Die Alliierte Hohe Kommission am Rhein (1949-1955)
Zu den Kapiteln
1. Besatzungsstatut und Grundgesetz
Anfang 1926 waren die letzten britischen und französischen Besatzungstruppen aus der Region abgezogen. Wenig mehr als zwei Jahrzehnte später machte die Bestimmung Bonns zur provisorischen Bundeshauptstadt den Raum ein weiteres Mal zum Angelpunkt alliierter Sicherheitsinteressen. Im Unterschied zur Zeit nach dem Ersten Weltkrieg diente das Rheinland ab Herbst 1949 allerdings weniger als militärische Schutzzone. Im Gegenteil: Der ganze Charakter jener hier aufgebauten Kontrollbürokratie, mit deren Hilfe die westlichen Siegermächte die Eingliederung der jungen Bundesrepublik in die atlantische Werte-, Wirtschafts- und Verteidigungsgemeinschaft steuerten, war bewusst zivil gehalten. Im selben Maße, in dem das 1949 verabschiedete Grundgesetz zum wirkungsmächtigen Fundament einer erfolgreichen Staatsgründung wurde, verblasste die Erinnerung an seine anfangs eingeschränkte Gültigkeit. Bis Mai 1955 existierte noch ein zwischen den westlichen Siegerstaaten ausgehandeltes Besatzungsstatut. Teils neben, teils über dem Grundgesetz stehend bildete es mit diesem den eigentlichen Verfassungsrahmen.
Am 10.4.1949 übergaben die alliierten Verbindungsoffiziere in Bonn das Regelwerk dem Präsidium des Parlamentarischen Rates. Zum ersten Mal seit der bedingungslosen Kapitulation sicherte das Dokument den Besetzten die Beachtung elementarer Grundrechte zu. Obwohl es Bund und Ländern die “volle gesetzgebende, vollziehende und Recht sprechende Gewalt” zugestand, wurde diese Großzügigkeit durch eine Fülle allgemeiner Vorbehaltsrechte und Generalklauseln in der Praxis erheblich relativiert. Die lange Liste der Vorbehalte nennt Bereiche, die sich aus dem Wesen der Besatzung ergaben (Schutz der Streitkräfte, Kosten). Dazu kamen die bereits im Potsdamer Abkommen von 1945 als Besatzungsziele genannten Aufgabenfelder wie Entmilitarisierung, Dekartellisierung, Beschränkungen der Industrie und Reparationen. Die fraglos stärkste Einschränkung der deutschen Kompetenzen stellte die Verweigerung der völkerrechtlichen Aktionsfähigkeit dar. Die Tutoren behielten sich die außenpolitische Vertretung vor und kontrollierten Außen- und Devisenhandel.
2. Die Alliierte Hohe Kommission
Sie wirkten wie Vizekönige oder privilegierte Prokonsuln. Nach Auffassung von Zeitgenossen waren sie sogar die eigentlichen Herren über Westdeutschland. Formell Ausführungsorgan des Willens der drei Außenminister, agierten die Nachfolger der Militärregierungen in der Praxis vor allem als Vermittlungsinstanz zwischen den Siegern und dem auf Bewährung anlaufenden Staatswesen. Sie besaßen beachtliche Einflussmöglichkeiten auf interalliierte Entscheidungsprozesse. Ihre Kompetenzen gegenüber deutschen Stellen regelte das Besatzungsstatut. Zuschnitt und Arbeitsweise der trilateralen Kontrollmaschinerie definiert die am 20.6.1949 von den Außenministern unterzeichnete Satzung (Charta). Von den militärischen Aufgaben ihrer Vorgänger befreit, übten der britische, amerikanische und französische Hochkommissar im “Alliierten Rat” die gemeinsame Kontrolle über die gesamte Bundesrepublik aus. Einzeln leiteten sie die jeweilige Zonenverwaltung.
Als Spitzenorganisation mit Dreimächte-Charakter umfasste die Hohe Kommission neben dem Alliierten Rat ein gemeinsames Generalsekretariat zur Abwicklung des Dienstverkehrs mit der Bundesregierung und den jeweiligen Landeskommissaren sowie sechs Ausschüsse zur Beratung der Hohen Kommissare. Je stärker die Bundesregierung im Laufe der Jahre außenpolitische Kompetenzen gewann, desto wichtiger wurde auch die Funktion der Hohen Kommissare als Vertreter ihrer jeweiligen Regierung vor Ort. In dieser Hinsicht waren sie vergleichbar mit Botschaftern in den Hauptstädten souveräner Staaten, jedoch ausgestattet mit weitgehenden Eingriffsrechten in die Strukturen des Gastlandes.
