Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff zu den Pilgerstätten der Christenheit, nach Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela (1496–1498)

Willi Spiertz (Köln)

Ritter Harff als Pilger, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

1. Einleitung

Der Rit­ter Ar­nold Harff mach­te in den Jah­ren 1496 bis 1498 ei­ne Pil­ger­rei­se zu den da­mals wich­tigs­ten Stät­ten der Chris­ten­heit. Nach sei­ner Rück­kehr hat er ei­nen um­fang­rei­chen, mit far­bi­gen Fe­der­zeich­nun­gen ge­schmück­ten Be­richt über sei­ne Rei­se ver­fasst, den er sei­nem Lan­des­herrn, Her­zog Wil­helm III. von Berg be­zie­hungs­wei­se Wil­helm IV. von Jü­lich (1455–1511) und des­sen Ge­mah­lin Si­byl­la von Bran­den­burg (1467–1524), Toch­ter des Kur­fürs­ten Al­brecht Achil­les (1414–1486), wid­me­te.

Schloss Harff, Farblithographie, Mitte 19. Jahrhundert.

 

Ar­nold von Harff wur­de En­de 1471 als zwei­ter Sohn des Adam von Harff (ge­stor­ben 1479) und der Ri­char­dis von Ho­emen (ge­stor­ben 1495) ge­bo­ren. Adam von Harff war Land­drost von Jü­lich und Amt­mann zu Kas­ter und ent­stamm­te ei­nem nie­der­rhei­ni­schen Adels­ge­schlecht. Sein Sohn Ar­nold stu­dier­te in Köln (Im­ma­tri­ku­la­ti­on vom 24.11.1483), war al­so von ho­her Bil­dung, was sich in sei­nen La­tein­kennt­nis­sen und dem Wis­sen, dass die Er­de ei­ne Ku­gel ist, zeig­te. Im Jah­re 1504 hei­ra­te­te er Mar­ga­re­te von dem Bon­gart und wur­de im glei­chen Jahr Erb­käm­me­rer des Her­zog­tums Gel­dern. Erst 33 Jah­re alt, starb er im Ja­nu­ar 1505.

Der Be­richt des Ar­nold von Harff wird in der Li­te­ra­tur als ei­ne der be­deu­tends­ten Rei­se­be­schrei­bun­gen des deut­schen Spät­mit­tel­al­ters be­wer­tet, in dem Ein­zel­hei­ten er­zählt wer­den, die sonst kaum zu fin­den sind. Bei sei­nen län­der- und völ­ker­kund­li­chen, städ­te­bau­li­chen, wirt­schaft­li­chen, bo­ta­ni­schen und zoo­lo­gi­schen so­wie sprach- und kul­tur­his­to­ri­schen Schil­de­run­gen zeig­te Harff ei­ne ex­zel­len­te Be­ob­ach­tungs­ga­be, ein viel­sei­ti­ges In­ter­es­se, al­ler­dings auch ei­ne sehr gro­ße Nai­vi­tät.

Der Be­richt ist in Harffs ri­pua­ri­scher Mund­art ge­schrie­ben, was man­chem als bei­na­he nie­der­län­disch vor­kom­men mag. Das ist wahr­schein­lich der Grund da­für, dass die Spra­che in der Li­te­ra­tur un­ter­schied­lich be­wer­tet wird. Ei­ni­ge be­trach­ten sie als schlicht, un­be­hol­fen und schwer­fäl­lig, oh­ne künst­le­ri­sche Schu­lung und „in ei­nem et­was schwa­dro­nie­ren­den Ton“, wo­bei der Häu­fung des Ver­bin­dungs­par­ti­kels „ite­m“ kei­ne sti­lis­ti­schen Qua­li­tä­ten ab­zu­ge­win­nen sei­en. An­de­re lo­ben die „le­ben­di­ge und an­schau­li­che Schil­de­rung des er­zäh­le­risch be­gab­ten nie­der­rhei­ni­schen Lan­de­del­mann­s“. Neu­tra­ler ist die Be­ur­tei­lung, in dem Be­richt ein wert­vol­les Zeug­nis für die spät­mit­tel­ri­pua­ri­sche Schreib­spra­che zu se­hen. Ver­mut­lich hat Harff be­wusst kei­ne an­de­re Spra­che ge­wählt, weil sie, wie er selbst schreibt, dem ge­meynen man­ne on­vers­tent­lich ist (dem ge­mei­nen [all­ge­mei­nen, nor­ma­len] Mann un­ver­ständ­lich ist).

Ritter Harff als Pilger, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 

Ob­wohl Ar­nold von Harff auf sei­ner Fahrt - nicht wie da­mals üb­lich - nur ei­nen, son­dern al­le drei gro­ßen Wall­fahrts­or­te des Mit­tel­al­ters, näm­lich Rom, Je­ru­sa­lem und San­tia­go de Com­pos­te­la, auf­such­te, kann sei­ne Rei­se nicht als rei­ne Pil­ger­fahrt ge­se­hen wer­den, son­dern eher als Bil­dungs­rei­se oder „Ka­va­liers­tour“, ver­gleich­bar ei­ner Aben­teu­er­fahrt des 16. und 17. Jahr­hun­derts. Da­für spricht, dass er sich kei­ner or­ga­ni­sier­ten Pil­ger­ge­sell­schaft an­schloss, son­dern meis­tens in Be­glei­tung von Kauf­leu­ten reis­te, von den üb­li­chen Wall­fah­rer­rou­ten ab­wich und sei­ne Rei­se weit über die Pil­ger­zie­le hin­aus aus­dehn­te. Der „Pil­ger“ Harff trat da­bei et­was in den Hin­ter­grund. Aber Harff war auch Aben­teu­rer und Ent­de­cker und, wie er selbst sagt, dich­ter, denn eyn scho­ne lo­e­gen tzeirt wa­el eyn ree­den (ei­ne schö­ne Lü­ge ziert wohl ei­ne Re­de), und als sol­cher brauch­te er zur Un­ter­hal­tung der Le­ser auch Fa­bel­we­sen, Wun­der, Phan­tas­te­rei­en und Über­trei­bun­gen, die über das tat­säch­lich Er­leb­te weit hin­aus­gin­gen. Das hat die Le­ser im 19. Jahr­hun­dert pein­lich be­rührt und Zwei­fel an der Wahr­haf­tig­keit ei­ni­ger Pas­sa­gen im Be­richt ge­weckt. Zwi­schen­zeit­lich ist die wis­sen­schaft­li­che For­schung sich ei­nig, dass Harff über den Si­nai hin­aus nicht in den Ori­ent vor­ge­drun­gen ist, we­der Ara­bi­en (mit Mek­ka), Vor­der­in­di­en und Ma­da­gas­kar ge­se­hen noch die Nil­quel­len ent­deckt hat.

Der Doge, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 

Bei sei­nen Fik­tio­nen hat Harff nach­ge­wie­se­ner­ma­ßen schrift­li­che Quel­len be­nutzt so­wie an­ti­ke Li­te­ra­tur und äl­te­re Rei­se­be­rich­te in­so­weit her­an­ge­zo­gen, als er „An­lei­hen“ bei  M­ar­co Po­lo (um 1254–1324), John Man­de­vil­le (vor 1322–1372), Hans Tu­cher (1428–1491), Bern­hard von Brey­den­bach (um 1440–1497), Odo­ri­co von Por­de­no­ne (um 1270–1331), Her­mann Kü­nig von Vach (um 1450–nach 1495) und dem 1486 von Ste­phan Plannck (um 1457–1501) ge­druck­ten deut­schen „Mi­ra­bi­lia Ro­ma­e“ mach­te. Das be­wei­sen auch die ver­wir­ren­de Chro­no­lo­gie, die rät­sel­haf­ten Ent­fer­nungs- und Rich­tungs­an­ga­ben so­wie die selbst er­fun­de­nen Orts­na­men, wie zum Bei­spiel Ma­dach, Kan­ge­ra, Lack, Be­soch oder Pha­sa­gar.

