Matthias Zenders Sagensammlung, der Eifelverein, das Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde und die „Westforschung“

Wolfgang Schmid (Winningen)

Umschlag der im Geistkirch-Verlag erschienenen Neuausgabe 'Sagen und Geschichten aus der Westeifel', 2013.

1. Prolog

Nie­mand konn­te im Jah­re 1935 ah­nen, dass das Erst­lings­werk ei­nes Bon­ner Dok­to­ran­den über die Sa­gen­welt sei­ner Ei­fel­hei­mat zu ei­nem Best­sel­ler wer­den soll­te. Die Ma­te­ri­al­samm­lung zu sei­ner Dis­ser­ta­ti­on  er­schien 1935 un­ter dem Ti­tel „Volks­sa­gen der West­ei­fel“ mit ei­nem Um­fang von 272 Druck­sei­ten. 1966 kam, jetzt un­ter dem Ti­tel „Sa­gen und Ge­schich­ten aus der West­ei­fel“, ei­ne mit 656 Druck­sei­ten dop­pelt so um­fang­rei­che Neu­auf­la­ge auf den Markt. Sie ver­kauf­te sich gut, denn 1980 und 1986 er­schie­nen zwei wei­te­re Aus­ga­ben, die seit Jah­ren ver­grif­fen sind. 2013 er­schien un­ter dem eta­blier­ten Ti­tel „Sa­gen und Ge­schich­ten aus der West­ei­fel“ ei­ne Neu­aus­ga­be im Um­fang von 688 Sei­ten.[1]

Es geht im Rah­men die­ser Stu­die um wis­sen­schaft­li­che Netz­wer­ke. Es geht um ei­ne Dis­ser­ta­ti­on, um ei­ne Samm­lung von Sa­gen und Mär­chen, die ein jun­ger Mann in sei­ner Ei­fel­hei­mat zu­sam­men­trug. Sie ent­stand an dem 1920 neu ge­grün­de­ten In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de, das am wis­sen­schaft­li­chen Aus­tausch nicht nur mit den Fach­kol­le­gen, son­dern auch mit ei­nem gro­ßen und in­ter­es­sier­ten Kreis von Leh­rern, Pfar­rern und Hei­mat­for­schern in­ter­es­siert war. Die Dis­ser­ta­ti­on war nicht nur ein­ge­bun­den in die Ar­beit an ei­nem fä­cher­über­grei­fend ar­bei­ten­den In­sti­tut, das sich in den Jah­ren nach sei­ner Grün­dung in ei­ner Auf­bruchs­stim­mung be­fand, son­dern auch in die jahr­zehn­te­lan­ge Kärr­ner­ar­beit am „Rhei­ni­schen Wör­ter­buch.“ Ein wei­te­rer wich­ti­ger Part­ner der Sa­gen­samm­lung war der Ei­fel­ver­ein, der sich ne­ben dem Wan­dern und der tou­ris­ti­schen Er­schlie­ßung der Ei­fel auch de­ren wis­sen­schaft­li­che Er­for­schung auf sei­ne Fah­nen ge­schrie­ben hat­te. Der Ver­ein grün­de­te in den 1920er Jah­ren in May­en ein Mu­se­um und ei­ne Bi­blio­thek, gab Bü­cher her­aus und öff­ne­te das Ei­fel­ver­eins­blatt und den Ei­fel­ka­len­der auch Fach­wis­sen­schaft­lern, die The­men der Geo­lo­gie, Flo­ra und Fau­na, Kir­chen- und Kunst­ge­schich­te, Lan­des­ge­schich­te und Volks­kun­de ei­nem brei­ten Pu­bli­kum ver­mit­tel­ten. Der Vor­sit­zen­de des Ei­fel­ver­eins, Karl Leo­pold Kauf­mann (1863-1944), stand in en­ger Ver­bin­dung mit dem Di­rek­tor des Bon­ner In­sti­tuts, Franz Stein­bach, or­ga­ni­sier­te und be­such­te lan­des­kund­li­che Ta­gun­gen und ver­öf­fent­lich­te zahl­rei­che lan­des­kund­li­che Auf­sät­ze und Bü­cher.

Drei Jah­re nach dem Be­ginn des Sa­gen­pro­jekts kam das ver­häng­nis­vol­le Jahr 1933. Was folgt, ist ei­ne Ge­schich­te von Blau­äu­gig­keit, Nai­vi­tät, Be­geis­te­rung, Ent­de­cker­freu­de, Sen­dungs­be­wusst­sein, ei­ner ge­hö­ri­gen Por­ti­on Op­por­tu­nis­mus, dem Wunsch nach ei­ner Kar­rie­re oder zu­min­dest des Ver­suchs, zu Über­le­ben. Was die so­ge­nann­te „West­for­scher“ seit den 1920er Jah­ren über das El­sass, das Saar­land, Lu­xem­burg, Eu­pen-Malme­dy, die deutsch­spra­chi­ge Ge­gend um Ar­lon oder die Nie­der­lan­de her­aus­ge­fun­den zu ha­ben glaub­ten, füg­te sich wun­der­bar in die po­li­ti­schen Plä­ne der neu­en Macht­ha­ber. Es bot sich die Aus­sicht auf For­schungs­mit­tel, Sti­pen­di­en, As­sis­ten­ten­stel­len und Lehr­stüh­le, neue Auf­ga­ben wie Pro­jek­te, Pu­bli­ka­tio­nen und Aus­stel­lun­gen oder we­nigs­tens ei­ne UK-Stel­lung im Krieg. Oh­ne dass man im Ein­zel­fall die push- und pull-Fak­to­ren aus­ein­an­der­di­vi­die­ren kann: Ei­ne gan­ze Ge­ne­ra­ti­on von Wis­sen­schaft­lern wur­de zu gut ge­öl­ten Räd­chen in der Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­ti­on des „Drit­ten Reichs“, die zum Teil schon un­mit­tel­bar nach Kriegs­be­ginn (Lu­xem­burg), zum Teil aber erst nach dem „End­sie­g“ ei­ne Neu­ord­nung Eu­ro­pas recht­fer­ti­gen soll­te.

Ein wei­te­res Räd­chen in die­sem Sys­tem war der Ei­fel­ver­ein. Auf­grund sei­ner Tra­di­ti­on ver­ei­nig­te er über­wie­gend An­ge­hö­ri­ge der staats­tra­gen­den preu­ßi­schen Eli­ten und stand ka­tho­li­schen, so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen und ge­werk­schaft­li­chen Krei­sen fern. Die­se Schicht wähl­te eher die NS­DAP als bei­spiels­wei­se die Be­woh­ner der ka­tho­lisch ge­präg­ten Ei­fel. Ein Karl Leo­pold Kauf­mann muss­te 1933 nicht groß gleich­ge­schal­tet wer­den, son­dern konn­te fort­an den jetzt nach dem Füh­rer­prin­zip or­ga­ni­sier­ten Ver­ein wei­ter-„füh­ren“. Nicht nur durch sei­ne Per­son be­ding­t  –  er war frü­her preu­ßi­scher Land­rat in Malme­dy und Eus­kir­chen ge­we­sen  –  trat der Ver­ein für die Rück­kehr von „Neu-Deutsch-Bel­gi­en“ ins Reich ein und war durch sei­ne wis­sen­schaft­li­chen Am­bi­tio­nen auch den Zie­len der „West­for­schun­g“ eng ver­bun­den. In den Ar­beits­be­schaf­fungs­maß­nah­men und im Reichs­nähr­stand des „Drit­ten Reichs“ sah der Ver­ein die Ver­wirk­li­chung sei­ner 1888 ge­steck­ten Zie­le ei­ner Wirt­schafts­för­de­rung der Ei­fel. Ger­ne stell­te er den neu­en Macht­ha­bern sei­ne Pu­bli­ka­ti­ons­or­ga­ne zur Ver­fü­gung, um de­ren Leis­tun­gen in der Re­gi­on zu ver­mark­ten. Im Ge­gen­zug wur­de der Ei­fel­ver­ein ge­ra­de bei sei­ner Kul­tur­ar­beit gro­ßzü­gig un­ter­stützt, zum Bei­spiel mit 30.000 RM als Ge­burts­tags­ge­schenk zum Er­werb der Ge­no­ve­va­burg in May­en, die das Ei­fel­mu­se­um be­her­bergt. In den 1930er Jah­ren wur­de der Ei­fel­ka­len­der an Se­pa­ra­tis­ten in „Deutsch-Bel­gi­en“ ge­lie­fert, in den 1940er Jah­ren an die Sol­da­ten der Wehr­macht.

Es stellt sich die für An­ge­hö­ri­ge spä­te­rer Ge­ne­ra­tio­nen nicht ganz ein­fach zu be­ant­wor­ten­de Fra­ge nach der in­di­vi­du­el­len Schuld be­zie­hungs­wei­se dem Aus­maß der Ver­stri­ckung. Die Fach­ver­tre­ter der „West­for­schun­g“ wa­ren kei­nes­wegs ei­ne ho­mo­ge­ne Grup­pe, ih­re Ver­tre­ter tra­ten mehr oder min­der frei­wil­lig in den Dienst des Re­gimes und en­ga­gier­ten sich in un­ter­schied­li­chem Aus­maß. Die „West­for­schun­g“ ent­stand in ei­nem spe­zi­fi­schen his­to­ri­schen Kon­text, der sich durch die Schlag­wor­te ver­lo­re­ner Krieg und Ver­trag von Ver­sailles, Ver­lust von El­sass-Loth­rin­gen und Eu­pen-Malme­dy so­wie ent­mi­li­ta­ri­sier­tes Rhein­land, Se­pa­ra­tis­mus  und Ruhr­kampf cha­rak­te­ri­sie­ren lässt.

Die „West­for­schun­g“ be­sitzt auch ei­ne an­de­re Sei­te, die der Kol­le­gen in Frank­reich, Bel­gi­en, Hol­land und Lu­xem­burg, mit de­nen man teil­wei­se eng ko­ope­rier­te, die man zum Teil aber auch mas­siv at­ta­ckier­te. Wei­ter hat­te sich die „West­for­schun­g“ be­reits vor 1933 eta­bliert, und sie wur­de auch von Per­so­nen ge­tra­gen, die die NS-Ideo­lo­gie ab­lehn­ten. Nach 1933 gibt es noch zeit­li­che Ver­än­de­run­gen, ein­mal ei­ne Pha­se der Be­geis­te­rung und As­si­mi­lie­rung, dann in ei­ni­gen Fäl­len ei­nen Pro­zess der Er­kennt­nis, sich in dem neu­en Re­gime ge­irrt zu ha­ben, wei­ter die Be­ob­ach­tung, dass sich das „Drit­te Reich“ not­falls mit Ge­walt und ge­gen gel­ten­des Recht ge­gen in­ne­re und äu­ße­re Wi­der­stän­de be­haup­te­te und sich die Fra­ge nach dem ei­ge­nen Über­le­ben stell­te.

Man fin­det Sei­te an Sei­te den um­trie­bi­gen Franz Stein­bach und den eher stil­len Ge­lehr­ten Mat­thi­as Zen­der. Bei­de stamm­ten aus ka­tho­li­schen Bau­ern­fa­mi­li­en, was sie Zeit ih­res Le­bens präg­te. Stein­bach mach­te Kar­rie­re, trat aber nicht der NS­DAP bei, der völ­lig un­po­li­ti­sche Zen­der wur­de Mit­glied, was aber sei­ne Par­tei­ge­nos­sen nicht da­von ab­hielt, sei­ne Kar­rie­re zu be­hin­dern. Und schlie­ß­lich ging die in­di­vi­du­el­le Bio­gra­phie in fast al­len Fäl­len auch nach dem Krieg wei­ter. „Per­sil­schei­ne“ wur­den aus­ge­stellt, Be­tei­lig­te ent­na­zi­fi­ziert, al­te Po­si­tio­nen wie­der­langt und neue Tä­tig­kei­ten ge­fun­den. Da­bei war es ei­ne Fra­ge des Über­le­bens, die ei­ge­ne Ge­schich­te ins rech­te Licht zu rü­cken. Vie­les wur­de ver­schwie­gen, an­de­res be­schö­nigt. Die Nach­kom­men der „West­for­scher“, Kin­der wie Schü­ler, stan­den vor ei­ner Wand des Schwei­gen­s  –  ein Schick­sal, das sie mit vie­len Nach­kom­men von Sol­da­ten und Flücht­lin­gen teil­ten.

Wo die münd­li­che Tra­di­ti­on schweigt, un­voll­stän­dig oder un­glaub­wür­dig ist, kann sich die Ge­ne­ra­ti­on der Nach­kom­men mit der schrift­li­chen Über­lie­fe­rung be­fas­sen. Vie­le Ak­ten wur­den im und nach dem Krieg zer­stört, an­de­re „ge­säu­bert.“ Den­noch sind zum The­ma die­ser Un­ter­su­chung noch weit­aus mehr Un­ter­la­gen vor­han­den, als aus­ge­wer­tet wer­den konn­ten. Der Nach­lass von Mat­thi­as Zen­der, der in Kar­tons auf dem Dach­bo­den des ehe­ma­li­gen In­sti­tuts für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de der Uni­ver­si­tät Bonn la­gert, ist nur ein Bei­spiel. Zu­dem wa­ren die Prot­ago­nis­ten die­ser Stu­die be­geis­ter­te Wis­sen­schaft­ler, die zahl­rei­che Ta­gun­gen or­ga­ni­siert, Vor­trä­ge ge­hal­ten und ei­nen Berg von Bü­chern, Auf­sät­zen und Re­zen­sio­nen hin­ter­las­sen ha­ben. Pa­pier ist ge­dul­dig. Die „Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­ter“ (RhVjbl) blie­ben ge­nau­so lü­cken­los er­hal­ten wie „Die Ei­fel“ (DE) und der „Ei­fel­ka­len­der“ (EK). Man mag sich da­mit her­aus­re­den, dass man­cher Ko­tau vor den Macht­ha­bern den Zeit­um­stän­den und den Macht­ha­bern, die schlie­ß­lich die Geld­ge­ber der „West­for­schun­g“ dar­stell­ten, ge­schul­det wa­ren, doch lohnt es sich stets, die Ver­öf­fent­li­chun­gen selbst in ih­rer gan­zen Län­ge zu le­sen, nach ih­ren Quel­len zu fra­gen und sie mit Ar­bei­ten aus der Nach­kriegs­zeit zu ver­glei­chen.

Matthias Zender, Porträtfoto, um 1987, Foto: Hans Schafgans, Bonn. (Privatbesitz)

 

Auch bei den Ver­öf­fent­li­chun­gen, Pe­ri­odi­ka und Rei­hen zeigt sich ei­ne ge­ra­de­zu er­schre­cken­de Kon­ti­nui­tät, und zwar nicht nur der Per­so­nen und In­sti­tu­tio­nen, son­dern auch der The­men und For­schungs­kon­zep­te. Vie­le „West­for­scher“ wa­ren jun­ge Leu­te. Sie sa­hen in ihr ei­ne gro­ße Chan­ce und stan­den am En­de des Zwei­ten Welt­krie­ges im bes­ten Man­nes­al­ter; Frau­en wie Edith En­nen wa­ren ei­ne Min­der­heit. In den 1950er und 60er Jah­ren sa­ßen sie dann an den Schalt­stel­len der In­sti­tu­te und For­schungs­ein­rich­tun­gen und be­herrsch­ten mit ih­ren lang­jäh­ri­gen Weg­ge­fähr­ten, Schü­lern und En­keln den wis­sen­schaft­li­chen Markt[2].

Auch der Ei­fel­ver­ein tat sich mit sei­ner Ver­gan­gen­heit schwer, wur­de doch der Vor­sit­zen­de der Jah­re 1938 bis 1945 – der Schlei­de­ner Land­rat Jo­sef Schramm (1901-1991) –1954 wie­der­ge­wählt und be­klei­de­te die­ses Am­t  bis 1973, als Eh­ren­vor­sit­zen­der so­gar bis 1991. Wie hät­te man sich da beim Ver­eins­ju­bi­lä­um 1988 kri­tisch mit der ei­ge­nen Ge­schich­te be­fas­sen kön­nen? Erst in der Fest­schrift zum 125-jäh­ri­gen Ver­eins­ju­bi­lä­um konn­te 2013 die Vor­kriegs-, Kriegs- und Nach­kriegs­zeit auf­ge­ar­bei­tet wer­den. Zu­dem konn­te der Ei­fel­ver­ein nach dem Krieg als Hei­ma­t­or­ga­ni­sa­ti­on in ei­ner nach Ori­en­tie­rung su­chen­den Ge­sell­schaft Punk­te sam­meln. In den 1980er und 90er Jah­ren wur­de Wan­dern zu ei­nem Mas­sen­sport, zu­dem eta­blier­te sich der Ei­fel­ver­ein als Um­welt-, Land­schafts- und Denk­mal­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on. Doch die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung und Kom­mer­zia­li­sie­rung des Wan­der­tou­ris­mus und die sin­ken­de Fas­zi­na­ti­on der Or­ga­ni­sa­ti­ons­form Ver­ein ma­chen auch ihm zu­neh­mend zu schaf­fen.

Das Bon­ner In­sti­tut tat sich mit der ei­ge­nen Ver­gan­gen­heit eben­falls schwer, zu­mal es seit den 1970er Jah­ren nach und nach sei­ne füh­ren­de Po­si­ti­on ver­lor und schlie­ß­lich auf­ge­löst wur­de. Bis 1974 be­zie­hungs­wei­se 1991 sa­ßen die Stein­bach-Schü­ler Edith En­nen und Ge­org Dro­ege (1929-1993) auf dem Lehr­stuhl, ih­re Nach­fol­ger Wil­helm Jans­sen (ge­bo­ren 1933) und Man­fred Gro­ten (ge­bo­ren 1949) ge­hö­ren nicht nur an­de­ren Ge­ne­ra­tio­nen, son­dern auch je­weils ei­ner an­de­ren „Schu­le“ an. Den Zen­der-Lehr­stuhl hat­te bis 2000 sein Schü­ler Hein­rich L. Cox (ge­bo­ren 1935) in­ne. 2005 wur­de das In­sti­tut auf­ge­löst, die Rhei­ni­sche Lan­des­ge­schich­te ist seit­dem ei­ne Ab­tei­lung des In­sti­tuts für Ge­schichts­wis­sen­schaft, die Volks­kun­de als Ab­tei­lung für Kul­tur­an­thro­po­lo­gie/Volks­kun­de am In­sti­tut für Ar­chäo­lo­gie und Kul­tur­an­thro­po­lo­gie an­ge­sie­delt.

Mit Fra­gen der In­sti­tuts­ge­schich­te hat sich in den letz­ten Jah­ren mehr­fach Mar­le­ne Ni­ko­lay-Pan­ter be­fasst, die sich als Dro­ege-Schü­le­rin dem Kreis der En­ke­lin­nen zu­rech­net. 2006 fand ei­ne Herbst­ta­gung mit dem The­ma „Lan­des­ge­schich­te auf dem Prüf­stan­d“ statt, die Vor­trä­ge wur­den 2007 un­ter dem Ti­tel „Rhei­ni­sche Lan­des­ge­schich­te an der Uni­ver­si­tät Bonn. Tra­di­tio­nen – Ent­wick­lun­gen – Per­spek­ti­ven“ ver­öf­fent­licht. Da­mit ist das For­schungs­feld, wie der fol­gen­de Bei­trag zeigt, aber noch lan­ge nicht „ab­ge­grast.“ In der Vor­kriegs­zeit ist noch Vie­les zu er­for­schen, in der Nach­kriegs­zeit ist noch fast al­les un­er­forscht. Frei­lich soll­ten ge­ra­de auch His­to­ri­ker ne­ben der Ver­gan­gen­heit auch die Zu­kunft im Blick ha­ben. Alois Ger­lich frag­te sich in ei­ner Re­zen­si­on, ob der Ta­gungs­band ei­nen „Schwa­nen­ge­san­g“ dar­stellt, und in der Tat über­wiegt die Re­tro­spek­ti­ve, die Be­schwö­rung ver­gan­ge­ner Grö­ße in der Zeit der Grün­der­vä­ter, ein Phä­no­men, das man auch in der Ge­schichts­schrei­bung mit­tel­al­ter­li­cher Klös­ter in Zei­ten von Kri­se und Nie­der­gang be­ob­ach­ten kann. Ger­lich schloss mit der Auf­for­de­rung, die Fens­ter des uni­ver­si­tä­ren El­fen­bein­turms zu öff­nen: „Hier sind Uni­ver­si­tä­ten, Staats­kanz­lei­en, Mi­nis­te­ri­en, nach­ge­ord­ne­te Be­hör­den, Ver­ei­ne und Ge­sell­schaf­ten, Stadt- und Ge­mein­de­rä­te an­ge­spro­chen und ein­ge­la­den zur Lek­tü­re im Sin­ne der Bil­dungs­po­li­tik un­se­rer Ge­gen­wart.“[3]  Um die­se In­sti­tu­tio­nen da­von zu über­zeu­gen, Geld für die For­schung aus­zu­ge­ben, be­darf es al­ler­dings so­wohl von Sei­ten der Lan­des­ge­schich­te als auch der Volks­kun­de über­zeu­gen­der Kon­zep­te.

2. Wer war Matthias Zender?

Wer war der Bon­ner Dok­to­rand, der die Le­ser für die Ge­schich­ten sei­ner Ei­fel­hei­mat be­geis­tern konn­te? Mat­thi­as Zen­der wur­de am 20.4.1907 als Sohn des Bau­ern Pe­ter Zen­der und sei­ner Frau An­na Ma­ria Thie­len in Nie­der­weis ge­bo­ren[4]. Nie­der­weis liegt in der heu­ti­gen Ver­bands­ge­mein­de  Ir­rel im Ei­fel­kreis Bit­burg-Prüm, na­he der Lu­xem­bur­ger Gren­ze, 13 Ki­lo­me­ter süd­lich von Bit­burg und 9 Ki­lo­me­ter nörd­lich von Ech­ter­nach. Heu­te le­ben dort 250 Ein­woh­ner. Das Dorf be­sitzt rö­mi­sche Sied­lungs­res­te. Der Turm der Pfarr­kir­che St. Jo­han­nes Evan­ge­list stammt aus dem 12. Jahr­hun­dert, die Kir­che selbst wur­de 1846 er­rich­tet. Ne­ben Bau­ern­häu­sern und We­ge­kreu­zen ist noch das ba­ro­cke Schloss zu er­wäh­nen, das Franz Edu­ard An­ton Frei­herr von der Heyden (1693-1755), Prä­si­dent des Lu­xem­bur­ger Pro­vin­zi­al­ra­tes, 1751 er­rich­ten ließ. In Nie­der­weis gab es al­so al­les, was zu ei­nem ty­pi­schen Ei­fel­dorf ge­hör­te.

Da­zu zähl­te auch die Kir­che St. Jo­han­nes Evan­ge­list. Zen­der blieb Zeit sei­nes Le­bens nicht nur in der bäu­er­li­chen Welt sei­ner Ei­fel­hei­mat, son­dern auch im ka­tho­li­schen Glau­ben ver­wur­zelt. Dies brach­te be­reits sein Vor­na­me zum Aus­druck: Der hei­li­ge. Mat­thi­as ist der po­pu­lärs­te Hei­li­ge im Bis­tum Trier, zahl­rei­che Pro­zes­sio­nen zie­hen noch heu­te je­des Jahr durch die Ei­fel zum Grab des Apos­tels in Trier.

Edith Ennen, Porträtfoto, undatiert.

 

Trier war dann auch die nächs­te Sta­ti­on sei­ner Vi­ta: Nach dem Be­such der Volks­schu­le in Nie­der­weis wech­sel­te Zen­der an Os­tern 1919, un­mit­tel­bar nach dem Ers­ten Welt­krieg, an das Fried­rich-Wil­helm-Gym­na­si­um in Trier[5]. Die­ses galt als Re­kru­tie­rungs­be­cken für das Trie­rer Pries­ter­se­mi­nar. Klas­sen­ka­me­ra­den von Zen­der wa­ren der spä­te­re Köl­ner Erz­bi­schof und Kar­di­nal Jo­seph Höff­ner und der spä­te­re Pfar­rer von Butz­wei­ler und be­kann­te Er­for­scher der re­li­giö­sen Volks­kun­de der Ei­fel, Ni­ko­laus Kyll (1904-1973)[6] . Be­reits 1919 be­geis­ter­te ihn sein Leh­rer Jo­sef Stein­hau­sen (1885-1959) [7]  für die Sprach­for­schung und ver­mit­tel­te den Kon­takt zu dem Lei­ter des Rhei­ni­schen Wör­ter­bu­ches, Pro­fes­sor Dr. Jo­sef Mül­ler (1875-1945), in Bonn [8].

2.1 Schulzeit, Studium und Promotion

Zen­der stu­dier­te von 1926 bis 1928 in Bonn, 1928 in Inns­bruck, 1928 bis 1929 in Wien und dann wie­der von 1929 bis 1933 in Bonn Volks­kun­de, Ge­schich­te und Ger­ma­nis­tik. Seit 1927 ge­hör­te er der ka­tho­li­schen Stu­den­ten­ver­ei­ni­gung Unitas Sa­lia an. Am 1.11.1929 wur­de er „wis­sen­schaft­li­cher Hilfs­ar­bei­ter“ an der rhei­ni­schen Lan­des­stel­le des Deut­schen Volks­kun­de­at­las; ihr Lei­ter war sein För­de­rer Jo­sef Mül­ler. Die­se Stel­le be­klei­de­te der in­zwi­schen 22-Jäh­ri­ge für ge­nau zehn Jah­re [9]. Erst nach dem Er­schei­nen der „Volks­sa­gen“ und der „Volks­mär­chen“ pro­mo­vier­te Zen­der, der bis da­hin be­reits 23 Auf­sät­ze ver­öf­fent­licht hat­te, 1938 mit der Ar­beit „Die Sa­ge als Spie­gel­bild von Volks­art und Volks­le­ben im west­li­chen Grenz­land. Ein Bei­trag zur Volks­kun­de von Ei­fel und Ar­den­nen“ (Teil­druck Bonn 1940) [10].

Matthias Zender mit Nikolaus Kyll in Speicher (Eifel), 1970. (Archiv Wolfgang Zender)

 

Mit Bonn, der Mus­ter­uni­ver­si­tät der preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz, hat­te Zen­der ei­ne gu­te Wahl ge­trof­fen. 1920 grün­de­ten hier der His­to­ri­ker Her­mann Au­bin und der Sprach­wis­sen­schaft­ler Theo­dor Frings das In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de, das die Ge­schich­te der Rhein­lan­de fä­cher­über­grei­fend in Ko­ope­ra­ti­on mit der his­to­ri­schen Geo­gra­phie, der Volks­kun­de und Sprach­ge­schich­te und auch der Kunst­ge­schich­te er­for­schen woll­te. Die Un­ter­su­chun­gen wa­ren nicht nur fä­cher-, son­dern auch raum- und grenz­über­schrei­tend an­ge­legt und soll­ten ei­ner brei­ten Öf­fent­lich­keit ver­mit­telt wer­den [11]. Auch wenn Au­bin 1925 nach Gie­ßen und Frings 1927 nach Leip­zig be­ru­fen wur­de, hat­te da­mit ei­ne Er­folgs­ge­schich­te be­gon­nen [12] . Au­bins Nach­fol­ger wur­de der erst 31-jäh­ri­ge His­to­ri­ker Franz Stein­bach, der 1926 die Lei­tung des In­sti­tuts über­nahm und nach sei­ner Be­ru­fung auf ein Ex­tra­or­di­na­ri­at auch zum Di­rek­tor er­nannt wur­de, ein Amt, das der we­gen sei­ner Rol­le in der „West­for­schun­g“ nicht ganz un­um­strit­te­ne, aber ein­fluss­rei­che His­to­ri­ker bis 1960 in­ne­hat­te [13].

Au­bin und Frings stie­ßen zahl­rei­che Pro­jek­te an: Be­reits 1922 gab Au­bin ei­ne zwei­bän­di­ge „Ge­schich­te des Rhein­lan­des von der äl­tes­ten Zeit bis zur Ge­gen­war­t“ her­aus, de­ren ers­ter Band sich mit der po­li­ti­schen und de­ren zwei­ter sich mit der Kul­tur­ge­schich­te be­fass­te. The­men wa­ren un­ter an­de­rem die Stadt- und Agrar­ge­schich­te, Ge­wer­be, Han­del und Ver­kehr, die Sprach­ge­schich­te, das Geis­tes­le­ben und die Kunst­ge­schich­te. Der von Au­bin und Frings mit dem Volks­kund­ler Jo­sef Mül­ler er­ar­bei­te­te Band „Kul­tur­strö­mun­gen und Kul­tur­pro­vin­zen in den Rhein­lan­den“ war ei­ne im­po­san­te Zu­sam­men­schau der Ge­schich­te, Spra­che und Volks­kun­de ei­nes Kul­tur­rau­mes, bei de­ren Er­for­schung auch die kar­to­gra­phi­sche Me­tho­de ei­ne gro­ße Rol­le spiel­te[14].

Diss. von Matthias Zender, Karteikarte. (Nachlass Matthias Zender)

 

Eben­falls 1926 gab Au­bin den von dem Bon­ner Leh­rer Jo­sef Nies­sen (1864-1942) er­ar­bei­te­ten „Ge­schicht­li­chen Hand­at­las der Rhein­pro­vin­z“ her­aus [15]. Ab 1922 konn­ten in der neu be­grün­de­ten Buch­rei­he „Rhei­ni­sches Ar­chi­v“ zahl­rei­che Qua­li­fi­ka­ti­ons­ar­bei­ten ver­öf­fent­licht wer­den; ers­ter Band war die Dis­ser­ta­ti­on von Franz Stein­bach [16]. Ab 1922 er­schie­nen die „Rhei­ni­schen Neu­jahrs­blät­ter“ und ab 1926 das Mit­tei­lungs­blatt „Ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de“, aus de­nen dann die 1931 be­grün­de­ten „Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­ter“ her­vor­gin­gen, bei de­nen Zen­der von An­fang an mit­ar­bei­te­te [17].

1925 wur­de der „Ver­ein für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de“ ge­grün­det, der be­reits 1928 613 per­sön­li­che und 224 kor­po­ra­ti­ve Mit­glie­der zähl­te [18]. Bei der Grün­dung des In­sti­tuts war von An­fang an ei­ne gro­ße Brei­ten­wir­kung an­ge­strebt; es ver­stand sich als „hei­mat­ge­schicht­li­ches In­sti­tut an der rhei­ni­schen Uni­ver­si­tät“ [19] . Au­bin woll­te ei­ne „Ver­net­zung von Hei­mat­for­schung und uni­ver­si­tä­rer Lan­des­kun­de“ [20]. Er ver­an­stal­te­te ab 1922 „aka­de­mi­sche Fe­ri­en­kur­se“, die weit­aus mehr Be­su­cher an­zo­gen als die heu­ti­gen In­sti­tuts­ta­gun­gen. Die zu­nächst drei­tä­gi­gen Kur­se wur­den von Bon­nern und aus­wär­ti­gen Re­fe­ren­ten ge­stal­tet. 1925 war das Rah­men­the­ma die „Kul­tur­strö­mun­gen“, wor­über ne­ben Au­bin, Frings und Mül­ler auch der Kunst­his­to­ri­ker He­ri­bert Rei­ners (1884-1960) re­fe­rier­te [21]. 1927 ging es um die Sied­lungs­ge­schich­te und 1928 un­ter Fe­der­füh­rung von Bru­no Kuske um die Wirt­schafts­ge­schich­te. 1929 lau­te­te das Rah­men­the­ma „Rhei­ni­sche Volks­kun­de.“ An drei Ta­gen gab es 13 Vor­trä­ge in drei Sek­tio­nen über die Auf­ga­ben und Me­tho­den der Dis­zi­plin, über Volks­kunst so­wie über Volks­glau­ben und -brauch. 1934 ging es um Saar­fra­gen und bei dem Lehr­gang oh­ne The­men­schwer­punkt von 1937 sprach Zen­der über die Volks­kun­de in den west­deut­schen Grenz­lan­den. 1951 re­fe­rier­ten Franz Stein­bach, Karl Mei­sen (1891-1973), Adolf Bach (1890-1972) und Mat­thi­as Zen­der [22].

Diss. von Matthias Zender, Titelblatt. (Nachlass Matthias Zender)

 

Par­al­lel da­zu gab es die Ar­beits­ta­gun­gen der West­deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft (WDF), die sich vor­wie­gend mit Fra­gen der „West­for­schun­g“ be­fass­ten [23]. 1935 fand in Bonn die zwei­te volks­kund­li­che Ta­gung statt, zu der Stein­bach auch Fach­leu­te aus Bel­gi­en und den Nie­der­lan­den ein­ge­la­den hat­te. Adolf Bach re­fe­rier­te über die Na­mens­for­schung und Zen­der über die „geo­gra­phi­sche Ver­brei­tung der Volks­sa­ge in der West­ei­fel.“ 1938 ging es in Ge­rol­stein vor al­lem um das Deutsch­tum in Bel­gi­en, na­ment­lich in Eu­pen-Malme­dy. Zen­der sprach über das Deutsch­tum in Ar­lon und über­leg­te, wie man der „Ver­wel­schungs­po­li­tik des bel­gi­schen Staa­tes“ be­geg­nen kön­ne. Er for­der­te ein um­fang­rei­ches Schul- und Bil­dungs­an­ge­bot und mo­nier­te das man­gel­haf­te En­ga­ge­ment des Deut­schen Reichs auf die­sem Ge­biet, um das Deutsch­tum wie­der­zu­er­we­cken. Man müs­se hier gänz­lich an­ders vor­ge­hen als in Eu­pen-Malme­dy, fol­ger­te er un­ter „leb­haf­tem Bei­fall.“ In sei­nen Ver­öf­fent­li­chun­gen ist er nie durch so kon­kre­te For­de­run­gen her­vor­ge­tre­ten [24].

Ge­org Mö­lich kam zu dem Er­geb­nis: „Das Bon­ner In­sti­tut war im ers­ten Jahr­zehnt sei­nes Be­ste­hens im Ge­gen­satz zu der bis heu­te do­mi­nie­ren­den re­tro­spek­ti­ven Wahr­neh­mung deut­lich mehr auf öf­fent­li­che ge­schichts­po­li­ti­sche und lan­des­kund­lich-di­dak­ti­sche Wir­kung als auf fach­wis­sen­schaft­li­che Er­trä­ge im en­ge­ren Sin­ne hin aus­ge­rich­tet.“ [25] 

Es ge­lang Au­bin, Frings und Stein­bach zu­nächst nicht, ei­nen or­dent­li­chen Lehr­stuhl für Volks­kun­de ein­zu­rich­ten. Ab 1935 war Karl Mei­sen au­ßer­or­dent­li­cher Pro­fes­sor, wur­de aber 1939 aus dem Amt ent­fernt und kehr­te erst 1945 zu­rück; 1947 wur­de er auf ein Ex­tra­or­di­na­ri­at und 1948 auf ein Or­di­na­ri­at be­ru­fen [26]. Er streb­te ei­ne brei­te Wir­kung sei­ner For­schungs­tä­tig­keit auch bei den Hei­mat­for­schern an und grün­de­te 1948 die Rhei­ni­sche Ver­ei­ni­gung für Volks­kun­de, die das „Rhei­ni­sche Jahr­buch für Volks­kun­de“ her­aus­gab.1954 wur­de auch die „Rhei­nisch-West­fä­li­sche Zeit­schrift für Volks­kun­de“ (RWZ) neu be­grün­det; für bei­de Pe­ri­odi­ka ver­fass­te Zen­der meh­re­re Bei­trä­ge.

Wich­ti­ger für Zen­der war be­reits seit sei­ner Schul­zeit Jo­sef Mül­ler, der 1914 das 1904 von der Preu­ßi­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten be­grün­de­te Rhei­ni­sche Wör­ter­buch über­nom­men hat­te, das 1930 als selbst­stän­di­ge drit­te Ab­tei­lung dem Bon­ner In­sti­tut ein­ge­glie­dert wur­de. Mül­ler war von 1903 bis 1907 Leh­rer am Fried­rich-Wil­helm-Gym­na­si­um in Trier, wo er eben­so wie Stein­hau­sen in den Pau­sen den Wort­schatz sei­ner Schü­ler auf­zeich­ne­te. Da­nach war er in Bonn tä­tig [27]. 1925 wur­de er Lehr­be­auf­trag­ter und von 1927 bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung 1940 war er Ho­no­rar­pro­fes­sor. Ne­ben sei­nem Haupt­werk, dem „Rhei­ni­schen Wör­ter­buch“, ist sein grund­le­gen­der Bei­trag zur Sprach­ge­schich­te in den „Kul­tur­strö­mun­gen“ zu nen­nen [28].

Diss. von Matthias Zender, Musterseite. (Nachlass Matthias Zender)

 

Er­wähnt wer­den muss wei­ter Adolf Bach, der 1927 an die Päd­ago­gi­sche Aka­de­mie und als Pri­vat­do­zent  an die Uni­ver­si­tät Bonn be­ru­fen wur­de; hier lei­te­te er als Nach­fol­ger von Frings die Ab­tei­lung für Mund­art­for­schung und Volks­kun­de. 1931 wur­de er au­ßer­or­dent­li­cher Pro­fes­sor und 1941 an die „Reichs­uni­ver­si­tät Straß­bur­g“ be­ru­fen [29].

Zu nen­nen ist schlie­ß­lich noch Hans Nau­mann (1886-1951), der ne­ben Jo­sef Mül­ler Zweit­gut­ach­ter von Zen­ders Dis­ser­ta­ti­on war. Der Alt­germa­nist hat­te zahl­rei­che Wer­ke zur mit­tel­al­ter­li­chen, aber auch zur Ge­gen­warts­li­te­ra­tur ver­fasst und war durch sei­ne Theo­rie vom ge­sun­ke­nen Kul­tur­gut be­kannt ge­wor­den. 1932 wur­de er von Frank­furt nach Bonn be­ru­fen, war Mit­un­ter­zeich­ner ei­ner Er­klä­rung 51 deut­scher und ös­ter­rei­chi­scher Pro­fes­so­ren für Adolf Hit­ler (1889-1945), trat 1933 in die NS­DAP und 1935 in den NSD-Do­zen­ten­bund ein. 1933 hielt er bei der Bü­cher­ver­bren­nung ei­ne Re­de. Sie­ben der Bon­ner Kriegs­vor­trä­ge stam­men aus sei­ner Fe­der. Als Rek­tor wur­de er we­gen meh­re­rer Kon­flik­te um die Ent­las­sung des Theo­lo­gen Karl Barth (1886-1968) und um die Ab­er­ken­nung der Eh­ren­dok­tor­wür­de des Schrift­stel­lers Tho­mas Mann (1875-1955) ab­ge­setzt. 1946 wur­de er von der Be­sat­zungs­macht ent­las­sen [30]. Ein ei­ge­ner Lehr­stuhl für Volks­kun­de wur­de 1942 ein­ge­rich­tet und mit dem li­ni­en­treu­en Erich Röhr (1905-1943) be­setzt, der in Bonn eben­so we­ni­ge Spu­ren hin­ter­las­sen hat wie sein 1944 be­ru­fe­ner Nach­fol­ger Jo­seph Ot­to Plass­mann (1895-1964) [31].

