ibach ei­ne ei­ge­ne Fa­brik in Bar­men so­wie Nie­der­las­sun­gen in Schwelm, Köln und Düs­sel­dorf.

1873 be­kam der Fir­men­in­ha­ber die Ge­le­gen­heit, drei In­stru­men­te zu der in Wien statt­fin­den­den Welt­aus­stel­lung zu schi­cken, wo er mit ei­nem von dem Ber­li­ner Ar­chi­tek­ten Hein­rich Schäf­fer ge­stal­te­ten Flü­gel ei­ne ho­he Aus­zeich­nung er­rang. Auch in spä­te­ren Jah­ren war die Fir­ma Ibach des Öf­te­ren auf Welt­aus­stel­lun­gen ver­tre­ten. Die Tra­di­ti­on, Künst­ler mit der Ge­stal­tung von In­stru­men­ten­ge­häu­sen zu be­auf­tra­gen und De­si­gn­wett­be­wer­be aus­zu­schrei­ben, wur­de eben­falls in die­ser Zeit be­grün­det. Die Kla­vier­samm­lung von Ru­dolf Ibach über­nahm 1906 das Mu­sik­his­to­ri­sche Mu­se­um Köln (Samm­lung Heyer); die­ses wur­de aus fi­nan­zi­el­len Grün­den 1926 nach Leip­zig über­führt, wo ein Gro­ß­teil der Be­stän­de den Krieg über­stan­den hat und heu­te im Mu­sik­in­stru­men­te-Mu­se­um der Uni­ver­si­tät Leip­zig auf­be­wahrt wird. 

Als Pe­ter Adolf Ru­dolf Ibach 1892 über­ra­schend starb, führ­ten zu­nächst sei­ne Wit­we Hul­da (1845-1921) und spä­ter sein Schwa­ger Wal­ter das Ge­schäft fort. Un­ter ih­rer Lei­tung ex­pan­dier­te das Un­ter­neh­men. Von den zahl­rei­chen Neue­run­gen, wel­che Ibach in die­ser Zeit auf den Markt brach­te, sei hier ex­em­pla­risch der Ibach-Wel­te-Flü­gel 1923 ge­nannt: Bei dem Pa­tent der Fir­ma Wel­te han­del­te es sich um ei­ne Ap­pa­ra­tur im In­ne­ren des Flü­gels, mit de­ren Hil­fe ein auf Pa­pier­rol­len ge­stanz­ter No­ten­text mit Druck­luft ab­ge­tas­tet wer­den konn­te, wo­durch die Kla­vie­re von al­lein spiel­ten. Die­se ef­fekt­vol­len In­stru­men­te wa­ren zu ih­rer Zeit be­kannt, aber auch preis­lich recht ex­klu­siv. Ge­le­gent­lich fan­den Auf­füh­run­gen mit Wel­te-In­stru­men­ten in Kon­zert­sä­len statt.

Als Bei­spie­le für noch spe­zi­el­le­re Ni­schen­pro­duk­te sei­en hier das Jan­kó-Kla­vier so­wie das Drit­tel­ton­kla­vier ge­nannt: Bei ei­nem Jan­kó-Kla­vier sind die Tas­ten in meh­re­ren Rei­hen ter­ras­sen­för­mig und gleich­be­rech­tigt ne­ben­ein­an­der an­ge­ord­net, was dem Spie­ler be­stimm­te Grif­fe und Läu­fe deut­lich er­leich­tert. Die ho­hen War­tungs­kos­ten für die emp­find­li­che Me­cha­nik tru­gen aber wohl da­zu bei, dass sich das Sys­tem lang­fris­tig nicht durch­setz­te. Ein von Ibach ge­bau­ter Jan­kó-Flü­gel war bis zum Zwei­ten Welt­krieg in vie­len deut­schen Kon­zert­sä­len zu hö­ren. Der Er­fin­der Paul von Jan­kó (1856-1919) hielt 1886 bei Ibach in Bar­men ei­nen öf­fent­li­chen Vor­trag über die nach ihm be­nann­te Kla­via­tur. Eben­falls im Rhein­land, näm­lich in Aa­chen, fand am 25.9.1936 ein Kon­zert statt, bei dem der Pia­nist Wal­ter Reh­berg (1900-1957) das von ihm kom­po­nier­te „Kon­zert für Jan­ko­kla­vier und Or­ches­ter“ un­ter Lei­tung des da­mals noch we­nig be­kann­ten Di­ri­gen­ten Her­bert von Ka­ra­jan (1908-1989) auf­führ­te.[5] Das Drit­tel­ton-Kla­vier der Fir­ma Ibach war 1930 von Al­bert Schulz (1864-1931) aus Rhe­ydt (heu­te Stadt Mön­chen­glad­bach) kon­stru­iert wor­den, der für Ibach zu­vor auch ei­ne so­ge­nann­te Strah­len­kla­via­tur in Form ei­nes Kreis­aus­schnitts ent­wi­ckelt hat­te. Sein Drit­tel­ton-Kla­vier teil­te wie in der in­di­schen Tem­pel­mu­sik vor­ge­ge­ben die Ok­ta­ve in 16 Ton­stu­fen ein und nicht wie in Eu­ro­pa in zwölf. Mit dem In­stru­ment soll­ten die Ex­port­chan­cen auf dem in­di­schen Markt ver­bes­sert wer­den, da es auf die­sem bis­her kaum Ab­satz­mög­lich­kei­ten ge­ge­ben hat­te. Ein Drit­tel­ton­kla­vier mit sie­ben Ok­ta­ven wur­de 1931 in Rhe­ydt auf­ge­stellt, wo es der Er­bau­er in­ter­es­sier­ten Be­su­chern vor­führ­te.[6]

Fotografie des Ehepaars P. A. Rudolf und Hulda Ibach. (Archiv der Firma RUD. IBACH SOHN GmbH & Co. KG)

 

