Weibliche Salonkultur im 19. Jahrhundert und die Salons der Sibylle Mertens-Schaaffhausen

Francesca Fabbri (Weimar)

Zeichnung von Sibylle Mertens-Schaaffhausen. (Stadtmuseum Bonn, SMB 2020/130)

1. Der Salon: eine Welt für sich

Der Sa­lon ge­hört zu den in­ter­es­san­ten Phä­no­me­nen der eu­ro­päi­schen Geis­tes­ge­schich­te des 18. und 19. Jahr­hun­derts. Im Mit­tel­punkt ei­nes Sa­lons steht ei­ne Frau - sie ge­stal­tet die Struk­tur des Zu­sam­men­seins, die Zeit und die Re­gel­mä­ßig­keit der Tref­fen, die Gäs­te, die Form der Ge­sel­lig­keit, die Gren­ze der Öf­fent­lich­keit. In die­ser Span­nung zwi­schen pri­vat und öf­fent­lich ist der Sa­lon auch ein Frei­raum, in dem dis­ku­tiert und aus­ge­tauscht wird. Ma­ß­geb­lich ge­prägt von der Gast­ge­be­rin, spie­gelt er de­ren Lei­den­schaft und In­ter­es­sen wi­der und kann in viel­sei­ti­ger Hin­sicht auch nach au­ßen wir­ken.

Der Sa­lon ist al­so ein zen­tra­les Ka­pi­tel weib­li­cher Kul­tur in Eu­ro­pa und be­zeugt ei­ne neue Rol­le für Frau­en in der Ge­sell­schaft des 19. Jahr­hun­derts. Als sie noch von in­sti­tu­tio­nel­len Lei­tungs­po­si­tio­nen und uni­ver­si­tä­ren Lauf­bah­nen aus­ge­schlos­sen wa­ren, konn­ten fi­nan­zi­ell pri­vi­le­gier­te Frau­en durch ih­re ge­sell­schaft­li­chen Räu­me ih­re Stim­me deut­li­cher und lau­ter er­he­ben und da­mit ei­ne Wir­kung in der Au­ßen­welt er­zie­len. So war es auch mit den Sa­lons der Rhein­län­de­rin Si­byl­le Mer­tens-Schaaff­hau­sen.

2. Eine außergewöhnliche Frau: Sibylle Mertens-Schaaffhausen

Ih­rem Bio­gra­phen, dem Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Hein­rich Hu­bert Hou­ben, ist es zu ver­dan­ken, dass die Er­in­ne­rung an die­se pas­sio­nier­te Samm­le­rin, Ar­chäo­lo­gin und Mä­ze­nin wach ge­blie­ben ist, in­dem er vie­le Quel­len über ihr Le­ben und Wir­ken aus pri­va­ten und öf­fent­li­chen Ar­chi­ven ans Licht ge­bracht hat. Um das in­ter­na­tio­na­le Flair ih­rer Sa­lons zu schil­dern, sind da­ne­ben Ver­öf­fent­li­chun­gen aus ih­ren Stamm­bü­chern (Ot­ten­dorf-Sim­rock) und ih­rer Kor­re­spon­denz (Cla­sen/Ot­ten­dorff-Sim­rock) von Be­deu­tung. 

Die Stamm­bü­cher oder Freund­schafts­bü­cher, die in der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts die Ge­sel­lig­keit be­glei­te­ten, sind ei­ne ganz spe­zi­el­le Quel­len­gat­tung. Die Ein­trä­ge sind je­weils ei­ne Hom­mage an die Gast­ge­be­rin: man ver­ewig­te sich in dem Buch durch ein Mot­to, ei­ne Zeich­nung, ein Ge­dicht. Stamm- oder Freund­schafts­bü­cher dien­ten au­ßer­dem der asyn­chro­nen Kom­mu­ni­ka­ti­on mit an­de­ren Gäs­ten, da die Freund­schafts­bü­cher von Hand zu Hand gin­gen und durch­ge­blät­tert wur­den. Sie bil­de­ten so das Pro­fil ei­ner Ge­mein­schaft ab.

Si­byl­le Mer­tens-Schaaff­hau­sen kam am 19.1.1797 in Köln zur Welt. Ih­re Mut­ter, Ma­ria An­na Schaaff­hau­sen ge­bo­re­ne Gie­sen (1760-1797), starb kurz nach ih­rer Ge­burt. Si­byl­le wuchs haupt­säch­lich mit dem kunst­ge­sinn­ten Va­ter auf, dem Ban­kier, Han­dels­herrn und Köl­ner Rats­herrn Abra­ham Schaaff­hau­sen (1756-1824), der be­reits ei­ne be­deu­ten­de Kunst­samm­lung an­ge­legt hat­te. Dar­in wa­ren bei­spiels­wei­se die Ta­fel der Ma­ria Mag­da­le­na von Lu­cas Cra­nach dem Äl­te­ren (1472-1553), die sich heu­te im Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­um-Fon­da­ti­on Cor­boud be­fin­det oder die der Jean­ne d’Arc aus der Werk­statt von Pe­ter Paul Ru­bens (heu­te Ral­eigh, North Ca­ro­li­na Mu­se­um of Art) zu se­hen. Die mit dem Va­ter be­freun­de­ten Mit­glie­der der Olym­pi­schen Ge­sell­schaft zu Köln, ei­ner Ver­samm­lung von Ge­lehr­ten und Kunst­ken­nern, die auch durch ih­re pa­trio­ti­sche Ge­sin­nung ver­bun­den wa­ren, tru­gen zu ih­rer Er­zie­hung bei, ins­be­son­de­re Fer­di­nand Franz Wall­raf, Mat­thi­as Jo­seph de Noël (1782-1849), aber auch der Ka­no­ni­kus Franz Pick (1750-1819). Sie führ­ten sie in das Stu­di­um der An­ti­ke ein und wa­ren oft Gäs­te ih­rer kul­ti­vier­ten Soi­réen.

