Die Verteidigung des rheinischen Karnevals und die politische Festkultur im Vormärz
Zu den Kapiteln
1. Der Auftakt
Am 19.2.1822 fand im Gürzenicher Ballsaal ein fulminanter Maskenball „zum Besten der Armen“ statt. Das Fest wurde von mehr als 3.000 Personen besucht und war ein solcher Erfolg, dass sich zahlreiche Gastwirte über ihren Geschäftsausfall beschwerten und es nicht wiederholt wurde. Stattdessen wurde ein Jahr später der erste Rosenmontagszug veranstaltet. Der öffentliche Maskenzug hatte kirchliche Elemente, reichsstädtische Symbole und aktuelle politische Anspielungen zum Inhalt. Die Thronbesteigung des Kölnisch-Wasserfabrikanten Emanuel Ciolina Zanoli (1796-1832) als „König Karneval“ stellte nicht nur den Höhepunkt des Festtags, sondern auch einen allgemeinverständlichen Angriff auf die bestehende Herrschaftsordnung dar, der im Anschluss der Feierlichkeiten verboten wurde. Nur ein Jahr später war aus dem „König“ der „Held Karneval“ und aus circa 10.000 Zuschauern eine Massenansammlung von 50.000 Karnevalstouristen geworden. [1]
Der rasante Aufstieg Kölns zum Vergnügungszentrum der jungen preußischen Rheinprovinz ging auf einfallsreiche Werbemaßnahmen der „Allgemeinen Cölnischen Karnevalsgesellschaft“ (KG), eine aufwendige Festgestaltung und eine beginnende Kommerzialisierung des Brauchs zurück. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts machten mehr und mehr Krämer, Kaufleute und Handelsfrauen ein Geschäft aus der Fastnachtszeit, indem sie Karnevalsbriefpapier, Narrentabak und andere Erinnerungsstücke auf den Markt brachten. Dabei stellte die Narrenkappe den größten Kassenschlager dar. Sie diente einerseits als obligatorisches Erkennungszeichen, das heißt als Eintrittskarte für die Festveranstaltungen, und wurde andererseits zum sichtbaren „Symbol für die Gleichheit und Eintracht aller Narren“[2] erhoben. Mit dieser Bedeutung erinnerte das Tragen gleicher Kappen an die Ideale der Französischen Revolution, die während der Französischen Zeit im Rheinland verbreitet worden waren. Obwohl die Idee einer gleichen Staatsbürgergesellschaft keineswegs der sozialen Realität entsprach, wurde sie nach dem Übergang von Frankreich zu Preußen als Folge des Wiener Kongresses 1815 aufrechterhalten. Dabei wurde das französische Gerichtswesen als Garant des egalitären Gesellschaftsideals betrachtet und als sogenanntes „Rheinisches Recht“ verteidigt. Auf der Basis des napoleonischen Code Civil sicherte es die Gleichheit vor dem Gesetz, die Unabhängigkeit der Richter und die bürgerlich-liberalen Eigentumsrechte. In Verbindung mit dem Prinzip der Öffentlichkeit und der Beteiligung von Geschworenen stand es dem in Preußen seit 1794 gültigen Allgemeinen Landrecht, den traditionellen Vorrechten des Adels und den weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten des preußischen Staates entgegen. Spätestens seit den Karlsbader Beschlüssen 1819 avancierte das Rechtswesen daher zu einer Art Ersatzverfassung – der Karneval zu einem Ersatzforum politischer Kommunikation innerhalb ausgesprochen restriktiver politischer Strukturen.[3] So beschwerte sich der Kölner Zensor Georg Karl Philipp von Struensee (1774-1833) 1829 über die Kölner Karnevalszeitung. Das Witzblatt enthielt zahlreiche ernstgemeinte Anspielungen – zuletzt die Forderung nach einer Verfassung – und war nach objektiven Gesichtspunkten nicht zu zensieren.