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Geprägt durch ihre Kindheit und Jugend im katholischen Milieu, engagierte sich Aenne Brauksiepe nach dem Zweiten Weltkrieg in der Politik. Über viele Jahre hinweg gestaltete sie maßgeblich die Geschichte der Frauen-Union der CDU mit und stritt für Gleichberechtigung in Gesellschaft und Politik. Ihrer Überzeugung nach sei gerade die Frau „mit ihren spezifischen Fähigkeiten, ihrer Weltoffenheit und ihrem Ganzheitsdenken in der Politik gefordert“.
Geboren wurde Aenne Brauksiepe am 23.2.1912 als zweite Tochter des Reichsbahnbeamten Heinrich Engels und seiner Frau Käthe in Duisburg. Vor allem von der in der katholischen Frauenbewegung und als Stadtverordnete der Zentrumspartei aktiven Mutter lernte sie, soziales und politisches Engagement als Selbstverständlichkeit zu betrachten. Während der großen Arbeitslosigkeit im Zuge der Weltwirtschaftskrise ab 1929 unterstützte sie ihre Mutter bei dem Bemühen, die Not in den Arbeitervierteln ihrer Heimatstadt zu lindern. Aenne Brauksiepe wurde Mitglied der katholischen Jugendbewegung und Vorsitzende des Liebfrauenbundes in Duisburg, einer Vereinigung von Schülerinnen der von den „Schwestern unserer lieben Frau“ geleiteten Schulen. Am katholischen Oberlyzeum legte sie 1931 das Abitur ab und arbeitete zunächst als Erzieherin in einem Heim für blinde und behinderte Kinder. Sie verließ Deutschland 1934, nachdem sie aufgrund der politischen Haltung der Familie im „Dritten Reich“ nicht zum Studium zugelassen worden war, und besuchte ein College in Glasgow. 1937 heiratete sie den Journalisten Werner Brauksiepe (1910–1985) und lebte mit ihm in den Niederlanden, wo sie wiederum behinderte Kinder unterrichtete. 1943 kehrte das Paar nach Duisburg zurück, wo der Sohn Bernd zur Welt kam.
Unmittelbar nach Kriegsende engagierte sich Aenne Brauksiepe wieder sozial und nun auch politisch. Sie war in Duisburg Mitgründerin eines überparteilichen Frauenausschusses zur Unterstützung von Flüchtlingen, Obdachlosen und anderen Bedürftigen. Politisch befürwortete sie die Bildung einer überkonfessionellen christlichen Volkspartei und gehörte zum Gründerkreis der CDU in ihrer Heimatstadt. Bei den ersten Kommunalwahlen 1946 gelang ihr als einzige Frau der Einzug in die in die Stadtverordnetenversammlung. In der Kommunalpolitik sah sie „die beste Vorschule für spätere politische Einsätze“. Man lerne „zu formulieren, in Fachausschüssen weiter zu denken, die Gegenseite zu akzeptieren als bemüht […] und hinterher den Mehrheitsbeschluss mit Spaß hinzunehmen“. Sie wurde auch im Rahmen des katholischen Milieus wieder aktiv, etwa als zweite Vorsitzende des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) und Vizepräsidentin des Familienbundes Deutscher Katholiken. Beobachter sollten ihr deshalb später bescheinigen, sie verfüge über eine „furchterregende frommfrauliche Hausmacht“.
Mitstreiterinnen im KDFB waren es, die Aenne Brauksiepe überzeugten, nach einigem Zögern in eine Kandidatur für den 1. Deutschen Bundestag einzuwilligen. Sie gewann das Mandat in einem Kölner Wahlkreis mit deutlichem Vorsprung und verteidigte es bei den fünf folgenden Wahlen erfolgreich. Als „personifizierter Bindestrich“ zwischen Rheinland und Westfalen pendelte sie zwischen Bonn, ihrem Kölner Wahlkreis und dem münsterländischen Oelde, wo die Familie Mitte der 1950er Jahre ihren Wohnsitz nahm. Im Bundestag beschränkte sich Aenne Brauksiepe keineswegs auf „frauenrelevante“ Themen wie das Mutterschutzgesetz oder die Einführung von Kindergeld und Witwenrente. Ein wichtiges Anliegen war ihr die europäische Integration, weshalb sie engagiert für die Annahme des Schuman-Plans einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl stritt und auch die weiteren Schritte auf dem Weg der europäischen Integration unterstützte. Ebenso unterstützte sie Konrad Adenauers Kurs der Westintegration und damit verbunden die Aufstellung bundesdeutscher Streitkräfte im Rahmen des westlichen Bündnisses. Sie war sich darüber im Klaren, dass die gesellschaftliche Akzeptanz eines solchen Wehrbeitrags nur möglich war, wenn es gelang, die Zustimmung der durch den Krieg vielfach leidgeprüften und darum oftmals zögernden Frauen zu erreichen. In der Wehrdebatte des Deutschen Bundestages am 7.2.1952 erklärte sie, angesichts des Ost-West-Konflikts und der Bedrohung durch die Sowjetunion sei ein „Ausweichen in die Neutralität“ schlicht „nicht möglich“. Ein Ja der Frauen zu einer Armee als „ein der Sicherung des Friedens dienendes Verteidigungsinstrument“ sei daher ein Beitrag zur Friedenssicherung und Wahrung der Freiheit. Die Rede erregte so viel Aufmerksamkeit, dass die CDU sie unter dem Titel „Eine Frau spricht gegen die Angst“ als Broschüre verteilte. Aenne Brauksiepes Einfluss innerhalb der Frauengruppe der CDU/CSU im Deutschen Bundestag wie auch in der Gesamtfraktion wuchs kontinuierlich. Am 15.12.1964 rückte sie als Nachfolgerin der verstorbenen Luise Rehling (1896-1964) zur stellvertretenden Vorsitzenden ihrer Fraktion auf.
