Der Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete (1919–1930)
Zu den Kapiteln
1. Vorgeschichte
Nach den Bestimmungen des Waffenstillstandsvertrages vom 11.11.1918 waren die deutschen Gebiete von deutschen Truppen zu räumen. In die geräumten Gebiete marschierten im Laufe des Dezember alliierte Truppen in die westlich des Rheins gelegenen deutschen Gebiete ein (Belgier: Niederrhein und Raum Aachen, Briten: Raum Köln, Amerikaner: Raum Koblenz, Franzosen; Raum Mainz und die Pfalz) und besetzten auch drei Brückenköpfe auf dem rechten Rheinufer mit einem Radius von 30 Kilometern um Köln, Koblenz und Mainz (am 16.1.1919 kam ein weiterer Brückenkopf bei Kehl mit einem Radius von 10 Kilometern hinzu). Betroffen von der Besetzung war in erster Linie die überwiegend auf der linken Rheinseite gelegene preußische Rheinprovinz. Besetzt waren die linksrheinischen Gebiete der Rheinprovinz, aus der Provinz Hessen-Nassau Teile des Regierungsbezirks Wiesbaden, die bayerische Pfalz, der größte Teil der hessischen Provinz Rheinhessen und der oldenburgische Regierungsbezirk Birkenfeld, ferner das badische Kehl.
Der unmittelbare Kontakt mit den militärischen Besatzungsbehörden oblag in der Regel den kommunalen und regionalen Verwaltungsbehörden, auf Reichsebene war die Frage der Besatzung anfänglich eher ein außenpolitisches als ein innenpolitisches Thema. Allerdings ernannte der Leiter der deutschen Waffenstillstandskommission, Staatssekretär Matthias Erzberger (1875–1921), bereits am 21.11.1918, also weniger als zwei Wochen nach dem Waffenstillstand, den Kölner Eisengroßhändler Otto Wolff (1881–1940), der über gute persönliche und geschäftliche Kontakte namentlich nach Frankreich verfügte, zudem zuvor keine amtliche Stellung innehatte, zum „Reichskommissar und meine[m] Bevollmächtigten für die Dauer der Okkupation“ im besetzten Gebiet. Die Regierung der Volksbeauftragten billigte diese Ernennung nachträglich und die Wolff erteilte Vollmacht „zur Vertretung der deutschen Waffenstillstandskommission“. Der Kommissar sollte, neben Angelegenheiten des Waffenstillstandes, auch in „Fragen des allgemeinen Reichsinteresses am Schicksal und der Entwicklung des okkupierten Rheinlandes vornehmlich in wirtschaftlicher Beziehung“ vermittelnd wirken, auch, weil der Regierung in Berlin ein geregelter Geschäftsverkehr zwischen den Organen im Rheinland und den Berliner Zentralinstanzen nicht gesichert erschien. Die genaue Dauer der Tätigkeit von Wolff als Kommissar ist nicht überliefert. In die Verhandlungen mit den Alliierten war vorübergehend auch eine Unterkommission der Waffenstillstandskommission in Köln eingebunden, an deren Spitze der dortige Oberbürgermeister Konrad Adenauer stand.
Durch den Versailler Vertrag vom 28.6.1919, der am 10.1.1920 in Kraft trat, wurde das linksrheinische Gebiet sowie ein 30 Kilometer breiter Streifen auf dem rechten Rheinufer zum entmilitarisierten Gebiet erklärt, in dem Deutschland keinerlei militärische Einrichtungen usw. unterhalten durfte. Das Gebiet sollte für 15 Jahre von alliierten Truppen besetzt bleiben; in drei Stufen nach fünf (nördliche Zone mit Köln), zehn (Raum Koblenz) beziehungsweise 15 Jahren (Raum Mainz) geräumt werden. Details der Besatzungsherrschaft regelte das ebenfalls am 28.6.1919 geschlossene Rheinlandabkommen. Hierdurch wurden im besetzten Gebiet nicht Militärbefehlshaber, sondern eine zivile Behörde, die Interalliierte Rheinlandoberkommission – IRKO (besser bekannt als „Rheinlandkommission“) mit der obersten Vertretung der Alliierten im besetzten Gebiet betraut. Es wurde anerkannt, dass die deutsche Gebietshoheit im besetzten Gebiet an sich weiter bestand. Die Rheinlandkommission konnte Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen, soweit dies im Interesse der Sicherheit und der Bedürfnisse der Besatzungstruppen notwendig war. Deutsche Gesetze konnten im besetzten Gebiet erst dann in Kraft treten, wenn sie der Rheinlandkommission mit einer Frist von zehn Tagen bekannt gegeben wurden; diese von deutscher Seite stets als unzulässig bekämpfte Regelung wurde erst im November 1925 aufgehoben. Die 1921 (Düsseldorf, Duisburg-Ruhrort) und 1923 (Ruhrgebiet) besetzten rechtsrheinischen „Sanktionsgebiete“ unterstanden der Befehlsgewalt der belgischen und französischen Oberbefehlshaber; sie fielen nicht unter das Rheinlandabkommen.