[4] Als Polizeipräsident, dessen unbeliebte Stellung zum beliebten Karnevalsrepertoire gehörte, erwirkte er das Verbot der Zeitung und eine unerwartete Protestaktion der Redakteure. Karnevalspräsident Johann Heinrich von Wittgenstein (1797-1869) und das Karnevalskomitee sagten den Rosenmontagszug ab, verteilten Totenzettel auf den Karneval und legten Hanswurst, eine prominente Fantasiefigur, in Ketten.[5] Neben solchen aufsehenerregenden Aktionen ließen sich politische Implikationen in Büttenreden, Liedern und Gedichten aufspüren. Sie wurden auf den Straßen gesungen, in der überregionalen Presse diskutiert und weckten das Interesse des preußischen Staatsoberhaupts.[6]
2. Die (Neu-)Erfindung
Am 22.11.1827 erkundigte sich König Friedrich Wilhelm III. (Regentschaft 1797-1840) persönlich darüber, „welche Behörde in neuerer Zeit die Erlaubniß zu diesen in Deutschland nicht üblichen Volksbelustigungen gegeben habe?“[7] Die Verwaltungsbehörden an den Regierungspräsidien in Aachen, Düsseldorf, Koblenz, Köln und Trier bemühten sich daraufhin, die Karnevalsbelustigungen aus moralischer Sicht als völlig unbedenklich auszuweisen. Oberpräsident Karl Freiherr von Ingersleben hatte sich davon persönlich überzeugt und die erste Einladung zum Kölner Maskenfest 1824 sowie die Ehrenmitgliedschaft im Karnevalsverein seines Dienstsitzes in Koblenz 1828 bereitwillig angenommen. Auch sein Stellvertreter dementierte die sozialen Spannungen, die in der Karnevalszeit aufkamen und ein offenes Geheimnis waren.[8] Aufmerksame Zeitungsleser erfuhren, dass die Regierungen in Köln als „schlafendes Verwaltungskollegium“[9] dargestellt wurden und auf einem Maskenball in Koblenz „ein Prophet maskiert den preußischen Beamten gereimte und sehr beißende Prophezeiungen aus[theilte].“[10] Diesen Anekdoten der auswärtigen Presse konnte entgegen gehalten werden, dass satirische Verballhornungen auch andere Autoritäten, zum Beispiel die Kirche, den Provinziallandtag und den Stadtrat sowie die Karnevalisten mitunter selbst, betrafen und „Angriffe gegen harmlose Menschen, gegen ehrsame Familien, gegen im öffentlichen Amte stehende des allgemeinen Zutrauens würdige Personen“[11] von den Verantwortlichen stets verurteilt wurden.[12] Darüber hinaus waren die Initiatoren der frühen Karnevalsumzüge von der praktischen Hilfe des örtlichen Militärs abhängig, indem sie auf Pferde- und Fuhrwerke zurückgriffen und sich aus dem Fundus der französischen Militärausrüstungen bedienten. Ihr öffentliches Auftreten konnte daher sowohl als positive Reminiszenz an vergangene Zeiten oder aber als antifranzösische Satire interpretiert werden. [13]
Die jährlich wechselnde Narrenkappe brachte die Mehrdimensionalität der karnevalistischen Symbolsprache beispielsweise dadurch zum Ausdruck, dass sie entweder die Form einer Jakobinermütze oder das Aussehen einer preußischen Pickelhaube annahm.[14] Die Roten Funken in Köln erinnerten an die reichsstädtischen Stadtsoldaten, das heißt an die einstige Autonomie der Stadt, und gaben gleichzeitig „das Bild einer undisziplinierten nicht mutigen und nie nüchternen Truppe ab“[15], das mit dem preußischen Militär kontrastierte. Der Interpretationsspielraum solcher Beobachtungen war groß und lag im Auge des Betrachters, wenngleich die „Carnevals-Comité-Gesellschaft“ laut Struensee „etwa noch nöthige Interpretationen […] im Publikum übern[ommen]“[16] habe. In dieser Deutungsoffenheit lag die Chance zur politischen Meinungsäußerung begründet, die im Vormärz vielfältig ergriffen wurde. Dabei wurden die Vertreter des preußischen Staates vor Ort – ebenso wie stets ihre französischen Vorgänger – im negativen ebenso wie im positiven Sinne in den traditionellen Brauch integriert und trugen mit umfangreichen Verwaltungsrecherchen zu dessen Erhalt bei. [17]
