Die WDR-Hörfunk-Landesredaktion
Zu den Kapiteln
Schlagworte
1. Einleitung
Die WDR-Landesredaktion gehörte zwischen den 1960er und den 1990er Jahren zu den ersten Akteuren, die die Zeitgeschichte des Landes Nordrhein-Westfalen systematisch thematisierten. Sie entstand aus einem vom Sender wahrgenommenen Bedürfnis, regionale Themen mittlerer zeitlicher Reichweite jenseits tagesaktueller Nachrichten zu behandeln. Die Redaktion hatte dabei zwei Schwerpunkte: einen politisch-gesellschaftlichen Zugriff und historische Betrachtungen. Als Impulsgeberin einer Landeszeitgeschichte produzierte die Redaktion neues Wissen und verbreitete es. Ihr Angebot fand insbesondere in der Politik Interesse und Würdigung, weil es auf dem Feld eines „Landesbewusstseins“ wirkte. Dass es in dem 1946/1947 gegründeten Bundesland Nordrhein-Westfalen daran fehle, war bis weit in die 1980er Jahre ein Thema der Politik, wobei es unter mehreren Ministerpräsidenten Anläufe gegeben hatte, ein Landesbewusstsein zu fördern.
Die WDR-Landesredaktion war eine im Vergleich mit anderen Landesrundfunkanstalten neuartige Einrichtung. Auch stieß sie auf ein Desiderat der akademischen Landesgeschichtsforschung und nahm sich dessen an. Die massenmediale Reichweite des Radios machte das Wissen um die Region einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Außerdem forcierte die Redaktion durch eigene Forschungsaktivitäten den Aufschwung der Rundfunkgeschichte.
2. Der politische Kontext
Oft wird als Verdienst der Redaktion genannt, einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet zu haben, in der Bevölkerung ein „Landesbewusstsein“ zu schaffen und zu fördern und somit als Integrationsfaktor für das Bindestrich-Land NRW gewirkt zu haben. Als im Januar 1986 der erste Leiter der Landesredaktion, Walter Först, in den Ruhestand verabschiedet wurde, formulierte Rudolf Morsey, dieser habe „den Bindestrich kürzer gemacht“. Das verweist auf die Ausgangslage, aus der heraus sich der Sender zur Einrichtung der Redaktion entschloss.
Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurden neue Bundesländer gegründet, die in einigen Fällen als „Bindestrich“-Länder entstanden. So kamen Bedürfnisse nach Medien auf, die den regionalen beziehungsweise landesweiten Bereich abdecken sollten. 1949 wurden öffentlich-rechtliche Sendeanstalten geschaffen und nach und nach in Landesstudios ausdifferenziert, die auch auf lokale und regionale Bezüge eingehen sollten. Erstere entsprachen jedoch zeitweise nicht dem Zuschnitt der Bundesländer, sondern waren wie der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) und der Südwestfunk (SWF) grenzübergreifend angelegt. Die nordrhein-westfälische Regierung sah das eigene Land im Programm des NWDR nicht hinreichend berücksichtigt und bemühte sich um einen eigenen Rundfunksender, der die Integration des neuen Bundeslandes befördern sollte.
Das 1946/1947 gegründete Bundesland setzte sich aus drei Teil-Ländern zusammen: Rheinland – der Nordteil der ehemaligen preußischen Rheinprovinz –, Westfalen und Lippe. Rheinland und Westfalen waren zwar seit 1815 preußische Provinzen gewesen, hatten aber mit Ausnahme des Ruhrgebiets kaum tiefergehende Verbindungen untereinander ausgebildet. Bestrebungen, das nach politischen Kriterien geschaffene „Bindestrich-Bundesland“ mit mehr „Landesbewusstsein“ zu füllen, begannen bereits unter dem ersten Ministerpräsidenten Karl Arnold (1947-1956). Ein Ergebnis war, den WDR aus dem NWDR herauszulösen und 1954/1955 als neue Landesrundfunkanstalt zu errichten. Während der Regierungszeit von Franz Meyers (1958-1966) war die Förderung eines nordrhein-westfälischen Landesbewusstseins ein erklärtes Regierungsziel, das auch in den folgenden Kabinetten von Heinz Kühn (1912-1992) und Johannes Rau aktuell blieb.