3. Die Amtsinhaber
Bis zur Entlassung der Bundesrepublik in die Souveränität haben insgesamt sieben alliierte Hochkommissare am Rhein amtiert. Während Frankreich auf Kontinuität setzte, wechselten die beiden angelsächsischen Mächte ihre Vertreter je zweimal aus. Stellvertretend für die Institution der Dreimächte-Kontrolle überhaupt steht heute im öffentlichen Bewusstsein an vorderster Stelle der Name des ersten US-Hochkommissars: Unkonventionelle Ideen, unkomplizierte Tatkraft und uneigennützige Hilfsbereitschaft prägten die knapp drei Jahre, in denen John Jay McCloy (1895-1989) zum Schwergewicht unter den Prokonsuln aufstieg. Hinter ihm stand das politische und wirtschaftliche Gewicht einer Weltmacht. Das Rheinland kannte McCloy aus seiner Tätigkeit als amerikanischer Besatzungsoffizier in Koblenz und Trier nach dem Ersten Weltkrieg. Mit Deutschland beschäftigte er sich danach weiterhin als Rechtsanwalt, dann 1941 bis 1945 in der Position des stellvertretenden US-Kriegsministers. Nach zwei Jahren an der Spitze der Weltbank entschied er sich im Frühjahr 1949, auf dem neu geschaffenen Posten des Hochkommissars nach Deutschland zurückzukehren. Dem Konzept einer rheinischen Hauptstadt stand er skeptisch gegenüber. Zu seinem britischen Kollegen, der naturgemäß die Idee des Bundessitzes in “seiner” Zone förderte, bemerkte er: “Wenn die Deutschen es schaffen würden, in Bonn ihre gesamte Regierungsmaschinerie unterzubringen, würden sie ein Wunder bewerkstelligen.” McCloy setzte auf Frankfurt, damals zweifellos die amerikanischste aller westdeutschen Städte. Am 14.8.1949 wurde das US-Hauptquartier aus Berlin an den Main verlegt. Indirekt jedoch förderte der designierte Hochkommissar durch diese Entscheidung die Chancen Bonns im “Städtekampf” des Jahres 1949. Immer wieder konnte Adenauer die zu engen Beziehungen zwischen den bizonalen Behörden und der US-Schaltzentrale kritisieren: Als Kanzler wollte er partout nicht im Schatten des IG-Farben-Hauses regieren.
Der erste britische Hochkommissar, Sir Brian Hubert Robertson (1886-1974, ab 1961 Baron Robertson of Oakridge), brachte ebenfalls Erfahrungen aus der Besatzungsverwaltung nach dem Ersten Weltkrieg mit. Sein Vater befehligte zeitweise die britische Rheinland-Armee. Seinen beiden Kollegen hatte Robertson eine intime Kenntnis der Verhältnisse vor Ort voraus. Eine entscheidende Rolle spielte der General bei der Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit November 1947 britischer Militärgouverneur und Oberbefehlshaber, wurde er mit Wirkung vom 1.6.1949 aus der Armee beurlaubt, um den neuen Spitzenposten als ziviler Statthalter Londons in Westdeutschland antreten zu können. Da Bonn in der britischen Zone lag, war Robertson 1949/1950 stark mit den materiellen Vorbereitungen des Hauptstadtprojekts belastet. Im Frühjahr 1950 tat sich für den Hochkommissar die Chance auf, seine unterbrochene militärische Laufbahn mit dem Oberbefehl über die britischen Landstreitkräfte im Nahen Osten zu krönen. Das traf sich gut, denn gleichzeitig wurde in London der Wunsch stärker, die Position in Deutschland mit einem Berufsdiplomaten zu besetzen. Sir Ivone Kirkpatrick (1897-1964), seit 1919 im Auswärtigen Dienst, war als Leiter der Deutschlandabteilung im Foreign Office bestens mit der Materie vertraut, hatte bereits 1949 als Mitglied der britischen Delegation an der Formulierung des Besatzungsstatuts mitgearbeitet. Mit seinem französischen Kollegen verband ihn ein persönliches Miterleben der deutschen Diktatur. 1933 bis 1938 konnte er als britischer Botschaftsrat in Berlin die Ausformung des nationalsozialistischen Staates in seinen Etappen studieren. Tief eingeprägt haben sich dem Diplomaten anlässlich der Begegnungen zwischen Hitler und Chamberlain im Rheinhotel Dreesen (22.-24.9.1938) der Verhandlungsstil und die despotenhafte Hofhaltung des deutschen Diktators. 1941 musste er in einem britischen Militärkrankenhaus den über Schottland abgesprungenen “Führer-Stellvertreter” Rudolf Hess (1894-1987) identifizieren und einem ersten Verhör unterziehen.
Noch länger als Kirkpatrick mit Deutschland vertraut war André François-Poncet (1887-1978), der erste und einzige Hochkommissar Frankreichs am Rhein. Während der Ruhrbesetzung leitete der Germanist die französische Pressestelle in Düsseldorf. Von 1931 bis 1938 vertrat er sein Land als Botschafter in Berlin. Unzweifelhaft wurde er hier zum Werkzeug jener britisch-französischen Appeasement-Politik, welche die aggressive Außenpolitik des NS-Staates erst ermöglichte. Aus dieser Erfahrung speiste sich vermutlich sein Bestreben, die ersten Schritte der jungen Bundesrepublik akribisch und wirksam zu kontrollieren. Keiner der Kollegen war in Fragen von Form und Prestige empfindlicher. Schon seinen offiziellen Dienstantritt in Mainz am 19.8.1949 hatte er minutiös vorbereiten lassen, einschließlich einer Ansprache vor den eigens hier versammelten Ministerpräsidenten der französischen Zone. Die Verwaltungsroutine und einen wesentlichen Teil der laufenden Geschäftsführung überließ François-Poncet seinem Stellvertreter Armand Bérard (1904-1989): So konnte sich der Hochkommissar stärker auf die große Politik und die Pflege seines weitgesteckten informellen Beziehungs- und Informationsnetzes konzentrieren sowie die kulturelle Mission Frankreichs in Deutschland vorantreiben.