Die Of­fen­heit für Ex­pe­ri­men­te und Neue­run­gen präg­ten das Image der Fir­ma Ibach mit, aber der grö­ß­te Teil des Um­sat­zes wur­de da­durch er­zielt, dass man den Markt ent­spre­chend den Wün­schen der Be­völ­ke­rung be­dien­te. In der Zeit vor dem Ers­ten Welt­krieg er­reich­te die Fir­ma „Rud. Ibach Sohn“ Spit­zen­ver­kaufs­zah­len; hun­der­te von Mit­ar­bei­tern stell­ten jähr­lich bis zu 5.000 Kla­vie­re und Flü­gel her. Die Un­ter­neh­mer­fa­mi­lie wuss­te durch­aus, dass die­se Pro­duk­ti­ons­zah­len und die gleich­blei­ben­de Qua­li­tät der In­stru­men­te von den Leis­tun­gen und der Loya­li­tät der hoch­spe­zia­li­sier­ten Hand­wer­ker in den Be­trie­ben ab­hin­gen. Ih­re Wert­schät­zung zeig­te die Ge­schäfts­füh­rung durch ei­nen ho­hen Lohn, die Zah­lung von Prä­mi­en und die ver­gleichs­wei­se frü­he Ein­rich­tung ei­ner Fir­men­kran­ken­kas­se. Die fi­nan­zi­ell gu­te Po­si­ti­on der „Iba­cher“ trug ih­nen im Volks­mund den Na­men „Ar­bei­ter im Steh­kra­gen“ ein.[7] Vor die­sem Hin­ter­grund über­rascht es nicht, dass es un­ter den Mit­ar­bei­tern vie­le gab, die über Ge­ne­ra­tio­nen hin­weg für das Un­ter­neh­men tä­tig wa­ren.

Be­deut­sam für den Er­folg war es auch, dass es dem Un­ter­neh­men ge­lang, im­mer wie­der neue Ab­satz­märk­te zu er­schlie­ßen: an­fangs in den Nie­der­lan­den, im Nie­der­rhein­ge­biet so­wie im Sie­ger- und Sau­er­land; et­wa ab Mit­te des 19. Jahr­hun­derts wur­den er­folg­reich in­ter­na­tio­na­le Han­dels­be­zie­hun­gen auf­ge­baut und spä­ter über die Gren­zen von Eu­ro­pa hin­aus auch mit Aus­tra­li­en und Süd­ame­ri­ka.

Wie vie­le Kla­vier­bau­er der Zeit hat­te Ibach ei­ni­ge Kon­zert­sä­le oder auch gan­ze Ver­an­stal­tungs­häu­ser in Deutsch­land mit sei­nem Na­men ge­schmückt. Au­ßer in Städ­ten wie Köln und Bar­men gab es bei­spiels­wei­se in Düs­sel­dorf ei­nen Ibach-Saal, der 1900 von dem Teil­ha­ber des Kla­vier­ge­schäf­tes Cons­tans Hei­ners­dorff (1874-1935) in Zu­sam­men­ar­beit mit dem Un­ter­neh­men ge­baut wor­den war. Der für sei­ne Akus­tik be­kann­te Saal be­fand sich im Ibach-Haus, das güns­tig zwi­schen Knei­pen, Tanz­lo­ka­len und an­de­ren Ver­an­stal­tungs­or­ten ge­le­gen war und in dem au­ßer­dem meh­re­re mu­si­ka­li­sche Ver­ei­ne ih­ren Sitz hat­ten. Das ganz im Ju­gend­stil er­bau­te Ibach-Haus wur­de 1943 bei ei­nem Bom­ben­an­griff zer­stört und nicht mehr auf­ge­baut. Im heu­ti­gen Düs­sel­dor­fer Stadt­mu­se­um trägt der Ver­an­stal­tungs­raum wie­der den Na­men Ibach-Saal.

Abbildung des Weltausstellungsmodells der Firma Ibach aus dem Jahr 1873 mit dem die Firma die höchste Auszeichnung erringen konnte. (Archiv der Firma RUD. IBACH SOHN GmbH & Co. KG)

 

Zur Po­pu­la­ri­tät und Ver­brei­tung des Un­ter­neh­mens trug dar­über hin­aus ma­ß­geb­lich bei, dass vie­le be­rühm­te Kom­po­nis­ten und Pia­nis­ten Ibachs In­stru­men­te schätz­ten. Zu den be­ken­nen­den An­hän­gern ge­hör­ten im 19. Jahr­hun­dert Künst­ler wie Franz Liszt (1811-1886), Ri­chard Wag­ner (1813-1883), Jo­han­nes Brahms (1833-1897), Cla­ra Schu­mann (1819-1896), spä­ter ka­men Na­men wie Ri­chard Strauss (1864-1949), Max Re­ger (1873-1916), Ar­nold Schön­berg (1874-1951), Be­la Bar­tok (1881-1945) und Hans Wer­ner Hen­ze (1926-2012) hin­zu. Ih­re Sym­pa­thie für die Ibach-In­stru­men­te wur­de na­tür­lich ger­ne für Wer­be­maß­nah­men ge­nutzt, wo­für die ste­tig wach­sen­de Be­richt­er­stat­tung in der Ta­ges­pres­se und in Fach­zeit­schrif­ten ein Fo­rum bot: Nicht nur Kri­ti­ken über ein­zel­ne Kon­zert­aben­de, son­dern Be­rich­te über Mu­sik­fes­te, mu­si­ka­li­sche Wett­be­wer­be, Ver­an­stal­tungs­or­te, Mu­si­ker, Kom­po­nis­ten eben­so wie über ih­re Wer­ke und In­stru­men­te fin­den sich in gro­ßer Zahl in den Me­di­en des 19. Jahr­hun­derts.

3. Die Firma Ibach nach dem Ersten Weltkrieg

Nach dem Ers­ten Welt­krieg kam es zu ein­schnei­den­den Ver­än­de­run­gen für die Kla­vier­her­stel­ler und Kla­vier­händ­ler: In vie­len Tei­len der Welt dräng­ten ame­ri­ka­ni­sche An­bie­ter auf den Markt, mit Russ­land und dem Bal­ti­kum fie­len wich­ti­ge Ex­port­län­der weg und dar­über hin­aus ver­än­der­ten tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen die Nach­fra­ge nach Kla­vie­ren dau­er­haft. Mu­sik­au­to­ma­ten, Gram­mo­pho­ne und ins­be­son­de­re das Ra­dio führ­ten da­zu, dass das Mu­si­zie­ren im ei­ge­nen Heim all­mäh­lich an Be­deu­tung ver­lor. Durch den Ton­film schwand au­ßer­dem nach und nach der Be­darf an Kla­vie­ren, die in klei­ne­ren Ki­nos zur mu­si­ka­li­schen Un­ter­ma­lung von Stumm­fil­men ge­braucht wor­den wa­ren. Auch die zu­neh­men­de Be­geis­te­rung der Ge­sell­schaft für Sport und das Ki­no tru­gen da­zu bei: Wäh­rend frü­her Kla­vie­re und Flü­gel als Sta­tus­sym­bol in der bür­ger­li­chen Fa­mi­lie An­se­hen ge­nos­sen hat­ten, über­nahm die­se Rol­le nun das Au­to.