In der Forschung besteht Einigkeit darüber, dass das Radio in den 1950er und 1960er Jahren ein zentraler und machtvoller Faktor im Transfer politischer und kultureller Normen und Werte war. Es blieb auch in den 1970er Jahren bis zum Ausbau eines ganztägigen Fernsehprogramms das Leitmedium. Die Einführung und der Ausbau der UKW-Frequenzen in den 1950er und 1960er Jahren machte das Radio zu einem regionalen Medium, technisch wie inhaltlich. Dass der WDR 1961 eine Hörfunk-Landesredaktion einrichtete, unterstreicht, dass mehr Landesbewusstsein von politischer Seite erwünscht, vom Rundfunk ein Interesse und Bedürfnis nach Sendungen mit landesbezogenen Themen wahrgenommen und diese von der Hörerschaft angenommen wurden.
Entsprechend bewegte sich die Arbeit der Rundfunkjournalisten im Spannungsfeld zwischen den verschiedenen Teilregionen, die einander nähergebracht werden sollten, um eine Zusammengehörigkeit zu entwickeln. Da lange Zeit Unsicherheit über eine weitere Länderreform bestand, geriet die Frage eines Landesbewusstseins auch zum politischen Faktor. Das Feld der Landesredaktion bestimmten nicht zuletzt Rivalitäten zwischen Rheinland und Westfalen. Das daraus resultierende Misstrauen führte zu einem Verfechten von Proporz. Auch gab es in Westfalen Bestrebungen nach Eigenständigkeit. Regionale Entwicklungen als Beispiele für allgemeine Trends, aber auch eine Positionssuche zwischen Über- und Unterbetonung von Regionalem spielten für die Redaktion eine Rolle. So lässt sich anfangs eine gewisse Furcht des Senders feststellen, mit einem zu starken Fokus auf den Nahraum sich in „Provinzialität“ zu verlieren. Die Redaktion nahm die Neugründung des Landes ernst: Sie entwickelte kein Narrativ eines unabwendbaren Ergebnisses einer jahrhundertelangen, zielgerichteten Entwicklung, sondern griff die vorhandene Vielfalt auf. Först sah die Integration der Landesteile – auch angesichts einer „karge[n] Art der Selbstinterpretation“[1] des Landes bis in die 1960er Jahre – als seine Aufgabe an.
3. Die Einrichtung der Redaktion im WDR
Die Etablierung einer Hörfunk-Landesredaktion entsprang letztlich auch als logische Konsequenz der dem WDR per Gesetz zugewiesenen Aufgabe zur „Selbstdarstellung des Landes“. Hörfunkdirektor Fritz Brühl (1909-1982) betrieb 1960 die Gründung der Redaktion. Er war stark an einem Landesbezug beziehungsweise regionalen Akzenten des Programms interessiert. Städte, Kreise, Landschaften „unter immer wieder neuen Blickpunkten […] vorzustellen“[2], sah er als Aufgabe des Hörfunks an. Gedacht war zu Beginn an eine vertiefende Berichterstattung für tagesaktuelle, landespolitische Regionalsendungen wie „Zwischen Rhein und Weser“ (seit 1950) sowie dem eher weltpolitisch orientierten „Echo des Tages“ (seit 1946). Doch Walter Först, der die neu geschaffene Landesredaktion übernahm, entwickelte bald eigene Vorstellungen, wie er die Programmplätze, die ihm eingeräumt wurden, gestalten wollte. Die erste Sendung der Redaktion ging am 11.3.1961 als samstägliches Halbstundenfeature über den Äther. Die Einführung der UKW-Technik (zweites Programm) hatte Möglichkeiten geschaffen, regionale Stoffe stärker aufzunehmen. Statt nur einer Mittelwellen-Frequenz standen nun mehr Kapazitäten zur Verfügung, um Programme nebeneinander anzubieten.
Organisatorisch gehörte die in Köln ansässige Hörfunk-Landesredaktion zur Hauptabteilung Politik. Durch den selbstbewusst auftretenden und produktiven Först strahlte die Redaktion bald aus, profitierte von Vernetzungen im Sender sowie darüber hinaus im politischen und geschichtswissenschaftlichen Umfeld. Sie machte sich in der Politik, der Administration und den Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe sowie in Kreisen und Städten bemerkbar. Kontinuierlich erweiterte Först in den ersten Jahren seine Sendeplätze, die ab 1974 unter dem Dach „Forum West“ zusammengeführt wurden.
Spannungsfelder innerhalb des Senders ergaben sich in Überschneidungen zum Magazin „Zwischen Rhein und Weser“ sowie mit den regionalen Studios, die bisweilen monierten, dass sie von der in Köln zentralisierten Redaktion mit ihren Anregungen nicht ausreichend berücksichtigt würden. Aus der Redaktion des „Kritischen Tagebuchs“ wurde die Landesredaktion mit ihren Beiträgen zur nordrhein-westfälischen Kulturlandschaft bisweilen als Konkurrenz wahrgenommen.
