„Deutsches Theater am Rhein“. Landmarken des rheinischen Theaters aus zwei Jahrtausenden

Winrich Meiszies (Düsseldorf)
Veröffentlicht am 22.01.2021, zuletzt geändert am 22.04.2022

Das Düsseldorfer Schauspielhaus an der Kasernenstraße. Links im Hintergrund der Stahlhof, um 1910, Foto: Julius Söhn. (Stadtarchiv Düsseldorf, 226_540_001)

1. Einleitung

In ei­nem Gruß­wort an die Deut­sche Leh­rer­ver­samm­lung in Düs­sel­dorf 1928 schrieb die aus Köln ge­bür­ti­ge Schau­spie­le­rin Loui­se Du­mont, die mit ih­rem Man­n Gus­tav Lin­de­mann in Düs­sel­dorf ein Thea­ter be­trieb, un­ter dem Ti­tel „Deut­sches Thea­ter am Rhein“: „Der deut­sche Ge­ni­us am Rhein be­ginnt sei­ne In­stru­men­te zu stim­men. Lan­ge ge­nug wa­ren sie schweig­sam.“ Der Auf­bruch der als „gleich­gül­ti­g“ und „rück­stän­di­g“ ver­spot­te­ten Rhein­län­der be­gann im Thea­ter mit der Ab­kehr vom äu­ßer­li­chen Aus­stat­tungs­lu­xus und der Be­sin­nung auf die Spra­che.[1] Als im 18.Jahr­hun­dert das Thea­ter noch dar­um kämpf­te, als freye Kunst an­er­kannt zu wer­den, be­gab es sich gleich­zei­tig durch die Pro­pa­gie­rung und Ein­füh­rung des „re­gel­mä­ßi­gen“ Dra­mas in die Ab­hän­gig­keit zur Li­te­ra­tur. Auch heu­te noch wird Thea­ter­ge­schich­te bei Pu­bli­kum und Fach­leu­ten als Dra­men­ge­schich­te, das hei­ßt Ge­schich­te der Ur­auf­füh­run­gen ka­no­ni­sier­ter Dra­ma­tik ver­stan­den.

Im Ge­gen­satz da­zu fragt die­ser Bei­trag nach den Auf­trag­ge­bern und Trä­gern der Thea­ter­ent­wick­lung, die mit ih­ren An­sprü­chen die An­läs­se, die or­ga­ni­sa­to­ri­schen und tech­ni­schen Be­din­gun­gen und die künst­le­ri­schen In­hal­te, For­men und Mit­tel be­stim­men. Bei der Viel­zahl von zu­sam­men­wir­ken­den Fak­to­ren ist ei­ne li­nea­re Ent­wick­lung des Thea­ters als öf­fent­li­cher Kunst­form we­der in den heu­te thea­ter­tra­gen­den Städ­ten noch in ein­zel­nen Re­gio­nen ge­ge­ben.

Louise Dumont und Gustav Lindemann. (Stadtarchiv Düsseldorf)

 

2. Ludi publici – Theater im Auftrag des römischen Staates

Mit der Be­set­zung des links­rhei­ni­schen Rau­mes durch die Rö­mer wur­den auch die ers­ten ova­len Am­phi­thea­ter mit ei­nem Pro­gramm aus Schau­kämp­fen und Tier­het­zen zur Un­ter­hal­tung der Zu­schau­er er­rich­tet. Ein­fa­che halb­kreis­för­mi­ge Büh­nen mit Büh­nen­häu­sern bo­ten die Mög­lich­keit zur Auf­füh­rung von mit Ge­sang und Tanz durch­setz­ten, im We­sent­li­chen un­ter­halt­sa­men Pos­sen, die aus Kos­ten­grün­den das Pro­gramm do­mi­nier­ten und den­noch – im Ge­gen­satz zum An­se­hen der Thea­ter­künst­ler - ei­nen ho­hen ge­sell­schaft­li­chen Stel­len­wert be­sa­ßen. Die be­deu­tends­ten rö­mi­schen Thea­ter sind in Trier, Ko­blenz, Köln und Xan­ten seit 100 n. Chr. nach­ge­wie­sen. Zeug­nis­se der ver­gäng­li­chen Thea­ter­kunst sind spär­lich. Ob je­mals ei­ner der Thea­ter­stars aus dem rö­mi­schen Kern­land am Rhein auf­ge­tre­ten ist, ist nicht be­legt. Um 440 n.Chr. be­klag­te der Mönch Sal­vi­an von Mar­seil­le, dass es in Mainz, Köln und Trier kei­ne Thea­ter­auf­füh­run­gen mehr gab. Mit dem En­de der rö­mi­schen Herr­schaft am Rhein ver­schwand die Thea­ter­kunst, um mit der Wie­der­ent­de­ckung der an­ti­ken Dra­ma­tik neu zu be­gin­nen.

3. Gelegenheitstheater im Dienst von Kirche und Hof

Die Kir­chen­vä­ter ver­ur­teil­ten die Spiel­kul­tur des rö­mi­schen Staa­tes in ih­rer Mi­schung aus pa­nem et cir­cen­ses - „Brot und Spie­len“ - als „dä­mo­ni­sch“ und nah­men da­mit Be­zug auf die un­ter­be­wuss­ten, als heid­nisch ver­stan­de­nen Wirk­me­cha­nis­men der „Ka­thar­sis“, der psy­chi­schen Rei­ni­gung. Den­noch setz­te spä­tes­tens seit dem 12. Jahr­hun­dert ei­ne um­fang­rei­che Spiel­pra­xis et­wa in Form der Os­ter-, Pas­si­ons-, Weih­nachts- und Mys­te­ri­en­spie­len ein, die an­fangs von bür­ger­li­chen Lai­en und ih­ren Or­ga­ni­sa­tio­nen, spä­ter auch ver­stärkt von den Bil­dungs­ein­rich­tun­gen ei­ni­ger Or­den ge­tra­gen wur­de. Auf der Grund­la­ge der tra­di­tio­nel­len Lit­ur­gie ent­wi­ckel­ten Geist­li­che für ver­schie­de­ne Ge­le­gen­hei­ten des Kir­chen­jah­res ei­ge­ne Tex­te cho­ri­scher und dia­lo­gi­scher Struk­tur, die den über­wie­gend la­tei­ni­schen Tex­ten grö­ße­re An­schau­lich­keit und Pu­bli­kums­wirk­sam­keit ver­lie­hen. Als sze­ni­sche Räu­me dien­ten Kir­chen, Klös­ter und Markt­plät­ze.

Zum eu­ro­päi­schen Pil­ger­ziel ers­ter Ord­nung ent­wi­ckel­te sich die nach­weis­bar seit 1349 al­le sie­ben Jah­re statt­fin­den­de Aa­chener Hei­lig­tums­fahrt, wo auch ers­te „Mys­te­ri­en­spie­le“, die The­men des christ­li­chen Glau­bens be­han­del­ten, be­legt sind. Das nörd­li­che Nie­der­rhein­ge­biet hat­te mit den Klos­ter- be­zie­hungs­wei­se Stifts­schu­len in Kle­ve, Goch (Ga­es­donck), Gel­dern, We­sel und Xan­ten ei­ne grö­ße­re Zahl von re­li­giö­sen Thea­ter­ver­an­stal­tun­gen auf­zu­wei­sen. In Duis­burg ist für 1361 ein Fast­nachts­spiel, für 1413 ein kir­chen­kri­ti­sches „Bi­schofs­spiel“ be­zeugt.

Mit­te des 15. Jahr­hun­derts ge­wan­nen zu­neh­mend die Re­si­denz- und Ver­wal­tungs­städ­te als Or­te hö­he­rer Bil­dung an Be­deu­tung. Die Re­zep­ti­on hu­ma­nis­ti­schen Ge­dan­ken­guts führ­te seit dem 16. Jahr­hun­dert zur Auf­nah­me der thea­tra­li­schen Pra­xis in den Bil­dungs­ka­non der La­tein­schu­len und kirch­li­chen Gym­na­si­en. Auf­füh­run­gen im Rah­men des Schul- und Kir­chen­jah­res dien­ten der rhe­to­ri­schen Übung und der Ver­brei­tung re­li­giö­ser In­hal­te.

Ei­ne der Auf­füh­rung ei­nes Lau­ren­ti­us-Spiels (ver­mut­lich im Hof) der Lau­ren­tia­ner-Bur­se in Köln 1581 zu­ge­schrie­be­ne Ab­bil­dung zeigt die Wei­ter­ent­wick­lung sze­nisch-thea­tra­ler Mit­tel am Bei­spiel der Büh­ne. Gab es bis­her kaum oder nur un­zu­rei­chend de­fi­nier­te „Hand­lungs“-Räu­me, die in den Hal­len oder Sä­len ent­spre­chen­der Grö­ße nur durch die Ima­gi­na­ti­ons­kraft der Zu­schau­er zu ih­rer Wir­kung ka­men, so wa­ren in Köln auf ei­ner ein­fa­chen, ge­gen­über den Zu­schau­ern er­höh­ten Büh­ne meh­re­re Schau­plät­ze (so­wohl In­nen- wie Au­ßen­räu­me) si­mul­tan er­rich­tet. Im Lauf der Hand­lung wur­den sie durch das Spiel der Dar­stel­ler „ak­ti­vier­t“. 

Die ge­stei­ger­te Wir­kung der in Mi­mik, Ges­tik und Rhe­to­rik ge­schul­ten Dar­stel­ler wie der Büh­nen­tech­nik lock­te zahl­rei­che Be­su­cher an. Die welt­li­chen Pa­tro­ne der Schu­len nutz­ten die Auf­füh­run­gen für ih­re ei­ge­ne Un­ter­hal­tung; oft wur­den Be­zü­ge und The­men der Auf­füh­run­gen aus dem Le­ben der Lan­des­her­ren ge­wählt und dien­ten der ge­gen­sei­ti­gen Fes­ti­gung welt­li­cher und kirch­li­cher Macht. Erst im 18. Jahr­hun­dert ga­ben die Or­den das Thea­ter­spiel we­gen der Ab­len­kung der Schü­ler auf.

Teilrekonstruiertes Amphitheater im LVR-Archäologischen Park Xanten. (LVR-Archäologischer Park Xanten, Urheber: Axel Thünker DPGh)

 

Ein her­aus­ra­gen­des Bei­spiel frü­her, von ei­nem Hof in­iti­ier­ter thea­tra­ler Kul­tur war die so­ge­nann­te Jü­lich‘sche Hoch­zeit in Düs­sel­dorf 1585. Her­zo­g Wil­helm V. (der Rei­che) von Jü­lich, Kle­ve und Berg ver­hei­ra­te­te sei­nen Sohn, Jo­hann Wil­helm I. (Re­gie­rungs­zeit 1592-1609), mit Ja­co­be von Ba­den. Als Schwie­ger­sohn und Schwa­ger eu­ro­päi­scher Fürs­ten ver­such­te er Macht und Ein­fluss sei­nes Hau­ses in der Mit­te Eu­ro­pas zu stär­ken. Trotz der er­reich­ten Re­for­men ge­lang es zu Wil­helms Re­gie­rungs­zeit nicht, die Ver­wal­tungs­struk­tu­ren der ein­zel­nen Lan­des­tei­le Jü­lich, Kle­ve, Berg, Mark und Ra­vens­berg zu ver­ein­heit­li­chen und bei den Ein­woh­nern das Be­wusst­sein ei­nes ge­schlos­se­nen Staats­we­sens her­vor­zu­ru­fen.

Die acht Ta­ge dau­ern­den Fei­er­lich­kei­ten grif­fen thea­tra­le For­men der Hö­fe Frank­reichs, Ös­ter­reichs und Ita­li­ens auf. Die Be­schrei­bung durch den Land­schrei­ber Diet­rich Gra­minä­us (um 1530-1593?) und die Ab­bil­dun­gen von Frans Ho­gen­berg (1535-1590), die 1587 in Köln ge­druckt er­schie­nen, ge­hö­ren zu den frü­hes­ten Dar­stel­lun­gen hö­fi­scher Fest­kul­tur und kon­kur­rie­ren im deutsch­spra­chi­gen Raum mit den Hö­fen in Mün­chen (1568), Wien (1571), Dres­den (1574) und Kas­sel (1598). Gra­minä­us ist auch als Ur­he­ber zahl­rei­cher als „In­ven­tio­nen“ be­zeich­ne­ter sym­bo­li­scher Hand­lun­gen an­zu­se­hen.

