Der Prozess der nationalsozialistischen Umgestaltung des höheren Schulwesens im „Dritten Reich“ - das Beispiel des Landfermann-Gymnasiums in Duisburg

Marcel Gövert (Düsseldorf)

Ansicht des Altbaus des Landfermann-Gymnasiums, Duisburg, 2010, Foto: Alice Chodura. (CC BY-SA 3.0)

1. Einleitung

Die Ge­stal­tung und die Struk­tur des Bil­dungs­we­sens sind stets eng ver­knüpft mit ge­samt­ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lungs­pro­zes­sen. Po­li­ti­sche, wirt­schaft­li­che und so­zia­le Ver­än­de­run­gen wir­ken sich ent­schei­dend auf Vor­stel­lun­gen von Päd­ago­gik, Di­dak­tik und Dis­zi­plin aus. Ge­ra­de die be­weg­te Ge­schich­te Deutsch­lands im 20. Jahr­hun­dert il­lus­triert die wech­sel­vol­le Be­zie­hung zwi­schen Bil­dung und Po­li­tik. Vor al­lem im Be­reich des hö­he­ren Schul­we­sens kol­li­dier­ten im Lau­fe der Jahr­zehn­te im­mer wie­der tra­di­tio­nel­le Bil­dungs­kon­zep­te mit päd­ago­gi­schen Mo­der­ni­sie­rungs­be­stre­bun­gen.

 

Wie al­le Schu­len hat­te auch das hu­ma­nis­tisch ge­präg­te Land­fer­mann-Gym­na­si­um in Duis­burg die mit ge­sell­schaft­li­chen Um­wäl­zun­gen ein­her­ge­hen­den Her­aus­for­de­run­gen zu be­wäl­ti­gen. In der frü­hen Wei­ma­rer Re­pu­blik wa­ren die zum Teil chao­ti­schen Zu­stän­de auch in der In­dus­trie­stadt am Rhein spür­bar. Wäh­rend des Kapp-Lütt­witz-Put­sches im März 1920 wur­de die Schu­le zum Schau­platz ei­nes Feu­er­ge­fechts zwi­schen Ver­bän­den der Ro­ten Ruhr­ar­mee und rechts­ge­rich­te­ten Frei­korp­s­ein­hei­ten. Bei der Be­set­zung des Ruhr­ge­biets durch die Al­li­ier­ten 1923 re­qui­rier­ten die Be­sat­zungs­trup­pen Tei­le des Schul­ge­bäu­des und be­ein­träch­ti­gen da­mit er­heb­lich den Schul­be­trieb.

Ei­nen be­son­ders tie­fen Ein­schnitt in der Ge­schich­te des deut­schen Bil­dungs­we­sens und da­mit auch der Duis­bur­ger An­stalt, die in die­ser Zeit von Di­rek­tor Ernst Ke­ß­ler (1884-1968) ge­lei­tet wur­de, be­deu­te­te das Jahr 1933. Im Ver­lauf des von den neu­en na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­ha­bern in­iti­ier­ten Pro­zes­ses der „Gleich­schal­tun­g“ kam es zu mas­si­ven Ver­än­de­run­gen in der Schul- und Bil­dungs­po­li­tik. Am Bei­spiel des Land­fer­mann-Gym­na­si­ums kann ex­em­pla­risch ge­zeigt wer­den, wie die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Um­for­mung des Bil­dungs­sek­tors in der An­fangs­pha­se des „Drit­ten Rei­ches“ im Ein­zel­fall ab­lief. Die­ser Pro­zess um­fass­te die von früh „gleich­ge­schal­te­ten“ Schul­be­hör­den und NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen - Hit­ler-Ju­gend (HJ) und Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Leh­rer­bund (NSLB) - be­trie­be­nen Gleich­schal­tungs­maß­nah­men wie auch Ver­su­che der ideo­lo­gi­schen und prak­ti­schen Ein­fluss­nah­me. Au­ßer­dem geht es um den Um­gang der Schu­le mit die­sen Maß­nah­men und die Re­ak­ti­on der Schü­ler und der Leh­rer auf die neue, re­strik­ti­ve Re­gie­rungs­pra­xis.

2. Ein kurzer Überblick über die Geschichte der Schule

Das Land­fer­mann-Gym­na­si­um kann auf ei­ne tra­di­ti­ons­rei­che und wech­sel­vol­le Ge­schich­te zu­rück­bli­cken. Die Ur­sprün­ge der Schu­le las­sen sich bis in das Spät­mit­tel­al­ter zu­rück­ver­fol­gen. Be­reits 1280 wird ein rec­tor sco­lar­um Duis­bur­gen­si­um er­wähnt.[1] Die nächs­te Er­wäh­nung ei­ner Schu­le in Duis­burg da­tie­ren in die Jah­re 1303 und 1320. Da­bei han­del­te es sich um ei­ne La­tein­schu­le, die vor­nehm­lich von den Söh­nen der Duis­bur­ger Stadt­her­ren und Kauf­leu­te be­sucht wur­de. Im Fe­bru­ar 1559 be­schloss der Stadt­rat die Grün­dung ei­nes Gym­na­si­ums, wel­ches be­reits im Ok­to­ber des­sel­ben Jah­res den Lehr­be­trieb auf­nahm. Der Lehr­plan um­fass­te un­ter an­de­rem das Stu­di­um la­tei­ni­scher und grie­chi­scher Gram­ma­tik so­wie die Lek­tü­re an­ti­ker Phi­lo­so­phie. Zum Leh­rer­kol­le­gi­um ge­hör­te der be­rühm­te Geo­graph und Kar­to­gra­ph Ger­hard Mer­ca­tor. Pha­sen des Auf­schwungs wie des Nie­der­gangs präg­ten die Ge­schich­te der An­stalt. Nach Jahr­hun­der­ten in städ­ti­scher Trä­ger­schaft, ging die Schu­le 1885 an den preu­ßi­schen Staat über und fir­mier­te fort­an als „Kö­nig­li­ches Gym­na­si­um“. 1925 wur­de die Schu­le zu Eh­ren des ehe­ma­li­gen Di­rek­tors Diet­rich Wil­helm Land­fer­mann (1800-1882), der sie 1835-1841 ge­lei­tet hat­te, in „Staat­li­ches Land­fer­mann-Gym­na­si­um“ um­be­nannt. 1974 ging die Schu­le er­neut in die Trä­ger­schaft der Stadt Duis­burg über, seit 2011 ist sie Eu­ro­pa­schu­le des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len und mitt­ler­wei­le auch als Cer­ti­Lin­gua-Schu­le aus­ge­zeich­net.

Dietrich Wilhelm Landfermann, Porträtfoto, undatiert. (Stadtarchiv Duisburg/Bestand 61, Bildnummer 3)

 

3. Die Schule und die NS-Gleichschaltung

Im Zu­ge der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gleich­schal­tung än­der­ten sich auch die Or­ga­ni­sa­ti­ons- und Ver­wal­tungs­struk­tu­ren des Bil­dungs­we­sens. Auf Reichs­ebe­ne wur­de im Mai 1934 das Reichs­mi­nis­te­ri­um für Wis­sen­schaft, Er­zie­hung und Volks­bil­dung (REM) ein­ge­rich­tet, des­sen ver­ant­wort­li­cher Mi­nis­ter Bern­hard Rust (1883-1945) ein ge­leh­ri­ger Adept Adolf Hit­lers (1889-1945) war.[2]  We­ni­ge Mo­na­te spä­ter ging das Preu­ßi­sche Mi­nis­te­ri­um für Wis­sen­schaft, Kunst und Volks­bil­dung im REM auf. Bis 1934 un­ter­stand das Bil­dungs­we­sen Reich­sin­nen­mi­nis­ter Wil­helm Frick (1877-1946).