Die Redaktion begleitete die Phase der Konsolidierung des Landes in der Bevölkerung. Mit dessen zunehmender Etablierung und ‚Normalität‘ verlor sie an Dringlichkeit, als Integrationsfaktor zu wirken. Auch hatten sich unter Försts Ägide die Formate in knapp drei Jahrzehnten kaum verändert, während auf den anderen Kanälen die Programme immer stärker Magazincharakter annahmen und in der Aufmachung schneller und ‚populärer‘ wurden, zum Beispiel durch Partizipationsangebote wie „Hallo Ü-Wagen“ und mehr Musikeinspielungen. Verschiedene Umstrukturierungen im Sender, so im Zuge der Ausdifferenzierungen der Kanäle und Senderfarben, veränderten Stellung und Gewicht der Landesredaktion. Bereits seit Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre betrieben Intendanz und Hörfunkdirektion eine Verlagerung der Landesredaktion nach Düsseldorf, konnten das aber während Försts Dienstzeit nicht durchsetzen. Dem Redaktionsleiter war die Unabhängigkeit und eine gewisse Distanz zu den Regierenden in Düsseldorf wichtig. Spätestens mit seiner Pensionierung Ende 1985 und den Reformen unter Intendant Friedrich Nowottny (geboren 1929) geriet die Landesredaktion in die Defensive. Umstrukturierungen ließen die Redaktion schließlich als eigenständige Unterabteilung aus dem Organigramm des WDR verschwinden. Mit dem altersbedingten Ausscheiden von Mitarbeitern schrumpfte sie. Weitere Veränderungen ergaben sich über den Umzug des letzten verbliebenen Mitarbeiters nach Düsseldorf und die Umstellung auf das tagesaktuelle Landesmagazin „Westblick“. Landesgeschichte verlor im Radio offenbar an Bedeutung als gewichtiger Teil der Landespolitik und gesellschaftlicher Verortung.
4. Das Team
Die Redaktion entwickelte sich personell: Startete die Neugründung mit einem hauptberuflichen Redakteur, dem zunächst nur freie Mitarbeiter und eine Sekretärin zur Seite standen, so kamen sukzessive weitere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hinzu. Die Arbeit der Redaktion steht häufig im Schatten der wirkmächtigen und dominanten Persönlichkeit ihres Leiters Walter Först, der diese mit seinen inhaltlichen Interessen, programmatischen Innovationen, Vermittlungskompetenzen, seiner Durchsetzungsfähigkeit und seinem Vernetzungsgeschick nachhaltig prägte. Als Leiter folgten ihm 1986 Wolf Bierbach und 2003 Hartwig Suhrbier.
Först, der die Redaktion aufbaute, ist ein „patriarchalischer“, bisweilen auch „autoritärer“ Führungsstil bescheinigt worden. Bei den festen Mitarbeitern gab es jedoch wenig Fluktuation. Neben Först entwickelten eine Redakteurin und vier Redakteure eigene Profile und Interessensschwerpunkte: Heiner Lichtenstein[3], Dr.[4] Renate Eichholz[5], Dr. Wolf Bierbach[6], Peter Josef Bock[7] und Hartwig Suhrbier[8].
Der Anteil weiblicher Redakteure entsprach in etwa dem in den 1950er bis 1970er Jahren üblichen Verhältnis von 15 Prozent. Von Först abgesehen hatten alle Mitarbeiter ein Studium absolviert, aber mit verschiedenen Fächerkombinationen: Geschichte, Germanistik, Publizistik, Archäologie, Ur- und Frühgeschichte, Kunstgeschichte, Soziologie. Först hatte in seiner Berliner Zeit Ende der 1930er Jahre eine kurze Gasthörerzeit an der Universität absolviert.
Für Assistenz/Sekretariat gehörte Sieglinde Stüben zum festen Bestandteil des Teams; das Sekretariat betreute Elisabeth Gilles. Ihnen folgte Susanne Beckers als Redaktionssekretärin und -managerin.
Först betrieb eine gezielte Nachwuchspolitik. Insbesondere auf dem von ihm vorangetriebenen Feld der Rundfunkgeschichte förderte er Forschungsarbeiten wie die von Wolf Bierbach, Eva-Maria Freiburg (geboren 1944) und Leo Flamm.
