Vorgeschichte und Geschichte der Union zwischen Lutheranern und Reformierten im Rheinland
Zu den Kapiteln
1. Einleitung
Die Union der beiden großen aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen, der Lutheraner und der Reformierten, gehörte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den dominierenden Themen der evangelischen Kirchengeschichte in Deutschland. Ausgelöst durch das 300. Reformationsjubiläum im Jahr 1817, kam es in vielen deutschen Bundesstaaten zu einer solchen Konfessionsvereinigung. Das Rheinland, seit 1815 Teil des preußischen Staats, zählte dabei zu den Gebieten, in denen die innerevangelische Konfessionsvereinigung von der überwiegenden Mehrheit der Theologen wie auch der Gemeindeglieder fast uneingeschränkt positiv aufgenommen wurde. Während es in anderen preußischen Provinzen neben den Unionsbefürwortern auch starke Kräfte gab, die der Union mit großem Misstrauen gegenüberstanden – insbesondere die orthodoxen Lutheraner befürchteten, dass mit der Union eine theologische Verflachung einhergehen werde –, gab es in der Rheinprovinz eine nahezu flächendeckende Zustimmung. Bezeichnend für die enorme Wertschätzung der Union in der rheinischen Provinzialkirche waren die Worte, die der spätere Generalsuperintendent Heinrich Eberts (1806-1876) auf der Kreuznacher Kreissynode des Jahres 1856 fand: Es erscheine ihm als Sache des christlichen Gewissens, als Pflicht gegen den Herrn der Kirche […], ungescheut es auszusprechen, daß, wer die Evangelische Union antaste, sie zu hindern, zu sprengen trachte, an der Zerstörung des Reiches Gottes und seines Gesalbten arbeite.[1]
Diese Formulierung ist symptomatisch dafür, dass unter allen preußischen Provinzialkirchen die rheinische nicht nur diejenige war, in der man dem Thema der Union die größte Bedeutung beimaß, sondern dass man hier auch im innerevangelischen Spannungsfeld von Union und Konfession den Akzent am konsequentesten auf die Union legte. Im vorliegenden Beitrag soll den Fragen nachgegangen werden, welche historischen Faktoren und Rahmenbedingungen dazu führten, dass gerade in dem Gebiet, das nach 1815 die preußischen Rheinprovinzen bildete, die Idee der Union von Lutheranern und Reformierten auf so fruchtbaren Boden fiel und wie sich vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen die Union in den ersten anderthalb Jahrzehnten der preußischen Herrschaft entwickelte.
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, stehen in den folgenden Ausführungen drei Aspekte im Vordergrund. Erstens sollen die territorialgeschichtlichen Voraussetzungen der Union im Rheinland beleuchtet und dabei der Blick in die Frühe Neuzeit gerichtet werden, in der die territoriale Entwicklung auf das Engste mit der konfessionellen verbunden gewesen war. Seit der Reformation war auf dem Gebiet der späteren preußischen Rheinprovinz eine spezifische konfessionelle Landschaft entstanden, in der im frühen 19. Jahrhundert die Unionsgedanken auf sehr fruchtbaren Boden fielen. Diese konfessionelle Landschaft soll im ersten Abschnitt vorgestellt werden.
Im zweiten Abschnitt erfolgt ein genauerer Blick auf die historische Periode, die der Einführung der preußischen Union unmittelbar vorausging. Die zwei Jahrzehnte der Zugehörigkeit des linken Rheinufers zu Frankreich zwischen 1794 und 1814 brachten für diese Gebiete auch erste Unionserfahrungen mit sich, die es in den anderen preußischen Provinzen so nicht gab.
Drittens schließlich steht der Beginn der preußischen Herrschaft am Rhein bis Ende der 1820er Jahre im Mittelpunkt. Hier sollen zunächst die Jahre um 1817 und insbesondere die Bedeutung des Unionsaufruf König Friedrich Wilhelms III. (Regentschaft 1797-1840) vom 27. September 1817 betrachtet und nach dem Stellenwert gefragt werden, den er für die Entwicklung der Union im Rheinland hatte. Sodann erfolgt ein Überblick über die unterschiedlichen Formen der Union in den rheinischen Gemeinden.
2. Territorial- und konfessionsgeschichtliche Voraussetzungen der Union auf dem Gebiet der preußischen Rheinprovinz
Die rheinischen Gebiete, die der preußische Staat im Jahr 1815 in Besitz nahm, waren territorial und dadurch auch konfessionell ausgesprochen heterogen strukturiert. Während in den Gebieten der früheren Erzstifte Köln und Trier fast ausschließlich Katholiken lebten, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts etwa drei Fünftel der Bevölkerung der preußischen Rheinlande ausmachten, waren andere Teile der neuen Provinz – etwa Gebiete am Niederrhein, im Hunsrück, auf dem Westerwald und an der Nahe – gemischtkonfessionell oder mehrheitlich evangelisch geprägt. Es herrschte aber auch eine innerevangelische Vielfalt: Im Jahr 1815 gab es auf dem Gebiet der Rheinprovinz 50 Orte – teils größere Städte, teils aber auch kleine Dörfer –, in denen eine lutherische und eine reformierte Gemeinde nebeneinander existierten. Dass im Zuge des Reformationsjubiläums 1817 der Gedanke einer Union zwischen Lutheranern und Reformierten im Rheinland auf so fruchtbaren Boden stieß, war nicht zuletzt eine Folge dieser konfessionellen Durchmischung.
Die niederrheinischen Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg
Im Norden der späteren Rheinprovinz war vor allem die besondere konfessionelle Entwicklung in den Herzogtümern Jülich, Kleve und Berg seit der Reformation ein wichtiger struktureller Faktor für das Nebeneinander von lutherischen und reformierten Gemeinden. Denn in diesen Gebieten – ebenso wie in der nach 1815 zur Provinz Westfalen gehörenden Grafschaft Mark – hatte sich aufgrund der dynastischen Entwicklung des späten 16. und des 17. Jahrhunderts kein landesherrliches Kirchenregiment entwickelt. Vielmehr schlossen sich in den ab 1614 von katholischen Landesherren aus dem Haus Pfalz-Neuburg regierten Herzogtümern Jülich und Berg wie auch im unter brandenburgischer Landesherrschaft stehenden Herzogtum Kleve von der Obrigkeit geduldete freie reformierte Gemeinden auf übergemeindlicher Ebene zu Klassen, Synoden und einer Generalsynode zusammen. Auch die lutherische Kirche in diesen Gebieten war synodal geordnet. Von den 50 Orten der Rheinprovinz, in denen es 1815 eine lutherische und eine reformierte Gemeinde nebeneinander gab, lagen allein 31 auf dem Gebiet der ehemaligen Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg, nämlich 14 in Berg, 12 in Kleve und 5 in Jülich.