Auch auf der Ebe­ne der preu­ßi­schen Pro­vin­zen mach­ten sich nach der Macht­über­nah­me Um­struk­tu­rie­run­gen be­merk­bar. An die Stel­le des bis­her zu­stän­di­gen Pro­vin­zi­al­schul­kol­le­gi­ums trat die Ab­tei­lung für hö­he­res Schul­we­sen des Ober­prä­si­den­ten der Rhein­pro­vinz. Be­reits in den ers­ten Mo­na­ten des NS-Re­gimes er­ging ei­ne Flut von An­ord­nun­gen und Er­las­sen an die Schu­len. Das Gym­na­si­um sah sich auch auf kom­mu­na­ler Ebe­ne ver­än­der­ten po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen aus­ge­setzt, denn im Zu­ge der NS-Macht­über­nah­me wur­den auch die Stadt­ver­wal­tun­gen „gleich­ge­schal­te­t“. In Duis­burg er­reich­te die NS­DAP bei den Wah­len im März 1933 in der Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­samm­lung durch ei­ne Ko­ali­ti­on mit der „Kampf­front Schwarz-Weiß-Ro­t“ (un­ter an­de­rem DNVP) ei­ne Mehr­heit (37 von 65 Sit­zen) und zwang den lang­jäh­ri­gen ver­dienst­vol­len Ober­bür­ger­meis­ter Karl Jar­res (DVP) 1933 zur Ab­dan­kung.[3] Bis 1945 üb­ten NS­DAP-Mit­glie­der das Amt des Ober­bür­ger­meis­ters aus: Als Nach­fol­ger von Jar­res bis 1934 Ernst Kel­ter (1900-1991), dem bis 1937 Just Dill­gardt (1889-1960) folg­te und schlie­ß­lich 1937-1945 Her­mann Frey­tag (1900-1962). Im Zu­ge der Um­set­zung des Ge­set­zes zur Wie­der­her­stel­lung des Be­rufs­be­am­ten­tums (BBG) vom 7.4.1933, das es dem NS- Re­gime er­laub­te, jü­di­sche und po­li­tisch miss­lie­bi­ge Be­am­te aus dem Dienst zu ent­fer­nen und das die Gleich­schal­tung des öf­fent­li­chen Diens­tes be­wir­ken soll­te, wur­den von 2.311 Be­schäf­tig­ten der Duis­bur­ger Stadt­ver­wal­tung 319 (cir­ca 13 Pro­zent) ent­we­der ent­las­sen oder in den frei­wil­li­gen oder auch un­frei­wil­li­gen Ru­he­stand ver­ab­schie­det[4] - in vie­len Fäl­len we­gen „po­li­ti­scher Un­zu­ver­läs­sig­keit“.

Dem hu­ma­nis­ti­schen Gym­na­si­um stan­den jetzt sei­tens des Staa­tes, der Pro­vinz und der Kom­mu­ne Ver­wal­tungs­in­stan­zen ge­gen­über, die „gleich­ge­schal­te­t“ wa­ren und im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sin­ne agier­ten. Die Schu­le muss­te sich mit die­sen neu­en Ge­ge­ben­hei­ten ar­ran­gie­ren. Ob­wohl die 1933 be­gon­ne­nen Struk­tur­ver­än­de­run­gen im Schul­we­sen sich über meh­re­re Jah­re hin­zo­gen, traf die Wel­le von neu­en Ver­ord­nun­gen und Er­las­sen die Schu­len und da­mit auch das Land­fer­mann-Gym­na­si­um be­reits in der An­fangs­zeit mit al­ler Macht. Ein er­heb­li­cher Teil der An­wei­sun­gen ziel­te dar­auf ab, na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Sym­bo­le und Ri­tua­le in den Schul­all­tag zu in­te­grie­ren. Die Ver­ord­nung be­züg­lich der Ein­füh­rung des Hit­ler­gru­ßes zeich­ne­te sich schon durch den neu­en be­hörd­li­chen Ton­fall in ty­pi­scher NS-Dik­ti­on aus: Nach­dem „der Par­tei­en­staat in Deutsch­land über­wun­den“ sei, lä­ge es vor al­lem im Ver­ant­wor­tungs­be­reich der Be­am­ten (und so­mit auch der meis­ten Leh­rer), durch Er­he­ben des rech­ten Arms „die Ver­bun­den­heit des gan­zen deut­schen Vol­kes mit sei­nem Füh­rer“ zu de­mons­trie­ren.[5] Der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Cha­rak­ter ei­nes Re­gimes of­fen­bart sich oft­mals in der Kon­trol­le kleins­ter As­pek­te des all­täg­li­chen Le­bens. Die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten woll­ten nicht nur ih­re Ges­ten im Schul­all­tag ver­wirk­licht se­hen, son­dern auch ih­re Dik­ti­on. So wur­de Ja­nu­ar 1934 die Ein­füh­rung der Be­grü­ßungs- be­zie­hungs­wei­se Ab­schieds­for­mel Heil Hit­ler im be­hörd­li­chen Schrift­ver­kehr ein­ge­führt.[6]

Wei­te­re Ver­fü­gun­gen ziel­ten dar­auf ab, den Ein­fluss von ideo­lo­gi­schen oder po­li­ti­schen ge­dank­li­chen Kon­struk­ten zu mi­ni­mie­ren, die dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ent­ge­gen­stan­den. Da­bei ging man be­son­ders ge­gen Ak­ti­vi­tä­ten des lin­ken Spek­trums vor. Kur­sier­ten et­wa mar­xis­ti­sche Druck­schrif­ten an ei­ner Schu­le, war der An­stalts­lei­ter ver­pflich­tet, das den Be­hör­den zu mel­den.[7] Doch nicht nur kom­mu­nis­ti­sche, son­dern auch so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Ten­den­zen ver­such­te man aus den Schu­len zu ent­fer­nen. SPD-na­he Zei­tun­gen durf­ten von der öf­fent­li­chen Ver­wal­tung nicht mehr für amt­li­che Be­kannt­ma­chun­gen ge­nutzt wer­den.[8] Die Schul­be­hör­den ver­such­ten auch, re­li­giö­se Ein­flüs­se zu­rück­zu­drän­gen, in­dem bei­spiels­wei­se das Ent­fer­nen von Pla­ka­ten mit christ­li­chen In­hal­ten an­ge­ord­net wur­de.[9] Der er­zie­he­ri­sche Ein­fluss der Kir­chen soll­te so weit wie mög­lich ein­ge­schränkt wer­den.[10] Ins­ge­samt be­deu­te­te der be­hörd­li­che Maß­nah­men­ka­ta­log, der hier nur aus­schnitt­wei­se auf­ge­führt wer­den kann, nichts an­de­res als die Be­schnei­dung der Mei­nungs­frei­heit. Für die Schü­ler und die Leh­rer ver­wan­del­te sich die Schu­le nach und nach in ei­nen Ort, an dem sie sich öf­fent­lich we­der frei äu­ßern noch frei po­li­tisch en­ga­gie­ren konn­ten. Soll­te an den Lehr­an­stal­ten in der An­fangs­zeit des „Drit­ten Rei­ches“ noch Un­klar­heit dar­über ge­herrscht ha­ben, wie man sich im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staat zu po­si­tio­nie­ren hat­te, wur­den die­se Un­si­cher­hei­ten bald be­sei­tigt. Die En­de des Jah­res 1933 vom Reich­sin­nen­mi­nis­te­ri­um her­aus­ge­ge­ben Leit­ge­dan­ken zur Schul­ord­nung leg­ten den neu­en Kurs und die Rol­le der Bil­dungs­ein­rich­tun­gen un­miss­ver­ständ­lich fest:

Die obers­te Auf­ga­be der Schu­le ist die Er­zie­hung der Ju­gend zum Dienst am Volks­tum und Staat im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Geist. […] Das ge­sam­te in­ne­re und äu­ße­re Le­ben der Schu­le steht im Dienst die­ser Auf­ga­be. Lei­ter, Leh­rer, Schü­ler und Schul­an­ge­stell­te sind ihr ver­pflich­tet.[11]