4. Die Enklave Bonn
Als höchstes Kontrollorgan und Inhaberin der obersten Regierungsgewalt in Deutschland konnte die Alliierte Hochkommission schwerlich als Teil einer Besatzungszone unter direkter Hoheitsverwaltung eines ihrer drei Mitglieder stehen. Also löste man ein circa 16 mal 16 Kilometer großes Sondergebiet aus der britischen Zone heraus und unterstellte es in Besatzungsfragen einem eigenen Verwaltungs-Unterausschuss. Im Übrigen sollten so viele praktische Aufgaben wie möglich an das gastgebende Land Nordrhein-Westfalen delegiert werden. Das engere Gebiet des (alten) Stadtkreises Bonn wurde ausschließlich für die Unterbringung deutscher Zentralbehörden reserviert: Als Sitz von Parlament und Regierung Westdeutschlands blieb dieses Kernstück der Enklave besatzungsfrei, denn der Aufbau der Demokratie sollte nicht unter den Gewehren fremder Soldaten stattfinden. Jedem der alliierten Vertreter im Unterausschuss unterstand eine kleine Polizeitruppe. Für den Straßenverkehr blieben deutsche Ordnungskräfte zuständig.
Die Enklave verfügte über einen separaten Haushalt zur Entlohnung ziviler Kräfte, für Mieten und Heizmaterial. Einen erheblichen Posten stellten Ausgaben für Telefon und Fernschreiber dar. Zwischen den weit verstreuten alliierten Dienststellen pendelte ein eigener Kurierdienst. Schließlich oblag dem verantwortlichen Unterausschuss auch die Freizeitgestaltung für das Personal der Kommission. Aus beschlagnahmten Liegenschaften wurden Klubs, zum Beispiel der Interalliierte Reitklub in Bad Godesberg (heute Stadt Bonn). Selbst Gelegenheiten zur Jagd auf Hoch- und Niederwild wurden nachgefragt. Angesichts begrenzter Möglichkeiten in der engen, dicht besiedelten Enklave verwies man die Aspiranten auf geeignete Gebiete in den nationalen Zonen.
5. Kontrollzentrale Petersberg
Es hätte sich in der Region kein besserer Standort für das Herzstück der Dreimächte-Kontrolle finden lassen. Wenn Protokollfragen gleichzeitig Machtfragen sind, war der Petersberg perfekter Symbolort: Hoch über dem Bonner Politikbetrieb gelegen und doch so weit auf Distanz zu Parlament und Regierung, dass die Vormundschaft nicht ständig sichtbar blieb. Und dann war da noch die offene Wunde von 1938, die Demütigung des britischen Premierministers, der damals hier oben untergebracht gewesen war. Jetzt würde es der westdeutsche Bundeskanzler sein, der immer wieder die steile, gewundene Zufahrtsstraße zu bewältigen hatte. Wer in der Wahl des Petersberges (“Chamberlain’s Hill”) eine kleinliche Rache der Sieger sehen wollte, mochte dies tun.
Die frühe Entscheidung für den Sitz der Hohen Kommission fußte vor allem auf zwei praktischen Gründen. Das geräumige Bergplateau war zum einen leicht gegen den Zutritt Unbefugter zu sichern, allerdings um den Preis schwerer Erreichbarkeit. Um das alliierte Personal hinaufzubefördern, reaktivierte man die 1888 eröffnete Zahnradbahn. Für den Winter wurde einer der beiden Wagen verkleidet und von der Dampflokomotive aus beheizt. Ab Mitte 1951 bewältigten Busse den Zubringerdienst. Angestellte aus dem Linksrheinischen benutzten die Königswinterer Fähre. Ein solcher Aufwand erschien vertretbar, erhielt man doch zur würdigen Aufnahme des alliierten Spitzenpersonals ein unzerstörtes Grandhotel der Luxusklasse. Für Verhandlungen mit den Besitzern, der Kölner Industriellenfamilie Mülhens, blieb keine Zeit. Die Immobilie wurde beschlagnahmt und zügig zu einem Bürogebäude mit 340 Diensträumen und zwölf Sitzungssälen umgebaut. Immerhin war der Hausarchitekt der Eigner an den Planungen beteiligt, um den späteren Rückbau zum Hotel zu erleichtern.
Jeden Morgen um 8.45 Uhr wurden die Flaggen der drei Mächte aufgezogen. Zu den turnusmäßigen Sitzungen des Alliierten Rates im Marmorsaal versammelten sich die Hochkommissare, zur Rechten und zur Linken durch je zwei Berater flankiert, um einen großen runden Verhandlungstisch. Um diese Hauptpersonen herum gruppierten sich in verschiedenen Ringen weitere Teilnehmer: sonstige Berater, Sekretäre und je ein Dolmetscher und Stenograph. War Adenauer zu Verhandlungen auf höchster Ebene zugegen, verlangsamte sich das ohnehin schleppende Verfahren noch weiter: Jetzt war zwischen drei Sprachen zu übersetzen. Den gewohnten Mittagsschlaf genoss der deutsche Bundeskanzler auf dem Petersberg, bewacht von zwei deutschen Polizisten. Überhaupt prägten Zuvorkommenheit und Rücksichtnahme den Umgang: Man ließ dem Kanzler militärische Ehren erweisen, lud ihn nach Sitzungsende ins opulent ausgestattete Restaurant ein, geleitete ihn zu seinem Wagen. Für den langjährigen Kölner Oberbürgermeister waren die in mehreren Sprachen nach besonderem Ritual gepflegten Spitzenverhandlungen eine wertvolle Einstimmung auf internationale Begegnungen, die ihn nach Lockerung der Beschränkungen auf dem Feld der Außenpolitik erwarten sollten.
