Albert Richter

Radweltmeister (1912-1940)

Björn Thomann (Suderburg)

Toni Merkens und Albert Richter als Teilnehmer eines Wettbewerbes im Herne Hill Velodrom, undatiert. (Source gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France)

Al­bert Rich­ter ge­hör­te zwi­schen 1932 und 1939 zur Welt­eli­te der Bahn­sprin­ter und zu den po­pu­lärs­ten deut­schen Sport­lern im In- und Aus­land. Nach dem Ge­winn des Welt­meis­ter­ti­tels der Ama­teu­re wech­sel­te er 1932 ins Pro­fi­la­ger und konn­te auch dort zahl­rei­che Er­fol­ge ver­bu­chen. Im Ja­nu­ar 1940 starb Rich­ter un­ter un­ge­klär­ten Um­stän­den im Po­li­zei­ge­fäng­nis in Lör­rach. Ver­mut­lich wur­de er dort von Be­am­ten der Ge­sta­po er­mor­det.

Al­bert Rich­ter wur­de am 14.10.1912 in Köln-Eh­ren­feld als Sohn des Gips­mo­del­leurs Jo­hann Rich­ter und des­sen Frau Frie­de­ri­ke Dex­hei­mer ge­bo­ren. Nach dem Be­such der Volks­schu­le in der Lin­den­born­stra­ße er­lern­te er, zu­nächst dem Vor­bild und Wunsch des Va­ters fol­gend, ab 1927 den Be­ruf des Gips­mo­del­leurs. Rich­ters ei­gent­li­ches In­ter­es­se galt je­doch dem Rad­sport. In­ter­na­tio­nal re­nom­mier­te Fah­rer wie der mehr­fa­che Deut­sche Meis­ter im Bahn­sprint Paul Osz­mel­la (1903-1967) oder der Sprint­welt­meis­ter von 1927 Ma­thi­as En­gel (1905-1994) stamm­ten aus Köln und avan­cier­ten zu um­ju­bel­ten Ido­len der zwan­zi­ger Jah­re. Köln galt als ei­ne Hoch­burg des na­tio­na­len und in­ter­na­tio­na­len Bahn­rad­sports. Oh­ne das Wis­sen sei­ner El­tern trat Rich­ter dem Rad­sport­club Ar­mi­ni­us bei, er­wies sich dort eben­falls als ta­len­tier­ter Bahn­sprin­ter und galt be­reits 1931 über die Gren­zen des Rhein­lands hin­weg als gro­ße Nach­wuchs­hoff­nung des deut­schen Rad­sports.

Nach­dem ihm be­reits im Ju­li 1932 mit dem Sieg beim „Grand Prix de Pa­ris" der in­ter­na­tio­na­le Durch­bruch ge­lun­gen war, fei­er­te Rich­ter am 3.9.1932 in Rom mit dem Ge­winn der Ama­teur­welt­meis­ter­schaft ei­nen sei­ner grö­ß­ten sport­li­chen Er­fol­ge. Die Ge­le­gen­heit nut­zend, wech­sel­te er im Ok­to­ber 1932 ins La­ger der Be­rufs­fah­rer, wo ihm nach an­fäng­li­chen Schwie­rig­kei­ten eben­falls der Sprung in die Welt­spit­ze ge­lang.

1933 er­rang Rich­ter sei­nen ers­ten von ins­ge­samt sie­ben Deut­schen Meis­ter­ti­teln im Bahn­sprint. Auf na­tio­na­ler Ebe­ne galt er als na­he­zu un­schlag­bar. To­ni Mer­kens, der zwei­te her­aus­ra­gen­de - eben­falls aus Köln stam­men­de - deut­sche Bahn­sprin­ter der 1930er Jah­re wech­sel­te erst 1936 zu den Pro­fis und war bis da­hin kein di­rek­ter Kon­kur­rent Rich­ters.

Der Ge­winn der Pro­fi­welt­meis­ter­schaft blieb Rich­ter ver­wehrt. Zahl­rei­che Stür­ze und schwe­re Ver­let­zun­gen tru­gen eben­so da­zu bei, wie die Kon­kur­renz zu sei­nem Freund und Dau­er­ri­va­len Jef Sche­rens (1909-1986) aus Bel­gi­en. Den­noch wur­de der von fran­zö­si­schen Me­di­en als „Deut­scher Acht­zy­lin­der" ge­tauf­te Rich­ter zwei­mal Vi­ze­welt­meis­ter und be­leg­te fünf­mal den drit­ten Platz. Zu sei­nen her­aus­ra­gen­den Er­fol­gen als Pro­fi zäh­len auch die 1934 und 1938 er­run­ge­nen Tri­um­phe beim pres­ti­ge­träch­ti­gen „Grand Prix de Pa­ris". Sei­nen letz­ten Sieg fei­er­te Rich­ter am 9.12.1939 beim „Gro­ßen Preis von Ber­lin".

Von den Kri­ti­kern als „Renn­ge­nie von höchs­ter Klas­se" ge­fei­ert, ge­noss der als ge­rad­li­nig und in­tro­ver­tiert gel­ten­de Pu­bli­kums­lieb­ling auch ab­seits der Renn­bahn ein ho­hes An­se­hen. Der hol­län­di­sche Sprin­ter Arie van Vliet (1916-2001) be­schrieb ihn je­doch auch als „na­iv und gut­gläu­big", wo­bei Rich­ter vor al­lem im per­sön­li­chen Um­gang mit den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten zu ei­ner ge­fähr­li­chen Sorg­lo­sig­keit neig­te. Dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus stand Rich­ter ins­ge­samt kri­tisch ge­gen­über. Der ideo­lo­gi­schen und pro­pa­gan­dis­ti­schen Ver­ein­nah­mung sei­ner Per­son ver­such­te er sich so weit wie mög­lich zu ent­zie­hen und hielt auch an sei­nem jü­di­schen Freund und Ma­na­ger Ernst Ber­li­ner fest. Al­ler­dings sah sich auch Rich­ter da­zu ge­zwun­gen, sich mit dem na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Re­gime zu ar­ran­gie­ren, um sei­ne Kar­rie­re fort­set­zen zu kön­nen.