Notwendig war diese außergewöhnliche Hilfe dadurch, dass eine Kabinettsorder vom 20.3.1828 bestimmte, dass „Fastnachtsmaskeraden nur in den größeren Städten, und auch in diesen, nur dann erlaubt sein [sollten], wenn sie daselbst von altersher herkömmlich stattgefunden“[18] hatten. Je mehr sich das preußische Innenministerium für die Feste am Rhein interessierte, desto tiefer musste man in den Akten graben. Wo Beweisstücke in Form von Zeitungsberichten und Gesetzestexten fehlten, wurden die Erinnerungen hochbetagter Einwohner oder – recht pragmatisch – die Armenrechnungen der vergangenen Jahrzehnte angeführt. Da Abgaben auf öffentliche Lustbarkeiten in allen Städten – wie im Übrigen auch in Teilen der östlichen Provinzen Preußens – gängig und insbesondere in der Karnevalszeit der Düsseldorfer Regierung zufolge „nicht unbedeutend“[19] waren, eigneten sie sich als Beweisstück.[20] In Aachen und in Köln betrugen diese „Abgaben von Concerten, Feuerwerken, Kunstausstellungen, Marionetten, Seiltänzen, Wachsfiguren-Cabinetten und Panoramas […] von den gewöhnlichen Bällen – zehn Prozent der Brutto-Einnahmen, von den Masquen-Bällen fünf und zwanzig Prozent der Bruttoeinnahmen.“[21] Da die führenden Mitglieder der Kölner KG diesem Gremium (und dem Stadtrat) angehörten, war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Vergnügungssteuern und ein Teil der Festeinnahmen der notdürftigen Bevölkerung zugutekam.[22] Mit diesen und anderen Argumenten wurden die Stadträte Franz Jacob von Herwegh (1773–1848), Joseph Classen (1761–1844), Johann Philipp Biermann (1767–1850), Jacob Hermann Molinari (1768–1831), Jacob Johann Lyversberg (1761–1834) und Friedrich Simons (1764–1834) am 15.4.1830 bei der Regierung vorstellig. Vor allem die Bildung eines „festordnenden Comités“[23], das aus Angehörigen der Oberschicht gebildet wurde und sich für den Ablauf der Feierlichkeiten verantwortlich zeigte, konnte dem in Berlin vorherrschenden Eindruck eines unsittlichen Brauches entgegenwirken. Die daraufhin ausgearbeitete Festordnung kann daher als (Neu-)Erfindung einer Tradition bewertet werden, die seit Jahrhunderten bestand, und den preußischen Herrschaftsverhältnissen angepasst wurde. Gleichsam war diese gewünschte Ordnung nach Außen mit einer Strukturierung im Innern verbunden, die die Herrschaftsverhältnisse im geschlossenen Vereinsleben durch parlamentarische und pseudo-militärische Praktiken einerseits imitierte, konterkarierte und zum Teil demokratisierte.[24] Andererseits widersprachen begrenzte Zugangsmöglichkeiten und die Vergabe von Ämtern, Titeln und Ehrenzeichen dem dahinterstehenden Gleichheitsgedanken, sodass die „politische Partizipation im Karneval“ spätestens in den 1840er Jahren „zu einem Synonym für die politische Partizipation im Staat“[25] wurde.[26]