6. Das französische Element an Rhein und Ahr
Mit dem Rheinhotel Dreesen in Bad Godesberg als Kern seiner nationalen Kontrollbürokratie sicherte sich Frankreich das nach dem Petersberg repräsentativste Objekt innerhalb der Enklave Bonn. Von den dort untergebrachten Flüchtlingsfamilien befreit und aufwändig umgebaut, stellte es eine ideale Brücke dar, sowohl zwischen Bundesviertel und Petersberg als auch zur sonstigen französischen Präsenz in der Region mit den Schwerpunkten Koblenz, Remagen, Bad Neuenahr, Oberwinter und Rolandseck. Die Wahl des “Dreesen” erlaubte dem französischen Kommissariat somit, auf die Ressourcen des zur eigenen Zone gehörigen Landes Rheinland-Pfalz zurückzugreifen. Noch vor Gründung der Bundesrepublik war man als erste Kontrollmacht vor Ort arbeitsfähig. Ein Teil der Mitarbeiter saß zu diesem Zeitpunkt allerdings noch in Frankfurt und im französischen Hauptquartier Baden-Baden. Zu ihrer Unterbringung ließ man 1950 rheinparallel ein neues Bürogebäude hochziehen.
Den geschätzten Rheinblick - man hatte sogar die baumbestandene Hotelterrasse neu verglasen lassen - gönnte sich François-Poncet auch bei der Auswahl der persönlichen Residenz. Die Wahl fiel auf Haus Ernich (bei Remagen), erbaut als hoch gelegener Privatsitz der bekannten Kölner Industriellenfamilie Guilleaume. Hier hat er, unterstützt von seiner Ehefrau, sechs Jahre lang in einmaliger Weise Hof gehalten. Die Lage des Objekts in der eigenen Zone war Voraussetzung für den verschwenderischen Um- und Ausbau. Über seinen Landeskommissar übte François-Poncet unverhohlen Druck auf die rheinland-pfälzische Landesregierung aus: Die Wohn- und Repräsentationsansprüche des begüterten Paars überstiegen die Vorstellungskraft deutscher Beamter. „Ein kleines Schloss, wohlproportioniert und harmonisch. In dreißig Tagen wurde es umgestaltet zur Residenz des Hochkommissars- eines kleinen deutschen Fürsten“, notierte Bérard in seinem Tagebuch. Der Stellvertreter bewohnte eine - nicht hochwasserfreie - ehemalige Fabrikantenvilla gegenüber der Insel Nonnenwerth.
7. Das britische Hauptquartier in Porz-Wahn
Auch General Robertson war persönlich ein vermögender Mann; dennoch blieben dem erfolgreichen Kaufmann und Soldaten die Allüren seines französischen Kollegen fremd. Verschwendung auf Kosten des deutschen Steuerzahlers duldete er nicht. Zudem wollte er keinesfalls seine Stellung als Zonenbefehlshaber ausnutzen, um der britischen Kontrollbürokratie eine bevorzugte Unterbringung zu verschaffen. Im Gegensatz zu den beiden anderen Mächten, die zunächst ihr jeweiliges Zonenhauptquartier in Frankfurt beziehungsweise Baden-Baden beließen, entschied sich Robertson für die Konzentration der Kräfte an einem Ort. Seine Wahl fiel auf Porz-Wahn (heute Stadt Köln), wo britische Truppen bereits zwei Monate nach Kriegsende den Feldflughafen der Luftwaffe zu einem Militärflughafen ausgebaut hatten. Ohne das prekäre Raumangebot in der Enklave Bonn zu strapazieren, konnte man das ehemalige deutsche Militärlager (im britischen Sprachgebrauch: Wahnerheide) kostengünstig zur Unterbringung der aus Berlin sowie den ostwestfälischen Standorten der Zonenverwaltung herangeführten Dienststellen ausbauen. Den Vorteilen - geeignete Räumlichkeiten, rationelle Arbeitsabläufe und konkurrenzlos schnelle Flugverbindungen - standen die relative Isolation des Standortes sowie die langen Anfahrtswege nach Bonn oder in den Siebengebirgsraum gegenüber. Und als Bonn Bundeshauptstadt blieb und nach Ende des alliierten Kontrollregimes vor Ort Botschaften benötigt wurden, waren die Briten gegenüber Franzosen und Amerikanern benachteiligt, die einfach ihre Kommissariate umwidmeten.
Auch in der Wahl seiner persönlichen Residenz stellte Robertson die eigenen Wünsche hintan. Schloss Röttgen (in Heumar) gehörte, ebenso wie der Petersberg, der Kölner Unternehmerfamilie Mülhens und hatte bereits dem britischen Militärgouverneur für Nordrhein-Westfalen als Wohnsitz gedient. Obwohl der Hochkommissar das Gebäude nicht mochte, war es doch von Zuschnitt und Ausstattung her als repräsentative Residenz geeignet. Das besser gelegene Schloss Birlinghoven bei Bonn hingegen hätte nicht ohne beträchtlichen Aufwand “an britische Wohnbedürfnisse angepasst werden” können. Angesichts der in der deutschen Presse geführten Debatte über das verschwenderische Leben der Sieger scheute Robertson die Zusatzkosten und blieb bei seinem Entschluss, obwohl Adenauer seine Bedenken zu zerstreuen suchte. Aber da wusste der Hochkommissar bereits, dass er seine Position am Rhein bald aufgeben würde.