Auf dem Rhein wur­den Feu­er­werkspan­to­mi­men ge­zeigt, die christ­li­che und Mo­ti­ve des klas­si­schen Al­ter­tums mit ein­an­der ver­ban­den, im her­zog­li­chen Schloss zu Düs­sel­dorf die „Mum­me­rey“. Auf ei­ner Tur­nier­bahn vor der Stadt in Pem­pel­fort wur­den Rings­te­chen und Lan­zen­zwei­kämp­fe ab­ge­hal­ten. Die Teil­neh­mer des Tur­niers führ­ten bei ih­rem Ein­zug auch ei­nen fahr­ba­ren Berg mit sich, der auf Rol­len „un­merk­li­ch“ be­wegt wur­de. Dort wa­ren au­ßer­dem Mu­si­ker und Sän­ger un­ter­ge­bracht. Die aus der grie­chi­schen My­tho­lo­gie stam­men­de Ge­schich­te von Or­pheus und Am­phion, die durch zwei Fi­gu­ren auf den Spit­zen des Ber­ges sym­bo­li­siert wur­den, wur­de als Be­leh­rung des Bräu­ti­gams als dem zu­künf­ti­gen Herr­scher ver­stan­den.[2] 

Es gab noch kei­ne dau­er­haft für Thea­ter ge­nutz­ten Räu­me. Au­to­ren, Kom­po­nis­ten, Dar­stel­ler stan­den im Dienst des Ho­fes und nah­men un­ter­schied­li­che Funk­tio­nen wahr.

Feuerwerk auf dem Rheinstrome. Taten des Herkules, Kupferstich von Franz Hogenberg (1538-1590), in: Dietrich Theodor Graminäus (um 1530 - nach 1593) "Beschreibung derer Fuerstlich Gueligscher Hochzeit ...", Köln 1587. (Gemeinfrei)

 

4. Fahrendes Volk – fremdsprachige und deutsche Wandertruppen am Rhein

Als Ro­bert Dud­ley, Earl of Leices­ter (1532–1588), 1585 das Ge­ne­ral­kom­man­do über die eng­li­schen Un­ter­stüt­zungs­trup­pen der ge­gen Spa­ni­en re­bel­lie­ren­den Nie­der­län­der über­nahm, brach­te er sei­ne Schau­spie­ler, die „Earl of Leices­ter’s Men“, mit auf den Kon­ti­nent. Die Trup­pe er­hielt 1574 als ers­te Schau­spie­ler­trup­pe ein kö­nig­li­ches Pa­tent. Mit der Grün­dung der „Queen’s Men“ 1583 ver­lor sie ih­re füh­ren­de Stel­lung und nutz­te des­halb die Ge­le­gen­heit, sich ei­nen neu­en Markt zu er­schlie­ßen. Ers­te Auf­füh­run­gen auf dem eu­ro­päi­schen Kon­ti­nent sind in Ut­recht, Lei­den und Den Haag be­legt.

Wäh­rend Dud­ley der po­li­ti­sche und fi­nan­zi­el­le För­de­rer der Trup­pe war, galt Wil­liam Kemp (um 1560- um 1603) als der letz­te or­ga­ni­sa­to­ri­sche und künst­le­ri­sche Lei­ter. Als So­lo-Dar­stel­ler (auch in ei­ni­gen Shake­speare-Ur­auf­füh­run­gen) war Kemp als „Clown“ und Tän­zer be­kannt und un­ter­strich ei­ne weit­ge­hen­de un­ter­hal­ten­de Funk­ti­on des eli­sa­be­tha­ni­schen Thea­ters. Der Köl­ner Rat schlug 1592 ei­ner eng­li­schen Trup­pe die Spiel­erlaub­nis noch ab, wäh­rend 1598 die ers­te Spiel­erlaub­nis für ei­ne eng­li­sche Trup­pe in Köln ak­ten­kun­dig ist. 1601 ist ei­ne Trup­pe un­ter der Lei­tung ei­nes Jo­hann Kemp un­ter an­de­rem in Köln, Ams­ter­dam und Müns­ter nach­ge­wie­sen. Aus ei­ner Be­schrei­bung ih­res Auf­tre­tens in Müns­ter geht her­vor, dass sie an fünf Ta­gen fünf ver­schie­de­ne „co­me­di­en“ in eng­li­scher Spra­che spiel­ten und dass sie zahl­rei­che Mu­sik­in­stru­men­te ein­setz­ten. Die Auf­füh­run­gen wur­den durch Tän­ze ein­ge­lei­tet und be­en­det. Be­son­ders her­vor­ge­ho­ben wird die Fi­gur ei­nes „schalks nar­ren“, der wäh­rend der Auf­füh­rung und zwi­schen den Ak­ten in deut­scher Spra­che „boet­ze“ und „ge­cke­rie“ mach­te. 

Wäh­rend die Hö­fe die Mög­lich­keit für sta­bi­le Ar­beit und Ein­kom­men bo­ten, wa­ren die Städ­te und ihr bür­ger­li­ches Pu­bli­kum ein in je­der Hin­sicht „frei­er Mark­t“. Vor­aus­set­zung für ein Auf­tre­ten war die Spiel­erlaub­nis des Ra­tes oder Bür­ger­meis­ters, die die per­sön­li­chen und po­li­ti­schen In­ter­es­sen der po­li­ti­schen Re­prä­sen­tan­ten an­zu­spre­chen und zu be­rück­sich­ti­gen hat­ten. Der „Spiel­plan“ hat­te die fi­nan­zi­el­len und tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten vor Ort zu be­rück­sich­ti­gen, ein ent­spre­chen­des Ge­bäu­de war selbst zu or­ga­ni­sie­ren.

Da die rhei­ni­schen Hö­fe in Düs­sel­dorf un­d Bonn e­her an Ita­li­en oder Frank­reich ori­en­tiert wa­ren und kein In­ter­es­se an den eng­li­schen Ko­mö­di­an­ten hat­ten, wa­ren es im We­sent­li­chen die Pil­ger­stadt Köln und die Bä­der­stadt Aa­chen, die ein aus­rei­chen­des Pu­bli­kums­re­ser­voir ver­spra­chen. Für ein Jahr­hun­dert do­mi­nier­ten die eng­li­schen Trup­pen den deut­schen Thea­ter­markt und setz­ten die Maß­stä­be für Thea­ter in Deutsch­land.

Ei­ner der letz­ten eng­li­schen Ko­mö­di­an­ten auf deut­schem be­zie­hungs­wei­se rhei­ni­schem Bo­den war Ge­or­ge Jol­ly (ak­tiv 1640–1673, auch Jo­r­is Jol­li­phus oder ähn­lich ge­nannt). Im Früh­jahr 1648 kam er mit 14 Kol­le­gen in Köln an und spiel­te im Ball­haus in der Apos­teln­stra­ße, das we­gen sei­ner ab­sei­ti­gen La­ge und der ho­hen Miet­kos­ten bei den Trup­pen we­nig be­liebt war. Güns­ti­ger lag die städ­ti­sche Tuch­hal­le am Qua­ter­markt. Seit 1648 war der so­ge­nann­te “Hop­fen­stal­l“ im ers­ten Stock der meist­be­spiel­te Saal. Im 18. Jahr­hun­dert stell­ten dann die Zünf­te ver­mehrt Räu­me zur Ver­fü­gung.

Jol­ly be­an­trag­te ei­ne Spiel­erlaub­nis für fünf bis sechs Wo­chen, durf­te aber nur 14 Ta­ge auf­tre­ten. Wei­ter­hin wur­den die Prei­se der Plät­ze re­gle­men­tiert und ein Bei­trag zur Ar­men­kas­se fest­ge­setzt. Seit der Mit­te des Jahr­hun­derts wa­ren die eng­li­schen Trup­pen be­reits mit deut­schen Dar­stel­lern durch­setzt. 1655 soll Jol­ly auf dem Weg von Frank­furt an den kur­fürst­li­chen Hof von Trier in Bin­gen auf­ge­tre­ten sein.

Als Carl An­dre­as Paul­sen (1620–1678) 1666 in Ham­burg für sei­ne „Car­li­schen Hoch­deut­schen Hof­co­mö­di­an­ten“ um ei­ne Spiel­erlaub­nis nach­such­te, ver­wies er auf die bis­he­ri­gen Spiel­or­te und nann­te dar­un­ter auch Köln. Paul­sen ge­hör­te zu ei­ner neu­en Ge­ne­ra­ti­on von Thea­ter­leu­ten, die aus­schlie­ß­lich deutsch­spra­chi­ge Dar­stel­ler be­schäf­tig­ten. Die auf­ge­führ­ten Stü­cke wa­ren zu­nächst vor­nehm­lich deut­sche Ad­ap­tio­nen und Be­ar­bei­tun­gen aus dem eng­li­schen Thea­ter. Im Lau­fe der Zeit ka­men auch Stü­cke deutsch­spra­chi­ger Au­to­ren ins Pro­gramm. Der Dar­stel­lungs­stil ori­en­tier­te sich an­fangs noch an den we­ni­ger sprach­ba­sier­ten Auf­füh­run­gen der Eng­län­der. Bei den Trup­pen han­del­te es sich weit­ge­hend um Fa­mi­li­en­un­ter­neh­men. Paul­sens Töch­ter hei­ra­te­ten Schau­spie­ler aus sei­ner Trup­pe: Jo­han­nes Vel­ten (1640–1693?) und Bal­tha­sar Bram­ba­cher. Nach Paul­sens Tod 1678 über­nahm Vel­ten die Trup­pe, die seit­dem als „Ban­de Hoch­teut­scher Co­mo­edi­an­ten“ fir­mier­te. Für 1680 ist ein Auf­tre­ten in Köln be­legt. Vel­ten stamm­te aus ei­ner wohl­ha­ben­den Fa­mi­lie, hat­te 1657-1661 in Wit­ten­berg und Leip­zig Phi­lo­so­phie und Theo­lo­gie stu­diert. Er wird als der ers­te ge­bil­de­te Schau­spie­ler be­zeich­net. Er er­wei­ter­te das bis­her be­grenz­te Re­per­toire der eng­lisch­spra­chi­gen Wan­der­büh­ne um Ad­ap­tio­nen aus dem fran­zö­si­schen und ita­lie­ni­schen Thea­ter so­wie die ein­fa­che Büh­nen­tech­nik sei­ner Zeit. 

Nach Vel­tens Tod 1693 über­nahm sei­ne Wit­we die Lei­tung der Trup­pe.1701 wi­der­leg­te sie mit ei­ner Kampf­schrift die thea­ter­feind­li­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen ka­tho­li­scher und pro­tes­tan­ti­scher Geist­li­cher in Nord­deutsch­land. Im Rhein­land ta­ten sich die pie­tis­ti­schen Ge­mein­den Duis­burgs und des Wup­per­tals in der Ab­wehr des Thea­ters be­son­ders her­vor. Aus der Vel­ten­schen Trup­pe gin­gen zahl­rei­che für die deut­sche Thea­ter­ent­wick­lung im 18. Jahr­hun­dert be­deu­ten­de Schau­spie­ler und Thea­ter­lei­ter her­vor.

Die meis­ten Trup­pen ori­en­tier­ten sich an den eng­li­schen Vor­bil­dern, spiel­ten grob und „holz­schnitt­ar­ti­g“, da sie die Spra­che als Dar­stel­lungs­mit­tel ver­nach­läs­sig­ten und mit der­bem Hu­mor und un­ter­hal­ten­den Ein­la­gen das In­ter­es­se des Pu­bli­kums ban­den. Ein grund­le­gen­der und um­fas­sen­der Wan­del der Thea­ter­ver­hält­nis­se wie ihn die pro­gram­ma­ti­schen Schrif­ten wie Gott­hold Ephram Les­sings (1729-1781) „Ham­bur­gi­sche Dra­ma­tur­gie“ (1767-1769) oder Fried­rich Schil­lers (1759-1805) „Die Schau­büh­ne als mo­ra­li­sche An­stal­t“ (1784) na­he­le­gen, ist in Deutsch­land nur an­satz­wei­se an­zu­neh­men. Ver­schie­de­ne Thea­ter­for­men be­stan­den wei­ter­hin ne­ben­ein­an­der fort.

Ei­nen Ein­blick in die Be­din­gun­gen und Mög­lich­kei­ten der Wan­der­trup­pen, un­ter an­de­rem in Köln, Düs­sel­dorf und Ko­blenz, ge­ben die Er­in­ne­run­gen der Schau­spie­le­rin Ca­ro­li­ne Schul­ze-Kum­mer­feld (1745–1815) von 1783 und 1793.[3] 

1763 und 1768 rich­te­ten Wan­der­trup­pen höl­zer­ne Bau­ten auf dem Köl­ner Neu­markt ein.

Der Son­der­sta­tus Kölns als „reich­frei­er“ Stadt führ­te zu an­de­ren Thea­ter­ver­hält­nis­sen. 1783 ließ der Gast­wirt Franz Cas­par Ro­di­us ne­ben sei­nem Lo­kal im „Ge­wer­be­ge­bie­t“ an  der Schmier­stra­ße (seit 1813 Ko­mö­di­en­st­ra­ße) ein Thea­ter er­bau­en, das er an Wan­der­trup­pen ver­mie­te­te. Das vor­der­grün­dig wirt­schaft­li­che In­ter­es­se führ­te zur Ver­nach­läs­si­gung des Ge­bäu­des. Zwei Fol­ge­bau­ten an die­ser Stel­le fie­len 1859 und 1869 Brän­den zum Op­fer. Ab 1872 wur­de der Thea­ter­stand­ort an der Glo­cken­gas­se bis ins 20.Jahr­hun­dert dau­er­haft.