Auf die­se Wei­se wur­de die Ein­bin­dung der Schu­len in das NS-Sys­tem fest­ge­schrie­ben. Dar­über hin­aus sa­hen die Leit­ge­dan­ken die Ein­füh­rung na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ri­tua­le und Sprech­wei­sen im Un­ter­richt vor. So galt die Gruß­for­mel Heil Hit­ler für Leh­rer wie Schü­ler.[12] Mit­hil­fe die­ser Ri­tua­le und Sym­bo­le for­cier­ten die neu­en Macht­ha­ber im Rah­men der Na­zi­fi­zie­rung des Schul­we­sens ei­ne emo­tio­na­le For­mie­rung, ei­ne Bin­dung der Schü­ler und Leh­rer an das NS-Sys­tem.[13]

Auf den ers­ten Blick er­schei­nen die von den Be­hör­den auf den Weg ge­brach­ten Ver­än­de­run­gen, de­nen sich auch das Land­fer­mann-Gym­na­si­um ge­gen­über­sah, enorm. An­de­rer­seits be­fand sich das „Drit­te Reich“ wäh­rend der ers­ten Jah­re in ei­ner Pha­se der Macht­kon­so­li­die­rung und ver­zich­te­te auf ei­ne ra­di­ka­le ideo­lo­gi­sche Um­for­mung des Schul­we­sens und nahm dar­an auch kei­ne ele­men­ta­re struk­tu­rel­le Mo­di­fi­ka­ti­on vor.[14] Den­noch ist für die alt­sprach­li­che Bil­dungs­stät­te hin­sicht­lich ih­rer In­ter­ak­ti­on mit den über­ge­ord­ne­ten In­stan­zen ein Kon­ti­nui­täts­bruch fest­zu­stel­len. Schlie­ß­lich ver­tra­ten die gleich­ge­schal­te­ten Mi­nis­te­ri­en und der Ober­prä­si­dent der Rhein­pro­vinz im Ver­gleich zur Wei­ma­rer Zeit lang­fris­tig stark ver­än­der­te Er­zie­hungs­vor­stel­lun­gen und Zie­le.

4. Fächer und Unterricht nach 1933

Die di­rek­ten Ein­grif­fe der neu­en Macht­ha­ber in die Un­ter­richts­in­hal­te der Schu­len be­schränk­ten sich in den ers­ten Jah­ren des „Drit­ten Rei­ches“ auf Vor­ga­ben für ein­zel­ne Fä­cher, ein Um­stand, der mit dem recht un­schar­fen Er­zie­hungs­kon­zept der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten zu­sam­men­hing. Es zeich­ne­te sich durch halb­fer­ti­ge Ide­en und va­ge Vor­stel­lun­gen aus, die auf ei­ne Be­vor­zu­gung der kör­per­li­chen Schu­lung ge­gen­über der aka­de­mi­schen Wis­sens­ver­mitt­lung hin­aus­lie­fen.[15] All­ge­mein wand­ten sich die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten von alt­her­ge­brach­ten Bil­dungs­idea­len ab. Sie nut­zen zwar auch das Schul­we­sen, um ih­re Er­zie­hungs­zie­le - zum Bei­spiel die For­mung des Volks­ge­nos­sen - in die Tat um­zu­set­zen, ih­re Prä­fe­renz lag je­doch bei den par­tei­ei­ge­nen Or­ga­ni­sa­tio­nen wie HJ und Bund Deut­scher Mä­del (BDM), da die­se be­reits ih­re Vor­stel­lun­gen teil­ten und nicht erst gleich­ge­schal­tet wer­den muss­ten.[16]

Im Ver­gleich mit der Eta­blie­rung na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ri­tua­le und Sym­bo­le be­weg­te sich die NS-Ak­ti­vi­tät auf dem Ge­biet der Un­ter­richts­ge­stal­tung in mo­dera­ten Bah­nen. Für ei­nen As­pekt der neu­en Staats­ideo­lo­gie galt das nicht: das Prin­zip der Ras­sen­kun­de und Ras­sen­hy­gie­ne soll­te un­ter al­len Um­stän­den Teil der schu­li­schen Leh­re sein. Im Sep­tem­ber 1933 er­ging da­zu fol­gen­de Ver­ord­nung:

Die Kennt­nis der bio­lo­gi­schen Grund­tat­sa­chen und ih­rer An­wen­dung auf Ein­zel­mensch und Ge­mein­schaft ist für die Er­neue­rung un­se­res Vol­kes un­er­lä­ß­li­che Vor­aus­set­zung. Kein Schü­ler […] darf oh­ne die­ses Grund­wis­sen ins Le­ben ent­las­sen wer­den. […] 1. In den Ab­schlu­ßklas­sen sämt­li­cher Schu­len […] ist un­ver­züg­lich die Er­ar­bei­tung die­ser Stof­fe in An­griff zu neh­men, und zwar Ver­er­bungs­leh­re, Ras­sen­kun­de, Ras­sen­hy­gie­ne, Fa­mi­li­en­kun­de und Be­völ­ke­rungs­po­li­tik.[17]

Die Ver­ord­nung ver­wies auf das Fach Bio­lo­gie als den Haupt­trä­ger des bio­lo­gi­schen Den­kens, aber auch Fä­cher wie Deutsch und Ge­schich­te soll­ten zur Ver­mitt­lung der Ras­sen­ideo­lo­gie her­an­ge­zo­gen wer­den.[18] Im März 1934 in­for­mier­te das Land­fer­mann-Gym­na­si­um die zu­stän­di­gen Schul­be­hör­den über die er­grif­fe­nen Maß­nah­men zur Um­set­zung die­ser Vor­ga­ben: Der Bio­lo­gie­un­ter­richt wur­de zum 1. Ok­to­ber 1933 in den bei­den Klas­sen OI und UII mit je 2 Wo­chen­stun­den ein­ge­rich­tet. Zu sei­nen Guns­ten wur­de die Wo­chen­stun­den­zahl in Grie­chisch und Ma­the­ma­tik um je 1 Stun­de her­ab­ge­setzt. […] Die Stof­fe, die be­han­delt wur­den […]: 1. Der bio­lo­gisch-na­tur­wis­sen­schaft­li­che Un­ter­bau der Er­b­leh­re und Ge­sund­heits­leh­re: […] die Fol­ge­run­gen aus der Ver­er­bungs­leh­re für den ein­zel­nen und das Volk.- Der Un­ter­richt in OI […] be­han­del­te […] un­ter an­de­rem die He­bung der Qua­li­tät und Quan­ti­tät der Erb­mas­se […]. 2. Der Un­ter­richt in Ras­sen­kun­de und Hy­gie­ne, Be­völ­ke­rungs­po­li­tik und Fa­mi­li­en­kun­de und Ras­sen­kun­de: Art und Ras­se, […] die nor­di­sche Ras­se […]. […] Eu­ge­nik: ins­be­son­de­re die far­bi­gen Ras­sen und ih­re Fern­hal­tung, die Fra­ge der jü­di­schen Bei­mi­schung. […] Die Mass­nah­men der neu­en Re­gie­rung zur Aus­schei­dung der Min­der­wer­ti­gen.[19]

So­mit hat­te das Land­fer­mann-Gym­na­si­um die ent­spre­chen­den Vor­ga­ben in jeg­li­cher Hin­sicht er­füllt. Da­bei ver­lor es durch die Kür­zung des Fa­ches Grie­chisch nicht nur ei­nen Teil sei­nes alt­sprach­li­chen Pro­fils, son­dern eb­ne­te auch der NS-Ideo­lo­gie, de­ren ras­sis­tisch-so­zi­al­dar­wi­nis­ti­schen Grund­sät­ze nun the­ma­ti­siert wur­den, den Weg in den Un­ter­richt. Un­ter dem Stich­wort jü­di­sche Bei­mi­schung hiel­ten an­ti­se­mi­ti­sche In­hal­te Ein­zug. Letzt­lich lässt sich nicht klä­ren, auf wel­che Wei­se die Er­zie­her und Gym­na­si­as­ten die neu­en In­hal­te re­zi­pier­ten. Ob sie sie ab­leh­nend oder wohl­wol­lend auf­nah­men, ist den Quel­len kaum zu ent­neh­men. Zieht man den be­reits er­wähn­ten Be­richt der Schu­le vom März 1934 zu Ra­te, ge­winnt man den Ein­druck ei­ner zu­min­dest of­fi­zi­ell po­si­ti­ven Re­so­nanz: Zwei­fel­los ha­ben Leh­rer und Schü­ler mit Ernst und an­hal­ten­de [sic!] In­ter­es­se den bio­lo­gi­schen Un­ter­richt be­trie­ben.[20]