Die Redaktion lebte von der Vielzahl der zuarbeitenden Autoren aus unterschiedlichen Sparten, zu denen Först ein weites Netz aufbaute: Für seine gesellschaftspolitischen und geschichtlichen Themen lud er Wissenschaftler aus den Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Archivare, Schriftsteller und Journalisten (sowohl des WDR als auch von anderen Sendern und Medien), manchmal auch Lehrer als potentielle Beiträger ein. Gerade für junge Wissenschaftler bot die Redaktion attraktive Möglichkeiten, zum einen ihre neuen Forschungsergebnisse in die Öffentlichkeit zu bringen und zum anderen damit noch Geld zu verdienen. Darüber hinaus kristallisierten sich Stammautoren heraus, die für mehrere Themenreihen verantwortlich zeichneten. Auch hier spiegelte die Zusammensetzung die Verhältnisse, dass insbesondere zwischen den 1950er und 1970er Jahren nur ein Bruchteil der Journalisten, Wissenschaftler etc. Frauen waren und entsprechend in deutlich geringerem Maße als Autorinnen vertreten waren.
In Bezug auf das samstägliche Landesfeature arbeitete Först vor allem in den ersten Jahren mit Kollegen aus anderen Abteilungen des WDR zusammen, so zum Beispiel mit Werner Höcker (1924-2003), Rolf Buttler (1926-2011), Karl Fischer (geboren 1920), Herbert Koch (1920-1987), Hans Schwab-Felisch (1918-1989), Gerhard Herm (1931-2014), Frank Schürmann (1929-2018), Paul Ludwig (1921-1999) und Heribert Bohn. Darüber hinaus schrieben wiederholt freie Journalisten oder Mitarbeiter anderer Sender und Medien als Historiker für ihn: beispielsweise Franz Herre (geboren 1926, 1962-1981 Chefredakteur der Deutschen Welle in Köln), Wolfram Köhler (1924-1999, 1967-1971 Korrespondent verschiedener Tageszeitungen und freier Mitarbeiter des WDR, später Redaktionsleiter beim WDR im Studio Düsseldorf, 1981-1987 Direktor des NDR-Landesfunkhauses Hannover), Detlev Hüwel von der Rheinischen PostDirk Bavendamm (geboren 1938) und Hans-Rudolf Hartung (1929-2012, 1956 Pressereferent des Landschaftsverbands Rheinland, ab 1972 dort Landesrat für Kultur, 1980-1985 außerdem Erster Landesrat).
Im Zuge eines Generationenwechsels in der Wissenschaft gewann Först jüngere Professoren und Wissenschaftliche Mitarbeiter als bewährte Beiträger für seine historischen Sendeplätze: beispielsweise Rudolf Morsey (geboren 1927), Wolfgang Köllmann (1925-1997), Wilhelm Treue (1909-1992), Ernst Deuerlein (1918-1971), Peter Hüttenberger (1938-1992), Klaus Pabst (geboren 1934) und Horst Matzerath (geboren 1937). Först stützte sich dabei nicht nur auf die rein historische Fachwissenschaft, sondern bezog auch Vertreter benachbarter Fächer ein wie den Historiker und Niederlandeforscher Horst Lademacher (geboren 1931), den Politikwissenschaftler Erhard H.M. Lange (geboren 1937), den Kommunikationswissenschafter Heinz-Dietrich Fischer (geboren 1937) und den Geographen Heinz-Günter Steinberg (geboren 1937). Aus außeruniversitären Forschungseinrichtungen lieferte beispielsweise Alfred Hartlieb von Wallthor (1921-2011, ab 1961 beim Provinzialinstitut für westfälische Landes- und Volksforschung in Münster tätig, 1965-1986 dessen Leiter) Beiträge. Auch Archivare wirkten an seinem Entwurf der NRW-Landesgeschichte mit: aus Stadtarchiven beispielsweise Bernhard Poll (Aachen, 1901-1981), Dietrich Höroldt (Bonn, geboren 1927), Günter von Roden (Duisburg, 1913-1999), Helmuth Croon (Bochum, 1906-1994), Hugo Stehkämper (Köln, 1929-2010), aus dem damaligen Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (heute Landesarchiv NRW Abt. Rheinland) Helmut Dahm (1913-1996). Mehrfach war die Kategorie der freien Schriftsteller durch Erwin Sylvanus (1917-1985), Otto Brües (1897-1967), Max von der Grün (1926-2005), Gerhard Nebel (1903-1974) und Josef Reding (geboren 1929) vertreten. Als Lehrer und Publizist schrieb Heinrich Hahne (1911-1996) für die Landesredaktion.