 

1816 ar­ran­gier­te Abra­ham Schaaff­hau­sen die Ehe zwi­schen sei­ner ers­ten und ei­gen­wil­li­gen Toch­ter Si­byl­le mit sei­nem tüch­ti­gen und ver­läss­li­chen An­ge­stell­ten Jo­seph Lud­wig (Louis) Mer­tens (1782-1842). Die Fa­mi­lie wuchs schnell, sechs Kin­der ka­men auf die Welt, aber ein fried­li­ches Zu­sam­men­le­ben des Ehe­paa­res war, auch we­gen dif­fe­ren­ter In­ter­es­sen, kaum mög­lich, was oft zu ei­ner räum­li­chen Tren­nung der bei­den führ­te.

3. Die Salons in Köln, Plittersdorf und Bonn

Über den ers­ten Sa­lon Si­byl­les in der Trank­gas­se 21 in Köln ist we­nig be­kannt. Er wur­de haupt­säch­lich im Win­ter ge­führt, da Si­byl­le mit den Kin­dern in den wär­me­ren Jah­res­zei­ten an den Rhein bei Bonn über­sie­del­te. Der Sa­lon bot be­reits ei­ne bun­te Mi­schung aus Ge­sprächs­part­nern des Ehe­man­nes, der das Bank­ge­schäft des Schwie­ger­va­ters über­nom­men hat­te, In­tel­lek­tu­el­len und Ge­lehr­ten. In die­sem ers­ten Sa­lon traf Si­byl­le zum ers­ten Mal Hen­ri­et­te Paal­zow (1792-847), An­net­te von Dros­te-Hüls­hoff (1797-1848) und Ade­le Scho­pen­hau­er – Frau­en, die wie sie selbst auf dem Weg ei­ner in­di­vi­du­el­len und in­tel­lek­tu­el­len Eman­zi­pa­ti­on wa­ren und die ih­re engs­ten Freun­din­nen wur­den.

Nach dem Tod des Va­ters im Jahr 1824 be­zog Si­byl­le fast das gan­ze Jahr über den von vä­ter­li­cher Sei­te ge­erb­ten Au­er­hof in Plit­ters­dorf (heu­te Stadt Bonn), der dank der Er­wer­bun­gen von Louis Mer­tens zu ei­nem Rit­ter­gut mit Län­de­rei­en und ei­nem präch­ti­gen Land­schafts­park an­wuchs (heu­te Vil­la Car­stan­jen). 

Hier konn­te Si­byl­le ih­ren Lei­den­schaf­ten frei­en Lauf las­sen. Sie ar­ran­gier­te den Park mit sel­te­nen, aus al­len Län­dern kom­men­den Pflan­zen und Blu­men, die ei­ne exo­ti­sche Pracht an den Rhein brach­ten. Sie herrsch­te über ih­re Vil­la rusti­ca, zu der auch Wein­ber­ge in Nie­der­dol­len­dorf und am Pe­ters­berg ge­hör­ten. In sei­nem Buch „Wan­de­rung aus und um Go­des­berg" (1844) be­schrie­b Ernst Mo­ritz Arndt, Pro­fes­sor für Ge­schich­te und Rek­tor der Uni­ver­si­tät Bonn, der oft Gast bei Si­byl­le war, die­ses fast my­thi­sche An­we­sen[1]: „Die­ser statt­li­che Ort [Plit­ters­dorf] hat […] ei­nen schö­nen Rit­ter­sitz mit ei­nem im gro­ßen Stil an­ge­leg­ten Park, ein Be­sitz der Frau Schaaf­hau­sen Mer­tens in Bonn. Mö­ge die­se wack­re durch Geist und Herz durch Lie­be für Kunst und Wis­sen­schaft und durch stil­le christ­li­che Nächs­ten­lie­be aus­ge­zeich­ne­te Frau die­sen ih­ren lieb­li­chen und stil­len Sitz mit ih­ren Kin­dern noch man­che schö­ne Jah­re be­woh­nen! […] Wer den Sil­ber­blick Got­tes aus der Na­tur ver­steht, der set­ze sich in den Park der Frau Mer­tens oder vor dem Gast­hau­se un­ter der Lin­de hin und und las­se die Herr­lich­keit und Schön­heit die­ser ir­di­schen Welt ru­hig auf sich spie­len. Ich wü­ß­te die­ser Stel­le am gan­zen Rhein nichts zu ver­glei­chen.“

Hier ver­sam­mel­te Si­byl­le ih­re ers­te ar­chäo­lo­gi­sche Samm­lung, die schon früh be­rühmt war, eben­so wie ih­re gro­ße, auf An­ti­ke, Glyp­tik und Nu­mis­ma­tik spe­zia­li­sier­te Bi­blio­thek. Ei­ne iro­ni­sche Be­schrei­bung der Freun­din Hen­ri­et­te Paal­zow be­zeugt die­se Be­son­der­heit am Rhein[2]: ich be­tre­te Dei­ne heid­ni­sche Schwel­le und im Haus­flur steht Amor und Psy­che […] an der Trep­pe ver­folgt Si­len ei­ne Nym­phe, im Vor­saal glau­be ich Daph­ne schrei­en zu hö­ren, so un­an­stän­dig zu­dring­lich nah ist der ab­scheu­li­che Apoll ge­kom­men […] al­les über­baut mit Se­ne­ca, Pla­to […].

Aber der Kult der Klas­sik war nicht nur in der Rau­mein­rich­tung zu er­le­ben. Si­byl­le bot ih­ren Gäs­ten die Ge­le­gen­heit, die An­ti­ke auch in Form von Spie­len und Sport in frei­er Na­tur neu zu er­le­ben. So wur­de zum Bei­spiel Dis­kus­wurf im Park ge­übt und am En­de der hei­ßen Som­mer­aben­de das in der grie­chi­schen An­ti­ke be­lieb­te Kot­t­a­bos­s­piel nach­ge­ahmt.