2.2 Assistentenzeit in Bonn (1939/1940)

1939 wur­de Zen­der As­sis­tent an der Uni­ver­si­tät Bonn. Von 1932 bis 1933 war er wahr­schein­lich Mit­glied der Zen­trums­par­tei oder stand ihr zu­min­dest na­he, 1933 trat er in die Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Volks­wohl­fahrt  und in den Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Leh­rer­bund ein; 1937 er­klär­te er sei­nen Ein­tritt in die NS­DAP und wur­de 1940 Mit­glied im NSD-Do­zen­ten­bund [32].

Diss. von Matthias Zender, Karte d. Verbreitung v. Erzählern u. Erzählungen im Bitburger Land. (Nachlass Matthias Zender)

 

Zen­ders As­sis­ten­ten­zeit be­gann am 1.4.1939. Er wur­de so­mit Nach­fol­ger von Mar­tin He­rold (1896-1977) und Kol­le­ge von Fritz Tex­tor (1911-1988) [33]. Stein­bach hob in sei­nem An­trag an die Fa­kul­tät  Zen­ders be­son­de­re Qua­li­fi­ka­ti­on her­vor und sei­ne Be­fä­hi­gung zur Ha­bi­li­ta­ti­on [34]. Da­ne­ben ent­hält die Ak­te Le­bens­lauf, Fra­ge­bo­gen, Ar­beits­ver­trag mit Ge­halts­be­rech­nung, ei­ne Be­schei­ni­gung der NS­DAP über sei­ne Mit­glied­schaft seit dem 1.5.1937, ei­ne Stel­lung­nah­me der Do­zen­ten­schaft, die ihm bei sei­nen Ar­bei­ten „au­ßer­halb der deut­schen West­gren­ze […] Zu­ver­läs­sig­keit“ be­schei­nigt und die sei­ne „po­li­ti­sche Hal­tung […] ein­wand­frei und […] durch­aus po­si­ti­v“ be­ur­teil­te so­wie ei­nen Nach­weis über sein Treue­ge­löb­nis. Am 20.12.1939 hei­ra­te­te Zen­der die Leh­re­rin Cla­ra Ney­ses (1909-1992). 1943 wur­de die Toch­ter Adel­heid (ge­stor­ben 1996), 1950 der Sohn Wolf­gang ge­bo­ren.

Die Stel­lung­nah­me der Do­zen­ten­schaft ist mit „W. Bu­sch“ un­ter­zeich­net. Die Spur führt zu­nächst nicht wei­ter, weil auch der Na­me Wil­helm Busch nicht eben sel­ten ist. In der Kor­re­spon­denz­map­pe Franz Pe­tris fin­det sich das Schrei­ben ei­nes W. Busch aus dem hes­si­schen „Ho­hen­ro­da, Post Mans­bach, über Hün­feld-Lan­d“ vom 23.7.1947. Bei­lie­gend über­sand­te er ein „Ent­las­tungs­schrei­ben“ und er­läu­ter­te, der SD ha­be 1941 ein Ver­fah­ren ge­gen ihn ein­ge­lei­tet, weil er [als Vor­sit­zen­der der Do­zen­ten­schaft] „kon­fes­sio­nel­le und par­tei­feind­li­che Krei­se be­tont ge­för­dert, par­tei­lich ge­bun­de­ne und na­ment­lich SS-Krei­se“ aber be­nach­tei­ligt ha­be. Nach zwei „sehr un­an­ge­neh­men Ver­hö­ren“ sei er bei der Wehr­macht un­ter­ge­taucht. Dann recht­fer­tigt er sein Ver­hal­ten, in Ab­stim­mung mit den Fa­kul­tä­ten sei­en häu­fig „Nicht-Pgs.“ be­ru­fen wor­den, da Par­tei­ge­nos­sen „be­kannt­lich nicht zu den ex­ak­ten Wis­sen­schaft­lern“ zäh­len.“ Er ha­be sich auch schüt­zend vor ei­ne Rei­he von Pro­fes­so­ren und Do­zen­ten (Ca­mil­le Wam­pach, 1884-1958) ge­stellt [35].

Der Ak­te liegt ein un­da­tier­ter und nicht un­ter­schrie­be­ner „Ent­wur­f“ bei. Dar­in er­klär­te Stein­bach, er sei nie­mals Mit­glied der NS­DAP ge­we­sen und ha­be de­ren Po­li­tik stets ab­ge­lehnt. Er stellt Busch ein ta­del­lo­ses Zeug­nis aus, in dem er er­wähnt, die­ser ha­be 1939 auch sei­nen As­sis­ten­ten un­ter­stützt. Wei­ter liegt der Ak­te ei­ne ei­des­statt­li­che Er­klä­rung [Stein­bachs] vom 16.9.1947 bei. Busch ha­be sich „im Jah­re 1939 schüt­zend vor ei­nen As­sis­ten­ten des von mir ge­lei­te­ten In­sti­tuts für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de“ ge­stellt, „der aus na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Stu­den­ten­krei­sen we­gen sei­ner welt­an­schau­li­chen und wis­sen­schaft­li­chen Hal­tung an­ge­grif­fen wur­de.“ Auch Stein­bachs Ent­las­sung als Pro­fes­sor und In­sti­tuts­di­rek­tor ha­be er 1940 ver­hin­dert. Sei­ne Tä­tig­keit in der „Bon­ner Do­zen­ten­füh­run­g“ las­se sei­ne Dis­tanz zur Par­tei er­ken­nen.

Die we­ni­gen Text­aus­zü­ge müs­sen ge­nü­gen, es ist hier nicht der Ort, die Tä­tig­keit Wil­helm Buschs nä­her zu un­ter­su­chen. Er war seit 1930 As­sis­tent am In­sti­tut für land­wirt­schaft­li­che Be­triebs­leh­re an der da­ma­li­gen land­wirt­schaft­li­chen Hoch­schu­le Bonn-Pop­pels­dorf. 1936 ha­bi­li­tier­te er sich und er­hielt ei­ne Do­zen­tur für land­wirt­schaft­li­che Be­triebs­leh­re, Agrar­geo­gra­phie und Agrar­ge­schich­te. Er hielt sei­ne Lehr­pro­be zur Ge­schich­te der Schaf­zucht und ei­ne An­tritts­vor­le­sung zu Fra­gen des länd­li­chen Sied­lungs­ge­fü­ges im Rhein­land. Es be­stan­den wo­mög­lich mit Zen­der und Stein­bach ge­mein­sa­me In­ter­es­sen. Busch war Mit­glied der NS­DAP und ist erst­mals 1939 als „Füh­rer des N.S. D. Do­zen­ten­bun­des“ be­legt. 1942 wur­de er nicht oh­ne Wi­der­stän­de auf den Lehr­stuhl für land­wirt­schaft­li­che Be­triebs­leh­re be­ru­fen, 1942 als Di­rek­tor an die Bal­ti­sche For­schungs­an­stalt in Ri­ga ab­kom­man­diert und am 8.5.1945 in den „War­te­stan­d“ ver­setzt. Von 1945 bis 1947 war er für das Zen­tral­amt für Er­näh­rung und Land­wirt­schaft in der Bri­ti­schen Be­sat­zungs­zo­ne in Ham­burg tä­tig. Trotz sei­ner Ent­na­zi­fi­zie­rung  am 12.9.1947 („ent­las­te­t“) wur­de er nicht wie­der ein­ge­stellt und ar­bei­te­te für ei­nen Ham­bur­ger Ver­lag. 1950 wur­de er Pro­fes­sor für gärt­ne­ri­sche Be­triebs­leh­re an der da­ma­li­gen TH Han­no­ver [36].

Zu Zen­ders Auf­ga­ben als As­sis­tent zähl­te auch die Schrift­lei­tung der Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­ter. Am En­de des ers­ten Dop­pel­hef­tes ver­ab­schie­de­te sich sein Vor­gän­ger Mar­tin He­rold im Ju­ni 1939 von den Le­sern mit dem Ge­fühl der „Ge­nug­tu­un­g“, dass es ihm be­zie­hungs­wei­se der Zeit­schrift in den acht Jah­ren, in de­nen er seit Heft 4 (1931) die „Schrift­wal­tun­g“ in­ne­hat­te, ge­lun­gen sei, die hoch ge­steck­ten „volks­ge­schicht­li­chen Zie­le“ zu er­rei­chen. Als Nach­fol­ger stell­te er Zen­der vor [37]. Zu des­sen Auf­ga­ben ge­hör­te auch die Be­treu­ung des Re­zen­si­ons­teils. Zen­der, der schon von 1931 an re­gel­mä­ßig Be­spre­chun­gen ge­schrie­ben hat­te, leg­te sich 1939 dann rich­tig ins Zeug. Bis zum Krieg ver­fass­te er 15 Re­zen­sio­nen, da­von meh­re­re für die Zeit­schrift des Ver­eins für rhei­ni­sche und west­fä­li­sche Volks­kun­de und ei­ni­ge für die Rhei­ni­sche Hei­mat­pfle­ge, die Zeit­schrift des Volks­bun­des für das Deutsch­tum im Aus­lan­de und die West­deut­sche Zeit­schrift für Volks­kun­de, vor al­lem aber für die Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­ter [38].

Matthias Zender, 1936. (Archiv Wolfgang Zender)

 

Hier be­sprach er 1931 die Saar­län­di­sche Volks­kun­de von Ni­ko­laus Fox (1899-1946) und be­män­gel­te da­bei, dass die lan­ge Zeit wirk­sa­men kul­tu­rel­len Zu­sam­men­hän­ge mit dem süd­west­deut­schen Raum nicht ge­nug her­aus­ge­stellt sei­en. Dass Zen­der an dem un­ter an­de­rem von Au­bin und Stein­bach im Auf­trag der Saar-For­schungs­ge­mein­schaft und dem Bon­ner In­sti­tut her­aus­ge­ge­be­nen Saar-At­las mit­ge­ar­bei­tet hat, kann hier nur am Ran­de er­wähnt wer­den. Er be­ar­bei­te­te Kar­ten der Ma­ri­en­wall­fahrts­or­te, des Pfingst­quak, des Mai­bau­mes, der Mäd­chen­le­hen, der Ern­te­fes­te so­wie der Wen­de­li­nus­ver­eh­rung und kam zu dem Er­geb­nis, „daß nicht nur die Spra­che, son­dern auch die Volks­kul­tur der Saar­lan­de rein deutsch ist.“ [39] 

1933 re­zen­sier­te Zen­der die be­reits 1926 und 1928 er­schie­ne­nen ers­ten bei­den Bän­de von Louis Pincks (1873-1940) Loth­rin­ger Volks­lie­dern. Ihn be­ein­druck­te die Fül­le des zu­sam­men­ge­tra­ge­nen Ma­te­ri­als bei­spiels­wei­se über die Volks­lied­sän­ger, das deut­lich ma­che, dass die Volks­lie­der „rein deut­schen Ur­sprungs“ sei­en. 1934 und 1941 wer­den auch die fol­gen­den bei­den Bän­de aus­führ­lich ge­wür­digt und mit ei­ner Bi­blio­gra­phie des 1940 ver­stor­be­nen Pinck ver­se­hen [40]. We­ni­ger po­si­tiv ist Zen­ders Ur­teil über die Dis­ser­ta­ti­on von Leo Hil­berath (1903-1967) über die Jung­ge­sel­len­ver­ei­ne der Ei­fel: Da die­ser we­der die Samm­lun­gen des Rhei­ni­schen Wör­ter­buchs noch die An­sät­ze der Kul­tur­raum­for­schung oder auch „Nau­manns Leh­ren“ zur Kennt­nis ge­nom­men ha­be, lie­ßen sich sei­ne so­zio­lo­gi­schen Er­kennt­nis­se viel­fach ver­tie­fen.

1939 ver­öf­fent­lich­te Zen­der ei­nen klei­nen Li­te­ra­tur­be­richt zu west­deut­schen (!) Sa­gen­samm­lun­gen. Be­spro­chen wird ei­ne Samm­lung von 100 Sa­gen und Lie­dern aus der Ge­gend von Ar­lon (!) von Ni­ko­laus War­ker (1861-1940), den Zen­der sehr schätz­te. Sie wa­ren zwar schon 1931 bis 1933 in der Hé­mecht er­schie­nen, sind aber in kei­ner „reichs­deut­schen Zeit­schrift an­ge­zeigt wor­den.“ Des­halb lis­tet Zen­der wei­te­re Ar­bei­ten War­kers auf. Wei­ter be­spricht er Gott­fried Hens­sens (1889-1976) Müns­ter­län­di­sche Sa­gen, die zu­meist Mär­chen sei­en, und Karl Loh­mey­ers (1878-1957) Sa­gen von Saar, Blies und Na­he. Den Ab­schluss bil­det der zwei­te Band von An­ge­li­ka Mer­kel­bach-Pincks (1885-1972) Loth­rin­ger (!) Sa­gen, Schwän­ke und Bräu­che. 

1939 re­zen­sier­te Zen­der recht po­si­tiv das Sie­ger­län­der Wör­ter­buch und eher kri­tisch die letz­ten bei­den Bän­de von Ar­nold van Gen­neps (1873-1957) Hand­buch der fran­zö­si­schen Volks­kun­de. Zwar war Zen­ders ab­schlie­ßen­des Ur­teil sehr po­si­tiv, aber das Ka­pi­tel über das El­sass hat er mas­siv kri­ti­siert, da die Er­geb­nis­se der ak­tu­el­len „West­for­schun­g“ (Stein­bach 1939!) nicht ge­nü­gend re­zi­piert wor­den sei­en: „Das Volks­tum zur Be­grün­dung für die Zu­ge­hö­rig­keit des El­saß zu Frank­reich an­zu­füh­ren, er­scheint ab­we­gig und voll­kom­men aus­sichts­los.“ Da aber zahl­rei­che „Be­zie­hun­gen und Ver­flech­tun­gen“ be­stün­den, sei­en die deut­sche und die fran­zö­si­sche Volks­kun­de auf ei­ne en­ge Ko­ope­ra­ti­on an­ge­wie­sen, „weil neue­re Ar­bei­ten den recht be­deu­ten­den volks­mä­ßi­gen An­teil der Ger­ma­nen beim Auf­bau des fran­zö­si­schen Vol­kes und der fran­zö­si­schen Kul­tur dar­ge­tan ha­ben.“ 

Hermann Aubin, undatiert. (Universitätsarchiv Bonn)

 

Ähn­li­che Tö­ne fin­den sich in Franz Pe­tris Ar­ti­kel „Of­fe­ner Brief an ei­nen wal­lo­ni­schen Ge­lehr­ten“, der im Ok­to­ber 1939 (!) in den Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­tern den bel­gi­schen Ro­ma­nis­ten und Me­diä­vis­ten Mau­rice Wil­mot­te (1861-1942) zu­recht­wies und je­de Un­ter­stel­lung, die „West­for­schun­g“ wür­de ei­ne „mi­li­tä­ri­sche und po­li­ti­sche Er­obe­run­g“ vor­be­rei­ten, zu­rück­wies [41].

Zen­der woll­te sich ha­bi­li­tie­ren. Ge­plant war ei­ne Ar­beit über das The­ma „Volks­kun­de des west­deut­schen Grenz­lan­des“ zwi­schen Aa­chen und den Vo­ge­sen. Er woll­te sei­ne For­schun­gen zu Ar­lon, Malme­dy, St. Vith und Lu­xem­burg aus­bau­en und die Un­ter­schie­de zwi­schen Deut­schen, Fran­zo­sen und Wal­lo­nen her­aus­ar­bei­ten. Hier­zu frag­te er nach ei­ner För­de­rung durch den „Volks­bund für das Deutsch­tum im Aus­land.“ Die­ser soll­te die Kos­ten für län­ge­re Ar­chiv- und Bi­blio­theks­rei­sen nach Brüs­sel und Pa­ris über­neh­men. In ei­nem aus­führ­li­chen, bis auf ei­nen klei­nen An­griff ge­gen die „The­sen der fran­zö­si­schen Kul­tur­pro­pa­gan­da“ völ­lig un­po­li­ti­schen Schrei­ben wand­te er sich am 20.12.1938 an die Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung. Der zu­stän­di­ge Lei­ter der Kul­tur­ab­tei­lung war der Kunst­his­to­ri­ker und SA-Ober­füh­rer  Dr. Hans Joa­chim Apf­fel­sta­edt (1902-1944?), der im glei­chen Jahr auf der 50-Jahr­fei­er des Ei­fel­ver­eins ei­ne Re­de ge­hal­ten hat­te und das Ei­fel­mu­se­um in May­en mit ei­nem nam­haf­ten Be­trag för­der­te. Er gab das Schrei­ben an die SS-For­schungs­ge­mein­schaft Ah­nen­er­be, zu der er recht en­ge Be­zie­hun­gen hat­te, mit der Bit­te um Stel­lung­nah­me wei­ter. Die­se lehn­te ei­ne För­de­rung mit al­lem Nach­druck ab, da Zen­der der ka­tho­li­schen Stu­den­ten­ver­ei­ni­gung Unitas-Sa­lia an­ge­hö­re und an­läss­lich sei­nes Stu­di­en­auf­ent­hal­tes in Inns­bruck Mit­glied der „Heim­wehr“ ge­we­sen sein sol­le. Zu­dem hät­te er sich un­be­rech­tig­ter­wei­se als Mit­ar­bei­ter des Ah­nen­er­bes be­zeich­net. Apf­fel­sta­edt wies am 7. März den Gau­do­zen­ten­füh­rer, den Mi­ne­ra­lo­gen und Rek­tor der Uni­ver­si­tät, Karl F. Chu­do­ba (1898-1976), dar­auf hin, dass in Bonn in Zu­sam­men­ar­beit mit dem Ah­nen­er­be die Ein­rich­tung ei­nes Lehr­stuhls für Volks­kun­de ge­plant sei, der ei­ne „ein­deu­tig kla­re welt­an­schau­li­che Li­nie“ ha­be. Ei­ne Zu­sam­men­ar­beit des Amts­in­ha­bers mit Zen­der sei des­halb un­zu­mut­bar. Am 9. März schrieb der Gau­do­zen­ten­füh­rer zu­rück, Zen­der kön­ne sich in Bonn gar nicht ha­bi­li­tie­ren, da es hier kein volks­kund­li­ches Or­di­na­ri­at ge­be. Wei­ter er­klär­te er sich be­reit, bei der Be­schaf­fung ab­leh­nen­der Gut­ach­ten be­hilf­lich zu sein.

Ein wei­te­res Schlüs­sel­do­ku­ment be­fin­det sich in ei­nem Kon­vo­lut von Ak­ten und Brie­fen aus dem VDA. Sie be­tref­fen Kriegs­ge­fan­ge­ne aus der Ge­gend von Ar­lon (1941), ei­ne Ex­kur­si­on mit Bon­ner Stu­den­ten ins west­li­che Grenz­land (1939) und ein Flug­blatt des Bun­des der Deutsch-Bel­gi­er zur Ein­wei­hung ei­nes Denk­mals für den 1847 ge­bo­re­nen und 1916 ge­stor­be­nen His­to­ri­ker Gott­fried Kurth in Ar­lon (1939). In der Ak­te be­fin­det sich wei­ter ein Schrei­ben der Reich­stu­den­ten­füh­rung, Au­ßen­stel­le West in Köln, vom 16.2.1939, mit dem Lan­des­rat Ru­dolf Hil­gers ei­ne Stel­lung­nah­me des Per­so­nal­am­tes der Stu­den­ten­füh­rung der Uni­ver­si­tät Bonn vom 4. Fe­bru­ar über­sandt wur­de [42]. Die Schrift­stü­cke ge­hö­ren wohl in den eben skiz­zier­ten Kon­text, wur­den aber an an­de­rer Stel­le ab­ge­legt. Da­nach war am 13. Ja­nu­ar um ei­ne Be­ur­tei­lung Zen­ders ge­be­ten wor­den. Die­ser ha­be von 1927 bis zu ih­rer Auf­lö­sung der Unitas an­ge­hört. Vor 1933 sei er Mit­glied kei­ner Par­tei ge­we­sen. Dem „ND“ ge­hö­re er nicht an, un­ter­stüt­ze ihn aber. Da­mit ist ver­mut­lich der Bund Neu­deutsch­land ge­meint, ei­ne ka­tho­li­sche Ju­gend­or­ga­ni­sa­ti­on, der auch sein Bru­der Nik­la an­ge­hör­te [43]. Seit dem 15.3.1938 sei er Par­tei­an­wär­ter, seit Ok­to­ber 1933 ge­hö­re er dem NSLB und der NSV  an. Zen­der ver­fü­ge über „ein rei­ches und gründ­li­ches Wis­sen“ und ha­be sich an der „grenz­land­deut­schen Ar­beits­ge­mein­schaf­t“ be­tei­ligt. „Welt­an­schau­lich aber be­wegt er sich völ­lig im Fahr­was­ser des Ka­tho­li­zis­mus und wird sich wohl nie­mals von sei­nen ka­tho­li­schen Bin­dun­gen los­sa­gen kön­nen.“

Zen­ders Ha­bi­li­ta­ti­on, soll­te ver­ei­telt wer­den, wo­bei der Haupt­vor­wurf war, dass er sich „völ­lig im Fahr­was­ser des Ka­tho­li­zis­mus“ be­we­ge. Dies galt für die gan­ze Ab­tei­lung Spra­che und Volks­kun­de am Bon­ner In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de [44]. Die hef­ti­ge Re­ak­ti­on hin­ter den Ku­lis­sen hat­te wohl ver­schie­de­ne Ur­sa­chen: Zu­nächst gab es seit 1938 in­ten­si­ve Pla­nun­gen zur Grün­dung ei­nes volks­kund­li­chen In­sti­tuts, wo­bei sich die Be­tei­lig­ten dar­über ei­nig wa­ren, dass hier­für ei­ne Per­sön­lich­keit ge­fun­den wer­den müs­se, die „welt­an­schau­lich und wis­sen­schaft­lich gleich zu­ver­läs­sig sei.“ Und die, war man sich schon vor­her ei­nig, sei in Bonn nicht zu fin­den [45]. Das In­sti­tut soll­te ei­ne ei­ge­ne Ab­tei­lung für „Er­zähl­gut, Sa­gen und Mär­chen, die aus dem In­sti­tut für Ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de her­aus­zu­neh­men wä­ren,“ er­hal­ten. Zen­ders Per­son war hier nicht vor­ge­se­hen, sein Ha­bi­li­ta­ti­ons­vor­ha­ben brach­te das Kan­di­da­ten­ka­rus­sell ins Schlin­gern. Auch in­halt­lich dürf­te sein Pro­jekt für Be­frem­den ge­sorgt ha­ben: Zen­der woll­te auf sei­ne ei­ge­ne, voll­kom­men un­po­li­ti­sche Art und Wei­se ein hoch­bri­san­tes The­ma be­ar­bei­ten. Ob er un­be­darft, un­in­for­miert oder ein­fach nur ver­trau­ens­se­lig war, sei da­hin­ge­stellt. Hin­zu kommt aber noch ein drit­tes Kon­flikt­feld: 1936 war in Ber­lin beim At­las der deut­schen Volks­kun­de ein „Zen­tral­ar­chiv der deut­schen Volks­er­zäh­lun­g“ ge­grün­det wor­den. 1938 wur­de das Ar­chiv als „Lehr- und For­schungs­stät­te für Volks­er­zäh­lung, Mär­chen- und Sa­gen­kun­de“ dem Ah­nen­er­be ein­ge­glie­dert – hier sah man in Zen­ders For­schungs­vor­ha­ben wo­mög­lich ei­ne un­er­wünsch­te Kon­kur­renz [46].

Zen­der hat­te im Üb­ri­gen bis da­hin auch kein en­ges, aber doch ein un­pro­ble­ma­ti­sches Ver­hält­nis zum VDA. Die Vor­ar­bei­ten zu sei­ner Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift wur­den von 1936 bis 1938 fi­nan­zi­ell ge­för­dert [47]. 1939 wur­de ei­ne Ex­kur­si­on Bon­ner Stu­den­ten ins west­li­che Grenz­land un­ter­stützt und Zen­der leis­te­te Schüt­zen­hil­fe für den Ent­wurf ei­nes Flug­blat­tes des Bun­des der Deutsch-Bel­gi­er zur Ein­wei­hung ei­nes Denk­mals für den 1916 ge­stor­be­nen His­to­ri­ker Gott­fried Kurth in Ar­lon [48]. Mehr­fach hat er auch für die Bun­des­lei­tung des VDA Buch­ma­nu­skrip­te und Pe­ri­odi­ka be­gut­ach­tet, ob sie für ei­nen Druck oder ei­nen Ver­sand nach „Deutsch­bel­gi­en“ in Fra­ge kä­men. Auch sei­ne ei­ge­nen Pu­bli­ka­tio­nen wur­den un­ter­stützt [49]. Be­reits 1938 fand ei­ne Be­spre­chung mit Stu­di­e­n­as­ses­sor Dr. Gülle­cke statt, wie man das Deutsch­tum in Ar­lon för­dern kön­ne [50]. Aus der Kor­re­spon­denz geht wei­ter her­vor, dass sich Zen­der häu­fig nicht in Bonn auf­hielt. Im Au­gust und Sep­tem­ber 1938 weil­te er für „volks­kund­li­che Auf­nah­men“ in Bel­gi­en und Lu­xem­burg, im No­vem­ber 1938 in Ar­lon und im No­vem­ber 1939 in Lu­xem­burg. Die Rei­sen dürf­ten vom VDA be­zu­schusst wor­den sein [51].

Franz Petri, Porträtfoto, um 1961. (Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland)

 

Be­mer­kens­wert ist je­den­falls, dass Stein­bach, das In­sti­tut und die Fa­kul­tät trotz­dem an Zen­der fest­hiel­ten; we­ni­ge Ta­ge spä­ter, am 1.4.1939, wur­de die­ser zum As­sis­ten­ten er­nannt. Als Zen­ders Ver­trag 1941 aus­lief, be­an­trag­te Stein­bach ei­ne Ver­län­ge­rung, die er mit sei­nen Auf­sät­zen und Vor­trä­gen be­grün­de­te. „Sei­ne Ha­bi­li­ta­ti­ons­ar­beit über ‚Be­zie­hun­gen zwi­schen der Ver­brei­tung des volks­tüm­li­chen Er­zähl­gu­tes und der ger­ma­ni­schen-ro­ma­ni­schen Sprach­gren­ze‘ konn­te we­gen sei­ner am 7.11.1939 er­folg­ten Ein­be­ru­fung noch nicht ab­ge­schlos­sen wer­den.“ Es sei mit Si­cher­heit zu er­war­ten, dass er da­mit ei­ne Do­zen­tur er­lan­gen wer­de [52]. Ein ähn­li­ches Schrei­ben rich­te­te Bach am 5.12.1941 an die Fa­kul­tät, aus ei­nem Rand­ver­merk ist ei­ne Wei­ter­be­schäf­ti­gung bis 1943 er­sicht­lich [53]. 1943 er­folg­te ei­ne wei­te­re Ver­län­ge­rung [54].

2.3 Kriegsverwaltungsrat in Arlon

Be­reits am 1.11.1939 wur­de Zen­der zur Wehr­macht ein­be­ru­fen, aber kurz da­nach wie­der ent­las­sen. Am 20.5.1940 wur­de er noch­mals ein­be­ru­fen und tat in Neu­stre­litz (Meck­len­burg-Vor­pom­mern) Dienst als Sol­dat. 1940 und 1941 hielt er sich mehr­fach in Bel­gi­en und Lu­xem­burg auf; er war dort als Sach­be­ar­bei­ter für Volks­tums­fra­gen für die Au­ßen­stel­le West des VDA tä­tig [55]. Am 1.4.1941 wur­de er zum Kriegs­ver­wal­tungs­rat in Ar­lon er­nannt. Sei­ne Auf­ga­be war die ei­nes Re­fe­ren­ten für Sprach­fra­gen bei der deut­schen Kom­man­dan­tur. In­wie­weit bei sei­ner Be­ru­fung Kriegs­ver­wal­tungs­rat Franz Pe­tri, der seit 1940 als Kul­tur­re­fe­rent bei der Mi­li­tär­ver­wal­tung in Bel­gi­en und Nord­frank­reich tä­tig war, ei­ne Rol­le spiel­te, kann hier nicht wei­ter un­ter­sucht wer­den [56]. Zen­der war in Ar­lon für den deutsch­spra­chi­gen Un­ter­richt so­wie die Pfle­ge der deut­schen Spra­che und Kul­tur zu­stän­dig. Ab dem 1.9.1944 war er wie­der­um an un­be­kann­ter Stel­le Sol­dat, zu­nächst in ei­ner Aus­bil­dungs­kom­pa­gnie, nach drei Mo­na­ten dann an der Front. Am 14.4.1945 ge­riet er in ame­ri­ka­ni­sche Ge­fan­gen­schaft, wur­de aber schon am 12. Ju­li ent­las­sen. Er trat sei­nen Dienst am In­sti­tut wie­der an, wur­de aber am 28.1.1946, nach­dem die Bel­gi­er ein Aus­lie­fe­rungs­an­su­chen ge­stellt hat­ten, ver­haf­tet, nach Bel­gi­en über­stellt und dort bis zum 28.9.1949 fest­ge­hal­ten [57]. Mit ei­ner „or­don­nan­ce de non-lieu“, ei­ner Ver­fah­rens­ein­stel­lung aus tat­säch­li­chen oder aus recht­li­chen Grün­den, en­de­te die Un­ter­su­chungs­haft, oh­ne dass An­kla­ge er­ho­ben wor­den wä­re. Er­mit­telt wur­de we­gen des Vor­wurfs, Zen­der ha­be die An­ne­xi­on des Ge­bie­tes um Ar­lon be­trie­ben, wo­zu er in ei­ner aus­führ­li­chen Recht­fer­ti­gungs­schrift Stel­lung be­zog [58].

2.3.1 Elf Zeugnisse zu Zenders Entlastung

Über Zen­ders Tä­tig­keit in Ar­lon hat kürz­lich Car­lo Le­jeu­ne ei­ne um­fang­rei­che Pu­bli­ka­ti­on vor­ge­legt, die so­wohl die um­fang­rei­che Er­mitt­lungs­ak­te als auch Zen­ders per­sön­li­chen Nach­lass aus­wer­tet [59]. Des­halb soll hier nur ein As­pekt auf­ge­grif­fen wer­den: Zwi­schen dem 14.8.1947 und dem 16.1.1948 (be­zie­hungs­wei­se dem 4.7.1949) ent­stan­den elf Er­klä­run­gen, in de­nen Zen­der be­kann­te Per­so­nen ein Zeug­nis über sein Ver­hält­nis zum Drit­ten Reich” aus­stell­ten [60]. Auch wenn die Quel­len­grup­pe die­ser Be­schei­ni­gun­gen, oft „Per­sil­schei­ne“ ge­nannt, nicht un­pro­ble­ma­tisch ist, er­laubt sie doch ei­ne gan­ze Rei­he von Hin­wei­sen auf Zen­ders per­sön­li­ches Um­feld.

Den Auf­takt mach­te am 14.8.1947 Franz Stein­bach mit ei­ner ei­des­statt­li­chen Er­klä­rung. „Dr. Zen­ders re­li­giö­se und po­li­ti­sche Über­zeu­gun­gen wa­ren schon vor 1933 so ge­fes­tigt, dass er nie­mals in Ge­fahr kom­men konn­te, ein ‚Na­zi‘ zu wer­den.“ Nach 1933 sei­en er und sei­ne Ar­beit miss­trau­isch be­ob­ach­tet und an­ge­grif­fen wor­den. „Der äus­ser­li­che Bei­tritt zur Par­tei war […] un­ver­meid­bar, wenn er nicht auf die er­hoff­te wis­sen­schaft­li­che Lauf­bahn von vor­ne­her­ein ver­zich­ten woll­te.“ Sei­ne Be­schäf­ti­gung mit der Sprach­gren­ze und sei­ne For­schun­gen über Ar­lon sei­en aus­schlie­ß­lich „aus wis­sen­schaft­li­chen und per­sön­li­chen Mo­ti­ven“ her­vor­ge­gan­gen und hät­ten nichts mit Po­li­tik zu tun ge­habt. Da­nach ha­be er sei­ne Haupt­auf­ga­be „im Schutz der Be­völ­ke­rung ge­gen par­tei­po­li­ti­sche und bü­ro­kra­ti­sche Miss­grif­fe“ ge­se­hen. Stein­bach un­ter­streicht zum Ab­schluss: „Ich ver­si­che­re, dass ich zu kei­ner Zeit Mit­glied der Par­tei ge­we­sen bin.“

Vier Ta­ge spä­ter folg­te am 18.8.1947 Zen­ders Leh­rer und Men­tor Adolf Bach, der nach dem Ver­lust sei­nes Straß­bur­ger Lehr­stuhls sei­ne Bon­ner Pri­vat­adres­se an­gab [61]. Zen­der sei nur ge­zwun­ge­ner­ma­ßen (von Bach über­re­det?), wi­der­stre­bend und un­ter schwe­ren Ge­wis­sens­bis­sen in die NS­DAP ein­ge­tre­ten, ha­be als prak­ti­zie­ren­der Ka­tho­lik kei­ner­lei Be­zie­hung zu de­ren Ideo­lo­gie be­ses­sen, was sich auch in sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Ar­beit nie­der­ge­schla­gen ha­be. Dass Zen­der von Bach trotz des­sen po­li­ti­scher Ver­gan­gen­heit ein Zeug­nis vor­leg­te, er­scheint be­fremd­lich, ist aber durch die gro­ße Ver­eh­rung ge­gen­über dem Leh­rer er­klär­bar.

Ein er­grei­fen­des Schrei­ben stammt von Edith En­nen, die seit 1930 Stu­di­en­kol­le­gin Zen­ders war. Sie pro­mo­vier­te 1932 bei Stein­bach, wur­de 1935 nach ih­rem Ex­amen für den hö­he­ren Ar­chiv­dienst im Bon­ner In­sti­tut „wis­sen­schaft­li­che Hilfs­ar­bei­te­rin“, ver­trat Zen­ders Stel­le im Krieg und war 1945/1946 sei­ne As­sis­ten­ten­kol­le­gin. En­nen hob am 18. Au­gust Zen­ders „in­ne­re Geg­ner­schaft zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus“ her­vor und be­ton­te die christ­li­che Tra­di­ti­on sei­nes El­tern­hau­ses. Er ha­be der Zen­trums­par­tei na­he ge­stan­den und „leb­haf­te Sym­pa­thi­en für Brü­nin­g“ emp­fun­den [62]. Zen­der sei aus­schlie­ß­lich „aus Sor­ge um sein be­ruf­li­ches Fort­kom­men“ 1937 der Par­tei bei­ge­tre­ten, ha­be sich aber von al­len Ver­an­stal­tun­gen fern­ge­hal­ten. Sei­ne ab­leh­nen­de Ein­stel­lung sei be­merkt wor­den und er ha­be des­halb „be­ruf­li­che Schwie­rig­kei­ten“ ge­habt. Ein Sti­pen­di­um sei ab­ge­lehnt wor­den, weil er „kon­fes­sio­nell ge­bun­den“ ge­we­sen sei. Zen­ders Ein­stel­lung als As­sis­tent stell­te in den Au­gen der Ge­sta­po und des NSD-Stu­den­ten­bun­des ei­ne er­heb­li­che Be­las­tung für das In­sti­tut dar. Auch in Ar­lon ha­be es öf­ters Zu­sam­men­stö­ße mit Ver­tre­tern von Par­tei­or­ga­ni­sa­tio­nen ge­ge­ben. Zen­der sei ein „gü­ti­ger und hilfs­be­rei­ter Men­sch“, ha­be ei­nen „tief­ein­ge­wur­zel­ten Sinn für Hu­ma­ni­tät und To­le­ran­z“, wie es die „Ge­bo­te des Chris­ten­tums und der Mensch­lich­keit“ ver­lan­gen. Sie selbst sei aus re­li­giö­sen Grün­den kein Mit­glied der Par­tei oder ei­ner sons­ti­gen Or­ga­ni­sa­ti­on ge­we­sen.

Ein vier­tes Gut­ach­ten aus dem Bon­ner In­sti­tut stammt von dem po­li­tisch eben­falls un­ver­däch­ti­gen Karl Mei­sen. Zen­der sei ein gu­ter Ka­tho­lik, ein „stil­ler, fleis­si­ger Ge­lehr­ter“, aber „nie Na­tio­nal­so­zia­lis­t“ ge­we­sen. Er selbst sei we­gen sei­ner po­li­ti­schen Hal­tung sei­nes Amts ent­ho­ben wor­den, und er hät­te nach sei­ner Wie­der­ein­set­zung kei­nen As­sis­ten­ten ein­ge­stellt, der der NS-Ideo­lo­gie na­he ge­stan­den ha­be.

Mit er­heb­li­chem zeit­li­chen Ab­stand folg­te am 4.7.1949 ei­ne Er­klä­rung von Franz Pe­tri, der nach dem Krieg sei­nen Köl­ner Lehr­stuhl ver­lo­ren hat­te und in­haf­tiert wor­den war. Nach­dem er zahl­rei­che Zeug­nis­se deut­scher, bel­gi­scher und hol­län­di­scher Kol­le­gen vor­ge­legt hat­te, wur­de er erst als „Mit­läu­fer“, dann als „Ent­las­te­ter“ ein­ge­stuft, oh­ne frei­lich sei­nen Lehr­stuhl zu­rück­zu­er­hal­ten. Nach ei­ner Tä­tig­keit als Nach­hil­fe­leh­rer er­hielt er 1948 vom Rhei­ni­schen Lan­des­mu­se­um in Bonn ei­nen Werk­ver­trag zur Auf­ar­bei­tung von „Schrift­quel­len zum früh­ge­schicht­li­chen Be­fes­ti­gungs­we­sen“ und 1949 vom Bon­ner In­sti­tut ei­nen wei­te­ren über „Die land­schaft­li­che Zu­sam­men­hän­ge in den Ge­bie­ten der Ei­fel, des Mit­tel­rheins und des Wes­ter­wal­des.“ Da­nach grün­de­te er die Ar­beits­ge­mein­schaft für west­deut­sche Lan­des- und Volks­for­schung, die die Ar­beit der West­deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft fort­set­zen soll­te. Ihr Lei­ter war Stein­bach, Pe­tri wur­de Schrift­füh­rer und fi­nan­ziert wur­de das Gan­ze vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ge­samt­deut­sche Fra­gen, wo Pe­tris ehe­ma­li­ger Brüs­se­ler Vor­ge­setz­ter, Franz The­dieck (1900-1995), Staats­se­kre­tär war [63]. 1951 wur­de Pe­tri Di­rek­tor des Pro­vin­zial­in­sti­tuts für west­fä­li­sche Lan­des- und Volks­kun­de in Müns­ter, und 1961 ge­lang es Stein­bach, ihn als sei­nen Nach­fol­ger auf den Lehr­stuhl für rhei­ni­sche Lan­des­ge­schich­te und als Di­rek­tor des In­sti­tuts für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de nach Bonn be­ru­fen zu las­sen [64]. Für fünf Jah­re war er so­mit Kol­le­ge von Mat­thi­as Zen­der. Erst nach sei­ner Eme­ri­tie­rung 1968 ge­lang es, Edith En­nen auf den Stein­bach-Lehr­stuhl zu be­ru­fen.