Der Ers­te Welt­krieg führ­te bei der Fir­ma Ibach zu Pro­duk­ti­ons­aus­fäl­len, da Roh­stof­fe fehl­ten und Mit­ar­bei­ter ein­be­ru­fen wur­den. Ab Jah­res­en­de 1914 er­schien die so­ge­nann­te „Ibach-Kriegs-Zei­tun­g“, wor­in Nach­rich­ten über An­ge­hö­ri­ge der Fir­ma und ih­rer Ge­schäfts­part­ner im Kriegs­dienst ver­öf­fent­licht wur­den.[8] In der Zeit zwi­schen dem Krieg und der Welt­wirt­schafts­kri­se er­hol­te sich Ibach vor­über­ge­hend. Die Pro­duk­ti­on der Jah­re pass­te man an den Markt an, in­dem statt gro­ßer Aus­stat­tungs- und De­si­gner­in­stru­men­te ver­mehrt Klein­kla­vie­re ge­baut wur­den, die in we­ni­ger ge­räu­mi­gen Woh­nun­gen bes­ser Platz fan­den. Ab 1929 wur­de ein sol­ches Klein­kla­vier mit ei­ner Hö­he von nur 101 Zen­ti­me­tern pro­du­ziert.[9] 

Re­kla­me in Zeit­schrif­ten die­ser Jah­re zeigt, dass Ibach im Kon­zert- und Wirt­schafts­le­ben nach wie vor prä­sent war. Als Wer­bung be­dien­te sich das Un­ter­neh­men ähn­li­cher Stra­te­gi­en wie an­de­re Kla­vier­bau­er: So ver­kauf­te Ibach bei­spiels­wei­se In­stru­men­te zu Son­der­kon­di­tio­nen an Kon­zert­sä­le und Kon­zert­ver­an­stal­ter, be­stück­te Mu­sik­schu­len und stif­te­te Flü­gel als Prei­se für Lot­te­ri­en und Wett­be­wer­be.

Die Welt­wirt­schafts­kri­se ab 1929 traf den ge­sam­ten Kla­vier­markt hart und zahl­rei­che klei­ne­re deut­sche Her­stel­ler ver­schwan­den von der Bild­flä­che. Ibach und ei­ni­ge an­de­re gro­ße Fir­men wie Bech­stein, Blüth­ner und Grotri­an-Stein­weg über­stan­den die Kri­se, wo­bei sie al­le je­doch mas­si­ve Ver­lus­te hin­neh­men muss­ten.[10] So ver­lor Ibach sei­ne Nie­der­las­sun­gen in Köln und Ber­lin mit­samt den Kon­zert­sä­len.

Über rhei­ni­sche Kla­vier­b­au­fir­men in der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus exis­tiert ge­ne­rell nur sehr we­nig Li­te­ra­tur; die Ge­schich­ten ein­zel­ner Fir­men sind kaum auf­ge­ar­bei­tet. Über das Un­ter­neh­men Ibach bleibt fest­zu­hal­ten, dass wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs ein Gro­ß­teil der Be­leg­schaft zum Mi­li­tär­dienst ein­ge­zo­gen wur­de und dass kaum noch ein Neu­bau von In­stru­men­ten statt­fand. Sei­nen Pro­duk­ti­ons­schwer­punkt leg­te Ibach auf sein Werk in Schwelm und kon­so­li­dier­te das Un­ter­neh­men durch Im­mo­bi­li­en­ver­käu­fe.

Die Rol­le, die das Kla­vier im Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ten­den­zi­ell spiel­te, lässt ge­wis­se all­ge­mei­ne Rück­schlüs­se zu, die sich auf die Si­tua­ti­on des Un­ter­neh­mens Ibach in die­ser Zeit eben­so wie auf an­de­re Kla­vier­b­au­fir­men aus­ge­wirkt ha­ben dürf­ten.

Zwar wur­de das häus­li­che Mu­si­zie­ren von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten wei­ter­hin ge­för­dert, wo­von bei­spiels­wei­se die seit 1933 re­gel­mä­ßig be­gan­ge­nen „Ta­ge der Haus­mu­si­k“ Zeug­nis ab­le­gen – ein Kon­text, aus dem das Kla­vier nicht weg­zu­den­ken war –, doch zu­gleich wur­den ge­zielt mit Marsch­mu­sik as­so­zi­ier­te, volks­tüm­li­che und frei­luft­taug­li­che In­stru­men­te wie die Flö­te, die Gi­tar­re und die Zieh­har­mo­ni­ka in der Be­völ­ke­rung pro­pa­giert. Ob­wohl die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten das Kla­vier auf­grund sei­ner Rol­le als bür­ger­li­ches Sta­tus­sym­bol des 19. Jahr­hun­derts ten­den­zi­ell eher zu­rück­zu­drän­gen ver­such­ten, war die Nach­fra­ge nach den In­stru­men­ten im­mer noch groß. Ex­em­pla­risch soll die Markt­la­ge für das Jahr 1938 in Düs­sel­dorf her­aus­ge­grif­fen wer­den: In die­sem Jahr las­sen sich laut dem amt­li­chen Adress­buch im­mer­hin noch 31 selb­stän­di­ge Kla­vier­bau­er nach­wei­sen, die über das Stadt­ge­biet ver­teilt ih­re Pro­duk­ti­ons­stät­ten hat­ten. Dar­un­ter fin­den sich als das äl­tes­te Un­ter­neh­men der Kla­vier­ma­cher Reu­ter, des­sen Tä­tig­keit laut Adress­buch schon 1826 be­gon­nen hat­te. Die meis­ten der auf­ge­führ­ten An­bie­ter wa­ren ent­spre­chend der Zeit und in Ab­kehr von den Ge­pflo­gen­hei­ten des 19. Jahr­hun­derts voll­stän­dig auf den Kla­vier­bau spe­zia­li­siert. Ei­ne Fir­ma wie Oth­mer und Wild­förs­ter, die ne­ben selbst ge­fer­tig­ten Kla­vie­ren auch „feu­er­fes­te Geld­schrän­ke, De­zi­mal­wa­gen und Guß­wa­ren“ ver­kauf­te, war ei­ne Aus­nah­me. 

