Albert Konrad Gemmeker

SS-Obersturmführer, Kommandant des Lagers Westerbork (1907-1982)

Renate Franz (Köln)

Fotografie von Albert Konrad Gemmeker, dem Kommandanten des Durchgangslagers Westerbork, vom 17. Februar 1967. (Fotograf unbekannt, Nationalarchiv / Anefo, CC0/Public Domain)

Der SS-Ober­sturm­füh­rer Al­bert Gem­me­ker war von Ok­to­ber 1942 bis April 1945 Kom­man­dant des „Po­li­zei­li­chen Durch­gangs­la­gers Wes­ter­bor­k“ in den Nie­der­lan­den, von dem aus rund 80.000 jü­di­sche Men­schen in die Ver­nich­tungs­la­ger im Os­ten de­por­tiert wur­den. Am 2.1.1949 wur­de er in den Nie­der­lan­den zu zehn Jah­ren Haft ver­ur­teilt, von de­nen er zwei Jah­re ver­bü­ß­te. Nach sei­ner Ent­las­sung aus der Haft kehr­te er in sei­ne Hei­mat­stadt Düs­sel­dorf zu­rück. Bis zum En­de sei­nes Le­bens be­teu­er­te er, nicht ge­wusst zu ha­ben, dass die Men­schen nach der De­por­ta­ti­on er­mor­det wur­den.

Al­bert Gem­me­ker wur­de am 27.9.1907 als vier­tes und jüngs­tes Kind von Karl und The­re­se Gem­me­ker ge­bo­re­ne Kö­nigs in Düs­sel­dorf-De­ren­dorf ge­bo­ren. Er hat­te zwei Brü­der und ei­ne Schwes­ter. Der Va­ter war Stein­metz und be­ar­bei­te­te vor al­lem Grab­stei­ne für den na­he ge­le­ge­nen Nord­fried­hof. Die Fa­mi­lie war ka­tho­lisch und wohn­te in der Ka­no­nier­stra­ße. Al­bert Gem­me­ker be­such­te die Ka­tho­li­sche Volks­schu­le (heu­te Tho­mas-Schu­le). 1916 starb die Mut­ter nach ei­nem Trep­pen­sturz; noch in­ner­halb Jah­res­frist hei­ra­te­te der Va­ter er­neut. Die Ju­gend von Gem­me­ker war ge­prägt vom frü­hen Tod der Mut­ter, dem Ers­ten Welt­krieg und den an­schlie­ßen­den ge­walt­tä­ti­gen Kon­flik­ten im Rhein­land.

In den 1920er Jah­ren er­hielt Karl Gem­me­ker kaum noch Auf­trä­ge, wes­halb der Sohn nach dem Ver­las­sen der Schu­le im Al­ter von 14 Jah­ren als Lauf­bur­sche bei der Vik­to­ria-Ver­si­che­rung zu ar­bei­ten an­fing. Er hät­te ger­ne sei­ne Schul­lauf­bahn fort­ge­setzt und das Gör­res-Gym­na­si­um be­sucht, doch der Va­ter war da­ge­gen. 1926 wur­de Al­bert Gem­me­ker ar­beits­los.

Im Jahr dar­auf be­gann Gem­me­ker ei­ne ein­jäh­ri­ge Aus­bil­dung an der Po­li­zei­schu­le in Bonn und ar­bei­te­te an­schlie­ßend bei der Schutz­po­li­zei in Duis­burg, vor­zugs­wei­se im In­nen­dienst, bis er En­de 1932, An­fang 1933 ei­ne wei­te­re Prü­fung ab­leg­te, um sich durch Fort­bil­dung und „über­durch­schnitt­li­che Loya­li­tät“ zu emp­feh­len. 1933 wur­de Gem­me­ker in sei­ner Hei­mat­stadt As­sis­tent des Ver­bin­dungs­of­fi­ziers der Po­li­zei mit dem Bü­ro des Re­gie­rungs­prä­si­den­ten. Im sel­ben Jahr hei­ra­te­te er die zwei Jah­re äl­te­re Ma­ria Gas­sen. Die Ehe wur­de im März 1938 ge­schie­den. We­ni­ge Wo­chen spä­ter hei­ra­te­te er sei­ne zwei­te Frau, Kä­the Wun­der­ling. Be­reits vor der Ehe­schlie­ßung hat­te das Paar ei­ne ge­mein­sa­me Toch­ter be­kom­men, auf die bis 1942 zwei wei­te­re Mäd­chen folg­ten.