Pe­tris um­fang­rei­ches Zeug­nis be­rich­tet, dass er ihn be­reits als As­sis­ten­ten ge­kannt ha­be und dass er im Krieg in Brüs­sel über Zen­ders Tä­tig­keit in Ar­lon gut in­for­miert ge­we­sen sei. Im Auf­trag der Mi­li­tär­ver­wal­tung ha­be er „das Über­grei­fen der von der Lu­xem­bur­ger Zi­vil­ver­wal­tung und der volks­deut­schen Be­we­gung Lu­xem­burg ent­fach­ten An­schluss­pro­pa­gan­da“ ent­ge­gen­ge­wirkt. Aus­führ­lich wird aus ei­nem Schrei­ben des Chefs der Mi­li­tär­ver­wal­tung an Gau­lei­ter Gus­tav Si­mon zi­tiert, auch sei­ne schrift­li­che In­struk­ti­on wird wie­der­ge­ge­ben. Zen­der sei in ers­ter Li­nie Wis­sen­schaft­ler ge­we­sen, es hand­le sich um ei­nen „lau­te­ren, re­li­gi­ös fest in sei­nem ka­tho­li­schen Glau­ben ver­wur­zel­ten Men­schen.“

Drei wei­te­re Be­schei­ni­gun­gen stam­men aus dem Trie­rer Pries­ter­se­mi­nar. Pro­fes­sor Dr. Ignaz Ba­ckes (1899-1979) stand mit Zen­der seit 1931 in freund­schaft­li­cher Ver­bin­dung. Er be­zeug­te am 27. Au­gust, Zen­der sei ein „klu­ger Geg­ner“ der Par­tei ge­we­sen, ha­be in sei­ner Volks­tums­for­schung die Irr­tü­mer der NS-Ideo­lo­gie wi­der­legt und den Mi­li­ta­ris­mus so­wie die au­ßen­po­li­ti­sche Ex­pan­si­on ab­ge­lehnt. Am 1. Sep­tem­ber be­schei­nig­te Jo­sef Han­sen (1903-1975), Di­rek­tor des Bi­schöf­li­chen Kon­vikts in Trier, dass er Zen­der seit 25 Jah­ren ken­ne [1922] und mit ihm wäh­rend sei­nes Stu­di­ums in Bonn (1932-1937) viel zu­sam­men ge­we­sen sei. Als treu­er Ka­tho­lik ha­be er Par­tei­mit­glied wer­den müs­sen, da sonst ein Ab­schluss sei­ner Stu­di­en nicht mög­lich ge­we­sen sei [65]. Das drit­te Zeug­nis stammt von Pro­fes­sor Dr. Wil­helm Bartz (1901-1983), der am 12. Ok­to­ber schrieb, dass er Zen­der seit sei­ner Zeit im Bi­schöf­li­chen Kon­vikt und am Gym­na­si­um in Trier so­wie aus sei­ner Stu­den­ten­zeit in Bonn (1931-1936) ken­ne. Zen­der und sei­ne Frau sei­en ent­schie­de­ne Geg­ner des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ge­we­sen, bei ih­nen ha­be er stets „die neu­es­ten Ge­gen­schrif­ten ge­gen die NS­DA­P“ ein­se­hen kön­nen. In sei­nen For­schun­gen sei er „mu­tig und klug dem na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Un­geist und Kir­chen­hass ent­ge­gen“ ge­tre­ten, ha­be sich da­mit je­doch „glän­zen­de Auf­stiegs­mög­lich­kei­ten“ ver­baut [66].

Der aus dem Saar­land stam­men­de Ignaz Ba­ckes hat­te in Trier, Mün­chen und Bonn stu­diert, be­vor er 1935 als Pro­fes­sor für Dog­ma­tik und Dog­men­ge­schich­te an das Trie­rer Pries­ter­se­mi­nar be­ru­fen wur­de, das 1950 zur Theo­lo­gi­schen ­Fa­kul­tät, um­ge­wan­delt wur­de. Ne­ben zahl­rei­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen über Tho­mas von Aquin (um 1225-1274), Al­ber­tus Ma­gnus, Ul­rich von Straß­burg (ge­stor­ben 1277), Ni­ko­laus Cu­sa­nus und Hie­rony­mus Ja­e­gen (1841-1919) ist sei­ne Mit­wir­kung am Zwei­ten Va­ti­ka­ni­schen Kon­zil her­vor­zu­he­ben [67]. Wil­helm Bartz wur­de 1901 in Wett­lin­gen bei Bit­burg, al­so un­weit von Nie­der­weis, ge­bo­ren und be­such­te die Volks­schu­le im be­nach­bar­ten Bet­tin­gen, be­vor er das Fried­rich-Wil­helm-Gym­na­si­um in Trier ab­sol­vier­te. Ab 1921 stu­dier­te er in Trier Theo­lo­gie, nach ei­ner Tä­tig­keit als Leh­rer von 1931 bis 1935 Theo­lo­gie, Ge­schich­te und Phi­lo­so­phie in Bonn. Da­nach war er Leh­rer und Stand­ort­pfar­rer in Bit­burg, wo sei­ne Ar­beit von der NS­DAP er­heb­lich be­hin­dert wur­de. Nach­dem er be­reits 1939 pro­mo­viert wor­den war und sich 1946 in Trier ha­bi­li­tier­te, wur­de er 1947 zum Pro­fes­sor für Fun­da­men­tal­theo­lo­gie er­nannt. Zu­dem war er stän­di­ger Be­ra­ter der Deut­schen Bi­schofs­kon­fe­renz in Fra­gen der Öku­me­ne [68]. Zen­der be­such­te seit 1919 das Trie­rer Fried­rich-Wil­helm-Gym­na­si­um, Wil­helm Bartz seit 1921 und der spä­te­re Re­gens des Pries­ter­se­mi­nars und Dom­ka­pi­tu­lar Jo­sef Han­sen (1903-1975) seit 1923 [69].

Zwei der Zeug­nis­aus­stel­ler wa­ren al­so Schul­kol­le­gen Zen­ders, zwei zu­dem Kom­mi­li­to­nen. Al­le drei sind dem ka­tho­li­schen Mi­lieu zu­zu­ord­nen, in dem Zen­der so­mit noch viel stär­ker ver­wur­zelt war, als bis­her an­ge­nom­men. Un­ter den Pro­fes­so­ren der Trie­rer Uni­ver­si­tät fin­det sich 1947 nicht nur der spä­te­re Bi­schof Mat­thi­as Wehr (1892-1967, Bi­schof von Trier 1951-1966), son­dern auch ein wei­te­rer Schul­ka­me­rad Zen­ders, der spä­te­re Köl­ner Kar­di­nal Jo­seph Höff­ner.

Drei wei­te­re, recht aus­führ­li­che Zeug­nis­se stam­men aus ei­nem drit­ten Kreis von Per­so­nen. Am 30.10.1947 schrieb „Dr. Eu­gen Löff­ler (1883-1979), Mi­nis­te­ri­al­rat im Kul­tus­mi­nis­te­ri­um“, er sei von 1941 bis 1944 „Sach­be­ar­bei­ter für Schul­fra­gen“ beim Chef der Mi­li­tär­ver­wal­tung in Bel­gi­en ge­we­sen [70]. Zen­der ha­be stets den Ge­set­zen ent­spre­chend ge­han­delt und die von ver­schie­de­nen deut­schen Stel­len be­trie­be­nen se­pa­ra­tis­ti­schen Ten­den­zen be­kämpft. Er sei „loy­al ge­gen sein Va­ter­land, kor­rekt und hu­man ge­gen die Be­völ­ke­run­g“ ge­we­sen.

Ober­re­gie­rungs­rat Franz The­dieck gab ab 1.1.1948 in Hen­nef an der Sieg ei­ne um­fang­rei­che ei­des­statt­li­che Er­klä­rung ab. Er war als Ober­ver­wal­tungs­rat bei der Mi­li­tär­ver­wal­tung in Brüs­sel tä­tig ge­we­sen und 1943 we­gen sei­ner po­li­ti­schen Ein­stel­lung auf per­sön­li­che An­ord­nung des Reichs­füh­rers SS ent­fernt wor­den. Er rech­ne­te sich zum Wi­der­stand im Um­feld von Ja­kob Kai­ser (1888-1961) und Carl Fried­rich Go­er­de­ler (1884-1945). Zen­der und sei­ne For­schungs­ar­beit über die Sa­gen und Mär­chen der Grenz­ge­bie­te ken­ne er be­reits aus des­sen As­sis­ten­ten­zeit in Bonn. Zen­der ha­be „die to­ta­li­tä­re Herr­schafts­form, An­ti­se­mi­tis­mus, Ras­sen­dün­kel, Re­li­gi­ons­feind­lich­keit“ ver­ab­scheut. Was The­dieck sag­te, dürf­te al­les wahr sein, aber er sag­te nicht al­les, was wahr ist: Er war von 1923 bis 1930 stell­ver­tre­ten­der Lei­ter der Preu­ßi­schen Ab­wehr­stel­le für die be­setz­ten Ge­bie­te im Rhein­land, die den ­Se­pa­ra­tis­mus ­be­kämp­fen soll­te, wur­de 1931 Re­gie­rungs­rat und war ab 1933 für die Un­ter­stüt­zung der deut­schen Ver­ei­ne in Eu­pen-Malme­dy zu­stän­dig, ei­ne durch­aus sub­ver­si­ve Tä­tig­keit. Gleich­zei­tig war er für den Ver­ein für das Deutsch­tum im Aus­land, Be­zirks­re­fe­rat Mit­tel­rhein tä­tig, mit dem ja auch Zen­der zu­sam­men­ar­bei­te­te. Im Krieg war er „Fla­men­re­fe­ren­t“ in Brüs­sel. In An­leh­nung an Schött­ler und Tie­dau kann man von ei­ner „Run­de“ be­zie­hungs­wei­se „Stun­de der Ex­per­ten“ spre­chen: Eg­gert Ree­der (1894-1959) war un­ter Ge­ne­ral Alex­an­der von Fal­ken­hau­sen (1878-1966) Chef der Mi­li­tär­ver­wal­tung, The­dieck des­sen Ge­ne­ral­re­fe­rent, Pe­tri und Res­se wa­ren un­ter Löff­ler als Lei­ter der Kul­tur­ab­tei­lung Re­fe­ren­ten für Volks­tum, Kul­tur und Wis­sen­schaft [71].

We­gen sei­ner ka­tho­li­schen Hal­tung wur­de The­dieck zur Wehr­macht ver­setzt. Trotz ei­ner Ver­ur­tei­lung we­gen ei­nes ge­fälsch­ten Fra­ge­bo­gens 1946 wur­de er Ober­re­gie­rungs­rat in Köln. Als Staats­se­kre­tär im Bun­des­mi­nis­te­ri­um für ge­samt­deut­sche Fra­gen för­der­te er ab 1950 die von Stein­bach be­grün­de­te Ar­beits­ge­mein­schaft für west­deut­sche Lan­des- und Volks­for­schung [72]. Schlie­ß­lich war er für die Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung tä­tig und wur­de 1966 In­ten­dant des Deutsch­land­funks [73].

Auf The­diecks Zeug­nis be­zieht sich ein Dank­schrei­ben Zen­ders vom 14.10.1949. Zen­der be­dankt sich nach sei­ner Ent­las­sung „für die war­me An­teil­nah­me“ und „für das en­er­gi­sche und ein­drucks­vol­le Gut­ach­ten, das mei­ne Frau 1947 von Ih­nen er­hielt. Ihr Gut­ach­ten trug we­sent­lich da­zu bei, die all­ge­mei­ne At­mo­sphä­re in mei­nem Fall zu än­dern.“ Zen­der er­klärt sich be­reit, The­dieck, der in den Jah­ren nach dem Krieg ei­ne Art An­lauf­stel­le für die ehe­ma­li­gen Mit­ar­bei­ter der Mi­li­tär­ver­wal­tung in Brüs­sel war, über die neue­re La­ge in Bel­gi­en zu un­ter­rich­ten. Wei­ter be­rich­tet er, er ha­be sei­ne „un­frei­wil­li­ge Mu­ße“ für ei­ne Be­schäf­ti­gung mit Fra­gen der fran­zö­si­schen Kul­tur­ge­schich­te ge­nutzt [74].

Ein letz­tes Tes­tat stammt vom 16.1.1948. Ober­re­gie­rungs­rat Dr. Wolf­gang Streit (1904-1969) war als „Sach­be­ar­bei­ter für An­ge­le­gen­hei­ten der all­ge­mei­nen Ver­wal­tun­g“ ein Kol­le­ge Zen­ders in Ar­lon. Die­ser ha­be sich für die bel­gi­sche Be­völ­ke­rung ein­ge­setzt und den se­pa­ra­tis­ti­schen Be­stre­bun­gen der in Lu­xem­burg tä­ti­gen Par­tei­funk­tio­nä­re ent­ge­gen­ge­wirkt. Zen­der sei „ein Mann der Wis­sen­schaft und über­dies ein be­ton­ter Ka­tho­lik [75].

Es gibt al­so ins­ge­samt elf Testa­te, di e in­ner­halb von fünf Mo­na­ten En­de 1947 und An­fang 1948 be­zie­hungs­wei­se 1949 ent­stan­den. Drei von ih­nen stam­men aus dem Trie­rer Pries­ter­se­mi­nar, von Kol­le­gen aus Zen­ders Schul- und Stu­di­en­zeit, fünf aus dem Bon­ner In­sti­tut und drei von Kol­le­gen, die im Krieg in Ar­lon und Brüs­sel tä­tig wa­ren. Ob es tak­tisch ge­schickt war, sie um ein Zeug­nis zu bit­ten, das den bel­gi­schen Be­hör­den vor­ge­legt wer­den soll­te, sei da­hin­ge­stellt, auch über die Ent­schei­dung für Adolf Bach wun­dert man sich. Auch das nach­träg­lich vor­ge­leg­te Tes­tat Franz Pe­tris be­frem­det. In je­dem Fall wer­fen die drei Zeug­nis­se ein in­ter­es­san­tes Licht auf Zen­ders Be­zie­hun­gen nach Trier, auf sei­ne Ver­wur­ze­lung im ka­tho­li­schen Mi­lieu und sein Netz­werk in Ar­lon. Ge­nutzt ha­ben sie frei­lich we­nig; Zen­der blieb bis 1949 in Un­ter­su­chungs­haft. Dar­an än­der­te auch ein Schrei­ben des bel­gi­schen Mund­ar­ten­for­schers Pro­fes­sor Hen­ri Draye (1911-1983) an das Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um von 1949 nichts, der sich eben­falls für Zen­der ein­setz­te [76]. Draye war 1937 als Stu­dent nach Bonn ge­kom­men. Die West­deut­sche For­schungs­ge­mein­schaft för­der­te sei­nen Auf­ent­halt mit ei­nem gro­ßzü­gi­gen Sti­pen­di­um. Be­reits 1937 re­fe­rier­te er auf der Ta­gung in Aa­chen und 1938 ver­öf­fent­lich­te er zwei Sam­mel­be­rich­te über sied­lungs­ge­schicht­li­che Ar­bei­ten in den süd­li­chen Nie­der­lan­den [77]. Er war eng mit En­nen, Tex­tor und Zen­der be­freun­det, wor­auf die er­hal­te­ne Kor­re­spon­denz der Jah­re 1939 bis 1942 hin­weist [78].

Be­reits am 8.3.1948 mel­de­te sich Draye wie­der bei Stein­bach und dank­te für die vie­len An­re­gun­gen, die er in sei­ner Bon­ner Zeit er­hal­ten hat­te. Er be­rich­tet aus­führ­lich von den Schwie­rig­kei­ten nach Kriegs­en­de, er sei al­ler­dings 1946 zu­m Or­di­na­ri­us  ­für Deut­sche Phi­lo­lo­gie und Li­te­ra­tur­ge­schich­te des Mit­tel­al­ters in Lö­wen er­nannt wor­den. Es sei noch zu früh, die al­ten Be­zie­hun­gen wie­der auf­zu­neh­men, aber er freue sich auf das Wie­der­er­schei­nen der Vier­tel­jahrs­blät­ter. Er ha­be sich „an den Ad­vo­ka­ten (!) Herrn Zen­ders in Ar­lon“ ge­wandt, der sich al­ler­dings nicht mel­de. Franz Pe­tri ha­be bes­se­re Chan­cen, für ihn ha­be er ein Zeug­nis be­sorgt [79]. Am 1. April ant­wor­te­te Stein­bach, nach al­ler­hand Nach­rich­ten schreibt er: „Un­se­re grö­ß­te Sor­ge ha­ben wir im­mer noch um Herrn Zen­der. Sei­ne Frau schreibt mir eben, dass An­kla­ge ge­gen ihn er­ho­ben sei: dé­tour­ne­ment des in­sti­tu­ti­ons d‘état bel­ge. Was da­mit ge­meint sein soll, ist mir völ­lig un­klar. Ver­su­chen Sie doch bit­te al­les, was in Ih­rer Kraft steht, zu hel­fen.“ Zen­der ha­be sein Schick­sal am al­ler­we­nigs­ten ver­dient, man ver­mis­se ihn auch als Be­ar­bei­ter des Rhei­ni­schen Wör­ter­buchs. Um Pe­tri ma­che er sich we­ni­ger Sor­ge, er be­sit­ze „viel Le­bens­kraft und En­er­gie […]. Zen­der ist viel wei­cher und auch kör­per­lich we­ni­ger fest.“

Am 9.7.1948 kann Draye freu­dig ei­nen Be­such in Köln und Bonn an­kün­di­gen [80]. 1949 re­fe­rier­te er auf der Jah­res­haupt­ver­samm­lung des Ver­eins für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de über die Ko­ope­ra­ti­ons­mög­lich­kei­ten von Ar­chäo­lo­gie und Sprach­ge­schich­te bei der Orts­na­mens­for­schung im nord­west­eu­ro­päi­schen Kon­text [81]. 1956 pu­bli­zier­te er in den Vier­tel­jahrs­blät­tern ei­nen Auf­satz über Orts­na­men und Sprach­gren­zen in Bel­gi­en und 1966 re­fe­rier­te er auf der Ar­beits­ta­gung über die li­te­ra­ri­sche Ver­mitt­lungs­funk­ti­on Flan­derns im Mit­tel­al­ter [82]. Kon­ti­nui­tä­ten bei der „West­for­schung gab es al­so nicht nur im Rhein­land.“

2.3.2 Die deutsche Sprachinsel um Arlon

Im Raum Ar­lon gab es ei­ne gro­ße deutsch­spra­chi­ge Min­der­heit. Das Ge­biet, in den 1920er Jah­ren im Ge­gen­satz zu Eu­pen-Malme­dy (Neu-Deutsch-Bel­gi­en) als „Alt-Deutsch-Bel­gi­en“ be­zeich­net, um­schloss 312 Qua­drat­ki­lo­me­ter mit 73 Ort­schaf­ten und 41.000 Ein­woh­nern, von de­nen 33.000 deutsch­spra­chig wa­ren. Sie wur­de in der Re­gi­on, in Deutsch­land und in Bel­gi­en sehr un­ter­schied­lich wahr­ge­nom­men: In Ar­lon ver­stand man sich über­wie­gend als bel­gi­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge mit deut­scher Spra­che. In Bel­gi­en er­in­ner­te man sich da­ge­gen an die Gräu­el des Ers­ten Welt­krie­ges, sah in der Nicht­ver­wen­dung der fran­zö­si­schen Spra­che ei­ne un­pa­trio­ti­sche Par­tei­nah­me und ver­mu­te­te in den deutsch­spra­chi­gen Bel­gi­ern po­ten­ti­el­le Kol­la­bo­ra­teu­re im nächs­ten Krieg. Auf deut­scher Sei­te sah man in ih­nen da­ge­gen un­ter­drück­te Lands­leu­te, kri­ti­sier­te die „Ver­wel­schun­g“ und träum­te von ei­ner „Wie­der­ein­deut­schun­g“. Mat­thi­as Zen­der da­ge­gen war von der Spra­che und Kul­tur der Re­gi­on be­geis­tert, die ihn auch in ih­rer Al­ter­tüm­lich­keit an sei­ne Ei­fel­hei­mat er­in­ner­te.

Franz Steinbach, Porträtfoto. (Universitätsarchiv Bonn)

 

Die Mi­li­tär­ver­wal­tung tat im be­setz­ten Bel­gi­en al­les, um Kon­flik­te mit der ein­hei­mi­schen Be­völ­ke­rung zu ver­mei­den. An­ders als in Lu­xem­burg und in Eu­pen-Malme­dy wur­den Ein­grif­fe von NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen wie SS und SD be­hin­dert so­wie Dis­kus­sio­nen um An­ne­xio­nen in der Nach­kriegs­ord­nung ver­mie­den [83] . In­so­fern hat man die deut­sche Spra­che und Kul­tur zwar ge­för­dert, je­doch al­les ge­tan, um ei­ne Iden­ti­fi­zie­rung mit den neu­en Macht­ha­bern zu ver­mei­den. Le­jeu­ne kommt zu ei­ner sehr dif­fe­ren­zier­ten Ant­wort auf die Fra­gen „War Zen­der ein Na­zi?“, war er „Teil des Un­ter­drü­ckungs­ap­pa­ra­tes oder ge­rad­li­ni­ger Hu­ma­nist?“ Er stellt fest, dass Zen­der zu Un­recht als Re­prä­sen­tant, als Gal­li­ons­fi­gur des ver­hass­ten Re­gimes an­ge­se­hen wur­de, und dass sich auch die Maß­stä­be der bel­gi­schen Ge­rich­te in der Nach­kriegs­zeit ver­än­dert hat­ten, bis der Kas­sa­ti­ons­hof 1949 fest­stell­te, dass die Ver­tre­tung deut­scher In­ter­es­sen al­lein noch kei­ne Straf­tat sei.

2.3.3 Arlon und Zenders Arbeiten zur Grenzlandforschung vor 1939

Be­vor wir auf Zen­ders wis­sen­schaft­li­che Ar­bei­ten zu spre­chen kom­men, muss vor­aus­ge­schickt wer­den, dass die „Grenz­land­for­schun­g“ seit 1928 ein wich­ti­ger For­schungs­schwer­punkt des Bon­ner In­sti­tuts war. Zahl­rei­che Pro­jek­te, Ver­öf­fent­li­chun­gen, Se­mi­na­re und Ex­kur­sio­nen be­fass­ten sich mit dem Saar­land, Lu­xem­burg und dem bel­gi­schen Ost­ge­biet um St. Vith, Eu­pen und Malme­dy. Mit die­ser Re­gi­on be­schäf­tig­te sich Zen­der be­reits bei der Ma­te­ri­al­samm­lung für sei­ne ­Dis­ser­ta­ti­on und wohl auch schon bei den Vor­ar­bei­ten für die ge­plan­te Ha­bi­li­ta­ti­on. So ver­öf­fent­lich­te er 1936 ei­nen klei­nen Auf­satz über Sa­gen aus der Ge­gend von St. Vith, Eu­pen und Malme­dy [84].

'Familie H.-W. aus Post bei Arrel'. (Zender, Quellen und Träger, 1937)

 

Im glei­chen Jahr hielt er auf dem Deut­schen Volks­kun­de­tag in Bre­men ei­nen Vor­trag, der 1937 un­ter dem Ti­tel „Quel­len und Trä­ger der deut­schen Volks­er­zäh­lun­g“ ge­druckt wur­de. In dem Auf­satz spie­len Er­zäh­ler aus dem Raum um Ar­lon, von de­nen meh­re­re ab­ge­bil­det wer­den, ei­ne gro­ße Rol­le [85] . 1937 er­schien auch in der Rei­he „Deut­sches Grenz­volk im Wes­ten er­zähl­t“ sein Buch „In Ei­fel und Ar­den­nen.“

Be­reits 1939 ver­öf­fent­lich­te Zen­der ei­ne ge­wich­ti­ge Ab­hand­lung über „die deut­sche Spra­che in der Ge­gend von Arel“ (85). Bei der um­fang­rei­chen Un­ter­su­chung, die die Grö­ßen­ord­nung und Qua­li­tät ei­ner ­Dis­ser­ta­ti­on er­reich­te, han­del­te es sich wo­mög­lich um ein grö­ße­res Ka­pi­tel aus der ge­plan­ten Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift (86). Dem Auf­satz ist ei­ne drei­sei­ti­ge „lan­des­kund­li­che Vor­be­mer­kun­g“ des auch in Bonn im Be­reich der „West­for­schun­g“ tä­ti­gen Geo­gra­phen Jo­sef Schmit­hü­s­en (1909-1984), der 1934 über das rhei­ni­sche Schie­fer­ge­bir­ge pro­mo­viert hat­te und da­nach mit der Ar­beit an sei­nem Buch „Das Lu­xem­bur­ger Land – Lan­des­na­tur, Volks­tum und bäu­er­li­che Wirt­schaf­t“ (1940) be­gann, vor­an­ge­stellt (87). Schmit­hü­s­en war da­nach in ähn­li­chen Funk­tio­nen wie Zen­der in Ar­lon in Lu­xem­burg tä­tig (88), wo der be­rüch­tig­te Gau­lei­ter Gus­tav Si­mon ei­ne mas­si­ve Re­ger­ma­ni­sie­rungs­pol­tik ver­such­te, die auch nach Ar­lon aus­strahl­te (89).

Zen­ders Ar­beit ba­sier­te auf um­fang­rei­chen Li­te­ra­tur­stu­di­en und zahl­rei­chen For­schungs­auf­ent­hal­ten, bei de­nen er die Be­völ­ke­rung be­frag­te. Sie zeig­ten ei­nen „stil­len, aber zä­hen Ab­wehr­kampf ge­gen die Ver­wel­schung.“ Der Ver­fas­ser ana­ly­sier­te Spra­chen­kar­ten, Fa­mi­li­en- und Flur­na­men, aber auch Grab­stei­ne und To­ten­zet­tel, um die „Um­vol­kun­g“ in Form von Be­völ­ke­rungs- und Sprach­ver­schie­bun­gen nach­zu­wei­sen. Die Rol­le der Ver­wal­tungs­ge­schich­te wur­de da­bei eben­so be­rück­sich­tigt wie die der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung, der Ver­wal­tung, der Schu­len, der Kir­che und der Pres­se. Aus­führ­lich schil­der­te Zen­der die Rol­le des „Deut­schen Ver­eins zur He­bung und Pfle­ge der Mut­ter­spra­che im deut­sch­re­den­den Bel­gi­en“ vor dem Ers­ten Welt­krieg. Dann ka­men „Sie­ges­tau­mel un­d Chau­vi­nis­mus  ­der Nach­kriegs­zeit“, die deut­sche Spra­che ver­schwand aus Schu­len, Kir­chen und Be­hör­den. Die bel­gi­schen Dar­stel­lun­gen die­ser Phä­no­me­ne wer­den eben­so kri­ti­siert wie die amt­li­che Sprach­sta­tis­tik von 1930, der Zen­der sei­ne Be­ob­ach­tun­gen über die Ver­brei­tung und Funk­ti­on der Mund­art ge­gen­über stellt.

'Bauer P. aus Thommen b. St. Vith'. (Zender, Quellen und Träger, 1937)

 

„Der bo­den­stän­di­ge, in un­se­rem Fal­le al­so deut­sche, Teil ei­ner Stadt­be­völ­ke­rung gibt der Stadt im­mer das ei­gent­li­che Ge­prä­ge, selbst wenn die Zahl klei­ner ist als die der Frem­den.“ Im Bau­ern­tum sah er ei­nen Ga­ran­ten für den Fort­be­stand der deut­schen Spra­che und Kul­tur. Frei­lich müs­se es auch mög­lich sein, „reichs­deut­sche“ Zei­tun­gen und Bü­cher zu kau­fen, was selbst am Bahn­hof nicht mög­lich sei. Das Ra­dio schaf­fe jetzt neue Mög­lich­kei­ten (90). Po­li­tisch sei­en „die Deut­schen von Arel“ al­ler­dings „be­tont bel­gi­sch“, treue Un­ter­ta­nen des Kö­nigs und froh, dass nach dem Krieg wie­der Ru­he ein­ge­kehrt sei. Die po­li­ti­sche Zu­ge­hö­rig­keit der Re­gi­on zu Bel­gi­en stellt Zen­der al­so nicht in Fra­ge. Er ver­traut auf die Selbst­hei­lungs­kraft der Tra­di­ti­on: „Das deut­sche Volks­tum um Arel wird aus sich selbst ge­sun­den.“

2.3.4 Zenders Arbeiten über Arlon nach 1941

Der Krieg be­ein­träch­tig­te die wis­sen­schaft­li­che Ar­beit Zen­ders, führ­te aber auch zu neu­en Pro­jek­ten (91). Er stand die gan­ze Zeit über in en­gem Brief­kon­takt mit Edith En­nen, die den In­sti­tuts­be­trieb in Bonn auf­recht­er­hielt, bis 1942 die Vier­tel­jahrs­blät­ter re­di­gier­te und Zen­der über Neu­ig­kei­ten in­for­mier­te (92). 1940 er­schie­nen noch vier und 1941 drei Ar­bei­ten aus sei­ner Fe­der. Die meis­ten stan­den mit sei­ner neu­en Tä­tig­keit in Ver­bin­dung. 1940 pu­bli­zier­te er über ein Mär­chen aus der Ge­gend um Arel und über das Sa­gen­gut des Krei­ses Malme­dy, 1941 über den „deut­schen Dich­ter“ Pe­ter Klein (1825-1855) in Lu­xem­burg, der 1855 ein Buch über „die Spra­che der Lu­xem­bur­ger“ ver­fasst hat­te und sich ge­gen die fran­zö­si­schen Ein­flüs­se zur Wehr setz­te, und über den „deut­schen Kämp­fer“ Ni­ko­laus War­ker, der we­gen sei­nes Ein­tre­tens für ei­ne Ger­ma­ni­sie­rung in Ar­lon nach dem Ers­ten Welt­krieg aus dem Schul­dienst ent­fernt wor­den war.

'K. aus Hünningen bei St. Vith'. (Zender, Quellen und Träger, 1937)

 

Ei­ne Schrift Zen­ders ist be­son­ders her­vor­zu­he­ben: Da der Vor­le­sungs­be­trieb durch den Krieg ge­stört war, wur­den von 1939 bis 1944 an der Uni­ver­si­tät Bonn knapp 160 „Kriegs­vor­trä­ge“ ge­hal­ten. Nam­haf­te Re­fe­ren­ten von der Hoch­schu­le, aber auch aus NS-Or­ga­ni­sa­tio­nen und Wehr­macht re­fe­rier­ten über The­men von all­ge­mei­nem In­ter­es­se, die mehr oder min­der pro­pa­gan­dis­tisch aus­ge­rich­tet wa­ren; sie wur­den spä­ter als klei­ne Hef­te ge­druckt (93). 1942 sprach „Dr. M. Zen­der, Mit­glied des NSD-Do­zen­ten­bun­des“ über den „Spra­chen­kampf im volks­deut­schen Ge­biet um Arel“ (94). Der Le­ser stol­pert zu­nächst über den mar­tia­li­schen Ti­tel und Be­grif­fe wie „Ver­wel­schun­g“ oder „Um­vol­kun­g“, die wir heu­te in en­gem Zu­sam­men­hang mit der NS-Ideo­lo­gie se­hen. Es kann sein, dass sie da­mals zur All­tags- be­zie­hungs­wei­se zur Wis­sen­schafts­spra­che der „West­for­schun­g“ ge­hört ha­ben. Es wä­re aber auch denk­bar, dass Zen­der sie ab­sicht­lich be­nutzt hat: Li­ni­en­treue Le­ser er­kann­ten sie wie­der und konn­ten den Ein­druck ge­win­nen, der an­sons­ten weit­ge­hend un­po­li­ti­sche Text be­ken­ne sich da­mit zur Li­nie der NS­DAP (95).

Doch ab­ge­se­hen von dem Ti­tel und ei­ni­gen Be­grif­fen stellt der Vor­trag ei­ne bril­lan­te Ana­ly­se des Ver­hält­nis­ses von deut­scher und fran­zö­si­scher Spra­che im Ge­biet um Ar­lon dar. Man er­kennt dar­in die brei­te hu­ma­nis­ti­sche Bil­dung, wie er den Bo­gen von der Ein­füh­rung der fran­zö­si­schen Amts­spra­che durch die Bur­gun­der­her­zö­ge im 15. über die Ein­wan­de­rung wal­lo­ni­scher Ei­sen­ar­bei­ter im 18. Jahr­hun­dert zur ter­ri­to­ria­len Zu­ord­nung der Re­gi­on nach Lu­xem­burg und dann nach Bel­gi­en spann­te.

'Bauer D. aus Mont-Xhoffraix bei Malmedy'. (Zender, Quellen und Träger, 1937)

 

Im 19. Jahr­hun­dert galt Fran­zö­sisch als Spra­che der fei­nen Leu­te. Nach dem Ers­ten Welt­krieg wur­de Deutsch als „Spra­che des Fein­des“ an­ge­se­hen und zu­neh­mend aus den Schu­len und aus der Ver­wal­tung ver­drängt. Ab 1930 war Deutsch­un­ter­richt an den Schu­len wie­der zu­ge­las­sen. 1931 wur­de als In­ter­es­sen­ver­tre­tung ein „Bund der Deutsch­bel­gier“ ins Le­ben ge­ru­fen. Die Ent­wick­lung nach 1939 wird nicht wei­ter an­ge­spro­chen, der Vor­trag en­det mit ei­nem Lob für ei­ne tap­fe­re Volks­grup­pe, die „mit der Er­hal­tung ih­rer deut­schen Mut­ter­spra­che die Grund­la­ge ih­res Volks­tums be­wahrt und da­mit für ei­ne spä­te­re ge­sun­de Ent­wick­lung des deut­schen Volks­tums in Arel die not­wen­di­gen Vor­aus­set­zun­gen ge­schaf­fen“ hat. Mit die­ser Schrift konn­te sich Zen­der auch nach 1945 noch se­hen las­sen. Wir ler­nen hier ei­ne sei­ner Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten ken­nen: Er war ein be­geis­ter­ter His­to­ri­ker und Volks­kund­ler, der sei­ne Hei­mat – wo­zu er auch Deutsch­bel­gi­en zähl­te – in­nig lieb­te. Aber er war kein Po­li­ti­ker, und er woll­te die­sen auch kei­ne Rat­schlä­ge ge­ben. Des­halb lie­fer­te er ei­ne ein­fühl­sa­me und fun­dier­te Ana­ly­se, die ei­ne aus­ge­präg­te Sym­pa­thie für sei­ne neue Hei­mat er­ken­nen lässt, er warb für Ver­ständ­nis, stell­te aber kei­ne kon­kre­ten For­de­run­gen.

Hin­zu­wei­sen bleibt noch auf ei­ne Ab­hand­lung Zen­ders über „die Bin­nen­wan­de­rung Bel­gi­ens in völ­ki­scher Sich­t“, in der es um das Ver­hält­nis von Fla­men und Wal­lo­nen, um Wan­de­rungs­be­we­gun­gen und Ge­bur­ten­über­schuss geht; auch hier spielt der Raum Ar­lon ei­ne be­son­de­re Rol­le (96). Von da an klafft in sei­nem Schrif­ten­ver­zeich­nis ei­ne Lü­cke bis zum Jah­re 1950 (97). Bei dem Are­ler Hei­mat­ka­len­der, der 1943 und 1944 vom Deut­schen Sprach­ver­ein her­aus­ge­ge­ben wur­de, trat Zen­der als Au­tor nicht in Er­schei­nung (98).

2.3.5 Der Eifelverein und „Neu-Deutsch-Belgien“

Schlie­ß­lich sei noch dar­auf hin­ge­wie­sen, dass im deutsch­spra­chi­gen Bel­gi­en auch der Ei­fel­ver­ein kei­ne ruhm­vol­le Rol­le spiel­te (99). In Malme­dy war be­reits 1888 und in Eu­pen 1893 ei­ne Orts­grup­pe ge­grün­det wor­den. Bis 1913 gab es al­lein im Kreis Malme­dy elf Orts­grup­pen, und 1933 zähl­te man in Eu­pen-Malme­dy sechs Orts­grup­pen mit rund 730 Mit­glie­dern (100). Sie hat­ten ih­re Ar­beit als Wan­der- und Kul­tur­ver­ei­ne fort­ge­setzt und ih­re Ver­bin­dun­gen zu den Orts­grup­pen in Deutsch­land und zum Haupt­ver­ein auf­recht­er­hal­ten.

'Bauer D. aus Oviat bei Malmedy'. (Zender, Quellen und Träger, 1937)

 

1933 wur­de der Ei­fel­ver­ein pro­blem­los gleich­ge­schal­tet, sei­ne Ver­an­stal­tun­gen und Pe­ri­odi­ka hat man kur­zer­hand zu Fo­ren der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Pro­pa­gan­da um­funk­tio­niert. Be­reits 1933 wur­de bei ei­ner Ver­an­stal­tung in Dort­mund die Rück­kehr des „ur­al­ten deut­schen Lan­des […] mit fast rein deut­scher Be­völ­ke­run­g“ in Eu­pen-Malme­dy ge­for­dert, und 1934 hat­te der Vor­sit­zen­de Karl Leo­pold Kauf­mann, der vor dem Krieg Land­rat in Malme­dy war, die „För­de­rung des Deutsch­tums in der West­mar­k“ durch den Ei­fel­ver­ein an­ge­mahnt (101). 1940 ver­öf­fent­lich­te Kauf­mann ei­ne Mo­no­gra­phie „Der Grenz­kreis Malme­dy in den ers­ten fünf Jahr­zehn­ten der preu­ßi­schen Ver­wal­tung.“ Auch hier gibt es in­ter­es­san­te Kon­ti­nui­tä­ten, 1961 folg­te der An­schluss­band „Der Kreis Malme­dy. Ge­schich­te ei­nes Ei­fel­krei­ses von 1885 bis 1920.“ Das Buch, in dem auch das Wir­ken des Ei­fel­ver­eins aus­führ­lich ge­wür­digt wur­de, gab der Bon­ner His­to­ri­ker Hein­rich Neu (1906-1976) aus dem Nach­lass her­aus; Kauf­mann war 1944 bei ei­nem Bom­ben­an­griff auf Bonn ums Le­ben ge­kom­men (102).

Auf der 50-Jahr­fei­er des Ei­fel­ver­eins hielt Kauf­mann 1938 in Trier ei­ne mar­tia­li­sche Ab­schieds­re­de. Zu sei­nem Nach­fol­ger als „Ver­eins­füh­rer“ wur­de der Schlei­de­ner Land­rat Dr. Jo­sef Schramm (1901-1991) ge­wählt, der eben­falls ei­ne pro­gram­ma­ti­sche An­spra­che hielt. Da­nach ha­be der Ei­fel­ver­ein be­reits 1933 er­klärt, dass er „in den volks- und hei­mat­kund­li­chen Richt­li­ni­en der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Be­we­gung freu­dig sei­ne al­ten Zie­le er­kennt, für die er be­son­ders in schwers­ter Nach­kriegs­zeit ge­ar­bei­tet und ge­kämpft hat.“ Schramms be­son­de­rer Gruß galt den „Lands­leu­ten jen­seits der Gren­ze“, die „treu zu ih­rem Volks­tum ste­hen.“ Be­reits zu­vor wa­ren die Orts­grup­pen aus Eu­pen und Malme­dy, die „ab­ge­trenn­ten Brü­der aus Neu­bel­gi­en“, herz­lich be­grü­ßt wor­den. Der Ver­ein wol­le die „Hei­mat- und Volks­kun­de“ för­dern und da­bei die „deut­schen Volks­grup­pen im be­nach­bar­ten Aus­lan­de in ih­rem ehr­li­chen Volks­tums­kampf“ un­ter­stüt­zen (103).

