Konrad Repgen und die Bonner Geschichtswissenschaft
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1. Einleitung
Der am 5.5.1923 in Friedrich-Wilhelms-Hütte (heute Troisdorf) geborene Konrad Repgen hat nahezu sein ganzes Leben, unterbrochen nur durch Kriegsdienst, einen mehrjährigen Forschungsaufenthalt in Rom und ein erstes Ordinariat in Saarbrücken, in Bonn verbracht. Hier hat er das Gymnasium besucht und studiert, hier hat er die akademischen Hürden genommen. An der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität hat er als Inhaber eines der großen Geschichtslehrstühle in Deutschland, als akademischer Lehrer, Geschichtsforscher und Wissenschaftsorganisator, aber auch als deutlich intervenierende Stimme im deutschen Katholizismus oder in den Kontroversen der Historikerzunft seine größten Wirkungen erzielt. In Bonn hat er nach seiner Emeritierung 1988 seinen Wohnsitz behalten; hier ist er hochbetagt, doch bis zuletzt geistig rege, am 2.4.2017 verstorben und auf dem Neuen Friedhof in Ippendorf beigesetzt worden.
2. Jugendjahre und akademischer Werdegang
Konrad Repgen hat zuweilen damit kokettiert, „kleiner Leute Kind“ gewesen zu sein, aber zugleich auf die Grundüberzeugung seiner Eltern verwiesen, dass sozialer Aufstieg sich nur über Bildung vollziehen könne. Was dem Vater, einem 1933 von den Nationalsozialisten entlassenen, autodidaktisch hochgebildeten Volksschulrektor und Zentrumsmitglied, sowie der nach dem Urteil des Sohnes „frommen“ und „willensstarken“ Mutter verwehrt geblieben war, sollte den Söhnen ermöglicht werden: Der Besuch eines humanistischen Gymnasiums und ein anschließendes Universitätsstudium. Hierfür nahmen Repgens Eltern viele Einschränkungen auf sich, und die Söhne haben es ihnen gedankt. „Was Armut und Not konkret bedeuten, brauchte ich nicht […] aus theoretischen Schriften zu lernen“ hat Repgen rückblickend bekannt und damit auf die verheerenden Folgen der Weltwirtschaftskrise für die Arbeiterbevölkerung seines Heimatortes angespielt. 1941 legte er am Bonner Beethoven-Gymnasium das Abitur ab. Seiner Schule hat er im Nachhinein attestiert, ihren Zöglingen das Wichtigste beigebracht zu haben, was eine Schule überhaupt vermitteln kann: „Wir lernten das Lernen, das Denken und das Formulieren.“ Der anschließende Kriegsdienst an der Ostfront, in dessen Verlauf sein älterer Bruder fiel, war „das entscheidende Schicksal [seiner] Jugendjahre“. In einem Brief hat er kurz nach dem Zusammenbruch 1945 gemeint: „Wir alle sind Schiffbrüchige“.
Für ihn stand daher als politische Grundüberzeugung dreierlei fest: Erstens darf sich ein „Drittes Reich“ nie wiederholen. Zweitens interpretierte er es, übrigens ganz auf der Linie der frühen kirchlichen „Vergangenheitsbewältigung“, als eine „Konseqenz der Entchristlichung der Welt“ und drittens leitete er daraus die Schlussfolgerung ab, dass künftig in einem demokratischen Rechtsstaat eine „Politik aus christlicher Verantwortung“ betrieben werden müsse, also gestützt auf die Werte, „die sich uns im Inferno des Krieges als dauerhaft und richtig erwiesen haben“. „So dachten wir damals“, fügt der spätere Historiker hinzu.
