Konrad Repgen und die Bonner Geschichtswissenschaft

Ulrich von Hehl (Leipzig)

Konrad Repgen, Porträtfoto. (Privatbesitz)

1. Einleitung

Der am 5.5.1923 in Fried­rich-Wil­helms-Hüt­te (heu­te Trois­dorf) ge­bo­re­ne Kon­rad Rep­gen hat na­he­zu sein gan­zes Le­ben, un­ter­bro­chen nur durch Kriegs­dienst, ei­nen mehr­jäh­ri­gen For­schungs­auf­ent­halt in Rom und ein ers­tes Or­di­na­ri­at in Saar­brü­cken, in Bonn ver­bracht. Hier hat er das Gym­na­si­um be­sucht und stu­diert, hier hat er die aka­de­mi­schen Hür­den ge­nom­men. An der Rhei­ni­schen Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät hat er als In­ha­ber ei­nes der gro­ßen Ge­schichts­lehr­stüh­le in Deutsch­land, als aka­de­mi­scher Leh­rer, Ge­schichts­for­scher und Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tor, aber auch als deut­lich in­ter­ve­nie­ren­de Stim­me im deut­schen Ka­tho­li­zis­mus oder in den Kon­tro­ver­sen der His­to­ri­ker­zunft sei­ne grö­ß­ten Wir­kun­gen er­zielt. In Bonn hat er nach sei­ner Eme­ri­tie­rung 1988 sei­nen Wohn­sitz be­hal­ten; hier ist er hoch­be­tagt, doch bis zu­letzt geis­tig re­ge, am 2.4.2017 ver­stor­ben und auf dem Neu­en Fried­hof in Ip­pen­dorf bei­ge­setzt wor­den.

2. Jugendjahre und akademischer Werdegang

Kon­rad Rep­gen hat zu­wei­len da­mit ko­ket­tiert, „klei­ner Leu­te Kin­d“ ge­we­sen zu sein, aber zu­gleich auf die Grund­über­zeu­gung sei­ner El­tern ver­wie­sen, dass so­zia­ler Auf­stieg si­ch nur über Bil­dung voll­zie­hen kön­ne. Was dem Va­ter, ei­nem 1933 von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ent­las­se­nen, au­to­di­dak­tisch hoch­ge­bil­de­ten Volks­schul­rek­tor und Zen­trums­mit­glied, so­wie der nach dem Ur­teil des Soh­nes „from­men“ und „wil­lens­star­ken“ Mut­ter ver­wehrt ge­blie­ben war, soll­te den Söh­nen er­mög­licht wer­den: Der Be­such ei­nes hu­ma­nis­ti­schen Gym­na­si­ums und ein an­schlie­ßen­des Uni­ver­si­täts­stu­di­um. Hier­für nah­men Rep­gens El­tern vie­le Ein­schrän­kun­gen auf sich, und die Söh­ne ha­ben es ih­nen ge­dankt. „Was Ar­mut und Not kon­kret be­deu­ten, brauch­te ich nicht […] aus theo­re­ti­schen Schrif­ten zu ler­nen“ hat Rep­gen rück­bli­ckend be­kannt und da­mit auf die ver­hee­ren­den Fol­gen der Welt­wirt­schafts­kri­se für die Ar­bei­ter­be­völ­ke­rung sei­nes Hei­mat­or­tes an­ge­spielt. 1941 leg­te er am Bon­ner Beet­ho­ven-Gym­na­si­um das Ab­itur ab. Sei­ner Schu­le hat er im Nach­hin­ein at­tes­tiert, ih­ren Zög­lin­gen das Wich­tigs­te bei­ge­bracht zu ha­ben, was ei­ne Schu­le über­haupt ver­mit­teln kann: „Wir lern­ten das Ler­nen, das Den­ken und das For­mu­lie­ren.“ Der an­schlie­ßen­de Kriegs­dienst an der Ost­front, in des­sen Ver­lauf sein äl­te­rer Bru­der fiel, war „das ent­schei­den­de Schick­sal [sei­ner] Ju­gend­jah­re“.  In ei­nem Brief hat er kurz nach dem Zu­sam­men­bruch 1945 ge­meint: „Wir al­le sind Schiff­brü­chi­ge“.

Für ihn stand da­her als po­li­ti­sche Grund­über­zeu­gung drei­er­lei fest: Ers­tens darf sich ein „Drit­tes Reich“ nie wie­der­ho­len. Zwei­tens in­ter­pre­tier­te er es, üb­ri­gens ganz auf der Li­nie der frü­hen kirch­li­chen „Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gun­g“, als ei­ne „Kon­se­qenz der Ent­christ­li­chung der Welt“ und drit­tens lei­te­te er dar­aus die Schluss­fol­ge­rung ab, dass künf­tig in ei­nem de­mo­kra­ti­schen Rechts­staat ei­ne „Po­li­tik aus christ­li­cher Ver­ant­wor­tun­g“ be­trie­ben wer­den müs­se, al­so ge­stützt auf die Wer­te, „die sich uns im In­fer­no des Krie­ges als dau­er­haft und rich­tig er­wie­sen ha­ben“. „So dach­ten wir da­mal­s“, fügt der spä­te­re His­to­ri­ker hin­zu.

