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Albert Vögler zählte als Vorstandsvorsitzender Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke, des damals zweitgrößten Stahlkonzerns der Welt, zu den einflussreichsten Industriellen in der Weimarer Republik. Politisch engagierte er sich in der Deutschen Volkspartei (DVP). Auch nach 1933 übte er noch wichtige Ämter aus und ging erst in der Endphase des Zweiten Weltkriegs auf Distanz zum NS-Regime.
Emil Albert Wilhelm Vögler wurde als zweites von acht Kindern des vom Bergmann zum Betriebsführer aufgestiegenen Vaters Karl Friedrich Vögler (1844-1930) und seiner Frau Bertha, geborene Kuss (1845-1945) in Borbeck (heute Stadt Essen) am 8.2.1877 geboren und evangelisch getauft. Nach einer Lehre in der Maschinenfabrik und Gießerei Isselburger Hütte am Niederrhein studierte er an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Er schloss sein Studium 1900 mit der Ingenieursprüfung im Fach Maschinenbau ab. Im Anschluss war er zunächst im Konstruktionsbüro einer Maschinenfabrik in Herne und beim Georgs-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein in der Nähe von Osnabrück beschäftigt. Als Assistent des Hüttendirektors unternahm er eine Inspektionsreise nach Großbritannien, um dort die modernen Siemens-Martin-Stahlwerke in Augenschein zu nehmen. 1905 heiratete er Helene, die Tochter des Casinoverwalters Wolf; aus der Ehe ging der 1915 geborene Sohn Helmut (gest. 2003) hervor. Im selben Jahr 1905 übernahm er eine Stelle als Oberingenieur bei der Union AG für Bergbau-, Eisen- und Stahlindustrie in Dortmund. Nachdem die Dortmunder Union 1910 mit der Deutsch-Luxemburgischen Bergwerks- und Hütten-AG (Deutsch-Lux) fusioniert hatte, stieg Vögler – protegiert von dem Industriemagnaten Hugo Stinnes (1870-1924) – zum stellvertretenden Vorstandsmitglied von Deutsch-Lux auf. Mit Dank der Förderung durch Stinnes verlief sein weiteres berufliches Fortkommen in Spitzenpositionen der Stahlindustrie fast unaufhaltsam. Bereits 1912 wurde er Direktor und ordentliches Vorstandsmitglied, 1917 schließlich Generaldirektor von Deutsch-Lux.
Seine wirtschaftspolitischen Einstellungen erläuterte Vögler unter anderem in einer Rede auf dem DVP-Parteitag 1919. Hierin zeigten sich ein patriarchalisches Gesellschaftsbild und eine deutliche Distanzierung von sozialdemokratischen und kommunistischen Positionen. Er forderte eine Unternehmensbeteiligung der Arbeiter, die Wiedereinführung der Akkordarbeit und die Bildung eines Reichswirtschaftsrates. Durch Aus- und Weiterbildung der Arbeiter solle deren Identifikation mit dem Betrieb gefördert, zugleich aber auch ein Mittel gegen weitergehende Forderungen der Arbeiterbewegung gefunden werden. Auch als ehrenamtlicher Vorsitzender des Vereins deutscher Eisenhüttenleute setzte Vögler auf Arbeiterbildung. In seiner Ägide zwischen 1917 und 1936 wurde das Deutsche Institut für technische Arbeitsschulung gegründet, das 1935 der Deutschen Arbeitsfront zugeordnet wurde.
Vöglers herausgehobene Stellung als Wirtschaftsmanager zeigt sich auch in seiner Teilnahme an verschiedenen Reparationskonferenzen in den 1920er Jahren. Er war neben Stinnes, Carl Bosch (1874-1940), Fritz Thyssen (1873-1951), Florian Klöckner (1868-1947) und Otto Wolff (1881-1940) als Sachverständiger 1920 in Spa dabei, bei der Aushandlung der Micum-Verträge nach der Ruhrbesetzung 1923, bei den Verhandlungen über den Dawes-Plan 1924 in London und 1929 bei denen über den Young-Plan in Paris. In der Wirtschaftskrise nach 1929 trat er mit weitreichenden wirtschaftspolitischen Forderungen nach Investitionen, Lohnsenkungen und Betriebsstilllegungen hervor. Den Weimarer Staat wollte er – immer schon skeptisch gegenüber Parlamentarismus und Republik – in dieser kritischen Situation in ein autoritäres Regierungssystem nach einem ständischen Modell verändern.