2. Einsetzung des ersten Reichs- und Staatskommissars 1919
Als sich die Organisation der alliierten Besatzung im Frühjahr 1919 abzeichnete, wurden auf deutscher Seite konkrete organisatorische Maßnahmen zur Vertretung der Interessen des Reichs und der betroffenen Länder gegenüber der Rheinlandkommission erwogen. Die Initiative ging von der preußischen Staatsregierung aus, die wegen des Problems der Autonomiebewegung im Rheinland unter innenpolitischem Druck stand. Die Überlegungen gingen zunächst dahin, die Aufgaben eines Staatskommissars dem Oberpräsidenten in Koblenz zu übertragen, dies schien aber nicht zweckmäßig, auch mit Rücksicht auf die anderen Länder. So beschloss die preußische Staatsregierung am 2.6.1919 die „Bestellung eines besonderen [...] Staats- und Reichskommissars für die Rheinlande in Verbindung mit der Reichsregierung und dem Zentrum“. Die Reichsregierung erklärte sich am 6.6.1919 „damit einverstanden, daß für die besetzten und gefährdeten westlichen Gebiete ein preußischer Staatskommissar ernannt und ihm auch eine Reichsvollmacht erteilt wird“. Das Vorschlagsrecht für die Besetzung verblieb bei der preußischen Staatsregierung, die am 17. Juni die Ernennung den bisherigen Regierungspräsidenten in Köln, Karl von Starck (1867–1937), zum Reichs- und Staatskommissar beschloss, die am 21. Juni vollzogen wurde. Nach Zustimmung der Siegermächte – erforderlich, weil das Reichskommissariat nicht im Rheinlandabkommen vorgesehen war, und Ende Juli in Form eines vorläufigen Agréments für von Starck eher widerstrebend erteilt – konnte der Reichs- und Staatskommissar am 18.8.1919 sein Amt antreten. Allerdings musste er sich zunächst auf Verbindungen zu interalliierten Stellen in Koblenz und Trier beschränken, da er seine Tätigkeit erst offiziell mit dem Inkrafttreten von Friedensvertrag und Rheinlandabkommen am 10.1.1920 aufnehmen durfte.
3. Organisation und Zuständigkeit
Als Dienststelle des Reichs firmierte er als Reichskommissar, als preußische Dienststelle indes als Reichs- und Staatskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete. Er ressortierte zum Geschäftsbereich des Reichsministerium des Innern, das (bis 1923) für die besetzen Gebiete zuständig war, und zum preußischen Staatsministerium beziehungsweise zum preußischen Ministerium des Innern; er hatte seinen Sitz in Koblenz, wo auch die Rheinlandkommission angesiedelt war. Im Verkehr mit den übrigen Landesregierungen hatte sich der Reichskommissar der von jenen bestellten Staatskommissare (bis Anfang 1920 nahm der preußische Staatskommissar auch die Belange Oldenburgs wahr, bis ein eigener oldenburgischer Staatskommissar ernannt wurde) zu bedienen, wobei insbesondere Bayern auf die Beachtung der Abgrenzung der Zuständigkeitsbefugnisse zwischen dem Reichskommissar und den ordentlichen Behörden der einzelnen Länder besonderen Wert legte; der preußische Staatskommissar war keine Zwischeninstanz zwischen Provinzial- und Zentralbehörden. Der räumliche Zuständigkeit des Kommissariats erstreckte sich auf das gesamte von den alliierten und assoziierten Mächten aufgrund des Rheinlandabkommens besetzte (rheinische) Gebiet (im Falle des preußischen Staatskommissar auf das besetzte preußische Staatsgebiet), hierunter fiel allerdings nicht das unter internationaler Verwaltung stehende Saargebiet.
Als Reichs- und preußische Staatsbehörde hatte der Kommissar folgende Zuständigkeiten:
- Wahrnehmung und Vertretung der Interessen der Reichs und des Freistaats Preußen gegenüber den Besatzungsbehörden;
- Vertretung der besetzten rheinischen Gebiete und ihrer Bevölkerung gegenüber der Besatzung durch Weiterleitung der Wünsche und Beschwerden aus der Bevölkerung sowie Bearbeitung der Requisitionen und Besatzungsanforderungen;
- Mitwirkung bei der Ausführung der Bestimmungen des Friedensvertrags hinsichtlich der besetzten Gebiete.