5. „Die ganze Welt ist Bühne“ – Theater und höfische Repräsentation

Par­al­lel da­zu ent­wi­ckelt sich ei­ne hö­fi­sche Thea­ter­kul­tur der herr­schen­den Fürs­ten­häu­ser, der die Re­gi­on auch die ers­ten Thea­ter­bau­ten ver­dank­te: Düs­sel­dorf 1696, Bonn 1696, Düs­sel­dorf 1747. 

Robert Dudley, Earl von Leicester, Dreiviertelporträt, Öl auf Leinwand, circa 1564. (Gemeinfrei)

 

5.1 Düsseldorf 1696

„Für den Kar­ne­val wird ein hüb­sches Thea­ter vor­be­rei­tet; wo man frü­her spiel­te, war es ein Elen­d“, schrieb Kur­fürstin An­na Ma­ria Lui­sa de Me­di­ci 1695 in ih­re ita­lie­ni­sche Hei­mat.[4] Der be­lieb­te Kur­fürst Jo­hann Wil­helm (Jan Wel­lem) schaff­te mit Hil­fe der Mit­gift sei­ner Frau und der zahl­rei­chen Ver­bin­dun­gen der Me­di­cis die Grund­la­ge für ei­ne neue kul­tu­rel­le Blü­te in der Re­si­denz­stadt Düs­sel­dorf. 1695/1996 bau­te der ita­lie­ni­sche Ar­chi­tekt Mat­teo Al­ber­ti (1647-1735) in Blick­wei­te des Schlos­ses ein be­ste­hen­des Ge­bäu­de zu ei­nem Thea­ter um. Die In­nen­aus­stat­tung über­nahm der Ma­ler An­to­nio Ber­nar­di (um 1650–nach 1723).

1658 war be­reits der Lan­ge Saal des Kur­fürst­li­chen Schlos­ses als Auf­füh­rungs­ort für ei­ne „Co­mo­edie Ih­rer Durch­laucht Mu­si­kan­ten“ aus An­lass der Fei­er­lich­kei­ten zur Ge­burt Jan Wel­lems ge­nutzt wor­den. Der jun­ge Fürst war 1675 für meh­re­re Mo­na­te Gast am Hof des Son­nen­kö­nigs Lud­wig XIV. (Re­gie­rungs­zeit 1643-1715) und hat­te die dor­ti­ge Pracht­ent­fal­tung der Schau­spie­le, Opern und Bal­let­te ken­nen ge­lernt. Ne­ben den Thea­ter­auf­füh­run­gen, die nur für den Hof zu be­son­de­ren Ge­le­gen­hei­ten statt­fan­den und die der Un­ter­hal­tung, aber auch der Dar­stel­lung von Macht und Be­deu­tung des Fürs­ten dien­ten, spiel­ten die hö­fi­schen Bäl­le ei­ne gleich­ge­wich­ti­ge Rol­le. Wäh­rend der Auf­füh­run­gen, bei de­nen es sich um Opern- und Bal­lett­dar­bie­tun­gen han­del­te, war der ebe­ne Zu­schau­er­raum dem Fürs­ten und sei­nem en­ge­ren Hof­staat vor­be­hal­ten. Nur er kam in den Ge­nuss, das zen­tral­per­spek­ti­visch kon­stru­ier­te Büh­nen­bild ganz zu über­bli­cken. Die üb­ri­ge Hof­ge­sell­schaft, die ih­rem ge­sell­schaft­li­chen Rang ent­spre­chend in den Sei­ten­rän­gen saß, hat­te nur ei­ne be­schränk­te Sicht auf die Büh­ne. Zu­schau­er­raum und Büh­ne wa­ren durch Trep­pen mit­ein­an­der ver­bun­den, so dass auch die hoch­ran­gi­gen Zu­schau­er im Par­kett in die Hand­lung ein­grei­fen konn­ten, wie bei der Bal­lett­auf­füh­rung des Ho­fes un­ter Lei­tung der Kur­fürs­tin im Mai 1696 an­läss­lich des Ge­burts­ta­ges des Kur­fürs­ten. Die Sicht­ver­hält­nis­se und die Tat­sa­che, dass der Zu­schau­er­raum wäh­rend der Auf­füh­rung be­leuch­tet blieb, ver­lang­ten ei­ne Spiel­pra­xis, die die Auf­merk­sam­keit der Zu­schau­er im­mer wie­der band. Die meist ita­lie­ni­schen und fran­zö­si­schen Kom­po­nis­ten, Mu­si­ker, Sän­ger und Tän­zer wa­ren An­ge­stell­te des Ho­fes und wur­den ne­ben den Auf­füh­run­gen auch in der Kir­chen- und Hof­mu­sik so­wie der üb­ri­gen Hof­hal­tung ein­ge­setzt. Die Qua­li­tät der Künst­ler war hoch. 1711 warb Ge­org Fried­rich Hän­del (1658–1759) bei ei­nem Be­such am Düs­sel­dor­fer Hof den Kas­tra­ten Be­nedet­to Bal­das­sa­ri (ak­tiv 1708–1725) nach Lon­don ab.

Nach dem To­de Jo­hann Wil­helms 1716 wur­de die Hof­ka­pel­le von sei­nem Bru­der Carl Phil­ipp (1661–1742) auf­ge­löst. Die Kur­fürs­tin-Wit­we An­na Ma­ria Lui­sa ver­ließ Düs­sel­dorf 1717. Da der neue Kur­fürst nur in Hei­del­berg und Mann­heim re­si­dier­te, wur­de das Opern­haus in Düs­sel­dorf nicht mehr ge­nutzt und 1738 zur Reit­schu­le um­ge­baut. 

5.2 Bonn 1696

1696 hat­te Kur­fürst und Erz­bi­schof Jo­seph Cle­mens in sei­ner Re­si­denz­stadt Bonn in der Bas­ti­on ei­nen pro­vi­so­ri­schen Fest- und Thea­ter­saal ein­rich­ten las­sen, den er man­gels Ei­gen­be­darf zwi­schen 1719 und 1736 den Je­sui­ten für ihr Schul­thea­ter über­ließ.

Zwi­schen 1745 und 1749 er­rich­te­te sein Nef­fe und Nach­fol­ger Cle­mens Au­gust in der Ga­le­rie beim Ko­blen­zer Tor ein Opern­thea­ter ein, das von fran­zö­si­schen Schau­spiel­trup­pen und ita­lie­ni­schen Opern­trup­pen be­spielt wur­de. Bei­de Kur­fürs­ten nutz­ten das Thea­ter als Kom­pen­sa­ti­on ih­rer un­zu­rei­chen­den po­li­ti­schen Mög­lich­kei­ten. Das Haus wur­de bis 1816 ge­nutzt. 1818 wur­de das kur­fürst­li­che Schloss Sitz der neu ge­grün­de­ten Uni­ver­si­tät; die­se ließ 1854 das Par­terre zu­schüt­ten, das fort­an als Reit­bahn ge­nutzt wur­de.

Johann Wilhelm von der Pfalz und Anna Maria Luisa de Medici, Doppelbildnis von Jan Frans van Douven (1656-1727), Öl auf Leinwand, 1708, Florenz: Uffizien. (Gemeinfrei)

 

5.3 Düsseldorf 1747

Um den Lan­des­herrn Carl Theo­dor von der Pfalz zu län­ge­ren Auf­ent­hal­ten in sei­ner rhei­ni­schen Re­si­denz zu ani­mie­ren, lie­ßen die Land­stän­de des Her­zog­tums Berg 1747 in ei­nem be­reits be­ste­hen­den Ge­bäu­de am Markt­platz ein Thea­ter mit rund 800 Plät­zen im „Par­terre“ und zwei um­lau­fen­den Ga­le­ri­en, in de­ren Mit­te ge­gen­über der Büh­ne die fürst­li­che Lo­ge plat­ziert war, ein­rich­ten. Wäh­rend der kur­zen Auf­ent­hal­te des Fürs­ten spiel­te ei­ne fran­zö­si­sche Schau­spiel­trup­pe, die Carl Theo­dor aus Mann­heim mit­ge­bracht hat­te. Für 1751 ist ei­ne Wan­der­trup­pe un­ter dem Hans­wurst-Dar­stel­ler Franz Schuch be­legt, die sich mit ih­rer Spiel­wei­se noch an den eng­li­schen Trup­pen ori­en­tiert. Das un­schein­ba­re Äu­ße­re des Bau­es führ­te u.A. da­zu, dass der eng­li­sche Zeich­ner Tho­mas Row­land­son (1756 – 1827)1791 zwar das Thea­ter gut sicht­bar bild­lich be­legt, die Zeich­nung aber mit „the Mar­ket­place and the Pic­tu­re Gal­le­ry“ be­zeich­net. Die Auf­lö­sung der Fürs­ten­lo­ge zu­guns­ten zwei­er „Frem­den­lo­gen“ au­ßer­halb des Abon­ne­ments spie­gelt den Über­gang vom hö­fi­schen zum bür­ger­li­chen Thea­ter. Meh­re­re fürst­li­che Thea­ter­ord­nun­gen si­cher­ten den Be­stand des Ge­bäu­des, bis es 1815 in den Be­sitz der Stadt Düs­sel­dorf über­ging und bis 1878 als Thea­ter ge­nutzt wur­de.

6. Für ein Nationaltheater – Theaterformer im Rheinland

Die den Mes­se- und Han­dels­städ­ten am Rhein und Pil­ger­we­gen fol­gen­den rei­sen­den Thea­ter­trup­pen, die mit be­grenz­tem Re­per­toire und häu­fig auch be­grenz­ten künst­le­ri­schen Mit­teln ihr Pu­bli­kum nur kurz­fris­tig bin­den konn­ten, wur­den im Lau­fe des 18. und zu Be­ginn des 19. Jahr­hun­derts durch sess­haf­te­re und an­spruchs­vol­le­re Trup­pen ab­ge­löst.

Die Ab­hän­gig­keit vom wech­seln­den Ein­fluss der Hö­fe wird so­wohl in Düs­sel­dorf als auch in Bonn deut­lich. Wäh­rend Gus­tav Fried­rich Wil­helm Gro­ß­mann (1746–1796) 1778-1784 in Bonn ein „Deut­sches Na­tio­nal­thea­ter“ be­trieb, schei­ter­te er nach dem Tod des Kur­fürs­ten Ma­xi­mi­li­an Fried­rich 1785 in Düs­sel­dorf mit sei­nem an­spruchs­vol­len Re­per­toire.

1805 er­hiel­ten die Düs­sel­dor­fer Kauf­leu­te Ge­org Ar­nold Ja­co­bi, Eu­gen Rei­mann und J. C. Win­kel­mann von der her­zog­li­chen Re­gie­rung ei­ne Thea­ter­kon­zes­si­on für die nächs­ten sechs Jah­re. Das „Ber­gi­sche deut­sche Thea­ter“ un­ter­schied sich von den üb­li­chen Wan­der­trup­pen da­durch, dass es von in Düs­sel­dorf an­säs­si­gen, nicht auf den Ge­winn an­ge­wie­se­nen Pri­vat­leu­ten un­ter­hal­ten wur­de. Der als Re­gis­seur be­zeich­ne­te Jo­hann Gott­lieb Wohl­brück (1770-1822) ver­sprach als ehe­ma­li­ges Mit­glied des Ham­bur­ger En­sem­bles um Fried­rich Lud­wig Schrö­der (1744–1816) ein bis­her in Düs­sel­dorf nicht ge­kann­tes künst­le­ri­sches Ni­veau. Zur Re­ge­lung des ge­mein­sa­men Be­triebs er­ließ er ei­ne der sel­te­nen Thea­ter­ord­nun­gen, die die künst­le­ri­schen und so­zia­len Be­din­gun­gen für Künst­ler und Thea­ter­lei­tung fest­schrie­ben und teil­wei­se de­mo­kra­tisch re­gel­ten. Zu ei­ner Sub­ven­tio­nie­rung durch die fran­zö­si­sche Ver­wal­tung kam es 1813 nicht mehr.

