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Die evangelische Theologin Annemarie Rübens kämpfte in den späten 1920er Jahren für die Gleichberechtigung von Frauen im Pfarramt. Im Oktober 1933 wurde sie wegen ihrer NS-kritischen Haltung aus dem Kirchendienst entlassen. Sie emerigierte nach Uruguay, wo das „Haus Rübens“ in Colonia Waldense Treffpunkt und Zufluchtsstätte NS-verfolgter Emigranten wurde. Nach dem Militärputsch in Uruguay 1973 wurde das Haus erneut Zufluchtstätte, jetzt für Kinder politisch verfolgter Eltern. Seit 1975 wieder in Deutschland lebend, engagierte sie sich unter anderem für amnesty international und in der Friedensbewegung.
Die am 24.5.1900 in Banfield (Argentinien) geborene Annemarie Rübens stammte aus einem großbürgerlichen deutschen Elternhaus. Der Vater kam zwar aus einem streng katholischen Milieu, hatte aber keine engere Bindung an die Kirche. Die evangelische Erziehung durch die Mutter wurde dagegen ausschlaggebend für das spätere Theologiestudium der Tochter. 1909 siedelte die Familie nach Köln über. Nach dem Abitur arbeitete Annemarie Rübens 1921 als Landwirtschafts- und Gärtnerlehrling im Sauerland. Dann studierte sie in Köln Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und nahm anschließend das Theologiestudium in Marburg auf, das sie 1927 mit dem Fakultätsexamen beendete. In Marburg schloss sie Freundschaft mit den Theologinnen Ina Gschlössl, Aenne Schümer (verheiratete Traub, 1904-1982) und Elisabeth von Aschoff (verheiratete Bizer, 1904-2004), mit denen sie in den nächsten Jahren gemeinsam – freilich ohne Erfolg – für die Gleichberechtigung von Frauen im Pfarramt kämpfte. Hintergrund der dem entgegenstehenden kirchlichen Gesetzgebung, schrieb sie in der Zeitschrift „Christliche Freiheit“, sei „die auf anderen Lebensgebieten längst erledigte Fabel von der Überlegenheit des männlichen Geschlechts“.
1927 wurde sie Vikarin beim religiös-sozialistischen Kölner Pfarrer Georg Fritze (1874-1939). Sie traf damit auf einen Gesinnungsgenossen, der – wie die rheinischen religiösen Sozialisten insgesamt – schon Ende der 1920er Jahre für Frauen Zugang zum Pfarramt gefordert hatte. Die zweite Hälfte des Gemeindevikariats absolvierte sie bei Pfarrer Hans Encke (1896-1976) in Köln-Riehl. Es folgte ein Jahr Arbeit für alte Menschen in den „Riehler Heimstätten“. In dieser Zeit trat sie in die „Bruderschaft Sozialistischer Theologen“ und in die SPD ein, jedoch ohne parteipolitisch tätig zu werden.
Seit der Gründung des „Verbandes Evangelischer Theologinnen“ (1925) hatte sie das uneingeschränkte Pfarramt für Frauen angestrebt, gehörte dabei aber mit acht weiteren Kolleginnen zu einer Minderheit, da der Verband lediglich ein besonderes Frauenamt befürwortete. Vom „Amt der Vikarin“, schrieb sie zusammen mit ihrer Gesinnungsgenossin Ina Gschlössl in der Zeitschrift „Die christliche Welt“, bleibe bei näherer Betrachtung „nichts übrig als gelegentliche Vertretung und dauernde Kleinarbeit und Gehilfinnentätigkeit unter Leitung des verantwortlichen Theologen“.
Weil sich die acht Frauen mit ihrer Forderung nach Gleichberechtigung bei den anderen Kolleginnen nicht durchsetzen konnten, traten sie aus dem Verband aus und gründeten 1930 die „Vereinigung evangelischer Theologinnen“. Ihre Kritik an der „Männerkirche“ brachte Annemarie Rübens 1931 in der Zeitschrift „Die Frau“ erneut unmissverständlich zum Ausdruck: „Unter dem Vorwand des ‚Dienens’ verlangt man von uns Theologinnen, dass wir unsere Zeit vor allem dazu verwenden, die Korrespondenz des Pfarrers zu führen, die Päckli für die Sonntagsschulweihnacht einzupacken, die Tassen nach einem Gemeindeabend zu waschen.“ Das Wort „Dienen“ werde ständig „zu dem Versuch verwendet, unsere Arbeit ins Belanglose herabzudrücken“.