Von 1945 bis 1950 stu­dier­te Rep­gen an der Uni­ver­si­tät Bonn Ge­schich­te, Ger­ma­nis­tik und la­tei­ni­sche Phi­lo­lo­gie. Zu sei­nen prä­gen­den Leh­rern zähl­te vor al­le­m Max Brau­bach, „ei­ne Per­sön­lich­keit von un­ta­de­li­gem Cha­rak­ter und gro­ßer mo­ra­li­scher Au­to­ri­tät“, der zu den we­ni­gen Uni­ver­si­täts­his­to­ri­kern zähl­te, die, so Rep­gen in sei­nem Nach­ruf, im „Drit­ten Reich“ „den Baa­len nicht ge­op­fer­t“ hat­ten. Für Brau­bach gilt, was Rep­gen auch dem Bon­ner Kir­chen­his­to­ri­ker Hu­bert Je­din be­schei­nigt hat: „Er nä­her­te sich den Pro­ble­men nicht durch spe­ku­lie­ren­des Grü­beln, son­dern durch kon­kre­tes An- und Hin­schau­en: Fak­ten und Tat­sa­chen zähl­ten, nicht Wün­sche. Das sind gu­te Vor­be­din­gun­gen für ei­nen His­to­ri­ker.“ In sei­nem wis­sen­schaft­li­chen Ur­teil sei Brau­bach „von un­be­stech­li­cher Nüch­tern­heit“ ge­we­sen, ein frucht­ba­rer Au­tor und „er­folg­rei­cher aka­de­mi­scher Leh­rer“, al­le­samt Ei­gen­schaf­ten, die den jun­gen Stu­den­ten und spä­te­ren As­sis­ten­ten Brau­bachs nach­hal­tig präg­ten. Brau­bach war es auch, der ihn 1950 mit der Dis­ser­ta­ti­on  „März­be­we­gung und Mai­wah­len. Vor­stu­di­en zu ei­ner Un­ter­su­chung über das rhei­ni­sche Volk und die Pauls­kir­che“ zum Dr. der Phi­lo­so­phie pro­mo­vier­te. In der Ver­knüp­fung von his­to­ri­scher Wahl­ana­ly­se mit dem, was man spä­ter All­tags- oder „Ge­schich­te von un­ten“ nen­nen wird, bie­tet die Stu­die ein frü­hes Bei­spiel in­no­va­ti­ver Vor­ge­hens­wei­se, wie sie da­mals weg­wei­send in der (rhei­ni­schen) Lan­des­ge­schichts­for­schung prak­ti­ziert wur­de. Die Ar­beit er­schien 1955 leicht ge­kürzt in den „Bon­ner His­to­ri­schen For­schun­gen“.

In den Jah­ren 1950 bis 1952 bot das Am­t  des Ge­ne­ral­se­kre­tärs der Ka­tho­li­schen Deut­schen Stu­den­ten-Ei­ni­gung Rep­gen die Mög­lich­keit zu (be­schei­de­nem) Brot­er­werb. Die Tä­tig­keit zeigt aber auch, dass er sich nie als Nur-Wis­sen­schaft­ler ver­stand, son­dern po­li­tisch-ge­sell­schaft­li­ches En­ga­ge­ment und ein zwar kri­ti­sches, aber le­bens­lang prak­ti­zier­tes sen­ti­re cum eccle­sia als Auf­ga­be sei­ner Ge­ne­ra­ti­on ver­stand. Wie­der­holt hat er über die tie­fen Prä­gun­gen ge­spro­chen, die er wie vie­le sei­ner Kom­mi­li­to­nen dem Bon­ner Stu­den­ten­seel­sor­ger Dr. Jo­sef Stein­berg (1904-1981) ver­dank­ten. Eben da­mals wur­den die Grund­la­gen für sei­ne Über­zeu­gung von den Auf­ga­ben des Chris­ten in der Ge­sell­schaft ge­legt. Der Acht­zig­jäh­ri­ge hat es auf die For­mel ge­bracht: „Täg­li­ches und ef­fi­zi­en­tes Prak­ti­zie­ren der ge­wal­ten­tei­lig or­ga­ni­sier­ten par­la­men­ta­ri­schen De­mo­kra­tie in ei­nem Rechts­staat, der sei­ne So­zi­al­ver­pflich­tun­gen, so­weit das mög­lich ist, ein­löst und der (im Un­ter­schied zu Wei­mar) wer­te­ge­bun­den bleibt, das war und das ist die ei­gent­li­che und die bes­te Be­wäl­ti­gung der Ver­gan­gen­heit durch die Deut­schen“.

1952 bot ein For­schungs­sti­pen­di­um am Rö­mi­schen In­sti­tut der Gör­res-Ge­sell­schaft die Mög­lich­keit, in die Wis­sen­schaft zu­rück­zu­keh­ren. Im Fol­ge­jahr wur­de Rep­gen Wis­sen­schaft­li­cher As­sis­tent am Deut­schen His­to­ri­schen In­sti­tut in Rom. Durch in­ten­si­ve Ar­chiv-Stu­di­en im Va­ti­ka­ni­schen Ge­hei­m­ar­chiv be­rei­te­te er sein opus ma­gnum „Die rö­mi­sche Ku­rie und der west­fä­li­sche Frie­de. Idee und Wirk­lich­keit des Papst­tums im 16. und 17. Jahr­hun­der­t“ vor, mit dem er sich 1958, in­zwi­schen als Wis­sen­schaft­li­cher As­sis­tent Max Brau­bachs nach Bonn zu­rück­ge­kehrt, für Mit­tel­al­ter­li­che und Neue­re Ge­schich­te ha­bi­li­tier­te. Die zwei­bän­di­ge Druck­fas­sung er­schien 1962/65 in der Schrif­ten­rei­he des Deut­schen His­to­ri­schen In­sti­tuts in Rom. Die The­men­wahl zeigt be­reits, dass Rep­gen den Ge­samt­be­reich der Neue­ren Ge­schich­te als Ein­heit sah, er al­so die Jahr­hun­der­te „von der Re­for­ma­ti­on zur Ge­gen­war­t“, wie 1988 ei­ne Samm­lung sei­ner Auf­sät­ze be­ti­telt wur­de, glei­cher­ma­ßen in For­schung und Leh­re be­han­del­te. Die­sen Spa­gat, ei­ne schon ar­beits­öko­no­misch bei­spiel­haf­te in­tel­lek­tu­el­le Her­aus­for­de­rung, hielt Rep­gen sein Le­ben lang bei. In Zei­ten rasch zu­neh­men­der wis­sen­schaft­li­cher Spe­zia­li­sie­rung war er da­mit ei­ne Aus­nah­me­er­schei­nung. 1962 wur­de er als Or­dent­li­cher Pro­fes­sor der Neue­ren und Neu­es­ten Ge­schich­te an die neu­er­rich­te­te Uni­ver­si­tät des Saar­lands be­ru­fen. Sei­ne An­tritts­vor­le­sung „Hit­lers Macht­er­grei­fung  und der deut­sche Ka­tho­li­zis­mus“, ein da­mals un­er­hört ak­tu­el­les The­ma, mar­kiert ei­nen wei­te­ren Schwer­punkt künf­ti­ger For­schun­gen. 1967 kehr­te Rep­gen als Nach­fol­ger sei­nes Leh­rers Max Brau­bach nach Bonn zu­rück und hielt sei­ner Hei­ma­t­uni­ver­si­tät bis zur Eme­ri­tie­rung 1988 die Treue.