"Ein[e] Koryphäe der Deutschen Volkskomödie", Franz Schuch als Figur des Hanswurst, Tafel aus Karl Friedrich Flögel, Friedrich Wilhelm Ebeling (Bearb.): "Geschichte des Grotesk-Komischen", 1862. (Gemeinfrei)

 

„Das Thea­ter zu Düs­sel­dorf hört auf, ei­ne Pri­vat­un­ter­neh­mung zu seyn, die Stadt als Ei­gen­t­hü­me­rin des Schau­spiel­hau­ses grün­det und führt das­sel­be wei­ter als städ­ti­sche An­stalt un­ter dem Na­men: Stadt-Thea­ter zu Düs­sel­dorf.“ (Sta­tut des Stadt-Thea­ters zu Düs­sel­dorf vom 20.8.1834). Mit die­sen Wor­ten be­ginnt die neue Thea­ter­or­ga­ni­sa­ti­on, die als „Düs­sel­dor­fer Mus­ter­büh­ne“ in die eu­ro­päi­sche Thea­ter­ge­schichts­schrei­bung ein­ge­gan­gen ist. Nach den kurz­le­bi­gen, punk­tu­el­len Thea­ter­re­for­men in Deutsch­land des 18. und frü­hen 19. Jahr­hun­derts ver­such­te Karl Im­mer­mann ei­ne grund­le­gen­de Re­form der künst­le­ri­schen und wirt­schaft­li­chen Be­din­gun­gen und schei­ter­te eben­falls nach nur we­ni­gen Jah­ren.

Ge­gen­über der rein pri­vat­wirt­schaft­li­chen Be­triebs­form un­ter dem bis­he­ri­gen Prin­zi­pal Jo­seph De­ros­si (1768-1841), der al­lein die künst­le­ri­sche und wirt­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung trug, wur­de das Düs­sel­dor­fer Thea­ter in ei­ne "öf­fent­lich-recht­li­che" An­stalt um­ge­wan­delt. Durch die Form der Ak­ti­en­ge­sell­schaft wur­de so­wohl das wirt­schaft­li­che Ri­si­ko auf­ge­teilt als auch die wirt­schaft­li­che und künst­le­ri­sche Kon­trol­le des Thea­ter­un­ter­neh­mens durch den Ver­wal­tungs­rat der Ge­sell­schaft auf ei­ne brei­te­re Ba­sis ge­stellt.

Im Ver­wal­tungs­rat wa­ren die pri­va­ten Geld­ge­ber (Ak­tio­nä­re) mit vier, die städ­ti­schen Ver­wal­tungs­be­hör­den mit drei Mit­glie­dern ver­tre­ten. Als die In­ten­danz füh­rend wa­ren Karl Im­mer­mann und als Mu­sik­di­rek­tor Fe­lix Men­dels­sohn-Bar­thol­dy (1809-1847) eben­falls stimm­be­rech­tig­te Mit­glie­der des Ver­wal­tungs­ra­tes. Im­mer­mann rech­ne­te bei sei­ner Neu­or­ga­ni­sa­ti­on auf die "An­we­sen­heit ei­nes kunst­sin­ni­gen Ho­fes" in der Per­son des Prin­zen Fried­rich Wil­helm Lud­wig von Preu­ßen (1794-1863), der im Jä­ger­hof in Düs­sel­dorf mit sei­nem Hof­staat re­si­dier­te, auf die gro­ße "An­zahl ge­bil­de­ter und in ih­ren pe­cu­n­iai­ren Ver­hält­nis­sen nicht zu be­schränk­ter Ein­woh­ner"[5] und auf die tou­ris­ti­sche An­zie­hungs­kraft Düs­sel­dorfs auf aus­wär­ti­ge Be­su­cher.

Das seit 1786 bau­lich nicht mehr ver­än­der­te Haus war im Ur­teil Im­mer­manns und sei­ner Freun­de: „Ein nichts­wür­di­ges Lo­kal“. „Ei­nes Som­mers nun […] zo­gen Mau­rer und Zim­mer­leu­te in die scheu­ß­li­che Rum­pel­kam­mer ein […] man bau­te ein neu­es Thea­ter. Die gan­ze Stadt in­ter­es­sier­te sich […] auf das leb­haf­tes­te für das ent­ste­hen­de Werk […].“[6] 

Der auf fünf Jah­re an­ge­leg­te Ver­such schei­ter­te aber be­reits im Früh­jahr 1837, als der Thea­ter­be­trieb trotz zug­kräf­ti­ger Gast­spie­le und Kon­zes­sio­nen an ei­nen brei­ten Pu­bli­kums­ge­schmack im Spiel­plan we­gen feh­len­der Mit­tel nicht mehr auf­recht­zu­er­hal­ten war. We­der die Ak­tio­nä­re noch die städ­ti­sche Ver­wal­tung wa­ren zu fi­nan­zi­el­ler Un­ter­stüt­zung be­reit. Die kul­tu­rel­le und wirt­schaft­li­che Eli­te, auf die Im­mer­mann als Part­ner und Pu­bli­kum ge­rech­net hat­te, er­wies sich für ein zwangs­läu­fig kos­ten­in­ten­si­ves Thea­ter­un­ter­neh­men als nicht trag­fä­hig.

Nach den Er­fah­run­gen des lang­jäh­ri­gen Thea­ter­prak­ti­kers De­ros­si, der wie­der­um auf Im­mer­mann folg­te, such­te das „grö­ße­re, selbst ge­bil­de­te Pu­bli­kum nach den Ge­schäf­ten des Ta­ges ei­ne leich­te, ge­fäl­li­ge Un­ter­hal­tun­g“. „An­ge­streng­tes­te Auf­merk­sam­keit und neue geis­ti­ge An­stren­gun­g“ für die li­te­ra­risch an­spruchs­vol­le Dra­ma­tik wür­de da­ge­gen nur „ein klei­ner Kreis li­te­ra­risch Ge­bil­de­ter“ auf­brin­gen.[7] Trotz des pri­va­ten fi­nan­zi­el­len En­ga­ge­ments und trotz der Un­ter­stüt­zung durch die städ­ti­sche Ver­wal­tung hat­te das In­ter­es­se des Pu­bli­kums nicht aus­ge­reicht, um die­ses Un­ter­neh­men zu tra­gen. Das Bür­ger­tum hat­te sich als Trä­ger ei­nes nicht nur un­ter­hal­ten­den Thea­ters als un­fä­hig er­wie­sen.

7. Historische Theaterbauten am Rhein

Karl Leberecht Immermann, Porträt. Kupferstich von Franz Xaver Stöber (1795-1858) nach einer Zeichnung von Carl Friedrich Lessing (1808-1880), um 1840. (LVR-Zentrum für Medien und Bildung)

 

7.1 Koblenz 1787

Das Ko­blen­zer Hof­thea­ter in Blick­wei­te des Kur­fürst­li­chen Schlos­ses ist der ein­zi­ge heu­te noch er­hal­te­ne klas­si­zis­ti­sche Thea­ter­bau am Mit­tel­rhein und das frü­hes­te er­hal­te­ne Bei­spiel ei­nes Rang­thea­ters in Deutsch­land. Das Thea­ter wur­de 1787 im Auf­trag des Trie­rer Erz­bi­schofs und Kur­fürs­ten Cle­mens Wen­zes­laus von Sach­sen in nur sie­ben Mo­na­ten nach Plä­nen den jun­gen Düs­sel­dor­fer Ar­chi­tek­ten Pe­ter Jo­seph Krahé (1748–1840) im früh­klas­si­zis­ti­schen Stil er­rich­tet. Cle­mens Wen­zes­laus ge­hör­te zu den auf­ge­klär­ten Herr­schern und för­der­te kul­tu­rel­le Bil­dung und ei­ne An­he­bung von Sit­te und An­stand der ge­sam­ten Be­völ­ke­rung. Auf dem Büh­nen­por­tal ver­kün­de­te ein Zi­tat des rö­mi­schen Dich­ters und Phi­lo­so­phen Ho­raz (65-8 v. Chr.) das thea­tra­li­sche Pro­gramm der Auf­klä­rung: „Ri­den­do cor­ri­go mo­res“ (Durch La­chen ver­bes­se­re ich die Sit­ten).

Nach dem kos­ten­in­ten­si­ven Bau des Ko­blen­zer Schlos­ses stan­den kei­ne Mit­tel mehr zur Ver­fü­gung und ein pri­va­ter Fi­nan­zier muss­te ein­sprin­gen. Hof­rat Franz-Jo­seph Schmitz (1752–1809) er­hielt als Ge­gen­leis­tung für sein fi­nan­zi­el­les En­ga­ge­ment den Ti­tel des ers­ten Di­rek­tors des „Co­mo­edi­en-, Opern-, Ball-, und As­sem­blée­hau­ses”. Ihm wur­de ei­ne al­lei­ni­ge Kon­zes­si­on für Thea­ter­auf­füh­run­gen in Ko­blenz so­wie die Be­frei­ung von Steu­ern zu­ge­si­chert.

1867 ging das Ge­bäu­de in das Ei­gen­tum der Stadt über, die es 1869 re­no­vie­ren und den In­nen­raum im Stil des His­to­ris­mus um­bau­en ließ. Nach wei­te­ren Um­bau­ten 1937 und 1952, die das Aus­se­hen des Ge­bäu­des zu­neh­mend mo­der­ni­sier­ten be­zie­hungs­wei­se die Kriegs­schä­den sa­nier­ten, wur­de das Thea­ter 1984-1985 um­fas­send re­kon­stru­iert, um den Ori­gi­nal­zu­stand von 1787 zu er­rei­chen. Die ur­sprüng­li­che Ka­pa­zi­tät von 800 Plät­zen (dar­un­ter zahl­rei­che Steh­plät­ze) wur­de auf­ge­ge­ben. Heu­te bie­tet das Thea­ter Ko­blenz knapp 470 Zu­schau­ern Platz.

Ansicht des Koblenzer Theaters, 8.5.2011. (CC BY-SA 3.0 DE / Holger Weinandt)

 

7.2 Aachen 1825

In ei­nem Gut­ach­ten emp­fahl der Ge­hei­me Ober­bau­rat Karl Fried­rich Schin­kel (1781–1841) zu­nächst den Um­bau des be­ste­hen­den Thea­ters in Aa­chen, Aber nach­dem im Ju­li 1816 Kö­nig Fried­rich Wil­helm III. (Re­gent­schaft 1797-1840) das Grund­stück des ehe­ma­li­gen Ka­pu­zi­ner­klos­ters der Stadt Aa­chen über­las­sen hat­te, ent­schied sich der Stadt­rat für den Neu­bau ei­nes Thea­ters. Das neue Thea­ter soll­te den Tou­ris­mus för­dern und nach den Plä­nen von Adam Franz Ley­del (1783–1838) gleich­zei­tig den zen­tra­len Aus­gangs­punkt für ei­ne pracht­vol­le Ver­bin­dungs­stra­ße zwi­schen dem Aa­che­ner und Burt­schei­der Kur­be­zirk bil­den.

Da der ur­sprüng­li­che Plan zu kost­spie­lig war, wur­de 1817 Jo­hann Pe­ter Cre­mer (1785–1863) mit ei­nem neu­en Ent­wurf be­auf­tragt. Er­gänzt durch Karl Fried­rich Schin­kel konn­te Cre­mers Ent­wurf schlie­ß­lich ver­wirk­licht und das neue Thea­ter Aa­chen 1825 er­öff­net wer­den. Im Jah­re 1893 wur­de der ei­ser­ne Vor­hang ein­ge­baut und im Thea­ter das elek­tri­sche Licht ein­ge­führt. In den Jah­ren 1900-1901 er­folg­ten durch Hein­rich See­ling (1852-1932) tief­grei­fen­de bau­li­che Ver­än­de­run­gen. Nach der Zer­stö­rung 1943 konn­te das wie­der­auf­ge­bau­te Haus 1951 er­öff­net wer­den.

Ansicht des Aachener Stadttheaters, Lithographie von Jean Nicolas Ponsart (1788-1870), 1826. (Gemeinfrei)

 

7.3 Duisburg 1912

Ab 1887 wur­den Thea­ter­auf­füh­run­gen, die bis­her in ver­schie­de­nen Sä­len statt­fan­den, in der da­mals neu­er­bau­ten Duis­bur­ger „Ton­hal­le“ ver­an­stal­tet. Seit 1887 be­spiel­te das Düs­sel­dor­fer Stadt­thea­ter mit sei­nem En­sem­ble Duis­burg, und die Düs­sel­dor­fer Päch­ter konn­ten ihr Pro­gramm­an­ge­bot zu­sätz­lich nut­zen. 

Auf An­re­gung des Duis­bur­ger Ober­bür­ger­meis­ter­s Karl Lehr bil­de­te sich 1902 ein Thea­ter­bau­ver­ein, der in­ner­halb von fünf Jah­ren aus­rei­chend Ka­pi­tal für ei­nen Thea­ter­bau sam­meln konn­te. 1909 wur­de ein Ar­chi­tek­tur­wett­be­werb aus­ge­lobt. Das Preis­ge­richt sah die Ent­wür­fe von Mar­tin Dül­fer (1859–1942) (Mün­chen) und Carl Mo­ritz (Köln) als gleich­wer­tig an. Schlie­ß­lich er­hielt Dül­fer we­gen ei­ner bes­se­ren städ­te­bau­li­chen Ein­bin­dung sei­nes Ent­wurfs den Auf­trag.