Den bel­gi­schen Be­hör­den blie­ben die­se Äu­ße­run­gen nicht ver­bor­gen, zu­mal sie auch in der Mit­glie­der­zeit­schrift, ab 1933 „Die Ei­fel“, und im Ei­fel­ka­len­der pu­bli­ziert wur­den. Po­si­tiv wur­de dies von den „West­for­schern“ wahr­ge­nom­men: Be­reits 1931 wies der lang­jäh­ri­ge Schrift­lei­ter der Vier­tel­jahrs­blät­ter, Mar­tin He­rold, auf den Ei­fel­ka­len­der für 1932 hin: Das Ei­fel­land wer­de in sei­ner vol­len Brei­te von „Eu­pen, Bül­lin­gen, St. Vith bis … zum lu­xem­bur­gi­schen Oe­s­lin­g“ ab­ge­deckt (104). Da­s Am­t T­he­dieck ver­sorg­te In­ter­es­sen­ten in Eu­pen-Malme­dy gro­ßzü­gig mit Li­te­ra­tur, so 1938 mit 20 Ex­em­pla­ren von „Mein Kampf“ und 1936 mit 1.000 Ei­fel­ka­len­dern (105). Die bel­gi­schen Be­hör­den be­äug­ten die Ver­eins­ak­ti­vi­tä­ten des­halb kri­tisch, ver­bo­ten den Staats­be­am­ten die Mit­glied­schaft im Ei­fel­ver­ein und setz­ten auch Lie­fe­ran­ten für staat­li­che Ein­rich­tun­gen un­ter Druck. Nach der An­ne­xi­on be­grü­ß­te die Mit­glie­der­zeit­schrift die Deutsch­bel­gi­er bei ih­rer „Rück­kehr in das Va­ter­land des Gro­ß­deut­schen Reichs“ und ging da­mit weit über die Po­si­tio­nen hin­aus, die der vor­sich­ti­ge Zen­der und die zu­rück­hal­ten­de Mi­li­tär­ver­wal­tung ver­tra­ten (106).

2.4 Assistent und Professor für Volkskunde in Bonn (1945-1993)

Ab dem 1.11.1949 war Zen­der wie­der As­sis­tent in Bonn. 1954 ha­bi­li­tier­te er sich mit der bahn­bre­chen­den Un­ter­su­chung „Räu­me und Schich­ten mit­tel­al­ter­li­cher Hei­li­gen­ver­eh­rung in ih­rer Be­deu­tung für die Volks­kun­de. Die Hei­li­gen des mitt­le­ren Maas­lan­des und der Rhein­lan­de in Kult­ge­schich­te und Kult­ver­brei­tun­g“ (1959, 2. Auf­la­ge 1973) für das Fach „Deut­sche Volks­kun­de“ (107). Wie sei­ne Stu­di­en zur Sa­gen­for­schung und zur Sprach­ge­schich­te wa­ren auch sei­ne Ar­bei­ten zur Hei­li­gen­ver­eh­rung der fä­cher­über­grei­fen­den Kul­tur­raum­for­schung und der kar­to­gra­phi­schen Me­tho­de ver­pflich­tet, aber auch der ka­tho­li­schen und hu­ma­nis­ti­schen Bil­dungs­tra­di­ti­on, die sei­ne gan­ze Vi­ta be­stimm­te.

Für die Pro­be­vor­le­sung schlug er drei The­men vor: „Die kul­tu­rel­le Kri­se des Land­volks und die deut­sche Volks­kun­de“ (an­ge­nom­men), „Ei­gen­art und Ent­wick­lung des Brauch­tums in den Rhein­lan­den“ so­wie „Mär­chen, Sa­ge und Schwank in ih­ren Be­zie­hun­gen und in ih­rer Ab­gren­zung ge­gen­ein­an­der.“ Für die An­tritts­vor­le­sung lau­te­ten die The­men: „Die Wand­lung der so­zia­len Struk­tur heu­ti­ger In­dus­trie­land­schaf­ten in ih­rer Aus­wir­kung auf das volks­kund­li­che Er­schei­nungs­bil­d“, „Über­schich­tun­gen und Ver­än­de­run­gen volks­kund­li­cher Er­schei­nun­gen in Grenz­ge­bie­ten ei­nes Kul­tur­rau­mes“ (The­ma in An­leh­nung an das ur­sprüng­li­che Ha­bi­li­ta­ti­ons­vor­ha­ben) und „Mund­art­li­che Wort­ver­brei­tungs­kar­ten in ih­rer Be­deu­tung für die Volks­kun­de.“

Das The­ma der Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift, Hei­li­gen­ver­eh­rung, Wall­fahrt und Volks­fröm­mig­keit im Rhein­land und in der Ei­fel, zieht sich wie ein ro­ter Fa­den durch Zen­ders ge­sam­tes Werk. Ge­nannt sei­en hier nur ein Auf­satz über „Schutz­hei­li­ge der Haus­tie­re“ (1935) und über die drei Ma­tro­nen und ih­re Nach­fol­ge­rin­nen (1940) so­wie grö­ße­re Ver­öf­fent­li­chun­gen über die Hei­li­gen Qui­rin von Neuss, Ma­xi­min von Trier un­d Se­ve­rin von Köln (108). Letz­te­re wa­ren Bei­hef­te zu Kar­ten im „Ge­schicht­li­chen At­las der Rhein­lan­de“, die mus­ter­gül­tig die räum­li­che Aus­strah­lung ei­nes Trie­rer und ei­nes Köl­ner Hei­li­gen­kul­tes ana­ly­sier­ten (109). Klei­ne­re Auf­sät­ze wid­me­te er den Hei­li­gen Apol­li­na­ris, Cas­si­us, Dio­ny­si­us, Flo­ren­ti­us, Hu­ber­tus, Karl dem Gro­ßen und Re­mi­gius (110).

Von 1954 bis 1958 war Zen­der al­s Pri­vat­do­zen­t in Bonn tä­tig, ha­bi­li­tier­te sich dann nach Köln um. Ver­mut­lich woll­te man den Ein­druck ei­ner Haus­be­ru­fung ver­mei­den. In Köln hat­te er be­reits seit 1954 – die Per­so­nal­ak­ten ge­ben hier un­ter­schied­li­che Da­ten an – ei­nen un­be­sol­de­ten Lehr­auf­trag. 1960 wur­de er als Nach­fol­ger von Karl Mei­sen zum au­ßer­or­dent­li­chen, 1963 zum or­dent­li­chen Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Bonn er­nannt. 1964 wur­de nach der Be­ru­fung von Ru­dolf Schüt­zei­chel (1927-2016) die Ab­tei­lung für Rhei­ni­sche Sprach­ge­schich­te mit dem Rhei­ni­schen Wör­ter­buch von der Ab­tei­lung für Rhei­ni­sche Volks­kun­de ge­trennt. Bis zu sei­ner E­me­ri­tie­run­g 1974 lei­te­te Zen­der das volks­kund­li­che Se­mi­nar und die Ab­tei­lung für rhei­ni­sche Volks­kun­de am In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de. 1976 konn­te er das 50-jäh­ri­ge Ju­bi­lä­um sei­nes ers­ten Be­suchs in die­sem In­sti­tut fei­ern, das nach sei­nem Hei­mat­dorf zum zwei­ten Fix­punkt in sei­nem Le­ben ge­wor­den war.

Seit 1955 lei­te­te Zen­der die neu ge­grün­de­te Volks­kund­li­che Ar­beits­stel­le des Land­schafts­ver­bands Rhein­land (LVR) beim In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de, zu­nächst haupt­be­ruf­lich als Lan­des­ver­wal­tungs­rat, seit 1960 dann in sei­ner Funk­ti­on als Lehr­stuhl­in­ha­ber. Die­se exis­tiert noch heu­te als Fach­ab­tei­lung des LVR-In­sti­tuts für Lan­des­kun­de und Re­gio­nal­ge­schich­te. Zen­ders Se­mi­nar und das re­nom­mier­te Bon­ner In­sti­tut gibt es da­ge­gen nicht mehr. Es bleibt zu hof­fen, dass die Ju­ni­or­pro­fes­sur für Kul­tur­an­thro­po­lo­gie und Volks­kun­de am In­sti­tut für Ar­chäo­lo­gie und Kul­tur­an­thro­po­lo­gie sei­ne Ar­beit fort­setzt.

Karl Leopold Kaufmann, Porträtfoto. (Eifelverein - Hauptgeschäftsstelle und Eifelbibliothek)

 

Zen­ders viel­fäl­ti­ge Auf­ga­ben und Pro­jek­te, aber auch sei­ne Her­kunft aus der Ei­fel, die kei­nes­wegs den Blick auf über­re­gio­na­le Zu­sam­men­hän­ge ver­stell­te, präg­ten auch sei­ne Lehr­tä­tig­keit. Ei­ne gan­ze Ge­ne­ra­ti­on von Volks­kund­lern und Sprach­wis­sen­schaft­lern saß vor sei­nem Ka­the­der be­zie­hungs­wei­se be­glei­te­te ihn bei der Feld­for­schung und auf Ex­kur­sio­nen. Ge­blie­ben ist die Er­in­ne­rung an den „hei­li­gen Zen­der“, den „fast all­wis­sen­den Zen­der“ (111).

Nach­dem Zen­der be­reits als Schü­ler Fra­ge­bö­gen für das Rhei­ni­sche Wör­ter­buch aus­ge­füllt hat­te, blieb er dem neun­bän­di­gen Werk auch wäh­rend sei­ner wei­te­ren Tä­tig­keit eng ver­bun­den. Nach dem Tod des lang­jäh­ri­gen Be­ar­bei­ters Hein­rich Ditt­mai­er (1907-1970), der von 1946 bis 1970 das Wör­ter­buch be­treu­te, brach­te Zen­der 1971 den letz­ten Band zum Ab­schluss (112). Be­reits 1929 war Zen­der mit dem Auf­bau der Lan­des­stel­le Rhein­land des At­las der deut­schen Volks­kun­de be­traut wor­den (113). Der Ar­beit der Ber­li­ner At­las-Zen­tral­stel­le stand er kri­tisch ge­gen­über. Zu­nächst ein­mal be­ton­te er, dass es nicht die Auf­ga­be der Volks­kun­de sei, die The­sen der Sprach­geo­gra­phie zu be­stä­ti­gen (114). Wei­ter glaub­te er, dass „his­to­ri­sche Strö­mungs­rich­tun­gen“ nicht „volks­tums­geo­gra­phi­sch“ durch Blut und Bo­den be­dingt sei­en und auch nicht, dass sie in grau­er ger­ma­ni­scher Vor­zeit ent­stan­den sind, son­dern ein Er­be des christ­li­chen Mit­tel­al­ters sei­en (115). 1954 er­hielt Mat­thi­as Zen­der den Auf­trag, die neue Fol­ge des Volks­kun­de-At­las her­aus­zu­ge­ben. Die­ses Werk brach­te er 1984 mit 84 Kar­ten­blät­tern, rund 2.000 Sei­ten Er­läu­te­run­gen und drei Bei­hef­ten zum Ab­schluss. Auch hier­bei spiel­ten die kar­to­gra­phi­sche Me­tho­de und der kul­tur­räum­li­che For­schungs­an­satz ei­ne wich­ti­ge Rol­le. We­ni­ger Er­folg hat­te er mit ei­nem grö­ße­ren Pro­jekt: Von dem Eth­no­lo­gi­schen At­las Eu­ro­pas er­schien nur die ers­te Lie­fe­rung „Die Ter­mi­ne der Jah­res­feu­er in Eu­ro­pa.“

1971 ver­fass­te Zen­der mit sei­nem Schü­ler, dem Müns­te­ra­ner Volks­kund­ler Gün­ter Wie­gel­mann (1928-2008) und sei­nem Mar­bur­ger Kol­le­gen Ger­hard Heil­furth (1909-2006) ei­ne Ein­füh­rung in die Volks­kun­de. Zen­der steu­er­te da­zu ein gro­ßes Ka­pi­tel über „Glau­be und Brauch. Fest und Spiel“ bei, in dem er sich un­ter an­de­rem mit der Rol­le un­ter­schied­li­cher Kon­fes­sio­nen be­schäf­tig­te, so­wie ei­ne Zu­sam­men­schau „Zeit­räum­li­che Be­trach­tung. Er­geb­nis­se der Kul­tur­raum­for­schun­g“, in der er nach­drück­lich die Be­rück­sich­ti­gung ak­tu­el­ler Ent­wick­lun­gen an­mahn­te.

Ei­ne wei­te­re Ge­samt­schau ver­öf­fent­lich­te Zen­der in der Neu­be­ar­bei­tung der „Rhei­ni­schen Ge­schich­te“, die in den 1970er Jah­ren in An­griff ge­nom­men wur­de. Wäh­rend die Teil­bän­de über das Mit­tel­al­ter und die Frü­he Neu­zeit ein Frag­ment blie­ben und sich zu­dem auf die po­li­ti­sche und die Ver­fas­sungs­ge­schich­te kon­zen­trier­ten, steht der Band über „Wirt­schaft und Kul­tur im 19. und 20. Jahr­hun­der­t“ ganz in der Tra­di­ti­on ei­ner in­ter­dis­zi­pli­nä­ren Lan­des­ge­schich­te und greift zu­dem er­freu­lich weit in das 20. Jahr­hun­dert hin­über (116). Ne­ben Bei­trä­gen zur Wirt­schafts- und So­zi­al­ge­schich­te, zur Kir­chen- und Schul­ge­schich­te so­wie zur Li­te­ra­tur- und Kunst­ge­schich­te fin­det sich auch ein 108 Druck­sei­ten um­fas­sen­der Bei­trag von Zen­der über „das Volks­le­ben in den Rhein­lan­den seit 1815.“ Dar­in be­han­delt er die Ge­schich­te der rhei­ni­schen Volks­kun­de so­wie den „Wan­del des Volks­le­bens“ von 1830 bis 1930. Er zeigt das Ver­schwin­den, den Wan­del und das Auf­kom­men neu­er Bräu­che auf und ana­ly­siert die kul­tu­rel­len, wirt­schaft­li­chen und ge­sell­schaft­li­chen Ur­sa­chen. In ei­nem wei­te­ren Schritt wer­den länd­li­che und in­dus­tri­el­le Ge­bie­te cha­rak­te­ri­siert, be­vor er ab­schlie­ßend recht kurz die Ent­wick­lung von 1930 bis 1970 in den Blick nimmt.

Zen­der starb 1993 im Al­ter von 86 Jah­ren und wur­de ne­ben sei­ner Frau auf dem Fried­hof in Nie­der­weis bei­ge­setzt. Von den zahl­rei­chen Eh­run­gen sei­en nur drei her­vor­ge­ho­ben: 1972 ga­ben sei­ne Kol­le­gin Edith En­nen und sein Schü­ler Gün­ter Wie­gel­mann ei­ne Fest­schrift zu sei­nem 65. Ge­burts­tag her­aus, die in zwei Bän­den mit 1.262 Druck­sei­ten 83 Bei­trä­ge ver­ei­nigt. Sie zeigt nicht nur die Band­brei­te der In­ter­es­sen des Ju­bi­lars, son­dern auch das Aus­maß sei­nes wis­sen­schaft­li­chen Netz­wer­kes. Ei­nen zen­tra­len Schwer­punkt bil­det die Kul­tur­raum­for­schung, es folgt der nicht min­der in­ter­es­san­te The­men­be­reich Hei­li­gen­ver­eh­rung und re­li­giö­se Volks­kun­de, dann Volks­glau­ben und Brauch, All­tag und Sach­kul­tur, münd­li­che und li­te­ra­ri­sche Volks­über­lie­fe­rung so­wie Sprach-, Lan­des- und Kir­chen­ge­schich­te (117).

Matthias Zender auf Exkursion nach Echternach und Speicher, undatiert, Foto: Foto: Bärbel Kerkhoff-Hader.

 

Fünf Jah­re spä­ter ga­ben Zen­ders Schü­ler Hein­rich L. Cox und Gün­ter Wie­gel­mann ei­ne zwei­te Fest­schrift her­aus. Sie ver­sam­mel­te an­läss­lich sei­nes 70. Ge­burts­ta­ges 1977 un­ter dem Ti­tel „Ge­stalt und Wan­del“ auf 471 Druck­sei­ten ins­ge­samt 22 Auf­sät­ze des Ju­bi­lars „zur rhei­nisch-west­fä­li­schen Volks­kun­de und Kul­tur­raum­for­schung.“ Die drei Sek­tio­nen be­han­deln The­men der kul­tur­räum­li­chen Dif­fe­ren­zie­rung, Volks­glau­ben und Volks­brauch so­wie Volks­er­zäh­lun­gen und Volks­spra­che (118). Schlie­ß­lich sei noch das zum 80. Ge­burts­tag Zen­ders von Jo­sef Man­gold zu­sam­men­ge­stell­te Schrif­ten­ver­zeich­nis er­wähnt, das sei­ne zahl­rei­chen Bü­cher, Auf­sät­ze und Le­xi­kon­ar­ti­kel an­führt (119).

Die ge­sam­mel­ten Auf­sät­ze und die Pu­bli­ka­ti­ons­lis­te sind heu­te au­ßer­or­dent­lich wich­ti­ge Quel­len, weil nicht nur das Bon­ner In­sti­tut mit sei­ner in­ter­dis­zi­pli­när aus­ge­leg­ten kul­tur­räum­li­chen Kon­zep­ti­on zu be­ste­hen auf­ge­hört hat, son­dern auch die Volks­kun­de heu­te an­de­re Schwer­punk­te ver­folgt. So ist der Be­reich der re­li­giö­sen Volks­kun­de und der Hei­li­gen­ver­eh­rung weit­ge­hend in den Hin­ter­grund ge­tre­ten. The­ma ist heu­te nicht mehr die al­te, die un­ter­ge­gan­ge­ne Ei­fel, son­dern die ­mo­der­ne Ei­fel mit Neu­bau­ge­bie­ten, Pend­ler­strö­men und Hal­lo­ween-Par­tys, zu de­nen in­zwi­schen auch per Face­book ein­ge­la­den wird (120).

3. Die Sagen und Märchen der Eifel

Samm­lun­gen von Sa­gen und Mär­chen gibt es seit dem 19. Jahr­hun­dert in gro­ßer Zahl, er­in­nert sei nur an die Mär­chen der Ge­brü­der Grimm, Karl Jo­seph Sim­rocks R­hein­sa­gen oder das Buch „Sit­ten und Bräu­che, Lie­der, Sprüchwör­ter und Räth­sel des Ei­feler Vol­kes ...“ des Gil­len­fel­der Pfar­rers Jo­hann Hu­bert Schmitz (1807-1882) von 1856. Er hat­te er­kannt, dass die­se „in Fol­ge der ver­än­der­ten Zeit­ver­hält­nis­se mit je­dem Tag mehr und mehr aus dem Ge­dächt­nis­se und Le­ben des Volks schwin­den.“ Da die Be­woh­ner der Ei­fel „we­nig mit Frem­den in Ver­kehr ka­men“ so­wie ein „ein­för­mi­ges und von so man­chen Mü­hen und Ent­beh­run­gen ge­drück­tes Le­ben“ führ­ten, sei­en hier noch „Sit­ten und Bräu­che aus vor­christ­li­cher Zeit und von un­sern noch heid­ni­schen, alt­deut­schen Vor­fah­ren“ über­lie­fert. An­zu­füh­ren sind au­ßer­dem die bei­den Sa­gen­samm­lun­gen des Volks­schul­leh­rers Hein­rich Hoff­mann (1848-1917) aus Brei­ten­be­n­den (heu­te Stadt Me­cher­nich) über die Sa­gen des Rur- und des In­de­ge­bie­tes (1911, 1914). Als Vor­bil­der für Zen­ders Sam­mel­werk wer­den auch Ni­ko­laus Gredts (1834-1909) „Sa­gen­schatz des Lu­xem­bur­ger Lan­des“ (1883) und die „Sa­gen des Ber­gi­schen Lan­des“ von Ot­to Schell (1858-1931) aus dem Jah­re 1897 ge­nannt (121).

Hefte und Kalender mit der Urschrift der Sagen der Westeifel, 1929-1936. (Nachlass Matthias Zender)

 

Was Mat­thi­as Zen­der mit sei­nen, an­spre­chend mit Fo­tos der Ei­fel und ei­ni­ger Er­zäh­ler aus­ge­stat­te­ten, „Volks­sa­gen der West­ei­fel“ (372 S.) und sei­nen „Volks­mär­chen und Schwän­ke aus der West­ei­fel“ (171 S.) von 1935 vor­ge­legt hat, war da­ge­gen ei­ne um­fas­sen­de und sys­te­ma­ti­sche Do­ku­men­ta­ti­on des Ge­dächt­nis­ses sei­ner Hei­mat, des münd­li­chen Er­zähl­guts ei­ner gan­zen Re­gi­on. Im Vor­wort der „Volks­sa­gen“ be­rich­tet er, dass er in den Jah­ren 1929 bis 1934 und zum Teil auch schon von 1924 bis 1927 zahl­rei­che Rei­sen durch die West­ei­fel un­ter­nom­men hat­te. Da­bei konn­te er ein ge­schlos­se­nes Ge­biet er­for­schen: Die da­ma­li­gen Krei­se Bit­burg und Prüm, den Nor­den des Krei­ses Trier so­wie Tei­le der Krei­se Daun und Witt­lich, die deutsch­spra­chi­gen Ge­bie­te um Malme­dy, St. Vith und Ar­lon so­wie in Lu­xem­burg. Es han­delt sich um ein „Re­likt­ge­bie­t“ im Sin­ne der Kul­tur­raum­for­schung, das kei­ne Städ­te be­saß und „Jahr­hun­der­te lang ab­seits des gro­ßen Kul­tur­stro­mes“ lag, so dass sich hier „man­che al­ter­tüm­li­che Kul­tur­er­schei­nung bis in un­se­re Ta­ge“ er­hal­ten hat.

Zu Fuß und mit dem Fahr­rad zog Zen­der von Dorf zu Dorf und er­kun­dig­te sich zu­nächst beim Leh­rer, dann in den Ge­schäf­ten, Wirt­schaf­ten und Post­stel­len so­wie bei äl­te­ren Bau­ern und Leu­ten, die vor der Tür sa­ßen, nach Per­so­nen, die Ge­schich­ten er­zäh­len konn­ten. 379 Er­zäh­ler mach­te er so aus­fin­dig. Er frag­te sie nach Ge­schich­ten aus al­ten Zei­ten, die man sich an lan­gen Win­ter­aben­den er­zähl­te, und sprach sie dann ge­zielt auf The­men wie He­xen, Ge­spens­ter, Tem­pel­her­ren, Raub­rit­ter, Schwe­den, al­te Bur­gen, ver­fal­le­ne Klös­ter, aus­ge­stor­be­ne Dör­fer, Glo­cken, Teu­fel, Zwer­ge, Hein­zel­männ­chen, Wer­wöl­fe, Wil­de Jagd, He­xen, Ge­spens­ter, Wie­der­gän­ger usw. an.

Hefte und Kalender mit der Urschrift der Sagen der Westeifel, 1929-1936. (Nachlass Matthias Zender)

 

Die Sa­gen zeich­ne­te Zen­der in Ge­gen­wart der Er­zäh­ler auf, wo­bei er Aus­schmü­ckun­gen ver­mied und In­kon­se­quen­zen nicht be­rei­nig­te. Zen­der do­ku­men­tier­te al­so die Sa­gen in ih­rer ur­sprüng­li­chen Kür­ze und ih­rer sprö­den Form, oh­ne sie zu ver­schö­nern und aus­zu­spin­nen. Ein wei­te­rer Vor­zug sei­ner Ar­beits­wei­se liegt in der Tat­sa­che, dass er die Er­zäh­ler, ihr Er­zähl­ver­hal­ten und die Er­zähl­um­stän­de und so­mit die gan­zen Kon­tex­te do­ku­men­tier­te (122). Durch die Über­tra­gung in die Schrift­spra­che ging zwar viel vom Cha­rak­ter des Er­zäh­lens ver­lo­ren, doch wur­den vie­le Tex­te in der Mund­art wie­der­ge­ge­ben. Er­hal­ten sind in sei­nem Nach­lass cir­ca 100 Hef­te und Ka­len­der, von de­nen die Hälf­te Mit­schrif­ten und die an­de­re sorg­fäl­tig an­ge­fer­tig­te Rein­schrif­ten ent­hält. Sorg­fäl­tig ist ver­merkt, wel­che Hef­te für die we­sent­lich er­wei­ter­te Neu­auf­la­ge der Volks­sa­gen von 1966 durch­ge­se­hen wur­den. Ton­film und Ton­band stan­den ihm da­mals lei­der noch nicht zur Ver­fü­gung, al­ler­dings ex­pe­ri­men­tier­te er mit Schall­plat­ten (123).

Hefte und Kalender mit der Urschrift der Sagen der Westeifel, 1929-1936. (Nachlass Matthias Zender)

 

Zen­ders Buch war an ein brei­tes Pu­bli­kum adres­siert, zu­nächst an die Wis­sen­schaft, dann an die „Volks­bild­ner“, die Leh­rer, die es im hei­mat­kund­li­chen Un­ter­richt ver­wen­den soll­ten, und schlie­ß­lich soll­te es ein „Volks­buch für brei­te­re Krei­se“ wer­den. „Für Leu­te al­ler­dings, die beim Le­sen die­ses Bu­ches über die ‚Rück­stän­dig­keit‘ der West­ei­fel stau­nen und über den ‚kras­sen Aber­glau­ben‘ mei­ner Hei­mat lä­cheln, ist die­ses Buch nicht ge­schrie­ben.“

Der zwei­te Band „Volks­mär­chen und Schwän­ke“ folg­te noch im glei­chen Jahr. Er ent­hält auf 171 Sei­ten 200 Ge­schich­ten aus ei­ner Samm­lung von 1.264 Tex­ten so­wie ei­ne län­ge­re Ein­füh­rung über „Er­zäh­len und Er­zäh­ler in der West­ei­fel“. Es wer­de „in der West­ei­fel noch er­zählt, wenn auch nicht mehr so oft und so viel wie frü­her.“ Er­zählt wer­de in der Spinn­stu­be, in der Werk­statt, in der Wirt­schaft, bei der Kir­mes, beim Ver­wand­ten­be­such und in der Fa­mi­lie, wo man die Kin­der ins Bett schick­te, wenn die Ge­spens­ter­ge­schich­ten so rich­tig span­nend wur­den. Be­son­ders freu­te man sich, wenn ein Hand­wer­ker oder Fuhr­mann kam und neue „Ste­ckel­cher“ mit­brach­te. Kri­tisch wird das Ver­hält­nis von ge­druck­ten Ro­ma­nen und Er­zäh­lun­gen, von Ka­len­dern und Zei­tun­gen zum münd­li­chen Er­zähl­gut hin­ter­fragt. „Die Bau­ern hal­ten meist heu­te ih­re Ta­ges­zei­tung, sie hö­ren sonn­tags beim Wirt Ra­dio.“ 4.000 Sa­gen und 1.264 Mär­chen ha­be er von 417 Er­zäh­lern ge­hört. Der Band en­det mit ei­nem Ap­pell zur Er­hal­tung der Er­zähl­kul­tur, die zu ei­ner bo­den­ver­bun­de­nen Bau­ern­kul­tur ge­hö­re. Schlie­ß­lich ist noch auf ei­nen drit­ten, mit 106 Sei­ten eher hand­li­chen Band hin­zu­wei­sen: Er trägt den Ti­tel „In Ei­fel und Ar­den­nen“ und er­schien 1936 in der Rei­he „Deut­sches Grenz­volk im Wes­ten er­zählt.“

Herr Theis aus Winterspelt. (Zender, Volkssagen, 1935)

 

Zen­ders Bü­cher er­schie­nen in ge­die­ge­ner Aus­stat­tung und mit ei­ner Rei­he von Schwarz­wei­ß­ta­feln. Die­se zei­gen die Cha­rak­ter­köp­fe ei­ni­ger Er­zäh­ler, aber auch Sze­nen aus dem Dorf­le­ben. So zeigt das Bild mit der Un­ter­schrift „No­ber er­zähl­t“ ei­ne Grup­pe von zehn Per­so­nen, die sich um ei­nen Kü­chen­tisch ver­sam­meln und ei­nem Mann zu­hö­ren, der wohl auf ei­nem Wohn­zim­mer­stuhl Platz ge­nom­men hat. (No­ber war ein Ar­bei­ter in Püt­scheid bei Prüm). Die Män­ner tra­gen Hü­te und Müt­zen, die Frau­en stri­cken Strümp­fe, zu es­sen oder zu trin­ken gibt es nichts. Das Bild „Jo­hann Schwin­nen, Wils­ecker, singt ein Lied vor“, macht dar­auf auf­merk­sam, dass Zen­der auch Lie­der auf­zeich­ne­te. An an­de­rer Stel­le er­wähnt er, von dem in ei­nem Dorf bei Kyll­burg le­ben­den Er­zäh­ler ha­be er über 200 Ge­schich­ten und 70 Lie­der er­hal­ten (124). Am Bon­ner In­sti­tut gab es ein um­fang­rei­ches Volks­lie­dar­chiv, das 22.000 Lie­der do­ku­men­tier­te (125). Man sieht den schwei­gen­den Sän­ger im Sonn­tags­staat mit Kra­wat­te und Uhr­ket­te, ge­gen­über der jun­ge Zen­der, als Stu­dent eben­falls in An­zug und Kra­wat­te, wie er sich flei­ßig No­ti­zen macht. Ein wei­te­res Bild zeigt ei­nen raum­fül­lend plat­zier­ten Er­zäh­ler, der dem jetzt kurz­ge­scho­re­nen Zen­der ei­ne Ge­schich­te er­zählt, die die­ser an ei­nem halb­run­den Tisch mit zwei Blu­men­töp­fen mit­schreibt. Ein vier­tes Bild zeigt die 80-jäh­ri­ge Bäue­rin Frau Schnei­der aus Bü­des­heim bei Prüm, den Pro­to­ty­pen ei­ner ur­al­ten Gro­ß­mut­ter, die zu­sam­men­ge­kau­ert im Ses­sel sitzt und ih­ren an­ge­spannt lau­schen­den En­keln Ge­schich­ten er­zählt: „Aß et nou wuhr aß, ich kann et net son, se han awer su ver­zahlt.“

'Nober erzählt'. (Nachlass Mathias Zender)

 

Frei­lich muss man bei all die­sen Ab­bil­dun­gen be­rück­sich­ti­gen, dass es sich um In­sze­nie­run­gen, um ge­stell­te Fo­tos han­del­te. Dies gilt auch für ei­ne Rei­he von Auf­nah­men, die sich im Ar­chiv des LVR-In­sti­tuts für Lan­des­kun­de und Re­gio­nal­ge­schich­te in Bonn er­hal­ten ha­ben. Sie zei­gen Mat­thi­as Zen­der mit ei­nem As­sis­ten­ten bei der Samm­lung von Sa­gen und Mär­chen in der bel­gi­schen Pro­vinz Lu­xem­burg und im bel­gi­schen Thom­men wäh­rend der 1930er Jah­re. Be­fremd­lich ist al­ler­dings, dass die Bau­ern hier wäh­rend der Feld­ar­beit oder auf dem Weg zur Ar­beit be­fragt wer­den; ei­ner steht an ei­nem Zaun, ein an­de­rer trägt ei­ne Sen­se (126).

Zen­ders Wunsch nach ei­ner grö­ße­ren Ver­brei­tung sei­ner Samm­lung er­füll­te sich. Von den „Volks­mär­chen“ er­schien 1984 ei­ne neu be­ar­bei­te­te Fas­sung. Von den „Volks­sa­gen“ kam 1966 un­ter dem Ti­tel „Sa­gen und Ge­schich­ten aus der West­ei­fel“ ei­ne von 1.300 auf 1.885 Tex­te er­wei­ter­te Neu­aus­ga­be auf den Markt, die 1980 und 1986 nach­ge­druckt wur­de. Ge­gen­über der Erst­aus­ga­be wur­de die Bild­aus­stat­tung ver­än­dert, die Er­zäh­ler tra­ten in den Hin­ter­grund, ma­le­ri­sche An­sich­ten der ro­man­ti­schen Ei­fel hin­ge­gen in den Vor­der­grund. Das Vor­wort ent­hält in­ter­es­san­te Hin­wei­se auf Ver­än­de­run­gen in den 30 Jah­ren, die seit der Erst­auf­la­ge ver­gan­gen wa­ren. Zen­der be­rich­tet, dass er die Samm­lung 1936 ab­bre­chen muss­te und 1938 nicht mehr auf­neh­men konn­te. Der Bau des West­walls und „stän­di­ge Ein­quar­tie­run­gen mit ih­ren wild­frem­den Men­schen“ hät­ten viel Un­ru­he in die Ei­fel ge­bracht.

'Johann Schwinnen, Wilsecker, singt ein Lied vor'. (Nachlass Mathias Zender)

 

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg hat­te sich die Si­tua­ti­on dann voll­stän­dig ver­än­dert. Die meis­ten Er­zäh­ler wa­ren in­zwi­schen ver­stor­ben, gro­ße Tei­le des Er­zähl­gu­tes sei­en ver­lo­ren ge­gan­gen. In den 1950er und 60er Jah­ren ver­än­der­te sich die Ei­fel dann in un­ge­heu­rem Tem­po. Nicht nur das Er­zähl­gut und die Tech­ni­ken des Er­zäh­lens ver­schwan­den, son­dern auch die vor­in­dus­tri­el­le Le­bens- und Ar­beits­welt in den Dör­fern, von de­nen sie be­rich­ten. Zen­ders Mär­chen und Sa­gen do­ku­men­tie­ren so­mit das kul­tu­rel­le Ge­dächt­nis ei­ner Re­gi­on, das sich so we­der aus Ver­wal­tungs­ak­ten noch aus Zei­tun­gen re­kon­stru­ie­ren lässt. Es ist eben­so ver­schwun­den wie die tra­di­tio­nel­le Land­wirt­schaft und die pit­to­res­ken Dör­fer der „al­ten Ei­fel.“

Zen­der woll­te ein Buch für Leh­rer, den Hei­mat­kun­de­un­ter­richt und für brei­te Krei­se der Be­völ­ke­rung schrei­ben. Wie steht es mit der sei­ner­zeit an ers­ter Stel­le ge­nann­ten wis­sen­schaft­li­chen Er­schlie­ßung? Heu­te ist die Er­zähl­for­schung ei­ne eta­blier­te Fach­dis­zi­plin. So gibt es zum Bei­spiel ei­ne „Kom­mis­si­on Er­zähl­for­schun­g“ in­ner­halb der Deut­schen Ge­sell­schaft für Volks­kun­de, die re­gel­mä­ßig Ta­gun­gen ver­an­stal­tet und Pu­bli­ka­tio­nen her­aus­gibt (127). Zen­der selbst hat mit sei­ner Dis­ser­ta­ti­on  „Die Sa­ge als Spie­gel­bild von Volks­art und Volks­le­ben im west­li­chen Grenz­lan­d“ ei­ne wich­ti­ge Grund­la­ge ge­schaf­fen. Er un­ter­such­te ex­em­pla­risch die Sa­gen über Zwer­ge, Hun­nen, Tem­pel­her­ren, Bur­gen und Dör­fer so­wie Schatz­sa­gen und frag­te nach der Her­kunft und Ent­wick­lung, nach der „Bio­lo­gie der Sa­ge“ und nach dem Ver­hält­nis von Er­zäh­lern und Hö­rern. Hin­zu kommt ei­ne Viel­zahl von Auf­sät­zen des Au­tors. Be­reits 1937 hat­te er sei­ne For­schun­gen in ei­nem Auf­satz „Quel­len und Trä­ger der deut­schen Volks­er­zäh­lun­g“ ei­ner brei­te­ren Fach­öf­fent­lich­keit zu­gäng­lich ge­macht (128).

Ne­ben an­de­ren Pu­bli­ka­tio­nen ist vor al­lem auf sei­ne 1973 er­schie­ne­ne Stu­die „Volks­er­zäh­lun­gen als Quel­len für Le­bens­ver­hält­nis­se ver­gan­ge­ner Zei­ten“ hin­zu­wei­sen (129). Hier er­ör­tert er ein­lei­tend die Fra­ge nach dem Quel­len­wert von Sa­gen für die Lo­kal­ge­schich­te. Zahl­rei­che Sa­gen be­sit­zen ei­nen aus­ge­prägt an­ti­feu­da­len Cha­rak­ter, sie kri­ti­sier­ten das gott­lo­se und fre­vel­haf­te Le­ben der Raub­rit­ter und Mön­che, die al­le ih­re ge­rech­te Stra­fe er­hiel­ten. Da­ge­gen schil­dern vie­le Er­zäh­lun­gen die Na­po­leo­ni­sche Zeit recht po­si­tiv. Zen­der kann die Ent­ste­hung die­ses Er­zähl­guts in die 1830er bis 60er Jah­re da­tie­ren. Ger­ma­nisch oder mit­tel­al­ter­lich sind sie al­so nicht, auch wenn man­che der Ge­schich­ten sich schon um 1220 bei Cae­sa­ri­us von Heis­ter­bach und an­de­re in den Schwan­ker­zäh­lun­gen der Re­for­ma­ti­ons­zeit nach­wei­sen las­sen (130). In je­dem Fall er­leb­te man geist­li­che und welt­li­che Grund­herr­schaft im 18. Jahr­hun­dert kaum noch durch Mön­che und Rit­ter, son­dern durch ei­ne wohl­or­ga­ni­sier­te Ver­wal­tung. Wel­che Rol­le hier per­sön­li­ches Er­le­ben, li­te­ra­ri­sche Vor­bil­der und die auf­ge­klär­te Ab­so­lu­tis­mus­kri­tik im Ein­zel­nen ge­spielt ha­ben, wä­re noch ge­nau­er zu un­ter­su­chen. Es ist je­den­falls er­staun­lich, dass un­ter der viel­fach kri­ti­sier­ten preu­ßi­schen Herr­schaft die Zeit des Al­ten Reichs so ne­ga­tiv und die mit ho­hen Steu­ern und vie­len Kriegs­zü­gen ver­bun­de­ne fran­zö­si­sche Zeit so po­si­tiv ge­se­hen wur­de, ob­wohl vie­le Be­woh­ner der West­ei­fel 1798 im „Klöp­pel­krie­g“ ge­gen die fran­zö­si­sche Herr­schaft auf­be­gehr­ten.