3. Akademischer Lehrer, Forscher, Wissenschaftsorganisator

Kon­rad Rep­gen war als aka­de­mi­scher Leh­rer un­ge­mein er­folg­reich. Sei­ne Vor­le­sun­gen, in der Re­gel sehr früh mor­gens am hei­mi­schen Schreib­tisch ent­wor­fen, fes­sel­ten durch ih­re Le­ben­dig­keit, ih­ren in­halt­li­chen Reich­tum und ih­ren frei­en, höchst an­schau­li­chen Vor­trag. Sei­ne Se­mi­na­re, für wel­che die Haus­ar­bei­ten be­reits vor Be­ginn des Se­mes­ters an­ge­fer­tigt wer­den mu­ß­ten, wa­ren stets gründ­lich vor­be­rei­tet. Von wel­chem Pro­fes­sor hät­te man das im­mer be­haup­ten kön­nen? Rep­gen galt als „schwer“; sei­ne boh­ren­den Fra­gen wa­ren ge­fürch­tet. Man konn­te bei man­chen sei­ner Kol­le­gen „leich­ter“ zu ei­nem Schein kom­men. Er for­der­te viel, för­der­te aber auch, wann im­mer er das Be­mü­hen sah, dem Ver­lang­ten nach bes­ten Kräf­ten zu ent­spre­chen. So ha­ben zahl­lo­se Lehr­amts­an­wär­ter bei ihm ihr Staats­ex­amen ab­ge­legt und vie­le die in den 1970er Jah­ren all­mäh­lich in Mo­de kom­men­de Ma­gis­ter-Prü­fung ab­sol­viert. Ein be­son­ders en­ges Ver­hält­nis ent­wi­ckel­te Rep­gen zu sei­nen Dok­to­ran­den. Rund fünf­zig hat er er­folg­reich pro­mo­viert und vie­len durch sei­ne Emp­feh­lung und dank ei­nes weit­rei­chen­den Be­zie­hungs­net­zes zu ih­rer be­ruf­li­chen An­stel­lung ver­hol­fen. Ihr Fort­kom­men freu­te ihn noch in spä­te­ren Jah­ren. Wer ihn um Rat frag­te, pro­fi­tier­te von ei­ner bei Geis­tes­wis­sen­schaft­lern eher sel­te­nen nüch­ter­nen Le­bens­klug­heit. Neun sei­ner „Schü­ler“ hat er dar­über hin­aus zur Ha­bi­li­ta­ti­on  ge­führt. Bei drei wei­te­ren Kan­di­da­ten hat er die Ha­bi­li­ta­ti­on ver­tre­ten, oh­ne ihr Dok­tor­va­ter ge­we­sen zu sein. Von ih­nen sind wie­der­um neun auf Lehr­stüh­le ge­langt.

Die­se gleich­sam „fa­mi­liä­re“ Sei­te des aka­de­mi­schen Leh­rers ha­ben man­che sei­ner Schü­ler als vor­bild­lich emp­fun­den und sich ih­rer­seits an ihr ori­en­tiert. Sie ge­riet je­doch un­ter Ideo­lo­gie­ver­dacht, als die Wo­gen der stu­den­ti­schen Pro­test­be­we­gung 1972 die Uni­ver­si­tät Bonn er­reich­ten. Als streit­ba­rer, pro­non­ciert kon­ser­va­ti­ver Ge­lehr­ter, der die Uni­ver­si­tät ge­gen ih­re Ver­äch­ter zu ver­tei­di­gen ent­schlos­sen war, zog Rep­gen den Zorn der Kra­kee­ler in be­son­de­rem Ma­ße auf sich. Er zähl­te zu den we­ni­gen Pro­fes­so­ren, die dem Ra­bau­ken­tum mu­tig und of­fen­siv ent­ge­gen­tra­ten. Fol­ge­rich­tig ge­hör­te er auch zu den en­ga­gier­tes­ten Mit­glie­dern im Bund Frei­heit der Wis­sen­schaft. Sein Ver­such, den Wi­der­stand ge­gen ein wür­de­lo­ses Zu­rück­wei­chen vor ge­walt­tä­ti­gem Ver­än­de­rungs­be­geh­ren auf ein brei­te­res Fun­da­ment zu stel­len, stieß frei­lich an deut­li­che Gren­zen, die sich aus nai­ver Gleich­gül­tig­keit, dem un­po­li­ti­schen Sinn oder auch der Feig­heit all­zu­vie­ler Pro­fes­so­ren er­ga­ben. Sei­ne Hal­tung im­po­nier­te den­je­ni­gen Stu­die­ren­den, die sich über al­len Auf­ge­regt­hei­ten des Ta­ges Sinn und Ver­stand be­wahrt hat­ten, selbst wenn sie nicht je­de sei­ner Po­si­tio­nen tei­len moch­ten. Un­ter ih­nen ging da­mals das Wort um, es ge­be nur zwei Män­ner am His­to­ri­schen Se­mi­nar: Kon­rad Rep­gen und – Edith En­nen, die Or­di­na­ria für Rhei­ni­sche Lan­des­ge­schich­te.