Der 1912 fer­tig­ge­stell­te Thea­ter­bau wur­de als "ei­nes der schöns­ten Thea­ter des Wes­tens" be­zeich­net. Ein­schlie­ß­lich der Kos­ten für den Fun­dus kam die­ses "her­vor­ra­gen­de Denk­mal der Thea­ter­bau­kunst als Denk­mal der op­fer­freu­di­gen und kunst­sin­ni­gen Bür­ger Duis­burgs" auf 2.550.000 Mark zu­züg­lich 750.000 Mark für den Er­werb des Grund­stücks. Die Grund­ver­sor­gung der Re­gi­on mit Thea­ter­ein­rich­tun­gen konn­te zu die­sem Zeit­punkt als ab­ge­schlos­sen gel­ten.

Nach der Zer­stö­rung des Stadt­thea­ters im Bom­ben­krieg fan­den Auf­füh­run­gen in Ki­nos und Stadt­hal­len ver­schie­de­ner Duis­bur­ger Orts­tei­le statt, bis 1943 das Thea­ter auf An­ord­nung des Pro­pa­gan­da­mi­nis­te­ri­ums nach Prag eva­ku­iert wur­de. 1946 er­hielt die Rui­ne ein Not­dach, und das Foy­er wur­de pro­vi­so­risch für Thea­ter- und Ki­no­be­trieb her­ge­rich­tet. Über ein­ein­halb Jahr­zehn­te und ver­schie­de­ne Aus­bau­stu­fen wur­de das Haus wie­der voll funk­ti­ons­fä­hig. Die his­to­ri­schen Fas­sa­den blie­ben weit­ge­hend un­ver­än­dert, die In­nen­räu­me wur­den mo­dern ge­stal­tet. Das Thea­ter wur­de von Opern- und Schau­spiel­ensem­bles aus der Re­gi­on be­spielt. Ab 1954/1955 be­stand ein Ver­trag mit dem Düs­sel­dor­fer Schau­spiel­haus un­ter Gus­taf Gründ­gens (1899-1963) und Karl-Heinz Stroux (1908–1980). 1956 be­gann die heu­te noch be­ste­hen­de Thea­ter­ge­mein­schaft mit der Düs­sel­dor­fer Oper un­ter dem Na­men „Deut­sche Oper am Rhein“ – in Er­in­ne­rung an die Thea­ter­ge­mein­schaft zwi­schen dem städ­ti­schen Schau­spiel Köln und dem pri­va­ten Schau­spiel­haus Düs­sel­dorf, die für die Spiel­zeit 1932/1933 un­ter dem Na­men „Deut­sches Thea­ter am Rhein“ be­stand.

8. Theatergemeinschaften

Trotz der stadt­geo­gra­phisch ba­sier­ten Thea­ter­kul­tur, die durch fürst­li­che Grün­dun­gen und spä­ter “Pri­vi­le­gi­en” (Spiel­erlaub­nis­se) or­ga­ni­siert war, reich­te oft­mals das Pu­bli­kums­re­ser­voir ei­nes ein­zel­nen Stand­or­tes nicht aus. Be­reits im 18. Jahr­hun­dert bil­de­te sich ein „Ab­ste­cher­be­trie­b“ zwi­schen be­nach­bar­ten Städ­ten aus. Für Som­mer- und Win­ter­be­trieb pen­del­ten Trup­pen et­wa zwi­schen Köln oder Düs­sel­dorf und Aa­chen, zwi­schen Düs­sel­dorf und El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal) oder Kre­feld.

Wirt­schaft­li­chen Er­wä­gun­gen ent­sprang auch die ers­te „Thea­ter­ehe” zwi­schen Düs­sel­dorf und Duis­burg von 1887 bis 1921. Ne­ben dem Düs­sel­dor­fer Stadt­thea­ter pach­te­te der Thea­ter­di­rek­tor Carl Si­mons (1829–1889) auch die städ­ti­sche Ton­hal­le in Duis­burg und be­spiel­te mit ei­nem En­sem­ble bei­de Stand­or­te. Die­se Ver­bin­dung hielt, bis sich die Städ­te zur Auf­ga­be des Pacht­sys­tems ent­schlos­sen und die fol­gen­den Thea­ter­lei­ter un­ter In­ten­dan­ten­ver­trag an­stell­ten.

Ansicht des Duisburger Theaters vom König-Heinrich-Platz, 3.11.2013. (CC BY-SA 3.0 / Tuxyso)

 

1921 schlos­sen Duis­burg und Bo­chum ei­nen Ver­trag über den Aus­tausch von Schau­spiel­auf­füh­run­gen aus Bo­chum nach Duis­burg und gleich­zei­tig mu­si­ka­li­scher Auf­füh­run­gen von Duis­burg nach Bo­chum. Der ge­mein­sa­me Ge­ne­ral­in­ten­dant bei­der Häu­ser wur­de Pro­fes­sor Sa­la­din Schmitt (1883-1951). Die­se Thea­ter­ge­mein­schaft be­stand bis 1934.

Das 1905 ge­grün­de­te pri­va­te Schau­spiel­haus Düs­sel­dorf ging im Lau­fe sei­ner mehr als 25-jäh­ri­gen Tä­tig­keit re­gel­mä­ßi­ge Gast­spiel­ver­pflich­tun­gen mit zahl­rei­chen Städ­ten der Re­gi­on von Dü­ren bis Gel­sen­kir­chen ein und war Be­stand­teil ei­ner kul­tur­po­li­ti­schen De­bat­te um die “Thea­ter­plan­wirt­schaft”, wie die in­ten­si­vier­te Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen den Thea­tern der Re­gi­on da­mals be­zeich­net wur­de.

1932, als der wirt­schaft­li­che Be­stand des Hau­ses in der Fol­ge der Welt­wirt­schafts­kri­se auf das Höchs­te ge­fähr­det war, grün­de­ten die Stadt Köln und die Schau­spiel­haus Düs­sel­dorf GmbH. auf An­re­gung des Köl­ner Ober­bür­ger­meis­ter­s Kon­rad Ade­nau­er das “Deut­sche Thea­ter am Rhein” mit ei­nem En­sem­ble und zwei Spiel­stät­ten in Köln und Düs­sel­dorf. Die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Macht­über­nah­me mach­te die­ser Fu­si­on ein En­de.

Im­mer­hin stand die Er­in­ne­rung an die­ses Mo­dell Pa­te bei der Na­mens­ge­bung der “Deut­schen Oper am Rhein”, die seit 1956 ih­re Funk­ti­ons­fä­hig­keit als Thea­ter­ge­mein­schaft Düs­sel­dorf-Duis­burg un­ter Be­weis stellt. Schon 1951 hat­ten sich die Städ­te Kre­feld un­d Mön­chen­glad­bach zur ers­ten und dau­er­haf­tes­ten Thea­ter­ge­mein­schaft zu­sam­men­ge­fun­den.

Fu­si­ons­plä­nen der nord­rhein-west­fä­li­schen Kul­tus­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Teusch auf der Rhein­schie­ne er­teil­ten 1949 die auf­ge­brach­ten Thea­ter­lei­ter, dar­un­ter Gus­taf Gründ­gens, ei­ne Ab­sa­ge.

In­zwi­schen ver­sor­gen vier Lan­des­thea­ter die nicht thea­ter­tra­gen­den Städ­te Nord­rhein-West­fa­lens von Cas­trop-Rau­xel, Det­mold, Dins­la­ken und Neuss aus. Letz­te­res be­gann sei­ne Ar­beit be­reits 1925 als „Rhei­ni­sches Städ­te­bund­thea­ter“.

9. Dreimal Schauspielhaus Düsseldorf ─ 1905, 1951, 1970

Als das Schau­spiel­haus Düs­sel­dorf 1905 als rei­nes Pri­vat­thea­ter von Loui­se Du­mont und Gus­tav Lin­de­mann er­öff­net wur­de, stand man die­ser In­itia­ti­ve zu­nächst kri­tisch ge­gen­über. Ge­ra­de der Wes­ten des Rei­ches er­schien als thea­ter­fremd, und die Pres­se ver­wies auf ei­ne Rei­he rhei­ni­scher Groß­städ­te, die über kein ste­hen­des Thea­ter ver­füg­ten. 1904 wa­ren ge­ra­de die Thea­ter von Dort­mund und Kre­feld er­öff­net wor­den. Für Gus­tav Lin­de­mann er­schien nach den Grün­dungs­plä­nen von Loui­se Du­mont in St. Pe­ters­burg (1899) so­wie der ge­mein­sa­men für Wei­mar und Darm­stadt (1903/1904) die Stand­ort­wahl Düs­sel­dorf fol­ge­rich­tig. Als „Schreib­tisch des Ruhr­ge­biets“ bot sein be­völ­ke­rungs­rei­ches Um­land ein Pu­bli­kum aus wis­sen­schaft­lich-tech­ni­scher und ver­wal­tungs­tech­ni­scher In­tel­li­genz, das neue kul­tu­rel­le Be­dürf­nis­se ver­sprach.

Ne­ben dem Stadt­thea­ter wa­ren als wei­te­re ernst­haf­te Kon­kur­renz die „Fest­spie­le des Rhei­ni­schen Goe­the-Ver­ein­s“ zu be­ach­ten, die seit 1899 all­jähr­lich un­ter der Pro­tek­ti­on von Mit­glie­dern der kai­ser­li­chen Fa­mi­lie in den Thea­ter­fe­ri­en im Stadt­thea­ter ver­an­stal­tet wur­den. Seit dem Be­ginn der 1890er Jah­re schu­fen städ­te­bau­li­che Ver­än­de­run­gen am süd­li­chen En­de der Kö­nigs­al­lee die Grund­la­ge für die An­sied­lungs­mög­lich­kei­ten für ver­schie­de­ne Re­stau­rants, Ho­tels, Va­rie­tés und Ähn­li­ches mehr. Die wirt­schaft­lich-tech­nisch be­ding­te Ver­le­gung des El­ber­fel­der und des Köln-Min­de­ner Bahn­hofs aus dem Be­reich der In­nen­stadt mach­ten den Platz frei für den ex­pan­die­ren­den, pro­fit­träch­ti­gen, auf mo­der­nen ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen be­ru­hen­den Un­ter­hal­tungs­be­trieb.

Ein wei­te­rer wich­ti­ger In­nen­stadt­be­reich konn­te für die Neu­ge­stal­tung der Stadt er­schlos­sen wer­den, als 1898 die Ver­le­gung ei­nes in Düs­sel­dorf an­säs­si­gen Hu­sa­ren­re­gi­ments an den Stadt­rand ab­ge­schlos­sen war. Im Be­reich zwi­schen der Kö­nigs­al­lee und der Ka­ser­nen­stra­ße ent­stan­den zahl­rei­che Ver­wal­tungs- und Kul­tur­bau­ten. In die­sem Be­bau­ungs­plan fand auch das Schau­spiel­haus mit Bau­kos­ten von 530.000 Mark sei­nen Platz. 500.000 Mark wur­den da­bei durch ein städ­ti­sches Dar­le­hen ab­ge­deckt. In der das Thea­ter tra­gen­den Ge­sell­schaft hat­ten Du­mont und Lin­de­mann ge­gen­über den Mit­glie­dern an­ge­se­he­ner rhei­ni­scher Fa­mi­li­en die Ka­pi­tal­mehr­heit und da­mit auch die Stim­men­mehr­heit im Auf­sichts­rat in­ne.

Aus ei­nem Wett­be­werb, bei dem die Plä­ne Her­mann vom Endts (1861–1939) und Mar­tin Dül­ferts in der en­ge­ren Wahl la­gen und Hen­ry van de Vel­des (1863-1957) Wei­ma­rer Ent­wurf schnell durch­fiel, gin­gen die Ent­wür­fe Bern­hard Seh­rings (1855-1932) sieg­reich her­vor. Ob­wohl Seh­ring sei­nem Stil treu blieb, muss das Schau­spiel­haus als die am we­nigs­ten ge­lun­ge­ne Bau­auf­ga­be be­zeich­net wer­den. 

Probe zu Richard II. mit Saladin Schmitt (rechts). (Stadt Bochum, Pressestelle)

 

Das Thea­ter­ge­bäu­de Seh­rings war durch die völ­li­ge op­tisch-sti­lis­ti­sche Tren­nung von Büh­nen- und Zu­schau­er­haus ge­kenn­zeich­net. Das 28 Me­ter ho­he Büh­nen­haus war im Stil der zeit­ge­nös­si­schen Fa­bri­k­ar­chi­tek­tur mit Tür­men und Zin­nen bur­g­ar­tig ge­stal­tet. Da­vor lag der nied­ri­ge Zu­schau­er- und Ein­gangs­be­reich, der mit sei­nen zwei Front­sei­ten im Louis-Sei­ze-Stil er­rich­tet wor­den war. Ele­ganz und Ge­die­gen­heit wur­den der Ge­stal­tung des Zu­schau­er­rau­mes be­stä­tigt. Der Zu­schau­er­raum wies nur ei­ne ge­rin­ge Tie­fe auf. Die am­phi­thea­tra­li­sche Ge­stal­tung der Rän­ge und der Ver­zicht auf Lo­gen si­gna­li­sier­ten die Ab­kehr vom am hö­fi­schen Thea­ter ori­en­tier­ten „Rang­thea­ter“. Bei na­he­zu 1.000 Plät­zen konn­te ein „in­ti­mer“ Cha­rak­ter für den Zu­schau­er­raum ge­wahrt wer­den, Sicht und Akus­tik wa­ren auf al­len Plät­zen gleich gut. Die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten der 15 Me­ter brei­ten, 18 Me­ter tie­fen Büh­ne wur­den durch ei­ne Dreh­büh­ne von 14 Me­ter Durch­mes­ser er­höht, die nach „Grö­ße und Ei­gen­ar­t“ als ers­te in Deutsch­land be­zeich­net wird.