In ei­nem zwei­ten Teil wer­tet Zen­der sei­ne Er­zäh­lun­gen als his­to­ri­sche Quel­le für ver­schie­de­ne Be­rei­che der Volks­kul­tur aus, zum Bei­spiel für die Klei­dung und die Woh­nun­gen der Bau­ern, die in Kyll­burg mit Kit­tel und Zy­lin­der in die Kir­che gin­gen. Um­fas­send wird das The­ma der Nacht­ar­beit the­ma­ti­siert: Nachts brach­te man die Pfer­de auf die Wei­de, be­wäs­ser­te Gär­ten, drosch Ge­trei­de, buk Brot, mach­te Wurst und stahl Holz aus den Wäl­dern. Wei­ter un­ter­sucht Zen­der das Sam­meln, Mä­hen und Dre­schen, das viel­fäl­ti­ge Hand­werk auf den Dör­fern, die Nacht­wäch­ter, Fuhr­leu­te und Mül­ler so­wie die Hau­sie­rer, Bett­ler und Mu­si­kan­ten, die man Bay­ern nann­te, da sie aus der baye­ri­schen Pfalz stamm­ten. Aus dem ar­men Mu­si­kan­ten­land im Kreis Ku­sel ka­men Zir­kus-, Schiffs- und Kur­ka­pel­len, die die gan­ze Welt be­reis­ten. Ei­ni­ge ver­schlug es so­gar in die noch är­me­re Ei­fel. Wei­ter lenkt Zen­der das In­ter­es­se auf die gut do­ku­men­tier­ten Erz­fah­rer, Köh­ler, Ger­ber und Fuhr­leu­te. Un­ter­sucht wird auch das Le­ben in der Fa­mi­lie so­wie das Ver­hält­nis von Her­ren, Knech­ten und Mäg­den.

'Frau Schneider aus Büdesheim'. (Zender, Volkssagen, 1935)

 

3.1 Zum wissenschaftsgeschichtlichen Kontext der Sagensammlung: Was das Vorwort der „Volkssagen“ berichtet

Die „Volks­sa­gen“ und die „Volks­mär­chen“ wa­ren die ers­ten bei­den Bän­de ei­ner neu ge­grün­de­ten Rei­he „Deut­sches Volks­tum am Rhein“, die auch nach dem Krieg noch fort­ge­setzt wur­de. Von be­son­de­rem In­ter­es­se sind da­bei die Dank­sa­gun­gen der „Volks­sa­gen“ von 1935, die sich als wei­te­re wich­ti­ge Quel­le zur Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Wer­kes er­wei­sen. Zu­nächst nennt Zen­der sei­nen Men­tor, den Sprach­wis­sen­schaft­ler und Volks­kund­ler Jo­sef Mül­ler, dem das Buch auch ge­wid­met ist, dann den Sprach­wis­sen­schaft­ler und Mund­art­for­scher Adolf Bach, und schlie­ß­lich den Lan­des­his­to­ri­ker Franz Stein­bach, den lang­jäh­ri­gen Di­rek­tor des Bon­ner In­sti­tuts.

Bach und Mül­ler wa­ren auch die Her­aus­ge­ber der neu be­grün­de­ten Rei­he „Deut­sches Volks­tum am Rhein.“ Stein­bach und vor al­lem Bach stan­den der NS­DAP na­he. Ei­ne neue, po­pu­lär an­ge­leg­te Rei­he muss­te 1935 dem neu­en Zeit­geist ent­spre­chen, und nur so sind Zen­ders Schluss­sät­ze sei­ner Ein­lei­tung zu ver­ste­hen: „Ich woll­te durch die­se Samm­lung zei­gen, wel­che Kräf­te die Bau­ern­kul­tur mei­ner Hei­mat be­stimmt ha­ben, wie sehr das Bau­ern­tum der West­ei­fel heu­te noch in sei­ne al­te, ge­sun­de Kul­tur ein­ge­bet­tet ist, wie we­nig es bis­her vom Stadt­geist er­fasst wor­den ist. Beim Auf­bau ei­ner neu­en Bau­ern­kul­tur wird Bau­ern­tum die­ser Art wich­tigs­te Diens­te leis­ten.“ Wei­ter­hin stat­te­te Zen­der sei­nen Dank dem Vor­sit­zen­den des Ei­fel­ver­eins, Karl Leo­pold Kauf­mann, ab. Der Ei­fel­ver­ein, der sich seit sei­ner Grün­dung 1888 auch die wis­sen­schaft­li­che Er­for­schung der Ei­fel auf sei­ne Fah­nen ge­schrie­ben hat­te, gab 1913 zu sei­nem 25-jäh­ri­gen Ju­bi­lä­um ei­ne fun­dier­te Ei­fel­fest­schrift her­aus. 1921 er­öff­ne­te der Ei­fel­ver­ein auf der Ge­no­ve­va­burg in May­en die Ei­fel­bi­blio­thek, die das kom­plet­te Schrift­tum zur Ge­schich­te, Lan­des­kun­de und Li­te­ra­tur der Re­gi­on sam­meln soll­te, und 1925 rief der Ver­ein mit dem Ei­fel­ka­len­der ein ei­ge­nes Jahr­buch ins Le­ben, das seit 90 Jah­ren ei­ne Stüt­ze des wis­sen­schaft­li­chen und li­te­ra­ri­schen Le­bens in der Ei­fel dar­stellt (131).

In den 1930er Jah­ren gab es ei­ne frucht­ba­re Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen dem Ei­fel­ver­ein und dem Ver­ein für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de. Im Ei­fel­ver­eins­blatt gab es be­reits in den 1920er Jah­ren ei­ne ei­ge­ne Ru­brik „Ge­schicht­li­che Mit­tei­lun­gen vom Ver­ein für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de in Bon­n“, die zum Bei­spiel 1929 neun klei­ne Bei­trä­ge ent­hielt, de­ren Spann­wei­te von den Kreuz­zü­gen bis zur Aus­wan­de­rung reich­te. Das Ei­fel­ver­eins­blatt hat­te 1929 ei­ne Auf­la­ge von 16.500 Ex­em­pla­ren. Auf die­se Bei­trä­ge war auch das In­sti­tut stolz, in sei­nem Jah­res­be­richt 1933/1934 schrieb Stein­bach: „Durch re­gel­mäs­si­ge Mit­ar­beit beim Ei­fel­ver­eins­blatt … wur­de für die Ver­brei­tung orts- und lan­des­ge­schicht­lich wich­ti­ger For­schungs­er­geb­nis­se Sor­ge ge­tra­gen und die Be­stre­bun­gen des In­sti­tuts in der brei­te­ren Oef­fent­lich­keit be­kannt ge­macht.“ (132)

Ei­ne gan­ze Rei­he von Brie­fen zwi­schen Stein­bach, Kauf­mann und dem Schrift­lei­ter Dr. Vik­tor Baur (1898-1967) be­le­gen, wie Ma­nu­skrip­te für „Die Ei­fel“ ak­qui­riert, be­gut­ach­tet und re­di­giert wur­den; die Au­to­ren­ho­no­ra­re teil­ten sich die bei­den Ver­ei­ne. So er­hielt 1935 Zen­der für sei­nen Auf­satz über die Brie­fe aus der Na­po­leo­ni­schen Zeit ein Ho­no­rar von 10 RM (133).

Karl Leo­pold Kauf­mann war dar­über hin­aus ein über­aus pro­duk­ti­ver Au­tor. Das Ei­fel­ver­eins­blatt ver­zeich­net fast 200 Bei­trä­ge aus sei­ner Fe­der, dar­un­ter zu­nächst vie­le Ver­samm­lungs­be­rich­te, dann zu­neh­mend lan­des­ge­schicht­li­che Bei­trä­ge. Nach­dem der Ei­fel­ver­ein 1926 mit dem Ei­fel­ka­len­der ein ei­ge­nes Jahr­buch be­grün­de­te, steu­er­te Kauf­mann ins­ge­samt 25 Bei­trä­ge ins­be­son­de­re zur Ge­schich­te des 19. Jahr­hun­derts bei. Wir fin­den ihn nicht nur seit 1926 als Be­su­cher von Ta­gun­gen des Bon­ner In­sti­tuts (134), son­dern auch als Au­tor der Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­ter: 1932 ver­öf­fent­lich­te er ei­nen Auf­satz über den aus Bit­burg stam­men­den Bur­schen­schaft­ler, Re­vo­lu­tio­när und Teil­neh­mer am Ham­ba­cher Fest, Au­gus­tin Mes­se­rich (1806-1876), 1935 über den Köl­ner Re­vo­lu­tio­när und Teil­neh­mer an der Na­tio­nal­ver­samm­lung 1848, Franz Ra­veaux, und 1936 über „Die Ei­fel und ih­re Be­woh­ner im Ur­teil des kur­trie­ri­schen Leib­arz­tes Sa­len­tin Co­hau­sen.“

Auch als Buch­au­tor trat Kauf­mann her­vor, ne­ben den be­reits ge­nann­ten Bü­chern über Eu­pen-Malme­dy gab er 1932 und 1936 die 28. und 29. Auf­la­ge des Ei­fel­füh­rers her­aus, den 1888 sein Vor­gän­ger Adolf Dron­ke be­grün­det hat­te und des­sen Um­fang seit­her von 192 auf 336 Druck­sei­ten an­ge­wach­sen war. 1926 ver­öf­fent­lich­te Kauf­mann ein Buch „Aus Ge­schich­te und Kul­tur der Ei­fel.“ Franz Stein­bach lob­te das Werk in ei­ner Re­zen­si­on als ge­lun­ge­ne Zu­sam­men­schau, deu­tet aber auch lei­se Kri­tik an, dass ein recht be­deu­ten­der Teil des Büch­leins den Ver­bes­se­run­gen ge­wid­met ist, „die in preu­ßi­scher Zeit zum Teil durch staat­li­che Für­sor­ge, zum Teil durch die per­sön­li­che In­itia­ti­ve vie­ler Ei­feler Hei­mat­freun­de er­reicht wor­den sind.“ (135) 1932 er­schien ei­ne er­heb­lich ver­mehr­te drit­te Auf­la­ge, die Mar­tin He­rold sehr po­si­tiv re­zen­sier­te und als „Per­le der Ei­fel­for­schun­g“ lob­te (136).

Kauf­manns wis­sen­schaft­li­che Leis­tung wur­de am 24.12.1933 mit der Eh­ren­dok­tor­wür­de der Phi­lo­so­phi­schen Fa­kul­tät, der Uni­ver­si­tät Bonn aus­ge­zeich­net. Der von ei­nem na­ment­lich nicht ge­nann­ten Au­tor (Vik­tor Baur?) ver­fass­te Be­richt in der „Ei­fel“ be­zeich­net dies als ei­ne „Eh­rung des Ei­fel­ver­eins.“ Aus der Ur­kun­de wird zi­tiert, Kauf­mann ha­be „fast 30 Jah­re lang als Füh­rer [!] des Ei­fel­ver­eins für Hei­mat und Volk sich die grö­ß­ten Ver­diens­te“ er­wor­ben. Wei­ter wer­den die en­gen Be­zie­hun­gen zwi­schen dem Ei­fel­ver­ein und der Bon­ner Uni­ver­si­tät her­vor­ge­ho­ben, die zum Bei­spiel in dem „gro­ßen Ei­fel­wer­k“ von 1913 ih­ren Nie­der­schlag ge­fun­den hät­ten (137).

Stein­bach war be­reits 1933 in den Haupt­vor­stand des Ei­fel­ver­eins ge­wählt wor­den und ge­hör­te wahr­schein­lich auch dem 1954 kon­sti­tu­ier­ten wis­sen­schaft­li­chen Aus­schuss an (138). 1938 hielt Stein­bach auf der 50-Jahr­fei­er des Ei­fel­ver­eins in Trier den Fest­vor­trag über das The­ma: „Die deut­sche Leis­tung der Ei­fel“. Nach dem „Wim­pel­ein­marsch von 107 Orts­grup­pen un­ter Füh­rung von Fah­nen der Par­tei und der SA“ re­fe­rier­te er, die Ei­fel sei schon im­mer ein wehr­haf­tes „Boll­werk des Deutsch­tums ge­gen die Ge­fahr aus dem Wes­ten“ ge­we­sen, ha­be Gro­ßes bei der Nie­der­rin­gung des Se­pa­ra­tis­mus  ge­leis­tet, und ihr „ge­sun­des Blu­t“ nach Sie­ben­bür­gen, ins Ba­nat und nach Bos­ni­en, vor al­lem aber nach Ame­ri­ka ge­schickt; „über­schüs­si­ge Volks­kraf­t“ sei au­ßer­dem an die gro­ßen Städ­te ab­ge­ge­ben wor­den (139). Noch 1957 re­fe­rier­te Stein­bach auf der Haupt­ver­samm­lung in Köln über die Fra­ge, „wie die Ei­fel zum Grenz­land wur­de.“ (140)

Auch wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­to­risch spiel­ten Kauf­mann und der Ei­fel­ver­ein in den 1930er Jah­ren ei­ne wich­ti­ge Rol­le: Als die Pro­vin­zi­al­re­gie­rung 1930 ei­ne Kom­mis­si­on zur Her­aus­ga­be ei­nes Volks­kun­de­at­las­ses bil­de­te, wies Stein­bach dar­auf hin, dass „Ge­heim­rat Kauf­mann sehr ver­schnupft sei“, dass man ihn über­se­hen hat­te (141). 1933 nahm Kauf­mann an ei­ner Mit­ar­bei­ter­be­spre­chung zu ei­nem Pro­jekt zur „Er­for­schung der rhei­ni­schen Aus­wan­de­rungs­ge­schich­te“ teil, bei der die „Mitt­ler­stel­lun­g“ des Bon­ner In­sti­tuts „zwi­schen der all­ge­mei­nen Wis­sen­schaft und dem Lo­kal­for­scher“ be­tont wur­de (142). 1934 war Kauf­mann stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der des Ver­eins für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de und or­ga­ni­sier­te in die­ser Funk­ti­on die „Lehr­gän­ge“ des In­sti­tuts, so im April 1934 in Bonn über „Saar­fra­gen“ und im Ju­li 1934 die „Ta­gun­g“ in Saar­burg. Auf der Ver­an­stal­tung äu­ßer­ten Teil­neh­mer den drin­gen­den Wunsch, so Stein­bach am 13.5.1935 an Apf­fel­sta­edt, die nächs­te Ta­gung im Ju­li 1935 in Mer­zig mit ei­ner „Fahrt durch das be­frei­te Saar­lan­d“ zu ver­bin­den. Im Ju­ni 1937 or­ga­ni­sier­te Kauf­mann Lehr­gang und Ta­gung in Bonn zu The­men der Grenz­land­for­schung, wo­bei die „Grenz­land­volks­kun­de“ brei­ten Raum ein­nahm: Ne­ben Mat­thi­as Zen­der re­fe­rier­te Wil­helm Bo­dens (1910-2005), der im glei­chen Jahr (1937) über Sa­gen am Nie­der­rhein pro­mo­vier­te, über „Volks­er­zäh­ler am Nie­der­rhein und im west­deut­schen Grenz­land (mit Vor­füh­rung von Schall­plat­ten).“ (143) An­schlie­ßend stand auf dem Pro­gramm: „Vor­füh­rung ein­zel­ner Schall­plat­ten aus dem ‚Laut­denk­mal reichs­deut­scher Mund­ar­ten zur Zeit Adolf Hit­lers.‘“ Wei­ter wur­de ei­ne Ex­kur­si­on als „Kraft­wa­gen­fahrt durch das Dra­chen­fel­ser Länd­chen“ an­ge­bo­ten.

1938 frag­te Stein­bach bei Apf­fel­sta­edt an, ob die­ser be­zie­hungs­wei­se Lan­des­ver­wal­tungs­rat Dr. Han­s  Korn­feld oder, wie bis­her, Kauf­mann, die nächs­te Ta­gung lei­ten sol­le. 1939 bat Stein­bach Apf­fel­sta­edt, den ab­we­sen­den Kauf­mann zu ver­tre­ten. Da­durch konn­te die­ser am 13.5.1939 ei­nen Vor­trag von Mat­thi­as Zen­der über „Das Deutsch­tums­ge­biet um Arel in der bel­gi­schen Pro­vinz Lu­xem­bur­g“, hö­ren, des­sen gleich­na­mi­ges Pro­jekt er zwei Mo­na­te zu­vor tor­pe­diert hat­te (144).

3.2 Die Förderung von Zenders Forschungen durch den Eifelverein

Ei­ne wei­te­re wich­ti­ge Quel­le zur Ge­schich­te von Zen­ders Samm­lun­gen sind zwei Ar­ti­kel im Ei­fel­ver­eins­blatt von 1930 (145). Hier fin­det sich ein „Auf­ruf zur Mit­ar­beit an ei­ner Sa­gen­samm­lung der Ei­fel.“ Er ver­weist ein­lei­tend auf die ge­druck­ten Samm­lun­gen von Rek­tor Mi­cha­el Zen­der (ge­stor­ben 1932) für die Ei­fel (146) und die Bü­cher der Her­ren Gredt und Schell für Lu­xem­burg be­zie­hungs­wei­se das Ber­gi­sche Land. Dann wird mit­ge­teilt, der Ei­fel­ver­ein, das Bon­ner In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de und das Rhei­ni­sche Wör­ter­buch hät­ten be­schlos­sen, ei­ne Samm­lung al­ler Sa­gen der Ei­fel an­zu­le­gen, und zwar so­wohl der ge­druck­ten als auch der „heu­te noch im Volks­mun­d“ le­ben­den. Ihr „Be­auf­trag­ter stud. Matth. Zen­der“ ha­be be­reits 1.800 Ge­schich­ten im Bit­bur­ger Land ge­sam­melt, das durch sei­ne güns­ti­ge Ver­kehrs­la­ge stark un­ter städ­ti­schem Ein­fluss ste­he. In den „ab­ge­schlos­se­nen Ge­bie­ten der Hoch­ei­fel“ sei noch weit­aus mehr zu er­war­ten. Bis­her sei Zen­der von ei­ni­gen Leh­rern und „Hei­mat­freun­den“ un­ter­stützt wor­den. Jetzt wer­den al­le Mit­glie­der des Ei­fel­ver­eins an­ge­spro­chen: Man bit­tet um Nach­rich­ten über Sa­gen­samm­lun­gen, die noch un­ge­druckt sind, um Hin­wei­se auf Ver­öf­fent­li­chun­gen in Zei­tun­gen und um die Na­men po­ten­ti­el­ler Ge­schich­ten­er­zäh­ler, die Zen­der dann per­sön­lich auf­su­chen woll­te. Für die Mit­tei­lung von Sa­gen (wenn mög­lich in Mund­art) wer­den kon­kre­te Vor­ga­ben ge­macht, sie soll­ten an das Bon­ner In­sti­tut in der Pop­pels­dor­fer Al­lee ein­ge­sandt wer­den.

Der Ar­ti­kel macht zwei Tat­sa­chen deut­lich: Zen­ders Sa­gen­samm­lung war nicht nur ein pri­va­tes Dis­ser­ta­ti­ons­vor­ha­ben, son­dern ein of­fi­zi­el­les For­schungs­pro­jekt des Bon­ner In­sti­tuts in Ko­ope­ra­ti­on mit dem Rhei­ni­schen Wör­ter­buch und dem Ei­fel­ver­ein. Des­halb wur­de er zeit­gleich auch in den Mit­tei­lun­gen des In­sti­tuts ver­öf­fent­licht (147). Mit dem Ei­fel­ver­eins­blatt er­reich­te man ein in­ter­es­sier­tes und si­cher­lich auch hilfs­be­rei­tes Pu­bli­kum in na­he­zu je­dem Ei­fel­dorf. Das Bild des Dok­to­ran­den, der zu Fuß und mit dem Fahr­rad durch die Dör­fer reist und sich von Haus zu Haus nach Er­zäh­lern durch­fragt, muss al­so et­was re­la­ti­viert wer­den. Zu­dem macht der Auf­ruf deut­lich, dass auch nie­der­ge­schrie­be­ne und ge­druck­te Sa­gen ge­sam­melt wur­den und kei­nes­wegs nur münd­lich tra­dier­te (148).

Teildruck der Dissertationsschrift.

 

Ei­ni­ge Sei­ten wei­ter fin­det man ei­nen Ar­ti­kel von cand. phil. Math. Zen­der „Zur Sa­gen­for­schung der Ei­fel“, in dem er kurz und bün­dig ei­nen Über­blick zu den ver­schie­de­nen Sagen­ty­pen gibt, von den Schwän­ken über die his­to­ri­schen Sa­gen bis hin zu den To­ten-, He­xen-, und Wer­wolf­ge­schich­ten. Auch die Be­deu­tung der Sa­gen­for­schung für Lan­des­ge­schich­te und Volks­kun­de wird her­vor­ge­ho­ben. 

Als 1935 die „Volks­sa­gen“ auf den Markt ka­men, ver­öf­fent­lich­te der Guts­be­sit­zer und Dich­ter Max von Mal­linck­rodt (1873-1944) ei­ne be­geis­ter­te Be­spre­chung in der Mit­glie­der­zeit­schrift (149). Er fei­er­te Zen­ders Werk als „Schatz ech­tes­ten Ei­feler Sa­gen­gu­tes“. Durch die kor­rek­te wis­sen­schaft­li­che Do­ku­men­ta­ti­on und den Ver­zicht auf Zu­sät­ze und Aus­schmü­ckun­gen sei „die schlich­te Schön­heit des echt Volk­haf­ten“ er­hal­ten ge­blie­ben. 

3.3 Zenders Veröffentlichungen in den Periodika des Eifelvereins

Zen­der hat vor al­lem in den 1930er Jah­ren ei­ne gan­ze Rei­he von Auf­sät­zen im Ei­fel­ver­eins­blatt und im Ei­fel­ka­len­der pu­bli­ziert: Be­reits 1931 ver­öf­fent­lich­te er hier sein Erst­lings­werk über die „Bräu­che am Jo­han­nes­ta­ge in der West­ei­fel“ (150) und 1933 ei­nen Ar­ti­kel über die Be­hand­lung von Zahn­schmer­zen in der Volks­me­di­zin: Wenn Brannt­wein, Küm­mel­öl und ein Pflas­ter mit Pfef­fer und Salz nichts nut­zen, leg­te man hei­ße Kar­tof­feln oder Kleie auf be­zie­hungs­wei­se rieb die Wan­ge mit Pe­tro­le­um oder Schmier­sei­fe ein. Man konn­te auch „hom­ne­pa­tisch Tre­pfen“ ver­wen­den, ein Va­ter­un­ser spre­chen, den Schmerz igno­rie­ren oder ihn sei­nem ärgs­ten Feind an den Hals wün­schen. Wenn auch ein di­ckes Tuch um die ge­schwol­le­ne Ba­cke nicht half, konn­te man im­mer noch zum Zahn­arzt ge­hen „und sich den Quäl­geist aus­rei­ßen … las­sen.“ (151)

'Bauer D. aus Oviat bei Malmedy'. (Zender, Quellen und Träger, 1937)

 

1935 ver­öf­fent­lich­te Zen­der Sol­da­ten­brie­fe aus der na­po­leo­ni­schen Zeit (152), 1936 über Ei­fel­ha­sen und über die Sa­gen­er­zäh­ler der West­ei­fel (153). 1937 schrieb er ei­nen Ar­ti­kel über den Al­ten Fritz in den Schwän­ken der Ei­fel, wo­mit al­ler­dings nicht der Preu­ßen­kö­nig, son­dern der le­gen­dä­re Bar­ba­ros­sa ge­meint war (154), und 1941 über die Zwerg­s­a­gen. Hier ge­lang ihm der Nach­weis, dass die­se Sa­gen ge­nau in den Ge­gen­den ver­brei­tet wa­ren, in de­nen sich rö­mi­sche Sied­lungs­res­te be­fin­den. Hier­zu ge­hör­ten auch die Fuß­bo­den­hei­zun­gen (Hy­po­caus­ten), de­ren Funk­ti­on man sich nicht er­klä­ren konn­te und die man als Woh­nun­gen der Wich­tel­män­ner deu­te­te (155).

Als Fo­rum für sei­ne Pu­bli­ka­tio­nen be­nutz­te Zen­der auch die Rhei­ni­sche Hei­mat­pfle­ge, das Or­gan des Rhei­ni­schen Ver­eins für Denk­mal­pfle­ge und Hei­mat­schutz. Die 1906 ge­grün­de­te Or­ga­ni­sa­ti­on ar­bei­te­te von den 1930ern bis in die 1980er Jah­re eng mit dem Ei­fel­ver­ein zu­sam­men, die Vor­sit­zen­den Jo­sef Schramm und Kon­rad Schubach (1914-2006) setz­ten sich ge­mein­sam mit dem RVDL-Ge­schäfts­füh­rer Dr. Jo­sef Ru­land (ge­stor­ben 2000) für die Denk­mal­pfle­ge im länd­li­chen Raum ein, für die Er­hal­tung der his­to­ri­schen Orts­ker­ne und wert­vol­ler Bau­sub­stanz, die durch die fort­schrei­ten­de Mo­der­ni­sie­rung zu­neh­mend ge­fähr­det war, aber auch für den Na­tur- und Land­schafts­schutz (156). 1938 war der Ver­ein eben­falls gleich­ge­schal­tet, als Her­aus­ge­ber der Zeit­schrift fir­mier­te der Lan­des­haupt­mann der Rhein­pro­vinz (157). Zen­ders Auf­satz „Bäu­er­li­ches Er­zähl­gut“ lobt den Bau­ern als „Trä­ger der Glau­bens- und Vor­stel­lungs­welt un­se­rer Ah­nen in ger­ma­ni­scher Zeit.“ Ver­schie­de­ne Sagen­the­men wer­den vor­ge­stellt, Kar­ten der Zwer­gen- und Schil­da­sa­gen er­läu­tert und meh­re­re Cha­rak­ter­köp­fe von Er­zäh­lern ab­ge­bil­det.

'Bauer P. aus Thommen b. St. Vith, ein rheinicher Volkserzähler'. (Zender, Erzählgut 1938)

 

3.4 Zenders Entgleisungen: 1932-1934, 1954-1956

In den 1950er bis 1980er Jah­ren fin­den sich wei­te­re Ar­ti­kel von Zen­der in den Pe­ri­odi­ka des Ei­fel­ver­eins, die sich mit dem Brauch­tum und den Mund­ar­ten, vor al­lem aber mit den ra­pi­den Ver­än­de­run­gen der Ei­fel und ih­rer Dör­fer in der Nach­kriegs­zeit be­fas­sen. 1956 ver­öf­fent­lich­te er ei­nen Bei­trag über „das Brauch­tum der Ei­fel in un­se­rer Zeit“. Er un­ter­schied da­bei die West­ei­fel als „Hort al­ter­tüm­li­cher For­men“ von der Vor­der- be­zie­hungs­wei­se Hoch­ei­fel, die durch bes­se­re Ver­kehrs­an­bin­dung und die Nä­he zu städ­ti­schen Zen­tren ei­ne ganz an­de­re kul­tu­rel­le Prä­gung auf­wei­se. Wei­ter ana­ly­sier­te Zen­der die Ver­än­de­run­gen seit den 1930er Jah­ren, nicht nur durch den Krieg, son­dern auch durch die „Ra­tio­na­li­sie­rung und Tech­ni­sie­rung der Land­wirt­schaft.“ Die tra­di­tio­nel­len Ar­beits­ge­mein­schaf­ten der Fa­mi­li­en hät­ten sich weit­ge­hend auf­ge­löst. An die Stel­le der Dorf­ge­mein­schaf­ten sei­en die Ver­ei­ne als Trä­ger des Brauch­tums ge­tre­ten. Ab­schlie­ßend for­mu­lier­te Zen­der neue Auf­ga­ben der Brauch­tums­pfle­ge in ei­ner sich schnell wan­deln­den Zeit. Er be­ton­te da­bei die Be­deu­tung der Be­wah­rung der Über­lie­fe­rung, die „zur Bin­dung an Ge­mein­schaf­ten und Ver­gan­gen­heit“ führt und ei­nen „Tra­di­ti­ons­ver­lus­t“ ver­hin­dert.“ (158)

3.5 Zenders Antrittsvorlesung über die kulturelle Krise des Landvolks 1954

Zen­ders Bei­trag von 1956 geht im Kern auf sei­ne Bon­ner An­tritts­vor­le­sung über das The­ma „Die kul­tu­rel­le Kri­se des Land­vol­kes und die deut­sche Volks­kun­de“ im Jah­re 1954 zu­rück, die 1955 in den Vier­tel­jahrs­blät­tern ver­öf­fent­licht wur­de (159). Zu­nächst un­ter­strich er die Be­deu­tung die­ses The­mas für die ak­tu­el­le volks­kund­li­che For­schung. Er er­wies sei­nem Leh­rer Adolf Bach ei­ne Re­fe­renz und kri­ti­sier­te Hans Nau­mann, des­sen Theo­rie vom ge­sun­ke­nen Kul­tur­gut in man­chem zu me­cha­nisch sei und das Volk viel zu pas­siv ein­schät­ze. Die Ent­wick­lung der Städ­te ha­be ge­wal­tig an Dy­na­mik ge­won­nen. Auf dem Lan­de ge­be es seit dem 18. Jahr­hun­dert eben­falls Ver­än­de­run­gen, die er mit den Schlag­wor­ten Me­cha­ni­sie­rung (Schlep­per, Mäh­dre­scher), Kunst­dün­ger, Pflan­zen­schutz­mit­tel, aber auch wirt­schaft­li­chem Den­ken (Ren­ta­bi­li­tät, Kal­ku­lie­ren) cha­rak­te­ri­siert. Bis et­wa 1880 sei es Brauch ge­we­sen, nach der Feld­ar­beit ge­mein­sam und Volks­lie­der sin­gend nach Hau­se zu ge­hen, jetzt wür­den die Ar­bei­ter zu ver­schie­de­nen Zei­ten die Fel­der ver­las­sen und nicht mehr sin­gen. Das Land­volk le­be heu­te in ei­ner „Zwi­schen­welt“ zwi­schen Stadt und Land, zwi­schen Tra­di­ti­on und Fort­schritt, zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Zu­kunft, was zur Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit füh­re. „Nie­mand, der in auf dem Lan­de groß ge­wor­den ist, fin­det in der Stadt sei­ne geis­ti­ge Hei­mat. Die Stadt bleibt ihm fremd, und er im Grund dort hei­mat­los.“ Der ge­nann­te Struk­tur­wan­del sei nicht nur ein öko­no­mi­sches, son­dern auch ein „kul­tu­rel­les und geis­ti­ges Pro­blem.“ Volks­tums­for­scher und Hei­mat­pfle­ger be­mü­hen sich um die Er­for­schung und den Er­halt des Brauch­tums, wo­bei Zen­der ei­ne stren­ge Tren­nung zwi­schen bei­den Be­rei­chen for­dert. Dann kommt er zu dem Er­geb­nis: „Es ist un­se­re Pflicht, die Pro­ble­me zu se­hen, wie sie sind. Nach dem Nie­der­bruch ei­ner Jahr­tau­sen­de al­ten Kul­tur in un­se­ren Jahr­zehn­ten muß in man­chem ei­ne neue Grund­la­ge und ein neu­es Land­volk ent­ste­hen.“

3.6 Die Erstfassung über die Wandlungen im Bauerntum der Westeifel von 1934

Um die­se bei­den Auf­sät­ze von 1955 und 1956, die wis­sen­schaft­li­che lan­ge und die po­pu­lä­re kur­ze Fas­sung, rich­tig ein­ord­nen zu kön­nen, muss man auf ei­ne äl­te­re Fas­sung die­ses Tex­tes zu­rück­grei­fen. 1932 hat­te der da­mals 25-jäh­ri­ge Zen­der vor dem Ver­ein ehe­ma­li­ger Land­wirt­schafts­schü­ler in Bit­burg ei­nen Vor­trag ge­hal­ten, der An­fang 1934 un­ter dem Ti­tel „Wand­lun­gen im Bau­ern­tum der West­ei­fel“ in den Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­tern er­schien (160). Ver­su­che, die wirt­schaft­li­che Not­si­tua­ti­on des Bau­ern­stan­des zu ver­bes­sern, be­gann er, sei­en ge­schei­tert, weil sie de­ren Wur­zel nicht be­kämpft hät­ten. Ur­sa­che sei die „ein­sei­ti­ge und sche­ma­ti­sche Über­tra­gung ka­pi­ta­lis­ti­scher und li­be­ra­ler Me­tho­den aufs Land.“ Dies ha­be nur ge­sche­hen kön­nen, weil sich „die Bau­ern­kul­tur, die Geis­tes­hal­tung des Bau­ern ge­än­dert hat­te.“ Da­nach ana­ly­siert Zen­der die Si­tua­ti­on in sei­ner Hei­mat­re­gi­on und kommt zu dem Er­geb­nis: „Aber im Kern ist das West­ei­feler Bau­ern­tum noch ge­sund.“ Dann geht er auf die „al­te Bau­ern­kul­tur vor die­sem Um­stur­z“ ein, „die erd- und volks­ge­bun­den war.“ Er stellt die ei­gen­wil­li­ge „prä­lo­gi­sche“ Denk­wei­se der Bau­ern her­aus, be­tont die fes­te Ord­nung, die Hilfs­be­reit­schaft der Nach­barn und der Dorf­ge­mein­schaft, die Rol­le der Ver­wandt­schaft, das Stan­des­ge­fühl und die Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit, die „Schol­len­ver­bun­den­heit“ und die kon­ser­va­ti­ve Geis­tes­hal­tung. „Aus die­ser star­ken Re­li­gio­si­tät und den Bin­dun­gen an die Ge­mein­schaft ent­sprin­gen auch die ho­hen sitt­li­chen Wer­te, die im Bau­ern­tum ent­hal­ten sind.“ Un­ehe­li­che Ge­bur­ten gäl­ten als Schan­de, be­trof­fe­ne Per­so­nen sei­en im vo­ri­gen Jahr­hun­dert nach Ame­ri­ka aus­ge­wan­dert (161). Die Zahl der ehe­lich ge­bo­re­nen Kin­der sei da­ge­gen hoch, ein Ge­bur­ten­rück­gang kaum zu er­ken­nen.

Die­se in­tak­te bäu­er­li­che Kul­tur wur­de seit dem 19. Jahr­hun­dert durch die Stadt­kul­tur mit ih­rem „über­mäch­ti­gen Ein­flus­s“ zu­neh­mend „ge­stört.“ Die Auf­klä­rung ha­be den „In­di­vi­dua­lis­mus und Li­be­ra­lis­mus“ ge­för­dert, die auf das Land über­ge­grif­fen hät­ten und dort „ver­derb­lich wir­ken mu­ß­ten.“ Neid und Gro­ß­manns­sucht rui­nier­ten die bäu­er­li­che „Geis­tes­hal­tung.“ Der Ar­bei­ter brach­te aus den In­dus­trie­ge­bie­ten in Lu­xem­burg, an Ruhr und Saar „Ide­en, mo­ra­li­sche An­schau­un­gen“ mit, die „zur Ver­gif­tung sei­ner Hei­ma­t“ bei­tru­gen. Ähn­lich die Mäd­chen aus rei­che­ren Fa­mi­li­en, die in ei­nem Pen­sio­nat er­zo­gen wur­den, oder sol­che aus we­ni­ger be­mit­tel­ten Krei­sen, die als Dienst­mäd­chen in der Stadt ar­bei­te­ten. Zu­nächst wi­der­stand die Dorf­ge­mein­schaft den neu­en Sit­ten, doch dann woll­ten im­mer mehr Bau­ern „Wa­ren­haus­mö­bel“ statt sol­che vom Schrei­ner. Um 1850 ha­be noch je­der­mann an He­xen, an die Macht der Geist­li­chen und an den Teu­fel ge­glaubt.

Jetzt re­fe­riert Zen­der aus­führ­lich über sei­ne For­schun­gen. Dann geht er über zu den Wand­lun­gen des Brauch­tums, zum Schwin­den der ge­mein­schaft­li­chen Un­ter­neh­mun­gen. Durch die Ein­füh­rung der Mäh­ma­schi­nen sei das Sin­gen von Volks­lie­dern auf dem ge­mein­sa­men Heim­weg ent­fal­len. Auch die Rol­le von „Kir­che, Schu­le und Ob­rig­keit“ in die­sem Pro­zess wird ana­ly­siert. „Noch fast nicht auf­ge­ge­ben hat mei­ne Hei­mat … die ethisch, mo­ra­lisch und so­zi­al wert­vol­len An­schau­un­gen und Auf­fas­sun­gen, die et­wa ih­ren Aus­druck in der Re­li­gi­on, im Fa­mi­li­en­le­ben und im Wirt­schafts­le­ben fin­den.“ In an­de­ren Ge­gen­den, im Nor­den der Ei­fel und im Kreis Malme­dy, sei das an­ders. Da tra­gen nur noch die al­ten Frau­en die Tracht, die jun­gen städ­ti­sche Mo­de und schnei­den ih­re Haa­re kurz (Bu­bi­kopf!). „Die Frau will nicht mehr auf dem Fel­de ar­bei­ten. Haus­ein­rich­tun­gen sind zum gro­ßen Teil städ­tisch.“ Häu­ser wer­den nach Stadt­bau­wei­se aus Kunst­stei­nen her­ge­stellt. Dann zieht Zen­der ein Fa­zit: „Im Gro­ßen ge­se­hen aber ist der Ein­bruch der Stadt­kul­tur aufs Land von Ver­der­ben ge­we­sen.“ Am En­de des 19. Jahr­hun­derts ver­lie­ßen die Eif­ler, vom „Ma­te­ria­lis­mus“ be­stimmt, ih­re Hei­mat, zu­mal In­dus­trie­ar­beit als „leich­ter“ ge­gol­ten ha­be. Die Ame­ri­ka­aus­wan­de­rung sei ei­ne wei­te­re „Psy­cho­se“ ge­we­sen.