8. Von Frankfurt nach Mehlem: Die US-Kontrollbürokratie
Nach dem Kraftakt der Verlegung des US-Hauptquartiers von Berlin nach Frankfurt scheute McCloy den Aufbau einer größeren Kontrollbürokratie am Rhein. Doch die Vorstellung, die Anwesenheit des amerikanischen Hochkommissars in der Hauptstadtregion könne auf wöchentliche oder noch seltenere Spitzentreffen beschränkt werden, erwies sich als verfehlt. In den ersten Monaten verfügte das US-Element im Bonner Raum lediglich über den Anteil am gemeinsamen Amtssitz Petersberg sowie das ehemalige Verbindungsbüro beim Parlamentarischen Rat. Erst im Mai 1950 stand das zu einem modernen Bürogebäude umgestaltete Schloss Deichmanns Aue in Bad Godesberg zur Verfügung. Das Gros der leitenden Mitarbeiter, die jede Woche von Frankfurt nach Bonn fuhren, blieb nur einen Tag. Auch der Hochkommissar selbst bevorzugte die Ruhe und den Wohnkomfort seiner Residenz in Bad Homburg. Er hatte die 1937/1938 erbaute Industriellenvilla von seinem Vorgänger General Clay übernommen. Seine Limousine oder sein Sonderzug ermöglichten ihm, drei bis vier Termine in der Hauptstadtregion zu absolvieren und abends wieder in Hessen zu sein. Doch die Gewichte verschoben sich schnell. Deutsche Verwaltungsstellen zogen von Frankfurt nach Bonn, die Verhandlungen zur Ablösung des Besatzungsstatuts wurden intensiver. Der Zwang zur Anwesenheit am Rhein nahm zu, während die Aufgaben der Zonenverwaltung eher zurückgingen. Die Reisetätigkeit vervielfachte sich, die beliebte Autobahn zwischen Frankfurt und dem Siebengebirge wurde zum Sicherheitsrisiko. Mehrere Amerikaner starben bei Verkehrsunfällen.
Politisch erhoffte man sich von einem Umzug verbesserte persönliche Beziehungen zu Schlüsselfiguren der Bundespolitik und Mitgliedern des Bundesrates. Hinzu kam das Argument, dass man in einer auf mittlere Sicht souveränen Bundesrepublik ohnehin eine Botschaft benötigen würde. Das Ergebnis der Überlegungen hatte wahrhaft amerikanische Ausmaße: Schließlich war McCloy maßgeblich am Bau des Pentagon, dem 1942 größten Bürogebäude der Welt, beteiligt gewesen. Nach mühsamer Grundstücksbeschaffung entstanden 1951 die sieben Baublöcke des imposanten HICOG (High Commissioner for Germany) - Komplexes am Mehlemer Rheinufer, dazu drei Wohnsiedlungen für amerikanische (Plittersdorf, Muffendorf) und deutsche (Tannenbusch) Mitarbeiter. Insgesamt handelte es sich seinerzeit um das größte Bauvorhaben in Westdeutschland nach 1945. Noch vor Weihnachten zogen 560 US-Angestellte und über 600 deutsche Mitarbeiter mit ihren Familien innerhalb von drei Wochen an den Rhein. Seine Residenz in Bad Homburg behielt McCloy jedoch bei. Hier stieg er auf seinen zahlreichen Reisen ab, beherbergte Gäste, führte politische Gespräche. Im Taunus konnte er jagen und angeln. An seiner Rheinvilla in Bad Godesberg schätzte der vielseitige Sportler vor allem den eigenen Tennisplatz.
9. Reizthema “Besatzungsluxus”
Termindruck bei Umbau und Einrichtung, kurzfristige Änderungswünsche der künftigen Nutzer, extravagante Anforderungen an die Ausgestaltung und Möblierung der Räume trieben die Kosten für die Unterbringung der Kontrollbehörden in eine schwindelerregende Höhe. Sie schienen in keinem Verhältnis zu den bescheidenen Beträgen zu stehen, die für die Installation von Parlament und Regierung in der provisorischen Hauptstadt zur Verfügung standen. Doch dies entsprach durchaus dem faktischen Dualismus von Grundgesetz und Besatzungsstatut und spiegelte lediglich die anfängliche Machtverteilung zwischen den deutschen Verfassungsorganen und ihren alliierten Kontrolleuren wider. Entsprechend billigte die deutsche Beschaffungsstelle den Hohen Kommissaren eine “Sonderklasse” zu; alliierte “Berater” wurden wie deutsche Bundesminister eingestuft. Zuweilen versuchten die Amtsinhaber, sich gegenseitig zu übertrumpfen. So verlangten amerikanische Stellen, die Deichmanns Aue müsse als Stabsquartier McCloys eine bessere Inneneinrichtung als der Petersberg erhalten. Nur mühsam konnte Adenauer die deutschen Prüfer davon überzeugen, dass das politische Wohlwollen der Statthalter und ihrer Ehefrauen im Konfliktfall höher einzuschätzen sei als buchhalterische Grundsätze.
Der Steuerzahler sah zumindest ein reichlich unbekümmertes Anspruchsdenken der privilegierten Sieger inmitten einer vom Mangel gezeichneten Gesellschaft. Ein Besatzungshaushalt verbrauchte 18 Mal mehr viel Strom als ein deutscher; kein Wunder, dass die üppige nächtliche Beleuchtung des Petersberges auf Zeitgenossen provozierend wirkte. Nahm man die Vorrechte der US-Bürger noch als Ausdruck des hohen amerikanischen Lebensstandards hin, wurden die Ansprüche des britischen und französischen Personals kritisch hinterfragt. Sie lebten in Deutschland weit besser als in den verarmten Entsendeländern. In Bad Godesberg und den Siebengebirgsorten stießen großzügige Requisitionen repräsentativer Wohnhäuser zu Gunsten von Kommissionsmitgliedern auf Unverständnis. Der beschränkte Nutzen vieler Beschlagnahmungen stand in keinem fairen Verhältnis zu den Nachteilen für die Besitzer. So wurde in Bad Honnef der gesamte Hagerhof beschlagnahmt, doch nur die 1945 ausgebaute Reithalle genutzt. Wertvolles Gemüseland musste zu Gunsten von Tennisplätzen aufgegeben werden, und das zur Wiederaufnahme des Bäderbetriebes dringend benötigte Kurhaus wurde nur noch sporadisch von AHK-Mitarbeitern in Anspruch genommen. Unter deutschen Jägern herrschte Verbitterung über das schrankenlose Jagdrecht der Sieger. Unter den Nutzern dieses Privilegs stand ganz oben der erste US-Hochkommissar.