5. Formate, Sendereihen, Themen
Die Redaktion arbeitete vor allem auf zwei Schwerpunktfeldern: der Landespolitik und der Landesgeschichte. Hinzu kam vor allem als Interessenfeld von Walter Först und Wolf Bierbach die Rundfunkgeschichte, die viele Forschungsaktivitäten und Publikationen anregte. Diese gehörte aber nicht zu den Kernaufgaben der Redaktion und fand im wöchentlichen Programm des Hörfunks weniger Niederschlag.
Die Redakteure nutzten verschiedene Darstellungsformen wie Berichte, Features, Interviews, Diskussionsrunden (zum Beispiel mit Landespolitikern, Landräten, Oberbürgermeistern, Fachwissenschaftlern oder anderen Experten), Rezensionen und Kommentare. Außerordentliche Anlässe luden auch zu anderen Formen ein: beispielsweise hörspielartige Inszenierungen und Kabarett.
Mit dem Start 1961 sendete die Redaktion auf UKW, also im zweiten Programm. Kernreihe der Redaktion war der häufig als „Landesfeature“ betitelte Sendeplatz am Samstag (erst 12.00-12.30 Uhr, ab 1974 12.30-13.00 Uhr, später „Samstagabend im WDR 3“), mit dem die Arbeit der Landesredaktion im März 1961 öffentlich begann. Im Herbst 1961 kam die Reihe „Aus der Landesgeschichte“ hinzu und entwickelte sich zu einem vielbeachteten und erfolgreichen Programmkästchen. Ab 1964 besetzte die Landesredaktion mit einem „Landes-Kulturfeature“ vierzehntägig den Sonntagabend (22.00-22.30 Uhr). Die beiden Feature-Reihen waren mit einer Länge von 30 Minuten ausgestattet; die meisten anderen Programmkästchen verfügten über 10-15 Minuten Sendezeit, der tägliche Landeskommentar war kürzer.
Ab 1974 wurden die Reihen der Landesredaktion unter dem Dach „Forum West“ zusammengefasst und liefen nun auf WDR 3.
Für die (Stamm-)Hörer waren die Sendezeiten nach Interessen planbar, da Programmhefte über Themen und Reihen im Vorfeld informierten. Das erforderte innerhalb der Redaktion vorausschauende langfristige Planungen.
Im Laufe der Jahre wanderten die Sendeplätze der Landesredaktion im Zuge der Ausweitung und Ausdifferenzierung der Kanäle auf Wellen mit einem Bildungs- und Kulturanspruch: zunächst auf UKW – dem zweiten Programm, das vor allem der Berichterstattung zur Region beziehungsweise dem Land Nordrhein-Westfalen galt. Ab 1966 sendete die Redaktion auf dem zweiten und dritten: zur Region/NRW und auf dem dritten für politische Hintergrundberichterstattung bzw. anspruchsvolles Wort- und Kulturprogramm. Ab 1974 lief ihr Programm vorrangig auf dem dritten, später auf WDR 5. Seit Anfang der 1970er Jahre begann eine große Programmreform, die die inhaltlichen Schwerpunkte der Programme verstärkte. 1973 wurden erste Ergebnisse umgesetzt: WDR 3 – als Hauptsendeplatz der Landesredaktion – konzentrierte sich auf Sendungen für ein kulturell interessiertes Publikum, aber auch darauf, kontroverse politische Debatten zu fördern.
Inhaltlich widmete sich die Landesredaktion vor allem drei Themenfeldern:
- Politik und Gesellschaft mit mittlerer Aktualität
- Landesgeschichte Nordrhein-Westfalens
- Rundfunkgeschichte
Grundsatzthemen rückten in die Halbstundensendungen am Wochenende („Landesfeature“ / „Landes-Kulturfeature“). Das zentrale Format bediente die fünf großen Bereiche Politik, Wirtschaft, Geschichte, Kultur und Gesellschaft.
Den größten Anteil nahmen Beiträge mit politisch-landesspezifischem Hintergrund ein. Sofern die Landespolitik davon berührt wurde, flossen auch bundespolitische Themen in die Sendungen ein. Ein gern genutztes Format waren Gespräche von Först mit „führenden Frauen und Männern der politischen Landschaft Nordrhein-Westfalen“ beziehungsweise Personen der „Landeszeitgeschichte“.
Zentrale Beiträge der Samstagssendung fanden Eingang in die 1965 von Först herausgegebene Publikationsreihe „Rheinisch-Westfälische Lesebücher“ (5 Bände, 1965-1978). Darin finden sich Stadt- und Landschaftsschilderungen, Personenporträts, Erinnerungen und geschichtliche Betrachtungen. Die Bände bildeten – ähnlich wie die Sendungen – ein Kaleidoskop von Themen, die laut Först als Vorarbeiten nach und nach in eine „Landeskunde“ einfließen sollten.
