Zu den Kapiteln
Aus gutem Grund betonte „Das Buch der deutschen Gaue“ noch im Jahre 1938, dass „die Verdienste der Gaue weniger aus den Wahlergebnissen zu erlesen [seien], als vielmehr aus der Summe der Widerstände“, die die Nationalsozialisten in der „Kampfzeit“ im „Gau Rheinland“ und mithin im Gebiet der 1931 hieraus hervorgegangenen Gaue Köln-Aachen und Koblenz-Trier hatten überwinden müssen, weil hier die „Wiege des Marxismus“ – mit Trier und Köln als Geburts- und Wirkungsstätten von Karl Marx – und die Hochburg(en) des politischen Katholizismus – in Gestalt des alle Positionen des öffentlichen Lebens prägenden Zentrum – gelegen gewesen war. Hinzu kam, wie der Köln-Aachener Gauleiter Josef Grohé noch Ende 1940 in seinem ebenso betitelten Vortrag an der Universität Bonn über „Den politischen Kampf im Rheinlande nach dem Weltkriege“ hervorhob, die im Versailler Vertrag festgeschriebene und in den 1920er Jahren drastisch durchgeführte alliierte Rheinlandbesetzung, die die nationalsozialistischen Propagandamöglichkeiten aufs äußerste limitiert hatte. Denn natürlich bedurfte es aus Sicht der rheinländischen respektive der Köln-Aachener NS-Prominenz einer Erklärung für die Tatsache, dass der Gau Köln-Aachen hinsichtlich der vor dem 30.1.1933 erfolgten Parteieintritte an 31. und damit an vorletzter Stelle aller NSDAP-Gaue positioniert war, so dass der Hinweis auf die oben genannten „ungeheuren Widerstände“ gegen eine NS-Expansion im Rheinland nur willkommen sein konnte.
Bezeichnenderweise war 1919 der „Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund“ (DVSTB), die Keimzelle des rechtsextremen und revanchistischen Gedankengutes im Rheinland, im knapp außerhalb der alliierten Besatzungszone gelegenen Duisburg entstanden, dessen Dunstkreis wiederum viele der (späteren) rheinischen Nationalsozialisten wie Josef Grohé oder Heinz Haake entstammten. Im Gefolge von Rathenau-Mord, Ruhrbesetzung und „Hitler-Putsch“ ständig von Verboten zu Neu-Namengebungen wie „Deutschvölkischer Wahlverein“ (zum Jahreswechsel 1923/1924), „Völkisch-Sozialer Block“ (im Mai 1924) und „Nationalsozialistische Freiheitsbewegung“ (im August 1924) gezwungen, schlossen sich nach Hitlers Haftentlassung vom 20.12.1924 die meisten Mitglieder der „Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung“ der im Februar 1925 „neugegründeten“ NSDAP an und konstituierten sich als „Gau Rheinland-Süd“ mit Heinz Haake als Gauleiter und Josef Grohé als „Gaugeschäftsführer“, indem Hitler am 27.3.1925 Haake „(…) mit der Durchführung der Organisation der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei im Gau Rheinland-Süd (umfassend [die] Reichstagswahlkreise Coblenz-Trier und Cöln-Aachen)“ beauftragte und ihn als „verantwortlichen Führer dieses Gaues bis zu einer späteren endgültigen Regelung“ bestätigte.
Da Heinz Haake aber im Dezember 1924 mit zehn anderen „völkischen“ Abgeordneten in den Preußischen Landtag gewählt worden war und dabei als einziger dieser elf sich nach Hitlers Haftentlassung zu letzterem (und nicht zur „Konkurrenzgründung“ in Gestalt der „Deutschvölkischen Freiheitspartei“) geschlagen hatte, musste Haake vorrangig in Berlin vor Ort sein, zumal er seinen Arbeitsplatz bei einer Bank verloren hatte und folglich von seinen Landtags-Diäten abhängig war. Dazu kam, dass sich sein großmäuliger „Gaugeschäftsführer“ Grohé penetrant weigerte, Haakes aus Berlin erteilten Anweisungen nachzukommen, so dass Haake schon Anfang Juni 1925 Dr. Robert Ley bat, für ihn die Leitung des neuen „Gaues Rheinland-Süd“ zu übernehmen, was von Hitler schon Mitte Juli desselben Jahres schriftlich bestätigt wurde.