Dann kommt Zen­der zur Ge­gen­wart: In­zwi­schen sei der „Wert des Bau­ern­stan­des für die Volks­ge­mein­schaf­t“ er­kannt wor­den. Er sei wich­tig für „ei­ne ei­ge­ne Er­näh­run­g“, die nur durch ei­nen „mit­tel­bäue­ri­schen Be­rufstan­d“ ge­währ­leis­tet wer­den kön­ne. „Gro­ß­ka­pi­ta­lis­ti­sche“ Or­ga­ni­sa­ti­ons­for­men wie die Kol­lek­ti­ve in Russ­land und die Rit­ter­gü­ter hät­ten sich nicht be­währt, aber mit­tel­bäu­er­li­che Be­trie­be, wie sie jetzt durch das Erb­hof­ge­setz ge­schützt wer­den. Wei­ter sei ein ge­sun­des Bau­ern­tum „auf be­völ­ke­rungs­po­li­ti­schem Ge­bie­t“ von Be­deu­tung. Die Stadt le­be vom Land, die­ses füh­re ihr „auch bes­se­re, ge­sün­de­re und kräf­ti­ge­re Men­schen zu, es leis­tet Blut­auf­fri­schung. Die­se Leu­te brin­gen vom Lan­de ge­sün­de­re Sit­ten, eth­nisch wert­vol­le An­schau­un­gen mit.“ Wei­ter ru­hen „im Bau­ern­tum … kul­tur­bil­den­de und vor al­lem kul­tur­er­hal­ten­de Kräf­te.“

„Erst die bäu­er­li­che Wirt­schafts­po­li­tik des Drit­ten Rei­ches er­greift in wirt­schaft­li­cher Hin­sicht Maß­nah­men, die auf die bäu­er­li­che Kul­tur Rück­sicht neh­men. Vom Drit­ten Reich wird auch mit Recht ein Neu­auf­bau der deut­schen Bau­ern­kul­tur ver­sucht. In der Rich­tung, die deut­sche Bau­ern­kul­tur wei­ter­zu­bil­den, schei­nen mir die Be­stre­bun­gen des neu­en Staa­tes zu lie­gen. Man will das bäu­er­li­che Brauch­tum da, wo es noch blüht, er­hal­ten, aber da, wo kein Brauch­tum mehr be­steht, will man neu­es bil­den wie et­wa die Mai­fei­er, Som­mer­sonn­wen­de oder das Ern­te­fest.“

Das „Drit­te Reich“ wird al­so die geis­ti­ge und wirt­schaft­li­che Kri­se des Bau­ern­tums be­en­den. Es wird ei­ne „neue Bau­ern­kul­tur“ ent­ste­hen, die in ei­nem „ge­sun­den Ver­hält­nis“ zur Stadt­kul­tur steht. In der ka­tho­li­schen Kir­che wer­den die Wall­fahr­ten wie­der auf­ge­nom­men und auch in der evan­ge­li­schen Kir­che wird das Brauch­tum be­lebt, wie der Schmuck der Al­tä­re mit Blu­men be­legt. „Aus Hei­mat­lie­be und Schol­len­ge­bun­den­heit“ ent­wi­ckelt sich das Na­tio­nal­ge­fühl des Bau­ern, „im Rah­men ei­ner gro­ßen deut­schen na­tio­na­len Be­we­gung wird der … das Be­wusst­sein der Ein­heit des deut­schen Vol­kes gut be­wah­ren kön­nen.“ Er soll ru­hig Kul­tur­for­men, Kunst­dün­ger und Ma­schi­nen aus der Stadt be­zie­hen, aber mit ei­nem neu­en „Selbst- und Sen­dungs­be­wu­ßt­sein.“ Hier­zu tra­ge der Zu­sam­men­schluss zum Reichs­nähr­stand vie­les bei. „Der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Staat wird in Zu­kunft den be­son­de­ren wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen des Bau­ern Rech­nung tra­gen.“ Dies be­darf je­doch gro­ßer In­ves­ti­tio­nen in die schu­li­sche Bil­dung so­wie in die Schaf­fung von Ge­nos­sen­schaf­ten. So wird es „im neu­en Deutsch­land wie­der­um zu ei­ner wah­ren Bau­ern­kul­tur kom­men.“ Zen­der en­det: „Dann wird der Bau­er auch in Zu­kunft blei­ben, was er bis­her war, der Rück­halt deut­scher Volks­kul­tur, die Kraft­quel­le un­se­res Vol­kes.“

Der Auf­satz „Wand­lun­gen im Bau­ern­tum der West­ei­fel“ von 1934 ist die po­li­tischs­te al­ler Ver­öf­fent­li­chun­gen Zen­ders, sieht man von ei­ni­gen Be­mer­kun­gen in der Ein­lei­tung sei­ner Dis­ser­ta­ti­on ab, die dem Um­stand, dass das Bon­ner In­sti­tut ei­ne neue, an­spre­chend ge­stal­te­te, po­pu­lä­re Schrif­ten­rei­he auf den Markt brin­gen woll­te, ge­schul­det sein mag. Doch an­sons­ten war Zen­der in der Zwi­schen­zeit auf Dis­tanz ge­gan­gen: In kei­ner sei­ner Ver­öf­fent­li­chun­gen, auch nicht zu dem durch­aus po­li­ti­schen The­ma der sprach­li­chen Si­tua­ti­on in Ar­lon oder in der pro­pa­gan­dis­tisch an­ge­leg­ten Rei­he der „Kriegs­vor­trä­ge“, fin­det sich auch nur ein Satz, den man als Ver­such ei­ner An­bie­de­rung an die Macht­ha­ber des „Drit­ten Reichs“ deu­ten kann. Auch sein Ge­such um ei­ne fi­nan­zi­el­le För­de­rung sei­ner Ha­bi­li­ta­ti­on ent­hält kei­nen sol­chen Hin­weis, ob­wohl es sich eben­falls um ein hoch­po­li­ti­sches The­ma han­del­te. Frei­lich war Zen­der for­mal seit 1933 Mit­glied im NS-Leh­rer­bund, 1937 der NS­DAP und 1940 im NSD-Do­zen­ten­bund.

„Wand­lun­gen im Bau­ern­tum der West­ei­fel“ ist je­doch nicht nur der po­li­tischs­te, son­dern auch der am schlech­tes­ten re­cher­chier­te Auf­satz, den Zen­der je­mals ver­öf­fent­licht hat. Der Auf­satz lässt zwei in­halt­li­che und zeit­li­che Schich­ten er­ken­nen: Zu­nächst han­delt es sich um ei­nen po­pu­lär­wis­sen­schaft­li­chen Vor­trag, der im Ja­nu­ar 1932 vor ei­nem land­wirt­schaft­li­chen Ver­ein ge­hal­ten wur­de. Da­mals war Zen­der noch Mit­glied des Zen­trums und emp­fand, wie ein Schrei­ben von Edith En­nen über­lie­fert, Sym­pa­thi­en für den Reichs­kanz­ler  Hein­rich Brü­ning (1885-1985, Reichs­kanz­ler30.5.1930-30.5.1932) (162). 1933 wur­de der Vor­trag dann über­ar­bei­tet und er­schien 1934 im Ja­nu­ar- und April­heft der da­mals noch jun­gen Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­ter. Ob das als ka­tho­lisch ge­prägt gel­ten­de Bon­ner In­sti­tut da­mit sei­ne Li­ni­en­treue un­ter­strei­chen woll­te? Den bei­den Zen­der­för­de­rern und Par­tei­ge­nos­sen Bach und Nau­mann dürf­te dies auch so ge­fal­len ha­ben. Sieht man die Bei­trä­ge der Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­ter ab 1933 durch, dann spielt die „West­for­schun­g“ wei­ter­hin ei­ne gro­ße Rol­le. Franz Pe­tri setz­te sich aus­führ­lich mit Hen­ri Pi­ren­nes (1862-1935) bel­gi­scher Ge­schich­te aus­ein­an­der und lie­fer­te ei­nen um­fang­rei­chen Li­te­ra­tur­be­richt zur bel­gisch-nie­der­län­di­schen Ge­schich­te, Franz Stein­bach re­flek­tier­te über die Ent­ste­hung der Volks­gren­ze und der Staats­gren­ze zwi­schen Deutsch­land und Frank­reich. Und im Ok­to­ber­heft 1934 ver­öf­fent­lich­te Mat­thi­as Zen­der, als ob nichts ge­sche­hen wä­re, ei­nen klei­nen Auf­satz „Wall­fahr­ten bei Fall­sucht und Krämp­fen.“ (163)

Was je­doch bei dem Auf­satz „Wand­lun­gen im Bau­ern­tum der West­ei­fel“ wei­ter auf­fällt, sind die Schwä­chen der Ana­ly­se. Zen­ders spä­te­re Ar­bei­ten, et­wa zum Deutsch­tum in Ar­lon, be­ste­chen durch ei­ne um­fas­sen­de Li­te­ra­tur­kennt­nis, das um­fang­rei­che Her­an­zie­hen von sta­tis­ti­schem Ma­te­ri­al und ein­ge­hen­de Feld­be­ob­ach­tung vor Ort. Hier greift er auf sei­ne Er­zähl­for­schun­gen zu­rück, oh­ne auch nur die Fra­ge an­zu­schnei­den, in wel­chem Zu­sam­men­hang Mär­chen und Sa­gen mit der Ar­beits- und Le­bens­welt der Zu­hö­rer stan­den. Und er fasst ei­ne Rei­he sub­jek­ti­ver Ein­drü­cke zu­sam­men, mit de­nen er die Vor­ur­tei­le sei­ner Zu­hö­rer be­die­nen will: Die Welt ist schlecht, die Stadt ist ganz schlecht, und die Si­tua­ti­on des Bau­ern­tums wird im­mer schlech­ter. Den Be­völ­ke­rungs­an­stieg des 19. Jahr­hun­derts in­ter­pre­tiert Zen­der als Hin­weis auf die Frucht­bar­keit des Bau­ern­tums, die Pau­peris­mus­kri­se als Fol­ge von Auf­klä­rung, Li­be­ra­lis­mus und Ka­pi­ta­lis­mus, die Ab­wan­de­rung in die Groß­städ­te wird als Faul­heit und Ma­te­ria­lis­mus ver­un­glimpft und die Ame­ri­ka­aus­wan­de­rung als „Psy­cho­se“ ab­ge­stem­pelt (164). Holz­schnitt­ar­tig wird die gu­te al­te Zeit der in­tak­ten Fa­mi­li­en-, Nach­bar­schafts- und Dorf­struk­tu­ren ei­ner trost­lo­sen Ge­gen­wart ge­gen­über­ge­stellt. We­der die Ur­sa­chen der Kri­se der Bau­ern­kul­tur wer­den ver­nünf­tig her­aus­ge­ar­bei­tet noch die Ver­än­de­rung in Be­völ­ke­rung, Wirt­schaft und Ge­sell­schaft. Dem ent­spricht das Feh­len ein­schlä­gi­ger Li­te­ra­tur, man ver­misst so­wohl den fun­dier­ten Auf­satz über die Ei­fel­bau­ern in der Ei­fel­ver­eins­fest­schrift von 1913 als auch den zur Agrar­ge­schich­te in der Ge­schich­te der Rhein­lan­de von 1920. Emil Meynens (1902-1994) lan­des­kund­li­ches Buch über das Bit­bur­ger Land von 1928, Rai­mund Fausts Bau­ern­ver­eins-Fest­schrift „Die wirt­schaft­li­chen Kämp­fe des deut­schen Bau­ern­stan­des in den letz­ten 50 Jah­ren“, das die Be­deu­tung des Zen­der weit­ge­hend un­be­kann­ten Ge­nos­sen­schafts- be­zie­hungs­wei­se Ver­eins­ge­dan­kens her­vor­hebt, fehlt eben­so wie Erich Speng­lers Dis­ser­ta­ti­on über den Trie­rer Bau­ern­ver­ein von 1930, die be­mer­kens­wer­te Ana­ly­sen zur La­ge der Land­wirt­schaft ent­hält.

Seit dem En­de des 19. Jahr­hun­derts setz­te in der Ei­fel ein Struk­tur­wan­del ein, der 1934 noch längst nicht ab­ge­schlos­sen war, der durch ver­bes­ser­te Ver­kehrs­an­bin­dung, neue Züch­tungs- und An­bau­me­tho­den (Kunst­dün­ger!) und vor al­lem auch – wie von Zen­der ge­for­dert – bes­se­re Be­rufs­aus­bil­dung die land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­on und da­mit auch das Land­le­ben nach­hal­tig ver­än­der­te (165). So war 1847 ei­ne Land­wirt­schaft­li­che Lehr­an­stalt in Bonn ins Le­ben ge­ru­fen wor­den, die 1934 (!) in ei­ne land­wirt­schaft­li­che Hoch­schu­le um­ge­wan­delt wur­de und über Wan­der­leh­rer, land­wirt­schaft­li­che Ver­ei­ne und Land­wirt­schafts­schu­len – wie be­reits 1873 in Bit­burg, wo Zen­der re­fe­rier­te (166) –, die Aus­bil­dung der Land­wir­te ver­bes­ser­te (167). Der Ver­ein land­wirt­schaft­li­cher Fach­schul­ab­sol­ven­ten, vor dem Zen­der 1932 sei­nen Vor­trag hielt, wur­de 1934 auf­ge­löst be­zie­hungs­wei­se gleich­ge­schal­tet. Als er 15 Jah­re spä­ter wie­der­be­grün­det wur­de, tra­ten ihm 254 Ehe­ma­li­ge bei, was die Be­deu­tung der Bit­bur­ger Land­wirt­schafts­schu­le nach­drück­lich un­ter­streicht (168). Man muss Zen­der hier kri­ti­sie­ren, weil er den Struk­tur­wan­del grund­sätz­lich ne­ga­tiv sah und die Chan­cen, die sich für ei­ne Re­gi­on und ih­re Be­woh­ner er­ga­ben, gar nicht sah oder se­hen woll­te (169).

Und noch an ei­ner an­de­ren Stel­le müs­sen wir un­se­re bis­he­ri­gen Über­le­gun­gen re­la­ti­vie­ren: Der 1888 von dem na­tio­nal­li­be­ra­len Gym­na­si­al­di­rek­tor Dr. Adolf Dron­ke (170) in Trier ge­grün­de­te Ei­fel­ver­ein hat­te sich die För­de­rung der Wirt­schaft in der Ei­fel, zu­nächst auch der der Fisch­zucht, dann aber vor al­lem des Tou­ris­mus, zum Ziel ge­setzt (171). Die Grün­dung des Ei­fel­ver­eins war da­bei ei­ne Re­ak­ti­on auf die Grün­dung des Trie­ri­schen Bau­ern­ver­eins im Jah­re 1884, al­so mit­ten im Kul­tur­kampf, ein Werk des „Press­ka­plan­s“ (Grün­der des Pau­li­nus und der Trie­ri­schen Lan­des­zei­tung) und So­zi­al­re­for­mers Ge­org Fried­rich Das­bach (1846-1907) (172). Der Ver­ein streb­te ei­ne „geis­ti­ge, so­zia­le und wirt­schaft­li­che He­bung und Er­hal­tung des Bau­ern- und Win­zer­stan­des nach den Grund­sät­zen des po­si­ti­ven Chris­ten­tums un­ter stren­ger kon­fes­sio­nel­ler und par­tei­po­li­ti­scher Neu­tra­li­tät“ an. Frei­lich war die über­wie­gen­de Mehr­heit sei­ner Mit­glie­der ka­tho­lisch und aufs engs­te mit dem Kreis der Reichs­tags- und Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten des Zen­trums ver­floch­ten. Der TBV be­trieb ei­ne er­folg­rei­che Lob­by­is­ten­po­li­tik im Be­reich der Agrar­ge­setz­ge­bung und konn­te durch die Grün­dung von Ge­nos­sen­schaf­ten und ei­ner land­wirt­schaft­li­chen Bank, durch Aus­kunfts- und Be­ra­tungs­bü­ros, Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­hil­fe so­wie Vieh­ver­si­che­run­gen viel für die Land­wirt­schaft tun, wo­bei er vom preu­ßi­schen Staat kri­tisch be­äugt wur­de. Der „Press­ka­plan“ be­grün­de­te zu­dem 1887 ei­nen „Trie­ri­schen Bau­ern­ka­len­der“ und 1892 als Ver­eins­zeit­schrift den „Trie­ri­schen Bau­ern“, der 1909 ei­ne Auf­la­ge von 28.500 Stück er­reich­te. 1907 hat­te der TBV 829 Orts­ver­ei­ne mit 23.960 Mit­glie­dern, 1914 wa­ren es be­reits 36.074, al­so deut­lich mehr als der Ei­fel­ver­ein, des­sen grö­ße­ren Orts­grup­pen zu­dem in den gro­ßen Städ­ten am Ran­de der Ei­fel (Aa­chen, Köln, Bonn, Ko­blenz, Trier) an­ge­sie­delt wa­ren (173). Es gibt al­so auch hier ei­ne Kluft zwi­schen den Dar­stel­lun­gen der Bau­ern, der Dör­fer und der Land­schaft in der Ei­fel und in der Mit­glie­der­zeit­schrift „Die Ei­fel“.

Über­spitzt for­mu­liert, er­leb­ten die in den Groß­städ­ten am Ran­de und in den Klein- be­zie­hungs­wei­se Mit­tel­städ­ten der Ei­fel (Bit­burg, Prüm, Ge­rol­stein, Daun, Witt­lich May­en) le­ben­den Mit­glie­der des Ei­fel­ver­eins, die über­wie­gend als Be­am­te, Kauf­leu­te und Un­ter­neh­mer tä­tig wa­ren, die­ses un­frucht­ba­re Mit­tel­ge­bir­ge über­wie­gend am Wo­chen­en­de als Wan­de­rer und dann noch ein­mal als Le­ser der „Ei­fel“ und des Ei­fel­ka­len­der, in de­nen die Schön­heit der Land­schaft be­schwo­ren wur­de und die gu­te al­te Zeit in Bil­dern und Tex­te ih­re Auf­er­ste­hung fei­er­te. Mat­thi­as Zen­der leb­te seit 1919 nicht mehr in der Ei­fel, son­dern in Trier und in Bonn, und zwar als Gym­na­si­ast, Stu­dent, dann als „wis­sen­schaft­li­cher Hilfs­ar­bei­ter“, As­sis­tent und schlie­ß­lich als Pro­fes­sor. Die Ei­fel kann­te er vor al­lem durch Ver­wand­ten­be­su­che am Wo­chen­en­de, sie war für ihn der ver­klär­te Ort sei­ner Kind­heit und sei­ner Dok­to­ran­den­zeit, be­völ­kert von den Ge­stal­ten der Sa­gen und Mär­chen, von Fe­en, Zau­be­rern, He­xen und Zwer­gen. Von den Pro­ble­men der land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­on, die sich in den 1920er und 30er Jah­ren gra­vie­rend ver­än­der­te und in den 50er, 60er und 70er Jah­ren durch die eu­ro­päi­sche Agrar­po­li­tik ge­ra­de­zu in­dus­tri­el­le For­men und Aus­ma­ße an­nahm, hat­ten bei­de kei­ne ver­tief­te Sach­kennt­nis. Sie nah­men al­len­falls die Ver­än­de­run­gen der dörf­li­chen Ar­beits- und Le­bens­welt wahr und deu­ten sie als Ver­lust der gu­ten al­ten Zeit. Dies muss man be­rück­sich­ti­gen, wenn man Zen­ders Auf­sät­ze oder die Ver­öf­fent­li­chun­gen des Ei­fel­ver­eins als Quel­le aus­wer­ten will.

3.7 Zenders Literaturliste

Man fragt sich, wie­so die­ser Auf­satz in den Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­tern über­haupt ver­öf­fent­licht wur­de. Sei­ne be­schei­de­ne Qua­li­tät zeigt sich be­reits bei den For­ma­lia: Es han­delt sich um ein Vor­trags­ma­nu­skript, bei dem in der ers­ten Fuß­no­te Ort und An­lass ge­nannt wer­den und in der zwei­ten ein Kurz­ti­tel, der in der drit­ten auf­ge­löst ist, und zwar gleich dop­pelt; hier fin­det sich zu­dem ei­ne kur­ze Aus­wahl­bi­blio­gra­phie, in die wir ei­nen Blick wer­fen soll­ten.

An ers­ter Stel­le nennt Zen­der den Auf­satz von Hein­rich Get­zeny (1894-1970) „Was geht in un­se­rem Bau­ern­tum vor“, der in der ka­tho­lisch ge­präg­ten Mo­nats­schrift „Hoch­lan­d“ er­schien (174). Get­zeny war Lan­des­se­kre­tär de­s Volks­ver­eins für das ka­tho­li­sche Deutsch­land in Würt­tem­berg. Ne­ben his­to­ri­schen und kunst­his­to­ri­schen Pu­bli­ka­tio­nen ver­öf­fent­lich­te er 1932 ein Buch über „Ka­pi­ta­lis­mus und So­zia­lis­mus im Lich­te der neue­ren, ins­be­son­de­re der ka­tho­li­schen Ge­sell­schafts­leh­re.“ Sein Auf­satz geht al­ler­dings in ei­ne an­de­re Rich­tung als Zen­ders Hin­wei­se ver­mu­ten las­sen: Zwar be­sitzt er ei­nen mitt­le­ren Teil, in dem er die men­ta­len und kul­tu­rel­len Ver­än­de­run­gen der Ge­gen­wart kri­tisch be­ur­teilt. Aber der Ar­ti­kel be­ginnt zu­nächst mit ei­ner prä­zi­sen Ana­ly­se der Zoll- und Steu­er­po­li­tik und ih­rer Fol­gen für die Land­wirt­schaft. Er ent­hält aber auch den deut­li­chen Hin­weis, dass sich die Bau­ern auf die ge­än­der­te Nach­fra­ge nach Qua­li­täts­pro­duk­ten ein­stel­len müss­ten: Die Pro­duk­ti­on soll­ten sie stei­gern und ver­bes­sern, den Ab­satz bes­ser or­ga­ni­sie­ren und zu ei­ner kauf­män­ni­schen Be­triebs­füh­rung über­ge­hen. Mo­tor­kraft und Elek­tri­zi­tät sei­en „ein Se­gen.“ Vor al­lem müs­se man un­be­dingt an­ge­mes­se­ne land­wirt­schaft­li­che Bil­dungs­ein­rich­tun­gen schaf­fen.

An­schlie­ßend druckt die Re­dak­ti­on ei­ne na­ment­lich nicht ge­kenn­zeich­ne­te Le­ser­zu­schrift ab, in der die „un­ge­heu­er­li­che Ver­schwen­dung an Roh­stof­fen, Fer­tig­er­zeug­nis­sen und Ar­beits­kraf­t“ durch un­pro­fes­sio­nel­les Wirt­schaf­ten be­klagt wird. „Aber der Bau­er will nicht; er sieht nicht ein­mal, wor­auf es an­kommt.“ Dann zi­tiert der Ver­fas­ser ei­ne Guts­päch­te­rin aus der Ge­gend von Aa­chen: „Nein, mein Sohn braucht die land­wirt­schaft­li­che Schu­le nicht zu be­su­chen. Der kann ar­bei­ten. Se­hen sie ein­mal, wie der Holz ha­cken kann.“ Nach­dem der Ver­fas­ser an­hand von Sta­tis­ti­ken den er­schre­ckend dürf­ti­gen Be­such der land­wirt­schaft­li­chen Schu­len ins­be­son­de­re auch durch die „weib­li­che Land­ju­gend“ fest­ge­stellt hat, spricht er „von ei­ner schwe­ren Mit­schuld der Land­wir­te an ih­rer Not­la­ge.“

Als wei­te­re Li­te­ra­tur­hin­wei­se nennt Zen­der zwei Bü­cher des Agrar­ro­man­ti­kers und NS-Ideo­lo­gen Walt­her Dar­ré 1895-1953), „Das Bau­ern­tum als Le­bens­quell der nor­di­schen Ras­se“ (1929) und „Neu­adel aus Blut und Bo­den“ (1930). Dar­ré, der von ei­ner vor­mo­der­nen Stän­de­ge­sell­schaft mit vor­in­dus­tri­el­len Pro­duk­ti­ons­for­men träum­te, stieß nach sei­nem Ab­schluss als Di­plom­land­wirt zum Um­feld Hein­rich Himm­lers (1900-1945). Mit die­ser Schrift wur­de Dar­ré zum Chef­ideo­lo­gen der NS-Agrar­po­li­tik. Er be­haup­te­te, für die Welt­wirt­schafts­kri­se und den Un­ter­gang der Wei­ma­rer Re­pu­blik sei­en jü­disch-bol­sche­wis­ti­sche und jü­disch-ka­pi­ta­lis­ti­sche Ver­schwö­run­gen ver­ant­wort­lich. Er for­der­te ei­ne geis­ti­ge und ras­si­sche Er­neue­rung durch ei­ne Ab­kehr von der In­dus­trie und ei­ne Hin­wen­dung zur Land­wirt­schaft. Der Bau­er soll­te in ei­ner neu­en Ord­nung wie­der zu ei­nem ers­ten Stand wer­den. Seit 1930 war er agrar­po­li­ti­scher Be­ra­ter Hit­lers und lei­te­te ab 1931 das Ras­se- und Sied­lungs­haupt­amt der SS (175).

Als vier­ten Ti­tel nennt Zen­der das Büch­lein „Das Land­volk. Ein so­zio­lo­gi­scher Ver­su­ch“ (1933) des in Kö­nigs­berg leh­ren­den So­zio­lo­gen, Phi­lo­so­phen und Be­völ­ke­rungs­wis­sen­schaft­lers Gun­ther Ip­sen (1899-1984). Die­ser stand der NS-Ideo­lo­gie na­he und ver­öf­fent­lich­te 1933 ein wei­te­res Buch über „Blut und Bo­den.“ Das ge­nann­te Werk stellt den Ver­such dar, die Ka­te­go­rie „Land­vol­k“ so­zio­lo­gisch her­aus­zu­ar­bei­ten, in­dem sie dem Stadt­volk und dann dem Bau­ern, dem Hof und dem Dorf ge­gen­über ge­stellt wird.

„Jung­bau­er er­wa­che“ ist der kämp­fe­ri­sche Ti­tel ei­ner Schrift von An­ton Hei­nen (1869-1934), die 1924 und in zwei­ter Auf­la­ge 1926 er­schien. 1933 folg­te „Der Jung­bau­er und sei­ne Eh­re.“ Hei­nen war Ka­plan und Leh­rer und lei­te­te ab 1914 die Ab­tei­lung Volks­bil­dung an der Zen­tral­stel­le des Volks­ver­eins für das ka­tho­li­sche Deutsch­land in Mön­chen­glad­bach und ab 1932 das Franz-Hit­ze-Haus in Pa­der­born, wei­ter war er Pfar­rer im nie­der­rhei­ni­schen Ri­ckel­rath (Stadt Weg­berg). Hei­nen war der füh­ren­de Ver­tre­ter ei­ner ka­tho­li­schen Volks­bil­dung, er streb­te ei­ne Ein­heit von Re­li­gi­on und Volks­tum an. In ei­ner Viel­zahl von er­bau­li­chen, oft in Dia­log­form ab­ge­fass­ten Auf­sät­zen und Bü­chern sprach er ein brei­tes Pu­bli­kum an (176). Sein Büch­lein an den Jung­bau­ern ist we­sent­lich we­ni­ger kämp­fe­risch als es der Ti­tel er­war­ten lässt. Es ent­hält zum Bei­spiel ein be­schau­li­ches Ka­pi­tel, ob das Ge­mein­schafts­le­ben den Pas­tor et­was an­ge­he, und es dis­ku­tiert die Fra­ge „Bau­ernk­necht oder In­dus­trie­ar­bei­ter.“ Mit gu­tem Wil­len und ei­ner gu­ten Aus­bil­dung kön­ne man auch auf dem Lan­de durch­aus sei­nen Weg ma­chen. Wie bei Get­zeny wird der Be­griff der „Hei­li­gen Schol­le“ er­ör­tert. „Der Bau­er in der Stadt“ be­kommt gu­te Rat­schlä­ge, kei­ne Min­der­wer­tig­keits­ge­füh­le auf­kom­men zu las­sen, sei­ne Tracht und kein ge­schmack­lo­ses Mo­de­kos­tüm zu tra­gen, bei Po­li­zis­ten, Post­be­am­ten und Stra­ßen­bahn­schaff­nern nach se­riö­sen Lo­ka­len zu fra­gen oder, noch bes­ser, in ein Mu­se­um oder ei­ne Kir­che zu ge­hen. Auch der Städ­ter, der als „Wan­der­vo­gel“ mit „Zu­pf­gei­ge und Koch­ge­schir­r“ aufs Land kommt, wird mit Ver­hal­tens­re­geln bes­tens ver­sorgt.

Das nächs­te Buch stammt von A. l‘Hou­et „Zur Psy­cho­lo­gie des Bau­ern­tums“ (1933). A[lbert] l’Hou­et ist ein Pseud­onym für Dr. Wil­helm Bo­rée (1862-1945), der von 1894 bis 1932 Pfar­rer in Stuhr-Hei­li­gen­ro­de bei Bre­men war (177). Sein Buch en­det mit dem Ka­pi­tel „Aku­te Ver­gif­tung. Prak­ti­scher Aus­bli­ck“, das mit der Fest­stel­lung be­ginnt: „Deutsch­lands Bau­ern­tum geht un­ter!“ Die „erd­ge­bo­re­ne, länd­li­che Aris­to­kra­tie“ stei­ge ab zur „zwei­fel­haf­ten Stadt­exis­tenz, zum Kul­tur­pro­le­ta­ri­at.“ Schon im Mit­tel­al­ter hät­ten die Herr­scher die Land­flucht be­güns­tigt, jetzt strö­me die Land­be­völ­ke­rung in die „Un­natur der Fa­brik­ver­hält­nis­se“. Die Stadt „ver­gif­tet und in­fi­zier­t“ den Bau­ern­stand. Die Mi­li­tär­ärz­te wür­den den schlech­ten Ge­sund­heits­zu­stand der Fa­brik­ar­bei­ter be­an­stan­den, aber die „Ent­ar­tun­g“ be­tref­fe auch den re­li­giö­sen und mo­ra­li­schen Be­reich. Man brau­che das Bau­ern­tum als „Brot­quel­le“, vor al­lem sei es ein gro­ßer „Vor­rat phy­si­scher, geis­ti­ger, mo­ra­li­scher und re­li­giö­ser Ju­gend und Ge­sund­heit ei­nes Vol­kes.“

Die Erst­auf­la­ge von Bo­rées Buch stammt von 1905, die zwei­te von 1920. 1935 er­schien ei­ne neu be­ar­bei­te­te Auf­la­ge, de­ren Vor­wort mit dem Wort „End­li­ch“ be­ginnt. Vor 1933 ha­be sich nie­mand um das Bau­ern­tum ge­küm­mert. „Der Bau­er war von al­len Stän­den und Be­ru­fen der am we­nigs­ten ver­fah­re­ne. Ein paar Grif­fe, et­was we­ni­ges Geld, und er war wie­der in Ord­nung. Und un­se­re In­dus­trie … ist froh, ih­re Leu­te in den Stand, aus dem sie sie einst in ih­ren Glanz hin­ein­ge­zo­gen hat, zur Hei­lung wie­der ab­ge­ben zu kön­nen, zur Hei­lung von Wun­den, die sie selbst ge­schla­gen hat.“

Als nächs­tes nennt Zen­der Ger­hard Lö­wen­kamps Buch „Bau­ern­schu­lung. Bil­dungs­pro­ble­me des Bau­ern­stan­des“ (1930). Lö­wen­kamp war Ge­ne­ral­se­kre­tär des Bau­ern­ver­eins und Ge­schäfts­füh­rer des in Nie­der­sach­sen tä­ti­gen Ver­eins „Bau­ern­schu­lun­g“ zur Pfle­ge und För­de­rung bäu­er­li­cher Kul­tur (178). Lö­wen­kamp möch­te den Bau­ern­stand durch ver­bes­ser­te Bil­dungs­mög­lich­kei­ten er­hal­ten. Her­vor­zu­he­ben ist das ein­füh­ren­de Ka­pi­tel über „Die volks­po­li­ti­sche Be­deu­tung des deut­schen Bau­ern­stan­des.“ Hier wird die Be­deu­tung des Bau­ern für die Volks­wirt­schaft, die Volks­bio­lo­gie und die Volks­kul­tur un­ter­stri­chen. Das Bau­ern­tum ist „Kul­tur­fak­tor für das ge­sam­te Volk.“ Zwar sei der Bau­ern­stand „noch ge­sun­d“, aber „An­fän­ge zu Ver­än­de­run­gen“ sei­en er­kenn­bar: „Der Ein­bruch er­folg­te von der öko­no­mi­schen Sei­te her.“ Wei­ter fol­gert er: „Bau­ern­wirt­schaft und ka­pi­ta­lis­ti­scher Geist schlie­ßen sich aus. Wo der Ka­pi­ta­lis­mus an­fängt, hört der Bau­er auf.“ Sein Schre­ckens­bild ist „der ame­ri­ka­ni­sche Far­mer mit Te­le­fon, Ford­wa­gen und Bank­kon­to.“

Das nächs­te Buch stammt von dem in Müns­ter leh­ren­den Kir­chen­his­to­ri­ker und Volks­kun­de­for­scher Ge­org Schrei­ber (1882-1963), der ab 1920 für das Zen­trum im Reichs­tag saß und 1927 ei­ne For­schungs­stel­le für Aus­lands­deutsch­tum und Aus­lands­kun­de grün­de­te. Er gilt als ei­ner der wich­tigs­ten Kul­tur­po­li­ti­ker sei­ner Zeit (179). Sein Buch „Na­tio­na­le und in­ter­na­tio­na­le Volks­kun­de“ er­schien 1930 in der von ihm her­aus­ge­ge­be­nen Rei­he „For­schun­gen zur Volks­kun­de.“ In dem Ka­pi­tel „Rea­lis­ti­sche und pes­si­mis­ti­sche Volks­tums­be­wer­tun­g“ sieht er durch­aus Kri­sen­er­schei­nun­gen, aber auch viel­ver­spre­chen­de Neu­an­fän­ge: In der Holz­schnit­ze­rei, in der Krip­pen­kunst und bei den Volks­lie­dern. „So spru­delt neu­es Volks­tum aus ur­al­ten Tie­fen. Und Volks­kun­de ist kei­nes­wegs ei­ne sen­ti­men­ta­le Flucht aus ver­arm­ter Ge­gen­wart in ei­ne rei­che­re Ver­gan­gen­heit.“ Wei­ter führt er Sol­da­ten­lie­der an, die Ar­bei­ter-, die Ju­gend- und die Wan­der­be­we­gung, Lai­en­thea­ter und Volks­tanz. „Bei al­len Ver­lus­ten wird die Freu­de dar­über blei­ben, daß das Volks­tum … sich im­mer wie­der aus ei­ge­nem Mut­ter­bo­den er­gänzt. So bleibt die Volks­kun­de ei­gent­lich ei­ne fro­he und fröh­li­che Wis­sen­schaft.“

Auch das Ka­pi­tel „Volks­tum und Bau­ern­tum“ kon­sta­tiert durch­aus ei­nen „Zer­fall des ur­sprüng­li­chen Volks­tums, ei­ne ge­wis­se geis­ti­ge Ver­ödung auf dem Lan­de, die … Land­flucht, die Kri­se der Agrar­wirt­schaft, Über­stei­ge­rung des ka­pi­ta­lis­ti­schen Mo­ments.“ Den­noch sei­en „star­ke Volks­tums­re­ser­ven vor­han­den.“ Er schätzt die kul­tu­rel­le Leis­tung des Bau­ern­tums, will aber auch „die be­acht­li­chen Volks­tums­wer­te der Stadt nicht un­ter­schät­zen.“ Er er­kennt auch in der Wis­sen­schaft ei­ne „Rück­erobe­rung des Lan­des“ – Volks­trach­ten, Flur­na­men und Bau­ern­häu­ser. Von den zahl­rei­chen Au­to­ren nennt er un­ter an­de­rem Hei­nen und Wei­gert. Ab­schlie­ßend be­tont er noch­mals die Be­deu­tung der volks­kund­li­chen For­schung, die „für die Psy­cho­lo­gie des Lan­des und für das Be­grei­fen sei­ner Kul­tur­kraf­t“ un­er­läss­lich sei. Ge­ra­de in kri­sen­ge­schüt­tel­ten Re­gio­nen wie der Ei­fel und Ost­preu­ßen wür­de sie „un­mit­tel­bar auch der in­ne­ren Fes­ti­gung des deut­schen Bau­ern­tums die­nen.“ Dann nä­hert er sich lang­sam Zen­der: Die Kri­sen­er­schei­nun­gen wie „Mas­sen­flucht in die Stadt“, das „Ein­drin­gen sla­wi­scher Ar­bei­ter­mas­sen“ etc. kä­men nicht nur von au­ßen, es gä­be auch „ei­ne in­ne­re Auf­lo­cke­rung der ‚Not- und Tat­ge­mein­schaft‘, die das dörf­li­che Le­ben der Ge­gen­wart kenn­zeich­net.“ Hier wird ei­ne „Kul­tur­po­li­tik des Lan­des“, nicht nur der Stadt ge­for­dert. Das an­schlie­ßen­de Ka­pi­tel ist der „Volks­kun­de der Grosz­stadt“ ge­wid­met, die er zu ei­ner Hei­mat­stadt ma­chen möch­te. Ge­for­dert wird ei­ne Volks­kun­de des In­dus­trie­ar­bei­ters, aber auch der an­de­ren Grup­pen der Stadt­be­völ­ke­rung.

Der letz­te Au­tor auf Zen­ders Li­te­ra­tur­lis­te ist Jo­seph Wei­gert (1870-1946), der von 1900 bis 1931 Pfar­rer, Bau­er und Schrift­stel­ler im ober­pfäl­zi­schen Mo­ckers­dorf war. Sei­ne oft in meh­re­ren Auf­la­gen er­schie­nen Wer­ke kreis­ten um das The­ma Le­ben auf dem Lan­de, zum Bei­spiel: „Treu dei­ner Schol­le – treu dei­nem Got­t“ (1920), „Bau­er, es ist Zeit“ (1920), „Die Volks­bil­dung auf dem Lan­de“ (1924), „Re­li­giö­se Volks­kun­de“ (1924), „Bau­ern­pre­dig­ten“ (1924), „Hei­mat- und Volks­tums­pfle­ge“ (1925) und: „Die weib­li­che Ju­gend auf dem Lan­de“ (1931). Der „Un­ter­gang der Dorf­kul­tur“ (1929, 2. Auf­la­ge 1930) be­fasst sich mit dem Un­ter­schied zwi­schen Stadt und Land, der al­ten und der heu­ti­gen Dorf­kul­tur, und den Fra­gen, ob die al­te Dorf­kul­tur heu­te noch ei­nen Wert ha­be und ob man die heu­ti­ge er­neu­ern sol­le. Für die Ge­gen­wart stellt er ei­ne „Ver­ödung des Land­le­bens“ durch den Nie­der­gang der In­sti­tu­tio­nen Ver­wandt­schaft, Nach­bar­schaft und Wirt­schaft fest. „Ei­ne sau­be­re Bau­ern­stu­be mit Herr­gotts­win­kel, kräf­tig-der­ber, bun­ter Ein­rich­tung mit hüb­schen Bil­dern soll­te die Haus­ge­nos­sen ans Heim fes­seln.“ Bü­cher soll­te man (vor)le­sen, Hand­ar­bei­ten ma­chen und Thea­ter­stü­cke auf­füh­ren. Er er­kennt aber durch­aus auch die „Licht­sei­ten der heu­ti­gen Dorf­kul­tur.“ Frei­lich müs­se der Bau­er be­ach­ten, dass Stadt­kul­tur eben kei­ne Bau­ern­kul­tur sei, man kön­ne sie auch nicht vom Lan­de fern­hal­ten. Dann kommt er zu dem Fa­zit: „Der Kern des Bau­ern­tums wird blei­ben.“ Denn: „Es kann sein, daß die an­de­ren Volks­schich­ten noch ih­re Zu­flucht beim Bau­ern neh­men.“

Zen­ders Li­te­ra­tur­lis­te ist ei­ne bun­te Mi­schung aus so­zio­lo­gi­schen, psy­cho­lo­gi­schen, agrar­wis­sen­schaft­li­chen und volks­kund­li­chen Ar­bei­ten, be­schau­li­chen ka­tho­li­schen Er­bau­ungs­schrift­tums und Bü­chern des NS-Ideo­lo­gen Walt­her Dar­ré. Des­sen Blut-und Bo­den-Mys­tik über­nimmt er zwar nicht, aber Agrar­ro­man­tik, Städ­te­feind­schaft und die Kri­tik an Li­be­ra­lis­mus und Ka­pi­ta­lis­mus fin­den sich auch bei ihm. Frei­lich war Dar­ré nicht eben ori­gi­nell, und ver­gleich­ba­re Ge­dan­ken fin­den sich auch bei an­de­ren hier ge­nann­ten Au­to­ren. Ähn­li­ches kann man auch Zen­der be­schei­ni­gen, er greift recht un­kri­tisch ei­ne Rei­he von Ana­ly­sen, Deu­tun­gen und Vor­schlä­gen auf, die in die­ser Zeit po­pu­lär wa­ren und die auch in Dar­rés Bü­cher Ein­gang ge­fun­den ha­ben. Dies gilt zum Bei­spiel für die Sicht des Bau­ern­tums als Er­näh­rer der Stadt, als Lie­fe­rant ge­sun­der Neu­bür­ger und als Ge­sund­heits­brun­nen für al­le phy­si­schen und psy­chi­schen Er­kran­kun­gen, die die Stadt ver­ur­sacht hat. Ei­ni­ge Au­to­ren sa­hen das Ver­hält­nis zwi­schen Stadt und Land sach­li­cher und neu­tra­ler. Get­zeny, Hei­nen, Lö­wen­kamp und Wei­gert ma­ßen der Bil­dung ei­nen ho­hen Stel­len­wert bei, eben­so Zen­der, der frei­lich Get­zen­ys schar­fe Ana­ly­se und sei­nen weit­ge­hen­den Rat­schlä­gen zur Selbst­ver­ant­wor­tung nicht folg­te und sich lie­ber wie Bo­rée auf das neue Re­gime ver­ließ.