In wel­chem Ma­ße die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Welt­an­schau­ung die Ge­stal­tung schu­li­scher In­hal­te be­ein­fluss­te, zeigt sich bei­spiels­haft an den Auf­ga­ben­stel­lun­gen der schrift­li­chen Rei­fe­prü­fung des Schul­jah­res 1934:

1. Deutsch. Vier Auf­ga­ben zur Wahl: a) Das We­sen der Füh­rer­na­tur und des Füh­rer­tums nach Goe­thes: Pro­me­theus, See­fahrt, Maho­mets Ge­sang. […] b) Wel­che Er­kennt­nis­se und wel­che Tat­sa­chen ma­chen das Wort Nietz­sches: ‚Nicht nur fort sollst du dich pflan­zen, son­dern hin­auf!‘ für un­se­re Zeit und für un­ser Volk be­son­ders wert­voll? […] d) Kör­per­kul­tur - ei­ne Pflicht, ei­ne Freu­de, ei­ne Ge­fahr -. 2. La­tein. Ta­ci­tus, An­na­les lib. XIII, cap. 54. Stol­zes Selbst­be­wusst­sein ei­ner ger­ma­ni­schen Ge­sandt­schaft in Rom.[21] 

Die ge­stell­ten Fra­gen stel­len ei­ne Syn­the­se aus hu­ma­nis­ti­scher Leh­re und NS-Ideo­lo­gie dar. Man ver­knüpf­te die klas­si­schen deut­schen Au­to­ren Jo­hann Wolf­gang von Goe­the (1749-1832) und Fried­rich Nietz­sche (1844-1900) mit der Idee des Füh­rer­ge­dan­kens be­zie­hungs­wei­se der Ras­sen­leh­re und Eu­ge­nik. Be­kann­te In­hal­te wur­den um­in­ter­pre­tiert, so dass die Schü­ler an­hand ver­trau­ter Stof­fe über neue ideo­lo­gi­sche Denk­an­stö­ße nach­den­ken muss­ten. Für den La­tein­un­ter­richt setz­te die Schu­le die­se ideo­lo­gi­schen An­sät­ze fort: bei Ta­ci­tus soll­ten die Gym­na­si­as­ten die Sicht­wei­se ih­rer ver­meint­lich „ras­si­schen“, ger­ma­ni­schen Vor­fah­ren ein­neh­men.

All­ge­mein wie­sen die Un­ter­richts­in­hal­te und die Ge­stal­tung des Un­ter­richts am Land­fer­mann-Gym­na­si­um nach 1933 spe­zi­fisch na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Aus­for­mun­gen auf: Die Ide­en der Ras­sen­kun­de, des Füh­rer­ge­dan­kens und der Volks­ge­mein­schaft wur­den Ge­gen­stän­de der Leh­re. Da­bei han­del­te es sich um ei­nen Pro­zess, der so­wohl auf be­hörd­li­chem Druck als auch auf schul­ei­ge­ner Be­reit­wil­lig­keit zur An­pas­sung ba­sier­te. In­fol­ge die­ser Ent­wick­lung er­fuh­ren die Fä­cher Sport und Bio­lo­gie ei­ne Auf­wer­tung zu Un­guns­ten an­de­rer Un­ter­richts­fä­cher. Doch selbst die cha­rak­te­ris­ti­schen Fä­cher des hu­ma­nis­ti­schen Gym­na­si­ums wie Grie­chisch und La­tein ge­rie­ten un­ter den Ein­fluss der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gie. Mit­hil­fe ei­ner Syn­the­se aus hu­ma­nis­ti­scher und NS-kon­for­mer Leh­re in­ter­pre­tier­te man die bis­he­ri­ge Sicht­wei­se auf die An­ti­ke neu. Aus ger­ma­ni­schen Stäm­men wur­den die nor­di­schen Ras­sen. Auch das Rö­mi­sche Reich oder Kö­nig Leo­ni­das‘ Spar­ta­ner rück­ten in ein an­de­res Licht. Ih­re Stär­ke und ihr Er­folg dien­ten als Vor­bild für ein wie­der­er­star­ken­des Deut­sches Reich.

Bernhard Rust, Porträtfoto, 1934. (Bundesarchiv/Bild 119-1998/CC-BY-SA 3.0)

 

5. Die Lehrer nach 1933

Am Land­fer­mann-Gym­na­si­um er­ga­ben sich im Zu­ge der „Gleich­schal­tun­g“ Ver­än­de­run­gen, die sich auch auf die han­deln­den Ak­teu­re aus­wirk­ten. So­wohl Schü­ler als auch Leh­rer sa­hen sich neu­en Be­din­gun­gen ge­gen­über. Die Päd­ago­gen muss­ten sich ne­ben der Er­tei­lung teil­wei­se neu­er, NS-kon­for­mer Un­ter­richts­in­hal­te auch mit der Fra­ge aus­ein­an­der­set­zen, wie man sich in­ner­halb des neu­en Sys­tems zu po­si­tio­nie­ren hat­te. Als Be­am­te wa­ren die Lehr­kräf­te in ei­ner be­son­de­ren Si­tua­ti­on, da die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­ha­ber ein ent­spre­chend kon­for­mes Ver­hal­ten er­war­te­ten. Da­her stand das deut­sche Be­am­ten­tum un­ter ei­nem ho­hen An­pas­sungs­druck.[22] In ei­ner Ver­fü­gung des Ober­prä­si­den­ten der Rhein­pro­vinz vom Ok­to­ber 1933 wur­den die im Staats­dienst ste­hen­den Per­so­nen, die durch ein be­son­de­res Treue­ver­hält­nis mit der staat­li­chen Ob­rig­keit ver­bun­den sei­en, auf­ge­for­dert, sich zur neu­en Re­gie­rung zu be­ken­nen.[23] Auch die Leh­rer der alt­sprach­li­chen An­stalt in Duis­burg beug­ten sich die­sem Druck. Auf dem ent­spre­chen­den Do­ku­ment fin­den sich die Na­men oder Pa­ra­phen der Mit­glie­der des Kol­le­gi­ums, das da­mit sei­ne Treue ge­gen­über der NS-Re­gie­rung öf­fent­lich be­kun­de­te.[24] Am 4.9.1934 er­folg­te durch Di­rek­tor Ernst Ke­ß­ler die Ver­ei­di­gung des Lehr­per­so­nals auf Adolf Hit­ler als Füh­rer und Reichs­kanz­ler.[25] Dem Er­lass des Ober­prä­si­den­ten wa­ren be­reits zahl­rei­che Maß­nah­men vor­aus­ge­gan­gen, die die Gleich­schal­tung der Staats­be­am­ten zum Ziel hat­te. Zu den wich­tigs­ten die­ser Maß­nah­men ge­hör­te das er­wähn­te Ge­setz zur Wie­der­her­stel­lung des Be­rufs­be­am­ten­tums (BBG). Die­ses Ge­setz stell­te ei­nen Bruch mit der Rechts­staat­lich­keit dar, da Per­so­nen auf­grund va­ger po­li­ti­scher und ras­sis­ti­scher Kri­te­ri­en aus dem Dienst ent­las­sen wer­den konn­ten.[26] Mit Hil­fe des BBG soll­te das Schul­we­sen so­wohl von po­li­tisch nicht kon­for­men als auch ras­sisch un­zu­läng­li­chen - al­so jü­di­schen - Päd­ago­gen ge­säu­bert wer­den.[27] Im Zu­ge der An­wen­dung des Ge­set­zes prüf­ten die Schul­be­hör­den die ideo­lo­gi­sche Zu­ver­läs­sig­keit der Lehr­kräf­te auf Herz und Nie­ren. Nie­mand konn­te sich die­ser Kon­trol­le ent­zie­hen, da die An­wen­dung des BBG sämt­li­che Leh­rer[28] be­traf. Der Ober­prä­si­dent ord­ne­te die Un­ter­su­chung der po­li­ti­schen Ein­stel­lung der Päd­ago­gen an, die ent­spre­chen­de Fra­ge­bo­gen aus­zu­fül­len hat­ten. Der Nach­weis ideo­lo­gi­scher Kon­for­mi­tät hat­te ab­so­lu­te Prio­ri­tät. Be­son­ders je­ne Leh­rer ge­rie­ten ins Fa­den­kreuz der „gleich­ge­schal­te­ten“ Be­hör­den, die man ei­nes so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen oder gar mar­xis­ti­schen Hin­ter­grun­des, zum Bei­spiel im Fal­le ei­ner SPD- oder KPD-Mit­glied­schaft, ver­däch­tig­te.[29] D­a­bei grif­fen die Schul­in­stan­zen nicht nur in den pri­va­ten Be­reich der Päd­ago­gen ein, son­dern üb­ten auch ei­nen er­heb­li­chen Druck bei der Durch­set­zung des BBG auf. Die Di­rek­to­ren wur­den ver­pflich­tet, sich auch wäh­rend der Som­mer­fe­ri­en zur Ver­fü­gung zu hal­ten, um zu je­der Zeit Be­rich­te von ih­nen ein­ho­len zu kön­nen.[30]