Jener „Gau Rheinland-Süd“ – seit der Anfang 1926 erfolgten Vereinigung des „Gaues Rheinland-Nord“ mit dem „Gau Westfalen“ zum „Großgau Ruhr“ nur noch „Gau Rheinland“ genannt – stimmte mitnichten mit den staatlichen Verwaltungsgrenzen überein, sondern umfasste im Norden die Regierungsbezirke Köln und Aachen, dazu Teile des Regierungsbezirkes Düsseldorf mit Solingen, Opladen (heute Stadt Solingen) und Wermelskirchen und im Süden die Regierungsbezirke Koblenz und Trier sowie das Land Birkenfeld und einen Teil der Provinz Hessen-Nassau, was in summa einen allzu umfangreichen Gau ergab, der darüber hinaus „(…) mit seinen weitgehend katholischen, im südlichen Teil zudem stark agrarisch geprägten und wenig dicht besiedelten Gebiet immer zu den schwächeren Gauen der NSDAP“ gehören sollte (Albrecht Tyrell, Gauleiterwechsel, S. 257). Obwohl im Februar 1927 Nassau an den „Gau Hessen-Nassau-Süd“ und im Oktober 1928 der Landkreis Solingen an den NSDAP-„Bezirk Bergisches Land/Niederrhein“ abgegeben wurden, war der Ley’sche Gau auch danach noch immer zu unübersichtlich, zu uneinheitlich und zu umfänglich. Deshalb drängte der ehrgeizige Koblenzer NSDAP-„Bezirks“-Leiter Gustav Simon völlig zu Recht auf eine Teilung des „Gaues Rheinland“, indem er am 7.10.1930 in einem siebenseitigen Schriftstück von der Münchner Reichsorganisationsleitung forderte, auch im Gebiet des „Gaues Rheinland“ die Regel „Reichstagswahlkreis gleich Gau“ zur Anwendung zu bringen und dementsprechend den „Gau Rheinland“ entlang der beiden Reichstagswahlkreise Köln-Aachen und Koblenz-Trier kurzerhand zu teilen, was nach Leys „Abfindung“ als neu institutionalisierter „Gau-Inspektor“ innerhalb der von Gregor Strasser geleiteten Münchner Reichsorganisationsleitung dann am 1.6.1931 geschah.
Doch während der emsige Gustav Simon sofort mit der Leitung „seines“ neuen „Gaues Koblenz-Trier“ belohnt wurde, ließ die Münchner NSDAP-Zentrale den Ley-Stellvertreter und nunmehrigen Nachfolger Josef Grohé wohl wegen seiner früheren Eigenmächtigkeiten und Widerspenstigkeiten bis zum Herbst des Jahres 1931 warten, bis er zum Leiter des neuen „Gaues Köln-Aachen“ inthronisiert wurde, wobei beide, Grohé wie auch Simon, bis zum Ende des „Dritten Reiches“ Leiter „ihrer“ Gaue bleiben sollten.
Der so entstandene „Gau Köln-Aachen“ blieb dennoch ein „Gebiet mit vorwiegend katholischer Bevölkerung und weitgehend agrarischer Struktur“ (Walter Först) und bescherte den Nationalsozialisten bis zur „Machtergreifung“ die eingangs erwähnten Schwierigkeiten bei der Parteimitglieder-Rekrutierung, was sich aber nach dem 30.1.1933 insofern radikal änderte, als nun auch die über 80 Prozent Katholiken im „Gau Köln-Aachen“ ihre Scheu vor der (NS-) „Bewegung“ ablegten, so dass man nun überproportional viele NSDAP-Eintritte verzeichnete und bald in puncto Parteimitgliedschaft auf den zehnten Platz der 32 damals existierenden Partei-Gaue vorrückte.
Dabei lag man mit 2,3 Millionen Einwohnern und etwa 7.100 Quadratkilometern Fläche im oberen respektive im untersten Mittelfeld aller Parteigaue wie auch der fünf rheinischen Gaue, von denen die Gaue Essen (1,9 Millionen Einwohner auf 2.800 Quadratkilometern Fläche) und Düsseldorf (2,2 Millionen auf knapp 2.700 Quadratkilometern) zwar flächenmäßig wesentlich kleiner, die Gaue Koblenz-Trier (ab 1942 „Gau Moselland“, 1,3 Millionen auf fast 12.000 Quadratkilometern) und Saarpfalz (ab 1942 „Gau Westmark“, 1,8 Millionen auf 7.400 Quadratkilometernqkm) hingegen in puncto Einwohnerzahl kleiner und flächenmäßig größer waren. Dementsprechend verteilten sich die 18 NSDAP-Kreise (Aachen-Stadt und –Land, Bergheim, Bonn, Düren, Erkelenz, Euskirchen, Geilenkirchen, Jülich, Köln linksrheinisch-Nord und –Süd, Köln rechtsrheinisch, Köln-Land, Monschau, Oberbergischer Kreis, Rheinisch-Bergischer Kreis, Schleiden und Siegkreis) auf ein Gebiet, das von Aachen im Westen und Gummersbach im (Nord-) Osten und von Heinsberg im Nordwesten bis Schleiden im Süden reichte, wobei, wie Rolf Zerlett in seiner Grohé-Studie zu Recht festgestellt hat, die wirtschaftliche Bedeutung als Industriegebiet mit Köln als der viertgrößten Stadt Deutschlands dem Gau Köln-Aachen „eine besondere Position unter den NS-Gauen“ zugewiesen hat. Gerade deshalb wog der Umstand, dass der „Gau Köln-Aachen“ (analog zu den anderen rheinischen Gauen) in der entmilitarisierten Zone lag und deshalb durchaus gewisse Handelshemmnisse zu ertragen hatte, besonders schwer, so dass Hitlers fait accompli in Gestalt der Rheinland-Remilitarisierung vom 7.3.1936 nicht allein Gauleiter Grohés blinden, quasi-religiösen „Glauben“ an den „Führer“ vervielfachte, sondern ökonomisch tatsächlich einen „take off“ zur Folge hatte, was „Das Buch der deutschen Gaue“ entsprechend kommentierte: „Die Tat des Führers vom 7. März 1936 bedeutete für die gesamte westdeutsche Wirtschaft einen Wendepunkt.