Die Grafschaft Moers, das Herzogtum Geldern und die Reichsstädte Köln und Aachen
Auch in Gebieten, in denen das landesherrliche Kirchenregiment herrschte, konnte sich ein innerevangelischer Bikonfessionalismus entwickeln. Am Niederrhein betraf das die Anfang des 18. Jahrhunderts von Preußen erworbenen Territorien Moers und Geldern. In den beiden Städten der bis dahin rein reformierten kleinen Grafschaft Moers, nämlich Moers selbst und Krefeld, bildeten sich nach dem Übergang an Preußen auch lutherische Gemeinden. Im seit dem Geldrischen Erbfolgekrieg der 1540er Jahre habsburgischen und deshalb bislang rein katholischen Geldern entstanden im 18. Jahrhundert eine von niederländischem Einfluss geprägte reformierte sowie eine auf Betreiben der preußischen Garnison gegründete lutherische Gemeinde. Sie vereinigten sich allerdings bereits im Jahr 1808, zu einem Zeitpunkt, als Geldern zu Frankreich gehörte. Zu nennen sind im Norden der Rheinprovinz auch noch die katholisch dominierten Reichsstädte Köln und Aachen, in denen sich während der gesamten Frühen Neuzeit lutherische, reformierte und wallonische Gemeinden im Untergrund hatten halten können und nebeneinander existierten.
Die hessische Niedergrafschaft Katzenelnbogen und die Grafschaft Sayn
Im Südteil der Rheinprovinz, der im Unterschied zum Norden fast ausschließlich vom landesherrlichen Kirchenregiment geprägt war, waren es in der Regel Konfessionswechsel innerhalb der jeweils regierenden Dynastie, die in einzelnen Orten zur Ausbildung eines Nebeneinanders von lutherischen und reformierten Gemeinden geführt hatten.
Die Niedergrafschaft Katzenelnbogen mit der Stadt St. Goar gehörte seit 1479 zur Landgrafschaft Hessen und machte deshalb die konfessionelle Entwicklung dieses Territoriums mit. Nachdem Landgraf Moritz von Hessen-Kassel (Regentschaft 1592-1632) 1605 vom Luthertum zum Calvinismus übergegangen war, machte ihm die lutherisch gebliebene Linie Hessen-Darmstadt den Anspruch auf die mittelrheinischen Gebiete streitig. Während des Dreißigjährigen Krieges kam es zu militärischen Auseinandersetzungen und zu einer Relutherisierung St. Goars durch Hessen-Darmstadt, doch nach dem Krieg einigte man sich darauf, dass fortan in dem Städtchen eine lutherische und eine reformierte Gemeinde nebeneinander bestehen bleiben sollten.
Eine ganz ähnliche Entwicklung hatte es in der Grafschaft Sayn gegeben. Graf Wilhelm III. von Sayn-Wittgenstein (1569-1623, Regentschaft 1605-1623) hatte 1605 das reformierte Bekenntnis eingeführt. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde das Luthertum wieder stärker gefördert, was im Ergebnis dazu führte, dass in fünf Orten der Grafschaft – darunter auch Dörfer von nur wenigen Hundert Einwohnern – seit dieser Zeit eine reformierte und eine lutherische Gemeinde nebeneinander bestanden.
Die wittelsbachischen Gebiete im südlichen Rheinland
In den Gebieten der seit dem späten 16. Jahrhundert reformierten, ab 1685 aber von der katholischen Linie Pfalz-Neuburg regierten Kurpfalz waren seit der Religionsdeklaration von 1705 alle drei christlichen Konfessionen rechtlich anerkannt. Die kurpfälzische Religionsdeklaration beendete eine Phase konfessioneller Auseinandersetzungen, deren Wurzeln zum Teil noch in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurückreichten, die aber vor allem die Jahre nach 1685 und die Zeit der gegenreformatorischen Politik der französischen Besatzungstruppen zur Zeit König Ludwigs XIV. (Regentschaft 1643-1715) geprägt hatten. Ab 1705 hatten neben Katholiken und Reformierten nun auch die Lutheraner das Recht, eigene Gemeinden zu gründen. Zwar war dies mancherorts, wie etwa in Kreuznach, schon in den 1630er Jahren auf Betreiben des Schwedenkönigs Gustav II. Adolf (Regentschaft 1611-1632) der Fall gewesen. Zur offiziellen Anerkennung dieser lutherischen Gemeinden kam es aber erst mit der Religionsdeklaration von 1705. Neben Kreuznach gab es auch in den kurpfälzischen Amtsstädten Bacharach und Sobernheim fortan zwei evangelische Gemeinden.
Schwedischer Einfluss hatte auch in den bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zum Herzogtum Pfalz-Zweibrücken gehörenden Gebieten im Süden der Rheinprovinz eine Rolle für das Nebeneinander von Reformierten und Lutheranern gespielt. Die Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts für einige Jahrzehnte bestehende Personalunion des seit dem späten 16. Jahrhundert reformiert geprägten Herzogtums Pfalz-Zweibrücken mit dem Königreich Schweden hatte dazu geführt, dass es neben den reformierten nun auch lutherische Gemeinden geben durfte. Die drei auf dem Gebiet der späteren Rheinprovinz gelegenen Orte, in denen dieses der Fall war – Meisenheim, Hundsbach und Baumholder –, lagen nach dem Wiener Kongress allerdings zunächst in den Gebieten des hessen-homburgischen Oberamts Meisenheim und des sachsen-coburgischen Fürstentums Lichtenberg und kamen erst 1834 bzw. 1866 zur preußischen Rheinprovinz.