Unter die Interessenvertretung von Reich und Ländern fielen auch die Notifizierung der Gesetze, die im besetzten Gebiet in Kraft gesetzt werden sollten, sowie Weiterleitung beziehungsweise Entgegennahme amtlicher Schriftstücke an beziehungsweise von der Rheinlandkommission. Der Reichs- und Staatskommissar war die einzige Reichs- und Staatsbehörde im besetzten Gebiet, die in unmittelbaren Geschäftsverkehr mit der Rheinlandkommission treten durfte.
Der Reichs- und Staatskommissar bediente sich für die Durchführung seiner Aufgaben einer eigenen Dienststelle, die in Koblenz (1922) in den Gebäuden Castorhof 6 und Castorpfaffengasse 21 untergebracht war. Sie bestand aus dem Reichs- und Staatskommissar, seinem ständigen Stellvertreter, acht Referenten und dem erforderlichen Büropersonal. Zwischen Herbst 1919 und April 1923 waren dem Reichskommissar die Vertreter beziehungsweise Staatskommissare beim Reichskommissar der Länder, Bayern, Baden, Hessen und Oldenburg beigegeben, ferner je ein Vertreter des Auswärtigen Amts, des Reichswirtschaftsministeriums und des Reichsministeriums für Ernährung und Landschaft, des Reichsarbeitsministeriums, des Reichswehrministeriums, des Reichsfinanzministeriums, des Reichsverkehrsministeriums (Abteilung Wasserstraßen), des Reichsverkehrsministeriums (Zweigstelle Preußen-Hessen), des Reichspostministeriums, des Reichskommissars für die Kohlenverteilung, des Reichsbeauftragten für die Überwachung der Ein- und Ausfuhr (nur 1921). Dem preußischen Staatskommissar war zudem ein Vertreter des preußischen Justizministeriums zugeteilt. Ebenfalls bis 1923 bestand bei dem Reichskommissar ein aus 40 Mitgliedern bestehender parlamentarischer Beirat, der die Aufgabe hatte, die Interessen der besetzten rheinischen Gebiete und ihrer Bevölkerung im Rahmen der dem Reichskommissar zugewiesenen Aufgaben zu vertreten und diesen bei seinen Maßnahmen zu beraten. Dem Beirat gehörten an:
a) 18 von den Fraktionen der Parlamente bestimmte Mitglieder (Zentrum sieben, SPD vier, DVP drei, USPD zwei, DDP und DNVP je einer),
b) 22 Vertreter von Berufs- und Interessenvereinigungen (Handel und Industrie fünf, Landwirtschaft drei, Handwerk einer, Städtevereinigung der besetzten rheinischen Gebiete drei, Verband der Rheinischen Gemeinden und Rheinischer Gemeindetag einer, Gewerkschaften sechs, Vertreter der Angestelltenverbände zwei, Landesverband der Reichs-, Landes- und Gemeindebeamten der besetzten rheinischen Gebiete einer).
Wie sich der Kontakt mit den Staatskommissaren der Länder vollzog, mag am Beispiel der Mitwirkung des bayerischen Staatskommissars Sigmund Knoch (1881–1945) illustriert werden. Da dieser weiterhin bei der Kreisregierung in Speyer tätig und mit den dortigen französischen Behörden in Kontakt bleiben wollte, konnte er mit Zustimmung des bayerischen Staatsministeriums des Äußern seine Tätigkeit in Speyer fortsetzen, sollte aber ein bis zwei Tage pro Woche auch bei dem Reichskommissar in Koblenz tätig sein. Knoch richtete es so ein, dass er in der Regel von donnerstags bis samstags nach Koblenz fuhr, um an den freitags anberaumten Hauptbesprechungen im Reichskommissariat teilnehmen zu können.