Von 1945 bis 1950 studierte Repgen an der Universität Bonn Geschichte, Germanistik und lateinische Philologie. Zu seinen prägenden Lehrern zählte vor allem Max Braubach, „eine Persönlichkeit von untadeligem Charakter und großer moralischer Autorität“, der zu den wenigen Universitätshistorikern zählte, die, so Repgen in seinem Nachruf, im „Dritten Reich“ „den Baalen nicht geopfert“ hatten. Für Braubach gilt, was Repgen auch dem Bonner Kirchenhistoriker Hubert Jedin bescheinigt hat: „Er näherte sich den Problemen nicht durch spekulierendes Grübeln, sondern durch konkretes An- und Hinschauen: Fakten und Tatsachen zählten, nicht Wünsche. Das sind gute Vorbedingungen für einen Historiker.“ In seinem wissenschaftlichen Urteil sei Braubach „von unbestechlicher Nüchternheit“ gewesen, ein fruchtbarer Autor und „erfolgreicher akademischer Lehrer“, allesamt Eigenschaften, die den jungen Studenten und späteren Assistenten Braubachs nachhaltig prägten. Braubach war es auch, der ihn 1950 mit der Dissertation „Märzbewegung und Maiwahlen. Vorstudien zu einer Untersuchung über das rheinische Volk und die Paulskirche“ zum Dr. der Philosophie promovierte. In der Verknüpfung von historischer Wahlanalyse mit dem, was man später Alltags- oder „Geschichte von unten“ nennen wird, bietet die Studie ein frühes Beispiel innovativer Vorgehensweise, wie sie damals wegweisend in der (rheinischen) Landesgeschichtsforschung praktiziert wurde. Die Arbeit erschien 1955 leicht gekürzt in den „Bonner Historischen Forschungen“.
In den Jahren 1950 bis 1952 bot das Amt des Generalsekretärs der Katholischen Deutschen Studenten-Einigung Repgen die Möglichkeit zu (bescheidenem) Broterwerb. Die Tätigkeit zeigt aber auch, dass er sich nie als Nur-Wissenschaftler verstand, sondern politisch-gesellschaftliches Engagement und ein zwar kritisches, aber lebenslang praktiziertes sentire cum ecclesia als Aufgabe seiner Generation verstand. Wiederholt hat er über die tiefen Prägungen gesprochen, die er wie viele seiner Kommilitonen dem Bonner Studentenseelsorger Dr. Josef Steinberg (1904-1981) verdankten. Eben damals wurden die Grundlagen für seine Überzeugung von den Aufgaben des Christen in der Gesellschaft gelegt. Der Achtzigjährige hat es auf die Formel gebracht: „Tägliches und effizientes Praktizieren der gewaltenteilig organisierten parlamentarischen Demokratie in einem Rechtsstaat, der seine Sozialverpflichtungen, soweit das möglich ist, einlöst und der (im Unterschied zu Weimar) wertegebunden bleibt, das war und das ist die eigentliche und die beste Bewältigung der Vergangenheit durch die Deutschen“.
1952 bot ein Forschungsstipendium am Römischen Institut der Görres-Gesellschaft die Möglichkeit, in die Wissenschaft zurückzukehren. Im Folgejahr wurde Repgen Wissenschaftlicher Assistent am Deutschen Historischen Institut in Rom. Durch intensive Archiv-Studien im Vatikanischen Geheimarchiv bereitete er sein opus magnum „Die römische Kurie und der westfälische Friede. Idee und Wirklichkeit des Papsttums im 16. und 17. Jahrhundert“ vor, mit dem er sich 1958, inzwischen als Wissenschaftlicher Assistent Max Braubachs nach Bonn zurückgekehrt, für Mittelalterliche und Neuere Geschichte habilitierte. Die zweibändige Druckfassung erschien 1962/65 in der Schriftenreihe des Deutschen Historischen Instituts in Rom. Die Themenwahl zeigt bereits, dass Repgen den Gesamtbereich der Neueren Geschichte als Einheit sah, er also die Jahrhunderte „von der Reformation zur Gegenwart“, wie 1988 eine Sammlung seiner Aufsätze betitelt wurde, gleichermaßen in Forschung und Lehre behandelte. Diesen Spagat, eine schon arbeitsökonomisch beispielhafte intellektuelle Herausforderung, hielt Repgen sein Leben lang bei. In Zeiten rasch zunehmender wissenschaftlicher Spezialisierung war er damit eine Ausnahmeerscheinung. 1962 wurde er als Ordentlicher Professor der Neueren und Neuesten Geschichte an die neuerrichtete Universität des Saarlands berufen. Seine Antrittsvorlesung „Hitlers Machtergreifung und der deutsche Katholizismus“, ein damals unerhört aktuelles Thema, markiert einen weiteren Schwerpunkt künftiger Forschungen. 1967 kehrte Repgen als Nachfolger seines Lehrers Max Braubach nach Bonn zurück und hielt seiner Heimatuniversität bis zur Emeritierung 1988 die Treue.