1935 wech­sel­te Al­bert Gem­me­ker zur Ge­hei­men Staats­po­li­zei (Ge­sta­po) in Düs­sel­dorf. In Ver­hö­ren nach den Kriegs­jah­ren gab er an, ge­hofft zu ha­ben, so schnel­ler Kar­rie­re zu ma­chen. En­de 1937 wur­de er Chef der Ab­tei­lung 1 C3, die ver­ant­wort­lich war für das In­kas­so der Kos­ten für Schutz­haft, die die In­haf­tier­ten selbst zah­len muss­ten, für je­den Tag 1,50 Mark. Er sei, so sei­ne Aus­sa­ge, le­dig­lich in der Ver­wal­tung tä­tig ge­we­sen und ha­be sich nicht an Ak­tio­nen der Ge­sta­po be­tei­ligt, wie et­wa Ver­haf­tun­gen und „ver­schärf­ten Ver­hö­ren“. Auch von den Po­gro­men am 9. No­vem­ber 1938 ha­be er „nichts mit­be­kom­men“. Der His­to­ri­ker van Liempt fand je­doch ein Do­ku­ment mit In­struk­tio­nen für die­se Nacht, die von je­man­dem na­mens ''Gem­me­ke'' (Gem­me­kers Na­me wur­de häu­fig falsch ge­schrie­ben) te­le­fo­nisch nach Kre­feld durch­ge­ge­ben wor­den wa­ren.

Am 1.5.1937 trat Al­bert Gem­me­ker der NS­DAP (Mit­glieds­num­mer 5.620.430) und am 1.11.1940 der SS bei. Am 25.8.1940 wur­de er nach Den Haag ver­setzt, nach­dem er von Ober­re­gie­rungs­rat Karl Ha­sel­ba­cher (1904-1940) als „au­ßer­ge­wöhn­lich qua­li­fi­zier­ter Be­am­ter“ emp­foh­len wor­den war. Dort war er beim Be­fehls­ha­ber der Si­cher­heits­po­li­zei und des SD (BdS) bis Ju­ni 1942 als Per­so­nal­re­fe­rent tä­tig, sein Vor­ge­setz­ter war der Be­fehls­ha­ber der Si­cher­heits­po­li­zei und des SD Wil­helm Hars­ter (1904-1991). Von Mai bis Au­gust 1941 be­such­te er ei­nen Lehr­gang an der SD-Füh­rer­schu­le in Ber­nau und leg­te die Prü­fung zum Po­li­zei-In­spek­tor ab – ein wei­te­rer Kar­rie­re­schritt. Nach Ein­schät­zung des His­to­ri­kers Hans-Chris­ti­an Har­ten war die­se In­sti­tu­ti­on ein „Schu­lungs­ort für Mas­sen­mor­d“.

Im Ju­ni 1942 wur­de Al­bert Gem­me­ker – für ihn über­ra­schend – die Lei­tung des Gei­sel­la­gers Sint-Mi­chiels­ge­s­tel über­tra­gen, auf Emp­feh­lung von Wil­helm Hars­ter und trotz feh­len­der prak­ti­scher Er­fah­rung. Dort, in ei­nem ehe­ma­li­gen Klos­ter, wa­ren so­ge­nann­te „in­di­sche Gei­seln“, zum Teil pro­mi­nen­te Per­so­nen – Po­li­ti­ker, Wis­sen­schaft­ler und Künst­ler – un­ter­ge­bracht, die aus Ver­gel­tung der Ver­haf­tung von Deut­schen in Nie­der­län­disch-In­di­en fest­ge­hal­ten wur­den. Wäh­rend Gem­me­kers Zeit in die­sem La­ger wur­den acht Gei­seln hin­ge­rich­tet, ei­ne Re­ak­ti­on auf Sa­bo­ta­ge­ak­te des nie­der­län­di­schen Wi­der­stan­des und auf An­wei­sung des Reichs­kom­mis­sa­ri­ats. Gem­me­ker be­rei­te­te die Exe­ku­tio­nen vor, war aber an ih­nen nicht per­sön­lich be­tei­ligt. Kurz da­nach ließ er an­fra­gen, ob ei­ne Ver­set­zung mög­lich sei: Er wä­re ger­ne an ei­nen Schreib­tisch in Den Haag zu­rück­ge­kehrt.