4. Konfliktfelder
Die Doppelfunktion als Reichs- und Staatskommissar war in der Anfangszeit nicht unproblematisch, zumal in der Amtszeit des aus dem preußischen Staatsdienst kommenden Kommissars von Starck. Dieser, wie auch die preußische Staatsregierung, verstand das Kommissariat in erster Linie als Instrument zur Durchsetzung preußischer Interessen. So sah sich das Auswärtige Amt bereits wenige Tage nach Inkrafttreten des Rheinlandabkommens veranlasst, seinen Vertreter beim Reichskommissar anzuweisen, er möge darauf hinwirken, „daß die Rheinlandfrage weniger vom preußischen als vielmehr vom deutschen Standpunkte aus behandelt wird“, auch dürfe die Stellung des Reichskommissars „als Zentralvermittlungsstelle für die gesamten besetzten Rheinlande nicht erschüttert“ werden, schließlich sei die Reichseinheit die „Grundlage unserer auswärtigen Politik“, deren Nichtbeachtung den gegenteiligen Bestrebungen des französischen Vertreters in der Rheinlandkommission Vorschub leisten würde. So ist es nachvollziehbar, dass die Kontakte des Reichskommissars auch zu den Vertretern der Länder nicht spannungsfrei waren, der hessische Staatskommissar bezeichnete dessen Verhalten einmal als „eine Inferiorität für Hessen“. Problematisch war auch das Verhältnis von Reichs- und Staatskommissar von Starck zum Oberpräsidenten der Rheinprovinz, Rudolf von Groote, weil dieser in den ersten Monaten seiner Amtszeit unter Umgehung des Oberpräsidenten in Angelegenheiten, die ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der inneren Verwaltung fielen, unmittelbar mit staatlichen und kommunalen Behörden in der Rheinprovinz und der Provinz Hessen-Nassau verkehrte. Dieser eher sachliche Kompetenzkonflikt konnte schließlich ausgeräumt werden, indem ein regelmäßiger Informationsaustausch über wichtige Vorkommnisse vereinbart und dem Reichs- und Staatskommissar das Recht zum unmittelbaren Verkehr mit den Regierungspräsidenten zugestanden wurde. Außerdem konnte der Oberpräsident als ständiger Kommissar den Sitzungen des parlamentarischen Beirats beiwohnen. Später traten aber noch persönliche Gegensätze zwischen Reichskommissar und Oberpräsident in den Vordergrund, zum einen wegen der durchaus vorhandenen Bestrebungen von Starcks, die Verhältnisse der Besatzung zur Änderung der Verwaltungsorganisation zu nutzen, zum anderen wegen der erkennbaren parteipolitischen Besetzung der Behörde des Reichskommissariats: der parteilose Reichskommissar, Verwaltungsbeamter alter Schule und langjähriger Polizeipräsident in Potsdam, galt wegen seiner guten Kontakte zur SPD aus seiner Kölner Zeit als „roter Regierungspräsident“, sein Stellvertreter Alexander von Brandt (1873–1960), zuvor Geheimer Regierungsrat und Vortragender Rat im preußischen Ministerium der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten, war ausdrücklich als Vertreter des Zentrums berufen worden, der sozialpolitische Referent des Reichskommissariats, Otto Bauknecht (1876–1961), war Gewerkschaftssekretär und SPD-Mitglied.
5. Von der Neubesetzung 1921 bis zur Aufhebung 1923
Die Amtszeit von Reichs- und Staatskommissar von Starck endete nach weniger als zwei Jahren. In der Kabinettssitzung am 27.5.1921 teilte der Reichsminister des Innern Georg Gradnauer (1866–1946), mit, dass die Interalliierte Rheinlandkommission mit der Ausweisung des Reichskommissars von Starck gedroht habe, falls nicht innerhalb einer bestimmten Frist deutsche Staatsangehörige, die im besetzten Gebiet sich Verfehlungen gegen Angehörige der Interalliierten Mächte hätten zu Schulden kommen lassen und in das unbesetzte Gebiet geflohen seien, ausgeliefert würden. Eine Auslieferung dieser Personen werde voraussichtlich teils aus rechtlichen, teils aus taktischen Gründen nicht möglich sein, die Forderung der Auslieferung sei auch nur ein Vorwand, um die Entfernung des Reichskommissars oder sogar die Unterdrückung des ganzen Reichskommissariats herbeizuführen. Der englische Vertreter in der Rheinlandkommission habe dem Vertreter des Auswärtigen Amts in Koblenz vertraulich mitgeteilt, dass es im Interesse des Zusammenarbeitens des Reichskommissariats mit der Rheinlandkommission und der Schaffung einer besseren Atmosphäre wünschenswert sei, dass von Starck seinen Posten verlasse. Vor diesem Hintergrund erklärte der in der Sitzung anwesende Reichskommissar von Starck, dass er sein Amt der Regierung zur Verfügung stelle.