Stärker in die Erinnerung der nordrhein-westfälischen, der rheinischen und der westfälischen Landesgeschichte eingeschrieben hat sich die Redaktion über das zweite Themenfeld der NRW-Landesgeschichte. Mit der Produktion von neuem landesgeschichtlichem Wissen und der daraus resultierenden historisch unterstützten ‚Konstruktion‘ des neuen Landes konnte die Redaktion einen Beitrag zur gesellschaftlichen Konstituierung über Landesbewusstsein anbieten. Dazu gehörte es auch, rheinische und westfälische Geschichte und Entwicklungen in den verschiedenen Räumen näher in Verbindung zu bringen. Die Redaktion besetzte mit der Landeszeitgeschichte ein Feld, das die akademische Landesgeschichte bislang nicht beachtet hatte. Die redaktionellen Geschichtsbilder zu Nordrhein-Westfalen setzten sich deutlich von der traditionellen akademischen Landesgeschichtsforschung ab. Konzentrierte sich letztere auf die Vormoderne, Territorialgeschichte und historische Landschaften, fokussierte sich die Landesredaktion auf die Neuere und vor allem die Zeitgeschichte. Sie postulierte und verbreitete das Programm einer „Landeszeitgeschichte“ und schuf damit neue Narrative. Die Redaktion wandte sich vor allem der Entstehung und den ersten Jahren des Landes NRW sowie seiner Vorgängerterritorien seit dem 19. Jahrhundert zu. Geschichtliche Themen griffen sowohl das samstägliche Landesfeature als Einzelthemen als auch die vierzehntägige Viertelstunden-Reihe „Aus der Landesgeschichte“ mit mehrteiligen Reihen auf. Während die Samstagsfeatures bevorzugt von der Redaktion gestaltet wurden, verfassten meistens Externe die Serien des Programmkästchens „Aus der Landesgeschichte“.
Die Sendungen zu historischen Themen flossen in eine zweite Publikationsreihe, die Först herausgab: die „Beiträge zur neueren Landesgeschichte des Rheinlandes und Westfalens“ (12 Bände, 1967-1987). Diese wurde, wie die Reihe der „Lesebücher“, von der Landeszentrale für politische Bildung (bis 1967 „Staatsbürgerliche Bildungsstelle“) zur Verfügung gestellt. Aus der Arbeit und der Vernetzung der Landesredaktion ging eine Vielzahl weiterer landesgeschichtlicher Publikationen hervor. 1965 erschien der Sammelband „Das Rheinland in preußischer Zeit“. Mit dem Landtag verwirklichte Först zu dessen 25-jährigem Jubiläum das Buchprojekt „Mensch und Staat in NRW“. Die Forschungen zur Frühzeit des Landes NRW wurden zur Monographie „Geschichte Nordrhein-Westfalens. 1945-1949“ (1970). Historische Grundlagen und staatsbürgerliche Bildung amalgamierten sich zu einer neuen Schriftenreihe zur politischen Landeskunde, die die Landeszentrale für politische Bildung ab 1984 auflegte und in deren Anfängen auch die Landesredaktion mitwirkte.
Mitglieder der Redaktion leisteten viel Aufbauarbeit für die Erforschung der Rundfunk- und Mediengeschichte. Schnell entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit mit dem 1969 gegründeten Studienkreis Rundfunk und Geschichte, in dessen Vorstand Först eintrat und dessen Publikationsorgan (Mitteilungen Studienkreis Rundfunk und Geschichte) der Redaktionsleiter von 1974 bis 1992 betreute. Bevor die Rundfunk- und Mediengeschichte im Wissenschaftsbetrieb stärker ausgebaut wurde, galt die Zusammenarbeit zwischen der WDR-Landesredaktion und dem Institut für Publizistik an der Universität in Münster, wie Edgar Lersch es 2009 formulierte, als „inoffizieller Forschungsverbund“. Försts Ausgangspunkt der Rundfunkgeschichte war zunächst die Geschichte des eigenen Senders und dessen Vorläufer. Mehrere Bände der von Först herausgegebenen „Annalen des Westdeutschen Rundfunks“ (8 Bände, 1973-1993) waren als Editionen ausgewählter Dokumente zur (Früh)Geschichte des Rundfunks angelegt oder veröffentlichten wissenschaftliche Arbeiten.