Mit dem Be­ginn des Zwei­ten Welt­kriegs wur­de die Be­schaf­fung von not­wen­di­gen Ma­te­ria­li­en für den Kla­vier­bau wie Holz und Me­tall je­doch zu­neh­mend schwie­rig. Ei­ne Me­tall­be­schlag­nah­mung von Blei, Kup­fer und Mes­sing bei Er­zeu­gern, Händ­lern und Ver­ar­bei­tern im März 1942 ließ die Prei­se für Ge­braucht­in­stru­men­te mas­siv an­stei­gen, was in der Fol­ge die Zahl von Kla­vier­schü­lern und da­mit die da­zu­ge­hö­ri­ge In­dus­trie ver­rin­ger­te. Ab dem 28.4.1942 durf­ten Mu­sik­in­stru­men­te für den In­lands­be­darf über­haupt nicht mehr her­ge­stellt wer­den (Aus­nah­men wa­ren nur in we­ni­gen Fäl­len mög­lich), und ab Fe­bru­ar 1943 wur­de schlie­ß­lich der Kla­vier- und Mu­sik­in­stru­men­ten­han­del auf amt­li­che An­wei­sung kom­plett ge­schlos­sen.

In der Nach­kriegs­zeit zeig­te sich ein grund­le­gen­der Wan­del der Rol­le, die das Kla­vier in Ge­sell­schaft und Kon­zert­be­trieb ein­nahm. An­ders als im 19. Jahr­hun­dert wa­ren bau­tech­nisch kaum noch wirk­li­che Neue­run­gen zu be­ob­ach­ten. Das Prin­zip des Kla­viers wur­de al­ler­dings auf elek­tro­ni­sche In­stru­men­te über­tra­gen, die dann im Jazz, in der Un­ter­hal­tungs­mu­sik und der Neu­en Mu­sik zum Ein­satz ka­men – bis hin zum Syn­the­si­zer, der über ei­ne Kla­vier­tas­ta­tur, aber auch oh­ne die­se be­dient wer­den konn­te. Ge­ra­de auf dem Ge­biet der Neu­en Mu­sik ex­pe­ri­men­tier­ten Kom­po­nis­ten gern mit elek­tro­ni­schen Klän­gen und schu­fen Wer­ke, in de­nen der ty­pi­sche Vir­tuo­se des 19. Jahr­hun­derts kei­nen Platz mehr hat­te.

Abbildung des Ibachs Flügel Nr. 7.000 auf dem Richard Wagner 1879/80 in Neapel Teile des "Parsifal" komponierte. (Archiv der Firma RUD. IBACH SOHN GmbH & Co. KG)

 

Die Fir­ma Ibach nahm 1947 ih­ren Be­trieb wie­der auf. Das Werk in Schwelm hat­te den Krieg über­stan­den, so dass zu Be­ginn der 1950er Jah­re un­ter Lei­tung Adolf (1911-1999) und Mar­grit (1914-1995) Ibach die Pro­duk­ti­on von Neu­in­stru­men­ten wie­der an­ge­kur­belt wer­den konn­te. Die Zeit des Wirt­schafts­wun­ders führ­te zu ei­ner er­höh­ten Nach­fra­ge nach Kla­vie­ren und da­mit bei der Fir­ma Ibach wie­der zu wirt­schaft­li­chem Er­folg. 1956 konn­te das Un­ter­neh­men die Fer­tig­stel­lung sei­nes 100.000. In­stru­ments fei­ern. Ab dem En­de der 1960er Jah­re dräng­ten je­doch im­mer mehr asia­ti­sche Kla­vier­her­stel­ler auf den eu­ro­päi­schen Markt, so dass Ibach – wie prak­tisch al­le deut­schen Pro­du­zen­ten – auf die­se Kon­kur­renz re­agie­ren muss­te. In den 1980er Jah­re ging Ibach ei­ne Ko­ope­ra­ti­on mit der Fir­ma Dae­woo in Süd­ko­rea ein und ließ dort pro­du­zie­ren – ein Schritt, der von man­chen für den Nie­der­gang des Un­ter­neh­mens mit ver­ant­wort­lich ge­macht wur­de. Das 200-jäh­ri­ge Ju­bi­lä­um der Fir­ma Ibach Kla­vier­bau wur­de 1994 mit gro­ßem Echo in der Öf­fent­lich­keit ge­fei­ert, der Red­ner der Fest­an­spra­che war kein ge­rin­ge­rer al­s Jo­han­nes Rau (1931-2006). Aus die­sem An­lass knüpf­te das Un­ter­neh­men an die Tra­di­ti­on an, un­ge­wöhn­li­che De­signs auf den Markt zu brin­gen, und ließ von dem ame­ri­ka­ni­schen Ar­chi­tek­ten Ri­chard Mei­er (ge­bo­ren 1934) ei­nen Flü­gel mit recht­ecki­gem Ge­häu­se ent­wer­fen, der 1998 der Öf­fent­lich­keit vor­ge­stellt wur­de. 2005 über­nahm Sa­bi­ne Fal­ke ge­bo­re­ne Ibach als Ver­tre­te­rin der sieb­ten Ge­ne­ra­ti­on der Fa­mi­lie die Lei­tung der Fir­ma, muss­te aber be­reits im De­zem­ber 2007 die Pro­duk­ti­on von Neu­in­stru­men­ten of­fi­zi­ell ein­stel­len, da die­se un­ter­neh­me­risch nicht mehr zu ver­tre­ten war.