Ne­ben die­sem Pa­ra­dies hat­te die „Rhein­grä­fin“ Si­byl­le - wie der Ma­ler Wil­helm Wach (1787-1845) sie scherz­haft nann­te - ab 1832 ei­nen an­de­ren wich­ti­gen Ort für ih­re Soi­réen: das neu er­rich­te­te Haus in der Wil­helm­stra­ße Nr. 33 in Bonn, in des­sen Ober­stock ih­re Samm­lun­gen auf­be­wahrt wur­den. Bei­de Sa­lons wa­ren jah­re­lang der Mit­tel­punkt ei­ner geist­vol­len Ge­sell­schaft. Hier tausch­ten sich aus Mat­thi­as Jo­seph de Noël, Ernst Mo­ritz Arndt, der Li­te­ra­tur- und Sprach­wis­sen­schaft­ler Au­gust Wil­helm von Schle­gel, der Kunst­his­to­ri­ker Edu­ard Jo­seph d’Al­ton (1772-1840), der klas­si­sche Phi­lo­lo­ge und Ar­chäo­lo­ge Fried­rich Gott­lieb Wel­ker, der nor­we­gi­sche In­do­lo­ge Chris­ti­an Las­sen (1800-1876), der Bo­ta­ni­ker Nees von Esen­beck, der Mi­ne­ra­lo­ge Ja­cob Nög­gerath (1788-1877), der Geo­lo­ge Ernst Au­gust von Beust (1783-1859), der Ma­the­ma­ti­ker und As­tro­nom Karl Diet­rich von Mün­chow (1788-1836), der Ju­rist und Über­set­zer Edu­ard Bö­cking (1802-1870), der Al­ter­tums­for­scher und Ku­ra­tor der Uni­ver­si­tät Bonn, Mo­ritz Au­gust von Beth­mann-Holl­weg, der Kom­po­nist und Or­ches­ter­lei­ter Fer­di­nand Ries mit sei­nem Bru­der Pie­ter Hu­bert Ries (1802-1886), der Dich­ter und Mu­sik­pas­sio­nier­te Karl Sim­rock, der Schrift­stel­ler Phil­ipp Jo­seph von Reh­fu­es (1779-1843), der Theo­lo­ge Jo­hann Mar­tin Au­gust Scholz (1794-1852), der Phi­lo­soph Chris­ti­an Au­gust Bran­dis (1790-1876), die Schrift­stel­le­rin Jo­han­na Scho­pen­hau­er (1766-1838) und ih­re Toch­ter Ade­le, die Si­byl­le Le­ben lan­ge be­glei­ten soll­te.

Zu den Stamm­gäs­ten, die mal in Bonn, mal in Plit­ters­dorf ein­ge­la­den wur­den, muss man noch die gro­ße Zahl der durch­rei­sen­den Gäs­te rech­nen, die oft lan­ge die Gunst des Sa­lons Mer­tens-Schaaff­hau­sen ge­nos­sen, so zum Bei­spiel der Ma­ler Wil­helm von Scha­dow (1788-1862), der Bild­hau­er Chris­ti­an Da­ni­el Rauch (1777-1857), der Ma­ler Wil­helm Wach mit sei­ner Schwes­ter Hen­ri­et­te Paal­zow, die im Som­mer 1833 fünf Wo­chen lang bei Si­byl­le blie­ben, der Pro­fes­sor aus Je­na Os­kar Bern­hard Lud­wig Wolff (1799-1851) mit dem Schrift­stel­ler Lud­wig Bech­stein (1801-1860), der ita­lie­ni­sche Schrift­stel­ler Gio­van­ni Ber­chet (1783-1851), der Si­byl­le wich­ti­ge Emp­feh­lungs­brie­fe für ih­ren ge­nue­si­schen Auf­ent­halt im Jahr 1835 gab, der Pro­fes­sor L.J.F. Jans­sen (1806-1869), Lei­ter des Al­ter­tums­mu­se­ums in Lei­den, der ös­ter­rei­chi­sche Nu­mis­ma­ti­ker An­ton Stein­bü­chel (1793-1883), Di­rek­tor des Münz- und An­ti­qui­tä­ten­ka­bi­netts in Wien, und die eng­li­sche Schrift­stel­le­rin An­ne Ja­me­son (1795-1860), die mit Emp­feh­lun­gen der be­freun­de­ten Ot­ti­lie von Goe­the (1796-1872) an den Rhein kam. Zu den wich­tigs­ten Gäs­ten des Sa­lons zählt auch An­net­te von Dros­te-Hüls­hoff, die zwi­schen Som­mer 1829 und Herbst 1831 in Bonn bei ih­rem Vet­ter Cle­mens Au­gust von Dros­te-Hüls­hoff (1792-1832) wohn­te und von Ok­to­ber 1830 bis Früh­jahr 1831 auf dem Au­er­hof die schwer er­krank­te Si­byl­le pfleg­te. In dem Kreis um Mer­tens-Schaff­hau­sen, be­son­ders in den Scho­pen­hau­ers und in d’Al­ton, fand die Dich­te­rin wich­ti­ge Zu­hö­rer und Le­ser für ih­re ers­ten li­te­ra­ri­schen Ver­su­che.

Das Haus in der Wil­helm­stra­ße 33 wur­de au­ßer­dem die ers­te Adres­se Bonns für mu­si­ka­li­sche Aben­de: Si­byl­le war ei­ne vir­tuo­se Kla­vier­spie­le­rin, die 1819 in Köln so­gar die be­rühm­te Ko­lo­ra­turso­pra­nis­tin An­ge­li­ca Ca­ta­la­ni (1780-1849) be­glei­ten durf­te. Sie kom­po­nier­te und im­pro­vi­sier­te ger­ne, auch ih­re Töch­ter Ma­rie und The­re­se wa­ren in die­sem Sinn be­gabt. Der Sa­lon wur­de der Treff­punkt für Mu­sik­lieb­ha­ber am Rhein und die Gast­ge­be­rin lud wich­ti­ge Stim­men zu sich, wie die Sän­ge­rin­nen An­na Mil­der-Haupt­mann (1785-1838) und Mar­ga­re­te Stock­hau­sen (1803-1877), die im Jahr 1833 bei ihr auf­tra­ten, oder die So­pra­nis­tin Au­gus­te von Fa­ß­mann (1808-1872), die im Som­mer 1839 bei ihr re­si­dier­te. Be­son­ders wich­tig in die­ser Hin­sicht war die im Jahr 1827 be­gon­ne­ne, tie­fe Freund­schaft mit Fer­di­nand Ries, von dem Si­byl­le auch au­to­gra­phi­sche Par­ti­tu­ren be­saß (zum Bei­spiel Op. 74, heu­te im Beet­ho­ven Haus in Bonn). Als Ries-Schü­ler war der Pri­vat­do­zent für al­te Spra­chen Fried­rich Heim­so­eth (1814-1877) herz­lich will­kom­men in ih­rem Sa­lon. Er lei­te­te den von ihr ge­grün­de­ten „Ver­ein für Al­te Mu­si­k“ und wur­de bald ihr Schwie­ger­sohn. Fried­rich Heim­so­eth und Si­byl­le or­ga­ni­sier­ten im Lau­fe der Jah­re meh­re­re Mu­sik­ver­an­stal­tun­gen, hal­fen bei den Auf­füh­run­gen der Nie­der­rhei­ni­schen Mu­sik­fes­te, för­der­ten das ers­te Kla­vier­kon­zert in Frank­furt des Wun­der­kin­des An­ton Ru­bin­stein (1829-1894), so­wie die Er­rich­tung des Beet­ho­ven Denk­mals in Bonn (1845).