Statt­des­sen wur­de Al­bert Gem­me­ker zum Kom­man­dan­ten des „Po­li­zei­li­chen Durch­gangs­la­gers Wes­ter­bor­k“ er­nannt, 30 Ki­lo­me­ter von der Gren­ze zu Deutsch­land ent­fernt. Die­sen Pos­ten hat­te er vom 12.10.1942 bis April 1945 in­ne. Sei­ne Se­kre­tä­rin Eli­sa­beth Has­sel, Ehe­frau ei­nes Ge­sta­po-Kol­le­gen und sei­ne Ge­lieb­te, be­glei­te­te ihn dort­hin. Sein Vor­ge­setz­ter Hars­ter er­war­te­te von dem Ver­wal­tungs­mann und „über­eif­ri­gen Per­fek­tio­nis­ten“ (van Liempt) Al­bert Gem­me­ker, Ord­nung in die bis­her chao­ti­schen Zu­stän­de in die­sem La­ger zu brin­gen und die Trans­por­te oh­ne Auf­se­hen rei­bungs­los ab­lau­fen zu las­sen. Gem­me­ker be­zog mit Eli­sa­beth Has­sel ei­ne Vil­la auf dem La­ger­ge­län­de und er­hielt die to­ta­le Macht über die Men­schen in sei­ner Um­ge­bung. Nach Dar­stel­lung sei­nes nie­der­län­di­schen Mit­ar­bei­ters Hans Ot­ten­stein (1902-1986) fühl­te sich Gem­me­ker in Wes­ter­bork als „Kö­nig ei­nes klei­nen Kö­nig­reichs“ und ließ sich von den jü­di­schen Häft­lin­gen be­die­nen. Die La­ger­häft­lin­ge nann­te ihn kurz „Os­tu“ (Ab­kür­zung von „Ober­sturm­füh­rer“).

In die­sem La­ger wa­ren schon vor 1940 jü­di­sche Flücht­lin­ge von der nie­der­län­di­schen Re­gie­rung in­ter­niert wor­den; die deut­schen Be­hör­den hat­ten das La­ger über­nom­men, um von dort aus Men­schen nach Os­ten zum „Ar­beits­ein­sat­z“ zu schi­cken, so die of­fi­zi­el­le Sprach­re­ge­lung. Um die Trans­por­te mög­lichst un­be­merkt von der nie­der­län­di­schen Be­völ­ke­rung durch­zu­füh­ren, bau­ten die Neder­land­se Spo­or­we­gen ein An­schluss­gleis von Wes­ter­bork an die Bahn­stre­cke Mep­pel-Gro­nin­gen. Die Kos­ten da­für wur­den aus be­schlag­nahm­ten jü­di­schen Ver­mö­gen be­strit­ten. Ab dem 1.7.1942 bis zum 13.9.1944 fuh­ren von Wes­ter­bork aus ins­ge­samt 93 Zü­ge in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Ausch­witz-Bir­ken­au, zum Ver­nich­tungs­la­ger So­bi­bor so­wie zu den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern The­re­si­en­stadt und Ber­gen-Bel­sen. Da­bei wur­den rund 80.000 jü­di­sche Men­schen und 245 Sin­ti und Ro­ma in Ver­nich­tungs­la­ger trans­por­tiert, um dort er­mor­det zu wer­den. Der letz­te Zug fuhr am 13.9.1944 mit 279 Men­schen nach Ber­gen-Bel­sen, dar­un­ter wa­ren 77 Kin­der so­wie die Fa­mi­lie von An­ne Frank (1929-1945). In kei­nem an­de­ren Land in Eu­ro­pa lief die De­por­ta­ti­on von Men­schen so rei­bungs­los ab wie in den Nie­der­lan­den, was nicht zu­letzt das Ver­dienst von Kom­man­dant Gem­me­ker war. 75 Pro­zent der in den Nie­der­lan­den le­ben­den Ju­den wur­den im Ho­lo­caust er­mor­det. Kin­der und al­te Men­schen wur­den „prak­tisch aus­ge­rot­te­t“, wie das Ro­te Kreuz nach 1945 fest­stell­te.