Lan­ge um­strit­ten war die Dau­er der Harff-Rei­se. Wäh­rend als Rei­se­be­ginn ein­heit­lich der 7.11.1496 ver­zeich­net ist, wird das En­de der Rei­se un­ter­schied­lich auf den 10. Ok­to­ber oder No­vem­ber 1498/1499 da­tiert. Be­züg­lich des Mo­nats gibt Harff am An­fang sei­nes Be­rich­tes oc­to­bri und am Schluss sent Mar­tins abent, al­so den 10. No­vem­ber an. Die Jah­res­an­ga­be ist in den vor­han­de­nen Hand­schrif­ten teils mit 1498, teils mit 1499 ver­zeich­net. Eber­hard von Groo­te (1789–1864) schreibt in sei­ner Edi­ti­on „1499“, wie auch die Hand­schrift im (ein­ge­stürz­ten) His­to­ri­schen Ar­chiv der Stadt Köln, Be­stand 382. Ar­nold von Harff hat am 1. Fe­bru­ar, 9. März, 13. Ju­li, 5. Au­gust und 17.8.1499 ge­ur­kun­det, so­dass er be­reits 1498 zu­rück­ge­kehrt sein muss und 1499 so­mit falsch ist.

Die Bewohner von Lack, Holzschnitt nach einer Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', 1860.

 

Die Hand­schrift des Be­stan­des 382 im His­to­ri­schen Ar­chiv der Stadt Köln stammt ur­sprüng­lich aus der ehe­ma­li­gen Blan­ken­hei­mer Schloss­bi­blio­thek, wie der Be­sitz­ein­trag auf dem Vor­satz­blatt be­weist: „Bi­blio­the­cae Blancken­heim“. Von Blan­ken­heim aus ist die Hand­schrift in den Be­sit­z Cle­mens von Bren­ta­nos ge­kom­men. Von dort aus wur­de sie im Ja­nu­ar 1820 ver­stei­gert. Die Stadt Köln er­warb die Hand­schrift 1929 von dem An­ti­qua­ri­at Tie­de­mann in Ber­lin. Die Aus­stat­tung der Hand­schrift kann we­gen ih­rer Il­lus­tra­ti­on mit 42 far­bi­gen Fe­der­zeich­nun­gen und sie­ben Fremd­al­pha­be­ten als präch­tig be­zeich­net wer­den. Wahr­schein­lich wa­ren Ma­ler und Schrei­ber des Bu­ches ver­schie­de­ne Per­so­nen. Die Bil­der sind im Stil ih­rer Zeit ge­malt, ge­se­hen mit den Au­gen des spät­mit­tel­al­ter­li­chen, abend­län­di­schen Rei­sen­den. Mög­li­cher­wei­se wa­ren für die Tier­zeich­nun­gen dem Ma­ler zur Ver­fü­gung ste­hen­de Bil­der die Grund­la­ge. Die far­bi­gen Fe­der­zeich­nun­gen wir­ken zwei­fels­oh­ne fri­scher und aus­drucks­stär­ker als die Holz­schnit­te in der Edi­ti­on von Groo­tes. Sie sind al­ler­dings nicht nur Buch­schmuck, son­dern auch ei­ne bild­ge­mä­ße Text­in­ter­pre­ta­ti­on, die den Text mög­lichst rea­lis­tisch er­läu­tern, die Vor­stel­lungs­kraft des Le­sers un­ter­stüt­zen und die ge­naue Be­ob­ach­tung des Au­tors de­mons­trie­ren sol­len. So wer­den Be­ge­ben­hei­ten auf der Rei­se als „spre­chen­de Sze­nen“, Trach­ten frem­der Volks­stäm­me, frem­de Tie­re und frem­de Bräu­che dar­ge­stellt. Un­ab­hän­gig von ih­rer künst­le­ri­schen Qua­li­tät zei­gen die Bil­der au­ßer dem Pil­ger Ar­nold von Harff un­ter an­de­rem frem­de Per­so­nen, frem­de Tie­re, frem­de Bräu­che und my­tho­lo­gi­sche Fi­gu­ren. Der Rit­ter Ar­nold von Harff ist auf al­len Bil­dern, bis auf das als Ge­fan­ge­ner, an dem bei­ge­ge­be­nen Fa­mi­li­en­wap­pen zu er­ken­nen. Als Pil­ger zeich­nen ihn Pil­ger­hut, Pil­ger­stab und Ro­sen­kranz aus, au­ßer­dem trägt er ei­nen lan­gen Bart.

Ne­ben den Bil­dern ent­hält die Hand­schrift Ab­bil­dun­gen von Fremd­al­pha­be­ten mit ent­spre­chen­den Sprach­pro­ben. Harffs zum Teil feh­ler­haf­ten Sprach­bei­spie­le sind in der in­ter­na­tio­na­len Sprach­for­schung auf gro­ßes In­ter­es­se ge­sto­ßen. Of­fen bleibt, ob Harff die Schrift- und Sprach­pro­ben ir­gend­wo ab­ge­schrie­ben oder selbst er­stellt hat, letz­te­res gilt als wahr­schein­li­cher. Da­ge­gen sind die Schrift­pro­ben zwei­fels­frei dem Rei­se­be­richt Bern­hards von Brey­den­bach ent­nom­men.

Venezianische Frauen, Holzschnitt nach einer Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', 1860.

 

2. Die Motive für die Pilgerreise

Die Mo­ti­ve für ei­ne Pil­ger­rei­se wa­ren na­tür­lich in ers­ter Li­nie re­li­giö­ser Art und gal­ten als al­le­go­ri­sche Gleich­set­zung des Le­bens. Den Re­li­qui­en der Hei­li­gen und den Din­gen, wo­mit sie in Be­rüh­rung ge­kom­men wa­ren, wur­den über­na­tür­li­che Kräf­te zu­ge­schrie­ben, sie brach­ten ei­ne Ver­bin­dung mit Gott zu­stan­de. Das war auch dem Rit­ter Ar­nold von Harff be­kannt, der, wie er selbst schreibt zo troist ind heyll mi­j­ner se­len se­li­che­yt (zum Tost und Heil der Se­lig­keit mei­ner See­le) sich vor­ge­nom­men hat­te, eyne loeb­li­che pyl­grym­macie zu vol­lenbren­gen (ei­ne lo­bens­wer­te Pil­ger­rei­se zu voll­brin­gen).

Harff be­kam auf sei­ner Pil­ger­fahrt über­all Re­li­qui­en und Hei­li­ge Stät­ten zu se­hen, wenn er auch selbst manch­mal leich­te Zwei­fel äu­ßer­te. Er kom­men­tier­te bei­spiels­wei­se das (an­geb­li­che) Vor­han­den­sein der Ge­bei­ne des Apos­tels Mat­thi­as (ge­stor­ben 63) so­wohl in Rom als auch in Pa­dua mit „der paf­fen yr­ron­ge layss ich got schei­den (der Pfaf­fen Ir­run­gen las­se ich von Gott ent­schei­den). Ähn­lich ver­hielt es sich mit den Re­li­qui­en des Apos­tels Ja­co­bus des Äl­te­ren (ge­stor­ben 44), die in San­tia­go de Com­pos­te­la und Tou­lou­se auf­be­wahrt wer­den, und mit dem Arm­kno­chen des Apos­tels Tho­mas (ge­stor­ben um 72), der in Rom, in Rho­dos, in Cal­mia (In­di­en) und in Maas­tricht zu se­hen war.

Die Thomiten, Holzschnitt nach einer Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', 1860.

 

We­sent­li­cher Be­stand­teil ei­ner Pil­ger­rei­se war der Er­werb von Ab­läs­sen, was sich im aus­ge­hen­den 15. Jahr­hun­dert zu schwe­ren Miss­bräu­chen ge­stei­gert hat­te und we­ni­ge Jah­re spä­ter zu ei­nem der An­läs­se der Re­for­ma­ti­on Mar­tin Lu­thers (1483–1546) wur­de. So ge­währ­te bei­spiels­wei­se Papst Ni­ko­laus V. (Pon­ti­fi­kat 1447–1455) an­läss­lich der Kai­ser­krö­nung Fried­richs III. (1415–1493) im Jah­re 1452, al­len An­we­sen­den ei­nen Ab­lass „so­viel in al­len Kir­chen zu Rom is­t“, und das wa­ren meh­re­re 1.000 Jah­re. Auch Harff „heims­te“ an al­len be­such­ten Hei­lig­tü­mern den Ab­lass ein, so zum Bei­spiel in Rom beim Be­such der Kir­chen des Hei­li­gen Lau­ren­ti­us (ge­stor­ben 258) und des Hei­li­gen Ste­pha­nus (ge­stor­ben um 40) 7.000 Jah­re, des Hei­li­gen Pau­lus (ge­stor­ben um 65) 40.000 Jah­re, am Al­tar der Hei­li­gen Ve­ro­ni­ca (from­me Frau in Je­ru­sa­lem, die Je­sus ihr Schwei­ß­tuch ge­reicht ha­ben soll) im Pe­ters­dom 12.000 Jah­re.