Von Konrad Adenauer bekam Aenne Brauksiepe nach eigenem Bekunden den Rat, man müsse, um in der Politik Erfolg zu haben, sich eine Sache vornehmen, dann die richtigen Mitstreiter suchen und sie dann schließlich konsequent zu Ende bringen. Entsprechend handelte sie, als nach der Bundestagswahl 1961 durchsickerte, dass wieder keine Frau mit einem Ministeramt betraut werden sollte. Mit anderen weiblichen Mitgliedern der Fraktion veranstaltete sie eine Art Sit-In im Bundeskanzleramt, entschlossen, das Feld erst zu räumen, wenn auf der neuen Kabinettsliste auch eine Frau Platz gefunden hätte. Adenauer willigte schließlich ein und übertrug die Leitung des – eigens geschaffenen – Gesundheitsministeriums der CDU-Politikerin Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986).
„Wir Frauen sind eine Macht, dass wir es nicht wissen, schränkt unsere Macht ein.“ Gemäß dieser Überzeugung ermutigte Aenne Brauksiepe Frauen immer wieder, Staat und Gesellschaft mitgestaltend tätig zu werden. Die „die Last der Geschichte“ sei „Männern und Frauen gleichermaßen auferlegt“. Vor dem Hintergrund der sich anbahnenden tiefgreifenden Veränderungen der weiblichen Rolle in Familie und Volkswirtschaft, die sie früher als viele in ihrer Partei wahrnahm, betrachtete sie es als „Grundsatzfrage künftiger Familienpolitik“, die Familie als Grundwert der Verfassung zu erhalten, zugleich aber den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen. Notwendig sei die gleichberechtigte Anerkennung differenzierter weiblicher Lebensläufe. Alleinstehende berufstätige Frauen, alleinerziehende Mütter, verheiratete Frauen mit Beruf und Kindern, „Nur-Hausfrauen“ - sie alle verdienten gleichermaßen gesellschaftliche Anerkennung und Förderung. Staat und Wirtschaft müssten Frauen nach der Kindererziehung die Rückkehr in das Berufsleben durch Weiterbildung, Umschulung usw. ermöglichen. Ihrer Partei hielt sie vor, die Interessen berufstätiger Frauen zu vernachlässigen, denen die SPD hingegen große Aufmerksamkeit widme.
Von 1958 an war Aenne Brauksiepe zunächst Ko-, dann alleinige Vorsitzende der Bundesvereinigung der Frauen der CDU. Unter ihrer Führung wurde 1964 unter dem Titel „Frau und Arbeitswelt – morgen“ der erste Frauenkongress der CDU durchgeführt. Seine Bedeutung sah sie darin, der eigenen Partei die Kluft zwischen dem vielfach noch vorherrschenden antiquierten Frauenbild und der gesellschaftlichen Realität bewusst gemacht zu haben. 1969 folgte ein weiterer Kongress zum Thema „Die Frau im Spannungsfeld unserer Zeit“, der sich mit dem Problem der Vereinbarkeit von familiären und außerfamiliären Aufgaben von Frauen auseinandersetzte.
Als der amtierende Bundesminister für Familie und Jugend, Bruno Heck (1917-1989), im Oktober 1968 auf sein Amt verzichtet, wurde Aenne Brauksiepe, die schon länger als „ministrabel“ galt, seine Nachfolgerin und die dritte Bundesministerin in der Geschichte der Bundesrepublik. In ihre kurze Amtszeit fiel neben Initiativen für die Schulfreiheit an Samstagen, die Vätern mehr Zeit mit ihren Kindern ermöglichen sollte, für die rechtliche Gleichstellung unehelicher Kinder auch die Verabschiedung des „Ersten Gesetzes über individuelle Förderung und Ausbildung“, das in Fortschreibung des „Honnefer Modells“ die Ausbildungs- und Studienförderung junger Menschen regelte.
Auch mit den Protesten der „68er“ wurde die neue Ministerin unmittelbar konfrontiert, als eine Gruppe Studenten ins Ministerium eindrang, um vor dem Ministerbüro mit einem „Sit-In“ dagegen zu protestieren, dass ein „repressionsfreies Studium“ nicht möglich sei. Zur Verblüffung aller Anwesenden ließ Aenne Brauksiepe sich ebenfalls auf dem Boden nieder und diskutierte zwei Stunden mit den Protestierenden, denen sie eine Fortsetzung des Gesprächs in Aussicht stellte, „wenn alle sich sachkundig gemacht haben“.