Die Si­cher­heits­po­li­zei in Den Haag in Per­son von Ju­den­re­fe­rent Wil­helm Zo­epf (1908-1980), der sei­ne An­wei­sun­gen di­rekt von Adolf Eich­mann (1906-1962), dem Or­ga­ni­sa­tor des mil­lio­nen­fa­chen Mor­des an jü­di­schen Men­schen, aus Ber­lin er­hielt, leg­te die ge­naue An­zahl der De­por­ta­ti­ons­op­fer fest. Gem­me­ker und sein Mit­ar­bei­ter­stab ent­schie­den je­doch, wer de­por­tiert wur­de. Wö­chent­lich wur­de die Zu­sam­men­set­zung der Trans­por­te be­spro­chen, die in der Re­gel aus 1.000 Men­schen be­stan­den, was die La­ger­lei­tung zu Her­ren über Le­ben und Tod mach­te. Die­sem Stab ge­hör­ten auch deut­sche Funk­ti­ons­häft­lin­ge an, die zum Teil kor­rupt wa­ren und für Geld oder se­xu­el­le Ge­fäl­lig­kei­ten die Auf­stel­lung der Lis­ten be­ein­fluss­ten.

Gem­me­ker in­sze­nier­te das Durch­gangs­la­ger Wes­ter­bork als ei­ne Schein­welt, mit ihm selbst in der Haupt­rol­le, mit Sport­an­ge­bo­ten, ei­nem Kran­ken­haus, ei­nem Wa­ren­haus, ei­nem Post­amt, ei­ner Kan­ti­ne, Kin­der­gar­ten und Schu­le. Es gab Werk­stät­ten und ei­nen lag­er­ei­ge­nen Bau­ern­hof. Ein­mal wö­chent­lich wur­den Thea­ter­stü­cke und Kon­zer­te auf­ge­führt. Der Häft­ling Phi­lip Me­cha­ni­cus (1889-1944) nann­te dies in sei­nem Ta­ge­buch: „Ope­ret­ten­mu­sik am of­fe­nen Gra­b“.

Der Kom­man­dant be­fahl dem jü­di­schen Fo­to­gra­fen Ru­dolf Bres­lau­er (1903-1945), das täg­li­che La­ger­le­ben zu fil­men, der jü­di­sche Jour­na­list Heinz Todtmann (1908-nach 1975) schrieb das Dreh­buch. Da­bei ent­stan­den 85 Mi­nu­ten Film­ma­te­ri­al, ins­be­son­de­re über die Trans­por­te nach Ausch­witz. Das Kran­ken­haus im La­ger un­ter dem jü­di­schen Chef­arzt Fritz Spa­ni­er (1902-1967), eben­falls ein Düs­sel­dor­fer, galt als ei­nes der bes­ten in den Nie­der­lan­den: „Man tat sein Äu­ßers­tes, die Pa­ti­en­ten am Le­ben zu er­hal­ten und zu hei­len, um sie da­nach der De­por­ta­ti­ons­ma­schi­ne aus­zu­lie­fern.“ Wie et­wa im Fall Mi­chielt­je: Der klei­ne Jun­ge wur­de als Früh­chen ge­bo­ren. Gem­me­ker ließ ei­nen In­ku­ba­tor brin­gen, ei­nen Pro­fes­sor ins La­ger ho­len und be­such­te das Ba­by re­gel­mä­ßig. Als Mi­chielt­je sechs Pfund wog, wur­de er de­por­tiert und er­mor­det.

Hin­ter der Fas­sa­de die­ser ver­meint­li­chen „Dor­f­idyl­le“ im La­ger war die At­mo­sphä­re von dem stän­di­gen Kampf und der Pa­nik der Be­woh­ner ge­prägt, auf die Trans­port­lis­ten für die Zü­ge ge­setzt zu wer­den, die je­de Wo­che diens­tags Rich­tung Os­ten fuh­ren. Wenn bei Ab­fahrt des Zu­ges die Zahl der zu De­por­tie­ren­den nicht er­reicht war, ging Gem­me­ker in das La­ger­bü­ro und zog auf gut Glück Per­so­nen­kar­ten aus der Kar­tei, nach Be­schrei­bung des Häft­lings Sieg­fried van den Bergh „wie ei­ne blon­de ger­ma­ni­sche Gott­heit […] acht­los, mit be­hand­schuh­ten Hän­den, ei­ne Zi­ga­ret­te im Mund­win­kel, wie bei ei­ner Lot­te­rie auf der Kir­mes“.