4. Die Klavierindustrie im Rheinland

Die An­zahl an­de­rer Kla­vier­bau­er ne­ben Ibach und den Un­ter­neh­men der an­ge­glie­der­ten Wirt­schafts­zwei­ge im Rhein­land ist un­über­schau­bar. Die Ge­schich­te der meis­ten Fir­men lässt sich, wenn über­haupt, nur an­satz­wei­se re­kon­stru­ie­ren, da vie­le von ih­nen nur kur­ze Zeit auf dem Markt Fuß fas­sen konn­ten. Doch selbst zu Fir­men, die über ei­nen län­ge­ren Zeit­raum be­stan­den, fin­den sich meist nur ver­ein­zel­te In­for­ma­tio­nen in Ta­ges­zei­tun­gen, Adress­bü­chern oder in städ­ti­schen Ar­chi­ven. Aus­führ­li­che Fir­men­bio­gra­phi­en oder gar ein ei­ge­nes Ar­chiv sind Aus­nah­men. 

Im Lau­fe des 19. Jahr­hun­derts ent­wi­ckel­te sich par­al­lel zu den ei­gent­li­chen Kla­vier­bau­ern ein dich­tes Netz­werk von Händ­lern und Zu­lie­ferer­be­trie­ben, wel­che auf die Fer­ti­gung kom­plet­ter Tei­le spe­zia­li­siert wa­ren, zum Bei­spiel Kla­via­tu­ren, aber auch Ein­zel­tei­le ver­kauf­ten wie Höl­zer, El­fen­bein, Sai­ten, Schar­nie­re, Pe­da­le, Be­schlä­ge, Fil­ze, Fe­dern, Schlös­ser, Lam­pen, Spe­zi­al­werk­zeu­ge, La­cke und Fir­men­schil­der. Die viel­fäl­ti­gen Han­dels­be­zie­hun­gen eben­so wie die Kon­kur­renz zwi­schen den Kla­vier­bau­ern und mit der Bran­che as­so­zi­ier­ten An­bie­tern wuchs in glei­chem Ma­ße, wie Ei­sen­bah­nen und Dampf­schif­fe den Trans­port der In­stru­men­te in ent­le­ge­ne­re Ge­bie­te er­mög­lich­ten und durch Ta­ges- und Fach­pres­se so­wie durch Aus­stel­lun­gen über­re­gio­nal für die Fir­men ge­wor­ben wer­den konn­te.

Der Kla­vier­bau be­gann sich schon früh im Rhein­land als Wirt­schafts­zweig zu eta­blie­ren, wo­für es zwei Bei­spie­le gibt, die so­gar noch vor der Grün­dung des Un­ter­neh­mens Ibach 1794 nach­weis­bar sind: So in­se­rier­te ein Herr Fal­ler in Neuss 1787 mit fol­gen­der An­zei­ge: „Cas­par Fal­ler zu Neuß auf dem Bü­chel woh­nend, ver­fer­tigt und re­pa­riert al­ler Ar­ten Cla­vier auf ganz neue Eng­li­sche Art, hat auch wirk­lich 3 fer­tig. Er re­com­men­dirt sich bes­tens und bit­tet um ge­neig­ten Zu­spruch, al­les im bil­ligs­ten Preiß.“[11] Ein Ta­fel­kla­vier von Fal­ler aus dem Jahr 1799 wur­de 2004 für das Cle­mens-Sels-Mu­se­um in Neuss re­stau­riert. In der Zeit zwi­schen 1780 und 1790 war au­ßer­dem Herr Jo­hann Fried­rich Hoff­mann in Kle­ve als Kla­vier­bau­er tä­tig. In­stru­men­te aus sei­ner Werk­statt sind in Mu­se­en in Brüs­sel, Wa­shing­ton und Cher­ry Val­ley (Ka­li­for­ni­en) zu se­hen.

Von gro­ßer Be­deu­tung für den rhei­ni­schen Kla­vier­bau war das Un­ter­neh­men Eck & Comp. be­zie­hungs­wei­se spä­ter Eck & Lef­eb­v­re[12], wel­ches von 1839 bis 1848 in Köln ak­tiv und als Kon­kur­rent Ibachs ei­ner der grö­ß­ten Kla­vier­bau­be­trie­be in Preu­ßen vor 1850 war. 1839 wur­de das Un­ter­neh­men Eck & Comp. von Jo­hann Ja­kob Eck (1809-1849) er­öff­net, ein Jahr spä­ter stieg sein Ju­gend­freund, der Kauf­mann Jo­seph Ma­ria Lef­eb­v­re (1807-1871), als Ge­schäfts­part­ner mit ein. Die Pro­duk­ti­on der In­stru­men­te und auch sämt­li­cher Be­stand­tei­le fand un­ter ei­nem Dach statt. Mit sei­ner klang­li­chen Äs­the­tik ori­en­tier­ten sich Eck und Lef­eb­v­re stark an Frank­reich, wie fol­gen­des Zi­tat an­läss­lich der Teil­nah­me an der Ber­li­ner Ge­wer­be­aus­stel­lung im Jah­re 1844 ver­deut­licht: „Die Kon­struk­ti­on des zur Aus­stel­lung ge­lie­fer­ten Flü­gels im Prei­se von 600 Rth­lr. ist der Pa­ri­ser Er­ard­schen nach­ge­bil­det. Der Ton ist im­po­ni­rend, wenn auch nicht über­all von gleich rei­cher An­spra­che. Die Spiel­art will ge­kannt und ge­übt sein. Das in sei­ner To­ta­li­tät vor­züg­lich zu nen­nen­de In­stru­ment macht der noch jun­gen Fa­brik, die bald auf die all­ge­meins­te An­er­ken­nung rech­nen darf, al­le Eh­re, und lä­ßt fer­ner be­deu­ten­de Leis­tun­gen der­sel­ben er­war­ten."[13] Auf der Aus­stel­lung er­rang Eck & Comp. ei­ne Gold­me­dail­le und be­kam das Prä­di­kat „Hof­lie­fe­rant des Prin­zen von Preu­ßen“, des spä­te­ren Kai­sers Wil­helm I. (1797-1888). In­ner­halb von Köln war das Un­ter­neh­men be­kannt und in der Be­völ­ke­rung gut ver­netzt. Hier­zu leis­te­te si­cher­lich ei­nen Bei­trag, dass der 1842 ge­grün­de­te po­pu­lä­re Köl­ner Ge­sangs­ver­ein sich an­fangs in den Ge­schäfts­räu­men der Fir­ma ein­mie­te­te. Auch die Kon­tak­te zu meh­re­ren Be­rühmt­hei­ten der Zeit wuss­te das Un­ter­neh­men wohl zu nut­zen: Ne­ben dem Pia­nis­ten Si­gis­mund Thal­berg (1817-1871) ist hier ins­be­son­de­re Franz Liszt zu nen­nen, mit dem Lef­eb­v­re be­freun­det war und den er mit dem Köl­ner Dom­bau­ver­ein be­kannt ge­macht hat­te. Die­ser In­itia­ti­ve war es zu ver­dan­ken, dass Liszt 1841 ein Be­ne­fiz­kon­zert zu Guns­ten der Fer­tig­stel­lung des Do­mes gab. Der Kom­po­nist Joa­chim Raff (1822-1882) wur­de von Eck und Lef­eb­v­re zwi­schen 1845 und 1846 ver­pflich­tet, ih­re In­stru­men­te zu vor­füh­ren, und auch ei­ni­ge Ade­li­ge, die bald zur Kund­schaft ge­hör­ten, wur­den wer­be­wirk­sam ein­ge­setzt. Trotz gro­ßer wirt­schaft­li­cher Er­fol­ge konn­te das Un­ter­neh­men, das 1847 70 Mit­ar­bei­ter ge­habt hat­te, den schwin­den­den Ab­satz in der Wirt­schafts­kri­se vor der Re­vo­lu­ti­on 1848/1849 nicht ver­kraf­ten. 1848 muss­ten Eck und Lef­eb­v­re Kon­kurs an­mel­den.