Gelegentlich äußerte Aenne Brauksiepe die Überzeugung, man müsse als Frau in der Politik „auftreten wie eine Lady und kämpfen wie ein Schlachtross“. Diese Kampfeslust bekam kurz vor der Bundestagswahl 1969 der Schriftsteller Heinrich Böll (1917-1985) zu spüren. Er hatte in einem „Offener Brief an eine deutsche Frau“ betitelten Text den Versuch unternommen, die Wählerinnen der Union „aus der unwürdigen Situation zu befreien, ´Stimmvieh´ für die CDU/CSU zu sein“, und dabei einen ausgesprochen arroganten und herablassenden Ton angeschlagen. Frauen sollten nicht aus falsch verstandener Treue und Gewohnheit ihre Wahlentscheidung treffen und obendrein doch bitte „ihre Sympathien erotischer Art streng von der Politik trennen“. Aenne Brauksiepe beantwortete diese Unverschämtheit unter der Überschrift „Ansichten eines Clowns“ mit schneidender Schärfe: Böll verstehe offenkundig ebenso wenig von Frauen wie von Politik. Hingegen besitze er – einem Clown angemessen – „einen unerhörten Mut zur Lächerlichkeit“. Hinter der Wahlentscheidung von Frauen stecke „eine sehr bewusste politische Entscheidung“, diese wüssten „besser als die Träumer vom Schlage eines Herrn Böll, worauf es ankommt“.
Mit der Bildung der sozialliberalen Koalition 1969 endete Aenne Brauksiepes kurze Amtszeit als Ministerin. Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag 1972 zog sie sich sukzessive auch aus ihren anderen Funktionen zurück. In den folgenden Jahren wurde sie mit zahlreichen staatlichen und kirchlichen Auszeichnungen geehrt. Ihre ehemalige Mitstreiterin Hanna-Renate Laurien (1928-2010) bescheinigte ihr, „entscheidend zum Wandel des Frauenbildes in Deutschland beigetragen“ zu haben. Sie sei eine der Frauen gewesen, „die sich zu Wort melden und nicht in einer Tanzstundenhaltung warten, bis man sie auffordert“.
Aenne Brauksiepe starb am 1.1.1997 in ihrem Haus in Oelde.
Quellen
Rede in der Wehrdebatte des Deutschen Bundestages am 7.2.1952 [Online]
„Ansichten eines Clowns“. Antwort auf Heinrich Böll vom 16.9.1969 [Online]
Beileidsschreiben von Bundeskanzler Helmut Kohl zum Tod von Aenne Brauksiepe, in: Bulletin der Bundesregierung vom 16.1.1997 [Online]
Werke
Grundsatzfragen künftiger Familienpolitik. Bonn, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 1969.
Literatur
Henkels, Walter, 99 Bonner Köpfe. Durchgesehene und ergänzte Ausgabe Frankfurt a.M. 1965, S. 54-55.
Kaff, Brigitte, Aenne Brauksiepe (1912–1997), in: Aretz, Jürgen/Morsey, Rudolf/Rauscher, Anton (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Band 9, Münster 1999, S. 277–289.
Keller-Kühne, Angela, 50 Jahre Frauen-Union. Katalog zur Ausstellung der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin 1998. [Online]
Krause-Brewer, Fides, Amtszeiten und Wirkungsschwerpunkte der Bundesfamilienministerinnen und Bundesfamilienminister, in: Bundesministerium für Familie und Senioren (Hg.), 40 Jahre Familienpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Rückblick – Ausblick. Neuwied 1993, S. 15–36.
Laurien, Hanna-Renate, Aenne Brauksiepe – immer einen Schritt voraus, in: Weichert-von Hassel, Monika (Hg.), Der zerrissene Schleier. Frauen in unserer Zeit, Bonn 1987, S. 209–211.
Lenz, Marlene (Hg.), Aenne Brauksiepe zum 75. Geburtstag, Selbstdruck 1987.
Schroeder, Christa, Von einer mitreißenden Überzeugung: Aenne Brauksiepe, in: Hellwig, Renate (Hg.), Die Christdemokratinnen - Unterwegs zur Partnerschaft, Stuttgart/Herford 1984, S. 184–193.
Süssmuth, Hans, Kleine Geschichte der CDU-Frauen-Union: Erfolge und Rückschläge 1948–1990, Baden-Baden 1990.
Vierhaus, Rudolf/Herbst, Ludolf (Hg.)/Jahn, Bruno (Mitarb.), Biographisches Handbuch der Mitglieder des Deutschen Bundestages, 1949–2002, Band 1: A–M, München 2002, S. 94.
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Beckmann, Christopher, Aenne Brauksiepe, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/aenne-brauksiepe/DE-2086/lido/6011198b8e01a5.40124804 (abgerufen am 03.12.2024)