Ar­nold von Harff war aber nicht nur eif­ri­ger Samm­ler von Ab­läs­sen, son­dern des­glei­chen auch von Rit­ter­ti­teln, was sei­ne Rei­se über­dies als mit­tel­al­ter­li­che Rit­ter­fahrt er­schei­nen lässt. Aus­führ­lich schil­der­te er, wie er in Je­ru­sa­lem von Hans von Preu­ßen, ei­nem fran­zis­ka­ni­schen Lai­en­bru­der, der seit 1446 in Je­ru­sa­lem leb­te, in Voll­macht des Paps­tes zum Rit­ter vom Hei­li­gen Grab ge­schla­gen wur­de:

Das Grab des hl. Thomas in Makeron, Holzschnitt nach einer Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', 1860.

 

Dar nae was dae eyn alt rit­ter bro­eder, her Hans van Pruys­sen ge­nant, der die pylg­rum die des be­ge­ren­de si­jnt zo rit­ter sleyt, der vff die tzi­jt by yem hat eyn gul­den swert ind tzweyn gul­den spoe­ren, mich fra­e­gen­de, of ich rit­ter wer­den wol­de. Ich ant­wort, jae. Hee fra­e­get, off ich rit­ter ge­noiss ind ee­lich van va­der ind mo­der we­re, des ich hoeff­de al­so. Hee heyss mir eynen voiss vur ind den and­ren nae vff dat hey­li­ge graeff sett­zen. Dae speyn er mir bey­de spoe­ren vmb. Dar nae guyrt er mir dat sweert vff mi­j­ne lyncke si­jdt ind spraich: tzu­ych vss dat sweert ind sitz vff di­jn knee vur das hey­li­ge graeff, nym dan dat sweert in die lyncke hant ind le­ge tzweyn fin­ger vss der rech­ter hant dar vff ind sprich mir nae: As ich ee­lich rit­ter man eynen wi­j­den ver­nen weech ge­wan­delt, groiss druck li­j­den ind on­ge­maich ge­le­den ha­ne vmb ere ind dat hey­li­ge lant Jhe­ru­sa­lem zo sue­chen ind nv die ste­de der mar­ti­ry­en vn­sers he­ren Jhe­su Crist ind dat hey­li­ge graeff fun­den het, mi­j­ne sun­den zu bes­se­ren ind eyn recht­fer­dich leu­en an mich ne­men wil, be­ge­ren dar vmb al­hie goetz rit­ter zo­wer­den ind ge­lo­eue dat bij mi­j­ner tru­wen ind eren die we­du­wen wey­sen kir­chen kluy­sen ind arm lu­de zo be­schir­men, ouch nye­mantz noch vmb guet noch vmb gelt noch frunt­schafft noch maich­schafft vn­recht helf­fen zo recht mai­chen ind ich mich hal­den sal, as ey­me eir­ba­ren rit­ter zoe getz­empt, as mir got helff ind dat hey­li­ge graeff. Doe ich dit ge­dayn ind nae ge­spro­chen hat, nam hee mir dat sweert vs­ser mi­j­ner hant ind sloich mich dae mit vff mi­j­nen ruck spre­chen­de: stant vff rit­ter in ere des hey­li­gen gra­effs ind des rit­ters si­jnt Joeri­jen ere. Soe moiss got van hemel­rich ge­u­en, dat ich rit­ter ind an­der mi­j­ne mit ge­sel­len die rit­ter si­jnt aeder ges­la­gen wer­dent den eyt ny­et bre­chen en­mois­sen. Amen.

Jerusalem, der Kalvarienberg, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 

(Da­nach war da ein al­ter Rit­ter­bru­der, Herr Hans von Preu­ßen ge­nannt, der die Pil­ger, die das be­gehr­ten, zum Rit­ter schlägt. Er hat­te um die Zeit ein gol­de­nes Schwert und zwei gol­de­ne Spo­ren bei sich. Er frag­te mich, ob ich Rit­ter wer­den wol­le. Ich ant­wor­te­te, ja. Er frag­te, ob ich Rit­ter­ge­nos­se und ehe­lich von Va­ter und Mut­ter wä­re, was ich zu sein hoff­te. Er hieß mich ei­nen Fuß nach dem an­de­ren auf das hei­li­ge Grab zu set­zen. Dann spann­te er mir bei­de Spo­ren um. Da­nach gür­te­te er mir das Schwert auf mei­ne lin­ke Sei­te und sprach: „Zieh das Schwert her­aus und fal­le auf dei­ne Knie vor dem hei­li­gen Grab, nimm dann das Schwert in die lin­ke Hand und le­ge zwei Fin­ger der rech­ten Hand dar­auf und sprich mir nach: ‚Da ich, ehe­li­cher Rit­ters­mann, ei­nen wei­ten fer­nen Weg ge­wan­delt [ge­pil­gert] bin, gro­ßen Druck und Un­ge­mach ge­lit­ten ha­be, um Eh­re und das Hei­li­ge Land Je­ru­sa­lem zu su­chen und nun die Stät­te der Mar­ty­ri­en un­se­res Herrn Je­su Christ und das Hei­li­ge Grab ge­fun­den ha­be, um mei­ne Sün­den zu bes­sern und ein Recht schaf­fen­des Le­ben auf mich neh­men will, be­geh­re ich dar­um, hier Got­tes Rit­ter zu wer­den und ge­lo­be bei mei­ner Treue und Eh­re, die Wit­wen, Wai­sen, Kir­chen, Klös­ter und ar­men Leu­te zu be­schüt­zen, auch nie­man­dem, we­der um Gut noch Geld noch Freund­schaft noch Ver­wandt­schaft, Un­recht zu Recht zu ma­chen zu hel­fen, und mich ver­hal­ten wer­de, wie es ei­nem ehr­ba­ren Rit­ter ge­ziemt, so mir Gott hel­fe und das Hei­li­ge Grab.“ Nach­dem ich die­ses ge­tan und nach­ge­spro­chen hat­te, nahm er mir das Schwert aus mei­ner Hand und schlug mich da­mit auf mei­nen Rü­cken, spre­chend: „Steh auf Rit­ter, zu Eh­ren des Hei­li­gen Gra­bes und des Rit­ters St. Ge­org.“ So mö­ge Gott im Him­mel­reich ge­ben, dass ich [als] Rit­ter und mei­ne an­de­ren Ge­sel­len, die Rit­ter sind oder noch [da­zu] ge­schla­gen wer­den, den Eid nie bre­chen müs­sen. Amen).

Krö­nen­der Ab­schluss sei­ner „Rit­ter­fa­her­t“ war dann der Rit­ter­schlag durch Kö­nig Lud­wig XII. (1498–1515) von Frank­reich in Pa­ris:

Die Trachten der Griechen und Türken, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 

_Item (…) sloich mich ko­en­inck Loit­wich van Franck­ri­jch vur de­me al­ta­er rit­ter, des ich be­ge­ren­de was, as mich al­le cris­ten ko­en­inck ind heyden­sche heren­rit­ter ges­la­gen hat­ten
 _(Gleich­falls schlug mich Kö­nig Lud­wig von Frank­reich vor dem Al­tar zum Rit­ter, was ich be­gehrt hat­te, wie mich al­le christ­li­chen Kö­ni­ge und heid­ni­sche Her­ren zum Rit­ter ge­schla­gen hat­ten).

Wie schon in der Ein­lei­tung zum Aus­druck ge­bracht, zei­gen sich für Harffs Rei­se ver­schie­de­ne Mo­ti­ve. Im Vor­der­grund stand ein­deu­tig der Teil der Aben­teu­er­rei­se, die, wenn auch nur fik­tiv er­lebt, we­sent­lich aus­führ­li­cher dar­ge­stellt wird. Mög­li­cher­wei­se hat Harff sei­ne Rei­se erst nach­träg­lich als Pil­ger­fahrt de­kla­riert.