6. Ausblick
Die WDR-Landesredaktion schuf neues landesgeschichtliches Wissen und machte dieses über den massenmedialen Kanal des Radios, kombiniert mit weiteren Distributionswegen wie der Verschickung von Sendemanuskripten beziehungsweise durch Publikationsreihen und die Beteiligungen an Ausstellungprojekten, für eine breite Öffentlichkeit zugänglich. Sie bewegte sich dabei im Spannungsfeld zwischen fachwissenschaftlicher Diskussion, öffentlicher politischer Nutzung und Hörerinteressen. Beeinflusst wurden die Beiträge durch die medialen Rahmenbedingungen des Radios: Die Texte mussten zum Hören einladen, sofort verständlich sein und komplexe Themen auf mehrere Episoden herunterbrechen.
Die Sendungen fanden bald ein Stammpublikum. Als Indiz für ein beachtliches Hörerinteresse werteten Senderverantwortliche und Redaktionsleiter die Zuschriften und Manuskriptanforderungen. Sie verwiesen auf die Weiterverwendung durch Multiplikatoren an Schulen und Universitäten. Das Programm der Landesredaktion galt aber auch als etwas für eine „sehr interessierte Minderheit“ beziehungsweise für „Interessierte und Gebildete“. Dass es Wirkung erzielte und Qualitätvolles präsentierte, unterstreichen vielfältige Ehrungen und Auszeichnungen, wie für Redaktionsleiter Först und den Redakteur Heiner Lichtenstein.
Verschiedene mediale Ausdrucksformen, die politisch-kulturellen Würdigungen und Vernetzungen sorgten für eine Sichtbarkeit der Redaktion, die sich in späteren Darstellungen des Landes und der landesgeschichtlichen Repräsentation nachhaltig fortschrieb. Auch die geschäftige Selbstinszenierung Försts als „Macher“ der NRW-Landesgeschichte trug dazu bei.
Stießen die anfänglichen Impulse der Redaktion in der akademischen Landesgeschichtsforschung zunächst auf Skepsis, so etablierte sich bald eine Zusammenarbeit mit meist jüngeren Wissenschaftlern. Parallel gewannen in den 1960er und 1970er Jahren eine an regionalen Fallbeispielen aufgezogene Sozialgeschichte und die neuzeitlich orientierte Regionalgeschichte an Bedeutung.
Eine engere Vernetzung mit der akademischen Welt über die Senderarbeit hinaus brachte Först Ende der 1970er Jahre mit dem „Brauweiler Kreis für Landes- und Zeitgeschichte“ in Gang, dessen Halbjahreszeitschrift „Geschichte im Westen“ nach Försts Pensionierung ab 1986 die landesgeschichtliche Publikationsreihe der Landesredaktion ablöste. Die Redaktion setzte in den 1960er bis 1980er Jahren wichtige Impulse für eine neuzeitlich orientierte Landesgeschichtsschreibung und deren mediale Vermittlung.
Quellen
Unternehmensarchiv WDR
Landesarchiv NRW Abt. Rheinland (LAV NRW R) RW 0497 (Nachlass Walter Först) und NW O (Ordensakten)
Literatur
Cornelißen, Christoph, Der lange Weg zur historischen Identität. Geschichtspolitik in Nordrhein-Westfalen seit 1946, in: Schlemmer, Thomas/Woller, Hans (Hg.), Bayern im Bund, Band 3: Politik und Kultur im föderativen Staat 1949 bis 1973, München 2004, S. 411-484.
Ditt, Karl, Von der Kulturraumforschung zur Sozialgeschichte: Landes- und Regionalgeschichte in Westfalen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Revue d’Alsace 133 (2007), S. 283-316.
Först, Walter, Als das neue Land noch keine Geschichte hatte. Politik und Wissenschaft in der Frühzeit Nordrhein-Westfalens, in: Geschichte im Westen 2 (1987), S. 171-178.
Först, Walter, Landesgeschichte neu verstanden. Ein Rundfunkprogramm macht Geschichte, in: Borowsky, Peter/Vogel, Barbara/Wunder, Heide (Hg.), Gesellschaft und Geschichte I. Geschichte in Presse, Funk und Fernsehen, Opladen 1976, S. 71-86.
Haunfelder, Bernd, Först, Walter, in: Haunfelder, Bernd, Nordrhein-Westfalen. Land und Leute 1946-2006. Ein biographisches Handbuch, Münster 2006, S. 154-155.
Katz, Klaus [u.a.] (Hg.), Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Band 2: Der Sender: Weltweit nah dran 1956-1985, Köln 2006, S. 93, 409-412.
Köhler, Wolfram, Das Land und seine Sender. Die Medien als Handlungsfeld der Politik, in: Köhler, Wolfram (Hg.), Nordrhein-Westfalen. Fünfzig Jahre später. 1946-1996, Essen 1996, S. 88-103.