10. Die Mobilität der Statthalter
Lag der Schwerpunkt der Amtsausführung auch im Rheinland, so ließen vielfältige Pflichten und Neigungen die alliierten Hochkommissare nahezu ständig auf Reisen sein. Den britischen Hochkommissar Kirkpatrick vermochte auch der neue Rolls-Royce nicht damit zu versöhnen, dass er ständig zwischen Wahnerheide, Bonn oder Godesberg, Berlin oder Zielen in einem der vier Länder seiner Zone pendeln musste. Hinzu kamen Besuche im amerikanischen oder französischen Teil Deutschlands oder im Londoner Foreign Office. Für McCloy kamen zu den kurzen Flügen in die britische Hauptstadt oder nach Paris regelmäßige transatlantische Berichtsreisen. Im Pendelverkehr zwischen den Residenzen in Bad Homburg, Berlin und Bad Godesberg, aber auch für seine häufigen Ausflüge nach Garmisch, bevorzugte er zwei Salonzüge aus der Konkursmasse des „Dritten Reiches“. Besonders die integrierte Diesel-Einheit mit Büro-, Schlaf- und Speisewagen beeindruckte die gewöhnlichen Bahnreisenden. Für François-Poncet bedeutete der französische Sonderzug eine Alternative zum Flug vom eigenen, völlig unzureichend ausgestatteten Flugfeld in Niedermendig nach Paris. Der von den Briten 1949 unter zivile Kontrolle gestellte Flugplatz Wahn wurde gern von Mitgliedern der US-Hochkommission genutzt. Deutschen Vorstößen, die Anlage noch vor Rückgabe der vollen Lufthoheit (1955) zum internationalen Zivilflughafen auszubauen, begegnete die Besatzung hinhaltend.
11. Internationale Beziehungen
Sichtbares Zeichen der fehlenden Souveränität des deutschen Weststaates war die Gängelung seiner Beziehungen zu Drittländern. Die Satzung überließ der AHK sowohl die Auswahl unter den Staaten, die mit der Bundesrepublik in diplomatische Beziehungen eintreten wollten als auch den Umfang solcher Kontakte zu deutschen Regierungsstellen. Akkreditiert waren die Diplomaten bei der Hochkommission; ihr Beglaubigungsschreiben übergaben sie auf dem Petersberg dem turnusmäßigen Vorsitzenden. Erst nach dieser förmlichen Zeremonie fuhren sie, in Begleitung des alliierten Protokollchefs, bei Bundespräsident Theodor Heuss (1884-1963, Bundespräsident 1949-1959) vor. Auch neu ernannte Mitglieder der AHK statteten dem Staatsoberhaupt lediglich einen Höflichkeitsbesuch ab. Einer Akkreditierung bedurften sie als eigentliche Träger der westdeutschen Souveränität nicht. Konsequenterweise erschienen die drei “Vizekönige” auch nicht persönlich zum Neujahrsempfang des Bundespräsidenten, sondern schickten ihren Protokollchef. Sein Platz war in der Reihe der Repräsentanten der einzelnen Verfassungsorgane, abgehoben vom Diplomatischen Korps.
“Der Weg zum Bundeskanzler führt über den Petersberg”, beschied François-Poncet frühen deutschen Versuchen, die Regeln aufzuweichen. Doch die anfänglich bewiesene Strenge war nicht von Dauer. Als Gegenleistung für die konsequente Politik der Westbindung erlangte die Republik wohl dosierte Zugeständnisse (Petersberger Abkommen 1949, „kleine“ Revision des Besatzungsstatuts 1951), bevor die wachsende Konfrontation der Blöcke im „Kalten Krieg“ dazu drängte, die Politik kleinschrittiger Erleichterungen durch ein umfassendes Vertragswerk abzulösen. Letzte Verhandlungen zum „Generalvertrag“ (Deutschlandvertrag) fanden am Rhein statt: Die Bonner Außenministerkonferenz vom 23.-26.5.1952 setzte die provisorische Hauptstadt zum ersten Mal der Hektik eines internationalen Großereignisses aus. Während die ausländischen Staatsmänner in den Residenzen der Hochkommissare untergebracht waren und die abschließenden Verhandlungen im amerikanischen HICOG-Komplex geführt wurden, fand die feierliche Unterzeichnung in Anwesenheit zahlreicher Pressevertreter im Bundesratssaal statt.
Unmittelbar danach brach die ganze Gesellschaft in getrennten Flugzeugen nach Paris auf. Für den zweiten Akt, die Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), setzte man auf das prestigeträchtigere Ambiente des Quai d‘Orsay. Adenauer konnte dies akzeptieren, war er doch unübersehbar glücklich in seiner neuen Rolle als gleichberechtigter Vertragspartner der Westmächte.
12. Lokale Kontakte
Die geringste Berührungsscheu zeigte der französische Hochkommissar: François-Poncet begriff seine Residenz während seiner sechs Jahre am Rhein als Lebensmittelpunkt und knüpfte auch Kontakte zur Stadt Remagen, zu deren Gebiet Schloss Ernich gehört. Hier besuchte er mit seiner Familie regelmäßig den Gottesdienst, spendete für den Wiederaufbau 50.000 Mark - 1950 ein großzügiger Betrag. 1955 nahm er am Karneval teil, ließ seine Residenz aufwändig dekorieren; ein Film hielt den Empfang des lokalen Prinzen fest. Auch die Ehefrau des Hochkommissars pflegte lokale Kontakte, am Wohnort wie auch in Bad Godesberg und Bonn. “In aller Stille hat sie in Zeiten der Not in Deutschland an bedürftigen Deutschen unendlich viel Gutes getan”, urteilt Felix von Eckardt (1903-1979), Adenauers legendärer Pressechef. Armand Bérard, Frankreichs stellvertretender Hochkommissar, beobachtete 1952 die enger werdenden Beziehungen der rheinischen Eliten mit den westlichen Hauptstädten: Das leichter zugängliche Paris als Ersatz für Berlin, die dortige Universität Studienort für die Söhne, für die Töchter zumindest eine Dolmetscherausbildung.