Die Regelung der Nachfolge im Amt des Reichs- und Staatskommissars nahm einige Zeit in Anspruch. Die Reichsregierung hatte schon bald den seit 1912 im Ruhestand befindlichen Diplomaten Paul Hermann Fürst von Hatzfeldt und Wildenburg (1867–1941), der auf Schloss Crottorf bei Friesenhagen lebte und zuletzt als deutscher Bevollmächtigter für das Abstimmungsgebiet in Oberschlesien amtiert hatte, für das Amt vorgeschlagen. Diesen Vorschlag billigte zwar das preußische Staatsministerium am 24. Juni, beschloss aber zugleich, von seiner gleichzeitigen Bestellung zum preußischen Staatskommissar abzusehen. Offenbar als Ergebnis weiterer Verhandlungen zwischen Reich und Preußen revidierte die preußische Staatsregierung aber ihre Meinung und stimmte am 19. August der Ernennung des Fürsten von Hatzfeldt auch zum preußischen Staatskommissar zu. Dieser wurde am 30. September zum Reichskommissar unter gleichzeitiger Bestellung zum preußischen Staatskommissar ernannt. Er trat sein Amt in Koblenz am 14.10.1921 an und übergab wenig später der Rheinlandkommission seine präsidentielle Vollmacht. Der neue Kommissar intensivierte die Kontakte mit der Rheinlandkommission; die preußische Staatsregierung hatte seine Stellung auch dadurch gestärkt, dass sie die nachgeordneten Behörden anwies, ihm von allen wichtigen Berichten, nicht nur in Besatzungsangelegenheiten, Abschriften zuzuleiten. Während der Tätigkeit des Fürsten Hatzfeldt konnten auch die aus der Zeit von Starcks stammenden Vorbehalte der außerpreußischen Ländern gegenüber dem Kommissariat sukzessive abgebaut werden, zumal die Länder den Wert einer gemeinsamen Vertretung gegenüber der Rheinlandkommission zu schätzen begannen. Eine weitere personelle Veränderung war im Frühjahr 1922 das Ausscheiden des stellvertretenden Reichs- und Staatskommissars Ministerialdirektor Alexander von Brandt, der am 1. April als Leiter der unter anderem mit Besatzungs- und Reparationsangelegenheiten befassten Abteilung V in das Reichsfinanzministerium wechselte. Neuer Stellvertreter wurde der Geheime Regierungsrat Ministerialrat Dr. Otto Dilthey (1877–1929), seit 1919 Referent im Reichskommissariat.
Mittlerweile war das Klima zwischen deutschen Stellen und der Rheinlandkommission nach dem Ruhreinmarsch der Belgier und Franzosen und dem von deutscher Seite angeordneten passiven Widerstand frostig geworden. Hiervon blieb auch das Reichs- und Staatskommissariat nicht verschont: Am 17. April erklärte die Rheinlandkommission die Tätigkeit des Reichskommissars für beendet und wies den Fürsten Hatzfeldt aus. Die Rheinlandkommission begründete dies unter anderem damit, dass das Reichskommissariat nicht mehr die Tätigkeiten ausüben werde, unter deren Voraussetzung es eingerichtet worden sei. Die Dienststelle des Reichs- und Staatskommissars blieb zwar nominell bestehen, war aber (so das Handbuch für das Deutsche Reich 1924) „z.Z. außer Tätigkeit“ beziehungsweise (so das Preußische Staatshandbuch 1925) „infolge Ausweisung durch die Besatzungsbehörden […] z.Zt. außer Wirksamkeit“. Die Bediensteten des Reichskommissariats dürften mehrheitlich ausgewiesen worden sein, einige finden sich später vorübergehend im Personalbestand dieses Ministeriums. Das Kommissariat ging aus dem Geschäftsbereich des Reichsministeriums des Innern in den des am 24.8.1923 neu errichteten Reichsministeriums für die besetzten Gebiete über.
Mit der Ausweisung des Reichskommissars war auf nicht absehbare Zeit das Reichskommissariat als zentrale deutsche Verbindungsstelle mit der Rheinlandkommission suspendiert. Kontakte mit den Besatzungsmächten bestanden fortan nur noch zwischen den örtlichen und regionalen Behörden (wobei einschlägige Aktivitäten des Oberpräsidenten in Koblenz, sofern Belange außerpreußischer Gebiete berührt waren, von den Ländern mit Argwohn betrachtet wurden) und den entsprechenden Besatzungsdienststellen, abgesehen von den Kontakten auf oberster politisch-diplomatischer Ebene. Einen bescheidenen Ersatz, unter anderem im Hinblick auf die Koordinierung von Eingaben aus dem besetzten Gebiet, bildete die im Frühjahr 1923 bei der Reichskanzlei errichtete Zentralstelle Rhein-Ruhr, der allerdings die Möglichkeit unmittelbarer Kontakte zur Rheinlandkommission fehlten. Die Zentralstelle Rhein-Ruhr ging im August im neuen Reichsministerium für die besetzten Gebiete auf.