Ei­ne Säu­be­rung des Kol­le­gi­ums des Land­fer­mann-Gym­na­si­ums fand of­fen­bar nicht oder nur in ge­rin­gem Ma­ße statt. Ein ehe­ma­li­ger Schü­ler er­in­nert sich, dass sein frü­he­rer, de­mo­kra­tisch ge­sinn­ter Leh­rer Ot­to Gritz­mann nach der „Macht­er­grei­fung“ von den neu­en Her­ren aus dem Ver­kehr ge­zo­gen wor­den[31] sei. Da­für fin­den sich je­doch in den Quel­len kei­ne Be­le­ge. Gritz­mann schied erst ge­gen En­de des Schul­jah­res 1936 aus dem Dienst aus; die of­fi­zi­el­le Be­grün­dung lau­te­te, er kran­ke an ei­nem Kriegs­lei­den.[32] Ins­ge­samt er­ga­ben sich für das Kol­le­gi­um des Land­fer­mann-Gym­na­si­ums auf­grund des BBG nur we­ni­ge per­so­nel­le Än­de­run­gen.

Die Si­tua­ti­on der Leh­rer­schaft wan­del­te sich je­doch zu­se­hends, da die neu­en Macht­ha­ber kon­se­quent wei­ter an der Be­schnei­dung der Grund­rech­te ar­bei­te­ten. Man ver­bot den deut­schen Be­am­ten die Mit­glied­schaft in der SPD, wel­cher man ei­nen of­fen zu­ta­ge lie­gen­den lan­des­ver­rä­te­ri­schen Cha­rak­ter zu­schrieb und ver­lang­te von ih­nen ei­ne schrift­li­che Er­klä­rung, in der sie sich of­fi­zi­ell von al­len so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Ak­ti­vi­tä­ten dis­tan­zier­ten.[33] Au­ßer­dem nah­men die Schul­be­hör­den den Päd­ago­gen jeg­li­che Mög­lich­keit der Kri­tik und das Recht, Ein­spruch ein­zu­le­gen:

1) Seit­dem die Re­gie­rung der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­vo­lu­ti­on die aus­schlie­ß­li­che Füh­rung des Staa­tes über­nom­men hat, wer­den die Be­lan­ge der Be­am­ten­schaft durch den Staat selbst wahr­ge­nom­men. Ein­ga­ben und An­trä­ge von Be­am­ten und Be­am­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen an die Be­hör­den […] sind […] un­zu­läs­sig […]. 2) Un­be­dingt zu un­ter­las­sen sind sol­che Ein­ga­ben und Vor­stel­lun­gen, die auf ei­ne Kri­tik an Vor­ge­setz­ten und da­mit an der al­lein ver­ant­wort­li­chen Staats­füh­rung hin­aus­lau­fen.[34]

Auf die­se Wei­se for­cier­te der NS-Staat die Hier­ar­chi­sie­rung der Ver­wal­tungs­struk­tu­ren und da­mit auch des Schul­we­sens. Die Ver­än­de­rung der Si­tua­ti­on der Leh­rer­schaft er­gab sich aus ih­rer Rol­le als Die­ner des Staa­tes. Da die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ei­nen kon­for­men Be­am­ten­ap­pa­rat schaf­fen woll­ten, führ­ten sie die Maß­nah­men der Gleich­schal­tung in die­sem Be­reich be­son­ders gründ­lich aus. Die­ser Pro­zess funk­tio­nier­te je­doch nicht nur über Säu­be­rung und Rech­te­be­schnei­dung. Die Leh­rer, wel­che man für kon­form hielt, wur­den Ver­su­chen der In­dok­tri­na­ti­on be­zie­hungs­wei­se Um­er­zie­hung un­ter­zo­gen.[35] Um die Päd­ago­gen mit den Grund­sät­zen der NS-Ideo­lo­gie ver­traut zu ma­chen, ver­an­stal­te­ten die Schul­be­hör­den Lehr­gän­ge, die sich mit den Grund­la­gen der Ver­er­bungs­leh­re, Ras­sen­kun­de, Ras­sen­hy­gie­ne, Fa­mi­li­en­kun­de und Be­völ­ke­rungs­po­li­tik[36] be­fas­sen soll­ten. Schu­lun­gen die­ser Art wur­den viel­fach von den staat­li­chen Bil­dungs­in­stan­zen ab­ge­hal­ten. Ab 1933 nah­men die Leh­rer des Land­fer­mann-Gym­na­si­ums zu­sam­men mit ih­ren Schü­lern an mehr­wö­chi­gen na­tio­nal­po­li­ti­schen Lehr­gän­gen teil, die Di­rek­tor Ke­ß­ler als ei­nen neu­en Weg zur land­na­hen Ge­mein­schafts­er­zie­hung be­schrieb, wel­che wie­der­um das Schul­le­ben im Sin­ne der neu­en Zeit nach­hal­tig be­ein­flus­sen[37] soll­te. Kon­kret be­deu­te­te das, dass die Schü­ler mit der NS-Ideo­lo­gie in­ten­siv ver­traut ge­macht wer­den soll­ten. Die Art und Wei­se, wie die teil­neh­men­den Päd­ago­gen von die­sen Lehr­gän­gen be­rich­te­ten, lässt auf ei­ne ge­wis­se Zu­stim­mung zu die­ser Pra­xis schlie­ßen. So be­rich­te­te ein Duis­bur­ger Stu­di­en­rat:

Es wur­den Vor­trä­ge von Her­ren und Schü­lern ge­hal­ten mit an­schlie­ßen­der Be­spre­chung und even­tu­el­ler Er­wei­te­rung, die sich dann viel­fach zu ei­nem be­son­de­ren Vor­trag aus­wuchs. So­dann wur­den Vor­le­sun­gen aus der N.S.-Li­te­ra­tur ver­an­stal­tet. Be­son­ders aus­ge­wähl­te Ka­pi­tel aus Kriegk: Na­tio­nal­po­li­ti­sche Er­zie­hung. Als Bei­spiel wer­den in Fol­gen­dem ei­ne Rei­he von Ein­zel­the­men ge­ge­ben: Kriegs­schuld­lü­ge […]. […] Ras­sen­fra­gen: Ver­er­bungs­leh­re-Zie­le der Ras­sen­hy­gie­ne.[38] Da­mit wa­ren die Päd­ago­gen in die Ver­su­che der ideo­lo­gi­schen In­dok­tri­na­ti­on der Schü­ler­schaft ein­be­zo­gen.