3. Akademischer Lehrer, Forscher, Wissenschaftsorganisator
Konrad Repgen war als akademischer Lehrer ungemein erfolgreich. Seine Vorlesungen, in der Regel sehr früh morgens am heimischen Schreibtisch entworfen, fesselten durch ihre Lebendigkeit, ihren inhaltlichen Reichtum und ihren freien, höchst anschaulichen Vortrag. Seine Seminare, für welche die Hausarbeiten bereits vor Beginn des Semesters angefertigt werden mußten, waren stets gründlich vorbereitet. Von welchem Professor hätte man das immer behaupten können? Repgen galt als „schwer“; seine bohrenden Fragen waren gefürchtet. Man konnte bei manchen seiner Kollegen „leichter“ zu einem Schein kommen. Er forderte viel, förderte aber auch, wann immer er das Bemühen sah, dem Verlangten nach besten Kräften zu entsprechen. So haben zahllose Lehramtsanwärter bei ihm ihr Staatsexamen abgelegt und viele die in den 1970er Jahren allmählich in Mode kommende Magister-Prüfung absolviert. Ein besonders enges Verhältnis entwickelte Repgen zu seinen Doktoranden. Rund fünfzig hat er erfolgreich promoviert und vielen durch seine Empfehlung und dank eines weitreichenden Beziehungsnetzes zu ihrer beruflichen Anstellung verholfen. Ihr Fortkommen freute ihn noch in späteren Jahren. Wer ihn um Rat fragte, profitierte von einer bei Geisteswissenschaftlern eher seltenen nüchternen Lebensklugheit. Neun seiner „Schüler“ hat er darüber hinaus zur Habilitation geführt. Bei drei weiteren Kandidaten hat er die Habilitation vertreten, ohne ihr Doktorvater gewesen zu sein. Von ihnen sind wiederum neun auf Lehrstühle gelangt.
Diese gleichsam „familiäre“ Seite des akademischen Lehrers haben manche seiner Schüler als vorbildlich empfunden und sich ihrerseits an ihr orientiert. Sie geriet jedoch unter Ideologieverdacht, als die Wogen der studentischen Protestbewegung 1972 die Universität Bonn erreichten. Als streitbarer, prononciert konservativer Gelehrter, der die Universität gegen ihre Verächter zu verteidigen entschlossen war, zog Repgen den Zorn der Krakeeler in besonderem Maße auf sich. Er zählte zu den wenigen Professoren, die dem Rabaukentum mutig und offensiv entgegentraten. Folgerichtig gehörte er auch zu den engagiertesten Mitgliedern im Bund Freiheit der Wissenschaft. Sein Versuch, den Widerstand gegen ein würdeloses Zurückweichen vor gewalttätigem Veränderungsbegehren auf ein breiteres Fundament zu stellen, stieß freilich an deutliche Grenzen, die sich aus naiver Gleichgültigkeit, dem unpolitischen Sinn oder auch der Feigheit allzuvieler Professoren ergaben. Seine Haltung imponierte denjenigen Studierenden, die sich über allen Aufgeregtheiten des Tages Sinn und Verstand bewahrt hatten, selbst wenn sie nicht jede seiner Positionen teilen mochten. Unter ihnen ging damals das Wort um, es gebe nur zwei Männer am Historischen Seminar: Konrad Repgen und – Edith Ennen, die Ordinaria für Rheinische Landesgeschichte.