Der Aus­bruch des zwei­ten Welt­krie­ges hat­te in Rich­ter tie­fe Be­stür­zung her­vor­ge­ru­fen und ihn zu dem Ent­schluss kom­men las­sen, Deutsch­land zu ver­las­sen. Ge­gen­über dem Jour­na­lis­ten Fre­dy Bud­zin­ski (1879-1970) äu­ßer­te er: „Ich bin ein Deut­scher, aber für Deutsch­land kann ich nicht kämp­fen, wenn es sich ge­gen Frank­reich wen­det. Ich ge­he nach Frank­reich, nicht um der Wehr­pflicht mich zu ent­zie­hen, son­dern um nicht auf Men­schen schie­ßen zu müs­sen, die ich lie­be, die mich lie­ben und de­nen ich so­viel zu ver­dan­ken ha­be." Um sich dem im­mer stär­ker wer­den­den Druck der Ge­sta­po und ei­ner mög­li­chen Ein­be­ru­fung zu ent­zie­hen, ent­schloss sich Rich­ter En­de 1939 zur Aus­rei­se in die Schweiz. Ob­wohl er be­reits un­ter Be­ob­ach­tung stand, ver­such­te er auf dem glei­chen Weg ei­nen Be­trag von 12.700 Reichs­mark in die Rei­fen sei­nes Ra­des ein­ge­näht über die Gren­ze zu schmug­geln – ei­ne da­mals von vie­len Fah­rern an­ge­wand­te Pra­xis. Das Geld war ihm 1938 von dem jü­di­schen Tex­til­händ­ler Al­fred Schwei­zer vor des­sen Flucht aus Köln an­ver­traut wor­den.

Wäh­rend der Zug­fahrt von Köln nach Ba­sel am 31.12.1939 muss­te sich Rich­ter bei ei­nem Zwi­schen­stopp in Weil am Rhein ei­ner rou­ti­ne­mä­ßi­gen Po­li­zei­kon­trol­le un­ter­zie­hen, bei der die Geld­no­ten ent­deckt wur­den. Ver­mut­lich war die Ge­sta­po zu­vor durch ei­nen In­for­man­ten aus Rich­ters en­ge­rem Um­feld über des­sen Ab­sich­ten in Kennt­nis ge­setzt wor­den. Rich­ter wur­de we­gen des Schmug­gels von De­vi­sen - ein Ver­ge­hen auf das im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land die To­des­stra­fe aus­ge­setzt war - ver­haf­tet und in das Lör­ra­cher Ge­fäng­nis über­führt. Nach of­fi­zi­el­len An­ga­ben nahm er sich dort am Abend des 2.1.1940 das Le­ben. In­di­zi­en und Zeu­gen­aus­sa­gen spre­chen je­doch ein­deu­tig da­für, dass Rich­ter in der Nacht vom 2. auf den 3.1.1940 von der Ge­sta­po ver­mut­lich ge­fol­tert und schlie­ß­lich hin­ge­rich­tet wur­de.

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg ge­riet das An­denken an Al­bert Rich­ter, der am 10.1.1940 un­ter gro­ßer An­teil­nah­me der Be­völ­ke­rung auf dem Eh­ren­fel­der Fried­hof bei­ge­setzt wur­de, über Jahr­zehn­te in Ver­ges­sen­heit. Erst in den 1990er Jah­ren rück­te die Er­in­ne­rung an das tra­gi­sche Schick­sal des eins­ti­gen Welt­meis­ters, „der durch sei­ne kom­pro­miss­lo­se Art und sei­ne Zi­vil­cou­ra­ge an ei­ner ver­bre­che­ri­schen Zeit zu­grun­de ging" wie­der stär­ker in das öf­fent­li­che Be­wusst­sein.

1996 wur­de das neue Köl­ner Rad­sta­di­on in Mün­gers­dorf auf den Na­men „Al­bert-Rich­ter-Bahn" ge­tauft. An glei­cher Stel­le er­folg­te 1997 die Ein­wei­hung ei­ner Bron­ze­ta­fel mit der In­schrift „Zum Ge­den­ken an Al­bert Rich­ter – Op­fer na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Un­mensch­lich­keit". Im Jahr 2008 wur­de Al­bert Rich­ter in die von der Stif­tung Deut­sche Sport­hil­fe in­iti­ier­te „Hall of Fa­me des deut­schen Sports" auf­ge­nom­men.

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Literatur

Franz, Re­na­te, Der ver­ges­se­ne Welt­meis­ter – das rät­sel­haf­te Schick­sal des Köl­ner Rad­renn­fah­rers Al­bert Rich­ter, Bie­le­feld 2007.

Online

Al­bert Rich­ter. Rad­sport-Welt­meis­ter und Na­zi-Op­fer (Wür­di­gung auf der Web­site der Hall of Fa­me des deut­sche Sports). [On­line]

 
Zitationshinweis

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Thomann, Björn, Albert Richter, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/albert-richter/DE-2086/lido/57cd1f43425e07.54619231 (abgerufen am 05.12.2024)