Für das da­ma­li­ge Kli­ma ist ein Vor­gang be­zeich­nend, der als „ Bon­ner Fens­ter­stur­z“ be­kannt ge­wor­den ist: Als ge­le­gent­lich der Spren­gung ei­ner Fa­kul­täts­sit­zung im Hör­saal XVII sich ein be­kann­ter, schwer­ge­wich­ti­ger Ger­ma­nist auf das Hei­ne-Wort be­sann: „Le­ben blei­ben, wie das Ster­ben für das Va­ter­land ist sü­ß“ und sich, um das Wei­te zu su­chen, mit Hil­fe sei­ner As­sis­ten­ten durch ein Fens­ter in den Hof­gar­ten hin­un­ter­he­ben ließ, ver­stän­dig­ten sich Kon­rad Rep­gen un­d Karl Diet­rich Bra­cher dar­auf, das „Lo­kal“ durch die glei­che Öff­nung zu ver­las­sen, durch die sie es auch be­tre­ten hat­ten, näm­lich nach ei­ner Art Spie­ß­ru­ten­lauf, vor­bei an der auf­ge­brach­ten Men­ge, durch die Tür. Dass be­sag­ter Ger­ma­nist dem Haupt­rä­dels­füh­rer der Kra­wal­le auch noch zu ei­nem Pro­mo­ti­ons­sti­pen­di­um ver­half, nahm Rep­gen mit Sar­kas­mus zur Kennt­nis. Der Zu­fall woll­te es, dass er fünf­zehn Jah­re spä­ter als De­kan  der Phi­lo­so­phi­schen Fa­kul­tät  bei der Aka­de­mi­schen Trau­er­fei­er für den ver­stor­be­nen Ger­ma­nis­ten die Ge­denk­an­spra­che hal­ten mu­ß­te. Er meis­ter­te die­se Auf­ga­be mit Bra­vour, in­dem er sich no­bel, aber doch deut­lich über die „kon­vul­si­vi­schen Zu­ckun­gen“ je­ner Jah­re ver­brei­te­te, die den un­po­li­tisch-un­kämp­fe­ri­schen Ge­lehr­ten über­for­dert hät­ten.

Rep­gens Vor­stel­lun­gen von den Auf­ga­ben ei­nes aka­de­mi­schen Leh­rers ent­sprach es auch, ge­gen Zu­mu­tun­gen der Po­li­tik zu Fel­de zu zie­hen, so 1974/75, als da­s Düs­sel­dor­fer Kul­tus­mi­nis­te­ri­um per Er­laß die Prü­fung an­ge­hen­der Ge­schichts­leh­rer auf die his­to­ri­schen Epo­chen seit der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on be­schrän­ken woll­te und Rep­gen dem­ge­gen­über auf der „gan­zen Ge­schich­te“ be­stand. Und noch kurz vor sei­nem Aus­schei­den ver­tei­dig­te er in ei­ner Denk­schrift die „Leh­rer­aus­bil­dung an der Uni­ver­si­tät Bon­n“. Denn ei­nes hat­te ihn nicht zu­letzt das Er­le­ben der 68er-Be­we­gung ge­lehrt: Wer sich nicht wehrt, lebt ver­kehrt. In der For­schung sind sei­ne Schwer­punk­te, frei­lich in deut­li­cher the­ma­ti­scher und per­spek­ti­vi­scher Aus­wei­tung, aus sei­nen Qua­li­fi­ka­ti­ons­schrif­ten er­wach­sen. Das gilt zu­nächst für Rep­gens le­bens­lan­ge Be­schäf­ti­gung mit dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg und dem West­fä­li­schen Frie­den, die er in ih­ren ge­samt­eu­ro­päi­schen Di­men­sio­nen und un­ter den man­nig­fal­tigs­ten Fra­ge­stel­lun­gen und Be­trach­tungs­win­keln wie­der und wie­der un­ter­sucht hat. Ei­ne 2015 in drit­ter Auf­la­ge er­schie­ne­ne, na­he­zu 1200 Sei­ten um­fas­sen­de Samm­lung sei­ner ein­schlä­gi­gen Bei­trä­ge zeigt ihn als ei­nen der pro­fun­des­ten Ken­ner der ers­ten Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts. Mit Un­ter­su­chun­gen wie „Kriegs­le­gi­ti­ma­tio­nen in Alt­eu­ro­pa. Ent­wurf ei­ner his­to­ri­schen Ty­po­lo­gie“ (1985), „Der West­fä­li­sche Frie­de und die Ur­sprün­ge des eu­ro­päi­schen Gleich­ge­wichts“ (1986) oder dem Bei­trag „Was ist ein Re­li­gi­ons­krieg?“ (1986, eng­li­sche Fas­sung 1987) hat er die For­schung stark be­fruch­tet. Da ei­ne von Rep­gen be­ab­sich­tig­te Ge­samt­dar­stel­lung des Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ges nicht er­schie­nen ist, wird man die­sen Sam­mel­band als Er­satz zu wer­ten ha­ben. Er ent­hält auch Rep­gens mit Recht ge­rühm­ten gro­ßen Le­xi­kon­ar­ti­kel „Drei­ßig­jäh­ri­ger Krie­g“ aus der Theo­lo­gi­schen Rea­len­zy­klo­pä­die, der das Ge­sche­hen in meis­ter­li­cher Wei­se skiz­ziert.