Für das damalige Klima ist ein Vorgang bezeichnend, der als „ Bonner Fenstersturz“ bekannt geworden ist: Als gelegentlich der Sprengung einer Fakultätssitzung im Hörsaal XVII sich ein bekannter, schwergewichtiger Germanist auf das Heine-Wort besann: „Leben bleiben, wie das Sterben für das Vaterland ist süß“ und sich, um das Weite zu suchen, mit Hilfe seiner Assistenten durch ein Fenster in den Hofgarten hinunterheben ließ, verständigten sich Konrad Repgen und Karl Dietrich Bracher darauf, das „Lokal“ durch die gleiche Öffnung zu verlassen, durch die sie es auch betreten hatten, nämlich nach einer Art Spießrutenlauf, vorbei an der aufgebrachten Menge, durch die Tür. Dass besagter Germanist dem Haupträdelsführer der Krawalle auch noch zu einem Promotionsstipendium verhalf, nahm Repgen mit Sarkasmus zur Kenntnis. Der Zufall wollte es, dass er fünfzehn Jahre später als Dekan der Philosophischen Fakultät bei der Akademischen Trauerfeier für den verstorbenen Germanisten die Gedenkansprache halten mußte. Er meisterte diese Aufgabe mit Bravour, indem er sich nobel, aber doch deutlich über die „konvulsivischen Zuckungen“ jener Jahre verbreitete, die den unpolitisch-unkämpferischen Gelehrten überfordert hätten.
Repgens Vorstellungen von den Aufgaben eines akademischen Lehrers entsprach es auch, gegen Zumutungen der Politik zu Felde zu ziehen, so 1974/75, als das Düsseldorfer Kultusministerium per Erlaß die Prüfung angehender Geschichtslehrer auf die historischen Epochen seit der Französischen Revolution beschränken wollte und Repgen demgegenüber auf der „ganzen Geschichte“ bestand. Und noch kurz vor seinem Ausscheiden verteidigte er in einer Denkschrift die „Lehrerausbildung an der Universität Bonn“. Denn eines hatte ihn nicht zuletzt das Erleben der 68er-Bewegung gelehrt: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. In der Forschung sind seine Schwerpunkte, freilich in deutlicher thematischer und perspektivischer Ausweitung, aus seinen Qualifikationsschriften erwachsen. Das gilt zunächst für Repgens lebenslange Beschäftigung mit dem Dreißigjährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden, die er in ihren gesamteuropäischen Dimensionen und unter den mannigfaltigsten Fragestellungen und Betrachtungswinkeln wieder und wieder untersucht hat. Eine 2015 in dritter Auflage erschienene, nahezu 1200 Seiten umfassende Sammlung seiner einschlägigen Beiträge zeigt ihn als einen der profundesten Kenner der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Mit Untersuchungen wie „Kriegslegitimationen in Alteuropa. Entwurf einer historischen Typologie“ (1985), „Der Westfälische Friede und die Ursprünge des europäischen Gleichgewichts“ (1986) oder dem Beitrag „Was ist ein Religionskrieg?“ (1986, englische Fassung 1987) hat er die Forschung stark befruchtet. Da eine von Repgen beabsichtigte Gesamtdarstellung des Dreißigjährigen Krieges nicht erschienen ist, wird man diesen Sammelband als Ersatz zu werten haben. Er enthält auch Repgens mit Recht gerühmten großen Lexikonartikel „Dreißigjähriger Krieg“ aus der Theologischen Realenzyklopädie, der das Geschehen in meisterlicher Weise skizziert.
Kirche und Papsttum als innerweltlich-politische Handlungsinstanzen sowie der sich im revolutionären Vormärz herausbildende politische Katholizismus in Deutschland sind ein zweites, weit ausgreifendes Forschungsfeld, dem Repgen sich lebenslang zugewandt hat. Auch hier ist der breite zeitliche Ansatz kennzeichnend: Die Wahrnehmung von Kaiser und Reich durch das Papsttum des Reformationszeitalters tritt ebenso in den Blick wie das (Kölner) Bischofsamt „zwischen Reformation, katholischer Reform und Konfessionsbildung“ oder die Außenpolitik der Päpste im Zeitalter der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Durch die geographische wie zeitliche Ausweitung seiner Fragestellungen vermied Repgen die Enge einer deutschen Nabelschau, wenngleich zu Beginn der 1960er Jahre die Erforschung des Verhältnisses von Kirche und Nationalsozialismus gebieterisch in den Vordergrund drängte. Auf einer mit dem Zentrumsforscher Rudolf Morsey initiierten Klausurtagung „Die deutschen Katholiken und das Schicksal der Weimarer Republik“, die am 8./9.5.1961 in Würzburg stattfand und unter anderem die Zustimmung der Zentrumspartei zu Hitlers Ermächtigungsgesetz thematisierte, widersprach er vehement den Bedenken