Das Mo­tiv für die Ab­fas­sung sei­nes Be­rich­tes gab Harff selbst, in­dem er den Wunsch äu­ßer­te, sein Auf­trag­ge­ber (ure vurst­li­che gna­ede [Eu­re fürst­li­che Gna­den]) mö­ge in dem Buch eyn gue­de we­ge­wi­j­son­ge (ei­nen gu­ten Weg­wei­ser) fin­den. Und in der Perora­tio emp­fahl er sich nach­fol­gen­den Pil­gern als weech wi­j­ser. So sind in dem Be­richt im­mer wie­der bis ins Ein­zel­ne hin­ein Hin­wei­se ge­ge­ben zu Un­ter­kunft und Ver­pfle­gung, Orts­an­ga­ben, Ent­fer­nun­gen oder an­de­ren prak­ti­schen Din­gen, bei­spiels­wei­se mit dem Rat, den Beu­tel un­ten mit Gold und oben mit wi­js­sen gel­de (wei­ßem Geld) zu fül­len. Auch mahn­te er zur vur­sich­ti­che­yt, wi­js­he­yt und pa­ci­en­cia (Vor­sicht, Weis­heit und Ge­nüg­sam­keit [Ge­duld]).

Der San­tia­go­teil sei­nes Bu­ches ist deut­lich an den Pil­ger­füh­rer Her­manns Kü­nig von Vach an­ge­lehnt, be­schränkt er sich doch weit­ge­hend auf Orts- und Ent­fer­nungs­an­ga­ben. Da­von ab­ge­se­hen, war Harffs Be­richt mit sei­nen fik­ti­ven Or­ten, dif­fu­sen Zeit- und Ent­fer­nungs­an­ga­ben als Pil­ger­füh­rer kaum brauch­bar.

Noch ein an­de­res Mo­tiv lässt sich für den Pil­ger­be­richt Harffs ent­de­cken: die Selbst­dar­stel­lung Harffs, so­wohl bei der Schil­de­rung ei­ge­ner Er­leb­nis­se, dem Her­aus­he­ben sei­ner Fremd­spra­chen­kennt­nis­se oder den bild­li­chen Selbst­dar­stel­lun­gen. Ähn­lich wie heu­te Tou­ris­ten ih­re Rei­se­er­leb­nis­se fo­to­gra­fisch fest­hal­ten, zei­gen sie ihn beim Be­such der hei­li­gen Stät­ten, als Rei­sen­den auf ei­nem Ka­mel oder als Ge­fan­ge­nen.

Die Trachten der Christen, Heiden, Türken und Juden, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 

3. Der Pilgerweg

Ar­nold von Harff reis­te von Köln nach Rom, dann über Ve­ne­dig nach Ägyp­ten (Kai­ro), durch den Si­nai, und von Äthio­pi­en nach Je­ru­sa­lem zu den hei­li­gen Stät­ten. Die Rück­rei­se ging durch die Tür­kei („Con­stan­ti­no­pel“/Is­tan­bul), über den Bal­kan (Bul­ga­ri­en, Al­ba­ni­en) durch Un­garn, Nord­ita­li­en (Ve­ne­dig) und Süd­frank­reich nach San­tia­go de Com­pos­te­la, von dort über den nor­man­ni­schen Wall­fahrts­ort Mont St. Mi­cha­el wei­ter über Pa­ris und Aa­chen zu­rück nach Köln.

Die We­ge nach Rom, ins St. Ka­tha­ri­nen­klos­ter im Si­nai, von Kai­ro nach Je­ru­sa­lem und von Ve­ne­dig nach San­tia­go de Com­pos­te­la und Mont St. Mi­chel sind wohl, un­ab­hän­gig vom tat­säch­li­chen Mo­tiv, als Pil­ger­stre­cke zu wer­ten, auch wenn Harff von der ty­pi­schen Rou­te der Je­ru­salem­pil­ger (Ve­ne­dig-Rho­dos-Jal­ta-Je­ru­sa­lem-Rück­kehr auf dem See­weg) ab­wich. Die Rei­se durch Afri­ka (Nil­quel­len, Mek­ka), Vor­der­in­di­en, Ma­da­gas­kar und „Cey­lon“, so sie denn statt­ge­fun­den hät­te, müss­te dem Be­reich ei­ner Aben­teu­rer- und Bil­dungs­tour zu­ge­rech­net wer­den.

Wie für vie­le an­de­re Pil­ger, war auch für Harff Köln der Aus­gangs­punkt sei­ner Pil­ger­rei­se; aber nicht Pil­ger, son­dern Kauf­leu­te be­glei­te­ten ihn, wie er auch spä­ter im­mer wie­der die Ge­sell­schaft von Kauf­leu­ten such­te.

4. Die Pilgerziele

Der Pilger empfiehlt sich im Kölner Dom dem Schutz der hl. Drei Könige, Illustration aus dem Pilgerbuch des Ritters Arnold von Harff, 1554. (Abtei Maria Laach)

 

4.1 Rom

Als Ar­nold von Harff sich 1496 zu sei­ner Pil­ger­rei­se auf­mach­te, lag er da­mit im Trend sei­ner Zeit. Sein Weg führ­te ihn zu­nächst nach Rom, der hei­li­gen Stadt, in der die Apos­tel Pe­trus und Pau­lus be­gra­ben sind und die Sitz des Paps­tes, des Nach­fol­gers des Apos­tels Pe­trus, ist. Hier ließ sich Harff den Se­gen von Papst Alex­an­der VI. (Pon­ti­fi­kat 1492–1503) für sei­ne Pil­ger­fahrt ins Hei­li­ge Land ge­ben, oh­ne den ein Ab­las­ser­werb nicht mög­lich ge­we­sen wä­re. Harff be­schrieb die Stadt Rom sehr de­tail­liert, ins­be­son­de­re die Kir­chen mit ih­ren Al­tä­ren und Ab­läs­sen, was er mög­li­cher­wei­se den „Mi­ra­bi­lia Ro­ma­e“ ent­nom­men hat. Er be­schrieb aber auch den Auf­stand der Rö­mer, die die En­gels­burg, den Auf­ent­halts­ort des ih­nen ver­hass­ten spa­ni­schen Paps­tes Alex­an­der VI. stür­men, was für tat­säch­lich Er­leb­tes spricht. Auch An­spie­lun­gen auf die Mo­ral des Paps­tes, der drei Söh­ne und ei­ne Toch­ter ha­be, feh­len nicht; aber dae van we­re vil zo schri­ju­en, dat ny­et crist­lich lu­den en seul­de (da­von wä­re viel zu schrei­ben, was [aber] christ­li­che Leu­te nicht sol­len). Selbst den Hin­weis auf die Päps­tin Jo­han­na („Jut­te“), die der Le­gen­de nach im 11. Jahr­hun­dert ge­lebt ha­ben soll, lässt der „from­me Pil­ger“ Harff nicht aus.

Der Pilger kommt in Rom an, Holzschnitt nach einer Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', 1860.

 

4.2 Das St. Katharinen-Kloster im Sinai

Auf sei­ner Fahrt ins Hei­li­ge Land ver­säum­te Harff es nicht, auch den Ab­lass des am We­ge lie­gen­den St. Ka­tha­ri­nen-Klos­ters im Si­nai, ei­nem po­pu­lä­ren Pil­ger­ziel, mit­zu­neh­men. Er be­schrieb aus­führ­lich das Klos­ter, in dem die Hei­li­ge Ka­tha­ri­na von Alex­an­dri­en (3./4. Jahr­hun­dert) be­gra­ben sein soll, so­wie die Um­ge­bung des Klos­ters: die Stel­le des bren­nen­den Dorn­buschs dae vss got mit Mo­y­ses ge­spro­chen hait (wo un­ser Gott mit Mo­ses ge­spro­chen hat) und des Tan­zes um das gol­de­ne Kalb: dae bij die ju­den eyn kalff off ge­richt hat­ten dat an be­den­de ind dar vmb dant­z­ten ind ver­ga­es­sen Mo­y­ses ge­bot (da­bei [dort, wo] die Ju­den ein Kalb auf­ge­rich­tet hat­ten, das sie an­be­te­ten und um­tanz­ten und das Ge­bot des Mo­ses ver­ga­ßen).