Doch vorerst blieb das Recht auf öffentliche Maskenumzüge der Domstadt vorbehalten, was die anderen rheinischen Städte allerdings nicht darin hinderte, Karnevalsvereine zu gründen, die das Kölner Regelwerk adaptierten und die Bevölkerung integrierten. So wurde aus der Anfahrt der Gäste zum städtischen Maskenball im Theater von Koblenz 1830 ein öffentliches Großereignis, das einem Umzug nahekam und aus der Narrenkappe 1834 eine blau-weiß-rote Jakobinermütze, die zum endgültigen Maskenverbot am Verwaltungssitz der Rheinprovinz führte. Doch dafür scheint es zu spät gewesen zu sein. Staatsminister Gustav von Brenn (1772-1838) hatte bereits „das unverbürgte Gerücht“ aus Köln gehört, dass infolge des Verbots „eine Anzahl Coblenzer Einwohner im Naussauischen Esel gemiethet, und auf diesen mit Trauerflor behangen, nach Coblenz haben einziehen wollen.“ Auch wusste er, dass „mehrere angesehene Einwohner in Coblenz und selbst Regierungsbeamte zum Carnevals Comité gehör[t]en, letztere aber ihre Erklärung dafür gehalten [hätten], daß für den Fall eine Liste sämmtlicher Mitglieder eingereicht werden sollte, man ihre Namen weglassen möchte, was ihnen auch zugestanden worden sey.“ [27]
Diese Behauptung kam nicht von ungefähr, denn kurze Zeit später wurden elf angesehene Herren vor das Koblenzer Friedensgericht geladen. Ihre Anzahl hatte Symbolcharakter, denn sie sollten dort „auf Ehre und Gewissen“ Aussagen über die historische Herkunft des städtischen Karnevals treffen und das fragliche Gewohnheitsrecht nachweisen. Initiiert wurde das Ganze von der sechsköpfigen Karnevalsdirektion, die seit 1824 die Fastnachtsfeierlichkeiten nach dem Vorbild Kölns organisierte. Ihr gehörten zwei Kaufmänner und jeweils ein Gastwirt, ein Goldarbeiter, ein Advokatanwalt und ein Stadtrat – Sattler Conrad Hasslacher (1801–1874), der Bruder des angehenden Aachener Landrats Franz Karl Hasslacher (1805-1881) – an. Die Zeugen repräsentierten die städtische Oberschicht und die lokale Beamtenschaft. Es handelte sich um den ehemaligen Maire und preußischen Steuerdirektor Johann Dominic Gayer (1771–1861), den Domäneninspektor Goswin Linz (1774–1841), den Landwehrhauptmann Trappet, den kurtrierischen Hofrat und einstigen Steuereinnehmer Marx Aloys Pottgeißer (1762–1839), den ehemaligen Hofingenieur und Bürgermeister von Ehrenbreitstein Jakob von Kirn (1767–1850) und den Handelsgerichtspräsidenten, Landtagsabgeordneten und Beigeordneten Jakob Reiff (1771–1848). Bäcker Valentin Nebel und die Kaufleute Menn, Collig und Müller kamen hinzu. Fünf von ihnen hatten zeit ihres Lebens ein Stadtratsmandat ausgeübt. Der Stadtrat selbst hatte bereits ein schriftliches Gutachten an das Oberpräsidium übermittelt und sich für den Erhalt des Karnevals eingesetzt. Vor Gericht gab Maler Conrad Hackenbruch (1773–1837) an, die Maskenzüge des letzten Trierer Kurfürsten „selbst mitgemacht, beigewohnt und sehr dazu mitgewirkt“ zu haben. Einhellig riefen sich die übrigen Anwesenden diese Maskeraden ins Gedächtnis und erklärten, dass sie die lange Tradition der Karnevalsbelustigungen ihrer Heimatstadt „jederzeit eidlich zu bestätigen bereit seien.“ [28]
Tatsächlich hatte Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Sachsen (1739–1812) zuletzt 1787 verordnet, dass „ein öffentlicher Masquenball un¬ter obrigkeitlicher Auffsicht gehalten“ werden durfte, „um die Belustigungen und öffentlichen Zusammenkünfte während der Carnevals-Zeit (von 3 Königen Tag bis Aschermittwoch) in den Schranken der Ehrbarkeit zu erhalten, auch viele Aergernisse und Ruhestörungen der Mitbürger zu beseitigen.“[29] Dies konnte abschließend auch Friedensrichter Anselm Joseph Burret (1770–1840) als Angehöriger einer kurtrierischen Beamtenfamilie „aus eigenem Wissen“ bestätigen und um die Beobachtung ergänzen, dass „dergleichen Volksbelustigungen während der churtrierischen Regierung gern gesehen; und während der französischen Regierung von den Behörden durch geäußerte Wünsche aus Politik dazu aufgefordert wurde, um das Volk durch sein Leben in den früheren Freuden mit der Neuheit der Regierung auszusöhnen.“ Sein Abschlussplädoyer glich einer Handlungsempfehlung, die schließlich befolgt wurde. [30]