Blick auf den Bühnentrakt an der Kasernenstraße, um 1930, Foto: Julius Söhn. (Stadtarchiv Düsseldorf, 026_540_009)

 

1932 starb Loui­se Du­mont 70-jäh­rig. Mit Be­ginn der Spiel­zeit 1933/1934 wur­de das Schau­spiel­haus durch Ver­pach­tung der Schau­spiel­haus GmbH an die Stadt Düs­sel­dorf zur drit­ten Spiel­stät­te der Städ­ti­schen Büh­nen. Bei Luft­an­grif­fen im Som­mer 1943 wur­de das Ge­bäu­de stark be­schä­digt. Nur Gar­de­ro­ben­räu­me, die nach dem Krieg von zu­rück­keh­ren­den Schau­spie­lern als Woh­nung ge­nutzt wur­den, und Tei­le der Fas­sa­de blie­ben er­hal­ten. Trotz der Wie­der­auf­bau­plä­ne des Ar­chi­tek­ten Phil­ipp Wil­helm Stang (1901-1983) wich das Thea­ter 1952 ei­nem Bü­ro­ge­bäu­de. Die das Schau­spiel­haus Düs­sel­dorf tra­gen­de GmbH war be­reits auf­ge­löst.

An sei­ne Er­fah­run­gen als Schau­spie­ler und Re­gis­seur des Schau­spiel­hau­ses in den Jah­ren 1928 bis 1933 konn­te Wolf­gang Lang­hoff (1901–1966) als ers­ter Nach­kriegs­in­ten­dant der Städ­ti­schen Büh­nen an­knüp­fen, als er 1945 aus dem Schwei­zer Exil nach Düs­sel­dorf zu­rück­kam. Gus­taf Gründ­gens, sein Nach­fol­ger seit 1947, be­kann­te sich zeit sei­nes Le­bens zu den prä­gen­den Ein­flüs­sen, die er 1919-1920 auf der Hoch­schu­le für Büh­nen­kunst des Schau­spiel­hau­ses Düs­sel­dorf er­fah­ren hat­te. Sein Wunsch nach künst­le­ri­scher und or­ga­ni­sa­to­ri­scher Un­ab­hän­gig­keit führ­te 1951 zur Grün­dung der Neu­en Schau­spiel GmbH durch den Deut­schen Ge­werk­schafts­bund, die Stadt Düs­sel­dorf und das Land Nord­rhein-West­fa­len. Die bei­den letz­te­ren tei­len sich heu­te die Kos­ten für den lau­fen­den Be­trieb des auf Gründ­gens‘ Vor­schlag „Düs­sel­dor­fer Schau­spiel­haus“ be­nann­ten Thea­ters hälf­tig. Da­mit war das Sprech­thea­ter aus dem Ver­band der Städ­ti­schen Büh­nen aus­ge­glie­dert und wur­de von Gus­taf Gründ­gens als „Ge­schäfts­füh­rer“ ge­lei­tet.

Sei­nen Stand­ort fand das Düs­sel­dor­fer Schau­spiel­haus im Thea­ter­vier­tel Düs­sel­dorfs am süd­li­chen En­de der Kö­nigs­al­lee. Den Bau stell­te die Stadt zur Ver­fü­gung. 1924 wa­ren die Räu­me des Va­rie­té- und Volks­thea­ters „Groß Düs­sel­dor­f“ auf dem Ge­län­de des 1899/1900 er­rich­te­ten „Ar­tus­ho­fes“ zum Klei­nen Haus der Städ­ti­schen Büh­nen um­ge­baut wor­den. Für die Ein­rich­tung des Schau­spiel­hau­ses an der Jahn­stra­ße wur­den 1951 die Kriegs­schä­den has­tig be­sei­tigt. Der schmuck­los ge­stal­te­te Zu­schau­er­raum spie­gel­te den pro­vi­so­ri­schen Cha­rak­ter der Bau­maß­nah­me. In sei­nem Ab­schieds­brief an den Vor­sit­zen­den des Auf­sichts­ra­tes der Neu­en Schau­spiel GmbH., den Re­gie­rungs­rat Kurt Bau­rich­ter (1902-1974), nah­men 1955 die Kla­gen über den „Stal­l“ und die „Scheu­ne“ und die Be­vor­zu­gung der Oper brei­ten Raum ein.[8] Trotz der Klas­si­fi­zie­rung des Thea­ter­ge­bäu­des als „Mit­tel­büh­ne“ (klei­ner als ei­ne „Voll­büh­ne“ ab 150 Qua­drat­me­ter) stand das Düs­sel­dor­fer Schau­spiel­haus un­ter Gus­taf Gründ­gens und sei­nem Nach­fol­ger Karl-Heinz Stroux im Zen­trum des na­tio­na­len und in­ter­na­tio­na­len Thea­ter­le­bens. Gus­taf Gründ­gens ver­ließ Düs­sel­dorf 1955, Stroux folg­te ihm im In­ten­dan­ten­amt.

Schon seit Be­ginn sei­ner In­ten­danz be­müh­te sich Stroux, die Stadt von ei­nem Neu­bau zu über­zeu­gen. 1959 er­folg­te ein in­ter­na­tio­na­ler Wett­be­werb, aus dem der Düs­sel­dor­fer Ar­chi­tekt Bern­hard Pfau (1902-1982) als Sie­ger her­vor­ging; 1965 wur­de die Grund­stein­le­gung be­gan­gen. Im Um­feld der Er­öff­nung des neu­en Düs­sel­dor­fer Schau­spiel­hau­ses im Ja­nu­ar 1970 kam es zu De­mons­tra­tio­nen und Stör­ak­tio­nen. Das Ge­bäu­de mit sei­nem ab­wei­sen­den Äu­ße­ren wur­de als Sym­bol ei­nes eli­tä­ren Kul­tur­ver­ständ­nis­ses ver­stan­den und laut­stark sei­ne Be­sei­ti­gung ge­for­dert. Nach an­fäng­li­chen Schät­zun­gen von 25 Mil­lio­nen DM stie­gen die end­gül­ti­gen Kos­ten auf 41 Mil­lio­nen DM.

Hin­ter den ge­run­de­ten, me­tall­ver­klei­de­ten Fas­sa­den wur­den zwei Spiel­stät­ten ein­ge­rich­tet. Der holz­ver­klei­de­te, schlich­te Zu­schau­er­raum des Gro­ßen Hau­ses mit ei­nem Fas­sungs­ver­mö­gen von 1.000 Plät­zen steigt stark an und wur­de als Aus­druck ei­nes neu­en de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schafts­bil­des oh­ne Lo­gen oder Rän­ge ge­baut. Die grö­ß­te Ent­fer­nung zur Büh­ne be­trägt 29 Me­ter. Der Cha­rak­ter des Saa­les wird durch die an Wand und De­cke um­lau­fen­den, flach ge­bo­ge­nen La­mel­len aus Vo­ge­lau­ge­nahorn be­stimmt. Nach dem Um­bau 2011 um­fasst das Gro­ße Haus nur 100 Plät­ze we­ni­ger und bie­tet bes­se­re Sicht­mög­lich­kei­ten.

Das „Klei­ne Haus“ ist als Stu­dio- oder Ex­pe­ri­men­tier­büh­ne ge­plant und lässt sich als Are­na-, Guck­kas­ten- oder Raum­büh­ne mit bis zu 300 Plät­zen ein­rich­ten. Die un­ter­schied­li­chen Be­zie­hun­gen zwi­schen Büh­ne und Zu­schau­er sol­len un­ter­schied­li­che Wir­kungs­mög­lich­kei­ten der Auf­füh­run­gen er­zie­len.

10. Rheinische Theaterarchitekten

10.1 Carl Moritz (1863-1944)

Blick in den Zuschauerraum des Schauspielhauses, um 1937, Foto: Julius Söhn. (Stadtarchiv Düsseldorf, 026_540_008)

Das zerstörte Schauspielhaus nach dem Bombenangriff vom 12.6.1943. (Stadtarchiv Düsseldorf, 125_220_002)

 

10.1.1 Köln 1902

Nach der Nie­der­le­gung der Stadt­mau­er ab 1880 war mit der Neu­stadt ein In­nen­stadt­be­reich ent­stan­den, der auch neue Mög­lich­kei­ten für die kom­mu­na­le In­fra­struk­tur bot. Im Mai 1898 wur­de ein Thea­ter­neu­bau am Habs­bur­ger Ring zwi­schen Aa­che­ner Stra­ße und Ri­chard-Wag­ner-Stra­ße be­schlos­sen. Den Ar­chi­tek­ten­wett­be­werb ge­wann der in Köln als Stadt­bau­in­spek­tor beim städ­ti­schen Hoch­bau­amt tä­ti­ge Carl Mo­ritz. Nach sei­nem Ent­wurf ent­stand ein Ge­bäu­de im Neo­ba­rock-Stil der 1878 er­öff­ne­ten Dres­de­ner Sem­per-Oper, dem mit Re­stau­rant und Gar­ten­ter­ras­se zu­sätz­li­che Nut­zungs­mög­lich­kei­ten hin­zu­ge­fügt wur­den. Das 1902 fer­tig­ge­stell­te Haus ver­füg­te über 1.800 Plät­ze, die Bau­kos­ten be­tru­gen 3,9 Mil­lio­nen Mark.

Das Haupt­ge­bäu­de, des­sen halb­run­de Stirn­sei­te zum Ring ge­wandt war, war mit zahl­rei­chem skulp­tu­ra­lem Schmuck ver­se­hen. Mit Mo­ritz‘ ers­tem Thea­ter­bau war ei­ne ei­ge­ne, sich dem Ju­gend­stil an­nä­hern­de Ent­wick­lung er­kenn­bar. Das In­ne­re war mit ei­ner brei­ten Ein­gangs­hal­le, ei­nem stil­vol­len Zu­schau­er­raum und ei­nem weit­läu­fi­gen, zwei­ge­schos­si­gen Foy­er auf­wen­dig ge­stal­tet. Wän­de und De­cken wa­ren mit Ge­mäl­de­zy­klen und sym­bo­li­schen Dar­stel­lun­gen ver­se­hen. Die In­nen­ar­chi­tek­tur be­ruh­te auf ei­gen­stän­di­ge­ren For­men; die spar­sa­me Ver­wen­dung von or­na­men­ta­lem Schmuck wich von der Ge­stal­tung ver­gleich­ba­rer Bau­ten ab.

Die bei­den städ­ti­schen Büh­nen fir­mier­ten zu­erst als „Ver­ei­nig­te Stadt­thea­ter“, ab der Spiel­zeit1906/1907 als Opern- und Schau­spiel­haus wur­den aber von ei­nem Päch­ter ge­mein­sam ge­führt. Im neu­en Thea­ter wur­den ar­beits­tei­lig nun vor al­lem Oper und Dra­ma, im „al­ten“ Haus in der Glo­cken­gas­se Schau­spiel und Ope­ret­te auf­ge­führt. Den Be­trieb bei­der Häu­ser über­nahm Ju­li­us Hof­mann (1840–1910), der bis­he­ri­ge Di­rek­tor des Schau­spiel­hau­ses. Da Thea­ter­be­trie­be mitt­ler­wei­le als ein­träg­li­che Un­ter­neh­men gal­ten, über­nahm Hof­mann die Lei­tung zu­nächst als Päch­ter auf ei­ge­ne Rech­nung. Weil je­doch schon bald die bei­den Häu­ser durch das Ent­ste­hen von neu­en Ver­gnü­gungs­stät­ten wie Va­rie­tés und Ki­nos we­ni­ger Zu­spruch er­fuh­ren, wur­den die städ­ti­schen Büh­nen ab 1905 sub­ven­tio­niert.