Die Si­tua­ti­on, in der sich die Päd­ago­gen be­fan­den, zeich­ne­te sich durch ei­ne Wech­sel­wir­kung zwi­schen ei­nem „von oben“ aus­ge­üb­ten An­pas­sungs­druck und ei­nem ge­wis­sen Wil­len zur Ein­ord­nung aus.[39] Be­son­ders deut­lich wird dies am Bei­spiel des Di­rek­tors Ernst Ke­ß­ler. Als über­zeug­ter Christ stand er dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ab­leh­nend ge­gen­über.[40] Das hielt ihn auch als ei­nen der we­ni­gen Duis­bur­ger Schul­di­rek­to­ren von ei­nem Ein­tritt in die NS­DAP ab.[41] In der Öf­fent­lich­keit je­doch konn­te oder woll­te er sei­ne in­ne­re Über­zeu­gung nicht of­fen­ba­ren. Im Ju­li 1933 äu­ßer­te er sich im Blatt des Land­fer­mann-Bun­des fol­gen­der­ma­ßen:

Als dann in den letz­ten Mo­na­ten des Schul­jah­res die na­tio­na­le Be­we­gung un­ter dem Sturm der see­lisch-geis­ti­gen Volks­er­neue­rung auch un­se­re Schü­ler­schaft bis in die un­ters­te Schul­klas­se hin­ein in ih­ren Bann zog, be­grü­ß­ten es wir Er­zie­her, daß die Be­to­nung der Au­to­ri­tät, der Ar­beits­freu­de und Op­fer­wil­lig­keit im Dienst für das Volks­gan­ze die Aus­wir­kung un­se­res bis­he­ri­gen Stre­bens in der Schu­le stei­ger­te und un­se­rer gan­zen Tä­tig­keit über­haupt das Rück­grat stärk­te.[42] 

Hier zeigt sich, auf wel­che Wei­se das Gym­na­si­um sei­ne Hal­tung ge­gen­über dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus nach au­ßen hin ver­trat: Es han­delt sich um ein öf­fent­li­ches Be­kennt­nis zum NS-Staat. Die „Macht­er­grei­fun­g“ der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten wirk­te durch Ke­ß­lers Wort­wahl (Volks­er­neue­rung) wie ein eu­pho­ri­scher Neu­be­ginn, durch den man die Schwä­chen ver­gan­ge­ner Zei­ten zu über­win­den glaub­te, um ei­ne bes­se­re Zu­kunft zu ge­stal­ten - ein kla­rer Bruch mit der Wei­ma­rer Re­pu­blik. Mit­hil­fe der An­eig­nung des NS-Vo­ka­bu­lars (Dienst für das Volks­gan­ze, Op­fer­wil­lig­keit) si­gna­li­sier­te Ke­ß­ler die Be­reit­schaft der Schu­le, den Wer­te­ka­non der neu­en Macht­ha­ber zu tei­len. Er lei­te­te den Wil­len, ge­mein­sa­me Idea­le zu ver­tre­ten, aus der Lehr­tra­di­ti­on der An­stalt ab. So ha­be man die Ju­gend schon im­mer zu deut­scher Ge­sin­nung und dem Be­wusst­sein für va­ter­län­di­sche Auf­ga­ben er­zo­gen.[43] Aus die­sen Ge­mein­sam­kei­ten er­wuchs auch das Ver­ständ­nis des Lehr­kör­pers für die Pflicht der Ju­gend, sich wehr­haft zu ma­chen.[44] Laut Ke­ß­ler er­gab sich für die Ge­stal­tung der Leh­re fol­gen­de Kon­se­quenz: Schon in den Os­ter­fe­ri­en 1933 ha­ben wir uns dar­an ge­macht, den Bil­dungs­wert un­se­rer Lehr­stof­fe für die na­tio­na­le Er­neue­rung zu durch­den­ken, zu über­prü­fen […].[45]

In­dem die Schu­le al­so die NS-Kom­pa­ti­bi­li­tät ih­res Un­ter­richts er­ör­ter­te und ihn ge­ge­be­nen­falls im Sin­ne der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten mo­di­fi­zier­te, stell­te sie sich in den Dienst des neu­en Sys­tems. Da­mit hat­te sich ein Wan­del be­züg­lich der po­li­ti­schen Po­si­tio­nie­rung der Bil­dungs­stät­te voll­zo­gen; vor 1933 hat­te man sich höchs­tens zum Ide­al des Hu­ma­nis­mus be­kannt, nicht aber zu ei­ner be­stimm­ten Welt­an­schau­ung.

6. Die Schüler nach 1933

Die all­ge­mei­ne Si­tua­ti­on der Kin­der und Ju­gend­li­chen un­ter­lag nach 1933 ein­schnei­den­den Ver­än­de­run­gen. Be­reits im April 1933 ver­ab­schie­de­te die Reichs­re­gie­rung das Ge­setz ge­gen die Über­fül­lung deut­scher Schu­len und Hoch­schu­len, wel­che die Ras­sen­zu­ge­hö­rig­keit als Kri­te­ri­um für den Zu­gang zu den hö­he­ren Schu­len fest­leg­te.[46] So­ge­nann­ten "Nich­ta­ri­ern" – zum Bei­spiel jü­di­schen Schü­lern - wur­de der Be­such hö­he­rer Schu­len er­schwert. Das Land­fer­mann-Gym­na­si­um war be­reit, sich die­sen An­ord­nun­gen zu fü­gen, in­dem es zu Os­tern 1933 statt drei „Nich­ta­ri­ern“ nur ei­nen auf­nahm.[47] Nach ei­ni­ger Zeit er­wies sich ei­ne Durch­set­zung der Ver­fü­gun­gen als ob­so­let: Des wei­te­ren sind in­zwi­schen al­le nich­ta­ri­schen Schü­ler weg­ge­gan­gen, so­dass die An­stalt zur Zeit kei­ne nich­ta­ri­schen Schü­ler mehr hat.[48]

Ein Blick auf die Sta­tis­tik be­stä­tigt die­se Aus­sa­ge. Im Schul­jahr 1933 be­such­ten noch sie­ben Kin­der jü­di­schen Glau­bens das Gym­na­si­um, be­reits ein Jahr spä­ter hat­ten al­le die An­stalt ver­las­sen.[49] Da­mit en­de­te ei­ne lang­jäh­ri­ge Tra­di­ti­on. Wäh­rend der ge­sam­ten Wei­ma­rer Zeit hat­ten jü­di­sche Kin­der ei­nen zwar klei­nen, aber kon­stan­ten An­teil an der Schü­ler­schaft aus­ge­macht. Bis zum En­de der 1920er Jah­re hat­te der Rab­bi­ner Ma­naß Neu­mark (1875-1942) jü­di­schen Re­li­gi­ons- und He­bräisch­un­ter­richt er­teilt.[50]

Die grö­ß­te Ver­än­de­rung für die Si­tua­ti­on der Ju­gend­li­chen nach der „Macht­er­grei­fun­g“ er­gab sich durch das Auf­tre­ten der Hit­ler-Ju­gend. Im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Er­zie­hungs­kon­zept nahm die HJ ei­ne zen­tra­le Stel­lung ein, da sie in ih­rer Ei­gen­schaft als au­ßer­schu­li­sche, un­ab­hän­gi­ge Er­zie­hungs­in­stanz die ideo­lo­gi­sche und sys­tem­treue For­mung der Ju­gend rea­li­sie­ren soll­te.[51] In­fol­ge­des­sen ver­lor die Schu­le als er­zie­he­ri­scher Fak­tor all­mäh­lich an Be­deu­tung. Zu Be­ginn des „Drit­ten Rei­ches“ wa­ren so­wohl die Bil­dungs­an­stal­ten als auch die HJ of­fi­zi­ell noch gleich­be­rech­tigt. Die Bil­dungs­be­hör­den lie­ßen von An­fang kei­ne Zwei­fel an der zen­tra­len Stel­lung des neu­en Ak­teurs auf dem Er­zie­hungs­sek­tor auf­kom­men:

Im neu­en Staat ha­ben ne­ben El­tern­haus und Schu­le die Bün­de, in ers­ter Li­nie die Hit­ler-Ju­gend, die be­deut­sa­me Auf­ga­be, die deut­sche Ju­gend zu voll­be­wu­ß­ten Glie­dern des na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Staa­tes zu er­zie­hen. Da­her muß ich Wert dar­auf le­gen, daß die­ser Er­zie­hungs­ar­beit ge­nü­gend Raum und je­de er­for­der­li­che Un­ter­stüt­zung ge­währt wird. […] Der Hit­ler-Ju­gend ste­hen wö­chent­lich zwei Nach­mit­ta­ge zur frei­en Ver­fü­gung.[52]

Dem­entspre­chend wur­de ei­ne Rei­he von Maß­nah­men in die We­ge ge­lei­tet, um die Po­si­ti­on der HJ zu fes­ti­gen. Be­reits im April 1933 er­laub­ten die Be­hör­den den HJ-Mit­glie­dern das Tra­gen von Ab­zei­chen wäh­rend der Schul­zeit so­wie das Wer­ben für ih­re Or­ga­ni­sa­ti­on.[53] Ei­ni­ge Mo­na­te spä­ter kün­dig­te der Ober­prä­si­dent der Rhein­pro­vinz den An­stalts­lei­tern Ver­an­stal­tun­gen an, in de­ren Rah­men HJ-Füh­rer be­leh­ren­de Vor­trä­ge über Jung­volk, HJ […] vor ih­ren Schü­lern hal­ten wür­den.[54] Ei­nen der ein­schnei­dends­ten Ein­grif­fe in den Schul­all­tag bil­de­te die Ein­füh­rung des Staats­ju­gend­ta­ges 1934.[55] Die­je­ni­gen Kin­der, die der Or­ga­ni­sa­ti­on be­zie­hungs­wei­se dem Jung­volk an­ge­hör­ten, wur­den zu­guns­ten der HJ vom Sams­tags­un­ter­richt be­freit, wäh­rend ih­re Mit­schü­ler wei­ter­hin die Schul­bank drück­ten. Für das Land­fer­mann-Gym­na­si­um er­ga­ben sich bei der Um­set­zung die­ser Be­stim­mun­gen gro­ße Schwie­rig­kei­ten, wel­che sich un­ter an­de­rem in der Kür­zung von Un­ter­richts­stun­den äu­ßer­ten.[56] In die­ser Zeit agier­ten die staat­li­chen Schul­be­hör­den ei­ni­ger­ma­ßen wi­der­sprüch­lich. Auf der ei­nen Sei­te zeig­ten sie sich ge­gen­über der neu­en Ju­gend­or­ga­ni­sa­ti­on ko­ope­ra­tiv, auf der an­de­ren Sei­te ver­such­ten sie, die Au­to­no­mie des Schul­we­sens durch Be­gren­zung des HJ-Ein­flus­ses zu be­wah­ren. Das preu­ßi­sche Kul­tus­mi­nis­te­ri­um ver­trat ei­ne un­miss­ver­ständ­li­che Po­si­ti­on: Mit dem Er­laß über die Ein­rich­tung des Staats­ju­gend­ta­ges sind die Be­fug­nis­se von Schu­le und Hit­ler-Ju­gend klar ge­gen­ein­an­der ab­ge­grenzt. Ei­ne wei­ter­ge­hen­de Mit­wir­kung der Hit­ler-Ju­gend an der Un­ter­richts­ver­tei­lung in der Schu­le kommt nicht in Fra­ge.[57]

In der Vor­stel­lung der Be­hör­den lag die Zu­stän­dig­keit der HJ al­lein in der au­ßer­schu­li­schen Er­zie­hung. Ihr Wunsch nach Be­wah­rung der ei­ge­nen Au­to­ri­tät hing auch mit dem grund­sätz­li­chen Kon­flikt zu­sam­men, in dem Schu­le und HJ mit­ein­an­der ran­gen.[58] Im Lau­fe der Jah­re tra­ten im­mer mehr Schü­ler des Land­fer­mann-Gym­na­si­ums den na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ju­gend­or­ga­ni­sa­tio­nen bei. 1934 wa­ren 147 von ins­ge­samt 300 Schü­lern (49 Pro­zent) Mit­glie­der der HJ oder des Jung­volks.[59] Vier Jah­re spä­ter ge­hör­ten be­reits 287 von 317 Jun­gen bei­den ge­nann­ten Ver­bän­den an (ins­ge­samt 91,2 Pro­zent).[60] Zu­min­dest in spä­te­ren Jah­ren hat sich die Bil­dungs­stät­te ak­tiv an der Re­kru­tie­rung ih­rer Schü­ler für die HJ be­tei­ligt. Es war ihr An­spruch, mög­lichst al­le Schü­ler un­se­rer An­stalt für die Hit­ler-Ju­gend zu er­fas­sen.[61] 

Be­reits 1932 gab es am Land­fer­mann-Gym­na­si­um Schü­ler, die sich mit der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Be­we­gung iden­ti­fi­zier­ten.[62] Dies be­ein­fluss­te den Schul­all­tag der hu­ma­nis­ti­schen Lehr­an­stalt zu­se­hends. So hiss­ten zum Bei­spiel Un­be­kann­te un­er­laub­ter­wei­se die Ha­ken­kreuz­flag­ge am Schul­turm.[63] Dar­über hin­aus tru­gen ei­ni­ge Ju­gend­li­che ein Par­tei­ab­zei­chen oder ka­men in SA-Uni­form zur Schu­le.[64] 

7. Die Schule in den späteren 1930er Jahren

In den ers­ten Jah­ren ih­rer Herr­schaft ver­zich­te­ten die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­ha­ber auf grund­le­gen­de Ver­än­de­run­gen des Schul­we­sens. Dies än­der­te sich je­doch in der zwei­ten Hälf­te der 1930er Jah­re, in­dem die NS-Bil­dungs­po­li­tik ei­ne neue Dy­na­mik ent­wi­ckel­te. Nach­dem die Schul­zeit 1937 auf acht Jah­re ver­kürzt wor­den war, folg­ten 1938 im Rah­men der Neu­ord­nung des hö­he­ren Schul­we­sens wei­te­re Maß­nah­men, die vor al­lem der Ver­ein­heit­li­chung dien­ten. Die bis­he­ri­gen Schul­ty­pen wur­den in die Re­gel­form der Ober­schu­le für Jun­gen, wel­che sich ab der Ober­stu­fe in ei­nen ma­the­ma­tisch-na­tur­wis­sen­schaft­li­chen und ei­nen sprach­li­chen Zweig auf­spal­te­te, über­führt. Auch die Ober­stu­fe der neu­en Ober­schu­le für Mäd­chen teil­te sich in zwei Rich­tun­gen (sprach­lich oder haus­wirt­schaft­lich). So­gar die ein­zel­nen Klas­sen er­hiel­ten an­de­re Be­nen­nun­gen: aus Sex­ta, Quin­ta, Quar­ta usw. wur­den die Klas­sen eins bis acht. Da­bei blie­ben ein­zig die alt­sprach­li­chen Gym­na­si­en als Son­der- be­zie­hungs­wei­se Ne­ben­form er­hal­ten. Al­ler­dings ver­rin­ger­te sich im Zu­ge der Re­form die An­zahl der hu­ma­nis­ti­schen Schul­an­stal­ten dras­tisch.[65] Das Land­fer­mann-Gym­na­si­um konn­te sich zwar trotz ei­ner mo­di­fi­zier­ten Spra­chen­fol­ge be­haup­ten, den­noch sank in­fol­ge des Weg­falls der Ober­pri­ma das Bil­dungs­ni­veau.[66] In die­ser Zeit kam es nicht nur zu ei­ner struk­tu­rel­len Mo­di­fi­ka­ti­on des hö­he­ren Schul­we­sens, son­dern auch zu Ver­än­de­run­gen hin­sicht­lich der Bil­dungs­in­hal­te. Für die Un­ter­richts­fä­cher gal­ten ab 1938 neue Lehr­plä­ne; dar­über hin­aus wur­den vie­le neue, ideo­lo­gisch kon­for­me Schul­bü­cher pu­bli­ziert.[67] 