3. Das Nachspiel
Die königliche Erlaubnis für öffentlichen Maskeraden in Koblenz erfolgte am 19. Januar 1835 und wurde in den darauffolgenden Jahren auf Düsseldorf, Aachen, Trier, Bonn und die übrigen Städte und Dörfer der Rheinprovinz ausgedehnt. Die Verteidigung des rheinischen Karnevals war folglich mit dem Fortbestand des französischen Justizsystems und dem sogenannten „Kampf um das Rheinische Recht“ verbunden. [31]
Fortan waren subtile Formen politischer Meinungsäußerung zumindest einmal im Jahr möglich und die „Politisierung und Polarisierung“[32] des rheinischen Karnevals nicht mehr zu leugnen. In Köln befand man sich bereits 1837 in dem Dilemma, berechtigte Forderungen, den Karneval abzusagen, aus symbolpolitischen Gründen abzuweisen.[33] Nach der Inhaftierung des Kölner Erzbischofs Clemens August von Droste zu Vischering (1773–1845) am 20.11.1837 befürchtete man nicht nur konfessionelle Spannungen und öffentliche Ausschreitungen, sondern auch die aufsehenerregende Wirkung solcher Karnevalsverbote. Die Kölner Regierung achtete daher penibel auf die reibungslose Durchführung der Feierlichkeiten, wohingegen der Aachener Stadtrat die Theaterräume für den alljährlichen Maskenball unter Verschluss hielt. Obwohl die offizielle Karnevalserlaubnis des Königs noch ausstand, hatte der dortige Regierungspräsident Jacob Christoph von Cuny (1779–1848) der Floresei-Karnevalsgesellschaft bereits seine persönliche Zustimmung erteilt. In der Konsequenz musste sich der Rat – dem nach eigenen Aussagen vier Protestanten und einige Mitglieder der Karnevalsgesellschaft angehörten – offenen Anfeindungen und dem wiederholten Vorwurf des mangelnden Wohltätigkeitssinns stellen. Auch soll „von mehrern Seiten die Unterstellung ins Publikum verbreitet [worden sein], als habe die Verweigerungshaltung […] mehr ihren Grund in den jetzt obwaltenden Erzbischöflichen Verhältnissen als in der Sorge für die Erhaltung des Locals.“[34] Dagegen erhoben 22 Räte in einer schriftlichen Eingabe bei der Regierung Einspruch und erhielten die nüchterne Antwort, dass „das Collegium des Stadtraths als Organ und Repräsentant der Stadt eine zu hohe und würdige Stellung einnimmt, als daß dasselbe durch Anspielungen und Witzeleien in seiner Ehre und in seinem Ansehen verletzt werden könne.“ [35]
Am Ende der 1830er Jahre kündigte sich das an, was den Karneval im Vorfeld der Revolution 1848/49 prägte: ein undurchsichtiges Wechselverhältnis zwischen karnevalistischen und politischen Ausdrucks- und Repräsentationsformen, das zentrale Parteibildungsprozesse und politische Forderungen – allen voran jene nach der verfassungsrechtlichen Verankerung bürgerlicher Gleichheitsideale – vorwegnahm. Oder wie der Bonner Professor Gottfried Kinkel (1815–1882) in einer seiner Büttenreden formulierte: „Rufts mit lautem Schall! Bürger sind wir all!“ [36]
Quellen
Ungedruckt:
Landeshauptarchiv Koblenz (LHAKo) Best. 403, 2616 Carnevalsbelustigungen in den Rheinprovinzen.