1930/1931 wurde sie nebenamtliche Religionslehrerin an den Stadt-Kölnischen Berufsschulen für Arbeiterinnen und gewerbliche Hausangestellte. 1932 legte sie das Zweite Theologische Examen vor dem Konsistorium ab, das sich dann allerdings weigerte, ihr eine bezahlte Tätigkeit als Vikarin zuzuweisen. Erst auf Druck von Kölner Frauenverbänden schuf die Kirche dort im März 1933 eine Stelle als Gemeindevikarin für sie, wie sie im Theologinnengesetz vorgesehen war. Ihre Dienstanweisung wirkte durch ihre Vielfalt allerdings eher wie ein Flickenteppich. Neben überbezirklicher Arbeit schloss sie nebenamtlichen Berufsschulunterricht mit ein.
War sie schon zuvor unbequem für die Kirche gewesen, wurde sie es erst recht im “Dritten Reich”. Sie ließ sich nicht gleichschalten. Ihre Gebete und Predigten richteten sich gegen Hass und Rassismus. „Unsere Liebe muß rein bleiben, es darf sich mit ihr kein Haß verbinden“, sagte sie im April 1933 in einer Predigt. „Weder der Haß gegen andersdenkende Volksgenossen, noch der gegen blutsfremde Volksgenossen, noch gegen fremde Völker [...] Die Flut des Hasses gegen die Volksgenossen, die frei von nationaler Leidenschaft sind, steigt täglich. Gleicherweise auch die Flut des Hasses gegen unsere jüdischen Volksgenossen.”
Im Zuge der hemmungslosen Propaganda gegen die „Linke“ in Kirche und Staat im Sommer 1933 fühlte sich das Kölner Presbyterium gestärkt, gegen die Vikarin vorzugehen. Sein Vorsitzender Pfarrer Karl Köhler (1888-1954) – später auch Verfolger von Georg Fritze – erreichte ihre Entlassung. Man beanstandete ihre „Haltung zur politischen Neuordnung“. Im Oktober 1933 wurde sie entlassen. Das gleiche Schicksal ereilte die in Köln tätigen Vikarinnen Aenne Schümer und Elisabeth von Aschoff, die sich mit ihr solidarisch erklärten. Sie wurden wie zuvor die NS-kritische Kollegin Ina Gschlössl von der rheinischen Kirchenleitung – dem „Konsistorium“ – aus der Liste der theologischen Kandidatinnen gestrichen. Sie alle wurden bald als „die vier Kölner Vikarinnen“ bekannt.
Annemarie Rübens war nach der Kündigung bewusst, dass sie bei ihrer politischen Gesinnung auf die Dauer nicht in Deutschland bleiben konnte. Im August 1933 setzte sie sich bei Nacht und Nebel mit dem Fahrrad nach Holland ab. In einer von Pfarrer Bram Burger geleiteten Volkshochschule im holländischen Nordwijkerhout arbeitete sie dann in der Gärtnerei. Georg Fritze hatte ihr die Adresse gegeben. Nebenbei gab sie Nachhilfeunterricht in Latein und Griechisch. Als das Ehepaar Burger fünf Kölner Arbeiterkinder aufnahm, deren kommunistische Eltern stark gefährdet waren, kümmerte sie sich um sie, musste sie jedoch schweren Herzens wieder nach Köln schicken, weil die Gestapo den Eltern Repressalien angedroht hatte.
Ein in Uruguay zu Wohlstand gekommener jüngerer Bruder von ihr motivierte sie, 1936 dorthin zu emigrieren. Er starb vor ihrer Ankunft, hinterließ ihr aber ein Auto und ein kleines Flugzeug, durch dessen Verkauf sie einen auf halbem Weg zwischen Buenos Aires und Montevideo gelegenen alten Bauernhof in Colonia Valdense, einer ehemaligen Waldenser-Siedlung, erwerben konnte. Hier verkaufte sie selbst angebautes Gemüse und Blumen.
Nun wurde das “Haus Rübens” Treffpunkt vieler von den Nationalsozialisten verfolgten Emigranten. Mit den Menschen in ihrem Haus entwickelte sie ein reges Gemeinschaftsleben. Einzelgänger und ganze Familien kamen. Manche blieben Monate lang, wurden aktiv im Haus oder in der Landwirtschaft. Andere blieben nur ein paar Tage. Mit den jungen Menschen organisierte sie Wanderungen und Theateraufführungen, leitete sie zu Arbeiten in Feld und Garten an, sang mit ihnen Lieder am Lagerfeuer, die ihr seit ihrer „Wandervogel“-Zeit vertraut waren.
Sie selbst hatte sich schon länger ein Kind gewünscht, aber – wie sie Freundinnen gegenüber bemerkte – keinen Mann. 1943 wurde ihr Sohn Thomas geboren, der später Buchhändler in Berlin wurde.