Gem­me­ker führ­te zahl­rei­che Re­geln für das La­ger­le­ben ein, selbst tri­via­le Ver­stö­ße wur­den mit „dem Zu­g“ be­straft. So über­rasch­te er im De­zem­ber 1943 nachts am Sta­chel­draht­zaun des La­gers ein Pär­chen: Die ös­ter­rei­chi­sche La­ger­in­sas­sin Lot­te Weisz (1925-1945) traf sich dort ver­bo­te­ner­wei­se mit dem nie­der­län­di­schen Wach­sol­da­ten Jo­han Smal­len­bro­ek (ge­stor­ben 1981). Lot­te Weisz wur­de um­ge­hend de­por­tiert, sie starb am 31.3.1945 im KZ Ber­gen-Bel­sen. Ih­re El­tern und ei­ner ih­rer Brü­der wur­den in Ausch­witz er­mor­det. Smal­len­bro­ek wur­de zu sechs Mo­na­ten Haft ver­ur­teilt und über­leb­te das Kriegs­en­de nach Auf­ent­hal­ten in meh­re­ren La­gern.

In ei­nem an­de­ren Fall wur­den ein Häft­ling und sei­ne Fa­mi­lie auf Ver­an­las­sung von Gem­me­ker de­por­tiert, weil der Mann sei­ne Müt­ze vor dem La­ger­kom­man­dan­ten nicht ab­ge­nom­men hat­te: Der Häft­ling hat­te Gem­me­ker nicht er­kannt und trug zu­dem auf sei­nen Ar­men schwe­re Holz­schei­te. Die spä­te­re ka­na­di­sche Eis­lauf­trai­ne­rin El­len Bur­ka (1921-2016), die eben­falls in Wes­ter­bork ge­fan­gen ge­hal­ten wor­den war und in der Vil­la des Kom­man­dan­ten ar­bei­te­te, be­rich­te­te, dass sie auf An­wei­sung von Gem­me­ker ein­zig aus dem Grund de­por­tiert wor­den war, weil sie sich ge­gen die Be­läs­ti­gun­gen ei­nes deut­schen Sol­da­ten zur Wehr ge­setzt hat­te. Gem­me­kers Ge­lieb­te Eli­sa­beth Has­sel konn­te al­ler­dings durch­set­zen, dass Bur­ka nicht in ein Ver­nich­tungs­la­ger kam, son­dern in das Ghet­to The­re­si­en­stadt, wes­halb sie über­leb­te. Der nie­der­län­di­sche Rund­funk­spre­cher Han Hol­lan­der (1886-1943) und sei­ne Frau muss­ten den Zug be­stei­gen, weil sich die nie­der­län­di­sche Ehe­frau mit ei­ner deut­schen Jü­din ge­strit­ten und die­se als „rot­mof­f“ („Schei­ß­deut­sche“) be­schimpft hat­te.

Nach der gleich­zei­ti­gen Flucht von elf La­ger­in­sas­sen am 8.2.1943 er­ließ Kom­man­dant Gem­me­ker den „La­ger­be­fehl Nr. 5“, der be­sag­te, dass nach je­der ge­glück­ten Flucht die In­sas­sen von de­ren Wohn­ba­ra­cke in ei­ne „Straf­ba­ra­cke“ ver­legt wer­den und mit dem nächs­ten Trans­port gen Os­ten ge­schickt wer­den soll­ten. Gem­me­ker war auch bei der Räu­mung des jü­di­schen psych­ia­tri­schen Kran­ken­hau­ses „Het Apel­doorn­sche Bosch“ an­we­send, von dem aus über 1.200 Men­schen nach Ausch­witz ge­bracht und na­he­zu al­le er­mor­det wur­den.

Al­bert Gem­me­ker gab sich kul­ti­viert, freund­lich, zu­vor­kom­mend und galt als nicht-kor­rupt – wie van Liempt schrieb: „ein Kom­man­dant mit zwei Ge­sich­tern“. Die jü­di­sche Leh­re­rin Et­ty Hil­les­um (1914-1943), die in Ausch­witz er­mor­det wur­de, schrieb über ihn in ih­rem Ta­ge­buch, die­ser be­sit­ze das „kor­rek­te, sport­li­che doch nichts­sa­gen­de Äu­ße­re ei­nes eng­li­schen Whis­ky­trin­ker­s“. An­de­re In­sas­sen sag­ten über ihn: „Der vo­ri­ge Kom­man­dant trat die Leu­te mit dem Stie­fel nach Po­len, die­ser lä­chelt sie nach Po­len.“ Es ist nicht be­kannt, dass er per­sön­lich Häft­lin­ge tö­te­te – sei­ne töd­li­chen Waf­fen wa­ren die Trans­port­lis­ten und die De­por­ta­tio­nen, so dass er sich selbst nicht die Hän­de schmut­zig ma­chen muss­te. Nan­da van der Zee ver­glich sein Vor­ge­hen mit dem des „Schreib­tisch­tä­ter­s“ Adolf Eich­mann.