4.3 Jerusalem

Je­ru­sa­lem, das „Ab­bild des Him­mel­rei­ches“, die Stadt, in der Je­sus ge­lebt und ge­wirkt hat­te, war das mit Ab­stand wich­tigs­te Pil­ger­ziel des mit­tel­al­ter­li­chen Men­schen. Für die Be­schrei­bung Je­ru­sa­lems und des Hei­li­gen Lan­des ver­wen­det Harff dem­entspre­chend ei­nen Gro­ß­teil sei­nes Be­rich­tes, ein In­diz da­für, für wie wich­tig auch Harff die­ses Pil­ger­ziel hielt. Ver­meint­lich such­te er die wich­tigs­ten in der Bi­bel ge­nann­ten Or­te auf, von der ers­ten Woh­nung Adams und Evas, über die Grä­ber Abra­hams, Isaaks und Ja­kobs, dem Ge­wöl­be, in dem Chris­tus ge­bo­ren, den Stei­nen, auf wel­chen er ge­pre­digt, sein Grab (der hei­ligs­ten Stät­te der Chris­ten­heit), die Stel­le, an der das Kreuz stand bis hin zu den Fuß­stap­fen, die er bei sei­ner Him­mel­fahrt zu­rück­ließ. Und na­tür­lich gab es über­all Ab­lass zu ge­win­nen. Harff ver­säum­te, wie er be­haup­te­te, es auch nicht, ei­ne Mo­schee oder den „Sa­lo­mo­ni­schen Tem­pel“ auf­zu­su­chen, was Nicht­chris­ten al­ler­dings ver­bo­ten war.

Das Kloster S. Katharina auf dem Berg Sinai, Illustration aus dem Pilgerbuch des Ritters Arnold von Harff, 1554. (Abtei Maria Laach)

 

4.4 Santiago de Compostela

San­tia­go de Com­pos­te­la war nach Je­ru­sa­lem und Rom der be­deu­tends­te Pil­ger­ort der west­li­chen Welt, weil sich dort mut­ma­ß­lich das Grab des Apos­tels Ja­co­bus d. Ä. be­fin­det. Harff be­schrieb San­tia­go de Com­pos­te­la als eyn kleyn scho­y­ne lustich steet­gen (ein klei­nes, schö­nes, an­mu­ti­ges Städt­chen), in dem die Deut­schen we­gen ih­rer „Pil­ger­krö­nun­g“ ver­spot­tet wür­den: dae die pyl­grym hin­den de­me al­ta­er vff sti­j­gen ind sett­zen die kro­in vff yre heuff­ter, dae mit die in­wo­ner vns duyt­scher spot­ten (wo die Pil­ger von hin­ten an den Al­tar stei­gen und die Kro­ne auf ih­re Häup­ter set­zen, wes­halb die Ein­woh­ner über uns Deut­sche spot­ten). Auch be­rich­te­te er von der Mu­schel, die die Pil­ger in San­tia­go de Com­pos­te­la er­war­ben und an ih­ren Hut hef­te­ten ind sa­gen du si­js dae ge­weest (und sa­gen, du seist da ge­we­sen). Trotz der Glau­bens­zwei­fel, die Harff heg­te, wird er den (nicht im Rei­se­be­richt ver­merk­ten) Ab­lass, den es für San­tia­go seit 1198 gab, „mit­ge­nom­men“ ha­ben. San­tia­go de Com­pos­te­la und ganz Spa­ni­en kommt in Harffs Be­richt nicht gut weg: ge­ho­ert de­se pyl­grym­macie den bede­ler zoe, die in vn­sen lan­den ge­sto­el­len doit ges­la­gen yre he­ren vert­zoirt ind ver­ra­eden ha­ven und sum­ma sum­ma­rum is Hy­spa­ni­en gar eyn bues­ser lant, as ich in der Tur­ki­jen mit der cris­ten­he­yt fun­den ha­ne (ist die­se Pil­ger­rei­se den Bett­lern [dem Ge­sin­del] zu­zu­ord­nen, die in un­se­ren Lan­den ge­stoh­len, tot­ge­schla­gen, ih­re Herr­schaft rui­niert und ver­ra­ten ha­ben und al­les in al­lem ist Spa­ni­en ein schlim­me­res Land für die Chris­ten­heit, als ich es in der Tür­kei an­ge­trof­fen ha­be).

St. Jakob zu Compostela, Holzschnitt nach einer Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', 1860.

 

4.5 Mont St. Michel

Auf dem Mont St. Mi­chel soll der Erz­engel Mi­cha­el im Jah­re 708 dem Bi­schof Aut­bert (ge­stor­ben 725) er­schie­nen sein und ihn mit dem Druck sei­nes Fin­gers in den Schä­del auf­ge­for­dert ha­ben, dort ei­ne Kir­che zu bau­en. Die­se wur­de seit dem 10.Jahr­hun­dert zum Wall­fahrts­ort, in dem der durch­bohr­te Schä­del Aut­berts „zu se­hen“ war. Im Ge­gen­satz zu San­tia­go de Com­pos­te­la ist Mont St. Mi­chel für Harff eyn kleyn starck steet­gen (ein klei­nes, star­kes [stark be­fes­tig­tes] Städt­chen). Er be­schrieb die Er­schei­nung des Bi­schofs und die Er­bau­ung der Kir­che. Von ei­nem Ab­lass für sei­nen Be­such sag­te er nichts.

5. Das „Fremde“ im Pilgerbericht

Was „frem­d“ für Harff auf sei­ner Rei­se ge­we­sen sein muss, lässt sich nur über das Be­deu­tungs­po­ten­ti­al des Be­grif­fes her­aus­ar­bei­ten. Es ist nur mit Hil­fe sei­nes An­t­onyms „ei­gen“  fass­bar. „Frem­d“ ist das, was jen­seits des „Ei­ge­nen“ liegt. Wenn Fremd­heit das Un­be­kann­te, Un­heim­li­che, Be­droh­li­che, Aus­ge­schlos­se­ne, Ge­gen­tei­li­ge, aber auch das Kom­ple­men­tä­re ist, wird man Ei­gen­heit mit Ver­traut­heit, Zu­ge­hö­rig­keit, Ver­füg­bar­keit (zum Bei­spiel des ei­ge­nen Kör­pers) de­fi­nie­ren kön­nen. Mit dem Her­aus­tre­ten aus den ei­ge­nen Le­bens­ver­hält­nis­sen be­ginnt schon das Frem­de, al­so in dem Au­gen­blick, in dem sich „un­ser“ Rit­ter Harff ent­schloss, Pil­ger zu wer­den, war er im Wort­sinn schon ein Frem­der (= pe­regri­nus), der sein See­len­heil in der Pil­ger­rei­se (in die Frem­de) such­te, so, wie der Christ als Frem­der auf Er­den den Pil­ger­weg in das Reich Got­tes geht. Der Pil­ger, der sich au­ßer Lan­des be­gab, er­leb­te den Kon­trast zwi­schen der ei­ge­nen Welt und der frem­den „pri­mi­ti­ven“ Ge­sell­schaft in Rea­li­tät, aber auch in Fik­ti­on. Fak­tisch Vor­ge­ge­be­nes hat Harff fik­tiv über­formt be­zie­hungs­wei­se auf tra­dier­te Vor­stel­lun­gen zu­rück­ge­grif­fen.

Monte S. Michaele, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 

Nüch­ter­ne Wirk­lich­keits­be­rich­te ent­spra­chen nicht dem Zeit­geist, ih­nen wur­de we­nig Glau­ben ge­schenkt. So griff der Pil­ger in sei­nem Be­richt auf fest­ste­hen­de To­poi zu­rück, die ein Bild des Frem­den und Exo­ti­schen ent­ste­hen lie­ßen, das den Wün­schen und Ängs­ten des re­li­gi­ös ver­wur­zel­ten Men­schen der Zeit ent­sprach. Mit dem Exo­ti­schen eng ver­bun­den ist das Fan­tas­ti­sche, das auf den Le­ser, auch wenn er den Wahr­heits­ge­halt ein­schät­zen konn­te, ei­ne sug­ges­ti­ve Wir­kung aus­üb­te. Die Pil­ger (und spä­ter ih­re Le­ser) stan­den vor neu­en Ge­bil­den der Frem­de und er­leb­ten frem­de Län­der, Men­schen und Tie­re, „sa­hen“ Fa­bel­we­sen und „wa­ren da­bei“, wenn Wun­der ge­scha­hen.