Regen Kontakt hielt sie zu dem emigrierten sozialistischen Pädagogen August Siemsen (1884-1958), der als Lehrer an der renommierten Pestalozzi-Schule in Buenos Aires arbeitete und die weit verbreitete Zeitschrift „Das Andere Deutschland“ herausgab.
Ihr Versuch, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland wieder Fuß zu fassen, scheiterte.
Als die Militärs 1973 in Uruguay eine Diktatur errichteten, wurde das “Haus Rübens” trotz des großen Risikos wieder Zufluchtsstätte: Jetzt nahm die couragierte Frau die Kinder verhafteter oder getöteter Kämpferinnen und Kämpfer der Befreiungsbewegung der Tupamaros bei sich auf. Sie begegnete ihren furchtbaren traumatischen Erlebnissen und versuchte, ihnen Mut zu machen. 1974 ließ sie sich in Montevideo nieder und gab dort Sprachunterricht, kehrte aber an den Wochenenden nach Colonia Waldense zurück.
1975 erfuhr sie in Deutschland, wo sie finanzielle Mittel für ihre humanitäre Arbeit sammelte, dass sie auf der Fahndungsliste der Militärs stand. Daraufhin kehrte sie nicht mehr nach Uruguay zurück. 1979 wurde sie offiziell aus ihrer Wahlheimat ausgewiesen. Sie engagierte sich in Tübingen in einem Dritte-Welt-Laden und arbeitete mit amnesty international zusammen. Dann zog sie nach Göttingen in ein Altenwohnstift. Trotz ihres hohen Alters und eines Herzschrittmachers nahm sie an Ostermärschen und vielen Friedensdemonstrationen teil. 1981 besuchte sie Montevideo und blieb dort unbehelligt für zwei Monate. An einem Seminar über das „Amt der Theologin“ beteiligte sie sich in Göttingen noch mit 87 Jahren.
Eva Weil (geboren 1929) und Ernesto Kroch (1917-2012), zwei in Montevideo lebende politische Emigranten, die sich wie Annemarie Rübens in den 1930er Jahren nach Uruguay gerettet hatten, erreichten zusammen mit anderen Menschen aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zum 90. Geburtstag der Jubilarin, dass in einem Armenviertel Montevideos eine Kindertagesstätte eingerichtet und nach ihr benannt wurde. Sie starb am 8.5.1991 in Göttingen.
Werke
Der Fall Furna. Zum Dienst der Frau in der Kirche, in: Die Frau 39 (1932), S. 705-708.
Probleme der Dogmenbildung in psycho-analytischer Beleuchtung, in: Zeitschrift für Religion und Sozialismus 1933, S. 56-64.
Literatur
Henze, Dagmar/Köhler, Heike/Flesch-Thebesius, Marlis, Zum Tode von Annemarie Rübens am 8.5.1991, in: Reformierte Kirchenzeitung 8/91, S. 249-251.
Gusner, Iris/Sander, Helke, Fantasie und Arbeit: Biografische Zwiesprache, Marburg 2009.
Härter, Ilse, Die Kölner „konzertierte Aktion“ von 1928/29 zur Abänderung des Vikarinnengesetzes vom 9. Mai 1927, in: Querdenken. Beiträge zur feministisch-befreiungstheologischen Diskussion, Pfaffenweiler 1992, S. 247-249.
Härter, Ilse, Ein solidarisches Leben. Annemarie Rübens’ Engagement in Deutschland und Uruguay, in: Norden, Günther van/Schmidt, Klaus (Hg.), Sie schwammen gegen den Strom. Widersetzlichkeit und Verfolgung rheinischer Protestanten im Dritten Reich, Köln 2006, S. 64-66.
Kroch, Ernesto/Weil, Eva, Zuflucht für die Kinder der Verfolgten. Das Engagement der Annemarie Rübens in Europa und Uruguay, in: ila [Zeitschrift der gleichnamigen Informationsstelle Lateinamerika] Nr. 156, Juni 1992, S. 50-54.
Kroch, Ernst, Annemarie Rübens, in: Pusch, Luise F. (Hg.), Berühmte Frauen. Kalender 2000, 100. Geburtstag am 24. Mai, Frankfurt a.M. 2000.
Thimmel, Stefan [u.a.] (Hg.), Uruguay. Ein Land in Bewegung, Berlin/Hamburg 2010.
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Schmidt, Klaus, Annemarie Rübens, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/annemarie-ruebens/DE-2086/lido/5e85f4f524da68.39005628 (abgerufen am 09.12.2024)