Die Reichsstadt Wetzlar und die Grafschaften Wied und Nassau-Saarbrücken
Auch in den mit dem Wiener Kongress preußisch gewordenen Städten Wetzlar, Neuwied und Saarbrücken bestanden lutherische und reformierte Gemeinden nebeneinander. Im traditionell lutherischen Wetzlar hatten sich 1586 wallonische Glaubensflüchtlinge angesiedelt und eine reformierte Gemeinde begründet. In der reformierten Grafschaft Wied hatte Graf Friedrich III. (1618-1698, Regentschaft 1631-1698) 1662 in seiner Residenzstadt Neuwied die freie Religionsausübung für alle christliche Bekenntnisse gewährt, so dass dort auch eine lutherische Gemeinde entstand. Im lutherischen Saarbrücken erlaubte Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken (Regentschaft 1741-1768) im Jahr 1746 zum Andenken an seine aus Nassau-Dillenburg stammende reformierte Mutter die Begründung einer reformierten Gemeinde.
Das Schwinden der konfessionellen Gegensätze am Ende des 18. Jahrhunderts
Ein ganzes Bündel von Faktoren hat dazu geführt, dass am Ende des 18. Jahrhunderts die theologischen Differenzen zwischen den beiden aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen im Rheinland kaum mehr eine nennenswerte Rolle spielten. An erster Stelle ist die Entwicklung der vorstehend grob skizzierten konfessionellen Landschaft zu nennen, in der sich – im Unterschied etwa zu Westfalen oder den östlichen Provinzen Preußens – keine größeren geschlossen lutherisch bzw. reformiert geprägten Territorien hatten entwickeln können. Vielmehr bestand in den meisten Fällen eine vergleichsweise enge Nachbarschaft zwischen lutherischen und reformierten Gemeinden. In Jülich-Berg und der Kurpfalz wurden die Bindungen durch den gemeinsamen Gegensatz zur dominierenden katholischen Konfession noch verstärkt. Darüber hinaus stellte man vor dem Hintergrund der geistigen Strömungen des Pietismus' und der Aufklärung mit ihrer Kritik an jeglicher dogmatisch-konfessionellen Orthodoxie die Aufrechterhaltung konfessioneller Parallelstrukturen zunehmend in Frage. In Jülich, Kleve und Berg kam noch die presbyterial-synodale Ordnung als verbindendes Element zwischen lutherischer und reformierter Kirche hinzu. Ebenso unterschied sich die Liturgie beider Konfessionen in manchen Gegenden nur wenig. In Pfalz-Zweibrücken etwas stellte man im späten 18. Jahrhundert Überlegungen über eine gemeinsame Kirchenordnung für Reformierte und Lutheraner an, und es kam zu ersten Abendmahlgemeinschaften. Neue Impulse für eine noch weitergehende Vereinigung wurden dann durch die veränderten politischen und kirchlichen Rahmenbedingungen in der Zeit der französischen Herrschaft im Gefolge der Revolutionskriege ausgelöst. In dieser Periode kam es auch zu ersten Gemeindeunionen.
3. Die Zeit der französischen Herrschaft (1794-1814) und ihre Auswirkungen auf die Unionsbestrebungen
Neuordnung der kirchlichen Verwaltung als Katalysator für den Abbau konfessioneller Schranken
Die zwei Jahrzehnte der Zugehörigkeit des linken Rheinufers zu Frankreich hatten eine nicht zu unterschätzende Katalysatorenfunktion für die Bestrebungen zur Konfessionsvereinigung. Auslösende Funktion kam dabei dem Zusammenbruch der überkommenen kirchlichen Verwaltungsstrukturen nach der Besetzung des Landes durch die Franzosen zu. Das galt insbesondere für die Gemeinden in den bisher kurpfälzischen Gebieten, deren vorgesetzte Behörden in Heidelberg und München angesiedelt waren. Da der Rhein seit dem Frieden von Lunéville 1801 die Staatsgrenze bildete und die französische Administration schon seit der Besetzung 1794 alles tat, um die behördliche Kommunikation zwischen den linksrheinischen Gebieten und ihren bisher vorgesetzten Stellen zu unterbinden, waren die Kirchengemeinden vor die dringende Notwendigkeit gestellt, sich selbständig zu organisieren. Das ging nicht nur ohne Rücksicht auf die früheren Territorialgrenzen vonstatten, sondern auch ohne Rücksicht auf die früheren lutherisch-reformierten Konfessionsgrenzen. So fand am 29. Juli 1795 in Meisenheim am Glan ein General-Convent der gesamten Protestantischen Geistlichkeit zwischen Mosel und Rhein statt, der eng mit dem damals noch bestehenden pfalz-zweibrückischen Oberkonsistorium kooperierte. Dieser Generalconvent, zu dem sich sowohl Lutheraner wie auch Reformierte einfanden, diente allerdings nicht primär der Schaffung einer Union, sondern hatte in erster Linie das Ziel, die dringliche Frage des kirchlichen Besitzes und der Einkünfte der Pfarreien unter dem Besatzungsregime zu regeln. Dennoch stellte er eine nicht unwichtige Etappe auf dem Weg des Abbaus konfessioneller Schranken dar.
Der Simmerner Unionsversuch 1802
Weitergehende Bestrebungen nach einer förmlichen Konfessionsvereinigung gab es im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Der wichtigste Unionsversuch war derjenige im Arrondissement Simmern im Rhein-Mosel-Departement. Seine Bedeutung liegt vor allem darin, dass er zum einen nicht nur eine einzelne Gemeinde, sondern einen ganzen Inspektionsbezirk umfasste, und dass zum anderen kein geringerer als der Unterpräfekt, also der an der Spitze des Arrondissements stehende staatliche Beamte, der größte Förderer des Unionswerks war. Andreas van Recum (1765-1828) unterstützte die im Januar 1802 zustande gekommene Vereinigung der lutherischen und reformierten Inspektion seines Arrondissements zu einem „Protestantischen Kirchenrat“ rückhaltlos. Die Gründe, die er anführte, waren einerseits aufklärerische Toleranzgedanken, andererseits ganz praktische verwaltungsorganisatorische Gesichtspunkte: Durch eine Union werde der kirchliche Verwaltungsapparat verschlankt, und eine weitere begrüßenswerte Folge sei die Verminderung der Zahl der Geistlichen, die den verbleibenden eine bessere Besoldung gewährleiste. Unterstützung fand der Plan auch beim Generalkommissar für die vier rheinischen Departements, Jeanbon St. André (1749-1813), der hierin sogar ein Modell für die Gestaltung der kirchlichen Verhältnisse auch in den anderen Departements sah. Die schroffe Zurückweisung dieser Pläne durch den Kultusminister Jean Etienne Marie Portalis (1746-1807), der ausdrücklich darauf hinwies, dass gemäß der französischen Religionsgesetzgebung – den so genannten Organischen Artikeln – Lutheraner und Reformierte voneinander unabhängige Religionsgemeinschaften bilden müssten, bereitete dem Simmerner Unionsversuch jedoch nach wenigen Monaten ein jähes Ende.