Familienporträt der Familie Mertens-Schaaffhausen. (Stadtmuseum Bonn, SMB 2020/132)

 

4. Neue Erfahrungen: Genua und Rom

Der Tod von Louis Mer­tens 1842 wur­de zu ei­nem Wen­de­punkt in Si­byl­les Le­ben. Sie be­schloss, Bonn zu ver­las­sen und fuhr im Herbst 1843 nach Ita­li­en Rich­tung Rom - das er­sehn­te Ziel ih­res gan­zen Le­bens.

Auf dem Weg nach Sü­den blieb sie zu­erst ein Jahr lang in Ge­nua, wo sie schon zwi­schen Som­mer 1835 und Som­mer 1836 ge­lebt hat­te und ei­nen wich­ti­gen Teil der lo­ka­len Eli­ten ken­nen­ge­lernt hat­te. Auch in der li­gu­ri­schen Stadt führ­te Si­byl­le ei­nen Sa­lon in ei­ner ge­mie­te­ten Woh­nung in der Nä­he des Stadt­thea­ters. Hier wur­de sams­tags um 22 Uhr (nach der Thea­ter­vor­stel­lung) ein­ge­la­den, und, an­ders als in Bonn, ge­hör­te hier ein gro­ßer Teil der Gäs­te zum Adel. Die Ge­nue­ser Ad­li­gen wa­ren durch die glei­chen po­li­ti­schen Idea­le des ita­lie­ni­schen Ri­sor­gi­men­to mit dem Groß­bür­ger­tum ver­eint. In Si­byl­les Sa­lon ver­kehr­ten da­her auch vie­le Ex­po­nen­ten der Be­we­gung Gio­va­ne Ita­lia von Giu­sep­pe Maz­zi­ni (1805-1872). Es wa­ren, wie Si­byl­le in ih­ren Brie­fen be­schrieb, Aben­de im Stil Boc­cac­ci­os, in de­nen man sich herr­lich mit li­te­ra­ri­schen Er­zäh­lun­gen der geist­rei­chen und auf­ge­klär­ten Ge­sell­schaft amü­sie­ren konn­te. Stamm­gäs­te die­ser Soi­réen wa­ren un­ter an­de­rem der Mar­che­se Gi­an Car­lo di Ne­gro (1769-1857), in des­sen Vil­la am Ran­de der Alt­stadt sich die in­ter­na­tio­na­le po­li­ti­sche und kul­tu­rel­le Eli­te der Zeit traf, der Po­li­ti­ker und Geo­lo­ge Lo­ren­zo Pare­to (1800-1865), der En­t­o­mo­lo­ge Mas­si­mi­lia­no Spi­no­la (1780-1857), der Kunst­samm­ler Mar­cel­lo Du­raz­zo (1790-1848), die Kunst­samm­le­rin und Mä­ze­nin Te­re­sa Cor­si Pal­la­vici­no.

Ade­le Scho­pen­hau­er er­reich­te Si­byl­le in Ge­nua im Win­ter 1844, zu­sam­men fuh­ren sie nach Rom wei­ter: im Ca­put Mun­di, dem Pa­ra­dies der Ar­chäo­lo­gen, in dem sich schon ei­ne in­ter­na­tio­na­le Ge­sell­schaft zu­sam­men­ge­fun­den hat­te, leb­te Si­byl­le bis Som­mer 1846 sehr glück­lich. Sie be­zog zu­erst ei­ne Woh­nung in der Via Gre­go­ria­na 49, in der Nä­he des Mon­te Pin­cio, und mie­te­te En­de 1845 ei­nen Teil des pracht­vol­len Pa­laz­zo Po­li (o del­la Stam­pe­ria Rea­le), des­sen Fas­sa­de die Ku­lis­se des welt­be­rühm­ten Tre­vi­brun­nens ist. An bei­den Or­ten führ­te sie ei­nen gran­dio­sen Sa­lon, des­sen Ruhm über die ita­lie­ni­schen Gren­zen hin­aus­ging und bis Deutsch­land zu­rück­wirk­te.

In der Leip­zi­ger All­ge­mei­nen am 5.1.1846 konn­te man le­sen[3]: „Un­ter den ge­lehr­ten Abend­zir­keln die­ses Win­ters sind die in­ter­es­san­tes­ten die, wel­che Ma­da­me Mer­tens aus Köln an je­dem Diens­tag zu ge­ben pflegt. Au­ßer den hier le­ben­den Ze­le­bri­tä­ten fin­den sich dort die be­rühm­tes­ten ita­lie­ni­schen Li­te­ra­ten, auch Eng­län­der und Fran­zo­sen ein. Ein Klub die­ser Gat­tung ist in un­se­rem Rom ei­ne au­ßer­or­dent­li­che Sel­ten­heit, weil man hier nicht dar­an ge­wöhnt ist, die Frau auf glei­chem geis­ti­gem Ni­veau mit den Män­nern ste­hen zu se­hen.“

Die De­tails ei­ner die­ser Soi­réen, die diens­tags statt­fan­den, sind von Si­byl­le selbst zu er­fah­ren, die am 22.1.1846 in ei­nem lan­gen Brief nach Bonn an ih­re Halb­schwes­ter Eli­sa­beth Deich­mann (1811-1888) von ih­rem ge­sell­schaft­li­chen Le­ben in der Ewi­gen Stadt be­rich­te­te[4]:

Ich woh­ne in ei­nem hüb­schen Quar­tier, ge­ra­de über der Fon­ta­na di Tre­vi, die un­ter den Fens­tern mei­nes Saa­les in ein un­ge­heu­res Be­cken fällt, ziem­lich nah an dem Cor­so, fast im Mit­tel­punkt des be­leb­te­ren Teils der Stadt […] Üb­ri­gens könn­test Du Diens­tag Abends bei mir ei­nen gros­sen Theil der eu­ro­pa­ei­schen Spra­chen re­den hö­ren, und al­le Con­fes­sio­nen ver­eint se­hen, denn ich ma­che nur Sit­te, Bil­dung und Geist, so­wie Dul­dung und so we­nig Klatsch, wie mög­lich zur Be­din­gung ei­ner Pré­sen­ta­ti­on. Deutsch, Fran­zö­sisch, Ita­lie­nisch, Dä­nisch, Rus­sisch, Pol­nisch und Neu­grie­chisch klin­gen da ge­gen­ein­an­der, denn in Rom aff­lui­ren die be­deu­tends­ten Men­schen al­ler Na­tio­nen […] Und nicht nur die ver­schie­de­nen Na­tio­nen, auch die Stän­de ge­hen ru­hig durch­ein­an­der her: bril­lan­te Sa­lon­da­men, Ge­lehr­te, Geist­rei­che, gu­te Haus­frau­en, Künst­ler, mu­si­ka­li­sche Ce­le­bri­tä­ten, Tou­ris­ten, der Mon­si­gno­re und die Schrift­stel­le­rin, der Kauf­mann und der Prinz, der Ge­sand­te und der Dr. Ju­ris, der Arzt und die ele­gan­te Frau!

Der Er­folg ih­res rö­mi­schen Sa­lons lag ge­ra­de in die­ser aus­ge­wo­ge­nen und in­ter­na­tio­na­len Mi­schung: Geis­tes­wis­sen­schaft­ler al­ler Art, Aris­to­kra­ten und ho­he Be­am­te, jun­ge Künst­ler auf der Su­che nach Auf­trag­ge­bern und mu­ti­ge, kul­ti­vier­te Frau­en, die neue We­ge der Selbst­ver­wirk­li­chung aus den so­zia­len Kon­ven­tio­nen her­aus such­ten.

Die Mehr­heit der Gäs­te ge­hör­te zu den Mit­glie­dern und den Kor­re­spon­den­ten des im Jahr 1829 ge­grün­de­ten Is­ti­tu­to di Cor­rispon­den­za Ar­cheo­lo­gi­ca, an des­sen Sit­zun­gen Si­byl­le als an­er­kann­te Ar­chäo­lo­gin und Fach­ken­ne­rin teil­neh­men durf­te, auch um Ex­po­na­te ih­rer Samm­lung vor­zu­stel­len. Zu die­sem Kreis ge­hör­ten die Bon­ner Pro­fes­so­ren Fried­rich Gott­lieb Wel­ker und Fried­rich Wil­helm Rit­schl (1806- 1876), Pro­fes­sor für Klas­si­sche Phi­lo­lo­gie, die 1846 ih­ren Sa­lon be­such­ten, der Ber­li­ner Nu­mis­ma­ti­ker Ju­li­us Fried­län­der (1813-1884), der zu­sam­men mit Theo­dor Momm­sen (1817-1903) auf Rei­sen in Ita­li­en war, und na­tür­lich die Stamm­gäs­te wie Au­gust Emil Braun (1809-1856), Lei­ter des Is­ti­tu­to di Cor­rispon­den­za, der be­rühm­te Ar­chäo­lo­ge und Ar­chi­tekt Lu­i­gi Ca­ni­na (1795-1856), der Ge­lehr­te An­to­nio Cop­pi (1783-1870), Prä­si­dent der Ac­ca­de­mia Ti­be­ri­na, die Epi­gra­phi­ker Gio­van­ni Bat­tis­ta De Ros­si (1822- 1894) und der jun­ge Jo­hann Hein­rich Wil­helm Hen­zen (1821-1882), der Mar­tens-Schaff­hau­sen we­gen ih­rer Sym­pa­thie für Giu­sep­pe Ga­ri­bal­di (1807-1882) scherz­haft die „Ro­te Si­byl­la Ren­ana“ nann­te, da­zu der Ar­chäo­lo­ge und Pa­läo­graph Pie­tro Ma­tran­ga (1807-1855), der aus Pia­na de­gli Al­ba­ne­si, ei­ner grie­chi­schen En­kla­ve in Süd­ita­li­en, kam. Ma­tran­ga war ei­ner der bes­ten Ken­ner des Alt- und Neu­grie­chi­schen in Rom. Si­byl­le för­der­te ma­ß­geb­lich sei­ne wis­sen­schaft­li­chen Pu­bli­ka­tio­nen auf dem Ge­biet der Ar­chäo­lo­gie; als Pri­vat­se­kre­tär des Kar­di­nals An­ge­lo Mai (1782-1854) er­hielt Ma­tran­ga ei­ne wich­ti­ge Stel­le als Bi­blio­the­kar für die grie­chi­schen Schrif­ten der Va­ti­ka­ni­schen Bi­blio­thek. Aber er war nicht der ein­zi­ge gu­te Be­kann­te Si­byl­les in den Le­se­sä­len der präch­ti­gen Bi­blio­te­ca, auch der be­freun­de­te Sprach­wis­sen­schaft­ler Kar­di­nal Giu­sep­pe Ga­s­pa­re Mez­zo­fan­ti (1774-1849) hat­te dort ei­ne lei­ten­de Po­si­ti­on. Si­byl­le Mer­tens-Schaff­hau­sen konn­te al­so im­mer auf Un­ter­stüt­zung zäh­len, wenn sie al­te Per­ga­ment­bän­de er­for­schen woll­te.