Auch am Land­fer­mann-Gym­na­si­um war die­se neue Dy­na­mik spür­bar. Ernst Ke­ß­ler hat­te die An­stalt 1938 ver­las­sen; sein na­tio­nal­so­zia­lis­tisch ge­sinn­ter Nach­fol­ger Fritz Mi­chel (1890-1966) ließ kei­ne Zwei­fel an der of­fi­zi­el­len Kon­for­mi­tät der Bil­dungs­stät­te auf­kom­men: Die neue deut­sche Schu­le ist ei­ne völ­ki­sche Schu­le na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Welt­an­schau­ung.[68] 

8. Die Schule im Zweiten Weltkrieg

Die alt­sprach­li­che Lehr­an­stalt konn­te sich den Aus­wir­kun­gen des Krie­ges nicht ent­zie­hen. Sie be­her­berg­te seit 1939 des Öf­te­ren mi­li­tä­ri­sche Ver­bän­de, un­ter an­de­rem ei­ne Lan­des­schüt­zen­kom­pa­nie. Au­ßer­dem dien­ten die Kel­ler­ge­wöl­be vor al­lem im spä­te­ren Kriegs­ver­lauf als Luft­schutz­räu­me. In­fol­ge al­li­ier­ter Luft­an­grif­fe er­litt das Ge­bäu­de zwi­schen 1942 und 1944 schwe­re Schä­den; so wur­de 1944 der na­tur­wis­sen­schaft­li­che Flü­gel wei­test­ge­hend zer­stört. Na­tur­ge­mäß wirk­ten sich die­se Um­stän­de mas­siv auf die Durch­füh­rung des Un­ter­richts aus. Spä­tes­tens im Zu­ge der Eva­ku­ie­rung des Gro­ß­teils der Schü­ler im Rah­men der „Kin­der­land­ver­schi­ckun­g“ kam der ge­re­gel­te Lehr­be­trieb zum Er­lie­gen. Ähn­lich er­ging es den meis­ten Schu­len auf dem Ge­biet des Deut­schen Rei­ches.[69] Le­dig­lich die Schü­ler der Jahr­gän­ge 1926-1928, die ih­ren Dienst als Luft­waf­fen­hel­fer zu ver­rich­ten hat­ten, blie­ben in Duis­burg zu­rück und wur­den von den we­ni­gen ver­blie­be­nen Lehr­kräf­ten ru­di­men­tär un­ter­rich­tet.

9. Schlussbetrachtung

An­hand des Bei­spiels des Land­fer­mann-Gym­na­si­ums lässt sich nach­voll­zie­hen, auf wel­che Wei­se der Über­gang von der Wei­ma­rer Re­pu­blik zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus an ei­ner deut­schen hö­he­ren Schu­le ab­lau­fen konn­te. Ob­wohl die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten die In­dok­tri­na­ti­on der Ju­gend nicht pri­mär mit­hil­fe der In­sti­tu­ti­on Schu­le rea­li­sie­ren woll­ten, streb­ten sie ei­ne „Gleich­schal­tun­g“ des Bil­dungs­we­sens an. Die NS-Ideo­lo­gie hielt durch be­hörd­li­chen Druck und Par­tei­or­ga­ni­sa­tio­nen wie die Hit­ler-Ju­gend Ein­zug in den All­tag von Schü­lern und Leh­rern. Ge­dank­li­che Kon­struk­te wie Ras­sen­kun­de und die Idee der Volks­ge­mein­schaft wur­den zu Un­ter­richts­the­men. Al­ler­dings stie­ßen die durch­aus in­ko­hä­ren­ten Be­stre­bun­gen von Staat und Par­tei auch auf ei­ni­gen Zu­spruch. Das Land­fer­mann-Gym­na­si­um re­agier­te auf die ver­än­der­ten ge­sell­schafts­po­li­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen mit nach au­ßen hin be­reit­wil­li­ger An­pas­sung. So­gar das hu­ma­nis­ti­sche Bil­dungs­ide­al wur­de im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sin­ne neu in­ter­pre­tiert. An­ge­sichts der neu­en na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Struk­tu­ren kann man in Be­zug auf die ge­ne­rel­le Si­tua­ti­on von Päd­ago­gen und Gym­na­si­as­ten nach 1933 von ei­nem Kon­ti­nui­täts­bruch spre­chen.

En­de der 1950er Jah­re schrieb ein Schul­chro­nist: Auch sonst zei­gen die Jah­res­be­rich­te, wie zäh sich das Land­fer­mann­gym­na­si­um ge­gen den Ver­lust des an­ti­ken Bil­dungs­auf­tra­ges bzw. ge­gen sei­ne Ver­fäl­schung im Sin­ne der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen ‚Ras­sen­leh­re‘ und ge­gen die Ver­gif­tung durch den Un­geist der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Schul- und Bil­dungs­po­li­tik wehr­te.[70] Dass die­ser Ein­schät­zung nicht un­ein­ge­schränkt zu­zu­stim­men ist, hat die­ser Bei­trag ge­zeigt.

Archivquellen

 Stadt­ar­chiv Duis­burg (StA­Du), Be­stand 407 (Land­fer­mann-Gym­na­si­um).

Gedruckte Quellen

Das Blatt des Land­fer­mann-Bun­des e.V. (Ver­ei­ni­gung der al­ten Schü­ler, der Leh­rer und Freun­de des Duis­bur­ger Gym­na­si­ums) / Land­fer­mann-Blät­ter.

Staat­li­ches alt­sprach­li­ches Land­fer­mann-Gym­na­si­um Duis­burg (Hg.), Vier­hun­dert Jah­re Gym­na­si­um Duis­bur­gen­se, Land­fer­mann-Gym­na­si­um Duis­burg, Duis­burg 1959.

Staat­li­ches Land­fer­mann-Gym­na­si­um zu Duis­burg. Be­richt über das Schul­jahr 1929. Er­stat­tet von Stu­di­en­di­rek­tor Dr. Wie­sen­thal, Duis­burg 1930.

Literatur

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Sta­chu­ra, Pe­ter D., Das Drit­te Reich und Ju­gend­er­zie­hung: Die Rol­le der Hit­ler­ju­gend 1933-1939, in: Hei­nemann, Man­fred (Hg.), Er­zie­hung und Schu­lung im Drit­ten Reich, Teil 1: Kin­der­gar­ten, Schu­le, Ju­gend, Be­rufs­er­zie­hung, Stutt­gart 1980, S. 90-112. 

Treuebekundung zur NS-Regierung, vom Kollegium unterschrieben, 28.10.1933. (Stadtarchiv Duisburg/Bestand 61)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Gövert, Marcel, Der Prozess der nationalsozialistischen Umgestaltung des höheren Schulwesens im „Dritten Reich“ - das Beispiel des Landfermann-Gymnasiums in Duisburg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-prozess-der-nationalsozialistischen-umgestaltung-des-hoeheren-schulwesens-im-dritten-reich---das-beispiel-des-landfermann-gymnasiums-in-duisburg/DE-2086/lido/64d21d08bb7a26.07035300 (abgerufen am 14.11.2024)