3.8 Versuch einer Wertung und der Kontext der NS-Agrarpolitik

Wie soll man Zen­ders schlecht re­cher­chier­tes und po­pu­lis­ti­sches Pam­phlet, mit dem er freu­dig die neu­en Macht­ha­ber be­grü­ß­te und das in ei­ner re­nom­mier­ten lan­des­kund­li­chen Fach­zeit­schrift er­schien, ein­ord­nen? Man kann das Gan­ze als Ju­gend­sün­de be­zeich­nen, und zwar in zwei­er­lei Hin­sicht: Da wur­de ei­nem 25-jäh­ri­gen Stu­den­ten und Dok­to­ran­den die Mög­lich­keit ge­bo­ten, in der Kreis­stadt sei­ner Hei­mat ei­nen öf­fent­li­chen Vor­trag zu hal­ten. Zen­der stell­te sei­ne For­schun­gen zu den Sa­gen und Mär­chen der Ei­fel in den Mit­tel­punkt und sah in ih­nen ei­ne Quel­le zur Re­kon­struk­ti­on der gu­ten, al­ten, bäu­er­li­chen Welt, die er durch den Fort­schritt und den schlech­ten Ein­fluss der Stadt be­droht sah. Das war es, was sei­ne Zu­hö­rer hö­ren woll­ten. Da­mit wä­re es gut ge­we­sen, wenn Zen­der nicht ein Jahr spä­ter den Vor­trag noch ein­mal in die Hand ge­nom­men hät­te. Er stu­dier­te die Schrif­ten der NS-Ideo­lo­gen zur Land­wirt­schaft und glaub­te, dar­in ein Be­kennt­nis zu sei­nen Idea­len zu er­ken­nen, wo­bei selbst Dar­ré spä­ter an den Wi­der­sprü­chen zwi­schen sei­ner Agrar­po­li­tik und de­nen der Auf­rüs­tung für den Krieg schei­ter­te.

Wei­ter muss man vor­aus­schi­cken, dass Zen­ders Auf­satz kul­tur­pes­si­mis­ti­sche Strö­mun­gen wi­der­spie­gelt, die in der Li­te­ra­tur, Kunst, Pu­bli­zis­tik und Wis­sen­schaft nicht nur der 1930er Jah­re ei­ne gro­ße Rol­le spiel­ten. Es wa­ren nicht nur der ver­lo­re­ne Krieg und sei­ne Fol­gen, die hier zum Aus­druck ka­men, son­dern auch der Struk­tur­wan­del im Ge­fol­ge der In­dus­tria­li­sie­rung, der zu­neh­mend auch die länd­li­che Ar­beits­welt ver­än­der­te. Dies wur­de als Un­ter­gang der „gu­ten al­ten Zeit“ über­wie­gend ne­ga­tiv kon­no­tiert. Hin­zu kam ei­ne ne­ga­ti­ve Be­ur­tei­lung des Stadt­le­bens und der Mo­ral sei­ner Be­woh­ner, die sich aber be­reits bei mit­tel­al­ter­li­chen Au­to­ren und in der Auf­klä­rung fin­det (180).

Vor al­lem drei Au­to­ren sind hier zu nen­nen, zu­nächst der Volks­kund­ler Wil­helm Hein­rich Riehl (1823-1897), der in sei­ner „Na­tur­ge­schich­te des deut­schen Vol­kes als Grund­la­ge ei­ner deut­schen So­ci­al­po­li­ti­k“ (1851-1869) die zu­neh­men­de Ver­städ­te­rung und In­dus­tria­li­sie­rung aus der Per­spek­ti­ve der städ­te­feind­li­chen Agrar­ro­man­tik ne­ga­tiv be­ur­teil­te. Wei­ter ist der Ge­schichts­phi­lo­soph Os­wald Speng­ler (1880-1936) an­zu­füh­ren, des­sen „Un­ter­gang des Abend­lan­des“ (1918, 1922) den Fort­schritt­s­op­ti­mis­mus des 19. Jahr­hun­derts in ein Kri­sen­be­wusst­sein über­lei­te­te. Speng­ler ver­wen­de­te erst­mals das Be­griffs­paar von Blut (im Sin­ne von Ab­stam­mung) und Bo­den (als land­wirt­schaft­li­che Flä­che, aber auch als Le­bens­raum), das dann durch Walt­her Dar­ré in sei­nem Buch „Neu­adel aus Blut und Bo­den“ (1930) zu ei­nem zen­tra­len Be­griff der NS-Ideo­lo­gie wur­de (181).

Am 28.4.1933 über­nahm Dar­ré den Vor­sitz der Reichs­füh­rer­ge­mein­schaft der land­wirt­schaft­li­chen Ver­bän­de, am 28.5.1933 wur­de er zum Reichs­bau­ern­füh­rer be­ru­fen und am 29.6.1933 Reichs­mi­nis­ter für Er­näh­rung und Land­wirt­schaft. Ne­ben dem (Reichs-)Amt für Agrar­po­li­tik lei­te­te er den Reichs­nähr­stand, in dem die gleich­ge­schal­te­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen nicht nur der Ar­beits­kräf­te in der Land­wirt­schaft, in der Fi­sche­rei und im Gar­ten­bau, son­dern auch al­le im Han­del mit Le­bens­mit­teln Be­schäf­ti­gen or­ga­ni­siert wa­ren. In der „Reichs­bau­ern­stadt“ Gos­lar wur­den „Reichs­bau­ern­ta­ge“ und auf dem Bü­cke­berg bei Ha­meln „Reichs­ern­te­dank­fes­te“ ver­an­stal­tet, die über ei­ne Mil­li­on Teil­neh­mer an­zo­gen. Am 29.9.1939 wur­de das Reich­serb­hof­ge­setz ver­kün­det, wel­ches „das Bau­ern­tum als Blut­quel­le des deut­schen Vol­kes“ er­hal­ten“ soll­te. Stolz be­zeich­ne­te Zen­der bei der An­zei­ge sei­ner Hei­rat sei­nen Schwie­ger­va­ter Jo­hann Bap­tist Ney­ses als „Erb­hof­bau­er“ in Me­ckel (182). Nicht nur das Reich­serb­hof­ge­setz, son­dern auch das Reichs­ern­te­dank­fest lob­te er wie die Fei­ern zum 1. Mai und die Sonn­wend­fei­ern als viel­ver­spre­chen­den Neu­an­fang im Be­reich des bäu­er­li­chen Brauch­tums (183). 

Frei­lich konn­te er noch nicht ab­se­hen, dass die­ses christ­li­che Fest po­li­tisch in­stru­men­ta­li­siert und im Sin­ne ei­ner Wo­tans­ver­eh­rung ger­ma­ni­siert wur­de (184).

Dar­rés agrar­ro­man­ti­sche Vor­stel­lun­gen kol­li­dier­ten bald mit den Auf­rüs­tungs­plä­nen des „Drit­ten Reichs“. Noch 1936 ver­öf­fent­lich­te er das Buch „Blut und Bo­den, ein Grund­ge­dan­ke des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus“ (185). Nach der Ver­kün­dung des Vier­jah­res­plans kam es 1936 zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Her­mann Gö­ring (1893-1946) und Hjal­mar Schacht (1877-1970). Hin­zu tra­ten mas­si­ve Kom­pe­tenz­strei­tig­kei­ten mit der NS­DAP und der Deut­schen Ar­beits­front so­wie mit ei­ni­gen Gau­lei­tern. Nach Kon­flik­ten mit Himm­ler über die Sied­lungs­po­li­tik wur­de Dar­ré 1938 als Lei­ter des Ras­se- und Sied­lungs­haupt­am­tes ent­las­sen und trat als Mi­nis­ter bis zu sei­ner end­gül­ti­gen Ab­set­zung 1942 in den Hin­ter­grund. Dar­ré konn­te die Land­flucht nicht be­en­den, weil Au­to­bahn­bau, West­wall  und Rüs­tungs­in­dus­trie so at­trak­ti­ve Ar­beits­plät­ze bo­ten, dass sie 400.000 Land­ar­bei­ter an­zo­gen; Ern­te­hel­fer aus HJ  und BDM konn­ten das nicht aus­glei­chen. Ver­schwie­gen wird von den ge­nann­ten Au­to­ren je­doch stets, wie ka­ta­stro­phal die Le­bens- und Ar­beits­be­din­gun­gen der Land­ar­bei­ter wa­ren, die sich durch den Reichs­nähr­stand auch nicht ver­bes­sern soll­ten. Auch die land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­on ließ sich nicht in dem Ma­ße stei­gern, dass das „Drit­te Reich“ von Im­por­ten un­ab­hän­gig wur­de. Zu Be­ginn des Zwei­ten Welt­krie­ges sah die Land­wirt­schaft in je­dem Fall ganz an­ders aus, als es sich Dar­ré und si­cher­lich auch Zen­der vor­ge­stellt oder gar ge­wünscht hat­ten.

Mit sei­ner gran­dio­sen Fehl­ein­schät­zung der neu­en Ver­hält­nis­se stand Zen­der im ka­tho­li­schen La­ger nicht al­lein: Im Ja­nu­ar 1933 be­weg­te die Trie­rer Ka­tho­li­ken die An­kün­di­gung ei­ner Wall­fahrt zu­m Hei­li­gen Rock wei­t­aus mehr als der neue Reichs­kanz­ler. Am 6. Ja­nu­ar hat­te Papst Pi­us XI. (Pon­ti­fi­kat 1922-1939) an­läss­lich der 1900-jäh­ri­gen Wie­der­kehr des Kreu­zes­to­des Chris­ti ein Hei­li­ges Jahr aus­ge­ru­fen. Am 25. Ja­nu­ar wur­de be­kannt ge­ge­ben, dass vom 23. Ju­li bis zum 3. Sep­tem­ber der Hei­li­ge Rock aus­ge­stellt wer­den soll­te. Am 30. Ja­nu­ar, ei­nen Tag vor der „Macht­er­grei­fung“, ver­öf­fent­lich­te man dies im Kirch­li­chen Amts­an­zei­ger. Am 20.7.1933 wur­de au­ßer­dem das Reichs­kon­kor­dat un­ter­zeich­net, von dem man sich auf ka­tho­li­scher Sei­te die Lö­sung al­ler of­fe­nen Fra­gen zwi­schen Kir­che und Staat er­hoff­te.

Mit sei­ner gran­dio­sen Fehl­ein­schät­zung der neu­en Ver­hält­nis­se stand Zen­der im ka­tho­li­schen La­ger nicht al­lein: Im Ja­nu­ar 1933 be­weg­te die Trie­rer Ka­tho­li­ken die An­kün­di­gung ei­ner Wall­fahrt zum Hei­li­gen Rock weit­aus mehr als der neue Reichs­kanz­ler. Am 6. Ja­nu­ar hat­te Papst Pi­us XI. (Pon­ti­fi­kat 1922-1939) an­läss­lich der 1900-jäh­ri­gen Wie­der­kehr des Kreu­zes­to­des Chris­ti ein Hei­li­ges Jahr aus­ge­ru­fen. Am 25. Ja­nu­ar wur­de be­kannt ge­ge­ben, dass vom 23. Ju­li bis zum 3. Sep­tem­ber der Hei­li­ge Rock aus­ge­stellt wer­den soll­te. Am 30. Ja­nu­ar, ei­nen Tag vor der „Macht­er­grei­fun­g“, ver­öf­fent­lich­te man dies im Kirch­li­chen Amts­an­zei­ger. Am 20.7.1933 wur­de au­ßer­dem das Reichs­kon­kor­dat un­ter­zeich­net, von dem man sich auf ka­tho­li­scher Sei­te die Lö­sung al­ler of­fe­nen Fra­gen zwi­schen Kir­che und Staat er­hoff­te.Um dem un­er­war­te­ten An­sturm von zwei Mil­lio­nen Pil­gern Herr zu wer­den, nahm die Wall­fahrts­lei­tung dan­kend das Hilfs­an­ge­bot von SA und „HJ an. Die Wall­fahrt wur­de für die neu­en Macht­ha­ber zu ei­nem un­ge­heu­ren Pro­pa­gan­da­er­folg. Nicht nur in Deutsch­land, son­dern auch in Frank­reich, Bel­gi­en und Lu­xem­burg be­rich­te­ten die Pil­ger, wie freund­lich und hilfs­be­reit die Män­ner in den brau­nen Uni­for­men wa­ren (186). Auch Tei­le des deut­schen Kle­rus wa­ren ver­blen­det. Er­schüt­tert liest man heu­te die of­fi­zi­el­le Ab­schluss­pu­bli­ka­ti­on zur Wall­fahrt aus der Fe­der des be­kann­ten Kunst­his­to­ri­kers und Dom­ka­pi­tu­lars Ni­ko­laus Irsch (1872-1956), der von ei­nem neu­en Bünd­nis von Thron und Al­tar träum­te, vom ge­mein­sa­men Kampf ge­gen Kom­mu­nis­mus  und Bol­sche­wis­mus, und der die Blut­fah­ne der SA, mit der Stan­dar­ten be­rührt wur­den, mit dem Hei­li­gen Rock ver­glich (187). Doch we­nig spä­ter be­gann der Kir­chen­kampf mit der Be­kämp­fung der Ju­gend­ar­beit, der Über­wa­chung und Ver­fol­gung vie­ler Pries­ter, der pro­pa­gan­dis­tisch weid­lich aus­ge­nut­zen Pro­zes­se um Sitt­lich­keits­de­lik­te und De­vi­sen­schie­be­rei­en, und die Nach­barn im Wes­ten merk­ten spä­tes­tens 1939, dass sie ge­täuscht wor­den wa­ren (188).

In­so­fern wür­de ich Zen­ders Auf­satz als ei­ne Ju­gend­sün­de, als ein­ma­li­ge Ent­glei­sung be­zeich­nen, die oh­ne Fort­set­zung blieb und von der sich sei­ne wei­te­ren Ar­bei­ten deut­lich und wohl­tu­end un­ter­schie­den. Er hat sich spä­ter auch in­so­fern von ihm dis­tan­ziert, als er in der Ein­lei­tung der Neu­fas­sung von 1955 be­rich­tet, er ha­be über die­ses The­ma be­reits vor über 20 Jah­ren un­ter dem Ti­tel „Wand­lun­gen in der bäu­er­li­chen Kul­tur“ vor den Stu­den­ten Adolf Bachs re­fe­riert.“ (189) Die eben­falls in den Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­tern er­schie­ne­ne Neu­fas­sung be­sitzt zu­nächst ein­mal ei­ne ganz an­de­re wis­sen­schaft­li­che Qua­li­tät als die Erst­fas­sung; auch die sprach­li­che Form ist we­sent­lich ge­die­ge­ner. Dann sind sämt­li­che An­klän­ge an das „Drit­te Reich“ und sei­ne Ideo­lo­gi­en ge­tilgt, die Kri­tik an der Stadt wird deut­lich ge­mil­dert, die Ana­ly­se ist we­sent­lich fun­dier­ter und schär­fer.

Ge­blie­ben sind frei­lich der kul­tur­pes­si­mis­ti­sche Zug und die Ten­denz zur Agrar­ro­man­tik, die Ver­klä­rung der gu­ten al­ten Zeit, in der man nach der Feld­ar­beit ge­mein­sam sin­gend nach Hau­se zog. Ge­blie­ben ist auch die Ver­knüp­fung ei­nes wirt­schaft­li­chen und so­zia­len Wan­dels mit ei­ner geis­ti­gen und men­ta­len Kri­se. Frei­lich hat Zen­der aus die­ser Ver­öf­fent­li­chung für sei­ne wei­te­ren Ar­bei­ten zwei Kon­se­quen­zen ge­zo­gen: Ers­tens ging er selbst bei sei­nen durch­aus bri­san­ten For­schungs­ar­bei­ten der spä­ten 1930er Jah­re voll­stän­dig auf Dis­tanz zur Po­li­tik. Und zum Zwei­ten be­schränk­te er sich fort­an auf die Ana­ly­se der his­to­ri­schen Di­men­si­on von Wand­lungs­pro­zes­sen. We­der gab er Pro­gno­sen für die wei­te­re Ent­wick­lung noch Rat­schlä­ge, wie man die­se ge­stal­ten soll­te. Schlie­ß­lich blieb auch die kul­tur­pes­si­mis­ti­sche Be­trach­tungs­wei­se nicht oh­ne Fol­ge: Zen­der glo­ri­fi­zier­te in sei­nen Ar­bei­ten die gu­te al­te Zeit, er sah den Wan­del als Zer­stö­rung und Ver­lust, und er er­kann­te nicht die Vor­tei­le und Per­spek­ti­ven die­ser Ver­än­de­run­gen. Die 1934 und 1955 ge­heg­ten Hoff­nun­gen auf ei­ne neue Bau­ern­kul­tur blie­ben Il­lu­si­on. Nach 1955 ha­ben sich die Land­wirt­schaft und das Dorf­le­ben so tief­grei­fend ver­än­dert, wie es Zen­ders Ge­ne­ra­ti­on nie für mög­lich ge­hal­ten hät­te.

Mit ei­ner quel­len­kri­ti­schen Be­mer­kung sol­len die­se Über­le­gun­gen ab­ge­schlos­sen wer­den: Mat­thi­as Zen­der gilt als der über­zeu­gen­de Re­prä­sen­tant des tief in der Tra­di­ti­on und im ka­tho­li­schen Glau­ben ver­wur­zel­ten Ei­feler Bau­ern­tums. Ge­wiss, er war Zeit sei­nes Le­bens im­mer wie­der in Nie­der­weis und wähl­te dort auch sei­ne letz­te Ru­he­stät­te. Aber er leb­te, wie be­reits an­ge­spro­chen, seit 1919 in Trier und seit 1926 in Bonn, un­ter­bro­chen von kur­zen Auf­ent­hal­ten in sei­ner Stu­den­ten­zeit, im Krieg und nach dem Krieg. Ge­wiss, er war ein bril­lan­ter Ken­ner und Be­ob­ach­ter der bäu­er­li­chen Welt, aber er war ein Stadt­mensch ge­wor­den, ein hö­he­rer Be­am­ter, der das Land­le­ben als Zu­schau­er, Be­ob­ach­ter und Gast er­leb­te.

In­so­fern kommt Zen­der zu ei­ner gänz­lich an­de­ren Sicht der Din­ge als der 1929 in dem zwi­schen Vi­an­den und Bit­burg ge­le­ge­nen, nur 23 Ki­lo­me­ter von Nie­der­weis ent­fern­ten Nie­der­ra­den ge­bo­re­ne Jo­han­nes Nos­büsch (1929-2011). Die­ser füg­te 1993 be­zie­hungs­wei­se 2001 sei­ne Kind­heits­er­in­ne­run­gen aus den spä­ten 1930er Jah­ren in theo­lo­gi­sche und phi­lo­so­phi­sche Kon­zep­te ein und ent­wi­ckel­te dar­aus ei­ne per­sön­lich ge­färb­te Mo­der­ni­sie­rungs­theo­rie der Ei­fel. Nach sei­nem Ab­itur 1948 schlug er eben­falls ei­ne uni­ver­si­tä­re Lauf­bahn ein (190).

Ei­ne gänz­lich an­de­re Sicht ent­wi­ckel­te der eben­falls aus ei­ner Bau­ern­fa­mi­lie im Ber­gi­schen Land stam­men­de Franz Stein­bach, der sich Zeit sei­nes Le­bens für die Agrar­ge­schich­te in­ter­es­sier­te. Um nur we­ni­ge Bei­spie­le her­aus­zu­grei­fen: 1922 pro­mo­vier­te er mit „Bei­trä­gen zur Ber­gi­schen Agrar­ge­schich­te. Ver­er­bung und Mo­bi­li­sie­rung des länd­li­chen Grund­be­sit­zes im ber­gi­schen Hü­gel­land.“ 1931 ver­öf­fent­lich­te er ei­nen Auf­satz über „Das Bau­ern­haus der west­deut­schen Grenz­lan­de“ und 1933 pu­bli­zier­te er in Lu­xem­burg ei­nen Vor­trag über „Bau­ern­haus und Bau­ern­kul­tur.“ (191) Nach sei­ner Eme­ri­tie­rung ver­öf­fent­lich­te Stein­bach 1963 ei­nen in mehr­fa­cher Hin­sicht pein­li­chen Ar­ti­kel „Bür­ger und Bau­er im Zeit­al­ter der In­dus­trie.“ (192) Der Auf­satz selbst ent­fal­tet ein zeit­lich und the­ma­tisch weit ge­spann­tes Pan­ora­ma des Ver­hält­nis­ses von Stadt und Land vom Mit­tel­al­ter bis in die Ge­gen­wart, wo auch die „erb­bio­lo­gi­schen Ver­hält­nis­se im Bau­ern­stan­d“ nicht feh­len dür­fen. Aus hy­gie­ni­schen, sa­ni­tä­ren und kul­tu­rel­len Grün­den ge­be es ein „zi­vi­li­sa­to­ri­sches Zu­rück­blei­ben“ der Land­be­völ­ke­rung. Dies gel­te auch für die Bil­dung und die Schrift­lich­keit, vor al­lem aber für die „An­häng­lich­keit an al­le vom Schweiß der ei­ge­nen Vor­fah­ren ge­düng­ten Grund­stü­cke.“ Dies wer­de in der Volks­kun­de und Dich­tung als ty­pisch bäu­er­li­che Tu­gend ver­herr­licht. De­tail­liert wird der tech­ni­sche Wan­del seit dem spä­ten 19. Jahr­hun­dert her­aus­ge­ar­bei­tet und fest­ge­stellt, dass sich durch Au­to, Zei­tun­gen, Ra­dio, Fern­se­hen und Wo­chen­end­häu­ser der Ab­stand zwi­schen Stadt und Land ver­rin­gert ha­be. Die Ana­ly­sen zum Struk­tur­wan­del in der länd­li­chen Ge­sell­schaft und die Vor­schlä­ge der Ex­per­ten wer­den be­züg­lich ih­rer Fi­nan­zier­bar­keit und ih­rer Er­folgs­aus­sich­ten kri­tisch be­ur­teilt. Die Land­flucht so­wie die sin­ken­de Zahl der Ar­beits­plät­ze in der Land­wirt­schaft wird als „not­wen­dig und nütz­li­ch“ be­ur­teilt und wür­de zu­dem die Nach­fra­ge nach land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ten stei­gern. Oh­ne auf Stein­bachs Äu­ße­run­gen im Ein­zel­nen ein­ge­hen zu kön­ne, sei fest­ge­hal­ten, dass er die Ver­än­de­run­gen der länd­li­chen Ar­beits­welt we­sent­lich prä­zi­ser be­ob­ach­te­te als Zen­der, dass er sich auch mit der agrar­po­li­ti­schen Di­men­si­on aus­ein­an­der­setz­te, und das nicht un­kri­tisch, dass er da­ge­gen ei­ne agrar­ro­man­ti­sche Ver­klä­rung der gu­ten al­ten Zeit ab­leh­nend ge­gen­über­stand. Da­mit dürf­ten auch Zen­ders Ar­bei­ten et­was prä­zi­ser her­aus­ge­ar­bei­tet sein.

3.9 Weitere Publikationen Zenders in den Organen des Eifelvereins

Am 14. und 15.10.1961 fand ei­ne Haupt­ver­samm­lung des Ei­fel­ver­eins in Wil­den­burg/Hel­len­thal statt. Als the­ma­ti­schen Schwer­punkt wähl­te man die Ei­feler Mund­art, wor­über Mat­thi­as Zen­der re­fe­rier­te. Schul­rat Oden­bach dis­ku­tier­te ver­schie­de­ne Mög­lich­kei­ten, die Mund­art im Schul­un­ter­richt zu för­dern (193). 1962 ver­öf­fent­lich­te Zen­der sei­nen Vor­trag über „Die Stel­lung der Mund­ar­ten und ih­re Be­deu­tung in der Ge­gen­war­t“ in der „Ei­fel“ (194). Er skiz­zier­te die Ent­wick­lung und die räum­li­che Struk­tur der Ei­feler Mund­art, die er als „Fun­da­ment un­se­res Ei­feler Volks­tums“ be­zeich­ne­te. Das Ver­hält­nis zur Hoch- be­zie­hungs­wei­se Schrift­spra­che wur­de eben­so an­ge­spro­chen wie die Ver­än­de­run­gen in den letz­ten Jah­ren. Vor der Ver­drän­gung der Mund­ar­ten in den Schu­len wird ge­warnt und be­dau­ert, dass es kei­ne an­spruchs­vol­len li­te­ra­ri­schen Tex­te im Ei­feler Platt ge­be.

1963 gab der Vor­sit­zen­de des Ei­fel­ver­eins, Jo­sef Schramm, ei­nen groß­for­mar­ti­gen Sam­mel­band mit ei­nem Um­fang von 320 Sei­ten her­aus: „Die Ei­fel. Land der Maa­re und Vul­ka­ne.“ Ne­ben der ge­lun­ge­nen gra­phi­schen Ge­stal­tung mit zahl­rei­chen ganz­sei­ti­gen, auf Hoch­glanz­pa­pier ge­druck­ten Schwarz-Weiß-Fo­tos ist die in­halt­li­che Kon­zep­ti­on her­vor­zu­he­ben: Es ge­lang dem Her­aus­ge­ber, ei­ne gan­ze Rei­he re­nom­mier­ter Au­to­ren zu ge­win­nen, die auf je­weils cir­ca zehn Druck­sei­ten ihr Fach­ge­biet so über­zeu­gend zu prä­sen­tie­ren ver­stan­den, dass ei­ne zu­sam­men­hän­gen­de Lan­des­kun­de der Ei­fel ent­stand, die man fast schon mit der le­gen­dä­ren Ver­eins­fest­schrift von 1913 ver­glei­chen kann. Zen­ders Bei­trag zur Volks­kun­de zeigt ein­drucks­vol­le Bil­der der Ei­er­la­ge in Schöne­cken und der Säubren­ner­kir­mes in Witt­lich, des Stra­ßen­kar­ne­vals in Eu­pen und der Ech­ter­nach­er Spring­pro­zes­si­on. Un­ter dem Ober­ti­tel Wirt­schaft und Ver­kehr fin­den sich Bei­trä­ge zur In­dus­trie, zu Land­wirt­schaft, Tal­sper­ren, Ver­kehr, Nür­burg­ring, Tou­ris­mus, Kur­or­ten und Heil­quel­len so­wie zum Wan­dern und zum Win­ter­sport. 6.000 Ex­em­pla­re die­ser Pu­bli­ka­ti­on, von der 1964 ei­ne zwei­te Auf­la­ge er­schien, wur­den in­ner­halb we­ni­ger Wo­chen ver­kauft (195).

Karte der Zwergsagen. (Zender, Erzählgut 1938)

 

1971 ver­öf­fent­lich­te Zen­der ei­nen Ar­ti­kel über „Ei­fel­dör­fer im Wan­del“ (196). Er stellt ei­ne glän­zen­de Ana­ly­se der Ent­wick­lung der Nach­kriegs­zeit dar: Zu­nächst be­merk­te er, dass zwar der An­teil der in der Land­wirt­schaft tä­ti­gen Be­völ­ke­rung er­heb­lich zu­rück­ge­gan­gen sei, kon­sta­tier­te dann aber ei­nen „Tra­di­ti­ons­über­han­g“, ei­ne „bäu­er­li­che Grund­hal­tun­g“, die sich auch bei Fa­mi­li­en zei­ge, die längst in der Stadt ar­bei­te­ten. Dann un­ter­streicht er die ver­kehrs­fer­ne La­ge der Ei­fel, was sich al­ler­dings da­mals schon er­heb­lich re­la­ti­viert hat­te, und die durch neue Gren­zen be­ding­te La­ge der West­ei­fel in ei­nem „to­ten Win­kel“, was sich frei­lich durch die ge­ra­de von den Vor­sit­zen­den des Ei­fel­ver­eins (Jo­sef Schramm, Kon­rad Schubach) laut­stark vor­ge­tra­ge­nen For­de­run­gen nach ei­ner grenz­über­schrei­ten­den Struk­tur­po­li­tik auch än­dern soll­te. Nach dem Krieg ha­be das tra­di­tio­nel­le Brauch­tum er­heb­lich an Be­deu­tung ver­lo­ren, ha­be sich auf die Kir­mes kon­zen­triert und in die Fa­mi­lie ver­la­gert. Neue und kom­mer­zi­el­le For­men des Fes­tes ent­stan­den. Bei­spie­le sind der Bit­bur­ger Be­da­markt, der Maye­ner Lu­kas­markt, die Witt­li­cher Säubren­ner­kir­mes und die Dü­re­ner An­na­kir­mes. Da­ge­gen wehrt er sich: „Die hie­si­gen Bräu­che eig­nen sich in ih­rer schlich­ten und ein­fa­chen Art nicht zu Spiel und Schau­stel­lung.“

Auch die Men­ta­li­tät der Men­schen hat­te sich ver­än­dert: Der „kon­ser­va­ti­ve Bau­er“, der mit sei­nem Starr­sinn den Land­wirt­schafts­leh­rer in die Ver­zweif­lung trieb, sei ver­schwun­den. Jetzt wer­de nur noch über „neue Ma­schi­nen, neue Hof­an­la­gen, neue Ar­beits­wei­sen“ dis­ku­tiert.“ Man sei „dem Fort­schritt auf­ge­schlos­sen.“ Doch das ha­be Fol­gen: Bau­ern wol­len um je­den Preis un­ren­ta­ble Hö­fe ver­grö­ßern. Bau­ern­töch­ter wol­len kei­nen Land­wirt, son­dern ei­nen „Ge­halts­man­n“ hei­ra­ten. Vie­le schaf­fen den „Ab­sprung in die In­dus­trie­ar­beit“ nicht und keh­ren zu­rück in das „klein­bäu­er­li­che Pro­le­ta­ri­a­t“. Zen­der er­kennt ei­ne ge­wal­ti­ge „Um­struk­tu­rie­run­g“, die die bäu­er­li­che Welt nach­hal­tig ver­än­dert und in ei­ne „in­dus­trie­be­stimm­te Welt“ ver­wan­delt. Die­ser Weg sei für vie­le Men­schen „sehr lang und schwer. … Den­noch muß er ge­gan­gen wer­den.“ Mit die­ser deut­li­chen Ana­ly­se stand Zen­der un­ter den Au­to­ren des Ei­fel­ka­len­ders – wie gleich noch zu zei­gen sein wird – ziem­lich al­lein da. Die Re­dak­ti­on mil­der­te den Text auch et­was ab, in­dem sie ei­ne ein­sei­ti­ge Ab­bil­dung plat­zier­te, auf der ei­ne Bäue­rin mit der Heu­ga­bel ei­nen von zwei Kü­hen ge­zo­ge­nen Wa­gen be­lädt.

„Ei­fel zwi­schen Tra­di­ti­on und Neue­run­g“ war das The­ma ei­ner wei­te­ren Stand­ort­be­stim­mung im Jah­re 1978 (197). Zen­der be­gann mit ei­nem Hin­weis auf die Un­ter­stüt­zung sei­ner For­schun­gen durch den Ei­fel­ver­ein und un­ter­strich, auch der Ver­ein ha­be von An­fang an er­kannt, die Ei­fel „ha­be al­te und bo­den­stän­di­ge Le­bens­for­men be­son­ders gut be­wahrt und die­se sei­en der Pfle­ge und Er­hal­tung wert.“ Dann holt er weit aus und kommt von der Ter­ri­to­ri­al­ge­schich­te über die Dorf/Dorp- und die Haus-/Hus­gren­ze zum An­er­ben­recht und zur Real­tei­lung. Dann hebt er das be­tont bäu­er­li­che Be­wusst­sein mit sei­nem Stolz auf den ei­ge­nen Hof und auch das spe­zi­fi­sche Brauch­tum her­vor. Da­von aus­ge­hend skiz­ziert er die Ver­än­de­run­gen im 19. Jahr­hun­dert und kommt dann auf den „be­schleu­nig­ten Wan­del“ der letz­ten Jahr­zehn­te zu spre­chen. Das Brauch­tum und die Fa­mi­li­en­struk­tu­ren hät­ten sich ver­än­dert, aber die Mund­art sei ge­blie­ben. Zen­der ver­weist auf die Be­deu­tung der För­de­rung jun­ger Fa­mi­li­en. „Wir ha­ben in die­ser La­ge kein Pa­tent­re­zept,“ aber es wä­re schon ei­ne Hil­fe, wenn die Ver­wal­tung die Si­tua­ti­on ana­ly­sie­re und Hil­fe ver­su­che. „So sehr wir auch das ge­schicht­lich ge­wor­de­ne Bild als ver­traut emp­fin­den und die ge­schaf­fe­ne Grund­la­ge wah­ren wol­len, zu Rat und Hil­fe für die­se su­chen­den Men­schen sind wir auf­ge­ru­fen.“ Ähn­lich wie bei sei­nem Kriegs­vor­trag von 1942 zeigt sich hier, dass Zen­der ein de­tail­lier­ter Ken­ner der Ge­schich­te und ein glän­zen­der Be­ob­ach­ter der Ge­gen­wart ist, dass er Ver­än­de­run­gen be­schrei­ben und ana­ly­sie­ren kann, dass er aber kei­ne Rat­schlä­ge er­teilt und kei­ne For­de­run­gen stellt.

Zen­ders letz­ter Auf­satz „Bei den Er­zäh­lern von Sa­gen und Mär­chen in der Ei­fel“ stammt von 1980 (198). Auf Wunsch der Schrift­lei­tung ver­fass­te er ei­nen Rück­blick auf sei­ne Sam­mel­tä­tig­keit, in der ihn 50 Jah­re zu­vor ein Ar­ti­kel im Ei­fel­ver­eins­blatt un­ter­stützt hat­te. Der Ar­ti­kel – der gleich­zei­tig für die für 1981 vor­be­rei­te­te Neu­aus­ga­be der „Volks­mär­chen“ wirbt – ist mit ei­ner ein­sei­ti­gen Ab­bil­dung aus­ge­stat­tet, die Bau­ern beim Be­la­den ei­nes Heu­wa­gens zeigt.

Die Ver­bun­den­heit mit dem Ei­fel­ver­ein kommt auch in meh­re­ren Ar­ti­keln zu sei­nen Ge­burts­ta­gen zum Aus­druck. 1967 gra­tu­lier­te ihm die Re­dak­ti­on in der Ver­eins­zeit­schrift „Die Ei­fel“ zum 60., (199) 1972 der Haupt­vor­sit­zen­de Jo­sef Schramm zum 65. (200) und 1977 der Haupt­ge­schäfts­füh­rer Fried­rich Wil­helm Knopp zum 70. Ge­burts­tag (201). Eben­falls 1977 ver­öf­fent­lich­te der Volks­kund­ler und Zen­der-Schü­ler Wolf­gang Klein­schmidt ei­ne Wür­di­gung im Ei­fel­jahr­buch für 1978 (202). Auch zum 75. und zum 80. Wie­gen­fest er­schie­nen Glück­wün­sche (203). Merk­wür­di­ger­wei­se fin­det sich in der Ver­eins­zeit­schrift kein Ne­kro­log, doch hat­te Zen­der auch kei­ne Funk­ti­on in­ner­halb des Ver­eins be­klei­det.

4. Dr. Heinz Renn

Ei­ne wei­te­re in­ter­es­san­te Per­son an der Schnitt­stel­le zwi­schen dem Bon­ner In­sti­tut und dem Ei­fel­ver­ein ist Dr. Heinz Renn (ge­stor­ben 1992) (204). Der in Ham­burg ge­bo­re­ne Renn wuchs nach dem frü­hen Tod sei­nes Va­ters bei den Gro­ß­el­tern in Baas­em (heu­te Ge­mein­de Dah­lem) auf, leg­te in Müns­ter­ei­fel das Ab­itur ab und stu­dier­te ab 1933 in Bonn Phi­lo­lo­gie und Ge­schich­te. 1939 pro­mo­vier­te er bei Franz Stein­bach und Ca­mil­le Wam­pach (205) über „Das ers­te Lu­xem­bur­ger Gra­fen­haus (963-1136).“ Die Ar­beit er­schien 1941 als Band 39 im Rhei­ni­schen Ar­chiv (206). Gleich­zei­tig lei­te­te er ei­ne stu­den­ti­sche Ar­beits­grup­pe, die ein Ma­nu­skript über „Fran­zö­si­sche Kul­tur­po­li­tik und fran­zö­si­sche Kul­tur­pro­pa­gan­da in den west­deut­schen Grenz­lan­den“ er­ar­bei­te­te. Die Ar­beit wur­de im „Reichs­be­rufs­wett­kampf“, ei­nem von der Deut­schen Ar­beits­front, der Hit­ler­ju­gend und dem NSD-Stu­den­ten­bund seit 1934 durch­ge­führ­ten Leis­tungs­wett­be­werb, als „reichs­bes­te Ar­beit“ aus­ge­zeich­net.

Renn bot man ei­ne As­sis­ten­ten­stel­le am In­sti­tut an, doch soll er ab­ge­lehnt ha­ben, weil ihm ein Ver­tre­ter des „Reich­stu­den­ten­füh­rer­s“ mit­teil­te, dass er „als prak­ti­zie­ren­der Ka­tho­lik kei­ne Chan­ce hät­te, je­mals ei­ne Pro­fes­sur zu er­hal­ten.“ (207) Au­ßer­dem sol­len ihn der po­li­ti­sche Fa­na­tis­mus und die Vor­gän­ge um die Ent­fer­nung sei­nes Leh­rers Ca­mil­le Wam­pach zu­tiefst scho­ckiert ha­ben (208). Renn leg­te statt­des­sen ein Staats­ex­amen ab und wur­de Re­fe­ren­dar in Bad Go­des­berg (heu­te Stadt Bonn). Da­nach war er dann fünf Jah­re lang Sol­dat, da­von drei Jah­re an der Ost­front, wo er ver­wun­det wur­de. Nach dem Krieg er­öff­ne­te er in Schmidtheim (heu­te Ge­mein­de Dah­lem) ei­ne Pri­vat­schu­le, wur­de dann Stu­di­en­rat in Köln und Eus­kir­chen, 1955 stell­ver­tre­ten­der Di­rek­tor in Müns­ter­ei­fel und schlie­ß­lich 1963 Di­rek­tor des Gym­na­si­ums in Jü­lich.