Die Organischen Artikel: Zementierung der lutherisch-reformierten Parallelstrukturen
Die am 18. Germinal X (8. April 1802) verkündeten Organischen Artikel für den protestantischen Kultus stellten den Rechtsstatus der evangelischen Gemeinden des damaligen Frankreich einschließlich der seit 1794 annektierten Gebiete auf eine neue juristische Grundlage. Sie zementierten die lutherisch-reformierten Parallelstrukturen und machten daher eine Konfessionsvereinigung, wie sie im Arrondissement Simmern geplant gewesen war, rechtlich unmöglich. Unterste kirchliche Verwaltungseinheit war nun nicht mehr die einzelne Ortsgemeinde, sondern eine so genannte Konsistorialkirche, die 6.000 Gläubige derselben Konfession umfassen sollte. Jede Konsistorialkirche bestand dabei aus mehreren ehemals selbständigen örtlichen Kirchengemeinden mit ihren Pfarrstellen. Alle Aufgaben der örtlichen Gemeinden gingen auf das Lokalkonsistorium als Leitungsorgan der Konsistorialkirche über. Auf der mittleren Verwaltungsebene sahen die Organischen Artikel lutherische Inspektionen und reformierte Synoden vor, die sich aus jeweils fünf Konsistorialkirchen zusammensetzten. Für die Lutheraner sollten als Oberbehörden außerdem noch drei Generalkonsistorien eingerichtet werden, nämlich für die beiden elsässischen Departements in Straßburg, für das Donnersberg- und das Saar-Departement in Mainz und für das Rhein-Mosel- und Roer-Departement in Köln.
Unierte Ortsgemeinden unter der Herrschaft der Organischen Artikel
Während sich der Unionsversuch im Arrondissement Simmern auf einen ganzen Verwaltungsbezirk bezogen hatte, gab es auf lokaler Ebene verschiedene Ansätze, lutherische und reformierte Gemeinden miteinander zu vereinigen. In Köln beispielsweise gaben sich 1802 zwei in der Zeit des Ancien Régime illegale und nur geduldete Gemeinden, nämlich die deutsche reformierte und die lutherische, ein gemeinsames Leitungsorgan, den „evangelisch-vereinigten Kirchenrat“; der lutherische und der reformierte Pfarrer hielten abwechselnd den Gottesdienst. In Geldern ging man einen etwas anderen Weg: Nach der im Jahr 1808 vollzogenen Vereinigung behielt die Gemeinde nur eine Pfarrstelle, doch sollte abwechselnd ein Lutheraner und dann wieder ein Reformierter berufen werden. Eine wiederum andere Variante war in den Städten der ehemals geistlichen Staaten anzutreffen, in denen es – anders als etwa in Köln – vor 1802 überhaupt keine evangelischen Gemeinden – also auch keine illegalen – gegeben hatte und sie deshalb erst einmal gegründet werden mussten. Dies war in Mainz und Koblenz der Fall, wo von vornherein unierte Gemeinden ins Leben gerufen wurden. Unterschiede zwischen Lutheranern und Reformierten spielten hier nur eine untergeordnete Rolle.
Diese örtlichen Unionen wurden seitens der staatlichen Verwaltung durchaus geduldet, und zwar deshalb, weil nach dem Buchstaben der Organischen Artikel die Ortsgemeinden juristisch überhaupt nicht existierten und man somit die Bestimmungen dieses Gesetzes auf sie nicht anwenden konnte. Denn weil nach den Organischen Artikeln die unterste Verwaltungsstufe die mehrere Ortsgemeinden umfassende Konsistorialkirche war und nur diese einen eindeutigen konfessionellen, also lutherischen oder reformierten Charakter haben musste, bestand für die unierten Ortsgemeinden lediglich die Notwendigkeit, sich formal einer – in Ausnahmefällen auch mehrerer – dieser Konsistorialkirchen zuzuordnen. Auch hier gab es verschiedene Modelle. In den neu, von vornherein als uniert begründeten evangelischen Gemeinden in Koblenz und Mainz war das Bedürfnis, sich einer dezidiert lutherischen bzw. reformierten Konsistorialkirche anzuschließen, naturgemäß besonders gering ausgeprägt. Als aber im Koblenzer Fall der Kultusminister unmissverständlich klargestellt hatte, dass die Gemeinde nur dann in den Genuss des staatlichen Pfarrergehalts kommen würde, wenn sie sich für eine der beiden Konfessionen entscheide, schlossen sich die Koblenzer Protestanten formal der lutherischen Konsistorialkirche von Kastellaun an, allerdings ohne dass das in irgendeiner Weise den unierten Charakter der Koblenzer Ortsgemeinde beeinträchtigt hätte. Etwas anders lagen die Verhältnisse dort, wo sich zwei Gemeinden zusammengeschlossen hatten, die beide auf eine je eigene konfessionelle Tradition zurückblicken konnten. Das war in Köln der Fall, wo zudem die ehemals lutherische und die ehemals reformierte Gemeinde auch unter dem Dach der Union gewisse eigenständige Strukturen behielten. Die Kölner evangelisch-vereinigte Gemeinde schloss sich nicht einer einzigen Konsistorialkirche an, sondern entsandte Vertreter sowohl in das lutherische Lokalkonsistorium in Krefeld wie auch in das reformierte Lokalkonsistorium in Stolberg. Noch kurioser waren die Bestimmungen für Gemeinden, die abwechselnd einen lutherischen und einen reformierten Pfarrer anzustellen gedachten. Hier war vorgesehen, dass sich die Zuordnung zu einer Konsistorialkirche nach der Konfession des gerade amtierenden Pfarrers richten sollte. Mit jedem Pfarrerwechsel wäre also auch ein Wechsel in der Zugehörigkeit zur Konsistorialkirche verbunden gewesen. Da jedoch die Organischen Artikel im Rheinland nur wenige Jahre Gültigkeit hatten, ist ein solcher Fall niemals eingetreten.