Als sich 1945 die ka­na­di­schen Trup­pen nä­her­ten, über­trug Gem­me­ker am 11. April die La­ger­lei­tung dem jü­di­schen Funk­ti­ons­häft­ling Kurt Schle­sin­ger (1902-1963) und ver­ließ Wes­ter­bork ge­mein­sam mit Eli­sa­beth Has­sel in sei­nem Mer­ce­des. Kurz­zei­tig war er im noch nicht be­frei­ten Ams­ter­dam als Ver­wal­tungs­of­fi­zier tä­tig. Nach der Be­frei­ung der Nie­der­lan­de wur­de er dort am 7. Mai ver­haf­tet.

Am 20.1.1949 wur­de Al­bert Gem­me­ker in ei­nem Pro­zess vor ei­nem Son­der­ge­richt in As­sen zu zehn Jah­ren Haft ver­ur­teilt. Der Staats­an­walt hat­te die re­la­tiv mil­de Stra­fe von zwölf Jah­ren be­an­tragt. Die ver­meint­lich kor­rek­te Be­hand­lung der Häft­lin­ge wur­de ihm straf­mil­dernd an­ge­rech­net. Der An­ge­klag­te be­rief sich in meh­re­ren Ver­hö­ren – auch in spä­te­ren Jah­ren – so­wie im Pro­zess dar­auf, nicht ge­wusst zu ha­ben, dass die Men­schen in den Ver­nich­tungs­la­gern der Tod er­war­tet ha­be. Es sei aber „all­ge­mein be­kann­t“ ge­we­sen sei, dass Ju­den „Pa­ra­si­ten“ sei­en, die sich auf Kos­ten der rest­li­chen Be­völ­ke­rung be­rei­cher­ten. Deutsch­land ha­be in Kriegs­zei­ten das Recht ge­habt, „Maß­nah­men zu er­grei­fen, um nicht durch ei­ne gro­ße Grup­pe von Men­schen, die Ju­den, die Deutsch­land feind­lich ge­sinnt wa­ren, in sei­nen Kriegs­an­stren­gun­gen be­hin­dert und be­nach­tei­ligt zu wer­den“. Zu die­sem Zweck sei­en In­ter­nie­rung und De­por­ta­ti­on not­wen­dig ge­we­sen. Kin­der und al­te Men­schen sei­en de­por­tiert wor­den, um die „Fa­mi­li­en­ban­de“ nicht zu zer­rei­ßen. Als er mit der Wahr­heit über Ausch­witz kon­fron­tiert wur­de, zeig­te er sich über­zeugt da­von, dass dies Lü­gen oder Über­trei­bun­gen sei­en.

Nach sei­ner Frei­las­sung aus der Haft in den Nie­der­lan­den, wo er in den letz­ten bei­den Jah­ren in dem Koh­le­berg­werk Oran­je Nas­sau in Ey­gels­hoven ar­bei­ten muss­te, kehr­te Gem­me­ker 1951 nach Düs­sel­dorf zu­rück, wo er an­schlie­ßend am Carls­platz in ei­nem Ta­bak­wa­ren­la­den als Ver­käu­fer tä­tig war. Es soll jü­di­schen Ho­lo­caust-Über­le­ben­den gro­ße Ge­nug­tu­ung be­rei­tet ha­ben, bei ihm ein­zu­kau­fen und sich von dem frü­he­ren La­ger­lei­ter be­die­nen zu las­sen. Sein An­trag auf Ent­schä­di­gung für die Haft­zeit – sei­ne Hand sei durch die Ar­beit in den Koh­le­mi­nen be­schä­digt – blieb er­folg­los, bei sei­nem Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren ver­schwieg er sei­ne Zeit als Kom­man­dant in Wes­ter­bork. Er hat­te wei­ter­hin Kon­takt zu ei­ni­gen „Kol­le­gen“, aber auch zu ehe­ma­li­gen In­sas­sen von Wes­ter­bork. So war er nach sei­ner Haft­ent­las­sung Pa­ti­ent des La­ger­arz­tes Dr. Spa­ni­er, der in Düs­sel­dorf ei­ne Haus­arzt­pra­xis er­öff­net hat­te. Spä­ter wech­sel­te er den Arzt, nach ei­ge­ner Aus­sa­ge, um die jü­di­schen Pa­ti­en­ten des Arz­tes nicht vor den Kopf zu sto­ßen.