6. Verhandlungen um die Wiedereinsetzung 1924 bis 1925
Mit der Entspannung der Beziehungen zwischen dem Reich und den alliierten Mächten als Folge der Londoner Konferenz vom August 1924 (Dawes-Plan), später auch des Rheinpakts von Locarno vom 16.10.1925, stellte sich die Frage nach der Wiederherstellung des Reichskommissariats, die aber zunächst, so die Einschätzung der Reichsregierung Ende 1924, von den Alliierten, vor allem von Frankreich, noch abgelehnt wurde. Bemühungen des Auswärtigen Amts, das von den ständigen Reibereien im Rheinland entlastet werden wollte, schon im Herbst 1924 um Wiederzulassung des Reichskommissariats waren ergebnislos verlaufen. Vor allem Bayern setzte sich für die Reaktivierung des Reichskommissariats ein, weil es die „Übung“ ablehnte, „dass der preußische Oberpräsident der Rheinprovinz in seiner Person auch die Aufgaben des Reichskommissars vereinigt“ und unter Ausschaltung auch der Länder „unmittelbar mit der Rheinlandkommission in Beziehung getreten“ sei, wie es der Staatsrat im bayerischen Staatsministerium des Äußern Hans Schmelzle (1874–1955) im November 1924 gegenüber dem Vertreter der Reichsregierung in München monierte. Die Reichsregierung bekräftigte am 20.12.1924, „daß der Gedanke einer Personalunion zwischen Reichskommissariat und Oberpräsidium in Koblenz als unzweckmäßig abgelehnt werden müsse“. Die innerdeutsche Meinungsbildung in Sachen Reichskommissariat war ein Gemengelager divergierender Interessen zwischen dem Auswärtigem Amt und dem Reichsministerium für die besetzten Gebiete, der preußischen Staatsregierung und den Ambitionen des rheinischen Oberpräsidenten Hans Fuchs, schließlich den beteiligten Länden, mit Bayern an der Spitze.
Die äußerst zähen Verhandlungen, ganz abgesehen von der weiterhin ablehnenden Haltung insbesondere der Franzosen, mögen folgende Initiativen veranschaulichen: Der Reichsverkehrsminister schlug Anfang 1925 wiederum vor, den Oberpräsidenten zum „innerdeutschen“ Reichskommissar zu bestellen, dies lehnten Auswärtiges Amt und Reichswehrminister mit Entschiedenheit ab. Letzterer sprach sich am 30.3.1925 gegenüber dem Auswärtigen Amt dafür aus, die deutsche Politik müsse erreichen, „daß die Interalliierte Rheinlandkommission das Fehlen einer Reichsvertretung selbst als störend empfindet und in dieser Hinsicht zugänglicher wird“. Am 11.7.1925 forderte der Reichsminister für die besetzten Gebiete, Joseph Frenken, von dem Auswärtigen Amt unter anderem die „Wiederherstellung des im April 1923 vertriebenen Reichskommissariats“ als eine Maßnahme zur „Generalbereinigung der Besatzungsfragen“. Nach Locarno waren dann die französischen Vorbehalte gegen das Reichskommissariat ausgeräumt, die preußische Zustimmung zur Wiedereinsetzung musste jedoch mit formalen Konzessionen zu dessen Stellung erkauft werden: So sollte das Reichskommissariat fortan nur noch „eine nach Rang und Zahl der Beamten kleine diplomatische Behörde“ sein, zudem solle „eine Vereinigung eines Preußischen Staatskommissars mit jener diplomatischen Stellung nicht erfolgen“, wie es Innenminister Carl Severing (1875–1952) und Ministerpräsident Otto Braun (1872–1955) von der Reichsregierung verlangten. Der Oberpräsident der Rheinprovinz Hans Fuchs hatte sich noch im Oktober 1925 gegenüber Reichskanzler Hans Luther als den „geborene[n] Staatskommissar“ in der Provinz bezeichnet, ferner davor gewarnt, dem Reichskommissar „ein Relief zu geben, das mit seiner mehr oder weniger formalen Tätigkeit nicht in Einklang zu bringen ist, und vor allem dadurch nicht die anmaßende Bedeutung der Rheinlandkommission zu stärken“.
Das Auswärtige Amt taktierte geschickt, in dem es der Form nach auf die preußischen Forderungen einging, im Übrigen aber seine Vorstellungen mit Erfolg durchsetzte, so auch bei der Besetzung der Stelle. Anfang November 1925 wurde der deutsche Botschafter in Madrid, Ernst Freiherr Langwerth von Simmern (1865–1942), zum neuen Reichskommissar für die besetzten Gebiete ernannt. Er erhielt auf deutsches Ersuchen am 6. November das Agrément der Botschafterkonferenz, wurde am 12. November in Begleitung des deutschen Botschafters in Paris, Leopold von Hoesch (1881–1936), vom französischen Außenminister Aristide Briand (1862–1932) empfangen und trat sein Amt in Koblenz am 23.12.1925 an.