älterer Zeitzeugen „mit der Forderung, die Wahrheit müsse ans Licht“. Die Entstehungsgeschichte des Reichskonkordats hat ihn in den1970er und 80er Jahren wiederholt beschäftigt, eine 1977/78 darüber mit dem evangelischen Kirchenhistoriker Klaus Scholder (1930-1985) ausgetragene wissenschaftliche Kontroverse hat ihn weit über den engeren Kreis der Fachgelehrten bekannt gemacht. Erst unlängst ist seine Sicht nach Offenlegung der vatikanischen Akten eindrucksvoll bestätigt worden. Nicht um Plausibilitäten, sondern um den Nachweis von Fakten ging es ihm, wie hier, so auch anderswo, sei es, dass er das allgemein unterstellte Verbot der KPD im Jahre 1933 als Legende entlarvte, den von den „Bielefeldern“ entfachten „Methodenstreit“ als „Richtungskampf“ interpretierte oder das vielzitierte Ranke-Wort „Bloß sagen, wie es eigentlich gewesen“ als Thukydides-Zitat „ohne Anführungszeichen“ nachwies. An dem mit vergifteten Pfeilen geführten „Historikerstreit“ hat er sich lediglich mit einem noblen Resümee beteiligt und darauf aufmerksam gemacht, dass es darin „weniger um Historisches als um Metahistorisches, […] um die Normen unserer Gesellschaft“ gegangen sei.
Im Unterschied zu den meisten Universitätshistorikern hat Konrad Repgen das harte Brot der Erschließung und Edierung von Quellen nie gescheut. Sein gelegentliches Wort, die Geschichtswissenschaft legitimiere sich durch „kontrollierbare Leistungen und nicht durch noch so überzeugende Programme“ bezog sich ausdrücklich auf das Kärrnergeschäft des Editors.
Hier nun tritt uns der Wissenschaftsorganisator entgegen. Schon 1957, damals noch Assistent Max Braubachs, hat er eine Denkschrift „Über eine Ausgabe der wichtigeren Quellen zur Geschichte des Westfälischen Friedens“ vorgelegt. Sie führte noch im gleichen Jahr zur Gründung der „Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte“ (VENG), einem drittmittelgeförderten Langzeitunternehmen, das die zentralen Quellenbestände der großen internationalen Friedensschlüsse von 1648, 1815 und 1919 zu erschließen und zu edieren sucht und begleitende Forschungsarbeiten anregt. 1962 konnte der erste Band der Acta Pacis Westfalicae (APW) erscheinen, mehr als ein halbes Hundert sind ihm seither unter Repgens verantwortlicher Herausgeberschaft gefolgt. Von 1958 bis 2002 hat er die Vereinigung geleitet, zunächst als Sekretar, seit 1976 als Vorsitzender. In den APW „bündelt sich beispielhaft seine den nachprüfbaren Quellen verpflichtete Forschungsarbeit“, und zahlreiche seiner Schüler hat er für diese Aufgabe oder für monographische Untersuchungen gewinnen können.
Aus Repgens zweitem Interessenfeld, der Katholizismusforschung, ist gleichfalls eine der VENG vergleichbare Forschungseinrichtung erwachsen, die 1962 im engen Benehmen mit Karl Forster (1928-1981) und Rudolf Morsey gegründete Kommission für Zeitgeschichte, welche die politische und soziale Wirksamkeit des deutschen Katholizismus im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert erforscht. Sie ressortierte zunächst bei der Katholischen Akademie in Bayern, seit 1972 in der Rechtsform eines e.V. in Bonn, wo sie auch ihre Forschungsstelle unterhält. Mit kurzer Unterbrechung war Repgen von 1962 bis 1993 ihr Vorsitzender und hat im Team mit Rudolf Morsey und Dieter Albrecht (1927-1999) über Jahrzehnte eine überaus reiche, 42 dickleibige Bände umfassende Editionstätigkeit verantwortet und noch zahlreichere Spezialstudien angeregt. Den Quellenpublikationen hat ein unverdächtiger Kritiker bescheinigt, „nach Umfang, Reichtum und editorischer Qualität kaum einen Vergleich in der Zeitgeschichte“ zu haben. Thematisch konzentrierten sich die Forschungen lange auf das Verhältnis von Kirche und „Drittem Reich“, das seit den 1960er Jahren im Mittelpunkt des Interesses stand. Nicht zuletzt Rolf Hochhuths Theaterstück „Der Stellvertreter“ von 1963 hatte drängende Fragen aufgeworfen, die nach historisch vertretbaren Antworten verlangten, aber die Erschließung von Quellen zur Voraussetzung hatten. Die Neukonstituierung der Kommission für Zeitgeschichte in Bonn hat dann verstärkt den Blick auf die Nachkriegsentwicklung des deutschen Katholizismus gelenkt, angesichts der Erosion alles Kirchlichen Repgen freilich aber auch zu der resignativen Einschätzung geführt, man habe bald „eine große Bibliographie des Katholizismus, aber keinen Katholizismus mehr“.