Kir­che und Papst­tum als in­ner­welt­lich-po­li­ti­sche Hand­lungs­in­stan­zen so­wie der sich im re­vo­lu­tio­nä­ren Vor­märz her­aus­bil­den­de po­li­ti­sche Ka­tho­li­zis­mus in Deutsch­land sind ein zwei­tes, weit aus­grei­fen­des For­schungs­feld, dem Rep­gen sich le­bens­lang zu­ge­wandt hat. Auch hier ist der brei­te zeit­li­che An­satz kenn­zeich­nend: Die Wahr­neh­mung von Kai­ser und Reich durch das Papst­tum des Re­for­ma­ti­ons­zeit­al­ters tritt eben­so in den Blick wie das (Köl­ner) Bi­schofs­amt „zwi­schen Re­for­ma­ti­on, ka­tho­li­scher Re­form und Kon­fes­si­ons­bil­dun­g“ oder die Au­ßen­po­li­tik der Päps­te im Zeit­al­ter der To­ta­li­ta­ris­men des 20. Jahr­hun­derts. Durch die geo­gra­phi­sche wie zeit­li­che Aus­wei­tung sei­ner Fra­ge­stel­lun­gen ver­mied Rep­gen die En­ge ei­ner deut­schen Na­bel­schau, wenn­gleich zu Be­ginn der 1960er Jah­re die Er­for­schung des Ver­hält­nis­ses von Kir­che und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ge­bie­te­risch in den Vor­der­grund dräng­te. Auf ei­ner mit dem Zen­trums­for­scher Ru­dolf Mor­sey in­iti­ier­ten Klau­sur­ta­gung „Die deut­schen Ka­tho­li­ken und das Schick­sal der Wei­ma­rer Re­pu­blik“, die am 8./9.5.1961 in Würz­burg statt­fand und un­ter an­de­rem die Zu­stim­mung der Zen­trums­par­tei zu Hit­lers Er­mäch­ti­gungs­ge­setz the­ma­ti­sier­te, wi­der­sprach er ve­he­ment den Be­den­ken äl­te­rer Zeit­zeu­gen „mit der For­de­rung, die Wahr­heit müs­se ans Lich­t“. Die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Reichs­kon­kor­dats hat ihn in den1970er und 80er Jah­ren wie­der­holt be­schäf­tigt, ei­ne 1977/78 dar­über mit dem evan­ge­li­schen Kir­chen­his­to­ri­ker Klaus Schol­der (1930-1985) aus­ge­tra­ge­ne wis­sen­schaft­li­che Kon­tro­ver­se hat ihn weit über den en­ge­ren Kreis der Fach­ge­lehr­ten be­kannt ge­macht. Erst un­längst ist sei­ne Sicht nach Of­fen­le­gung der va­ti­ka­ni­schen Ak­ten ein­drucks­voll be­stä­tigt wor­den. Nicht um Plau­si­bi­li­tä­ten, son­dern um den Nach­weis von Fak­ten ging es ihm, wie hier, so auch an­ders­wo, sei es, dass er das all­ge­mein un­ter­stell­te Ver­bot der KPD im Jah­re 1933 als Le­gen­de ent­larv­te, den von den „Bie­le­fel­dern“ ent­fach­ten „Me­tho­den­streit“ als „Rich­tungs­kampf“ in­ter­pre­tier­te oder das viel­zi­tier­te Ran­ke-Wort „Bloß sa­gen, wie es ei­gent­lich ge­we­sen“ als Thuky­di­des-Zi­tat „oh­ne An­füh­rungs­zei­chen“ nach­wies. An dem mit ver­gif­te­ten Pfei­len ge­führ­ten „His­to­ri­ker­streit“ hat er sich le­dig­lich mit ei­nem no­blen Re­sü­mee be­tei­ligt und dar­auf auf­merk­sam ge­macht, dass es dar­in „we­ni­ger um His­to­ri­sches als um Me­ta­his­to­ri­sches, […] um die Nor­men un­se­rer Ge­sell­schaf­t“ ge­gan­gen sei.

Im Un­ter­schied zu den meis­ten Uni­ver­si­täts­his­to­ri­kern hat Kon­rad Rep­gen das har­te Brot der Er­schlie­ßung und Edie­rung von Quel­len nie ge­scheut. Sein ge­le­gent­li­ches Wort, die Ge­schichts­wis­sen­schaft le­gi­ti­mie­re sich durch „kon­trol­lier­ba­re Leis­tun­gen und nicht durch noch so über­zeu­gen­de Pro­gram­me“ be­zog sich aus­drück­lich auf das Kärrn­er­ge­schäft des Edi­tors.

Hier nun tritt uns der Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tor ent­ge­gen. Schon 1957, da­mals noch As­sis­tent Max Brau­bachs, hat er ei­ne Denk­schrift „Über ei­ne Aus­ga­be der wich­ti­ge­ren Quel­len zur Ge­schich­te des West­fä­li­schen Frie­den­s“ vor­ge­legt. Sie führ­te noch im glei­chen Jahr zur Grün­dung der „Ver­ei­ni­gung zur Er­for­schung der Neue­ren Ge­schich­te“ (VENG), ei­nem dritt­mit­tel­ge­för­der­ten Lang­zeit­un­ter­neh­men, das die zen­tra­len Quel­len­be­stän­de der gro­ßen in­ter­na­tio­na­len Frie­dens­schlüs­se von 1648, 1815 und 1919 zu er­schlie­ßen und zu edie­ren sucht und be­glei­ten­de For­schungs­ar­bei­ten an­regt. 1962 konn­te der ers­te Band der Ac­ta Pa­cis West­fa­li­cae (APW) er­schei­nen, mehr als ein hal­bes Hun­dert sind ihm seit­her un­ter Rep­gens ver­ant­wort­li­cher Her­aus­ge­ber­schaft ge­folgt. Von 1958 bis 2002 hat er die Ver­ei­ni­gung ge­lei­tet, zu­nächst als Se­kre­tar, seit 1976 als Vor­sit­zen­der. In den APW „bün­delt sich bei­spiel­haft sei­ne den nach­prüf­ba­ren Quel­len ver­pflich­te­te For­schungs­ar­beit“, und zahl­rei­che sei­ner Schü­ler hat er für die­se Auf­ga­be oder für mo­no­gra­phi­sche Un­ter­su­chun­gen ge­win­nen kön­nen.

Aus Rep­gens zwei­tem In­ter­es­sen­feld, der Ka­tho­li­zis­mus­for­schung, ist gleich­falls ei­ne der VENG ver­gleich­ba­re For­schungs­ein­rich­tung er­wach­sen, die 1962 im en­gen Be­neh­men mit Karl Fors­ter (1928-1981) und Ru­dolf Mor­sey ge­grün­de­te Kom­mis­si­on für Zeit­ge­schich­te, wel­che die po­li­ti­sche und so­zia­le Wirk­sam­keit des deut­schen Ka­tho­li­zis­mus im 19. und vor al­lem im 20. Jahr­hun­dert er­forscht. Sie res­sor­tier­te zu­nächst bei der Ka­tho­li­schen Aka­de­mie in Bay­ern, seit 1972 in der Rechts­form ei­nes e.V. in Bonn, wo sie auch ih­re For­schungs­stel­le un­ter­hält. Mit kur­zer Un­ter­bre­chung war Rep­gen von 1962 bis 1993 ihr Vor­sit­zen­der und hat im Team mit Ru­dolf Mor­sey und Die­ter Al­brecht (1927-1999) über Jahr­zehn­te ei­ne über­aus rei­che, 42 dick­lei­bi­ge Bän­de um­fas­sen­de Edi­ti­ons­tä­tig­keit ver­ant­wor­tet und noch zahl­rei­che­re Spe­zi­al­stu­di­en an­ge­regt. Den Quel­len­pu­bli­ka­tio­nen hat ein un­ver­däch­ti­ger Kri­ti­ker be­schei­nigt, „nach Um­fang, Reich­tum und edi­to­ri­scher Qua­li­tät kaum ei­nen Ver­gleich in der Zeit­ge­schich­te“ zu ha­ben. The­ma­tisch kon­zen­trier­ten sich die For­schun­gen lan­ge auf das Ver­hält­nis von Kir­che und „Drit­tem Reich“, das seit den 1960er Jah­ren im Mit­tel­punkt des In­ter­es­ses stand. Nicht zu­letzt Rolf Hoch­hu­ths Thea­ter­stück „Der Stell­ver­tre­ter“ von 1963 hat­te drän­gen­de Fra­gen auf­ge­wor­fen, die nach his­to­risch ver­tret­ba­ren Ant­wor­ten ver­lang­ten, aber die Er­schlie­ßung von Quel­len zur Vor­aus­set­zung hat­ten. Die Neu­kon­sti­tu­ie­rung der Kom­mis­si­on für Zeit­ge­schich­te in Bonn hat dann ver­stärkt den Blick auf die Nach­kriegs­ent­wick­lung des deut­schen Ka­tho­li­zis­mus ge­lenkt, an­ge­sichts der Ero­si­on al­les Kirch­li­chen Rep­gen frei­lich aber auch zu der re­si­gna­ti­ven Ein­schät­zung ge­führt, man ha­be bald „ei­ne gro­ße Bi­blio­gra­phie des Ka­tho­li­zis­mus, aber kei­nen Ka­tho­li­zis­mus mehr“.