Au­ßer den Ar­chäo­lo­gen und Al­ter­tums­wis­sen­schaft­lern ver­kehr­ten in ih­rem Sa­lon auch zahl­rei­che ho­he Be­am­te, Po­li­ti­ker, Di­plo­ma­ten, Kar­di­nä­le (die in Rom auch po­li­ti­sche Funk­tio­nen hat­ten) und Rechts­ge­lehr­te, wie zum Bei­spiel der Graf Fe­de­ri­co Bro­glia, be­voll­mäch­tig­ter Bot­schaf­ter des Kö­nigs von Sar­di­ni­en im Va­ti­kan, der Le­ga­ti­ons­rat Au­gust Kest­ner (1777-1853), der Sohn von Goe­thes Lot­te, der preu­ßi­sche Kon­sul in Rom, An­ton Mar­stal­ler (1809-865), der Graf Pel­le­gri­no Ros­si (1787-1848), Ju­rist und Po­li­ti­ker von in­ter­na­tio­na­lem Rang, der 1845 au­ßer­or­dent­li­cher Bot­schaf­ter Frank­reichs im Va­ti­kan wur­de, der Kar­di­nal Vin­cen­zo Mac­chi, (1770-1860), Kar­di­nal Fran­ces­co de' Me­di­ci di Ot­ta­ja­no (1808-1857), der ers­te Käm­me­rer des Paps­tes, und wie­der pro­mi­nen­te „Tou­ris­ten“, wie die Rechts­ge­lehr­ten Ot­to Me­jer aus Göt­tin­gen (1818-1893) und Bern­hard Wind­scheid aus Bonn (1817-1892). Be­son­ders nah stand Si­byl­le ein an­de­rer häu­fi­ger Gast ih­rer Soi­réen: Mi­che­lan­ge­lo Cae­ta­ni (1804-1882), Prinz von Te­a­no und ab 1850 Her­zog von Ser­mo­ne­ta. Er war als Po­li­ti­ker und For­scher ei­ne viel­sei­tig ori­en­tier­te Per­sön­lich­keit und teil­te mit Si­byl­le die Lei­den­schaft für Dan­tes Gött­li­che Ko­mö­die und für die etrus­ki­sche An­ti­ke. Die Samm­le­rin war in Rom al­so, wie da­vor in Ge­nua, mit den höchs­ten Krei­sen der Ge­sell­schaft in bes­ter Ver­bin­dung. Das er­klärt auf der ei­nen Sei­te ih­ren so­zia­len Er­folg, auf der an­de­ren Sei­te die ab­so­lu­te Selbst­si­cher­heit, mit der sie sich ge­gen­über den ver­schie­de­nen po­li­ti­schen und aka­de­mi­schen In­sti­tu­tio­nen be­weg­te.

Ei­ne an­de­re, im rö­mi­schen Sa­lon Si­byl­les be­son­ders zahl­reich ver­tre­te­ne Grup­pe wa­ren die Künst­ler, und spe­zi­ell die in Rom an­säs­si­ge deut­sche Kunst­ko­lo­nie. Si­byl­le lieb­te und för­der­te die Künst­ler des spä­ten Klas­si­zis­mus. In den gro­ßen Sä­len des Pa­laz­zo Po­li konn­te man vie­le schon be­rühm­te oder noch nicht be­kann­te Schü­ler und Epi­go­nen An­to­nio Ca­no­vas (1757-1822) und Ber­tel Thor­vald­sens (1770-1844) tref­fen, wie die Bild­hau­er Pie­tro Te­nera­ni (1798-1869), Gio­van­ni Al­ber­to­ni (1806-1887), An­to­nio Bi­set­ti (1801-1871), Giu­sep­pe De Fa­bris (1790-1860), den Ber­li­ner Ju­li­us Trosch­ler (1806-1863), der seit 1833 in Rom leb­te, Franz Woltreck (1800-1847), der sei­ne letz­te Jah­re in Ita­li­en ver­brach­te, und den Dä­nen Jens Adolf Je­ri­chau (1816-1883). Aber auch vie­le Ex­po­nen­ten der Ma­ler­ko­lo­nie ver­kehr­ten oft bei ihr: der gro­ße Pe­ter Cor­ne­li­us (1783-1867), der Ber­li­ner Karl Be­cker (1820-1900), Karl Fried­rich Jo­hann von Mül­ler (1813-1881), der seit 1837 in Rom als Schü­ler Jean-Au­gus­te Do­mi­ni­que In­g­res (1780-1867) tä­tig war, Jo­hann Mi­cha­el Witt­mer (1802-1880), Schü­ler und Schwie­ger­sohn des Klas­si­zis­ten Jo­seph An­ton Koch (1768-1839), der His­to­ri­en­ma­ler Ju­li­us Schra­der (1815-1900) der aus der Düs­sel­dor­fer Aka­de­mie kam, Louis Gur­litt (1812-1897) und Carl Hum­mel (1821-1906), Land­schafts­ma­ler aus Wei­mar. Al­le ha­ben sich in Si­byl­les Stamm­buch ver­ewigt. Die star­ke Prä­senz der Künst­ler im Pa­laz­zo Po­li lässt sich er­klä­ren mit der An­we­sen­heit wohl­ha­ben­der Auf­trag­ge­ber, von be­deu­ten­den (und in ei­nem Raum ver­sam­mel­ten!) Mul­ti­pli­ka­to­ren, wie man heu­te sa­gen wür­de, und Si­byl­le selbst hat­te auch in ih­rem Le­ben vie­le jun­ge Künst­ler ge­för­dert, aber da­zu kam wahr­schein­lich hier ein spe­zi­fi­sches In­ter­es­se: ih­re Freun­din Ade­le Scho­pen­hau­er hat­te an­ge­fan­gen, als Aus­land-Kor­re­spon­den­tin über Kunst­aus­stel­lun­gen und Kunst­the­men zu schrei­ben und hat­te des­we­gen Freund­schaf­ten mit den deut­schen und den dä­ni­schen Künst­ler­ko­lo­ni­en ge­schlos­sen; Si­byl­le selbst plan­te in die­ser Zeit ei­nen Es­say über die Chris­tu­si­ko­no­gra­phie zu ver­fas­sen, der lei­der nie er­schie­nen ist.