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland (LAV NRW R) BR 0001 Nr. 652: Die Floresei-Carnevalsgesellschaft und die Aachener Narrenzunft, 1837-1913.
Stadtarchiv Aachen (StAAc), Best. PRZ 1-2 Ratsprotokolle (1822–1830).
Stadtarchiv Koblenz (StAK), Best. 623, 2187 Stadtratsprotokolle 1823-1830.
Zeitungen:
Augsburger Allgemeine Zeitung Nr. 101 (11.4.1818). URL: https://digipress.digitale-sammlungen.de/calendar/newspaper/bsbmult00000002 (Aufruf am 25.1.22). [Online]
Zeitung für die elegante Welt Nr. 91 (9.5.1818). URL: https://digipress.digitale-sammlungen.de/calendar/1818/newspaper/bsbmult0000048/ (Aufruf am 25.1.22). [Online]
Stadt-Aachener Zeitung Nr. 45 (21.2.1838)). URL: https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/titleinfo/6344742 (Aufruf am 25.1.22). [Online]
Gedruckte Quellen
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Literatur
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Brommer, Peter/Krümmel, Achim, Höfisches Leben am Mittelrhein unter Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Trier (1739–1812). Zum 200. Todestag des letzten Trierer Kurfürsten, Koblenz 2012.
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Faber, Karl-Georg, Recht und Verfassung. Die politische Funktion des rheinischen Rechts im 19. Jahrhundert, Köln 1970.
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Frohn, Christina, Der organisierte Narr. Karneval in Aachen, Düsseldorf und Köln 1823 bis 1914, Marburg 2000.
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Herres, Jürgen/Holtz, Bärbel, Rheinland und Westfalen als preußische Provinzen (1814–1888), in: Mölich, Georg/Veltzke, Veit/Walter, Bernd (Hg.), Rheinland, Westfalen und Preußen. Eine Beziehungsgeschichte, Münster 2011, S. 113–208.
Keinemann, Friedrich, Das Kölner Ereignis, sein Widerhall in der Rheinprovinz und in Westfalen, Teil 1: Darstellung, Münster 1974.
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Müller, Michael, Karneval als Politikum. Zum Verhältnis zwischen Preußen und dem Rheinland im 19. Jahrhundert, in: Düwell, Kurt/Köllmann, Wolfgang (Hg.), Rheinland und Westfalen im Industriezeitalter. Beiträge zur Landesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Band 1, Wuppertal 1983, S. 207–223.
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Wedel, Hasso von, Heinrich von Wittgenstein (1797–1869) – Unternehmer und Politiker in Köln, Köln 1981.
- 1: Vgl. Herres, Köln, S. 85–86; Frohn, Narr, S. 134–139; Brog, Geschichte, S. 74; Leifeld, Rechnungswesen.
- 2: Frohn, Karneval, S. 80.
- 3: Grundlegend: Faber, Recht; Owzar, Liberty; Brophy, Rhineland, S. 210–215; Müller, Karneval.
- 4: Frohn, Narr, S. 210, vgl. Brog, Geschichte, S. 95–101.
- 5: Vgl. Brog, Geschichte, S. 95–101; Herres, Köln, S. 122 und den entsprechenden Polizeibericht vom 21.11.1829, LHAK Best. 403, 2616.
- 6: Brophy, Rhineland, S. 171–215.
- 7: LHAKo Best. 403, 2616 Bl. 27, Schreiben vom 22.11.1827.
- 8: Die folgenden innerbehördlichen Diskussionen sind in LHAKo Best. 403, 2616 überliefert.
- 9: Zeitung für die elegante Welt Nr. 91 vom 9.5.1818.
- 10: Augsburger Allgemeine Zeitung Nr. 101 vom11.4.1818.
- 11: StAK Best. 623, 2187, Sitzungsprotokoll des Stadtrats Nr. 305 vom 4.2.1827.
- 12: Vgl. Frohn, Narr, S. 210, 299–304.
- 13: Vgl. Euler-Schmidt, Alaaf.