7. Die letzten Jahre (1925 bis 1930)
Langwerth von Simmern amtierte nur noch als Reichskommissar. Durch die 1923 erfolgte Unterstellung des Reichskommissariats unter das Reichsministerium für die besetzten Gebiete war der Instanzenzug übersichtlicher geworden und ermöglichte auch einen Austausch von Personal zwischen Ministerium und Reichskommissar. So wurde im Mai 1926 der bisherige Stellvertreter des Reichskommissars, Ministerialdirektor Dr. Otto Dilthey, als Dirigent in die Abteilung I des Ministeriums versetzt, während der bisherige Stelleninhaber Ministerialrat Dr. Raban Graf Adelmann von Adelmannsfelden als Stellvertreter des Reichskommissars nach Koblenz wechselte und in dieser Stellung bis 1930 verblieb. Graf Adelmann war bis 1919 beim Oberpräsidium in Koblenz tätig und seitdem im Reichsministerium des Innern beziehungsweise im Reichsministerium für die besetzten Gebiete einschlägig beschäftigt. Das Reichskommissariat hatte fortan seine Geschäftsräume in Koblenz, Rheinanlagen 10, es war im Vergleich zur Zeit bis 1923 mit weniger Personal ausgestattet, hatte neben dem Stellvertreter des Reichskommissars nur noch drei Referenten und das erforderliche Büropersonal. Die Ausrichtung des Reichskommissariats als eher diplomatische Behörde zeigte sich unter anderem darin, dass der jeweilige Vertreter des Auswärtigen Amts und (ab Januar) 1926) auch der bayerische Vertreter Dr. Knoch, nunmehr mit Titel und Rang Wirklicher Legationsrat, unmittelbar als Referenten in der Dienststelle des Reichskommissars zu fungieren schienen, wobei allerdings die personelle Nichtberücksichtigung der übrigen Länder (vor allem Hessens und Badens) von diesen kritisiert wurden. Ein Parlamentarischer Beirat findet sich nicht mehr, ebenso keine Vertreter von anderen Reichsministerien. Die preußischen Belange nahm der Oberpräsident der Rheinprovinz im Grundsatz unabhängig vom Reichskommissar als ständiger Kommissar der preußischen Regierung im Rahmen der allgemeinen Zuständigkeitsbestimmungen wahr.
Der Arbeitsanfall des Reichskommissariats ging ab 1926 mit der Räumung der drei Zonen des besetzten Gebietes zurück. Im Januar 1926 zog sich die Besatzung aus der 1. (Kölner) Zone zurück, im November 1929 aus der 2. (Koblenzer) Zone, im Juni 1930 schließlich aus der 3. (Mainzer) Zone), so dass die rheinischen Gebiete am 1.7.1930 unbesetzt waren. Nach der Räumung von Koblenz 1929 wechselten Rheinlandkommission und Reichskommissar in das noch besetzte Wiesbaden. Mit dem Ende der Besatzung Ende Juni 1930 war die Tätigkeit des Reichskommissariats im Wesentlichen beendet. Nach den üblichen Abwicklungsaufgaben wurde es gleichzeitig mit dem Reichsministerium für die besetzten Gebiete zum 30. September aufgelöst. Im Juni 1930 hatte die Reichsregierung noch für drei Monate die Altersgrenze von Reichskommissar Langwerth von Simmern herausgeschoben.