Gem­me­kers zwei­te Frau, die Mut­ter sei­ner drei Töch­ter, muss­te schon seit den 1940er Jah­ren al­lein zu­recht­kom­men. In­zwi­schen von Eli­sa­beth Has­sel, die drei Jah­re in Un­ter­su­chungs­haft ge­ses­sen hat­te, ge­trennt und er­neut ver­hei­ra­tet, wohn­te Gem­me­ker mit sei­ner drit­ten, 21 Jah­re jün­ge­ren Frau in ei­ner klei­nen Woh­nung und be­schei­de­nen Ver­hält­nis­sen in der Park­stra­ße. In spä­te­ren Jah­ren brach der Kon­takt zu sei­nen Töch­tern ab. Die äl­tes­te war mit ei­nem Spa­ni­er li­iert, was Gem­me­ker nicht ak­zep­tier­te. Die zweiäl­tes­te hei­ra­te­te ei­nen Grie­chen, die Kin­der des Paa­res nann­te Gem­me­ker „Bas­tar­de“. Der jüngs­ten Toch­ter ver­übel­te er, dass sie ih­rem Kind den jü­di­schen Na­men „Ru­t­h“ ge­ge­ben hat­te. Ei­ne sei­ner En­kel­töch­ter be­schrieb ihn als „küh­len, dis­tan­zier­ten Man­n“.

1959 wur­den in der DDR-Zeit­schrift „Die Welt­büh­ne“ Al­bert Gem­me­ker und sein Ver­bleib er­wähnt. Die Staats­an­walt­schaft in Düs­sel­dorf stuf­te die­se An­ga­ben als „kom­mu­nis­ti­sche Pro­pa­gan­da“ ein. Ei­ni­ge Wo­che spä­ter er­schien in der Kir­chen­zei­tung „Die Stim­me der Ge­mein­de“ ein ähn­li­cher Ar­ti­kel, der die Staats­an­walt­schaft nun doch zu ei­nem Er­mitt­lungs­ver­fah­ren ver­an­lass­te und den Fil­mer Pe­ter Schier-Gri­bow­sky zu ei­nem Fern­seh­in­ter­view mit Gem­me­ker. In die­sem In­ter­view be­teu­er­te Gem­me­ker er­neut, nichts über das Schick­sal der jü­di­schen Men­schen ge­wusst zu ha­ben, er ha­be le­dig­lich „Ge­rüch­te“ ge­hört, die er für Pro­pa­gan­da ge­hal­ten ha­be. Gem­me­ker ha­be da­bei sei­ne Über­zeu­gung, wie van Liempt schreibt, in „sal­bungs­vol­lem Ton“ dar­ge­legt. Er ha­be die La­ger­in­sas­sen „kor­rekt und mensch­li­ch“ be­han­delt und ih­nen ih­re La­ge er­leich­tert, so­weit es ihm mög­lich ge­we­sen sei.

Das Er­mitt­lungs­ver­fah­ren wur­de 1961 ein­ge­stellt, da laut Staats­an­walt­schaft nicht be­wie­sen wer­den kön­ne, dass Gem­me­ker von der Er­mor­dung der jü­di­schen Men­schen ge­wusst ha­be. Im Jahr 1967 wur­den in Deutsch­land neue Er­mitt­lun­gen ein­ge­lei­tet, da Gem­me­kers ehe­ma­li­ge SS-Kol­le­gen Wil­helm Hars­ter und Wil­helm Zo­epf in­zwi­schen ein­ge­räumt hat­ten, seit 1942 oder 1943 von der Er­mor­dung der Ju­den ge­wusst zu ha­ben. Bis 1976 wur­den rund 130 Zeu­gin­nen und Zeu­gen in meh­re­ren Län­dern be­fragt. Er­neut hielt die Staats­an­walt­schaft die Be­wei­se nicht für aus­rei­chend, um den ehe­ma­li­gen La­ger­kom­man­dan­ten we­gen sei­nes Mit­wir­kens am Ho­lo­caust an­zu­kla­gen, ob­wohl der Un­ter­su­chungs­rich­ter, der ihn zwölf Mal ver­hör­te, ei­ne An­kla­ge be­für­wor­tet hat­te. Bis zu­letzt hielt Gem­me­ker an sei­ner Ver­si­on des Nicht­wis­sens fest. Ad van Liempt sieht es als „un­wahr­schein­li­ch“ an, dass Gem­me­ker nicht ge­wusst ha­be, dass die de­por­tier­ten Men­schen er­mor­det wur­den, da er et­wa Kon­takt mit den Be­gleit­mann­schaf­ten der Trans­por­te pfleg­te. Auch soll er im No­vem­ber 1943 bei ei­nem Ge­spräch mit Eich­mann an­we­send ge­we­sen ein; Gem­me­ker hin­ge­gen be­stritt spä­ter, Eich­mann je­mals ge­trof­fen zu ha­ben. Schrift­li­che Be­le­ge da­für, dass Gem­me­ker im Bil­de war, wur­den nicht ge­fun­den, zu­mal er Sep­tem­ber 1944 und im April 1945 Ak­ten hat­te ver­nich­ten las­sen.