1840 grün­de­te der in Wien aus­ge­bil­de­te Kla­vier­bau­er Jo­hann Bern­hard Klems (1812-1872) in Düs­sel­dorf sein ei­ge­nes Un­ter­neh­men. Rasch er­warb er sich den Ti­tel „Ho­finstru­men­ten­ma­cher“, den er wie an­de­re Kla­vier­bau­er auch als Wer­bung nutz­te. Sei­ne In­stru­men­te wur­den von vie­len be­kann­ten Kom­po­nis­ten und Mu­si­kern ge­schätzt wie bei­spiels­wei­se Fe­lix Men­dels­sohn Bar­thol­dy (1809-1847), der seit sei­ner Tä­tig­keit als Städ­ti­scher Mu­sik­di­rek­tor in Düs­sel­dorf (zwi­schen 1833 und 1835) der Stadt und ge­ne­rell dem Rhein­land ver­bun­den war. Auch Ro­bert Schu­mann, sei­ne Frau Cla­ra und der mit dem Ehe­paar be­freun­de­te Jo­han­nes Brahms wa­ren um die Mit­te des 19. Jahr­hun­derts in ih­ren Düs­sel­dor­fer Jah­ren mit Klems be­kannt ge­wor­den, schätz­ten sei­ne In­stru­men­te und wa­ren in sei­ner Werk­statt und sei­nem Sa­lon zu Gast. Ro­bert Schu­mann mach­te sei­ner Frau an­läss­lich ih­res Ge­burts­tags 1853 ei­nen Klems-Flü­gel zum Ge­schenk.

Im Jahr 1851 reis­te Klems nach Lon­don zur ers­ten Welt­aus­stel­lung und prä­sen­tier­te dort ei­nen Flü­gel nach der Bau­art „Er­ar­d“. Die Ori­en­tie­rung an der fran­zö­si­schen Bau­wei­se war in Deutsch­land für sei­ne Zeit recht mo­dern. 1880 bei der gro­ßen Ge­wer­be­aus­stel­lung in Düs­sel­dorf wur­de das Un­ter­neh­men mit dem ers­ten Staats­preis aus­ge­zeich­net. Die Fir­ma war re­nom­miert und die Klems-Kla­vie­re wur­den für ih­ren aus­ge­gli­che­nen und cha­rak­te­ris­ti­schen Klang sehr ge­schätzt, wo­bei es je­doch auch Stim­men gab, wel­che die „emi­nent ho­hen Prei­se“ für nicht recht an­ge­mes­sen hiel­ten. Nach Klems‘ Tod 1872 über­nahm sei­ne Wit­we und 1878 dann sein Sohn Ed­mund Klems das Un­ter­neh­men, das noch bis min­des­tens 1899 be­stand.

Ne­ben Ibach und Eck & Lef­eb­v­re kon­kur­rier­ten auch an­de­re Kla­vier­bau­er um pro­mi­nen­te Künst­ler und be­son­ders um den be­rühm­ten Franz Liszt. In der Re­gi­on Bar­men wirk­te seit 1849 die Pia­no­fa­brik Höh­le Söh­ne G. A..[14] Der Grün­der Ge­org Adam Höh­le (1809-1879) pro­du­zier­te selbst, ver­kauf­te aber auch an­de­re In­stru­men­te. Für sei­nen lang­jäh­ri­gen Er­folg wa­ren wohl kaum nur sei­ne eif­rig be­wor­be­nen „mäu­se­si­che­ren Pia­ni­nos und Har­mo­ni­um­s“ ver­ant­wort­lich. Auch konn­te er sich rüh­men, mit sei­nen Kla­vie­ren Franz Liszt be­lie­fert zu ha­ben, der in der Tat bei ei­nem Wei­ma­rer Hof­kon­zert wie auch bei ei­ner Pri­vat­soi­rée auf In­stru­men­ten von Höh­le ge­spielt hat­te, was er die­sem 1878 als Dank für ein Kla­vier in ei­nem Schrei­ben of­fi­zi­ell be­stä­tig­te. Auch Ibach warb spä­ter mit sei­nen gu­ten Kon­tak­ten zu dem be­rühm­ten Vir­tuo­sen, doch zu die­ser Zeit gab Liszt noch den Kla­vie­ren der Fir­ma Höh­le den Vor­zug. Das Un­ter­neh­men wur­de nach Höh­les Tod von sei­nen Söh­nen wei­ter­ge­führt. Da die­se kin­der­los star­ben, blieb die Fir­ma nicht dau­er­haft in Fa­mi­li­en­hand. Un­ter Lei­tung ei­nes neu­en Be­sit­zers war sie noch bis 1964 ak­tiv.