Bilanz der Unionsbestrebungen in der französischen Zeit
Die dargestellten Schwierigkeiten und Kuriositäten bei der Vereinigung von Reformierten und Lutheranern dürften vor allem darin begründet gewesen sein, dass die konfessionspolitischen Bestimmungen der Organischen Artikel anhand der innerfranzösischen Verhältnisse entwickelt worden waren und deshalb den vollkommen anderen Ausgangsbedingungen im Rheinland gar nicht gerecht werden konnten. Die für die rheinischen Unionsbestrebungen grundlegende Erfahrung etwa, dass lutherische und reformierte Gemeinden bei allen dogmatischen Differenzen doch teilweise Jahrhunderte lang auf relativ engem Raum nebeneinander gelebt, in manchen Fällen sogar dieselbe Kirche benutzt hatten und im Zeitalter von Pietismus und Aufklärung eine Union deshalb förmlich in der Luft gelegen hatte, war in Frankreich völlig unbekannt. Hier hatte es zwischen Reformierten und Lutheranern schon rein geographisch nur wenig Berührungspunkte gegeben, denn die reformierten Hochburgen lagen im Süden und Südwesten des Landes, die lutherischen hingegen im Elsass, das ohnehin erst nach 1680 an Frankreich gefallen war. Allein schon aus diesem Grund wurde in Frankreich die Schaffung einer Union kaum als dringlich erachtet. Es kam noch hinzu, dass sich der Verwaltungsaufbau zwischen einer stärker konsistorial geprägten lutherischen und einer mehr synodal geprägten reformierten Kirche in Frankreich sehr viel stärker voneinander unterschied, als das zwischen Lutheranern und Reformierten im Rheinland der Fall war. Seitens der französischen Reformierten war vor allem aus diesen Gründen eine Union mit den Lutheranern überhaupt nicht erwünscht. Dass die Organischen Artikel die Eigenständigkeit der beiden Konfessionen festschrieben, ist nicht zuletzt auf reformierte Einflussnahme bei der Ausarbeitung des Gesetzes zurückzuführen.
Im Rheinland dagegen spielten die Unterschiede in der Verwaltungsstruktur nur eine untergeordnete Rolle. In den evangelisch regierten Staaten des südlichen Rheinlandes hatte sich das landesherrliche Kirchenregiment als der große Vereinheitlicher erwiesen, zumal auch die später reformiert geprägten Territorien in der Reformationszeit zunächst lutherisch gewesen waren und insofern die presbyterial-synodale Ordnung von vornherein in nur sehr abgeschwächter Form zur Geltung gekommen war. In Jülich, Kleve und Berg war demgegenüber aufgrund der besonderen Entwicklung dieser Territorien nicht nur die reformierte, sondern auch die lutherische Kirche synodal strukturiert, so dass auch hier der Verwaltungsaufbau kein grundsätzliches Hindernis für die Union benachbarter lutherischer und reformierter Gemeinden darstellte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die französische Herrschaft mit der Zerschlagung der alten Territorialgrenzen und einer Religionspolitik, in der der Staat konfessionell neutral war, zwar Rahmenbedingungen schuf, die für eine Union recht günstig waren und Initiativen wie den Simmerner Unionsversuch von 1802 überhaupt erst möglich machten. Die Einführung der Organischen Artikel blockierte jedoch diese Entwicklung. Zwar wurden auf lokaler Ebene verschiedene Unionsbildungen realisiert, aber bereits auf der Ebene der Konsistorialkirchen schob der Buchstabe dieses Gesetzes jeder weitergehenden Union einen juristischen Riegel vor. Das änderte sich erst in preußischer Zeit.
4. Die Unionbestrebungen im Rheinland nach dem Übergang an Preußen
Die kirchlichen Verwaltungsstrukturen nach 1815, die Bildung unierter Kreissynoden und der königliche Unionsaufruf vom 27. September 1817
Nach dem Wiener Kongress 1815 richtete der preußische Staat in den neu übernommenen Gebieten am Rhein zunächst zwei Provinzen ein: Die Provinz Jülich-Kleve-Berg bestand aus den Regierungsbezirken Düsseldorf, Kleve und Köln mit dem Sitz des Oberpräsidenten in Köln; die Provinz Großherzogtum Niederrhein bestand aus den Regierungsbezirken Aachen, Trier und Koblenz mit dem Sitz des Oberpräsidenten in Koblenz. Erst 1822 wurden sie zu einer Provinz zusammengelegt. Kirchlich entsprachen den nach 1815 eingerichteten zwei Provinzen die beiden Konsistorialbezirke Köln und Koblenz, die 1826 vereinigt wurden. Seit diesem Zeitpunkt war das Koblenzer Konsistorium für die gesamte Rheinprovinz zuständig.
Bei der kirchlichen Organisation der rheinischen Gebiete knüpfte der preußische Staat im Linksrheinischen in mancherlei Hinsicht an die von den Franzosen geschaffenen Strukturen an. So wurden etwa die Präsidenten der Lokalkonsistorien der französischen Zeit in der Regel als Superintendenten der neu geschaffenen Kirchenkreise übernommen. Die Bildung der Kirchenkreise erfolgte in den Jahren 1816 und 1817. Sie ist in Zusammenhang mit den Plänen König Friedrich Wilhelms III. zu sehen, der nach dem Wiener Kongress vergrößerten preußischen Monarchie eine Synodalordnung zu geben. Zur Beratung des in Berlin formulierten Entwurfs einer solchen Ordnung sollten in ganz Preußen Kreissynoden einberufen werden. Das war der Inhalt einer königlichen Kabinettsorder vom 27. Mai 1816. Es verdient für die Vorgeschichte der preußischen Union festgehalten zu werden, dass bereits in dieser Kabinettsorder, genau ein Jahr und vier Monate vor dem bekannten Unionsaufruf des Königs vom 27. September 1817, der Wunsch des Königs nach einer gemeinsamen Beratung von lutherischen und reformierten Geistlichen in den neu geschaffenen Kreissynoden formuliert war.
In beiden rheinischen Konsistorialbezirken sprachen sich die Geistlichen bei der Umsetzung der Kabinettsorder vom 27. Mai 1816 mit überwältigender Mehrheit für unierte Kreissynoden aus – und zwar bereits in der ersten Jahreshälfte 1817. Im Bereich des Konsistoriums Köln fanden die konstituierenden Sitzungen der neuen unierten Kreissynoden Ende August bis Mitte September 1817 statt; im Bereich des Konsistoriums Koblenz war das zu Beginn des Jahres 1818 der Fall. Als König Friedrich Wilhelm III. am 27. September 1817, wenige Wochen vor dem 300. Jahrestag von Martin Luthers (1483-1546) Wittenberger Thesenanschlag, sämtliche evangelische Gemeinden seiner Monarchie zur Union aufrief, hatten sich im nördlichen Rheinland also bereits unierte Kreissynoden konstituiert; im Süden der Provinz fand das wenige Monate später statt.