Kon­rad Rep­gen hat für sein Wir­ken ho­he An­er­ken­nung er­fah­ren. Die Er­nen­nung zum Rit­ter (1980) bzw. Kom­tur des Gre­go­ri­us-Or­dens (1989) wür­dig­te sei­ne Ver­diens­te um die Ka­tho­li­zis­mus­for­schung, das Gro­ße Bun­des­ver­dienst­kreuz sein ge­sam­tes ge­sell­schaft­li­ches und wis­sen­schaft­li­ches En­ga­ge­ment, der His­to­ri­ker-Preis der Stadt Müns­ter (1998) den Ge­schichts­schrei­ber des West­fä­li­schen Frie­dens. Zahl­rei­che Ge­lehr­te Ge­sell­schaf­ten ha­ben sich sei­ner Mit­wir­kung ver­si­chert, die Ge­sell­schaft für Rhei­ni­sche Ge­schichts­kun­de, die Kom­mis­si­on für Ge­schich­te des Par­la­men­ta­ris­mus und der po­li­ti­schen Par­tei­en, die His­to­ri­sche Kom­mis­si­on bei der Baye­ri­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten, die Bei­rä­te des In­sti­tuts für Zeit­ge­schich­te und des Tri­en­ter His­to­ri­schen In­sti­tuts für deutsch-ita­lie­ni­sche Be­zie­hun­gen, der Vor­stand der Gör­res-Ge­sell­schaft, um nur die­se zu nen­nen. Rep­gen war or­dent­li­ches Mit­glied der Rhei­nisch-West­fä­li­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und Cor­re­spon­ding Fel­low der Bri­tish Aca­de­my, Lon­don. 1975/76 war er Vi­sit­ing Fel­low am St. An­t­o­ny´s Col­le­ge in Ox­ford/Eng­land, 1983/84 Sti­pen­di­at des His­to­ri­schen Kol­legs, Mün­chen, 1991 Gast­do­zent an der Mar­tin-Lu­ther-Uni­ver­si­tät, Hal­le/Saa­le. 1995 ver­lieh ihm die Kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Bay­reuth die Eh­ren­dok­tor­wür­de.

4. Persönlichkeit und Privatleben

Kon­rad Rep­gen war nicht nur nach fa­mi­liä­rer Her­kunft, son­dern auch nach Men­ta­li­tät und Über­zeu­gung ein Sohn des Rhein­lands, frei­lich nicht von der Sor­te, die ihr Herz auf der Zun­ge trägt und die fünf­te Jah­res­zeit im kol­lek­ti­ven Aus­nah­me­zu­stand ver­lebt. Sein Hu­mor ent­fal­te­te sich nicht auf der Stra­ße, son­dern im ver­trau­ten, ge­sel­li­gen Kreis, un­ter Freun­den und gu­ten Be­kann­ten. So konn­te er et­wa in der ge­lös­ten Stim­mung ei­nes Post­se­mi­nars im Bon­ner „Sal­va­tor“ über die Fein­hei­ten des rhei­ni­schen Hoch­deut­schen auf­klä­ren. Es hei­ße eben nicht, ich bin grö­ßer wie du, son­dern grö­ßer als wie du. „La­ko­nie und Iro­nie“ in be­zeich­nend „rhei­ni­scher Ton­mi­schun­g“ hat man ihm at­tes­tiert. Ein den Rhein­län­dern häu­fig nach­ge­sag­tes Har­mo­nie­be­dürf­nis war ihm da­ge­gen fremd. Wenn es um die Sa­che ging, war er streit­bar und prin­zi­pi­en­fest, be­stand auf kla­rer Ge­dan­ken­füh­rung und lo­gisch nach­voll­zieh­ba­ren Ur­tei­len. Un­zäh­li­ge Brie­fe hat er bei Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten ge­schrie­ben, auch den Füh­rern der Kir­che kei­ne un­be­que­men Wahr­hei­ten er­spart. Eben­so scheu­te er sich nicht, auf dem Po­di­um das Wort zu er­grei­fen. Ihm war be­wu­ßt, dass Wir­kung nur durch „be­harr­li­chen öf­fent­li­chen Wi­der­spruch“ zu er­rei­chen war, in der Wis­sen­schaft eben­so wie in Kir­che, Ge­sell­schaft und Po­li­tik. Sei­ne auf christ­li­chen Wert­vor­stel­lun­gen ba­sie­ren­de Hal­tung war im El­tern­haus grund­ge­legt und durch das Kriegs­er­leb­nis ge­fes­tigt wor­den. Sie hat­te sich in schwie­rigs­ter Zeit als trag­fä­hig er­wie­sen. Ihr blieb er bis an sein Le­bens­en­de treu. Dass sie ihm seit den spä­ten 1960er Jah­ren bei den rasch wech­seln­den Mo­den und Er­schei­nun­gen des Zeit­geis­tes den Ruf des Kon­ser­va­tiv-Re­ak­tio­nä­ren ein­brach­te, nahm er ge­las­sen. Der glei­che Vor­wurf war ihm schon wäh­rend des „Drit­ten Rei­ches“ be­geg­net, hat­te doch auch der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus das Prin­zip des Fort­schritts für sich re­kla­miert, oh­ne nach des­sen Ver­lust­ge­schich­te zu fra­gen.