Un­über­schau­bar war die An­zahl von Pa­ten­ten, die im Lau­fe der Zeit von Kla­vier­bau­ern im Rhein­land an­ge­mel­det wur­den, wo­bei je­doch längst nicht je­de Neu­heit auf die­sem Ge­biet auch wirk­lich un­ter Pa­tent­schutz ge­stellt wur­de. Aus heu­ti­ger Per­spek­ti­ve wir­ken man­che der In­no­va­tio­nen et­was ge­wöh­nungs­be­dürf­tig, doch die Zeit brach­te es mit sich, dass neue bau­tech­ni­sche An­sät­ze auf dem Markt er­probt wur­den: Ein um 1837 in Neuss ak­ti­ver Kla­vier­bau­er bei­spiels­wei­se mit Na­men Sta­de­ler – ei­ner der zahl­rei­chen, über des­sen Wir­ken kei­ne nä­he­ren In­for­ma­tio­nen vor­lie­gen –, ver­such­te, mit ei­ner Er­fin­dung Per­so­nen zu ei­nem Kla­vier zu ver­hel­fen, in de­ren Haus für ein han­dels­üb­li­ches In­stru­ment zu we­nig Platz war. Ein Ar­ti­kel von 1837 wies nicht oh­ne Stolz dar­auf hin, dass die­se rhei­ni­sche Er­fin­dung in der Köl­ner In­stru­men­ten­hand­lung Bruch und Al­men­rä­der zu be­sich­ti­gen sei: Dort ste­he ein be­son­de­res „Pia­ni­n­o“, „wel­che man bis jetzt nur in Pa­ris und in Lon­don zu fa­briz­i­ren pfleg­te, und die ein deut­scher Künst­ler, Na­mens Sta­de­ler, der in ers­term Or­te sich bei den vor­züg­lichs­ten Meis­tern aus­ge­bil­det, von dort nach Deutsch­land zu ver­pflan­zen sucht. Das Ei­gen­t­hüm­li­che und Werth­vol­le der Er­fin­dung be­steht dar­in, daß das neue In­stru­ment durch Stär­ke und Voll­heit des To­nes al­le Vor­zü­ge und Ei­gen­schaf­ten ei­nes Pa­tent­flü­gels be­sitzt, oh­ne die viel­fa­chen Un­be­quem­lich­kei­ten des­sel­ben. Denn in der Ge­stalt und Grö­ße ei­nes mä­ßi­gen Schreib­se­cretairs lä­ßt es sich im kleins­ten Zim­mer an der Wand auf­stel­len, und kann, auf Rol­len be­fes­tigt, beim Ge­brau­che von je­der Da­men­hand mit Leich­tig­keit ins Zim­mer ge­scho­ben wer­den […] Wie wir hö­ren, hat der wa­cke­re Künst­ler, der aus den Rhein­lan­den ge­bür­tigk ist, meh­re­re sol­cher In­stru­men­te in Ar­beit, und er ver­dient in der That die Auf­mun­te­rung sei­ner Lands­leu­te, da er zu­erst ei­ne so nütz­li­che Er­fin­dung auf den rhei­ni­schen Bo­den ver­pflanzt hat.“[15] 

Ei­ne an­de­re Er­fin­dung mach­te Wil­helm Neu­haus, der seit min­des­tens 1861 als Kla­vier­bau­er und In­stru­men­ten­händ­ler in Duis­burg tä­tig und dort gleich­zei­tig Ver­tre­ter für Ibach-Kla­vie­re war. Nach 1879 wird sein Ge­schäft in den Adress­bü­chern nicht mehr er­wähnt; of­fen­bar ver­leg­te er sei­nen Wir­kungs­schwer­punkt auf sei­ne zwei­te 1840 ge­grün­de­te Kla­vier­fa­brik in Kal­kar, die bis zum En­de des Ers­ten Welt­krie­ges nach­weis­bar ist. 1881 wur­de Neu­haus das Pa­tent mit der Num­mer 16947 für ein „Pia­no­for­te mit kreis­för­mi­ger Tas­ta­tur und kreis­för­mi­ger An­schlag­li­nie“ er­teilt. Ei­ne Re­zen­si­on über das „Pa­tent-Pia­no mit con­cav-ra­diä­rer Kla­via­tur“ be­schrieb, die­ses „ge­stat­tet dem Spie­ler, oh­ne den Ober­kör­per zu be­we­gen, je­de Tas­te mü­he­los zu er­rei­chen. Bei ei­ni­ger Ge­wöh­nung an die neue Kla­via­tur fin­det je­der Spie­ler die al­te un­be­quem.“[16] Trotz des hier her­aus­ge­stell­ten Spiel­kom­forts hat sich das Prin­zip be­kann­ter­ma­ßen nicht durch­ge­setzt.

Ei­nem oft be­schrie­be­nen Pro­blem in den Bür­ger­häu­sern des 19. Jahr­hun­derts, der Be­läs­ti­gung durch ex­zes­si­ves Kla­vier­spiel der Nach­barn, ver­such­te der Kla­vier­bau­er und Mu­sik­ver­le­ger Emil Hö­fing­hoff (1852-1932) aus Bar­men Herr zu wer­den. 1883 mel­de­te er das Pa­tent Nr. 26402 für ei­nen „Har­fen­zug mit Kau­tschuk­plat­ten für Pia­no­for­tes“ an, der ab 1885 als „Hö­fing­hoff-Kla­vier-Ner­ven­scho­ner“ an­ge­bo­ten und auch wirk­lich von meh­re­ren Fir­men ver­baut wur­de.

In zahl­rei­chen Fäl­len kam es je­doch vor, dass Pa­ten­te aus un­ter­schied­lichs­ten Grün­den nicht er­teilt wur­den. Das El­ber­fel­der Un­ter­neh­men Her­de & Zapp un­ter der Lei­tung von An­ton Her­de und Ro­bert Zapp, das 1841 er­wähnt wird und of­fen­bar nur ei­ni­ge Jah­re lang ak­tiv war, reich­te 1846 ein Ge­such um den Pa­tent­schutz für ei­ne „ober­schlä­gi­ge Pia­no­for­te-Me­cha­ni­k“ beim Preu­ßi­schen Staat ein. Da je­doch kurz zu­vor der Kla­vier­bau­er Jo­hann Pe­ter Be­cker aus Win­der­scheid (heu­te Ge­mein­de Rup­pich­te­roth) das glei­che Prin­zip zur Be­gut­ach­tung vor­ge­legt hat­te, be­kam Be­cker le­dig­lich ei­nen Schutz für ei­ne wei­te­re Ver­bes­se­rung, Her­de & Zapp hin­ge­gen über­haupt kein Pa­tent. Ver­gleich­ba­re Kon­kur­renz­kämp­fe zwi­schen Kla­vier­bau­ern, die ver­meint­lich oder wirk­lich bahn­bre­chen­de Er­fin­dun­gen mach­ten, fan­den in gro­ßer Zahl statt.