Allerdings sagte die Existenz unierter Kreissynoden noch nichts über die Union auf Gemeindeebene aus. Auf diesem Gebiet herrschte nach 1815 eine schwer zu überblickende Gemengelage. Dies hatte vor allem damit zu tun, dass der Beitritt einer Gemeinde zur Union auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Konsequenzen geschehen konnte.
Der ungemischte Unionsbeitritt
Nahm eine lutherische oder reformierte Gemeinde die Union an, ohne dabei gegebenenfalls am Ort vorhandene Angehörige der jeweils anderen Konfession in ihren Verband aufzunehmen – das Konsistorium sprach in solchen Fällen vom ungemischten Unionsbeitritt –, so bedeutete dies für die Gemeinde zunächst einmal nicht mehr als die Aufgabe der bisherigen konfessionellen Bezeichnung „lutherische“ bzw. „reformierte Gemeinde“ zugunsten der einheitlichen Bezeichnung „evangelische Gemeinde“ sowie die Einführung des Unionsritus beim Abendmahl (Verwendung von gebrochenem Brot statt Oblaten; Einsetzungsworte und Spendeformel nach biblischem Wortlaut). Ein solcher ungemischter Unionsbeitritt war grundsätzlich jeder Gemeinde möglich – auch in Orten, an denen nach wie vor zwei konfessionsverschiedene evangelische Gemeinden nebeneinander bestanden. Die Annahme der Union bedeutete also nicht zwangsläufig die Vereinigung mit der örtlichen Gemeinde der anderen Konfession.
Die Union mit Anschließung einzelner Gemeindeglieder der anderen Confession
Neben dem ungemischten Unionsbeitritt war auch die Union mit Anschließung einzelner Gemeindeglieder der anderen Confession möglich. Dies war vor allem in denjenigen Städten und Dörfern der Fall, in denen aufgrund der historischen Entwicklung neben der lutherischen bzw. reformierten Mehrheitskonfession eine Minderheit des jeweils anderen Bekenntnisses lebte, die aber so klein war, dass sie keine eigene Gemeinde bildete. Eine solche Form der Union hatte die Konsequenz, dass die Angehörigen der Minderheitskonfession nun im Ort selbst den Gottesdienst besuchen konnten und nicht mehr – wie es vor der Union erforderlich gewesen war – darauf angewiesen waren, in einen weiter entfernt liegenden Ort zu gehen, in dem es eine Kirche ihrer bisherigen Konfession gab.
Die Combinierung zweier Gemeinden herkömmlich verschiedener Confession
In denjenigen Städten und Dörfern schließlich, in denen eine lutherische und eine reformierte Gemeinde eigenständig nebeneinander existierten, stellte sich mit der Unionsfrage zugleich auch die Frage der Vereinigung beider evangelischen Gemeinden. Doch längst nicht überall dort, wo die Ausgangsvoraussetzungen zu einer solchen Union in Form einer Combinierung zweier Gemeinden herkömmlich verschiedener Confession prinzipiell gegeben waren, fand sie auch tatsächlich statt. Zwischen der Annahme der Union und der Vereinigung mit der örtlichen Gemeinde der anderen Konfession vergingen in manchen Fällen mehrere Jahrzehnte.
Die Frage der Unionsbeurkundung
Diese an sich schon nicht leicht zu überschauende Vielfalt wurde noch weiter verkompliziert durch die Tatsache, dass lediglich 15 Prozent der rheinischen Gemeinden, die die Union angenommen hatten, ihren Unionsbeitritt auch durch eine förmliche Urkunde amtlich dokumentierten. Der weitaus überwiegende Teil hingegen tat dies nicht. Und selbst innerhalb der kleinen Gruppe der offiziell beurkundeten Unionsbeitritte herrschte keine Einheitlichkeit. So stellte das rheinische Konsistorium in Koblenz im Jahr 1828, also gut zehn Jahre nach Einführung der Union, fest, dass von den damals 479 evangelischen Gemeinden der Rheinprovinz 380 der Union beigetreten seien, doch hätten von diesen lediglich 57 eine förmliche Unionsurkunde ausgestellt.
Von diesen 57 beurkundeten Unionen wiederum wurden 27 in der Rubrik Combinierung zweier Gemeinden herkömmlich verschiedener Confession gezählt. Bei 24 dieser 27 Unionen hatten die beiden vereinigten Gemeinden vorher je eine eigene Pfarrstelle besessen. Die 1824 vollzogene Union der lutherischen Gemeinde Hünxe mit der reformierten Gemeinde Krudenburg stellt dabei den einzigen Fall dar, bei dem es zu einer überörtlichen Gemeindevereinigung kam. Bei zwei Gemeindevereinigungen, nämlich Ringenberg bei Hamminkeln und Simmern (Hunsrück), vereinigten sich Gemeinden, von denen vorher nur die reformierte Gemeinde eine eigene Pfarrstelle besessen hatte, während die lutherische bisher vom Pfarrer einer Nachbargemeinde (Hamminkeln bzw. Alterkülz) betreut worden war. Bei der 1822 gebildeten Gemeinde Unterbarmen, die 1828 ebenfalls in der Rubrik „Combinierung zweier Gemeinden herkömmlich verschiedener Confession“ gezählt wurde, handelt es sich hingegen nicht um eine Vereinigung zweier bisher selbständiger Gemeinden, sondern um die Ausgliederung der Unterbarmener Gemeindeglieder aus der reformierten und der lutherischen Gemeinde Elberfeld und ihre Vereinigung zu einer unierten Gemeinde.