Mo­ritz hat in sei­ner Lauf­bahn sie­ben Thea­ter ent­wor­fen, das letz­te 1913 für Stral­sund. Im An­schluss an sei­nen Köl­ner Bau ent­wi­ckel­te er ei­ne Theo­rie der thea­tra­li­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on, die sich mit den Vor­stel­lun­gen deck­te, die Loui­se Du­mont und Gus­tav Lin­de­mann mit ih­rem Düs­sel­dor­fer Pro­jekt ver­folg­ten. In sei­ner pro­gram­ma­ti­schen Ab­hand­lung „Vom mo­der­nen Thea­ter­bau“ von 1906 wand­te er sich ge­gen die il­lu­sio­nis­ti­sche Büh­nen­äs­the­tik und pro­pa­gier­te statt­des­sen den Zu­schau­er als thea­tra­li­schen Mit­schöp­fer.

In Köln wur­den bei­de städ­ti­schen Thea­ter 1943 und 1944 mehr­fach durch Flie­ger­bom­ben be­schä­digt. Ob­wohl das Opern­haus nach dem Krieg ge­nü­gend Sub­stanz auf­wies, wur­de es 1958 end­gül­tig nie­der­ge­legt. Stei­ne des Ge­bäu­des fan­den ih­re Ver­wen­dung in der Kir­che Neu-St. Al­ban und in den Woh­nun­gen der Nach­bar­schaft. Ab Au­gust 1945 fan­den Auf­füh­run­gen in der Au­la der Uni­ver­si­tät statt. Der ver­ein­fach­te sze­ni­sche Auf­wand wur­de als „Köl­ner Stu­dio­s­til“ be­kannt. Im Rau­ten­strauch-Jost-Mu­se­um wur­den die bis 1994 ge­nutz­ten „Kam­mer­spie­le“ ein­ge­rich­tet.

Das Kölner Opernhaus am Habsburgerring, 1904. (Gemeinfrei)

 

10.1.2 Barmen (heute Stadt Wuppertal) 1905

1905 ent­stand nach Ent­wür­fen des Köl­ner Ar­chi­tek­ten Carl Mo­ritz das Stadt­thea­ter Bar­men. Die Fi­nan­zie­rung des 2 Mil­lio­nen Mark teu­ren Baus er­folg­te wie so oft in die­ser Zeit in Form ei­ner Pri­va­te-Pu­blic-Part­nership. Die Stadt, die Stadt­thea­ter Ak­ti­en­ge­sell­schaft und die Bür­ger­schaft teil­ten sich die Kos­ten. Die­ser Bau wur­de ge­gen En­de des Zwei­ten Welt­krie­ges bei ei­nem Luft­an­griff schwer be­schä­digt. Nach dem Wie­der­auf­bau wur­de er 1956 wie­der­er­öff­net. Das Haus wur­de 2003 ge­schlos­sen, von 2006 bis 2009 durch die Stadt Wup­per­tal grund­le­gend sa­niert und am 18.1. 2009 wie­der­er­öff­net.

10.1.3 Düren 1907

Um 1900 galt Dü­ren als ei­ne der wohl­ha­bends­ten Städ­te Deutsch­lands. Die Stif­tung öf­fent­li­cher Bau­ten durch ört­li­che In­dus­tri­el­le trug dem ge­stei­ger­ten Selbst­be­wusst­sein Rech­nung. Der Dü­re­ner Fa­bri­kant Eber­hard Hoesch (1827–1907) stell­te 500.000 Mark für den Neu­bau ei­nes Thea­ters zur Ver­fü­gung. Bis da­hin wur­de Thea­ter in den Sä­len der ört­li­chen Gast­stät­ten ge­spielt. Das Stadt­thea­ter Dü­ren wur­de 1905-1907 nach Plä­nen des Köl­ner Ar­chi­tek­ten Carl Mo­ritz er­baut. Es bil­de­te mit dem von Leo­pold Hoesch (1820–1899) ge­stif­te­ten Kunst­mu­se­um (er­öff­net 1905) ein Bau­en­sem­ble. Die Rui­nen des 1944 zer­stör­ten Thea­ters wur­den 1952 ab­ge­tra­gen.

Das im Ju­gend­stil er­bau­te Thea­ter bot 700 Be­su­chern Platz. Die Büh­ne war 20 Me­ter breit und 28 Me­ter tief. Ne­ben ei­nem gro­ßzü­gi­gen Foy­er ge­hör­ten Bü­ros, Gar­de­ro­ben, Ma­ga­zi­ne, ei­ne Re­qui­si­ten­kam­mer und Werk­stät­ten zum Thea­ter­bau. Das Haus ver­füg­te über kein ei­ge­nes En­sem­ble und wur­de von Thea­tern aus der Re­gi­on, un­ter an­de­rem dem Schau­spiel­haus Düs­sel­dorf, be­spielt. 1908-1918 über­nahm Dü­ren Opern­auf­füh­run­gen vom Kre­fel­der Stadt­thea­ter. 1920-1922 war Dü­ren Sitz der Rhei­ni­schen Lan­des­büh­ne GmbH.

1938-1944 lei­te­te Er­na Schie­fen­busch (1905–1944) das Thea­ter, des­sen Pro­gramm und En­sem­blear­beit über­re­gio­na­le Be­ach­tung fand.

10.2 Ernst Huhn (1894–1964)

10.2.1 Bad Godesberg 1952

Bad Go­des­berg (heu­te Stadt Bonn) war wäh­rend des Zwei­ten Welt­krieg weit­ge­hend von Zer­stö­run­gen ver­schont ge­blie­ben und zu die­sem Zeit­punkt noch selb­stän­di­ge Stadt. Statt ei­ner Stadt­hal­le ent­schied man sich für ei­nen Thea­ter­bau, der aber be­reits mit ei­ner Ki­no­an­la­ge aus­ge­stat­tet wur­de. Als Ar­chi­tekt wähl­te man den als Ki­no-Ar­chi­tek­ten be­kann­ten Ernst Huhn. Die Er­öff­nung er­folg­te 1952 in An­we­sen­heit von Bun­des­prä­si­dent Theo­dor Heuss (1884-1963, Bun­des­prä­si­dent 1949-1959). Das Go­des­ber­ger Haus war das ers­te neu­ge­bau­te Thea­ter nach dem Krieg. Der Zu­schau­er­raum ver­füg­te über 700 Sitz­plät­ze und die ki­no­ty­pi­schen Lo­gen an der Rück­sei­te des Zu­schau­er­raums. Bei Um­bau­ten 1967 wur­de die Platz­zahl re­du­ziert.

Die re­prä­sen­ta­ti­ve Schau­front ist mit Bän­dern aus schlitz­ar­tig an­mu­ten­den Fens­tern ge­stal­tet. Die ab­ge­run­de­ten Ge­bäu­de­ecken er­in­nern ent­fernt an Hen­ry van de Vel­des Köl­ner Werk­bund-Thea­ter von 1914. Es ist ein ty­pi­sches Bei­spiel für die „No­t­ar­chi­tek­tur“, wie sie auch Wil­helm Ri­phahn für Köln 1946 und 1947 im Stadt­gar­ten und Volks­gar­ten plan­te. In der Be­grün­dung zum An­trag auf Denk­mal­schutz hei­ßt es: „Der ge­staf­fel­te Thea­ter­bau mit flach aus­ge­bil­de­ten Dä­chern ist cha­rak­te­ris­tisch für die Bau­wei­se und for­ma­le Ge­stal­tung ei­ner fort­schritt­lich ge­präg­ten Ar­chi­tek­tur­auf­fas­sung der Nach­kriegs­zeit.“[9] Seit 2015 ist das Go­des­ber­ger Haus die Haupt­spiel­stät­te für das Schau­spiel Bonn.

Ansicht des Barmener Opernhauses (heute Stadt Wuppertal), 5.7.2018. (CC BY-SA 4.0 / Atamari)

 

10.2.2 Remscheid 1954

1951 ent­schied der Rat der Stadt Rem­scheid, das Stadt­thea­ter an ei­nem neu­en Stand­ort wie­der auf­zu­bau­en. Mit sei­nem Go­des­ber­ger Bau als Bei­spiel fiel die Wahl auf Ernst Huhn. Un­ter Ein­be­zie­hung von Mau­er­res­ten des kriegs­zer­stör­ten Ge­sell­schafts­hau­ses "Con­cor­dia" wur­de 1953 mit den Bau­ar­bei­ten be­gon­nen.

Die Ent­schei­dung für ei­nen Thea­ter­neu­bau vor Woh­nungs- und Ver­wal­tungs­bau spie­gelt den ho­hen Stel­len­wert des Thea­ters und des­sen Be­deu­tung für die Rem­schei­der Be­völ­ke­rung. Die Er­öff­nung des Thea­ters er­folg­te1954. Im Sep­tem­ber 2001 wur­de das Thea­ter nach ei­nem der be­kann­tes­ten deut­schen Büh­nen­bild­ner des 20. Jahr­hun­derts, dem aus Rem­scheid stam­men­den Teo Ot­to (1904-1968) um­be­nannt.

Das Teo-Ot­to-Thea­ter zählt zu den qua­li­tät­vol­len Leis­tun­gen der Ar­chi­tek­tur der 1950er Jah­re in Rem­scheid. Das Ras­ter der Werk­stein­fas­sa­de glie­dert in sach­li­cher Form den zen­tra­len zwei­ge­schos­si­gen Mit­tel­bau. Die seit­li­chen Ne­ben­ge­bäu­de sind durch ih­re ge­rin­ge­re Hö­he er­kenn­bar. Aus der ge­ra­den Flucht ra­gen das Vor­dach, das Trauf­ge­sims und die ho­he Fens­ter­grup­pe des obe­ren Foy­ers über die Fas­sa­de hin­aus.

Ansicht des Remscheider Theo-Otto-Theaters, 14.11.2015. (CC BY-SA 3.0 / Michael Kramer)

 

10.2.3 Düsseldorf 1955

Das un­ge­nü­gen­de Platz­an­ge­bot und das als un­be­frie­di­gend emp­fun­de­ne his­to­ri­sche Er­schei­nungs­bild, das sich im­mer noch im Zu­stand der ei­li­gen Wie­der­her­rich­tung von 1944 be­fand, mach­ten für die Kul­tur­ver­wal­tung ei­nen Um­bau des his­to­ri­schen Stadt­thea­ter­baus von 1875 not­wen­dig. Ers­te Über­le­gun­gen da­zu reich­ten bis in das Jahr 1951 zu­rück. 

Mit dem Pro­jekt wa­ren der Lei­ter des städ­ti­schen Hoch­bau­am­tes Pro­fess­sor Ju­li­us Schul­te-Froh­l­in­de (1894–1968) so­wie Pro­fes­sor Paul Bo­natz (1877–1956), die bei­de we­gen ih­rer na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­gan­gen­heit im „Düs­sel­dor­fer Ar­chi­tek­ten­streit“ 1952 kri­ti­siert wur­den, als Ar­chi­tek­ten be­traut. We­gen sei­ner Er­fah­run­gen mit den ers­ten Nach­kriegs­thea­ter­bau­ten zog man Ernst Huhn hin­zu. Wäh­rend der Zu­schau­er­raum und die Foy­ers kom­plett ab­ge­ris­sen wur­den, blieb das Büh­nen­haus weit­ge­hend im Zu­stand der 1880er Jah­re. Die end­gül­ti­gen Kos­ten be­tru­gen 15 Mil­lio­nen DM.

„Die Fas­sa­den des Thea­ters, die an den Sei­ten mit dem Bla­ßrot un­rei­fer Him­bee­ren ei­ne un­ge­wöhn­li­che Farb­tö­nung er­hiel­ten, reiz­ten das li­te­ra­ri­sche Ka­ba­rett von Düs­sel­dorf, das ‚Kom(m)ödchen‘, in An­spie­lung auf die Kriegs­schä­den des frü­he­ren Hau­ses zu der Be­mer­kung, das Äu­ße­re der neu­en Oper kön­ne ‚durch Ar­til­le­rie­be­schuß nur ge­win­nen‘.“[10] 

Wäh­rend das Äu­ße­re des Ge­bäu­des die Hand­schrift Huhns trägt und über ei­ne „streng sym­me­tri­sche, ku­bi­sche Fas­sa­de, die durch schma­le hoch­recht­ecki­ge Fens­ter und Fens­ter­grup­pen im an­ge­deu­te­ten Ras­ter­sys­tem ge­öff­net is­t“, ver­fügt und an die „klei­ne Schwes­ter“ in Rem­scheid er­in­nert, knüpft der Zu­schau­er­raum „ei­ner­seits an die tra­di­tio­na­lis­ti­sche Mo­nu­men­tal­ar­chi­tek­tur der drei­ßi­ger und vier­zi­ger Jah­re an,“ wie sie die städ­ti­schen Ar­chi­tek­ten Bo­natz und Schul­te-Fro­lin­de ver­tra­ten, „ver­band die­se aber in den ge­schwun­ge­nen For­men der Trep­pen und Bal­ko­ne des Foy­ers mit den ty­pi­schen Ele­men­ten der Nach­kriegs­zeit.“[11] Bei der Er­öff­nung nahm der Ober­bür­ger­meis­ter ein Wort der Ent­täu­schung aus der Pres­se als Be­kennt­nis der Lan­des­haupt­stadt auf: „So­li­de Re­prä­sen­ta­ti­on.“

10.3 Gerhard Graubner (1899-1970)

Stadttheater Düsseldorf (heute Opernhaus), 18.5.2019. (CC BY-SA 4.0 / Jula2812)

 

10.3.1 Krefeld 1963

Der bal­ten­deut­sche Ar­chi­tekt Ger­hard Graub­ner war am Wie­der­auf- und Neu­bau ei­ner Rei­he deut­scher Thea­ter be­tei­ligt. Nach ei­ner be­weg­ten Ge­schich­te, in die auch die bri­ti­sche Be­sat­zungs­ar­mee in­vol­viert war, er­hielt Ger­hard Graub­ner 1963 den Auf­trag, das von Eu­gen Bertrand 1949-1952 ge­bau­te Thea­ter fer­tig­zu­stel­len. 1950 hat­ten die Städ­te Kre­feld und Mön­chen­glad­bach ei­nen Thea­ter­ver­trag un­ter­zeich­net, der die ei­gen­stän­di­gen Büh­nen der Städ­te zu den „Ver­ei­nig­ten Städ­ti­schen Büh­nen Kre­feld und Mön­chen­glad­bach“ zu­sam­men­führ­te.