Konrad Repgen hat für sein Wirken hohe Anerkennung erfahren. Die Ernennung zum Ritter (1980) bzw. Komtur des Gregorius-Ordens (1989) würdigte seine Verdienste um die Katholizismusforschung, das Große Bundesverdienstkreuz sein gesamtes gesellschaftliches und wissenschaftliches Engagement, der Historiker-Preis der Stadt Münster (1998) den Geschichtsschreiber des Westfälischen Friedens. Zahlreiche Gelehrte Gesellschaften haben sich seiner Mitwirkung versichert, die Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, die Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die Beiräte des Instituts für Zeitgeschichte und des Trienter Historischen Instituts für deutsch-italienische Beziehungen, der Vorstand der Görres-Gesellschaft, um nur diese zu nennen. Repgen war ordentliches Mitglied der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Corresponding Fellow der British Academy, London. 1975/76 war er Visiting Fellow am St. Antony´s College in Oxford/England, 1983/84 Stipendiat des Historischen Kollegs, München, 1991 Gastdozent an der Martin-Luther-Universität, Halle/Saale. 1995 verlieh ihm die Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth die Ehrendoktorwürde.
4. Persönlichkeit und Privatleben
Konrad Repgen war nicht nur nach familiärer Herkunft, sondern auch nach Mentalität und Überzeugung ein Sohn des Rheinlands, freilich nicht von der Sorte, die ihr Herz auf der Zunge trägt und die fünfte Jahreszeit im kollektiven Ausnahmezustand verlebt. Sein Humor entfaltete sich nicht auf der Straße, sondern im vertrauten, geselligen Kreis, unter Freunden und guten Bekannten. So konnte er etwa in der gelösten Stimmung eines Postseminars im Bonner „Salvator“ über die Feinheiten des rheinischen Hochdeutschen aufklären. Es heiße eben nicht, ich bin größer wie du, sondern größer als wie du. „Lakonie und Ironie“ in bezeichnend „rheinischer Tonmischung“ hat man ihm attestiert. Ein den Rheinländern häufig nachgesagtes Harmoniebedürfnis war ihm dagegen fremd. Wenn es um die Sache ging, war er streitbar und prinzipienfest, bestand auf klarer Gedankenführung und logisch nachvollziehbaren Urteilen. Unzählige Briefe hat er bei Meinungsverschiedenheiten geschrieben, auch den Führern der Kirche keine unbequemen Wahrheiten erspart. Ebenso scheute er sich nicht, auf dem Podium das Wort zu ergreifen. Ihm war bewußt, dass Wirkung nur durch „beharrlichen öffentlichen Widerspruch“ zu erreichen war, in der Wissenschaft ebenso wie in Kirche, Gesellschaft und Politik. Seine auf christlichen Wertvorstellungen basierende Haltung war im Elternhaus grundgelegt und durch das Kriegserlebnis gefestigt worden. Sie hatte sich in schwierigster Zeit als tragfähig erwiesen. Ihr blieb er bis an sein Lebensende treu. Dass sie ihm seit den späten 1960er Jahren bei den rasch wechselnden Moden und Erscheinungen des Zeitgeistes den Ruf des Konservativ-Reaktionären einbrachte, nahm er gelassen. Der gleiche Vorwurf war ihm schon während des „Dritten Reiches“ begegnet, hatte doch auch der Nationalsozialismus das Prinzip des Fortschritts für sich reklamiert, ohne nach dessen Verlustgeschichte zu fragen.