Rep­gen hat zeit­le­bens ein un­ge­heu­res Ar­beits­pen­sum be­wäl­tigt, das auf Kos­ten von Frei­zeit und Fa­mi­li­en­le­ben ging. Oh­ne sei­ne Frau Ever­de, geb. Brü­ning, mit der er seit 1957 ei­ne glück­li­che Ehe führ­te, wä­re das nicht mög­lich ge­we­sen. Mit ih­rer Klug­heit, Freund­lich­keit und ru­hi­gen Aus­ge­gli­chen­heit hat sie ihm für Vie­les den Rü­cken frei­ge­hal­ten, ge­ra­de auch in schwe­ren Zei­ten, als die Aus­wüch­se der 68er-Be­we­gung Bonn er­reicht hat­ten. Das Ehe­paar hat sechs Kin­der. Für sie we­ni­ger Zeit ge­habt zu ha­ben als der ei­ge­ne Va­ter für ihn, hat er öf­fent­lich be­kannt. Aber da sein Haupt­ar­beits­platz der häus­li­che Schreib­tisch war, war er nach dem Zeug­nis sei­nes äl­tes­ten Soh­nes „im­mer da. Er wirk­te durch Prä­sen­z“, stand al­so zur Ver­fü­gung, wenn gu­ter Rat bei wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen nö­tig war. Da­von pro­fi­tier­ten auch zahl­rei­che sei­ner Schü­ler, die zum „en­ge­ren Kreis“ ge­hör­ten. Rep­gen führ­te ein gast­frei­es Haus; Kü­che und Kel­ler wa­ren stets gut ge­füllt. Sei­ne Vor­lie­be für den Weiß­wein be­wahr­te er sich bis ins ho­he Al­ter, auch hier frei­lich ein Mann des Ma­ßes, der gleich­wohl mit Ver­gnü­gen aus Goe­thes be­kann­ter „Wein­pre­dig­t“ des Main­zer Weih­bi­schofs Va­len­tin Hei­mes zi­tie­ren konn­te.

Auch im Pri­va­ten ließ er nie ei­nen Zwei­fel dar­an, wo­für er stand, und setz­te Zu­stim­mung bei den ihm Na­he­ste­hen­den vor­aus. Rep­gen war kein Freund des Du­zens. Das sei ihm wäh­rend des „Drit­ten Rei­ches“ aus­ge­trie­ben wor­den, hat er ein­mal be­merkt, wie ihm über­haupt der Sinn für das Kum­pel­haf­te, dar­in ganz der Or­di­na­ri­us  der „al­ten“ Uni­ver­si­tät, ab­ging. Den­noch hat Rep­gen Freund­schaf­ten ge­pflegt, im Kreis der Bon­ner Stu­den­ten­ver­bin­dung „Ar­mi­ni­a“, mit al­ten Stu­di­en­freun­den und lang­jäh­ri­gen Weg­ge­fähr­ten. Die­ter Al­brecht, Hu­bert Je­din, Ru­dolf Kö­nig, Alois Mer­tes, Paul Mi­kat, Ru­dolf Mor­sey, Kurt Plück sind hier bei­spiels­wei­se zu nen­nen. Der Nach­ruf, den er dem 1985 ver­stor­be­nen Alois Mer­tes ge­wid­met hat, ent­hält viel über ihn selbst.

Der kämp­fe­ri­sche Zug sei­ner ak­ti­ven Jah­re, den sei­ne Schü­ler ein­mal mit dem Her­mann von Mal­linck­rodt zu­ge­schrie­be­nen Wahl­spruch „Etsi om­nes ego non“ cha­rak­te­ri­siert ha­ben, wich nach der Eme­ri­tie­rung all­mäh­lich grö­ße­rer Mil­de und Nach­sicht. Selbst sein häu­fig durch­schei­nen­der Pes­si­mis­mus hin­sicht­lich der Ver­hält­nis­se in Kir­che, Po­li­tik und Ge­sell­schaft trat im Al­ter hin­ter ei­ne fast kind­lich an­mu­ten­de tie­fe Gläu­big­keit zu­rück. In sei­nen klu­gen, boh­ren­den Fra­gen, sei­ner Nüch­tern­heit und sei­nem le­bens­prak­ti­schen Rea­li­täts­sinn blieb er sich da­ge­gen bis zu­letzt gleich. An­lä­ß­lich sei­nes 80. Ge­burts­ta­ges wie­der­hol­te er Dan­kes­wor­te, die er schon zehn Jah­re zu­vor ge­spro­chen hat­te: „Wenn der Rück­blick zeigt, dass al­les Stück­werk war und vie­les un­ge­tan ge­blie­ben ist: dann al­les neh­men, wie es ist, es in Got­tes Hän­de le­gen und ihm über­las­sen.“ In die­ser Ge­sin­nung ist er auch ge­stor­ben und von ei­ner sehr gro­ßen Trau­er­ge­mein­de zur letz­ten Ru­he be­glei­tet wor­den.

Werke (Auswahl)