In der 1828 vom Konsistorium erstellten Übersicht über die 57 beurkundeten Unionen wurden außer den 27 förmlichen Gemeindevereinigungen noch 24 Gemeinden in der Rubrik Union mit Anschließung einzelner Gemeindeglieder der anderen Confession und sechs in der Rubrik ungemischter Unionsbeitritt aufgezählt. Bemerkenswert ist, dass sich unter diesen sechs beurkundeten ungemischten Unionen auch die der Gemeinden Mülheim/Rhein und Wetzlar befanden, wo es jeweils eigene lutherische und reformierte Gemeinden nebeneinander gab. Sowohl in Mülheim wie auch in Wetzlar traten diese also zunächst nur für sich („ungemischt“) der Union bei und blieben vorerst noch von der am Ort vorhandenen Gemeinde der anderen Konfession institutionell getrennt. Der Schritt der förmlichen Gemeindevereinigung wurde in Wetzlar erst im Jahr 1833 und in Mülheim/Rhein im Jahr 1837 vollzogen. Vergleichbares war auch in Schermbeck, Velbert und Duisburg der Fall, freilich mit dem Unterschied, dass dort der ungemischte Unionsbeitritt der örtlichen lutherischen und reformierten Gemeinden nicht förmlich beurkundet worden war. Die Gemeindevereinigungen fanden hier in den Jahren 1830 (Schermbeck), 1862 (Velbert) und 1891 (Duisburg) statt. Schließlich gab es auch noch den Fall, dass sich, wie in Schöneberg (Westerwald), Almersbach und Kirchberg (Hunsrück), zwei örtliche Gemeinden vereinigten, ohne dass darüber eine förmliche Urkunde ausgestellt wurde.
Die Behandlung der Unionsfrage durch das Konsistorium der Rheinprovinz
Angesichts dieser insbesondere bei der Praxis der förmlichen Beurkundung der Union unübersichtlichen Lage musste das rheinischen Konsistorium bei der im Jahr 1828 vom Ministerium für geistliche, Medizinal- und Unterrichtsangelegenheiten angeforderten Aufstellung einer Übersicht über dem Stand der Union in der Rheinprovinz sehr pragmatisch vorgehen. Bei der Frage, wann überhaupt eine Gemeinde als der Union beigetreten gelten könne, legte es nicht das formale Kriterium des Vorliegens einer Urkunde zugrunde, sondern lediglich die factische Einführung des evangelischen Abendmahls-Ritus und die Aufgebung der Confessions-Namen als Merkzeichen der Union.[2] Es mussten allerdings beide dieser „Merkzeichen“ erfüllt sein, um eine Gemeinde als uniert bezeichnen zu können. Der Pragmatismus des Konsistoriums in der Unionsfrage wurzelte auch in der Besorgnis, dass eine allzu formalistische Behandlung dieser Angelegenheit, etwa das Bestehen auf einer förmlichen Unionsurkunde in den Gemeinden, sich kontraproduktiv auswirken könnte und die alsdann zu veranstaltende vorgängige Umfrage bei den einzelnen stimmfähigen Gemeindegliedern jetzt an mehreren Orten manchen Widerspruch befürchten ließ und auf die so lange bestandene Ruhe nur störend eingewirkt haben würde[3] – ein angesichts der etwa zeitgleichen Auseinandersetzungen um die neue preußische Agende sicher nicht unberechtigter Gedanke.
Auch in der Frage der vom Ministerium geforderten Abstellung der Ursachen, die die 99 noch nicht der Union beigetretenen Gemeinden bisher an diesem Schritt gehindert hatten, sprach sich das Konsistorium für eine behutsame Vorgehensweise aus. Neben den vermögensrechtlichen Aspekten führte es als Ursachen für die noch nicht vollzogenen Gemeindeunionen vor allem die unterschiedlichen Gesangbücher, Katechismen und liturgischen Traditionen, die Anhänglichkeit an das althergebrachte Kirchengebäude und nicht zuletzt die Persönlichkeit der jeweiligen Pfarrer an. Auch unterschiedliche Ansichten der Gemeindeglieder hinsichtlich der zukünftigen Regulierung der äußeren Verhältnisse des Kirchen-, Pfarr- und Schulwesens spielten eine unionshemmende Rolle. Genannt wurde außerdem der Mangel an Ausgleichungs- und Entschädigungsmittel für die unterschiedlichen Parochialpflichtigkeiten der Gemeindeglieder hinsichtlich Stolgebühren und Akzidenzien (z. B. Taufgebühren und Beichtgelder für lutherische, nicht aber für reformierte Pfarrer).[4]
Während das Konsistorium in der Gesangbuch- und Katechismusfrage eine provinz- oder gar landesweite Vereinheitlichung befürwortete, sprach es sich bei der Liturgie gegen eine Vereinheitlichung von oben aus und empfahl stattdessen, die Einigung in dieser Frage den Gemeinden selbst und den „Belehrungen der Zeit“ zu überlassen. Besonders deutlich sichtbar wurde der Pragmatismus des Konsistoriums in seiner Stellungnahme zur Frage der Vereinigung von Gemeinden verschiedener Konfession. Es äußerte die Ansicht, daß die Verschmelzung nicht an allen Orten, wo es zwei lutherische und reformierte, der Union beigetretenen Gemeinden gibt, unbedingt und ohne Ausnahme empfohlen werde, namentlich nicht da, wo ungeachtet des erfolgten Beitritts zur Union noch zu viel Anhänglichkeit an die alten kirchlichen Unterscheidungen und zu viel konfessionelle Eifersucht vorwaltet und die Mehrzahl beider Gemeinden für eine völlige Verschmelzung noch nicht reif ist; auch nicht da, wo für beide mit hinreichenden Kirchen-, Pfarr- und Schulfonds versehene und durch eine angemeßene Seelenzahl für einen Pfarrer hinreichende Gemeinden kein Bedürfnis einer Verschmelzung vorhanden ist, und wo kein Uebel dadurch behoben wird, indem es nicht zu bezweifeln ist, daß die unnöthige Anhäufung großer Massen von Gemeindegliedern auf die specielle Seelsorge und das kirchliche Leben leicht nachtheilig einwirkt und da, wo ein Prediger allein steht, das Aergernis nicht Statt findet, welches so oft durch den Conflict zweier unverträglicher Collegen für die Gemeinde entsteht.“[5]
Insgesamt betrachtete das rheinische Konsistorium die Unionsfrage in den 1820er Jahren vergleichsweise nüchtern. Die Union galt als ein Prozess, der sich aus den Gemeinden heraus zu entwickeln hatte und bei dem jede Art von obrigkeitlicher Verordnung den gegenteiligen Effekt haben konnte. Die Kirchenbehörden sollten lediglich koordinierend wirken und jeglichen Zwang vermeiden. In dieser Hinsicht lag das Konsistorium also ganz auf der vom König im Unionsaufruf von 1817 vorgezeichneten Linie.