5. Die Frauen im Salon

Die präch­ti­gen Soi­réen am Pa­laz­zo Po­li wa­ren au­ßer­dem ma­ß­geb­lich von der Per­sön­lich­keit be­son­de­rer Frau­en ge­prägt - und das war die ab­so­lu­te Neu­heit in Rom, da man, wie die das er­wähn­te Zi­tat aus der Leip­zi­ger All­ge­mei­nen be­ton­te, nicht dar­an ge­wöhnt war, „die Frau auf glei­chem geis­ti­gem Ni­veau mit den Män­nern ste­hen zu se­hen“. Si­byl­le bot al­so durch ih­re Gast­freund­lich­keit und die Form ih­rer Ge­sell­schaft ei­nen Raum zum Aus­tausch und zur Wei­ter­ent­wick­lung in der Ak­zep­tanz und ge­gen­sei­ti­gen An­er­ken­nung. Un­ter die­sen Frau­en, die sich „auf dem glei­chen geis­ti­gen Ni­veau der Män­ner“ po­si­tio­nier­ten, ist si­cher En­ri­ca Dio­ni­gi Or­fei (1774-1868) zu er­wäh­nen, Dich­te­rin und Schrift­stel­le­rin, die schon 1807 Mit­glied der Ac­ca­de­mia del­le Sci­en­ze zu Tu­rin war und die zur ita­lie­ni­schen Über­set­zung von John Mil­tons „Pa­ra­di­se Los­t“ bei­ge­tra­gen hat­te, die schot­ti­sche As­tro­no­min, Phy­si­ke­rin und Ma­the­ma­ti­ke­rin Ma­ry Fair­fex Greig Som­mer­vil­le (1780-1872), die sich wie Si­byl­le fast kom­plett au­to­di­dak­tisch Geis­tes- und Na­tur­wis­sen­schaf­ten an­ge­eig­net hat­te und seit 1835 ein an­er­kann­tes Mit­glied der Roy­al As­tro­no­mi­cal So­cie­ty war, die ge­fei­er­te eng­li­sche Opern­sän­ge­rin Ade­lai­de Kem­ble Sar­t­oris (1815-1879), Goe­thes ei­gen­wil­li­ge und phan­ta­sie­vol­le Schwie­ger­toch­ter, Ot­ti­lie von Goe­the, die schon er­wähn­te hoch­kul­ti­vier­te Ade­le Scho­pen­hau­er, die deutsch-pol­ni­sche, so­zi­al­kri­ti­sche Ma­le­rin Eli­sa­beth Bau­mann (1819-1881), die im Sa­lon von Si­byl­le in dem dä­ni­schen Bild­hau­er Jens Adolf Je­ri­chau (1816-1883) die Lie­be ih­res Le­bens fand. Noch ein an­de­res be­rühm­tes Paar bil­de­te sich im Saal des Pa­laz­zo Po­li: die Schrift­stel­le­rin Fan­ny Le­wald (1811-1889) und der zu die­sem Zeit­punkt ver­hei­ra­te­te Ol­den­bur­ger Gym­na­si­al­leh­rer und Kri­ti­ker Adolf Stahr (1805-1876) lern­ten sich bei Si­byl­le ken­nen und ver­lieb­ten sich, wie Le­wald in ih­rem Ta­ge­buch ver­ewig­te[5]:

Der Emp­fang­saal […] war ei­nes der Front­zim­mer in dem Pa­last der päpst­li­chen Dru­cke­rei, durch des­sen Mau­ern die Was­ser­lei­tung der Fon­ta­na Tre­vi geht. Dicht hin­ter den Fens­tern des Saa­les, in dem wir uns be­fan­den, brach der Was­ser­strom, aus dem fer­nen Ge­biet kom­mend, reich her­vor, um sich mit mäch­ti­gem Rau­schen in das ge­wal­ti­ge Be­cken zu stür­zen, das un­ten, weit wie ein Teich, ei­nen Teil des Plat­zes ein­nimmt. […] Oben in der Ecke des Zim­mers ruh­te Stahr auf ei­nem Di­wan. […] Sy­bil­le phan­ta­sier­te auf dem Flü­gel […], er hielt mei­ne Hand in der sei­nen, sein Kopf lehn­te sanft an mei­ner Schul­ter. […] Ein un­sag­ba­rer Zau­ber ruh­te über die­ser Stun­de. Das hel­le Mond­licht, das durch das Fens­ter schien, die lin­de Früh­lings­luft, die uns um­spiel­te, der sü­ße Duft der Veil­chen, das Rau­schen der Fon­tä­ne und die fri­sche Küh­le des Was­sers, die man zu emp­fin­den mein­te, wäh­rend die Tö­ne, wel­che Sy­bil­le ih­rem Flü­gel ent­lock­te, wein­ten und klag­ten, lä­chel­ten und jauchz­ten. Es war et­was Mär­chen­haf­tes in die­sem Zu­sam­men­wir­ken al­les des­sen, was die Sin­ne ent­zückt und die Her­zen er­schlie­ßt, es war uns, als wä­ren wir der Er­de ent­rückt in Traum­se­lig­keit!

Der rö­mi­sche Sa­lon der Mer­tens-Schaaff­hau­sen stell­te ei­ne Neu­ig­keit im Ver­gleich zu den Bon­ner Sa­lons dar. Si­byl­le, die schon jah­re­lang ei­ne er­fah­re­ne Gast­ge­be­rin war, brach­te in die Ge­stal­tung ih­rer rö­mi­schen Ge­sell­schaf­ten auch die Er­in­ne­rung an die gro­ßen Soi­réen ein, die sie mit den aris­to­kra­ti­schen Krei­sen bei ih­rem ge­nue­si­schen Freund Gi­an Car­lo Di Ne­gro ge­nos­sen hat­te, lehn­te sich aber auch durch ei­ne klug aus­ge­wähl­te, ge­misch­te Ge­sell­schaft und Auf­lo­cke­run­gen durch Mu­sik und Kunst­tä­tig­kei­ten zu Guns­ten ka­ri­ta­ti­ver Zwe­cke an die Form des Sa­lons an, den ih­re Freun­din Jo­han­na Scho­pen­hau­er in Wei­mar ge­führt hat­te. 