“ Danach forcierte Gauleiter Grohé seine Pläne, Köln zur „Gauhauptstadt“ und zur „Metropole des Westens“ auszubauen, wobei Hitler schon im Jahr der „Machtergreifung“ Köln (zusammen mit Leipzig) als „Hauptstädte des deutschen Handels“ deklariert und man sich ab Oktober 1935 den Titel einer „Hansestadt Köln“ zugesprochen hatte, die als „Tor zum Westen“ geradezu wirtschaftsimperialistische Ambitionen entwickeln sollte, wie auch das 1938 erschienene „Buch der deutschen Gaue“ dem Köln-Aachener Gau fast schon im Vorgriff auf die kommende „Grenzlandpolitik“ eine „außerordentliche weltwirtschaftliche Bedeutung“ bescheinigte. Eben dort aber war man einige Seiten zuvor noch deutlicher geworden, indem Köln (in seiner Rolle als Universitätsstadt) nicht nur als „Einfallstor für fremde, aus dem Westen kommende Geistesrichtungen“, sondern als „das deutsche Ausfallstor für viele Länder der Welt“ bezeichnet wurde.
Dies lief, wie alle nationalsozialistischen Anstrengungen, auf den (geplanten) kommenden Weltkrieg und die damit verbundene „Grenzlandpolitik“ hinaus, durch die Grenzen zu Fronten und Zonen „ewigen Kampfes“ werden sollten und dem „Gau Köln-Aachen“ als „Grenzgau“ die Aufgabe zukam, über das 1940 annektierte Eupen-Malmedy die „Nationalsozialisierung“ der (späteren) Beneluxgebiete voranzutreiben. Und als im Sommer 1944 der fanatische Köln-Aachener Gauleiter Josef Grohé von Hitler zum „Reichskommissar für Belgien und Nordfrankreich“ ernannt wurde, schien für einen kurzen Moment Grohés „Traum von einer entscheidenden Rolle im westeuropäischen Raum mit Köln als politischem Zentrum“ (Horst Matzerath) in Erfüllung zu gehen, bis der unaufhaltsame Vormarsch der alliierten Verbände solche nationalsozialistischen Megalomanien beendete.
Literatur
Das Ringen um die rheinischen Herzen [Der Gau Köln-Aachen], in: Das Buch der deutschen Gaue. Fünf Jahre nationalsozialistische Aufbauleistung, Bayreuth 1938.
Först, Walter, Die rheinischen Gauleiter, in: Först, Walter (Hg.), Städte nach zwei Weltkriegen, Köln [u.a.] 1984, S. 121-139, 229-230.
Der Gau Köln-Aachen der NSDAP im Vergleich zu einigen anderen Gauen sowie dem Reichsganzen. Strukturelle Feststellungen, unter einigen grossen Gesichtspunkten [Manuskirript, circa 1936].
Hüttenberger, Peter, Die Gauleiter. Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP, Stuttgart 1969.
Matzerath, Horst, Köln in der Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 (Geschichte der Stadt Köln 12), Köln 2009. [S. 172].
Müller, Thomas, Der Gau Köln-Aachen und Grenzlandpolitik im Nordwesen des Deutschen Reiches, in: John, Jürgen/Möller, Horst/Schaarschmidt, Thomas (Hg.), Die NS-Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen „Führerstaat“, München 2007, S. 318-333.
Reichsorganisationsleiter der NSDAP (Hg.), Partei-Statistik. Stand: 1. Januar 1935. [Manuskript München 1935].
Schmidt, Peter, Zwanzig Jahre Soldat Adolf Hitlers – Zehn Jahre Gauleiter. Ein Buch von Kampf und Treue, Köln 1941.
Tyrell, Albrecht (Hg.), „Führer befiehl…“ Selbstzeugnisse aus der „Kampfzeit“ der NSDAP, Bindlach 1991 [Erstausgabe Düsseldorf 1969].
Tyrell, Albrecht, Führergedanke und Gauleiterwechsel. Die Teilung des Gaues Rheinland der NSDAP 1931, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 39 (1975), S. 237-271.
Zerlett, Rolf, Josef Grohé (1902-1987), in: Rheinische Lebensbilder 17 (1997), S. 247-276.
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Wallraff, Horst, Gau Köln-Aachen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Orte-und-Raeume/gau-koeln-aachen/DE-2086/lido/57d127e20500c5.92861070 (abgerufen am 12.11.2024)