5. Zusammenfassung und Ausblick
Die Territorien, die nach 1815 die preußische Rheinprovinz bildeten, brachten historische Voraussetzungen mit, die für eine positive Aufnahme der Unionsidee ausgesprochen günstig waren. Sowohl im Norden der Provinz, also in den presbyterial-synodal geprägten Gebieten der ehemaligen Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg, wie auch im Süden, in den überwiegend pfälzisch und hessisch beeinflussten Gebieten des landesherrlichen Kirchenregiments, lebten reformierte und lutherische Christen seit Generationen in enger Nachbarschaft. Größere geschlossene lutherische Territorien, wie sie in Westfalen etwa in Gestalt des Fürstentums Minden oder der Grafschaft Ravensberg existierten, gab es im Rheinland in dieser Form nicht, ebenso wenig wie größere geschlossen reformierte Gebiete. Die Begegnung mit Evangelischen der jeweils anderen Konfession gehörte – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der gemeinsamen Auseinandersetzung mit einem zum Teil sehr selbstbewusst auftretenden Katholizismus – zur Alltagswirklichkeit vieler Menschen und insbesondere auch vieler Pfarrer im Gebiet der späteren Rheinprovinz. Die große Offenheit für die Union, die im Rheinland im 19. Jahrhundert konstatiert werden kann, hat hier eine ihrer Wurzeln.
Die neuen Rahmenbedingungen, die in den linksrheinischen Gebieten während der französischen Zeit zwischen 1794 und 1814 herrschten, verstärkten diese Tendenz noch, wenngleich in diesen Jahren den Unionsbestrebungen der Pfarrerschaft auch manche juristischen Grenzen gesetzt waren. Als dann nach 1815 die preußische Administration eine offen unionsfördernde Politik betrieb, rannte sie im Rheinland offene Türen ein. Dem Unionsaufruf des preußischen Königs vom 27. September 1817 kam in dieser Entwicklung jedoch allenfalls eine Katalysatorenfunktion zu, denn die eigentlichen Impulse zur Union waren schon davor erfolgt, wie man an der Konstituierung unierter Kreissynoden im Sommer 1817 erkennen kann. Auf Gemeindeebene entwickelte sich der Prozess der Unionsbildung dann ausgesprochen vielschichtig und unübersichtlich. Hier gibt es noch mancherlei Forschungsdesiderate, die nur durch akribische Auswertung der Überlieferung einzelner Gemeinden behoben werden können. Die Erforschung der Geschichte der evangelischen Union im Rheinland ist noch längst nicht an ein Ende gekommen.
Quellen
Protokoll der Unionsversammlung in Simmern vom 6. Pluviôse X (26. Januar 1802), in: AEKR Boppard, Bestand 3MB 013B (Synode Simmern–Vorgängerbehörden), Bd. 51.
Verzeichnis derjenigen Gemeinden in den Rhein-Provinzen, welche über den Beitritt zur Union förmliche Urkunde ausgestellt haben (Beilage Lit. B. zum Schreiben des Konsistoriums an das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten vom 9. Mai 1828) in: AEKR Düsseldorf, Bestand Provinzialkirchenarchiv, Bestand 1OB 002 (Rheinisches Konsistorium), Nr. 292.
Literatur
Brandenburg, Hans Christian, Die Kreuznacher Union von 1817. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des Rheinischen Oberlandes zur Zeit seines Überganges an die preußische Herrschaft, in: 425 Jahre Reformation An Nahe und Glan, Köln 1983, S. 176-229.
Duda, Brigitte, Die Organisation der evangelischen Kirchen des linken Rheinufers nach den Organischen Artikeln von 1802, Düsseldorf 1971.
Foerster, Erich, Die Entstehung der preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelm des Dritten. Ein Beitrag zur Geschichte der Kirchenbildung im deutschen Protestantismus, Bd. 1, Tübingen 1905.
Goeters, Johann Friedrich Gerhard, Die Entstehung des rheinischen Protestantismus und seine Eigenart, in: RhVjbll 58 (1994), S. 149-201.
Mau, Rudolf (Hg.), Protestantismus in Preußen. Vom Unionsaufruf 1817 bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Leipzig 2009.
Metzing, Andreas, Die Organischen Artikel von 1802 in der Geschichte des rheinischen Protestantismus. Epochaler Wandel oder historisches Zwischenspiel?, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 53 (2004), S. 81-95.
Metzing, Andreas, Entwicklung der Union im Rheinland bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Jürgen Kampmann/Christian Peters (Hg.), 200 Jahre lutherisch-reformierte Unionen in Deutschland, Bielefeld 2018, S. 99-116.
Müller, Johannes, Die Vorgeschichte der Pfälzischen Union. Eine Untersuchung ihrer Motive, ihrer Entwicklung und ihrer Hintergründe im Zusammenhang mit der allgemeinen Kirchengeschichte, Witten 1967.
Norden, Jörg van, Kirche und Staat im preußischen Rheinland 1815-1838. Die Genese der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung vom 5.3.1835, Köln 1990.
Wappler, Klaus, Reformationsjubiläum und Kirchenunion, in: J. F. Gerhard Goeters/Rudolf Mau (Hgg.), Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union, Bd. I. Leipzig 1992, S. 93-115.
- 1: Verhandlungen der Kreis-Synode Kreuznach bei ihrer am 18. Juni 1856 stattgehabten Versammlung zu Stromberg, S. 6.
- 2: Schreiben des Konsistoriums an das Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten vom 9. Mai 1828, in: AEKR Düsseldorf, Bestand Provinzialkirchenarchiv, Bestand 1OB 002 (Rheinisches Konsistorium), Nr. 292.
- 3: Ebd.
- 4: Schreiben des Konsistoriums an den rheinischen Oberpräsidenten vom 25. Juli 1828, in: AEKR Düsseldorf, Bestand Provinzialkirchenarchiv, Bestand 1OB 002 (Rheinisches Konsistorium), Nr. 292.
- 5: Ebd.
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Metzing, Andreas, Vorgeschichte und Geschichte der Union zwischen Lutheranern und Reformierten im Rheinland, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/vorgeschichte-und-geschichte-der-union-zwischen-lutheranern-und-reformierten-im-rheinland-/DE-2086/lido/623ac9b26f6c46.27360591 (abgerufen am 05.11.2024)