Vögler zählte zum Kreis der engsten Vertrauten von Stinnes, konnte aber auch nach dessen Tod 1924 aufgrund der allgemeinen Wertschätzung seine Funktionen fortführen. Als 1926 vier bedeutende deutsche Montankonzerne fusionierten und die Vereinigten Stahlwerke gründeten, verstand es sich fast schon von selbst, dass Vögler deren Vorstandsvorsitz übernahm, den er bis 1935 behielt. Danach wechselte er in den Aufsichtsrat des Großunternehmens und wurde nach der Emigration von Fritz Thyssen 1940 zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt, was er bis 1945 blieb.
Vögler flankierte – aus wirtschaftlich-strategischen Gründen, aber wohl auch aus persönlichem Interesse – seine erfolgreiche Arbeit als Wirtschaftsmanager durch politische Aktivitäten. Seit 1912 gehörte er der Stadtverordnetenversammlung in Dortmund an. Im Ersten Weltkrieg forderte er in einer Denkschrift an die Oberste Heeresleitung die Annexion des lothringischen Eisenerzgebiets von Briey und Longwy und glaubte noch im Frühjahr 1918 an die Möglichkeit eines Siegfriedens. Er stand der konservativ-nationalistischen Deutschen Vaterlandspartei nahe. Sein politischer und wirtschaftlicher Einfluss zeigt sich daran, dass er am 11.11.1918 zur Waffenstillstandskommission um den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger (1875-1921) zählte.
Im Dezember 1918 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Volkspartei, in der sich um Gustav Stresemann (1878-1929) viele Annexionsbefürworter aus der Endphase des Weltkriegs wiederfanden. Es war zugleich die Partei, in der die Montanindustrie schwerpunktmäßig vertreten war. Vögler fungierte 1919 als Schatzmeister und von 1920 bis 1924 als Vorsitzender der Rheinisch-Westfälischen Arbeitsgemeinschaft der DVP. Vor allem aber war er 1919 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und anschließend bis 1924 Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis Westfalen-Süd. Vögler zählte dabei neben Reinhold Quaatz (1876-1953), Hugo Stinnes und Oskar Maretzky (1881-1945) zum rechtskonservativen Flügel der DVP und setzte sich für einen Zusammenschluss mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) ein. In der strategischen Frage, ob man besser gemeinsam in einer großen Rechtspartei oder getrennt agieren sollte, entschieden sich Alfred Hugenberg (1865-1951) und Vögler angeblich für eine Kooperation statt einer Fusion. Vögler blieb auf dem rechten Flügel der DVP und forderte 1923 sogar eine Ablösung des eigenen Parteifreundes Stresemann als Reichskanzler. Im März 1924 traten etliche nationalistisch eingestellte Parteimitglieder, unter ihnen Vögler, aus der DVP aus und gründeten die Nationalliberale Vereinigung. Die DVP reagierte mit dem Ausschluss. Vögler verlor damit 1924 seine Funktionen in Partei und nach der Reichstagswahl auch in der Fraktion.
1928 zählte Vögler zur sogenannten Ruhrlade von zwölf führenden Ruhrindustriellen, die sich politisch absprachen; auch am von Hitler (1889-1945) angeregten Keppler-Kreis war er beteiligt. 1931 war er bei Reichskanzler Heinrich Brüning (1885-1970) sogar als Reichswirtschaftsminister im Gespräch. 1932/1933 engagierte er sich für die DNVP, sprach sich für ständestaatliche Lösungen aus und unterstützte Reichskanzler Franz von Papen (1879-1969). Am 7.1.1933 war er Teilnehmer einer Besprechung führender Industrieller zur Bildung eines „Kabinetts der nationalen Konzentration“ in Dortmund. Und schließlich beriet er sich zusammen mit Fritz Thyssen und Ernst Poensgen (1871-1949) mit Hitler, Hermann Göring (1893-1946) und Ernst Röhm (1887-1934) auf Schloss Landsberg am 27. Januar, nur wenige Tage vor der NS-Machtübernahme. Auch bei einem Treffen mit dem neuen Reichskanzler im Februar 1933 war er anwesend.