- 14: Vgl. Brophy, Rhineland, S. 80–86, vgl. Bank/Brog/Leifeld, Freiheit. Am 16.4.1834 beschwerte sich das Innenministerium über das Tragen einer rot-weiß-blauen Narren-kappe in Koblenz, LHAKo Best. 403, 2616.
- 15: Brog, Geschichte, S. 239, die in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der „Körpersprache“ verweist.
- 16: LHAKo Best. 403, 2616, Polizeibericht vom 21.11.1829.
- 17: Brophy, Rhineland, S. 178.
- 18: LHAKo Best. 403, 2616, Kabinettsorder vom 20.3.1828. Nach Frohn, Narr, S. 208 wurde sie in Trier bewusst nicht veröffentlicht.
- 19: Schreiben der Düsseldorfer Regierung vom 12.7.1827 an Ingersleben, LHAKo Best. 403, 2616.
- 20: Brog, Geschichte, S. 65; vgl. Frohn, Narr, S. 198–201, wonach die Einnahmen aus der Vergnügungssteuer in Düsseldorf in den 1840er Jahren 1.200 Taler betrugen.
- 21: StAAc PRZ 1-2, Sitzungsprotokoll des Stadtrats vom 16.6.1823.
- 22: Brog, Geschichte, S. 63–70.
- 23: Frohn, Narr, S. 44–46; Wedel, Wittgenstein, S. 30–35.
- 24: Herres, Köln , S. 84–93, vgl. das gedruckte Festprogramm von 1832, LHAKo Best. 403, 2616 Bl. 199–206 sowie das Regulativ des Kölner Karnevals Bl. 289-290. Der König entschied am 30.6.1830 zu ihren Gunsten, Frohn, Narr, S. 207–210; Brophy, Rhineland, S. 174–177, 184–188.
- 25: Brog, Geschichte, S. 118.
- 26: Vgl. Brog, Geschichte, S. 111–138; Frohn, Narr, S. 218–249; Brophy, Politicization S. 85–90.
- 27: LHAKo 403, 2616, Schreiben von Brenn an Oberpräsident von Pestel vom 21.2.1834.
- 28: LHAKo Best. 403, 2616, Protokoll der Verhandlung vom 1.12.1834, vgl. Buslau, Fasenacht; Brommer/Krümmel, Leben.
- 29: Gesetz vom 30.12.1782, Scotti, Trier, Teil 3, Nr. 770; vgl. Buslau, Fasenacht, S. 19–21; Denzer, Kulturleben, S. 489-490.
- 30: LHAKo Best. 403, 2616, Protokoll der Verhandlung vom 1.12.1834. 1790 und 1792 folgte ein Maskenverbot, das die Franzosen 1801 wieder aufho¬ben. Zur Vergnügungskultur in Koblenz unter Clemens Wenzeslaus von Sachsen vgl. Brommer/Krümmel, Leben.
- 31: Zu den weiteren Geschehnissen vgl. LHAKo Best. 403, 2616 und Frohn, Narr, S. 207–218.
- 32: Herres, Köln, S. 205; Herres/Holtz, Provinzen, S. 141; Frohn, Narr, S. 218–248; Brophy, Protestformen.
- 33: Brog, Geschichte, S. 71–73, 118–121; Frohn, Narr, S. 215; Wedel, Wittgen¬stein, S. 33-34; Keinemann, Ereignis, S. 108-109.
- 34: LAV NRW R BR 0001 Nr. 652, Eingabe vom 17.3.1838.
- 35: LAV NRW R BR 0001 Nr. 652, Antwortschreiben vom 24.3.1838, vgl. Stadt-Aachener Zeitung Nr. 45 vom 21.2.1838.
- 36: Zitiert nach Brog, Geschichte, S. 114.
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Thielen, Katharina, Die Verteidigung des rheinischen Karnevals und die politische Festkultur im Vormärz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-verteidigung-des-rheinischen-karnevals-und-die-politische-festkultur-im-vormaerz/DE-2086/lido/62fcd36c3ee508.45432920 (abgerufen am 09.12.2024)