Bis­wei­len kam es so­gar we­gen un­lau­te­ren Wett­be­werbs zu Ge­richts­ver­fah­ren: So be­trieb bei­spiels­wei­se der Kla­vier­bau­er Er­win We­ver zwi­schen 1885 und 1895 in El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal) sein Kla­vier­ge­schäft. Die­ses mel­de­te er nach ei­ni­ger Zeit auf den Na­men sei­ner Frau an und in­se­rier­te dann für „bil­li­ge“ oder so­gar „spott­bil­li­ge“ Kla­vie­re, die er je­doch von sei­ner Woh­nung aus an­bot, wo­durch er die In­ter­es­sen­ten glau­ben mach­te, er han­de­le als Pri­vat­per­son und nicht als Kauf­mann. Die Täu­schung flog auf, We­ver wur­de vor Ge­richt ge­stellt und zu ei­ner Geld­stra­fe ver­ur­teilt.

Der Wan­del der Rol­le, wel­che das Kla­vier im 20. Jahr­hun­dert spiel­te, wur­de be­reits an­hand der Fir­ma Ibach the­ma­ti­siert. Zwar ging die An­zahl ge­ra­de von klei­ne­ren Un­ter­neh­men zu­nächst nach der Welt­wirt­schafts­kri­se ab 1929 und dann nach dem Zwei­ten Welt­krieg er­heb­lich zu­rück, doch auch nach dem Krieg wur­den im Rhein­land noch neue Un­ter­neh­men ge­grün­det, die mit­un­ter über ei­nen lan­gen Zeit­raum ak­tiv wa­ren. Der Kla­vier­bau­er Mar­tin Sass­mann bei­spiels­wei­se, der ab 1948 sei­ne Aus­bil­dung bei J. C. Neu­pert ab­sol­viert hat­te, be­trieb sei­ne Fir­ma von 1955 bis 2009 in Len­nep/Hü­ckes­wa­gen/Ra­de­vorm­wald und mach­te sich ei­nen Na­men als Spe­zia­list für den Nach­bau his­to­ri­scher In­stru­men­te. Vor al­lem sei­ne Cem­ba­li wa­ren be­kannt, doch er bau­te auch Cla­vichor­de, Vir­gi­na­le und Ham­mer­flü­gel. Ab 1987 fun­gier­te das Un­ter­neh­men als Sass­mann & Kra­mer. 1990 mach­te sich der Ge­schäfts­part­ner Mat­thi­as Kra­mer selb­stän­dig, wo­nach die Fir­ma in Sass­mann GmbH um­be­nannt wur­de. Von 1966 bis 2002 pro­du­zier­te sie in Hü­ckes­wa­gen, wo Sass­mann auch Grün­der der Schloss­kon­zer­te war. Die Fir­men­lei­tung gab er 1992 an sei­nen lang­jäh­ri­gen Mit­ar­bei­ter Gun­ther Karn­stein ab.

Ab­schlie­ßend sei noch die be­son­de­re Kla­vier­kon­struk­ti­on ei­nes vie­le Jah­re in Bonn an­säs­si­gen Kla­vier­bau­ers er­wähnt: Da­vid Kla­vins (ge­bo­ren 1954) ab­sol­vier­te zwi­schen 1971 und 1974 sei­ne Leh­re bei der Fir­ma Schim­mel. 1987 prä­sen­tier­te er sein „Mo­dell 370“, bis heu­te grö­ß­tes Kla­vier der Welt, wel­ches ver­ti­kal ge­baut cir­ca 3,70 Me­ter hoch und et­wa 2 Ton­nen schwer ist. Die Bass­sai­ten kom­men auf die statt­li­che Län­ge von 3 Me­tern. Das In­stru­ment wur­de 2012 von dem Com­pu­ter­pro­gramm „Na­ti­ve In­stru­ments“ ge­sam­pelt und ist als Soft­ware-Ver­si­on er­hält­lich. Die Ent­wick­lung sei­nes „Una Cor­da Pia­nos“ mit nur ei­ner Sei­te pro Ton führ­te 2014 zur Grün­dung der „Kla­vins Pia­no Ma­nu­fak­tur KG“ in Ba­lin­gen/Ba­den-Würt­tem­berg, wo­hin der Er­bau­er um­zog. Ak­tu­ell ar­bei­tet Da­vid Kla­vins an wei­te­ren Neu­kon­struk­tio­nen.

Literatur

Hen­kel, Hu­bert, Le­xi­kon deut­scher Kla­vier­bau­er, Frank­furt a.M. 2000.

Kam­mer­töns, Chris­toph/Mau­ser, Sieg­fried (Hg.), Le­xi­kon des Kla­viers. Bau­ge­schich­te – Spiel­pra­xis – Kom­po­nis­ten und ih­re Wer­ke – In­ter­pre­ten, Li­li­en­thal 2006.

Speer, Flo­ri­an, Kla­vie­re und Flü­gel aus dem Wup­pertha­le - In­stru­men­ten­bau in der Wup­per­re­gi­on und am Nie­der­rhein wäh­rend des 19. Jahr­hun­derts am Bei­spiel der Or­gel- und Kla­vier­bau­er­fa­mi­lie Ibach, Diss. phil. 2000. [On­line]  (letz­ter Auf­ruf: 18.05.2020). Druck un­ter dem Ti­tel: Ibach und die An­de­ren. Rhei­nisch-ber­gi­scher Kla­vier­bau im 19. Jahr­hun­dert, Wup­per­tal 2002. Hier zi­tiert nach der on­line-Aus­ga­be.

Speer, Flo­ri­an, Rud. Ibach Sohn. Welt­äl­tes­te Kla­vier­ma­nu­fak­tur, Er­furt 2006.

Abbildung des 1997 veröffentlichen Entwurfs des Sondermodells von Richard Meier. (Archiv der Firma RUD. IBACH SOHN GmbH & Co. KG)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Sträter, Nina, Der Klavierbau im Rheinland, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-klavierbau-im-rheinland/DE-2086/lido/61922dac245845.96086041 (abgerufen am 26.04.2024)