Ungleich schwerer mit seiner neuen Umgebung tat sich der 1950 eingewechselte britische Repräsentant. In seinem Wohnsitz Schloss Röttgen sah sich Sir Ivone Kirkpatrick isoliert von der Gesellschaft der Kollegen im Bonner Raum, deren Nähe er suchte. In seinen Memoiren (1959) stellt der Karrierediplomat dem Bonner Provisorium ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: So lange die Dreimächte-Kontrolle fortdauere, blieben - in den Ländern durchaus vorhandene - politische Talente der Hauptstadt fern, und folglich regiere Adenauer mit einer “Schar von Jüngern”. In seinen Augen fehlte es an einem professionellen Beamtenkörper und kraftvollen Ministerien: Zu groß seien Unterbringungsschwierigkeiten und andere materielle Beschränkungen.
Die Sympathie des ersten US-Prokonsuls galt Frankfurt und den Taunusorten. Nähere Kontakte zum Bonner Raum knüpfte John McCloy erst bei den Vorbereitungen zur Verlegung des Hauptquartiers an den Rhein. Dass die (seinerzeit noch selbständige) Stadt Bad Godesberg sich zunächst dem Mammutprojekt verweigerte, fand er konsternierend und kurzsichtig. Gegenüber Max von Deichmann (1901-1966), der sich durch das Projekt in der Verwertung des umliegenden Grundbesitzes eingeschränkt sah und Argumente des Landschaftsschutzes ins Spiel brachte, betonte er seine hohe Wertschätzung des einzigartigen Blicks auf “das liebliche Siebengebirge”. Beim Richtfest lobte McCloy die Leistung der deutschen Bauarbeiter und warb gleichzeitig für amerikanische Baupraktiken als Mittel gegen die Wohnungsnot. An beiden “Dienstorten” wurde der US-Hochkommissar wegen seiner finanziellen Förderung der Universitäten zum Ehrensenator ernannt. In Bonn-Bad Godesberg trägt eine Straße am Rheinufer seinen Namen.
13. Aufweichung des Kontrollregimes ab Mitte 1952
Von Anfang an war der gesamte alliierte Kontrollapparat einem permanenten Veränderungs- und Anpassungsprozeß unterworfen. In dem Maße, in dem vermehrt Kompetenzen an die deutsche Seite übertragen wurden, wuchs der Zwang zur Verkleinerung der opulenten Bürokratien. Das Scheitern der EVG-Verträge in der französischen Nationalversammlung (30.8.1954) verzögerte das formelle Ende des Besatzungsregimes noch einmal, doch die Anzeichen einer baldigen Souveränität waren unübersehbar: John McCloy hielt seine Mission in Deutschland für beendet und kehrte im Juli 1952 in die USA zurück. Listig streckte Adenauer bereits die Hand nach den Luxuszügen der Hohen Kommissare als Ersatz für seinen Salonwagen aus. Im Herbst 1953 würdigte er die gewandelten Beziehungen der Bundesregierung zur AHK “Vertrauensvolle positive Zusammenarbeit” statt “Kontrolle und Bevormundung”.
Nichts symbolisiert die Veränderungen besser als die Aufgabe des Petersbergs als Sitz der alliierten Nebenregierung (“Monte Veto“) zu Gunsten subtilerer Formen der Kontrolle. Bereits in den entscheidenden Verhandlungen über den Deutschlandvertrag wurde er vorwiegend für Experten-Gespräche genutzt. Mit dem Bundeskanzler traf man sich in der Residenz des amtierenden Ratsvorsitzenden, vor der bei dieser Gelegenheit auch die Bundesflagge wehte. Mitte 1952 zogen auch die zentralen Stellen der Dreimächte-Bürokratie hinunter in einen Teil des geräumigen und in der Ausstattung hochmodernen amerikanischen HICOG-Komplexes am Rhein. Im August wurde die Beschlagnahme aufgehoben.
14. Die nationalen Kommissariate werden Botschaften
Verzögert wurde die Rückgabe des Petersbergs durch die Briten, waren sie doch auf ihr Hauptquartier in Porz-Wahn fixiert und daher am Regierungssitz räumlich nur unzureichend versorgt. Anders als im Falle Frankreichs oder der USA konnte die neue diplomatische Vertretung des Vereinigten Königreichs nicht organisch aus der Hochkommission hervorgehen. Entsprechend bescheiden war das 1952/1953 an der Friedrich-Ebert-Allee im Niemandsland zwischen Bonn und Bad Godesberg errichtete Botschaftsgebäude (2003 abgerissen) dimensioniert: Mehr als 85 Büroräume waren dem britischen Steuerzahler zunächst nicht zuzumuten; einen unverzüglich geforderten zweiten Bauabschnitt lehnte London ab. Einen gewissen Ausgleich schuf die Residenz: Der britische Hochkommissar (und künftige Botschafter des Vereinigten Königsreichs) bezog die von McCloy geräumte Villa Cappell am Godesberger Rheinufer. Die turmbewehrte “Villa Spiritus” in Bonn, ehemals Verbindungsbüro des britischen Militärgouverneurs zum Parlamentarischen Rat, diente bis 2011 den in Deutschland stationierten Truppen (“Joint Services Liaison Organization”).