Al­bert Gem­me­ker starb am 30.8.1982 im Al­ter von 74 Jah­ren in Düs­sel­dorf, nach­dem er jahr­zehn­te­lang in Furcht vor ei­nem neu­en Pro­zess ge­lebt hat­te. Ei­ne sei­ner Töch­ter da­zu: „Sei­ne Angst war un­ser Trost.“ Er wur­de auf dem Nord­fried­hof im Fa­mi­li­en­grab sei­ner Schwie­ger­el­tern be­er­digt. 2006 wur­de das Grab ab­ge­räumt. Sei­ne Töch­ter er­fuh­ren erst ei­ni­ge Jah­re spä­ter, dass der Va­ter ver­stor­ben war. Bis heu­te setz­ten sich Mit­glie­der von Gem­me­kers Fa­mi­lie mit sei­nen Ta­ten kri­tisch aus­ein­an­der. Ei­ne sei­ner En­ke­lin­nen sag­te 2019 in ei­ner Do­ku­men­ta­ti­on des nie­der­län­di­schen Sen­ders NOS: „Er wuss­te ge­nau, was er ant­wor­ten muss­te. Er wuss­te, dass es kei­ne Be­wei­se gab. Er hat eis­kalt ge­lo­gen, und ich den­ke, oh­ne Schuld­ge­füh­le."

Literatur

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Bo­ter­man, Frits, Du­itse da­ders. De jo­den­ver­vol­ging en de na­zi­fi­ca­tie van Neder­land (1940–1945), Ams­ter­dam 2015.

Háj­ko­vá, An­na, Das Po­li­zei­li­che Durch­gangs­la­ger Wes­ter­bork, in: Benz, Wolf­gang/Dis­tel, Bar­ba­ra (Hg.), Ter­ror im Wes­ten. Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche La­ger in den Nie­der­lan­den, Bel­gi­en und Lu­xem­burg 1940–1945, Ber­lin 2004, S. 217-248.

Klee, Ernst, Das Per­so­nen­le­xi­kon zum Drit­ten Reich, Frank­furt am Main 2007, S. 178.

van Liempt, Ad, Gem­me­ker. Com­man­dant van Kamp Wes­ter­bork, Ams­ter­dam 2019.

van Liempt, Ad, Der Kom­man­dant mit den zwei Ge­sich­tern. Al­bert Gem­me­ker im La­ger Wes­ter­bork, in: in­for­ma­tio­nen. Wis­sen­schaft­li­che Zeit­schrift des Stu­di­en­krei­ses Deut­scher Wi­der­stand 1933–1945 91 (2020), S. 22–26.

van der Zee, Nan­da, Wes­ter­bork. Het door­gangs­kamp en zi­jn com­man­dant, Soe­s­ter­berg 2006, Nach­druck 2013.

Online

Er­in­ne­rungs­zen­trum La­ger Wes­ter­bork, ab­ge­ru­fen am 13.4.2021. [On­line

RTV Dren­the, ab­ge­ru­fen am 15.4.2021. [On­line

Wes­ter­bork (Film), von Ru­dolf Bres­lau­er (1944). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Franz, Renate, Albert Konrad Gemmeker, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/albert-konrad-gemmeker-/DE-2086/lido/616fce34b5e425.53523457 (abgerufen am 05.12.2024)