Aus dem Ta­ge­buch von Fan­ny Le­wald ist ein Ein­druck von der At­mo­sphä­re zu ge­win­nen[6]:

Frau Ade­lai­de Kem­ble Sar­t­oris[7] ver­sprach tos­ka­ni­sche Ro­man­zen, der ers­te Mu­sik­leh­rer von Rom, Che­va­lier Lands­berg, über­nahm ei­ne ein­lei­ten­de Ou­ver­tu­re, Fräu­lein Scho­pen­hau­er las den Goe­the­schen Epi­log zum Es­ser, ich ein klei­nes, skiz­zen­haf­tes Mär­chen, der Ma­ler Carl Mül­ler von Stutt­gart[8] stell­te uns ein paar le­ben­de Bil­der. […] End­lich lie­ßen die an­we­sen­den Künst­ler sich be­reit­fin­den, wäh­rend man mu­si­zier­te und las, auf zu­recht­ge­leg­te klei­ne Blät­ter leich­te Skiz­zen zu ent­wer­fen, um sie zum Schluß des Abends in ei­ner Lot­te­rie ver­lo­sen zu las­sen, de­ren Er­trag gleich­falls un­se­rem Wohl­tä­tig­keits­ka­pi­tal an­heim­zu­fal­len be­stimmt war […] Selbst der han­nö­ver­sche Ge­sand­te, Herr Kest­ner[9], der Sohn von Wer­t­hers Lot­te, ei­ne Künst­ler­na­tur, die noch im Grei­sen­al­ter sich ei­nem Scher­ze nicht ab­hold zeig­te, woll­te auch „mit­wir­ken“ und ließ sich, da al­le Ar­ten von Kunst­leis­tun­gen be­reits er­schöpft wa­ren, ei­nen Kamm her­bei­brin­gen, auf dem er zu all­ge­mei­nem Er­göt­zen ein ganz sen­ti­men­ta­les deut­sches Volks­lied blies. Der Froh­sinn, die Lach­lust, die tol­le Lau­ne, hat­ten in die­sem Saa­le nie zu­vor in sol­chem Gra­de ih­re Herr­schaft gel­tend ge­macht.

In Som­mer 1846 muss­te Si­byl­le schwe­ren Her­zens Rom ver­las­sen, um nach Bonn zu­rück­zu­keh­ren. 

6. Der Geist lebt

Es folg­ten trau­ri­ge Jah­re, ver­lo­re[n] in je­nen scheu­ß­li­chen Gel­der­ör­te­run­gen, wie sie selbst an ih­re Freun­din Ot­ti­lie von Goe­the schrieb[10]: Erb­strei­tig­kei­ten, Pro­zes­se ge­gen Fa­mi­li­en­mit­glie­der, Zwis­tig­kei­ten al­ler Art, der Tod Ade­le Scho­pen­hau­ers im Jahr 1849 brach­ten die stol­ze und ge­sel­li­ge Frau an den Rand ei­ner tie­fen De­pres­si­on und der ge­sell­schaft­li­chen Iso­lie­rung. Sie ver­kauf­te peu à peu al­le ih­re Be­sit­zun­gen am Rhein und be­schloss, nach Rom um­zu­zie­hen, was im Früh­jahr 1857 ge­schah. Dort fühl­te sie sich end­lich wie­der zum Le­ben er­wacht, aber es war nur ein kur­zes Auf­at­men: sie starb am 22.10.1857. Ihr Grab be­fin­det sich auf dem Cam­po San­to Teu­to­ni­co in der Ewi­gen Stadt, die sie so lieb­te. Auf ih­rer klas­si­zis­ti­schen Grab­s­te­le fin­den sich über ih­rem an­ti­ki­sie­ren­den Pro­fil in wei­ßen Mar­mor ge­mei­ßelt die Wor­te: DER GEIST LEBT.

Quellen

Cla­sen, Theo/Ot­ten­dorff-Sim­rock, Walt­her, Brie­fe an Si­byl­le Mer­tens-Schaaff­hau­sen, Bonn 1974.

Literatur

Arndt, Ernst Mo­ritz, Wan­de­run­gen in und um Go­des­berg, Bonn 1844.

Büch, Ga­brie­le, La prin­ci­pes­sa te­de­sca. Si­byl­le Mer­tens-Schaaff­hau­sen 1797–1857, Bonn 2009.

Hei­nen, El­mer, Die Rhein­grä­fin Si­byl­le Mer­tens-Schaaff­hau­sen, in: Go­des­ber­ger Hei­mat­blät­ter 35 (1997), S. 47-63.

Hell­berg, Hel­mut, Die Frau­en vom Au­er­hof [spä­ter Haus Car­stan­jen]. „Früh­fe­mi­nis­mus“ in Bonn, in: Go­des­ber­ger Hei­mat­blät­ter 24 (1986), S. 14-35.

Hou­ben, Hein­rich Hu­bert, Die Rhein­grä­fin. Das Le­ben der Köl­ne­rin Si­byl­le Mer­tens-Schaaff­hau­sen, Es­sen 1935.

Le­wald, Fan­ny, Rö­mi­sches Ta­ge­buch 1845/46, hg. v. Hein­rich Spie­ro, Leip­zig 1927.

Mau­rer, Do­ris, Der Sa­lon der Si­byl­la Mer­tens-Schaaff­hau­sen, in: Jüs­sen, An­ne (Hg.), Die Töch­ter der Lo­re­ley. Ro­man­tik, Re­vo­lu­ti­on und Fey­sinn. Frau­en am Rhein, Ro­ßdorf 2004, S. 113-131.

Mau­rer, Do­ris u. Ar­nold E., Ein Bon­ner Sa­lon. Si­byl­le Mer­tens-Schaaff­hau­sen und ihr Kreis, in: Bonn er­zählt. Streif­zü­ge durch das li­te­ra­ri­sche Bonn von 1780-1980, Bonn 1983, S. 61-72.

Ot­ten­dorf-Sim­rock, Walt­her, Si­byl­le Mer­tens-Schaaff­hau­sen und ihr Stamm­buch, in: Bon­ner Ge­schichts­blät­ter 14 (1960), S. 29-68.

Stei­de­le, An­ge­la, Ge­schich­te ei­ner Lie­be. Ade­le Scho­pen­hau­er und Si­byl­le Mer­tens, Ber­lin 2010. 

Porträt von Sibylle Mertens-Schaaffhausen. (Stadtmuseum Bonn, SMB 2020/131)

 
Zitationshinweis

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Fabbri, Francesca, Weibliche Salonkultur im 19. Jahrhundert und die Salons der Sibylle Mertens-Schaaffhausen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/weibliche-salonkultur-im-19.-jahrhundert-und-die-salons-der-sibylle-mertens-schaaffhausen/DE-2086/lido/621dee066e4813.97426251 (abgerufen am 07.12.2024)