Nach 1933 setzten die Nationalsozialisten viele Wünsche Vöglers in die politische Realität um. Die Stärkung von Deutschlands internationaler Stellung, eine autoritäre Wirtschaftspolitik und die militärische Aufrüstung entsprachen seinen langfristigen Zielen. Obwohl er nie Parteimitglied wurde, beförderten ihn die Nationalsozialisten zunächst als Gast in die NSDAP-Reichstagsfraktion und schließlich ehrenhalber zum Mitglied des Reichstags. Sein Einfluss auf die „große Politik“ dürfte gleichwohl eher abgenommen haben. Die Nationalsozialisten strebten jedenfalls eine wirtschaftliche Autarkie Deutschlands an, während Vögler stets auf den Export gesetzt hatte. Auch widersprach sein privatwirtschaftliches Interesse der staatlich gelenkten NS-Wirtschaftspolitik. Engere Beziehungen pflegte Vögler in erster Linie zum Rüstungsminister Albert Speer (1905-1981). Dessen Ministerium berief ihn 1943 in den sogenannten Ruhrstab, der den Wiederaufbau der durch Bombardierung geschädigten Rüstungsindustrie an der Ruhr organisieren sollte. Im Dezember 1944 wurde er zudem zum Rüstungsbevollmächtigten für das Rhein-Ruhr-Gebiet ernannt.
Vögler war seit 1940 als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in die diversen Forschungsprojekte eingeweiht, die auch medizinische Versuche an Fremdarbeitern beinhalteten. Gleichwohl äußerte er sich in den letzten Kriegsjahren zunehmend kritisch gegenüber dem NS-Regime, beabsichtigte, den Zerstörungsbefehl Hitlers zu verhindern, und war an Planungen für den Wiederaufbau nach dem Krieg beteiligt. Er war durch seinen Kontakt zu Carl Goerdeler (1884-1945) Mitwisser des Attentats vom 20. Juli 1944, entging aber wohl aufgrund des Schutzes durch Speer einer Verhaftung. Als amerikanische Truppen seinen Wohnort Herdecke besetzten und ihn gefangen nahmen, beging er am 14.4.1945 Selbstmord durch Einnahme von Zyankali.
Albert Vögler erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Ehrendoktorwürde der Universität Münster, war Ehrenmitglied der TH Danzig, Ehrensenator der TH Karlsruhe und Träger der Goldenen Leibniz-Medaille. (FJG)
Literatur
Bührer, Werner, Vögler, Albert, Industrieller, in: Benz, Wolfgang/Graml, Hermann (Hg.), Biographisches Lexikon zur Weimarer Republik, München 1988, S. 351.
Jaspers, Karin/Reininghaus, Wilfried (Bearb.), Westfälisch-lippische Kandidaten der Januarwahlen 1919. Eine biographische Dokumentation, Münster 2020, S. 193-194.
Kessler, Wolfgang, Jedes Werk ist für den Menschen da und wird von Menschen geschaffen und getragen – Albert Vögler, für lange Zeit ein Herdecker Bürger, in: Herdecker Blätter 10 (November 1996), S. 23–33.
Klaß, Gert von, Albert Vögler. Einer der Großen des Ruhrreviers, Tübingen 1957.
Kohl, Ulrike, Die Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Max Planck, Carl Bosch und Albert Vögler zwischen Wissenschaft und Macht, Stuttgart 2002, S. 169–238.
Rasch, Manfred, Über Albert Vögler und sein Verhältnis zur Politik, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen. Forschungen und Forschungsberichte 27 (2003), S. 127–156. [Online]
Rasch, Manfred, Albert Vögler (1877–1945), in: Westfälische Lebensbilder 17, Münster 2005, S. 22–59.
Richter, Ludwig, Die Deutsche Volkspartei 1918-1933, Düsseldorf 2002.
Online
Vögler, Albert, in: Akten der Reichskanzlei: Weimarer Republik. [Online]
Vögler, Albert, in: Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten. [Online]
LeMo-Artikel über Albert Vögler. [Online]
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Grothe, Ewald, Albert Vögler, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/albert-voegler/DE-2086/lido/621f56f831a151.68474657 (abgerufen am 24.04.2024)