Sei­ne Per­so­nal­ak­te ent­hält et­was an­de­re In­for­ma­tio­nen, die die auf Renns An­ga­ben be­ru­hen­den Äu­ße­run­gen frei­lich nicht aus­schlie­ßen müs­sen. Da­nach wur­de Renn 1938 als As­sis­tent ein­ge­stellt. Aus sei­nem Le­bens­lauf geht her­vor, dass er sich als „po­li­ti­scher Stu­dent … stets ein­satz­be­reit ge­zeig­t“ ha­be: Seit April 1933 ge­hör­te er der SA an, seit 1934 dem NSD-Stu­den­ten­bund, und 1937 wur­de er in die NS­DAP auf­ge­nom­men. An al­len drei „Reichs­be­rufs­kämp­fen der Stu­den­ten­schaf­t“ ha­be er „ak­tiv teil­ge­nom­men“, 1937/1938 als Mann­schafts­füh­rer, wo­bei die von ihm ge­führ­te Grup­pe „ei­ne Reichs­bes­te Ar­beit schrieb.“ Zu­dem war er als „Bü­cher­war­t“ des In­sti­tuts tä­tig. Wei­ter geht aus den Un­ter­la­gen her­vor, da sich Renn par­al­lel da­zu auf sein Staats­ex­amen im Fe­bru­ar 1939 vor­be­rei­te­te. Am 1.7.1938 wur­de er am In­sti­tut ein­ge­stellt und am 28.1.1940 zur Wehr­macht ein­ge­zo­gen. Sein bis 1941 be­fris­te­ter Ver­trag wur­de bis 1944 im­mer wie­der ver­län­gert (209).

Renn war ne­ben sei­ner Tä­tig­keit im Schul­dienst in meh­re­ren his­to­ri­schen Ver­ei­nen tä­tig und ist da­bei durch ei­ne Viel­zahl von Vor­trä­gen, Ex­kur­sio­nen und Stu­di­en­fahr­ten her­vor­ge­tre­ten. Zu­dem ver­öf­fent­lich­te er 65 lan­des­kund­li­che Bei­trä­ge, dar­un­ter 1941, 1954 und 1956 drei Auf­sät­ze in den Vier­tel­jahrs­blät­tern (210). 1955, 1956, 1957 und 1958 er­hielt er Werk­ver­trä­ge von der Ar­beits­ge­mein­schaft für west­deut­sche Lan­des- und Volks­for­schung, die von Stein­bach und Dro­ege un­ter­zeich­net sind. Renns Ho­no­rar in Hö­he von je­weils 1.000 DM war für recht va­ge be­zeich­ne­te For­schun­gen vor­ge­se­hen. Zu­nächst ist von ei­ner „Ge­schich­te der Ei­fel“ die Re­de, dann von ei­ner „Ge­schich­te des Ei­fel-Ar­den­nen­rau­mes“ und schlie­ß­lich von „For­schun­gen zur Ge­schich­te der ter­ri­to­ria­len und kul­tu­rel­len Ent­wick­lung der Ei­fel.“ Renns Ei­fel­buch war al­so 40 Jah­re vor sei­nem Er­schei­nen 1994 durch das Bon­ner In­sti­tut be­zie­hungs­wei­se den Ver­ein ma­ß­geb­lich ge­för­dert wor­den (211).

Da­nach scheint sein Ver­hält­nis zu dem Bon­ner In­sti­tut ab­ge­kühlt zu sein. An­geb­lich soll ihm Stein­bach ei­ne Stel­le am In­sti­tut an­ge­bo­ten ha­ben, die Renn ab­ge­lehnt ha­ben soll. Auf ei­ne Ent­frem­dung deu­tet die Fest­schrift zu sei­nem 75. Ge­burts­tag hin. Der Band „Ge­schich­te der Ei­fel. Ge­sam­mel­te Auf­sät­ze“ er­schien 1986 in ers­ter und 1987 in drit­ter Auf­la­ge. Die Her­aus­ge­ber des sei­ner Frau ge­wid­me­ten Bu­ches wa­ren sei­ne vier Kin­der (212). Das Ti­tel­blatt weist au­ßer­dem auf Ge­leit­wor­te „der Pro­fes­so­ren an der Uni­ver­si­tät zu Köln: Dr. Bers, Dr. Cors­ten, Dr. Kloo­ck“ hin. Gün­ter Bers (ge­bo­ren 1940) un­ter­schieb aber als stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der des Jü­li­cher Ge­schichts­ver­eins, Se­ve­rin Cors­ten (1920-2008) für den His­to­ri­schen Ver­ein für den Nie­der­rhein und Jo­sef Kloock (ge­bo­ren 1935) für den Ver­ein Al­ter Müns­ter­ei­feler, wo­mit noch­mals die Ko­or­di­na­ten von Renns Ak­ti­vi­tä­ten ab­ge­steckt sind.

Renn grün­de­te in Schmidtheim ei­ne Orts­grup­pe des Ei­fel­ver­eins, lei­te­te dann die in Bad Müns­ter­ei­fel und war seit 1964 Vor­sit­zen­der der Be­zirks­grup­pe Dü­ren-Jü­lich. Seit 1973 war er Haupt­hei­mat- und -kul­tur­wart des Ei­fel­ver­eins, war in die­ser Funk­ti­on Mit­glied im Haupt­vor­stand und so­mit für die ge­sam­te Kul­tur­ar­beit des Ver­eins zu­stän­dig (213). Ne­ben sei­nem En­ga­ge­ment für die Bei­be­hal­tung des Hei­mat­kun­de­un­ter­richts in den Schu­len, ein The­ma, für das sich auch der Ei­fel­ver­ein nach­drück­lich ein­setz­te, ver­fass­te er meh­re­re Bei­trä­ge für des­sen Pe­ri­odi­ka.

1978 wur­de Renn pen­sio­niert. Ge­sund­heit­lich schwer an­ge­schla­gen, be­müh­te er sich un­er­müd­lich, sei­ne For­schun­gen zu Pa­pier zu brin­gen. Als dann die Fei­ern zum 100-jäh­ri­gen Grün­dungs­ju­bi­lä­um des Ei­fel­ver­eins im Jah­re 1988 an­stan­den, über­nahm es Renn, für die Fest­schrift ei­ne 125 Druck­sei­ten um­fas­sen­de „Ge­schich­te der Ei­fel bis 1888“ zu ver­fas­sen. Auch wenn man dem Ver­fas­ser vor­wer­fen kann, dass er sich nicht bei je­dem The­ma auf dem letz­ten Stand der For­schung be­weg­te, so kann man ihm doch be­schei­ni­gen, dass er nach der klei­ne­ren Dar­stel­lung von Kauf­mann oder Schramms Ei­fel­werk (214) die ers­te zu­sam­men­fas­sen­de Ge­schich­te der Re­gi­on vor­ge­legt hat, die zu­dem aus ei­nem Guss ist und ein brei­tes Pu­bli­kum er­reich­te: Von Schramms Ei­fel­werk wur­den 6.000, von der Fest­schrift 12.000 Ex­em­pla­re ver­kauft. Man wird Renns Werk al­so nicht ge­recht, wenn man ihn nur als For­scher, nicht aber als Mul­ti­pli­ka­tor im wei­tes­ten Sin­ne an­sieht.

'Dieses friedliche Gespann – früher zur Erntezeit in der Eifel ein vertrautes Bild – wurde längst von Traktoren und Erntemaschinen abgelöst'. (Eifelkalender 1971, S. 89, Eifelbibliothek Mayen)

 

Nach­dem Renn 1990 ei­ne Orts­ge­schich­te von Baas­em her­aus­ge­ge­ben hat­te, ent­stand der Ge­dan­ke, sei­nen vo­lu­mi­nö­sen Bei­trag zur Ei­fel­fest­schrift zu ei­nem Buch aus­zu­bau­en. Hier­zu ent­schied sich der Ver­fas­ser aus Kos­ten­grün­den für ei­nen un­ver­än­der­ten Nach­druck der Ka­pi­tel bis zum be­gin­nen­den 19. Jahr­hun­dert und setz­te das Werk dann bis in die 1990er Jah­re fort. Renns Vor­wort stammt aus sei­nem To­des­jahr 1992. Das reich il­lus­trier­te Werk mit dem Ti­tel „Die Ei­fel. Wan­de­rung durch 2000 Jah­re Ge­schich­te, Wirt­schaft und Kul­tur“ wur­de 1994 vom Ei­fel­ver­ein her­aus­ge­ge­ben und er­schien be­reits 1995 in ei­ner zwei­ten Auf­la­ge. Für die drit­te Auf­la­ge im Jah­re 2000 schrie­ben sei­ne Frau und die Kin­der ein um­fang­rei­ches Ka­pi­tel über die 1990er Jah­re neu, 2006 kam noch ei­ne vier­te Auf­la­ge auf den Markt. Es ist be­mer­kens­wert, dass kei­ne da­von in den Rhei­ni­schen Vier­tel­jahrs­blät­tern re­zen­siert wur­de und dass bei den zahl­rei­chen Dank­sa­gun­gen in den Vor­wor­ten das In­sti­tut nicht ge­nannt wird. Dies gilt auch für sei­ne 1986 in ers­ter Auf­la­ge er­schie­ne­nen ge­sam­mel­ten Schrif­ten (215).

Titelblätter der Zeitschrift 'Die Eifel', 45 (1950), Nr. 3. (Eifelbibliothek Mayen)

 

5. Eifelverein, der Heimatgedanke und der kulturelle Wandel der Nachkriegszeit

Zen­ders Ver­öf­fent­li­chun­gen in den Pu­bli­ka­tio­nen des Ei­fel­ver­eins er­reich­ten ein brei­tes Pu­bli­kum. Das Ei­fel­jahr­buch hat­te ei­ne Auf­la­ge von 6.000 bis 8.000 Ex­em­pla­ren, „Die Ei­fel“ ging an sämt­li­che  Mit­glie­der. 1954 hat­te der Ei­fel­ver­ein 13.000 Mit­glie­der, 1973 wa­ren es 31.500 und 1980 54.000. Es war je­doch nicht nur das Wan­der­an­ge­bot, das den Ver­ein so at­trak­tiv mach­te und auch nicht das da­mit ver­bun­de­ne Pro­gramm an kul­tu­rel­len und ge­sel­li­gen Ver­an­stal­tun­gen, es war die Rol­le des Ver­eins als Hei­ma­t­or­ga­ni­sa­ti­on in ei­nem struk­tur­schwa­chen Raum. Die­ses An­ge­bot war so at­trak­tiv, dass der Ver­ein auch in den an­gren­zen­den Groß­städ­ten gro­ßen Zu­lauf zu ver­zeich­nen hat­te, in de­nen ein um­fang­rei­ches Kul­tur­pro­gramm mit Vor­trä­gen und Kon­zer­ten ge­bo­ten wur­de.

Hin­sicht­lich des Um­gangs mit den von Zen­der an­ge­spro­che­nen Pro­ble­men ver­focht der Ei­fel­ver­ein kei­ne so ganz kla­re Li­nie. Auf der ei­nen Sei­te setz­te er sich un­ter sei­nem Vor­sit­zen­den Jo­sef Schramm (1938-1945, 1954-1973) mas­siv für die struk­tur­schwa­che Re­gi­on ein, de­ren Pro­ble­me (Schu­len, Ar­beits­plät­ze, Ver­kehrs­ver­bin­dun­gen) nur im eu­ro­päi­schen Kon­text ge­löst wer­den konn­ten (216). Sein Nach­fol­ger Kon­rad Schubach (1973-1991), der noch weit­aus bes­ser in der Lan­des­po­li­tik ver­netzt war, nutz­te dies da­zu, den Ei­fel­ver­ein zu ei­ner schlag­kräf­ti­gen Be­we­gung für den Land­schafts- und Um­welt­schutz, die Denk­mal­pfle­ge und die Land­wirt­schafts- be­zie­hungs­wei­se Struk­tur­po­li­tik zu ma­chen (217).

Titelblätter der Zeitschrift 'Die Eifel', 46 (1951), Nr. 8. (Eifelbibliothek Mayen)

 

Al­ler­dings hat­te der wirt­schaft­li­che Auf­schwung durch den Struk­tur­wan­del in der Land­wirt­schaft, die ver­bes­ser­te Mo­bi­li­tät und die För­de­rung des Tou­ris­mus auch ih­re­Schat­ten­sei­ten: Die Le­bens- und Ar­beits­welt der Men­schen ver­än­der­te sich. Ein ers­ter In­no­va­ti­ons­schub fand be­reits im 19. Jahr­hun­dert statt. 1864 wur­de mit dem Bau der Ei­fel­bahn von Köln nach Trier be­gon­nen und 1888 der Ei­fel­ver­ein ge­grün­det, der sich die För­de­rung des Tou­ris­mus auf sei­ne Fah­nen schrieb. 160.000 Aus­wan­de­rer ver­lie­ßen im 19. Jahr­hun­dert die Ei­fel und schrie­ben Brie­fe aus der „Neu­en Welt.“ Im „Kul­tur­kampf“ be­feh­de­ten sich in vie­len Dör­fern die Pfar­rer und die Bür­ger­meis­ter; zahl­rei­che Klös­ter wur­den auf­ge­ho­ben; die ka­tho­li­sche Pres­se be­rich­te­te aus­führ­lich dar­über. Zei­tun­gen ge­lang­ten auch in die Ei­fel­dör­fer.

In den 1930er Jah­ren nahm das Tem­po der Ver­än­de­run­gen dann ra­sant zu: Zen­der er­wähnt den Bau des West­walls, zu er­gän­zen wä­ren noch für die nörd­li­che Ei­fel die Or­dens­burg Vo­gel­sang, die Meis­ter­schu­le der Ma­le­rei in Kro­nen­burg, die Künst­ler­ko­lo­nie Heim­bach und der Bau von Stau­se­en (Rur­talsper­re Schwam­men­au­el) (218). Die­se Gro­ß­pro­jek­te be­sei­tig­ten die drü­cken­de Ar­beits­lo­sig­keit, ver­bes­ser­ten für ei­ni­ge Jah­re die wirt­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se und blie­ben den Zeit­ge­nos­sen nach­drück­lich in Er­in­ne­rung, da sie in der gleich­ge­schal­te­ten Pres­se, dar­un­ter auch den Zeit­schrif­ten des Ei­fel­ver­eins, ge­büh­rend ge­fei­ert wur­den.

Noch tief­grei­fen­der wa­ren die Ver­än­de­run­gen im Zwei­ten Welt­krieg (Ar­den­nen­of­fen­si­ve) und in der Nach­kriegs­zeit, vor al­lem die In­dus­tria­li­sie­rung der Land­wirt­schaft, die zu­neh­men­de Ver­kehrs­er­schlie­ßung, die eu­ro­päi­sche Ei­ni­gung, die Land­flucht und die Pend­ler­strö­me. Die Dör­fer und die Fa­mi­li­en, die Le­bens- und die Ar­beits­welt der Land­be­völ­ke­rung ver­än­der­ten sich in­ner­halb we­ni­ger Jahr­zehn­te in ei­nem Aus­maß, dass selbst Mat­thi­as Zen­der sei­ne Ei­fel kaum noch wie­der­ken­nen wür­de.

Titelblätter der Zeitschrift 'Die Eifel', 48 (1953), Nr. 3. (Eifelbibliothek Mayen)

 

In den 1950er und 60er Jah­ren war der Ei­fel­ver­ein des­halb so at­trak­tiv, weil er den Men­schen in ei­ner Pha­se be­schleu­nig­ten Wachs­tums ei­ne Ori­en­tie­rung ver­mit­teln konn­te. Frei­lich barg dies die Ge­fahr, dass der Ver­ein zum Sam­mel­be­cken rück­wärts­ge­wand­ter Tra­di­tio­na­lis­ten wer­den konn­te, die in Hei­mat­aben­den, Trach­ten­fes­ten und Ei­fel­ta­gen ih­re Par­al­lel­welt in­sze­nier­ten, ei­nen Hei­le-Welt-Er­leb­nis­park für äl­te­re Men­schen, wäh­rend ih­re En­kel die Wo­chen­en­den lie­ber im Ki­no ver­brach­ten, wo sie Fil­me aus ei­ner an­de­ren Traum­fa­brik sa­hen. Ge­ra­de in ei­ner in­di­vi­dua­li­sier­ten Ge­sell­schaft, die sich mit zu­neh­men­der Tech­nik und Glo­ba­li­sie­rung ra­pi­de ver­än­der­te und da­mit die Men­schen oft­mals über­for­der­te, er­gab sich ein Be­dürf­nis nach Ori­en­tie­rung an der Hei­mat und Tra­di­ti­on, die für die gu­te al­te Zeit, die ei­ge­ne Kind­heit stand; ein Be­dürf­nis nach funk­tio­nie­ren­den Ge­mein­schaf­ten, das auch in der Mit­glie­der­wer­bung im­mer wie­der ei­ne zen­tra­le Rol­le spielt (219). 

Die Zeit­schrif­ten des Ei­fel­ver­eins be­treu­te von 1932 bis 1966 Dr. Vik­tor Baur und ab 1966 bis 1985 Fried­rich Wil­helm Knopp (ge­stor­ben 1986). Ab 1960 er­schien „Die Ei­fel“ in ei­nem hand­li­chen For­mat, ab 1967 in ei­ner sehr an­spre­chen­den gra­phi­schen Ge­stal­tung. Auch in­halt­lich gab es Ver­än­de­run­gen. „Die Ei­fel“ war nicht nur ein Mit­tei­lungs­blatt für die Ver­eins­mit­glie­der und mit ih­rer Ru­brik „Ei­feler Nach­rich­ten“ ein In­for­ma­ti­ons­fo­rum für die Re­gi­on, son­dern vor al­lem in den 1950er und 60er Jah­ren auch ein Hei­mat­ma­ga­zin, das die Schön­hei­ten der Re­gi­on ver­herr­lich­te. Da­zu trug die Bild­aus­stat­tung we­sent­lich bei, vor­züg­li­che Schwarz­wei­ß­ta­feln von idyl­li­schen Ei­fel­dör­fern, pit­to­res­ken Klein­städ­ten, ro­man­ti­schen Som­mer- und Win­ter­land­schaf­ten, fröh­li­chen Wan­der­grup­pen und ver­klär­te Sze­nen aus der vor­in­dus­tri­el­len Ar­beits­welt, wie sie auch Zen­ders Ar­ti­kel schmück­ten. Dass die Re­dak­teu­re da­bei über Jah­re und Jahr­zehn­te auf das glei­che Bild­ma­te­ri­al zu­rück­grif­fen und es zum Teil mehr­fach ver­wen­de­ten, stör­te nie­man­den.

Ei­ne ge­wis­se Bi­po­la­ri­tät lässt sich auch bei den Ar­ti­keln be­ob­ach­ten. Wir fin­den ins­be­son­de­re im Jahr­buch ei­ne gan­ze Rei­he von Bei­trä­gen, die sich aus­führ­lich mit Ge­gen­warts­fra­gen be­fas­sen und nicht oh­ne Be­geis­te­rung vom Au­to­bahn­bau, von Ra­dio­te­le­sko­pen und vom Braun­koh­le­ta­ge­bau be­rich­ten. Es gibt aber auch zahl­lo­se Ar­ti­kel, die recht un­kri­tisch die „gu­te al­te Zeit“ ver­klä­ren be­zie­hungs­wei­se Ge­schich­ten und Ge­dich­te, die sie zum In­halt ha­ben. Ge­ra­de­zu als Chef­ideo­lo­gen der Hei­mat­be­we­gung kann man den Dü­re­ner Leh­rer Dr. Fritz Milz (ge­stor­ben 1993) an­se­hen, der zahl­rei­che Bei­trä­ge über den Un­ter­gang der al­ten Dör­fer, Schu­len, Gast­häu­ser und Bau­ern­häu­ser in der Ei­fel ver­fass­te (220). Ab den 1970er Jah­ren tra­ten sol­che und auch hei­mat­kund­li­che Auf­sät­ze et­was in den Hin­ter­grund, grö­ße­res In­ter­es­se be­stand an Ar­ti­keln, die Glanz­lich­ter un­ter den Aus­flugs­zie­len ins rech­te Licht rück­ten.

Titelblätter der Zeitschrift 'Die Eifel', 50 (1955), Nr. 11-12. (Eifelbibliothek Mayen)

 

Wir kön­nen al­so beim Ei­fel­ver­ein zwei ge­gen­sätz­li­che Ten­den­zen er­ken­nen, ein­mal die mas­siv vor­ge­tra­ge­ne For­de­rung nach ei­ner Struk­tur­po­li­tik für die Re­gi­on, die den Men­schen Ar­beit, Bil­dung und Le­bens­qua­li­tät ver­sprach. Auf der an­de­ren Sei­te er­kann­ten die Men­schen, dass der Fort­schritt – der ja in der West­ei­fel we­sent­lich be­schei­de­ner aus­fiel als in den Ein­zugs­be­rei­chen der Groß­städ­te im Nor­den und Os­ten – auch sei­nen Preis hat­te. Stei­gen­de Mo­bi­li­tät, Pend­ler­strö­me, Tou­ris­mus und wach­sen­der Wohl­stand ver­än­der­ten das Le­ben in den Dör­fern. Dies wur­de nicht nur als Fort­schritt be­grü­ßt, son­dern auch als Ver­lust von Tra­di­tio­nen und Iden­ti­tä­ten, als Un­ter­gang ei­ner lieb­ge­won­ne­nen und zu­neh­mend ver­klär­ten Hei­mat ge­deu­tet.

Hier er­füll­ten auch Zen­ders Bü­cher ei­ne wich­ti­ge Funk­ti­on. Sie sind ei­ne Do­ku­men­ta­ti­on über ei­ne un­ter­ge­gan­ge­ne Welt. Ei­ne Welt, an der aber auch heu­te noch gro­ßes In­ter­es­se be­steht. Dies zei­gen nicht nur die schö­nen Bild­bän­de mit his­to­ri­schem Bild­ma­te­ri­al, die im­mer wie­der auf den Markt ge­bracht wer­den, son­dern auch die Kri­ti­ken, mit de­nen der Film von Ed­gar Reitz „Die an­de­re Hei­ma­t“ be­dacht wur­de, in dem die Ar­mut und die Aus­wan­de­rung in ei­nem Huns­rück­dorf des 19. Jahr­hun­derts the­ma­ti­siert wur­den. Das The­ma Hei­mat hat heu­te nicht mehr den ho­hen Stel­len­wert, den es in den 1950er und 60er Jah­ren be­ses­sen hat, aber es bleibt ak­tu­ell.

6. Der Eifelverein und die volkskundliche Forschung

Zen­ders Bei­trä­ge sind aber noch un­ter ei­nem an­de­ren Ge­sichts­punkt von In­ter­es­se: Es gab da­mals ei­nen en­gen und frucht­ba­ren Kon­takt nicht nur zwi­schen den Sprach­wis­sen­schaft­lern und Volks­kund­lern des Bon­ner In­sti­tuts für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de, son­dern auch zu den Hei­mat­for­schern der Ei­fel und dem Ei­fel­ver­ein. Be­reits 1913 ver­fass­te der Köl­ner Sprach­wis­sen­schaft­ler und Volks­kund­ler Adam Wre­de (1875-1960) für die Fest­schrift zum 25. Grün­dungs­ju­bi­lä­um des Ei­fel­ver­eins ei­nen grund­le­gen­den Ar­ti­kel zum The­ma Bau­ern­le­ben in Sit­te und Brauch (221). Für das be­reits ge­nann­te Ei­fel­werk von Jo­sef Schramm steu­er­te Mat­thi­as Zen­der 1963 ei­nen kur­zen, aber prä­gnan­ten Auf­satz zur Volks­kun­de bei (222). Für die Fest­schrift zur 100-Jahr­fei­er des Ei­fel­ver­eins konn­te Zen­der wohl aus Al­ters­grün­den die­sen Bei­trag nicht mehr über­neh­men; Mat­thi­as We­ber (1928-2006), im Haupt­be­ruf Pro­fes­sor für Be­triebs­wirt­schaft an der Fach­hoch­schu­le Köln und Hei­mat­for­scher, lie­fer­te ei­nen um­fang­rei­chen, mit Zeich­nun­gen il­lus­trier­ten Auf­satz (223). Für die Fest­schrift von 2013 konn­ten mit Alois Dö­ring und Dag­mar Hä­nel zwei Au­to­ren ge­won­nen wer­den, die das The­ma Volks­kun­de nicht nur in sei­ner his­to­ri­schen Di­men­si­on, son­dern auch die Ver­än­de­run­gen der letz­ten Jah­re be­han­del­ten (224).

Dö­rings Bei­trag en­de­te mit ei­nem Plä­doy­er für ei­ne Ent­my­tho­lo­gi­sie­rung der volks­kund­li­chen For­schung. Er be­klag­te „ei­ne un­kri­ti­sche Über­nah­me der ro­man­tisch-na­tio­na­len Ger­ma­nen­my­tho­lo­gie des 19. Jahr­hun­derts (von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten auf­ge­grif­fen und ideo­lo­gisch in­stru­men­ta­li­siert), Brauch­über­lie­fe­run­gen in un­ge­bro­che­ner Kon­ti­nui­tät bis in graue ger­ma­ni­sche Vor­zeit zu­rück­füh­ren zu wol­len.“ Dann zi­tiert er die Ma­gis­ter­ar­beit von Pe­tra Scra­back über die volks­kund­li­chen Bei­trä­ge in der Zeit­schrift „Die Ei­fel“, die zu fol­gen­dem Er­geb­nis kommt: „Als un­mit­tel­ba­re, wis­sen­schaft­lich ver­wert­ba­re Quel­le sind die volks­kund­li­chen Ar­ti­kel der Zeit­schrift des Ei­fel­ver­eins nicht ge­eig­net. Die Mehr­zahl der Au­to­ren do­ku­men­tiert die Bräu­che nur sehr lü­cken­haft und in­ter­pre­tiert de­ren Her­kunft und Funk­ti­on mit, dem heu­ti­gen Stand der wis­sen­schaft­li­chen volks­kund­li­chen For­schung nicht mehr ent­spre­chen­den Theo­ri­en.“ (225)

Lei­der kann man den bei­den Au­to­ren nicht all­zu sehr wi­der­spre­chen. Volks­kund­li­che, aber auch Bei­trä­ge zur Lan­des­ge­schich­te und zur Mund­ar­ten­for­schung für die zahl­rei­chen Ka­len­der und Jahr­bü­cher der Ver­ei­ne und Land­krei­se wer­den heu­te zum gro­ßen Teil von Lai­en ver­fasst, die zu­dem „ih­ren“ Brauch und „ih­re“ Mund­art do­ku­men­tie­ren, um nicht zu sa­gen recht­fer­ti­gen wol­len. Stär­ker noch als die Lan­des­ge­schich­te hat sich die Volks­kun­de in den letz­ten Jahr­zehn­ten zu ei­ner „em­pi­risch ar­bei­ten­den So­zi­al- und Kul­tur­wis­sen­schaf­t“ ent­wi­ckelt, de­ren theo­re­ti­sche Kon­zep­te, Me­tho­den und Fra­ge­stel­lun­gen bei den Ama­teur­for­schern vor Ort (noch) nicht an­ge­kom­men sind (226). Man muss aber auch fest­hal­ten, dass zu ei­nem Dia­log zwei Sei­ten ge­hö­ren (227). Und hier lässt sich be­ob­ach­ten, dass es ei­nen Rück­zug der Fach­wis­sen­schaft­ler in die aka­de­mi­schen El­fen­bein­tür­me ge­ge­ben hat. Im mo­der­nen Wis­sen­schafts­be­trieb und im Kampf um Ran­king­po­si­tio­nen und Dritt­mit­tel ha­ben theo­rie­las­ti­ge und fuß­no­ten­rei­che Bei­trä­ge in ei­ner nur noch we­ni­gen Ex­per­ten ver­ständ­li­chen Fach­spra­che of­fen­sicht­lich ei­nen hö­he­ren Stel­len­wert als all­ge­mein­ver­ständ­li­che Bei­trä­ge für ei­nen brei­ten Le­ser­kreis (228). Dies gilt nicht nur für die Volks­kun­de, son­dern auch für die an­de­ren, mehr oder min­der eng mit dem Bon­ner In­sti­tut ver­bun­de­nen Fä­cher (229). Und nicht zu­letzt gilt dies auch den Be­reich der Ar­chi­ve, de­ren Be­nut­zer­kreis und de­ren Ar­beits­wei­se sich nach­hal­tig ver­än­dert ha­ben (230).

Dies zeigt sich auch, wenn man die in­zwi­schen auch di­gi­tal zu­gäng­li­chen In­halts­ver­zeich­nis­se der bei­den Pe­ri­odi­ka des Ei­fel­ver­eins durch­sieht (231). Hier fin­det man ei­ne gan­ze Rei­he von Bei­trä­gen aus der Fe­der der äl­te­ren Volks­kund­l­er­ge­ne­ra­tio­nen wie Adam Wre­de oder Mat­thi­as Zen­der, doch dann ist ein Bruch fest­zu­stel­len; von den zahl­rei­chen Schü­lern und wis­sen­schaft­li­chen En­keln von ih­nen, die am Bon­ner In­sti­tut, am LVR-In­sti­tut oder am LVR-Frei­licht­mu­se­um Kom­mern tä­tig wa­ren, fin­det sich kaum ei­ner, der an ei­ner Pu­bli­ka­ti­on sei­ner For­schungs­er­geb­nis­se für ei­nen grö­ße­ren Le­ser­kreis In­ter­es­se hat­te (232). Dies gilt auch für die Be­rei­che Lan­des­ge­schich­te und Sprach­ge­schich­te be­zie­hungs­wei­se Mund­ar­ten­for­schung.

7. Epilog: Ein Mensch in seiner Zeit

Die­ser Bei­trag ver­such­te, von der Per­son Mat­thi­as Zen­ders aus­ge­hend ein Ka­pi­tel der rhei­ni­schen Wis­sen­schafts­ge­schich­te der 1930er Jah­re aus­zu­leuch­ten. Es ging vor al­lem um das In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de an der Uni­ver­si­tät Bonn und um den Ei­fel­ver­ein, aber auch an­de­re Be­tei­lig­te. Ex­po­nen­ten wa­ren ne­ben Mat­thi­as Zen­der, Franz Stein­bach und Karl Leo­pold Kauf­mann ei­ne Rei­he wei­te­rer Per­so­nen. Es konn­te auf­ge­zeigt wer­den, wie hier ei­ne wis­sen­schaft­lich au­ßer­or­dent­lich frucht­ba­re und er­trag­rei­che Kon­stel­la­ti­on ent­stand, die dann frei­lich über die „West­for­schun­g“ mehr oder min­der frei­wil­lig in den Sog des „Drit­ten Reichs“ ge­riet. Des­sen am­bi­tio­nier­te Kul­tur­po­li­tik er­mög­lich­te ei­ne gan­ze Rei­he von Kar­rie­ren, Pro­jek­ten und Pu­bli­ka­tio­nen, wo­bei es höchst auf­schluss­reich ist, in wel­chem Ma­ße sich die Be­trof­fe­nen dar­auf ein­lie­ßen.

Nicht sys­te­ma­tisch, aber an­hand meh­re­rer Bei­spie­le lie­ßen sich auch die Tra­di­tio­nen und Kon­ti­nui­tä­ten in der Nach­kriegs­zeit dar­stel­len. Die glei­chen Ak­teu­re ar­bei­te­ten in den glei­chen Po­si­tio­nen zum Teil so­gar über die glei­chen The­men wei­ter. We­der ha­ben sich die Lan­des­his­to­ri­ker kri­tisch mit der ei­ge­nen „West­for­schun­g“ be­fasst noch der Ei­fel­ver­ein. Die­ser hat­te sich, be­dingt durch die Vi­ta und die wis­sen­schaft­li­chen In­ter­es­sen Karl Leo­pold Kauf­manns, in der Eu­pen-Malme­dy-Fra­ge sehr en­ga­giert. Ab 1933 stell­te er sich und sei­ne Or­ga­ne rück­halt­los in den Dienst der brau­nen Pro­pa­gan­da, da er glaub­te, die neu­en Macht­ha­ber wür­den den wirt­schaft­li­chen Auf­schwung der Ei­fel und den Hei­mat­ge­dan­ken för­dern. Der Ei­fel­ver­ein war be­reits in der Wei­ma­rer Re­pu­bli­k  ei­ne Keim­zel­le der Hei­mat­be­we­gung, auf der Su­che nach ei­ner Ori­en­tie­rung be­geis­ter­ten sich vie­le Mit­glie­der für die Schön­heit der Ei­fel und ih­re bäu­er­li­che Tra­di­ti­on, die mit Bil­dern und Tex­ten in der Mit­glie­der­zeit­schrift als hei­le Welt in­sze­niert wur­den. Dass auch die Hei­mat­be­we­gung im „Drit­ten Reich“ in­stru­men­ta­li­siert wur­de, ha­ben vie­le Mit­glie­der zu­nächst nicht be­merkt. In den 1950er und 60er Jah­ren er­wies sich der Hei­mat­ge­dan­ke dann nach dem Trau­ma von Bom­ben­krieg und Ver­trei­bung noch­mals als Er­folgs­ge­schich­te, durch stän­dig wach­sen­de Mit­glie­der­zah­len ent­stand „die grö­ß­te Bür­ger­initia­ti­ve der Ei­fel“, die sich auch für den Na­tur- und Land­schafts­schutz en­ga­gier­te.

Ab den 1970er Jah­ren ge­rie­ten dann das In­sti­tut wie auch der Ver­ein in ei­ne Kri­se, nicht nur die For­schungs­land­schaft ver­än­der­te sich gra­vie­rend, auch die Wan­der­sze­ne war ei­nem Wan­del un­ter­wor­fen, kom­mer­zi­el­le und pro­fes­sio­nel­le An­bie­ter dräng­ten auf den Markt, die Or­ga­ni­sa­ti­ons­form des eh­ren­amt­lich ar­bei­ten­den Ver­eins ver­lor an At­trak­ti­vi­tät, und sin­ken­de Mit­glie­der­zah­len mach­ten es zu­neh­mend schwie­ri­ger, die selbst ge­steck­ten Auf­ga­ben zu er­fül­len.

Wir ha­ben je­doch nicht nur ei­ne Ge­schich­te der In­sti­tu­tio­nen, son­dern auch die Rol­le ein­zel­ner Per­sön­lich­kei­ten ken­nen­ge­lernt, wo­bei ins­be­son­de­re die Kar­rie­re und das wis­sen­schaft­li­che Werk ei­nes aus der Ei­fel stam­men­den, in­ten­siv im ka­tho­li­schen Mi­lieu ver­wur­zel­ten und an ei­nem re­nom­mier­ten Gym­na­si­um vom Hu­ma­nis­mus ge­präg­ten Wis­sen­schaft­lers prä­zi­ser und de­tail­lier­ter her­aus­ge­tre­ten ist als bis­her be­kannt. Sei­ne ent­schei­den­den Kar­rie­re­schrit­te fie­len in die schwie­ri­ge Zeit des „Drit­ten Reichs“, und es ist span­nend zu se­hen, wie Zen­der meis­tens, aber nicht im­mer er­folg­reich auf sei­nem selbst ge­wähl­ten Pfad, sich selbst treu zu blei­ben, es sich aber auch mit den Macht­ha­bern mög­lichst nicht zu ver­scher­zen, be­weg­te und wie er da­bei von sei­nen Leh­rern und Kol­le­gen un­ter­stützt wur­de. Auch im Krieg blieb er die­ser Li­nie treu, trotz­dem muss­te er durch wid­ri­ge Um­stän­de län­ger als an­de­re, die sich we­sent­lich mehr ver­strickt hat­ten, im (Un­ter­su­chungs-)Ge­fäng­nis sit­zen. Sei­nen Weg konn­te er auch nach dem Krieg fort­set­zen, bis er dann we­ni­ger durch Seil­schaf­ten, Pro­tek­ti­on und An­bie­de­rung als durch sei­ne wis­sen­schaft­li­che Leis­tun­gen auf den Bon­ner Lehr­stuhl be­ru­fen wur­de. Mit Zen­ders Eme­ri­tie­rung 1974 war je­doch trotz sei­ner un­ge­bro­che­nen Schaf­fens­kraft im Al­ter sei­ne Zeit vor­bei und es war höchs­te Zeit, neue The­men und zug­kräf­ti­ge neue Pro­jek­te zu ent­wi­ckeln.

Be­reits im Mit­tel­al­ter be­schäf­tig­ten sich Klös­ter in Zei­ten der Kri­se und des Um­bruchs mit der ei­ge­nen Ge­schich­te. Man kann dann die Ge­gen­wart bes­ser ver­ste­hen, aber kann man auch für die Zu­kunft ler­nen? Das Er­folgs­re­zept der 1930er Jah­re be­ruh­te nicht nur auf der er­folg­rei­chen Ko­ope­ra­ti­on der heu­te noch exis­tie­ren­den In­sti­tu­te und Ver­ei­ne, son­dern war vor­ran­gig auch ei­ne Fra­ge der Per­sön­lich­kei­ten: Köp­fe wie Zen­der, Stein­bach, Pe­tri und En­nen, aber auch Kauf­mann, Schramm und Schubach ha­ben sich über Jahr­zehn­te hin­weg un­er­müd­lich für ih­re Sa­che ein­ge­setzt. Zum Zwei­ten wa­ren sie Män­ner be­zie­hungs­wei­se Frau­en mit in­no­va­to­ri­schen Ide­en, die sie ih­ren Mit­glie­dern und Mit­ar­bei­tern auch ver­mit­teln konn­ten. Und zum Drit­ten be­sa­ßen sie in der Re­gel ein weit­ge­spann­tes wis­sen­schaft­li­ches Netz­werk, Be­zie­hun­gen zur Po­li­tik und zu den ent­spre­chen­den Geld­ge­bern, oh­ne die sich auch gu­te Pro­jek­te nun ein­mal nicht rea­li­sie­ren las­sen. Klu­ge Köp­fe mit gu­ten Ide­en, mit de­nen man die Mit­glie­der, die Kol­le­gen, die Fach­welt, aber auch die Po­li­tik und die Geld­ge­ber über­zeugt und ei­ne brei­te wis­sen­schaft­li­che, pu­bli­zis­ti­sche und nicht zu­letzt auch vir­tu­el­le Ver­mark­tung der er­brach­ten Leis­tun­gen – das sind viel­leicht Aus­we­ge aus der Kri­se.

Titelblätter der Zeitschrift 'Die Eifel', 52 (1957), Nr. 5. (Eifelbibliothek Mayen)

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Schmid, Wolfgang, Matthias Zenders Sagensammlung, der Eifelverein, das Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde und die „Westforschung“, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/matthias-zenders-sagensammlung-der-eifelverein-das-bonner-institut-fuer-geschichtliche-landeskunde-und-die-westforschung/DE-2086/lido/5acb2f896ad4c1.25732577 (abgerufen am 28.03.2024)