Repgen hat zeitlebens ein ungeheures Arbeitspensum bewältigt, das auf Kosten von Freizeit und Familienleben ging. Ohne seine Frau Everde, geb. Brüning, mit der er seit 1957 eine glückliche Ehe führte, wäre das nicht möglich gewesen. Mit ihrer Klugheit, Freundlichkeit und ruhigen Ausgeglichenheit hat sie ihm für Vieles den Rücken freigehalten, gerade auch in schweren Zeiten, als die Auswüchse der 68er-Bewegung Bonn erreicht hatten. Das Ehepaar hat sechs Kinder. Für sie weniger Zeit gehabt zu haben als der eigene Vater für ihn, hat er öffentlich bekannt. Aber da sein Hauptarbeitsplatz der häusliche Schreibtisch war, war er nach dem Zeugnis seines ältesten Sohnes „immer da. Er wirkte durch Präsenz“, stand also zur Verfügung, wenn guter Rat bei wichtigen Entscheidungen nötig war. Davon profitierten auch zahlreiche seiner Schüler, die zum „engeren Kreis“ gehörten. Repgen führte ein gastfreies Haus; Küche und Keller waren stets gut gefüllt. Seine Vorliebe für den Weißwein bewahrte er sich bis ins hohe Alter, auch hier freilich ein Mann des Maßes, der gleichwohl mit Vergnügen aus Goethes bekannter „Weinpredigt“ des Mainzer Weihbischofs Valentin Heimes zitieren konnte.
Auch im Privaten ließ er nie einen Zweifel daran, wofür er stand, und setzte Zustimmung bei den ihm Nahestehenden voraus. Repgen war kein Freund des Duzens. Das sei ihm während des „Dritten Reiches“ ausgetrieben worden, hat er einmal bemerkt, wie ihm überhaupt der Sinn für das Kumpelhafte, darin ganz der Ordinarius der „alten“ Universität, abging. Dennoch hat Repgen Freundschaften gepflegt, im Kreis der Bonner Studentenverbindung „Arminia“, mit alten Studienfreunden und langjährigen Weggefährten. Dieter Albrecht, Hubert Jedin, Rudolf König, Alois Mertes, Paul Mikat, Rudolf Morsey, Kurt Plück sind hier beispielsweise zu nennen. Der Nachruf, den er dem 1985 verstorbenen Alois Mertes gewidmet hat, enthält viel über ihn selbst.
Der kämpferische Zug seiner aktiven Jahre, den seine Schüler einmal mit dem Hermann von Mallinckrodt zugeschriebenen Wahlspruch „Etsi omnes ego non“ charakterisiert haben, wich nach der Emeritierung allmählich größerer Milde und Nachsicht. Selbst sein häufig durchscheinender Pessimismus hinsichtlich der Verhältnisse in Kirche, Politik und Gesellschaft trat im Alter hinter eine fast kindlich anmutende tiefe Gläubigkeit zurück. In seinen klugen, bohrenden Fragen, seiner Nüchternheit und seinem lebenspraktischen Realitätssinn blieb er sich dagegen bis zuletzt gleich. Anläßlich seines 80. Geburtstages wiederholte er Dankesworte, die er schon zehn Jahre zuvor gesprochen hatte: „Wenn der Rückblick zeigt, dass alles Stückwerk war und vieles ungetan geblieben ist: dann alles nehmen, wie es ist, es in Gottes Hände legen und ihm überlassen.“ In dieser Gesinnung ist er auch gestorben und von einer sehr großen Trauergemeinde zur letzten Ruhe begleitet worden.