Gewinnung des Bisams, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 

5.1 Fremde Länder

Ar­nold von Harff schil­der­te sehr de­tail­liert, was er in den von ihm durch­reis­ten Län­dern al­les ge­se­hen ha­ben will. Um das bes­ser ver­ar­bei­ten zu kön­nen, griff er auf Ver­glei­che mit sei­ner ei­ge­nen Welt zu­rück. So hat­te bei­spiels­wei­se Kai­ro für ihn mehr Ein­woh­ner als die Kur­stif­te Köln und Trier zu­sam­men, Alex­an­dria war nicht viel klei­ner als Köln und der Nil so breyt as der Ri­jn by Coel­ne (so breit wie der Rhein bei Köln). Wie vie­le Pil­ger vor ihm, so hat auch Harff Fak­ti­sches über­höht oder in Fik­ti­ves über­ge­hen las­sen. So schrieb er zum Bei­spiel, die In­sel „Can­de­a“ sei se­ven­hun­dert mi­j­lie wi­jdt (700 Mei­len groß), wo­mit aber nur der Um­fang der In­sel ge­meint sein konn­te, oder gab die An­zahl der Mo­sche­en in Kai­ro mit weit über­trie­be­nen 36.000 an. Harff konn­te an­geb­lich die Her­kunft des Na­mens „Ro­tes Meer“ er­klä­ren, hat die fa­bel­haf­ten Kö­nig­rei­che Sa­ba und Lack be­sucht und den nicht exis­tie­ren­den Süd­stern so­wie die so­ge­nann­ten Mond­ber­ge „ge­se­hen“. Ver­bo­te­ner­wei­se will er in Mek­ka die Kaa­ba - eyn scho­yn swartz mar­mels­teynen (ein schö­ner schwar­zer Mar­mor­stein) - auf­ge­sucht ha­ben, die er für das Grab des Pro­phe­ten Mo­ham­meds (um 570–632) hielt, der be­kannt­lich in Me­di­na be­gra­ben ist. Im Ha­fen von Ma­dach hat er Schif­fe wahr­ge­nom­men, die oh­ne Nä­gel ge­baut sind, da­mit sie von den Ma­gnet­ber­gen nicht an­ge­zo­gen ind ver­der­vent (ver­dor­ben) wer­den. Auf sei­ner Rei­se durch Ägyp­ten will er so­gar die Quel­len des Nils ge­fun­den ha­ben. Das Pa­ra­dies hat nach Harffs Mei­nung aber nicht dort, son­dern in Je­ru­sa­lem ge­le­gen. Da­mit griff er den To­pos „Pa­ra­dies“ auf, das schon seit früh­christ­li­cher Zeit im Os­ten ver­mu­tet wur­de, von der Au­ßen­welt durch Was­ser, Feu­er und ei­ne Mau­er ab­ge­schirmt, und in dem die „Pa­ra­dies­flüs­se“ Ti­gris, Phuson, Eu­phra­tes und Ge­on ent­spran­gen. Nach der Le­gen­de Bran­dams (um 484–577) wird das Pa­ra­dies kurz vor dem En­de der Welt auf­ge­fun­den wer­den, wo­mit Harff, wenn er die Le­gen­de kann­te, das Welt­ende ein­ge­läu­tet hät­te.

Die Amazonen, Holzschnitt nach einer Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', 1860.

 

5.2 Fremde Menschen

In den frem­den Län­dern, die Harff auf­such­te, lern­te er na­tür­lich auch frem­de Men­schen ken­nen, de­ren Aus­se­hen, Klei­dung und Ge­bräu­che er ge­nau be­ob­ach­te­te oder aus an­de­ren Quel­len ent­nom­men hat­te. Harff sah Men­schen, die „gantz swart­z“ oder die al­ler swart­z­te, die halff doeff (halb­taub) oder die al­le ganz ne­cke­tich sind, as got Adam ind Eva ne­cke­tich ge­schaf­fen het. Die­se Men­schen ha­ben Gü­ter­ge­mein­schaft (gu­de ge­meyn), geyne ey­en huys­frau­wen (kei­ne ei­ge­nen Frau­en) und an­bee­den oes­sen (be­ten Och­sen an). Harff lern­te nicht nur „Frem­de“ son­dern auch „Wil­de“ ken­nen. „Wil­de“, das sind die Be­woh­ner der neu ent­deck­ten Welt, die nicht­christ­li­chen Völ­ker, al­so die Hei­den. Hei­den, be­son­ders Ara­ber und Tür­ken, gal­ten als ge­walt­tä­tig und grau­sam, was Harff am ei­ge­nen Leib er­fah­ren muss­te, als er in Ga­za ge­fenck­lich ge­setzt wur­de in eyn ij­ser mit halss hen­den ind voes­sen drij we­chen lanck (in ein Ei­sen [ge­legt] mit Hals, Hän­den und Fü­ßen, drei Wo­chen lang), was im üb­ri­gen fast je­der Pil­ger zu er­dul­den hat­te. An­de­rer­seits wa­ren die Hei­den für Harff so leicht­gläu­big (licht­lich ge­leu­ven), daß sij we­ren bal­de zu be­ke­ren (schnell zu be­keh­ren wä­ren). Aber nicht nur Hei­den ver­ach­te­te der from­me Rit­ter Harff, son­dern auch die „Tho­mi­ten“, al­so die Tho­ma­schris­ten, die die Pe­trus­re­li­gi­on der rö­mi­schen Kir­che ab­leh­nen. Sie be­schimpf­te er als Göt­zen­die­ner, die nichts an­de­res tun als be­d­rie­gen ver­ra­eden ind um­brin­gen (be­trü­gen, ver­ra­ten und mor­den). Auch die „Ma­me­lu­ken“, ver­leug­nen­de Chris­ten und seit der Mit­te des 13. Jahr­hun­derts in Ägyp­ten an der Macht, wa­ren ihm nicht ge­heu­er. Er be­schrieb sie als macht­voll, stets mit ei­nem Stock und ei­nem Sä­bel be­waff­net, um Hei­den, Chris­ten und Ju­den, die ih­nen zu na­he kom­men, nie­der­zu­schla­gen.

Gefangenschaft des Pilgers in Gazera, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500, Foto: Historisches Archiv der Stadt Köln. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 

Harff be­schrieb auch den my­thi­schen Pries­ter­kö­nig Jo­han­nes, dem der Sul­tan von Ägyp­ten tri­but­pflich­tig sei; er nann­te ihn „Lob­lin“, wo­mit er auf ei­ne be­reits im 12. Jahr­hun­dert ent­stan­de­ne Le­gen­de Be­zug nahm, wo­nach der sa­gen­haf­te Pries­ter­kö­nig Jo­han­nes über ein mäch­ti­ges Reich im Os­ten ver­fü­ge. Selbst in der Chro­nik Ot­tos von Frei­sing (um 1112–1158) tauch­te der Pries­ter­kö­nig auf, wie auch des­sen Reich auf der Welt­kar­te Ger­hard Mer­ca­tors von 1569. Der Herr­scher soll freund­lich, wei­se und keusch ge­we­sen sein, und sei­ne Macht grö­ßer als die ei­nes an­de­ren ir­di­schen Herr­schers. Aus De­mut ha­be der Kö­nig den Ti­tel des ein­fa­chen Pries­ters an­ge­nom­men. Sei­ne Un­ter­ta­nen sol­len kei­ne Ver­bre­chen ge­kannt und nie­mals ge­lo­gen ha­ben. Ein Jung­brun­nen ha­be ihm das ewi­ge Le­ben ge­schenkt. Sehr aus­führ­lich be­rich­te­te Harff über Le­bens­wei­se, Ge­wer­be und Ab­stam­mung der Sin­ti und Ro­ma (swarttzer na­cke­di­cher lu­de). Auch weiß er vor­geb­lich, war­um sie zu Va­ga­bun­den wur­den. Ei­nen wei­te­ren To­pos nahm er mit sei­ner Schil­de­rung der Ama­zo­nen auf, von de­nen be­reits das Al­ter­tum und spä­ter Mar­co Po­lo er­zähl­ten. Harff über­nahm fast wört­lich die (fin­gier­te) Er­zäh­lung von Man­de­vil­le. Die „Ama­zo­nen“ leb­ten nach der Nar­ra­ti­on ge­trennt von den Män­nern auf ei­ner In­sel. Nur ein­mal im Jahr wür­den sie die­se se­hen, um „Kyn­der zo mai­chen“. Sie schnit­ten den Mäd­chen die Brust ab, da­mit ye­me die brost ny­et an de­me stri­j­den ind ve­ch­ten hyn­de­ren en moech­te (sie die Brust nicht wäh­rend des Strei­tes und Ge­fech­tes hin­dern kann).