Das Thea­ter mit sei­nem mar­kan­ten Kup­fer­dach und der mit pris­men­ar­ti­gen Fens­tern auf­ge­bro­che­nen Front weist ei­ne drei­fa­che Staf­fe­lung in Hö­he und Brei­te auf, die eben­so wie die Ge­stal­tung der De­cke des Zu­schau­er­raums Graub­ners Mar­ken­zei­chen wur­de.

Stadttheater Krefeld, 23.3.2015. (CC BY-SA 4.0 / Alice Wiegand)

 

10.3.2 Trier 1964

Ob­wohl Graub­ner bei dem Wett­be­werb 1959 nur den fünf­ten Platz er­reich­te, er­hielt er den Bau­auf­trag für das Trie­rer Stadt­thea­ter, das 1962-1964 ent­stand. Graub­ner galt zu die­sem Zeit­punkt be­reits als „Thea­ter­kon­fek­tio­när“. Für Trier hat­te er sei­ne Bo­chu­mer Idee auf­ge­grif­fen, den ei­ser­nen Vor­hang vor den Or­ches­ter­gra­ben zu ver­le­gen und da­mit Büh­ne und Zu­schau­er­raum en­ger auf ein­an­der zu be­zie­hen. Büh­nen­rah­men und Portal­tür­me kön­nen in den Schnür­bo­den hoch­ge­zo­gen und da­mit die Büh­ne er­wei­tert wer­den. Die Wir­kung der Zu­schau­er­raum­de­cke wird durch akus­tisch not­wen­di­ge Ein­bau­ten be­ein­träch­tigt.

10.3.3 Wuppertal 1966

1964-1966 wur­de das Schau­spiel­haus Wup­per­tal in ei­nem auf­ge­las­se­nen Ge­wer­be­ge­biet nach den Plä­nen von Ger­hard Graub­ner er­baut. Die drei­fach in Hö­he und Brei­te ge­staf­fel­ten Bau­kör­per stei­gen vom Tal­grund in die Hö­he und spie­geln den geo­lo­gi­schen Ver­lauf. Die Be­to­nung der Brei­te er­reicht ei­ne raum­grei­fen­de, re­prä­sen­ta­ti­ve Wir­kung. Die in­ter­na­tio­na­le For­schung nimmt den Bau als Graub­ners „most so­phis­ti­ca­te­d“ Pro­jekt wahr. Die Pi­na-Bausch-Stif­tung be­zeich­net Graub­ners Bau­kon­zept als „in­tro­ver­tier­t“. Auf­fäl­lig ist wie bei vie­len zeit­ge­nös­si­schen Thea­ter­bau­ten ei­ne ab­wei­sen­de, nach in­nen ge­rich­te­te Wir­kung.

Im Erd­ge­schoss nimmt ei­ne brei­te, ver­glas­te Ein­gangs­hal­le um ei­nen Atri­um­gar­ten den Be­su­cher auf. Der Zu­schau­er­raum, der sich durch ei­ne ge­krümm­te Au­ßen­front er­ken­nen lässt, liegt zu­rück­ver­setzt über dem Erd­ge­schoss. Dar­über er­hebt sich das Büh­nen­haus als ku­bi­scher Block. Zu­schau­er­raum und Büh­nen­haus wer­den nach oben durch schma­le Fens­ter­bän­der ab­ge­schlos­sen, die die wei­ßen Au­ßen­flä­chen glie­dern.

Seit 2000 steht das Thea­ter un­ter Denk­mal­schutz. Sei­ne Nut­zung als Schau­spiel­haus und zu­letzt als Spiel­stät­te des Tanz­thea­ters wur­de auf­grund der Haus­halts­la­ge 2013 ein­ge­stellt.

11. „Kultur statt Fassade“ – Theater schließen, abreißen oder erhalten?

2018 wur­de der deut­schen Thea­ter- und Or­ches­ter­land­schaft von der UNESCO der Sta­tus als „im­ma­te­ri­el­les Kul­tur­er­be“ ver­lie­hen. Die Tat­sa­che, dass we­der die Thea­ter, der an­trag­stel­len­de Ver­band, der „Deut­sche Büh­nen­ver­ein“, noch die na­tio­na­len und in­ter­na­tio­na­len Ein­rich­tun­gen der UNESCO auf die Ein­hal­tung al­ler für den Sta­tus als im­ma­te­ri­el­les Kul­tur­er­be ma­ß­geb­li­chen Kri­te­ri­en Wert ge­legt ha­ben, lässt an der Ernst­haf­tig­keit der Maß­nah­me zwei­feln. Im „Über­ein­kom­men zur Er­hal­tung des im­ma­te­ri­el­len Kul­tur­er­be­s“ von 2003 ge­hö­ren zur Er­hal­tung „Maß­nah­men zur Si­cher­stel­lung des Fort­be­stan­des … ein­schlie­ß­lich der Er­mitt­lung, der Do­ku­men­ta­ti­on, der For­schung, der Si­che­rung, des Schut­zes, der För­de­rung, der Auf­wer­tung, der Wei­ter­ga­be … der Neu­be­le­bung …“ (Art. 2, Abs. 3).

War in den 1950er und 1960er der Um­gang mit dem thea­tra­li­schen Er­be ei­ne selbst­ver­ständ­li­che Ver­pflich­tung der thea­ter­tra­gen­den (meist) öf­fent­li­chen Kör­per­schaf­ten, so zeigt un­ter an­de­rem das Wup­per­ta­ler Bei­spiel ei­ne neue Hal­tung der Po­li­tik.

Wäh­rend der Bund die Kom­mu­nen auf­for­der­te, Kul­tur und Kul­tur­ein­rich­tun­gen zu er­hal­ten, ge­rie­ten in den 2010er Jah­ren mehr und mehr Kom­mu­nen oh­ne aus­ge­gli­che­nen Haus­halt un­ter die Haus­halts­si­che­rung der Re­gie­rungs­prä­si­den­ten und ver­such­ten die „frei­wil­li­gen“, das hei­ßt nicht ge­setz­lich ver­pflich­ten­den Leis­tun­gen zu re­du­zie­ren.

Das Trierer Dreispartenhaus-Theater am Augustinerhof, 18.5.2007. (CC BY-SA 3.0 / Stefan Kühn)

 

Aber selbst „rei­che“ Kom­mu­nen sind vor sol­chen De­bat­ten nicht ge­feit, wie das Köl­ner und das Düs­sel­dor­fer Bei­spiel zei­gen „Die Zeit“ fass­te sei­ner­zeit zu­sam­men: „Düs­sel­dorfs Opern­haus­neu­bau, der jetzt er­öff­net wur­de, ist der fast re­ak­tio­när an­mu­ten­de Ge­gen­satz zu dem bis­her kon­se­quen­tes­ten Vor­stoß in Neu­land, der in Köln als „Gro­ßes Haus“ schon un­ter Dach ist.“[12] 

2006 hat­te die Stadt Köln ent­schie­den, das re­nom­mier­te Opern­ge­bäu­de von 1957 zu sa­nie­ren und das Schau­spiel­haus von 1962 - bei­de von Wil­helm Ri­phahn ent­wor­fen - ab­zu­rei­ßen und neu zu bau­en. Da­bei ging es nicht nur um Kul­tur, son­dern um öko­no­mi­sche Be­gehr­lich­kei­ten, han­del­te es sich bei dem Grund­stück um ein so­ge­nann­tes „Fi­let­stück“ städ­ti­scher Lie­gen­schaf­ten, des­sen ren­di­te­lo­se Nut­zung ei­ni­gen Lo­kal­po­li­ti­kern ein Dorn im Au­ge war. Erst ein Bür­ger­be­geh­ren un­ter der Über­schrift „Mut zur Kul­tur, In­halt statt Fas­sa­de“ konn­te 2010 die Zer­schla­gung des Bau­en­sem­bles ver­hin­dern. Nun über­schla­gen sich die Nach­rich­ten über Kos­ten­stei­ge­run­gen und Pla­nungs­feh­ler, so dass sich ein En­de des Pro­jek­tes und der Nut­zung der In­te­rims­spiel­stät­ten „Staa­ten­haus“ und „De­po­t1 und 2“ noch nicht se­ri­ös be­nen­nen lässt.

Als 2016 die Ge­ne­ral­sa­nie­rung des Düs­sel­dor­fer Schau­spiel­hau­ses an­stand, brach­te der Düs­sel­dor­fer Ober­bür­ger­meis­ter Vor­schlä­ge ins Ge­spräch, wie Kos­ten da­für ein­zu­spa­ren wä­ren: vom Ab­riss des denk­mal­ge­schütz­ten Bau­es und dem Wie­der­auf­bau nach den ori­gi­na­len Plä­nen, über ei­ne Um­nut­zung („Kon­gress­zen­trum oder Ähn­li­ches“) bis zur lang­fris­ti­gen Ver­mie­tung an ei­nen Mu­si­cal-Be­trei­ber. Das Schau­spiel­haus soll­te dau­er­haft in sei­nem 2008 er­öff­ne­ten Pro­ben- und Tech­nik­zen­trum „Cen­tral“ un­ter­ge­bracht wer­den. Die Sze­na­ri­en zeig­ten im­mer­hin so viel Wir­kung, dass 2017 ei­ne In­itia­ti­ve „Schau­spiel­haus 2020“ die Hälf­te der Sa­nie­rungs­kos­ten für die „öf­fent­lich zu­gäng­li­chen Be­rei­che“ Ein­gang, Foy­er und Toi­let­ten auf­brach­te und der Stadt ih­re Ver­pflich­tung zur Un­ter­hal­tung des Ge­bäu­des teil­wei­se ab­nahm. An­dre­as Ross­mann re­sü­mier­te in der FAZ: „Das öf­fent­li­che Gut Thea­ter – hier ist es da­bei, ein Klub­gut zu wer­den.“[13]  „Glück­li­cher­wei­se braucht man jetzt, wenn man über Thea­ter-An­ge­le­gen­hei­ten schrei­ben will, nicht zu­vor den Nut­zen des Thea­ters be­wei­sen“, schrieb An­ton Fah­ne 1864 in sei­ner Be­grün­dung für den Neu­bau des Stadt­thea­ters in Düs­sel­dorf.[14] Heu­te wer­den Kul­tur und das Thea­ter als de­ren Teil nicht als ge­sell­schaft­li­cher Wert in der kom­mu­na­len Ge­mein­schaft, son­dern nur als Mit­tel des Stadt­mar­ke­tings an­ge­se­hen. Po­li­ti­ker, die sich häu­fig über den Wer­te­ver­fall in der Ge­sell­schaft be­kla­gen, stel­len aber oh­ne Hem­mun­gen kul­tu­rel­le Wer­te in Fra­ge und ent­wer­ten durch sol­che De­bat­ten die Kul­tur ein­mal mehr.

Das zy­ni­sche Aus­spie­len der Kos­ten für Mu­se­en und Thea­ter ge­gen Schu­len und Kin­der­gär­ten über­sieht den Wert und die Be­deu­tung kul­tu­rel­ler Ein­rich­tun­gen und ih­rer Ar­beit für die ge­sell­schaft­li­che „Da­seins­vor­sor­ge“.

Literatur

Kur­siv = Kurz­zi­tier­wei­se
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Das Kölner Opernhaus vor Renovierungsbeginn, 2010. (CC BY-SA 4.0 / Raimond Spekking)

 
Zitationshinweis

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Meiszies, Winrich, „Deutsches Theater am Rhein“. Landmarken des rheinischen Theaters aus zwei Jahrtausenden, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/deutsches-theater-am-rhein.-landmarken-des-rheinischen-theaters-aus-zwei-jahrtausenden/DE-2086/lido/5fc4ccba3b8050.31115340 (abgerufen am 25.01.2025)