Mit ihrem mächtigen Statthalterpalast in Mehlem hatten die USA nach Ende des Kontrollregimes die perfekte Botschaft. Spätere Diplomaten lobten McCloy für seine Weitsicht bei der Verlegung seines Hauptquartiers von Frankfurt an den Rhein. Ein mit der Bundesregierung 1951 geschlossener Vertrag sah eine Nutzung solcher Flächen, die von der künftigen US-Mission nicht benötigt würden, durch Bundesbehörden vor. Mit seinen 700 Räumen und 2,5 Korridorkilometern erschien der Botschaftskomplex groß genug, um gleich die Regierung des Staates, in dem er stand, mit unterzubringen, kolportierte „Der Spiegel” den Spott eines US-Magazins.
Obwohl François-Poncet in der Öffentlichkeit stets von einer ausgedehnten Kontrollperiode ausging, sorgte er rechtzeitig vor. Französisches Botschaftsgebäude konnte das „Dreesen“ nicht werden. Die Besitzerfamilie drängte auf Rückgabe, und auch die Godesberger Stadtverwaltung sah das Traditionshotel als unverzichtbar für die Wiederbelebung des Fremdenverkehrs an. So wurde 1952 in Ergänzung des 1950 rheinparallel zum „Dreesen“ ausgeführten Erweiterungsbaus („Block 1“) ein weiteres vierstöckiges Bürogebäude mit 90 Räumen errichtet. Die Räumung des „Dreesen“ verzögerte man noch ein wenig, um den Besitzern einen Pachtvertrag über Grundstücke für Zufahrt, Parkplatz und Rasen der künftigen Botschaft abpressen zu können. Auch die weitere Nutzung von Haus Ernich als Residenz des künftigen französischen Botschafters war gesichert. Der im Oktober 1952 mit den Eigentümern abgeschlossene Mietvertrag wurde in dem Augenblick wirksam, als mit Auflösung der AHK auch die juristische Grundlange für die Requisition der Immobilie wegfiel.
Zweifellos waren in der provisorischen Bundeshauptstadt Standorte in Rheinlage besonders prestigeträchtig; schließlich befanden sich hier mit Bundestag/Bundesrat, Bundespräsident (Villa Hammerschmidt), Bundeskanzleramt (Palais Schaumburg) und diversen Landesvertretungen die wichtigsten Staatsorgane. Und trotz städtebaulicher Bedenken wurde 1953/1954 auch der wuchtige Komplex des Auswärtigen Amtes, deutlich sichtbares Symbol der bevorstehenden staatlichen Souveränität des Weststaats, an den Fluss gestellt. Nach Auslaufen der Kontrollperiode würden die Vertreter der westlichen Siegermächte nur noch gewöhnliche Botschafter unter Vielen sein. Durch Lage und Größe ihrer diplomatischen Vertretungen konnten zumindest die USA und Frankreich an ihre privilegierte Stellung als Geburtshelfer und Tutoren der Bonner Republik erinnern.
15. 5.5.1955: Die Bundesrepublik wird souverän
Für die Bundesrepublik eröffnete das Scheitern der EVG eine ungleich attraktivere Option. Die Verhandlungsposition der Regierung war 1954 stärker als 1951/1952. So hat das französische Taktieren Adenauer davor bewahrt, mit einem unbefriedigenden, von Frankreich dominierten Sonderbündnis leben zu müssen. Seine gradlinige Außenpolitik führte zur NATO-Mitgliedschaft Westdeutschlands; die fortdauernde Stationierung alliierter Truppen basierte jetzt auf vertraglichen Vereinbarungen unter Gleichen. “Wir stehen als Freie unter Freien”, lautete dementsprechend der Titel einer Proklamation, die Adenauer am Nachmittag des 5.5.1955 im Park des Palais Schaumburg verlas. Die geplante Feier im Bundestag hatte ihm die Opposition verweigert. Stärker protokollbewusst zeigten sich die scheidenden Hohen Kommissare. Um 11 Uhr vormittags unterzeichneten sie in Anwesenheit zahlreicher Pressevertreter im Konferenzraum der US-Hochkommission die Proklamation über die Aufhebung des Besatzungsstatuts. Mit Hinterlegung der Urkunden über die Ratifizierung des Deutschlandvertrags und des Truppenstationierungsvertrags um 12 Uhr im Kanzleramt war die Bundesrepublik souverän. Bevor sie für eine Übergangszeit als Botschafter ihrer Länder in Bonn fungieren würden, wünschten die drei alliierten Vertreter einen versöhnlichen Schlusspunkt ihrer langjährigen, oftmals heiklen Kontroll- und Beratungstätigkeit. Beim abendlichen Staatsbankett zu Ehren der gewesenen Hohen Kommissare setzte sich Bundespräsident Theodor Heuss auf sehr persönliche, sensible Weise mit zehn Jahren Besatzungsgeschichte auseinander, wurde sowohl Adenauers politischer Leistung als auch der Unterstützung des Transformationsprozesses durch die Tutoren gerecht. Alles in allem sei der 5.5.1955 für Deutschland “ein sehr wichtiger Tag” gewesen, aber wegen er auf einen Teilstaat beschränkten Freiheit insgesamt kein “stolzer” Tag.
Quellen
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Vogt, Helmut, Die Alliierte Hohe Kommission am Rhein (1949-1955), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-alliierte-hohe-kommission-am-rhein-1949-1955/DE-2086/lido/57d1304ba09a88.53614885 (abgerufen am 07.10.2024)