Der Sultan in Kairo, Holzschnitt nach einer Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', 1860.

 

Liest man Harffs Be­richt als Er­leb­nis­be­richt, so wird deut­lich, dass er dem weib­li­chen Ge­schlecht au­ßer­or­dent­lich zu­ge­tan war. In den um­bri­schen Apen­in­nen glaub­te er das Ur­bild der Schön­heit der vrauw Ve­nus­bergh (Le­bens­raum der an­ti­ken Lie­bes­göt­tin) ge­fun­den zu ha­ben; er er­wähn­te die mo­ham­me­da­ni­sche Viel­wei­be­rei: sij mo­e­gen neh­men zo der ee seess X. ader tz­went­zich wij­ver (sie mö­gen [kön­nen] sechs, zehn oder 20 Frau­en zur Ehe neh­men) und den Ha­rem des tür­ki­schen Kai­sers, der von di­cke vet­te luy­de wie bier ton­nen (di­cken, fet­ten Leu­ten, wie Bier­ton­nen) be­wacht wer­de. Nach sei­ner dum­men er­k­en­te­nyss hat Harff in Mai­land die scho­ens­te frau­wen, in Ve­ne­dig die koest­lichs­te, in Köln die ho­emo­e­dichs­te (hoch­mü­tigs­te) und in Mo­a­bar die al­ler swart­z­te ge­se­hen. Da ist es fast un­um­gäng­lich, dass er sich in sei­nen ser­bo­kroa­ti­schen, grie­chi­schen, ara­bi­schen, he­bräi­schen und bas­ki­schen Sprach­bei­spie­len in leicht ab­ge­wan­del­ter Form den Satz vrau­we laist mich de­se nacht bij uch sla­ef­fen (Frau, lass mich die­se Nacht bei dir schla­fen) über­set­zen ließ. Da­ge­gen riet er an an­de­rer Stel­le da­von ab, sich mit heyden­scher wi­jf­fe (Hei­den­frau­en) ein­zu­las­sen. Na­tür­lich kann man in der häu­fi­gen und viel­fäl­ti­gen Er­wäh­nung von Frau­en in Harffs Be­richt die­se auch als Re­prä­sen­tan­tin­nen des „Frem­den“ wer­ten.

Todesstrafe in Spanien, Holzschnitt nach einer Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', 1860.

 

Be­son­ders ein­drucks­voll war Harffs Aus­flug in die Welt der My­tho­lo­gie, wenn er die „Cyno­ce­pha­li“ (Hunds­köp­fi­gen) oder die Men­schen in ih­ren Schne­cken­häu­sern be­schrieb. Die „Cyno­ce­pha­li“ wer­den schon bei Aris­to­te­les (384–322 v.Chr.), Pli­ni­us d.Ä. (23/24–79) und Hra­ba­nus Mau­rus (780–856) ge­nannt und als ei­ne be­son­de­re Af­fen­art (Aris­to­te­les) be­zie­hungs­wei­se als Men­schen mit Hunds­köp­fen be­schrie­ben, die kei­ne Spra­che be­sit­zen, son­dern bel­len, an­de­re Men­schen aber ver­ste­hen. Wie schon Man­de­vil­le und Mar­co Po­lo, traf auch Harff auf sie. Sie sind al­le gantz swartz ind ye­re heuff­der ha­ven ge­s­tel­te­nyss na eynem hun­de ind heysschen ce­ne­fal­les (al­le ganz schwarz und ih­re Häup­ter ha­ben die Ge­stalt ei­nes Hun­des und hei­ßen ‚ce­ne­fal­les’). Ent­spre­chend sind sie auch bild­lich dar­ge­stellt.

Cenophali, Holzschnitt nach einer Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', 1860.

 

5.3 Fremde Tiere

Dem Pil­ger Harff galt auch die Fau­na des Ori­ents als fremd und exo­tisch. Er „sah“ Lö­wen, die bis zu 100 Jah­re alt wer­den konn­ten, Strau­ße, die ih­re Ei­er mit schar­fem Blick aus­brü­ten, greyslich[e] Leo­par­den, 50-60 Fuß (cir­ka 16-19 Me­ter) lan­ge Kro­ko­di­le, Scha­fe mit brei­ten Schwän­zen und lan­gen Oh­ren, Gi­raf­fen, Ka­me­le, Tau­ben, die Brie­fe be­för­dern und - be­son­ders furcht­er­re­gend - ver­giff­ti­ge slan­gen. Nicht im­mer konn­ten die Pil­ger die Na­men der frem­den Tie­re be­hal­ten. Harff schrieb saich ich gar vil sel­sa­mer die­ren, … der na­men ich al­let ny­et be­hal­den moech­te (sah ich sehr vie­le selt­sa­me Tie­re, de­ren Na­men ich nicht al­le be­hal­ten konn­te).

Bei der bild­li­chen Dar­stel­lung der Tie­re hat Harff un­zwei­fel­haft auf die Holz­schnit­te im Rei­se­be­richt von Bern­hard Brey­den­bachs „Rei­se ins Hei­li­ge Lan­d“ (1486) zu­rück­ge­grif­fen. Die rea­lis­ti­sche Tier­welt des Ori­ents reich­te aber noch nicht, um die Le­ser der Pil­ger­be­rich­te da­von zu über­zeu­gen, dass der Pil­ger tat­säch­lich in die von ihm be­schrie­be­ne Ge­gend vor­ge­drun­gen war. Wun­der­tie­re muss­ten in den Be­richt auf­ge­nom­men wer­den. Wie schon John Man­de­vil­le ver­ließ auch Harff die Fau­na des Ori­ents, um in die Welt der Mons­ter und Fa­bel­we­sen ein­zu­tau­chen, die ei­ner lan­gen li­te­ra­ri­schen und bild­li­chen Tra­di­ti­on ent­stam­men und wahr­schein­lich auf die früh­christ­li­che Na­tur­leh­re des „Phy­sio­lo­gus“ (2.–4. Jahr­hun­dert) zu­rück­ge­hen. So hat Harff die Kämp­fe zwi­schen ei­nem Wal und dem Mee­res­dra­chen („Le­vi­a­con)“ be­zie­hungs­wei­se zwi­schen dem Mee­resoch­sen und der Meer­kuh mit­er­lebt. Bei­de Kämp­fe sind bild­lich in Harffs Be­richt wie­der­ge­ge­ben.

Das Krokodil, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 

5.4 Mirakelerzählungen

Fak­ti­sches, Über­trie­be­nes, Mons­ter und Fa­bel­we­sen wa­ren zwar we­sent­li­che Be­stand­tei­le der Pil­ger­be­rich­te, das Op­ti­mum bil­de­ten je­doch ge­sche­he­ne, er­zähl­te oder er­leb­te Wun­der. Sie leg­ten Zeug­nis ab von der All­macht Got­tes und ka­men dem Glau­ben der Pil­ger sehr ent­ge­gen. Fer­ner er­höh­te ih­re Schil­de­rung den Un­ter­hal­tungs­wert des Pil­ger­be­rich­tes. Als das in der Li­te­ra­tur am meis­ten be­schrie­be­ne, sei als Bei­spiel das „Hüh­ner­wun­der“ ge­nannt. Die­se dem Papst Ca­lix­tus II. (Pon­ti­fi­kat 1119–1124) im „Li­ber Sanc­ti Ja­co­bi“ zu­ge­schrie­be­ne Mi­ra­ke­l­er­zäh­lung soll sich im Jah­re 1090 zu­ge­tra­gen ha­ben: Auf ih­rer Rei­se mach­ten Pil­ger in Tou­lou­se Rast. Der Wirt ver­steck­te in ih­rem Ge­päck ei­nen Sil­ber­be­cher, der dann bei der Wei­ter­rei­se bei dem Sohn der pil­gern­den Fa­mi­lie ge­fun­den und die­ser, des Dieb­stahls be­schul­digt, zum To­de ver­ur­teilt und ge­hängt wur­de. Die Fa­mi­lie setz­te ih­re Rei­se nach San­tia­go de Com­pos­te­la fort, be­te­te dort am Al­tar des Hei­li­gen für ih­ren Sohn und als sie nach 36 Ta­gen nach Tou­lou­se zu­rück­kehr­te, leb­te der Sohn durch die Für­spra­che des Hei­li­gen noch. Dar­auf­hin wur­de der „bö­se“ Wirt auf­ge­hängt.