Werke (Auswahl)
Märzbewegung und Maiwahlen des Revolutionsjahres 1848 im Rheinland, Bonn 1955 (=Bonner Historische Forschungen 4)
Die römische Kurie und der westfälische Friede. Idee und Wirklichkeit des Papsttums im 16. Und 17. Jahrhundert, Bd.1: Papst, Kaiser und Reich 1521 – 1644. 1. Teil: Darstellung; 2. Teil: Analekten und Register, Tübingen 1962/65 (=Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom XXIV und XXV)
Hitlers Machtergreifung und der deutsche Katholizismus. Versuch einer Bilanz, Saarbrücken 1967 (=Saarbrücker Universitätsreden 6)
[Hrsg. mit Paul Leidinger] Die Zukunft des Faches Geschichte und der Lehrerausbildung in NRW. Eine Dokumentation, Warendorf 1975
[Hrsg.] Die dynamische Rente in der Ära Adenauer und heute, Stuttgart-Zürich 1978 (=Rhöndorfer Gespräche 1)
[Hrsg. mit Klaus Gotto] Kirche, Katholiken und Nationalsozialismus, Mainz 1980
Zweite, veränderte Auflage unter dem Titel „Die Katholiken und das Dritte Reich“, Mainz 1983
Dritte, erweiterte und überarbeitete Auflage „Die Katholiken und das Dritte Reich“, Mainz 1990
Katholizismus und Nationalsozialismus. Zeitgeschichtliche Interpretationen und Probleme, Köln 1983 (=Kirche und Gesellschaft 99)
Diarium Chigi 1639-1651. Teil 1: Text, Münster 1984 (=Acta Pacis Westfalicae III C 1,1)
[Hrsg.] Hubert Jedin: Lebensbericht. Mit einem Dokumentenanhang, Mainz 1984 (=Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, A 35)
Die Lehrerausbildung an der Universität Bonn. Eine Denkschrift, Bonn 1987 (=Politeia. Bonner Universitätsreden in öffentlichen Fragen 17)
[Hrsg.] Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven. Unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner, München 1988 (=Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 8)
Judenpogrom, Rassenideologie und katholische Kirche 1938, Köln 1988 (=Kirche und Gesellschaft 152/153)
[Hrsg. mit Ulrich von Hehl] Der deutsche Katholizismus in der zeitgeschichtlichen Forschung, Mainz 1988
[Hrsg. mit Rudolf Morsey] Christen und Grundgesetz, Paderborn 1989
[Hrsg. mit Ursula Lehr] Älter-Werden: Chance für Mensch und Gesellschaft, München 1994 (=Geschichte und Staat, Bd. 306)
Aufsatzsammlungen
Historische Klopfsignale für die Gegenwart, Münster 1974
Von der Reformation zur Gegenwart. Beiträge zur Grundfragen der neuzeitlichen Geschichte, hrsg. von Klaus Gotto und Hans Günter Hockerts, Paderborn 1988, darin S. 349-359 Schriftenverzeichnis Konrad Repgens
Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hrsg. von Franz Bosbach und Christoph Kampmann, Paderborn 1998 (=Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, Neue Folge, Bd. 81), darin S. 855-877 Schriftenverzeichnis Konrad Repgens, 3., überarbeitete und erweiterte Auflage [ohne Schriftenverzeichnis] Paderborn 2015
Festschriften und Laudationes
Munuscula. Versuch einer Festschrift für Konrad Repgen zum 50. Geburtstag, hrsg. von Klaus Gotto und Hans Günter Hockerts, Bonn: Selbstverlag der Autoren 1973
Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, hrsg. von Dieter Albrecht, Hans Günter Hockerts, Paul Mikat, Rudolf Morsey, Berlin 1983
Verleihung der Ehrendoktorwürde an Herrn Professor Dr. Konrad Repgen, 26. Mai 1995, hrsg. von der Facheinheit Geschichte, Kulturwissenschaftliche Fakultät, Universität Bayreuth, Bayreuth 1995
Fünf Jahrzehnte Geschichtswissenschaft in Bonn. Konrad Repgen zum 80. Geburtstag, Bonn 2003 (=Bonner Akademische Reden 87)
Herausgeber Wissenschaftlicher Reihen
Acta Pacis Westfalicae, Münster 1962 – 2002 [bis 1975 gemeinsam mit Max Braubach] Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V., Münster 1965-1999
Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen 1-44 [21-30: Mitherausgeber]; Reihe B: Forschungen 1-63 [21-30: Mitherausgeber]
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von Hehl, Ulrich, Konrad Repgen und die Bonner Geschichtswissenschaft, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/konrad-repgen-und-die-bonner-geschichtswissenschaft/DE-2086/lido/5acb3f8d0be977.54350226 (abgerufen am 14.11.2024)