Küster, Thomas, Landes(zeit)geschichte im Radio. Walter Först und die Landesredaktion des WDR 161-1995, in: Westfälische Forschungen 69 (2019), S. 101-126.
Kutsch, Arnulf, Walter Först. Rundfunkhistorische Veröffentlichungen. Eine Auswahlbibliographie, in: Mitteilungen Studienkreis Rundfunk und Geschichte 19 (1993), Nr. 4, S. 139-141.
Flamm, Leo, Westfalen und der Westdeutsche Rundfunk. Eine rundfunkhistorische Studie zu Regionalisierung, Köln 1993.
Pabst, Klaus, Bibliographie Walter Först, in: Geschichte im Westen 8 (1993), S. 142-145.
Pabst, Klaus, Mit dem Herzen Nordrhein-Westfalen. Walter Först, Wolfram Köhler und Peter Hüttenberger als Protagonisten des Landesbewusstsein, in: Brautmeier, Jürgen/Düwell, Kurt/Heinemann, Ulrich/Petzina, Dietmar (Hg.), Heimat Nordrhein-Westfalen. Identitäten und Regionalität im Wandel, Essen 2010, S. 73-87.
Pätzold, Ulrich/Schulz, Günther, Der WDR und das Land Nordrhein-Westfalen, in: Katz (Hg.), Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Band 2: Der Sender: Weltweit nah dran 1956-1985, Köln 2006, S. 407-421.
Pätzold, Ulrich, „Hier und Heute“ – Einheit für die Vielfalt der Regionen. Der Westdeutsche Rundfunk als Landessender, in: Brautmeier, Jürgen/Düwell, Kurt/Heinemann, Ulrich/Petzina, Dietmar (Hg.), Heimat Nordrhein-Westfalen. Identitäten und Regionalität im Wandel, Essen 2010, S. 147-157.
WDR-Mitarbeiterzeitung Fünkchen bzw. später WDR-Print
- 1: Först in seinem Beitrag zur Sitzung des Programmbeirats am 23.6.1967, in: LAV NRW R, RW 0497, Nr. 61.
- 2: Katz, Klaus [u.a.] (Hg.), Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Bd. 2 (Der Sender weltweit nah dran 1956-1985), Köln 2006, S. 93.
- 3: Heiner (Carl Heinrich) Lichtenstein (1932-2010), 1959 Volontariat im WDR-Studio Münster, freier Mitarbeiter der Redaktion ab 1961, Festanstellung/Redakteur ab 1963, 1995 Ruhestand.
- 4: Klaus Pabst, Mit dem Herzen Nordrhein-Westfalen. Walter Först, Wolfram Köhler und Peter Hüttenberger als Protagonisten des Landesbewusstseins, in: Jürgen Brautmeier, Kurt Düwell, Ulrich Heinemann, Dietmar Petzina (Hg.), Heimat Nordrhein-Westfalen. Identitäten und Regionalität im Wandel, Essen 2010, S. 73-87, hier S. 77.
- 5: Dr. Renate Eichholz (geboren 1937), freie Mitarbeiterin ab 1965, Festanstellung 1974, ab Januar 1998 im Ruhestand.
- 6: Dr. Wolf Bierbach (1942-2007), freier Mitarbeiter ab Anfang der 1970er Jahre, Festanstellung als Mitarbeiter der Redaktion 1977-1980, 1980 landespolitischer Korrespondent Hörfunk im Landesstudio Düsseldorf, 1983 Mitglied der Programmgruppe Kommentare und Feature in Köln, 1986-2003 Leiter der Landesredaktion, 2003 Pensionierung.
- 7: Peter Josef Bock (geboren 1945), freier Mitarbeiter der Redaktion ab 1969, Festanstellung 1973, 1993/94-1998: Auslandskorrespondent des WDR-Hörfunks beziehungsweise für das ARD-Radio in Moskau, danach Rückkehr in aktuelle Magazinarbeit in WDR 5, 2010 pensioniert.
- 8: Hartwig Franz Heinrich Suhrbier (geboren 1942), 1969-1980 landespolitischer Korrespondent der Frankfurter Rundschau in Düsseldorf, ab 1980 Mitarbeiter der WDR-Landesredaktion, 2003-2005 „Leiter“ der nunmehr „Ein-Mann-Redaktion“.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Minner, Katrin, Die WDR-Hörfunk-Landesredaktion, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-wdr-hoerfunk-landesredaktion/DE-2086/lido/624bd228eb9432.10360756 (abgerufen am 10.11.2024)