Kampf des Walfisches mit dem Leviat, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 

Das Wun­der wur­de in der Fol­ge­zeit durch sei­ne Über­nah­me in die „Le­gen­da au­re­a“ des Ja­co­bus de Vor­a­gi­ne (um 1230–1298) in ganz Eu­ro­pa be­kannt. Im 13. Jahr­hun­dert er­hielt es sei­ne ers­te Er­wei­te­rung, wo­nach der Wirt über die Nach­richt, der ge­häng­te Pil­ger le­be noch, spot­te­te, eher wür­den die Brathüh­ner vom Herd flie­gen, was die­se dann ta­ten. Ei­ne von den in der Fol­ge­zeit noch vie­len Neue­run­gen be­stand im Pas­sio­nal von cir­ca 1300 dar­in, dass die Hüh­ner in die Stadt San­to Do­m­in­go de la Cal­za­da flo­gen, wo Harff sie dann auch vor­geb­lich an­ge­trof­fen hat: vff die lyncke hant des hoi­gen al­ta­ers si­jnt ge­satzt in die locht eyn wi­scher ha­en ind hen in ein ge­remtz (auf der lin­ken Sei­te des Hoch­al­tars sind in der Luft [Hö­he] ein wei­ßer Hahn und ei­ne Hen­ne in ei­ne Ein­frie­dung [ei­nen Kä­fig] ge­setzt.

6. Ergebnis

Der Rei­se­be­richt des Rit­ters Ar­nold von Harff, der sich selbst als pyl­gerom, weech­wi­j­ser ind dich­ter (Pil­ger, Weg­wei­ser und Dich­ter) be­zeich­net, hat sei­ne Be­deu­tung dar­in, dass er in der Li­te­ra­tur als ei­ner der bes­ten Ver­tre­ter der Gat­tung Rei­se­be­schrei­bung gilt. Zu­gleich ist er aber auch ei­ne geist­li­che Pil­ger­schrift, wenn­gleich das welt­li­che Ele­ment doch stark in den Vor­der­grund tritt. Der Be­richt en­det fast wie ein Aben­teu­er-Ro­man, wenn Harff be­schreibt, dass in Spa­ni­en zwei aus sei­ner Pil­ger­grup­pe er­schla­gen wur­den, und er selbst sich nur durch Flucht ret­ten konn­te.

Der Wert des Wer­kes liegt in dem au­ßer­ge­wöhn­lich gro­ßen In­for­ma­ti­ons­ge­halt, ins­be­son­de­re da­durch, dass Harff an­de­re als die üb­li­chen Pil­ger­we­ge be­nutz­te. So gibt der Be­richt wert­vol­le Hin­wei­se für Geo­gra­fie, Völ­ker­kun­de, Lin­gu­is­tik, Kul­tur- und Sit­ten­ge­schich­te. Das sah schon der Edi­tor Eber­hard von Groo­te in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts so, als er ur­teil­te, dass Ar­nold von Harff „mit ei­ner schar­fen Be­ob­ach­tungs­ga­be aus­ge­rüs­tet al­le In­ter­es­sen ver­folgt, die für den da­ma­li­gen Stand­punkt des Rit­ter­th­ums, der Geo­gra­phie, der Na­tur­for­schung und der Sprach­kun­de ir­gend von Wich­tig­keit wa­ren. Sein Be­richt ist dem­nach als ein schätz­ba­rer Bei­trag zur Cul­tur­ge­schich­te des XV. Jahr­hun­derts an­zu­se­hen.“

Zu­sam­men­fas­send ist dem His­to­ri­ker Hel­mut Lahr­kamp zu­zu­stim­men, der Harff „un­ter die her­vor­ra­gends­ten Rei­sen­den des an­bre­chen­den Ent­de­ckungs­zeit­al­ter­s“ zäh­len wür­de, könn­te denn sein Be­richt glaub­haft ge­macht wer­den.

Quellen

Ar­nold von Harff: Ar­nold Har­ven Reiss nach Jhe­ru­sa­lem (Hand­schrift im His­to­ri­schen Ar­chiv der Stadt Köln, Be­stand 382).
Groo­te, Eber­hard von (Hg.), Die Pil­ger­fahrt des Rit­ters Ar­nold von Harff von Cöln durch Ita­li­en, Sy­ri­en, Ae­gyp­ten, Ara­bi­en, Ae­thio­pi­en, Nu­bi­en, Pa­läs­ti­na, die Tür­kei, Frank­reich und Spa­ni­en, Köln 1860.

Literatur

Brall-Tu­chel, Hel­mut/Rei­chert, Fol­ker (Hg.), Rom – Je­ru­sa­lem – San­tia­go. Das Pil­ger­buch des Rit­ters Ar­nold von Harrf (1496–1498). Nach dem Text der Aus­ga­be von Eber­hard von Groo­te, Köln [u.a.] 2007.
Her­bers, Klaus, Der Ja­kobs­weg. Mit ei­nem mit­tel­al­ter­li­chen Pil­ger­füh­rer un­ter­wegs nach San­tia­go de Com­pos­te­la, Tü­bin­gen 1986.
Her­bers, Klaus/Plötz, Ro­bert, Nach San­tia­go zo­gen sie. Be­rich­te von Pil­ger­fahr­ten aus „En­de der Welt“, Mün­chen 1996.
Ho­ne­mann, Vol­ker, Zur Über­lie­fe­rung der Rei­se­be­schrei­bung Ar­nolds von Harff, in: Zeit­schrift für deut­sches Al­ter­tum und deut­sche Li­te­ra­tur 107 (1978), S. 165–178.
Huis­kes, Man­fred, Die Ori­ent-Fahrt des Rit­ters von Harff, in: Bo­b­e­rach, Heinz/Franz, Eck­hart E. (Hg.), In der Ge­mein­schaft der Völ­ker. Do­ku­men­te aus deut­schen Ar­chi­ven über die Be­zie­hun­gen zwi­schen Deut­schen und an­de­ren Na­tio­nen in elf Jahr­hun­der­ten, Ko­blenz 1984, S. 148-149.
Korth, Leon­hard, Die Rei­sen des Rit­ters Ar­nold von Harff in Ara­bi­en, In­di­en und Ost-Afri­ka. Ein Bei­trag zur Ge­schich­te der Erd­kun­de, in: Zeit­schrift des Aa­che­ner Ge­schichts­ver­eins 5 (1883), S. 191-218.
Schmidt, Herm[ann] Jos[ef] (Hg.), Pil­ger­buch des Rit­ters Ar­nold von Harff, Düs­sel­dorf [1930].
Spiertz, Wil­li, Eber­hard von Groo­te. Le­ben und Werk ei­nes Köl­ner So­zi­al­po­li­ti­kers und Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler (1789-1864), Köln/Wei­mar/Wien 2007.

Online

Lahr­kamp, Hel­mut, Harff, Ar­nold von, in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 7 (1966), S. 672-673. [On­line]

Seeochse und Seekuh, Illustration aus 'Arnold Harven Reiss nach Jherusalem', um 1500. (Historisches Archiv der Stadt Köln)

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Spiertz, Willi, Die Pilgerfahrt des Ritters Arnold von Harff zu den Pilgerstätten der Christenheit, nach Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela (1496–1498), in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-pilgerfahrt-des-ritters-arnold-von-harff-zu-den-pilgerstaetten-der-christenheit-nach-rom-jerusalem-und-santiago-de-compostela-1496%25E2%2580%25931498/DE-2086/lido/57d1218eb58f88.19019651 (abgerufen am 14.12.2024)