8. Übersichten der Stelleninhaber
Reichs- und Staatskommissar (1925 Reichskommissar) für die besetzten rheinischen Gebiete:
Regierungspräsident a.D. Karl von Starck (18.8.1919–27.5.1921)
Gesandter a. D. Hermann Fürst von Hatzfeld-Wildenbruch (14.10.1921–17.4.1923)
Botschafter a. D. Ernst Freiherr Langwerth von Simmern (23.12.1925–30.9.1930)
Ständiger Stellvertreter:
Ministerialrat (mit der Amtsbezeichnung Ministerialdirektor) Dr. Alexander von Brandt, Geheimer Regierungsrat (1.10.1919–[31.3.]1922)
Ministerialrat (mit der Amtsbezeichnung Ministerialdirektor) Dr. Otto Dilthey, Geheimer Regierungsrat ([1.4.]1922–nach März 1926)
Ministerialrat (mit der Amtsbezeichnung Ministerialdirektor) Dr. Raban Graf Adelmann von Adelmannsfelden, Geheimer Regierungsrat (6.5.1926–1930)
Staatskommissare/Vertreter [der Länder] beim Reichskommissar usw. (Herbst 1919 bis April 1923)
Bayern: Bezirksamtmann (1921 mit Titel und Rang Gesandtschaftsrat) Dr. Sigmund Knoch (1881–1945), bis 1923 politischer Referent der Kreisregierung Speyer, bayerischer Vertreter beim Reichskommissar (1.9.1919–April 1923)
Baden: Ministerialrat Dr. Karl Scheffelmeier (1878–1938), badisches Staatsministerium des Innern in Karlsruhe, badischer Staatskommissar (1919–1923)
Hessen: Kreisdirektor in Erbach (später Ministerialrat) Dr. Eugen Kranzbühler (1870–1928), hessischer Staatskommissar in den französisch besetzten Gebieten mit Dienstsitz in Mainz (12.9.1919–1923)
Oldenburg: preußischer Staatskommissar Karl von Starck (beauftragt, bis Dezember 1919); Regierungspräsident Hugo Walter Doerr (1879–1964), Vorsitzender der Regierung in Birkenfeld, oldenburgischer Staatskommissar (1.1.1920–1923)
Vertreter des Auswärtigen Amtes bei dem Reichskommissar, Koblenz, ab 2.12.1929 Wiesbaden
Geheimer Legationsrat Arthur Mudra (1871–1960) (1.9.1919–15.4.1920)
Legationssekretär Albrecht Graf von Bernstorff (1890–1945) (15.4.1919 vertretungsweise, 11.5.1920–15.11.1921)
Legationssekretär Werner von Levetzow (1886–1967) (15.11.1921–22.4.1923)
Legationssekretär (Amtsbez. Gesandtschaftsrat) Dr. Erich Heberlein (1889–1980) (8.12.1925–4.7.1928)
Legationssekretär Hans Rüdiger von Heinz (1894–1941) (30.6.1928–31.7.1930)
Quellen
Das Kabinett Scheidemann (1919), bearb. von Hagen Schulze, Boppard 1971.
Das Kabinett Wirth I/II (1921/22), bearb. von Ingrid Schulze-Bidlingmeier, Boppard 1973.
Das Kabinett Marx I/II (1923–1925), bearb. von Günher Abramowski, Boppard 1973.
Das Kabinett Luther I/II (1925/26), bearb. von Karl-Heinz Minuth, Boppard 1977.
Literatur
Adreßbuch der Stadt Coblenz und Umgebung, Ausgabe 1923, Siegen 1923.
Bitter, [Rudolf] von, Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung, hg. v. Bill Drews u. Franz Hoffmann, 3. Auflage, Berlin/Leipzig 1928 (s.v. Besetztes Gebiet).
Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes 1871–1945, hg. vom Auswärtigen Amt – Historischer Dienst –, Band 1: A–F, bearb. v. Johannes Hürter, Martin Kröger, Ralf Messerschmidt, Christiane Scheidemann, Paderborn 2000; Band 2: G–K, bearb. v. Gerard Keiper, Martin Kröger, Paderborn 2004; Band 3: L–R, bearb. v. Gerard Keiper, Martin Kröger, Paderborn 2008; Band 4: S, bearb. v. Bernd Isphording, Gerard Keiper, Martin Kröger, Paderborn 2012.
Einwohnerbuch der Stadt Coblenz [ab 1927 Koblenz] und Umgebung für das Jahr 1921/22, 1925/1926, 1927/1928, 1929/1930, Koblenz 1921, 1925, 1927, 1929.
Gembries, Helmut, Verwaltung und Politik in der besetzten Pfalz zur Zeit der Weimarer Republik, Kaiserslautern 1992.
Handbuch für das Deutsche Reich, hg. vom Reichsministerium des Innern, 41 (1922), 42 (1924), 43 (1926), 44 (1929),
Handbuch über den Preußischen Staat 128 (1922), 129 (1925), 131 (1927).
Pohl, Karl Heinrich, Der „Rheinlandkommissar“ und die besetzten deutschen Gebiete. Regionale Einflüsse bei den innenpolitischen Auseinandersetzungen um die „Rückwirkungen“ von Locarno, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 5 (1979), S. 273–301.
Romeyk Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816–1945, Düsseldorf 1994.
Romeyk, Horst, Verwaltungs- und Behördengeschichte der Rheinprovinz 1914–1945, Düsseldorf 1985.
Online
Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik. [Online]
Gembries, Helmut, Rheinlandkommission, in: Historisches Lexikon Bayerns. [Online]
Lilla, Joachim, Knoch, Sigmund, in: ders.: Staatsminister, leitende Verwaltungsbeamte und (NS-)Funktionsträger in Bayern 1918 bis 1945. [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Lilla, Joachim, Der Reichskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete (1919–1930), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/der-reichskommissar-fuer-die-besetzten-rheinischen-gebiete-1919%25E2%2580%25931930/DE-2086/lido/57d12bc2396434.58798832 (abgerufen am 05.12.2024)