März­be­we­gung und Mai­wah­len des Re­vo­lu­ti­ons­jah­res 1848 im Rhein­land, Bonn 1955 (=Bon­ner His­to­ri­sche For­schun­gen 4)
Die rö­mi­sche Ku­rie und der west­fä­li­sche Frie­de. Idee und Wirk­lich­keit des Papst­tums im 16. Und 17. Jahr­hun­dert, Bd.1: Papst, Kai­ser und Reich 1521 – 1644. 1. Teil: Dar­stel­lung; 2. Teil: Ana­lek­ten und Re­gis­ter, Tü­bin­gen 1962/65 (=Bi­blio­thek des Deut­schen His­to­ri­schen In­sti­tuts in Rom XXIV und XXV)
Hit­lers Macht­er­grei­fung und der deut­sche Ka­tho­li­zis­mus. Ver­such ei­ner Bi­lanz, Saar­brü­cken 1967  (=Saar­brü­cker Uni­ver­si­täts­re­den 6)
[Hrsg. mit Paul Lei­din­ger] Die Zu­kunft des Fa­ches Ge­schich­te und der Leh­rer­aus­bil­dung in NRW.  Ei­ne Do­ku­men­ta­ti­on, Wa­ren­dorf 1975
[Hrsg.] Die dy­na­mi­sche Ren­te in der Ära Ade­nau­er und heu­te, Stutt­gart-Zü­rich 1978 (=Rhön­dor­fer Ge­sprä­che 1)
[Hrsg. mit Klaus Got­to] Kir­che, Ka­tho­li­ken und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, Mainz 1980
Zwei­te, ver­än­der­te Auf­la­ge un­ter dem Ti­tel „Die Ka­tho­li­ken und das Drit­te Reich“, Mainz 1983
Drit­te, er­wei­ter­te und über­ar­bei­te­te Auf­la­ge „Die Ka­tho­li­ken und das Drit­te Reich“, Mainz 1990
Ka­tho­li­zis­mus und Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Zeit­ge­schicht­li­che In­ter­pre­ta­tio­nen und Pro­ble­me, Köln 1983 (=Kir­che und Ge­sell­schaft 99)
Dia­ri­um Chi­gi 1639-1651. Teil 1: Text, Müns­ter 1984 (=Ac­ta Pa­cis West­fa­li­cae III C 1,1)
[Hrsg.] Hu­bert Je­din: Le­bens­be­richt. Mit ei­nem Do­ku­men­ten­an­hang, Mainz 1984 (=Ver­öf­fent­li­chun­gen der Kom­mis­si­on für Zeit­ge­schich­te, A 35)
Die Leh­rer­aus­bil­dung an der Uni­ver­si­tät Bonn. Ei­ne Denk­schrift, Bonn 1987 (=Po­li­teia. Bon­ner Uni­ver­si­täts­re­den in öf­fent­li­chen Fra­gen 17)
[Hrsg.] Krieg und Po­li­tik 1618-1648. Eu­ro­päi­sche Pro­ble­me und Per­spek­ti­ven. Un­ter Mit­ar­beit von Eli­sa­beth Mül­ler-Luck­ner, Mün­chen 1988 (=Schrif­ten des His­to­ri­schen Kol­legs, Kol­lo­qui­en  8)
Ju­den­po­grom, Ras­sen­ideo­lo­gie und ka­tho­li­sche Kir­che 1938, Köln 1988 (=Kir­che und Ge­sell­schaf­t  152/153)
[Hrsg. mit Ul­rich von Hehl] Der deut­sche Ka­tho­li­zis­mus in der zeit­ge­schicht­li­chen For­schung,  Mainz 1988
[Hrsg. mit Ru­dolf Mor­sey] Chris­ten und Grund­ge­setz, Pa­der­born 1989
[Hrsg. mit Ur­su­la Lehr] Äl­ter-Wer­den: Chan­ce für Mensch und Ge­sell­schaft, Mün­chen 1994  (=Ge­schich­te und Staat, Bd. 306)

Auf­satz­samm­lun­gen
His­to­ri­sche Klopf­si­gna­le für die Ge­gen­wart, Müns­ter 1974
Von der Re­for­ma­ti­on zur Ge­gen­wart. Bei­trä­ge zur Grund­fra­gen der neu­zeit­li­chen Ge­schich­te, hrsg. von Klaus Got­to und Hans Gün­ter Ho­ckerts, Pa­der­born 1988, dar­in S. 349-359 Schrif­ten­ver­zeich­nis Kon­rad Rep­gens
Drei­ßig­jäh­ri­ger Krieg und West­fä­li­scher Frie­de. Stu­di­en und Quel­len, hrsg. von Franz Bos­bach und Chris­toph Kampmann, Pa­der­born 1998 (=Rechts- und Staats­wis­sen­schaft­li­che Ver­öf­fent­li­chun­gen der Gör­res-Ge­sell­schaft, Neue Fol­ge, Bd. 81), dar­in S. 855-877 Schrif­ten­ver­zeich­nis Kon­rad Rep­gens, 3., über­ar­bei­te­te und er­wei­ter­te Auf­la­ge [oh­ne Schrif­ten­ver­zeich­nis] Pa­der­born 2015

Fest­schrif­ten und Lau­da­tio­nes
Mu­nu­s­cu­la. Ver­such ei­ner Fest­schrift für Kon­rad Rep­gen zum 50. Ge­burts­tag, hrsg. von Klaus  Got­to und Hans Gün­ter Ho­ckerts, Bonn: Selbst­ver­lag der Au­to­ren 1973
Po­li­tik und Kon­fes­si­on. Fest­schrift für Kon­rad Rep­gen zum 60. Ge­burts­tag, hrsg. von Die­ter Al­brecht, Hans Gün­ter Ho­ckerts, Paul Mi­kat, Ru­dolf Mor­sey, Ber­lin 1983
Ver­lei­hung der Eh­ren­dok­tor­wür­de an Herrn Pro­fes­sor Dr. Kon­rad Rep­gen, 26. Mai 1995, hrsg. von der Fach­ein­heit Ge­schich­te, Kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Fa­kul­tät, Uni­ver­si­tät Bay­reuth, Bay­reuth 1995
Fünf Jahr­zehn­te Ge­schichts­wis­sen­schaft in Bonn. Kon­rad Rep­gen zum 80. Ge­burts­tag, Bonn 2003  (=Bon­ner Aka­de­mi­sche Re­den 87)

Her­aus­ge­ber Wis­sen­schaft­li­cher Rei­hen
Ac­ta Pa­cis West­fa­li­cae, Müns­ter 1962 – 2002 [bis 1975 ge­mein­sam mit Max Brau­bach] Schrif­ten­rei­he der Ver­ei­ni­gung zur Er­for­schung der Neue­ren Ge­schich­te e.V., Müns­ter 1965-1999
Ver­öf­fent­li­chun­gen der Kom­mis­si­on für Zeit­ge­schich­te, Rei­he A: Quel­len 1-44 [21-30: Mit­her­aus­ge­ber]; Rei­he B: For­schun­gen 1-63 [21-30: Mit­her­aus­ge­ber]

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

von Hehl, Ulrich, Konrad Repgen und die Bonner Geschichtswissenschaft, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/konrad-repgen-und-die-bonner-geschichtswissenschaft/DE-2086/lido/5acb3f8d0be977.54350226 (abgerufen am 14.11.2024)